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111 GRÜNDE, SPANIEN ZU LIEBEN

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111 GRÜNDE, SPANIEN ZU LIEBEN

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SPANIENZU LIEBEN

111 GRÜNDE

ANDREAS DROUVE

Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt

SCHWARZKOPF & SCHWARZKOPF

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WILLKOMMEN! Buenos días, guten Tag! 8

KAPITEL 1De aperitivo … Stimmen Sie sich ein! 11Weil dieses Land am Südwestrand Europas keine Randerscheinung ist – Weil die Küsten keine Wünsche offen lassen – Weil Bürokratie auch erheitern kann – Weil der Wohlklang der Sprache schon beim Namen beginnt – Weil das Klima des Südens ein Pluspunkt ist – Weil eine gewisse Zeitverschiebung greift … – … und weil der Umgang mit Zeit überhaupt flexibel gehandhabt werden kann – Weil die verlängerten Wohnzimmer außer Haus liegen – Weil historische Reise skizzen treffend einstimmen – Weil das gute alte Spanien trotz allem fortlebt

KAPITEL 2El arte de vivir – Lebensgefühl & Lebenskunst 33Weil sich in Kneipen das Tor zum Paradies öffnet – Weil sich Slow Food von selbst versteht – Weil das Leben zu kurz und zu schade ist, um Diskussionen wirklich ernst zu nehmen – Weil in jedem ein kleines Stück Anarchie steckt – Weil man nicht alles auf die Goldwaage legt – Weil Stolz und Selbstgefühl mitschwingen – Weil ein gerüttelt Maß Fatalismus dem Leben die Würze gibt – Weil sich der Gemeine Spanier nicht mehr widerspruchslos Gemein-heiten gefallen lässt – Weil Solidarität die Gesellschaft zusammenhält – Weil sich die Stadtkonkurrenten Madrid und Barcelona exemplarische (Fußball-)Schlachten liefern

KAPITEL 3El día a día – Alltag 51Weil Spanierinnen und Spanier porentief rein sind – Weil die Presse das wahre Leben und seine kuriosesten Blüten widerspiegelt – Weil trotz aller An näherung eine gewisse Form und Distanz gewahrt bleibt – Weil der Sprachalltag besondere Lektionen erteilt … – … und weil »falsche Freun-de« amüsant sein können – Weil am Ende alles gut wird – Weil Statistiken

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aufschlussreich und herrlich nichtssagend zugleich sind – Weil Sprichwörter anschaulich und erhellend sind … – … und weil viele weitere Redewendun-gen stimmen – Weil trotz aller Unterschiede nicht immer und überall alles anders ist

KAPITEL 4¡Que aproveche! – Wohl bekomm’s! 71Weil es paradiesische Obstkulturen gibt – Weil das Maurenerbe auch kuli-narisch nachwirkt – Weil es beim »Brüstchenkäse« nicht auf die Größe an-kommt – Weil der rohe Schinken saumäßig gut schmeckt – Weil ich eingelegte Oliven mag – Weil nichts über Olivenöl geht – Weil Meeresgetier bestens in mir aufgehoben ist – Weil es in der Küche ebenso deftig zugehen kann – Weil geschmacklos benanntes Gebäck durchaus schmackhaft sein kann – Weil ich die Märkte und ihre Produkte über alles schätze

KAPITEL 5Arte, literatura y mucho más – Kultur in allen Facetten 89Weil Häuser von »Promis« ihre Türen öffnen – Weil Federico García Lorca der Beste von allen war – Weil Liebeslieder nicht schnulzig sein müssen – Weil Romane nicht füllig sein müssen – Weil Picassos »Guernica« ein Jahrhun-dertgemälde ist – Weil der Lebenslauf eines genialen Dramatikers, geweihten Priesters und vielfachen Vaters neugierig macht – Weil »Kommen Sie morgen wieder« ein schelmisches Meisterstück ist – Weil Spanien auch für Filmfans interessant ist – Weil Katalonien hervorragende Literaten hervorgebracht hat – Weil es im Kulturland Spanien manchmal nichts kostet (und ich Ihnen die Tipps dazu gratis verrate)

KAPITEL 6Mucha marcha – Fiestas, Abend- und Nachtleben 111Weil Fiestas ihren eigenen Gesetzen folgen – Weil festliche Kampfesgetümmel blutfrei verlaufen – Weil ein Fest ohne Lärm kein Fest ist – Weil der Stier-kampf auch Gegner gefunden hat – Weil verschmutzte Kneipen in Wahrheit nicht schmutzig sind – Weil Verbote kein Hinderungsgrund für Open-Air-

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Treffs sind – Weil Spanier jederzeit Stil und Eleganz wahren – Weil das volks-tümliche Singspiel kein Singsang ist – Weil der Flamenco durch Mark und Bein geht – Weil Ibiza im Sommer zur Partytime ruft

KAPITEL 7Costumbres y leyendas – Bräuche & Legenden 133Weil die Karprozessionen unvergleichlich sind – Weil die Weihnachtszeit un-nachahmlich beginnt … – … und weil sich die Weihnachtszeit unnachahm-lich fortsetzt – Weil es Gotteshäuser mit hochverehrtem Geflügel gibt – Weil im Baskenland Eisenmänner leben – Weil Maria des Öfteren aufgefunden wurde – Weil hier die Legende von einer mysteriösen Glocke kursiert – Weil es auch Legenden mit weniger Blut gibt – Weil eine weitere Legende weiß, dass nicht jede Gesellschaft an Bord angenehm ist – Weil der Teufel nicht immer Beute macht

KAPITEL 8Grandes urbes, pequeños pueblos – Städte, Dörfer & Architektur 157Weil das Wunder von Bilbao bis heute nachwirkt – Weil Antoni Gaudí hier beheimatet war – Weil Salvador Dalí im Dreieck springen lässt – Weil sich Traumdörfer über das ganze Land verteilen – Weil das Kirchlein Santa Ma-ría de Eunate ein kleiner Schatz der Romanik ist – Weil die Kathedrale von Burgos ein großer Schatz der Gotik und Renaissance ist – Weil Morgen- und Abendland im Mudéjarstil zusammenfanden – Weil man sich selbst den Eindrücken architektonischen Größenwahns nicht entziehen kann – Weil sich Klöster in Städten und Dörfern auch zum Shopping anbieten – Weil Spanien das wahre Burgenland ist

KAPITEL 9En la naturaleza – Entdeckungen in der Natur 179Weil die Vogelwelt begeistert – Weil es noch Bären in freier Wildbahn gibt (und ich mir die Freiheit nehme, Ihnen dazu einen aufzubinden) – Weil erstarrte Naturschauspiele eindrucksvolle Kulissen abgeben – Weil die Na-tur auch als Kulturzentrum diente – Weil auf der Baleareninsel Formentera

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Karibikfeeling aufkommt – Weil die Gebirgskette der Pyrenäen eine einzige Schaubühne der Natur ist – Weil allein Strand- und Küstenwanderungen auf Fuerteventura ein schlagendes Argument für Reisen auf die Kanaren sind – Weil der Einklang mit der Natur selbst unweit großer Städte zu spüren ist – Weil es an den »Grünen Routen« grünt – Weil es mich gelegentlich ans Ende der Welt zieht

KAPITEL 10Viajando por el Norte – Reisen durch Barcelona und Spaniens Nordhälfte 199Weil die Rambla zum »Rambeln« beflügelt – Weil die Sagrada Família allein eine Spanienreise rechtfertigt – Weil der Jakobsweg erdet und zur Sinnsuche anhält – Weil die Tempel des roten Goldes außen und innen überraschen – Weil Gläubige und Seelentiere nach San Andrés de Teixido wandern – Weil »Gastronomische Gesellschaften« besondere Clübchen sind – Weil die Land-schaft Las Médulas ein Zaubergarten aus Stein ist – Weil Spaniens Heilige in die entlegensten Winkel treiben – Weil in Segovia Kulturdenkmäler und Schweinereien nah beieinanderliegen – Weil sich Dinosaurier hier schon tierisch wohlfühlten

KAPITEL 11Viajando por el Sur – Reisen durch Madrid und Spaniens Südhälfte 219Weil im Madrider Prado bekannte Meisterwerke und satirische Geniestreiche hängen – Weil es in Madrid grünt und blüht – Weil »Spaniens Oxford« Studenten und Besucher anlockt – Weil das maurische Erbe elektrisiert – Weil Sevilla ein Wunder ist – Weil die Alhambra Schauplatz von Sex & Crime war – Weil im tiefen Süden die Quellen des Sherry sprudeln – Weil das surrealistischste Gesamtkunstwerk neugierig macht – Weil Andalusiens weiße Dorfschönheiten bezaubern – Weil ein heißes Pflaster rasch auf Be-triebstemperatur bringt

UNA ÚLTIMA PINCELADAEin letzter Pinselstrich 241Weil es mehr als 111 Gründe gibt

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WILLKOMMEN!

Buenos días, guten Tag!

Wie ich nach Spanien kam, wollen Sie wissen? Nun, es war im Grunde kein lange gehegter Lebenstraum, es ergab sich so, wie das Schicksal es wollte. Vorbestimmung? Vielleicht. Etwa ein halbes Jahr vor dem Absprung begann das Vorhaben konkreter zu reifen, setzten die Planspiele ein, wie das wäre, auf Dauer in Südwesteuro-pa in der Heimat meiner spanischen Frau zu leben. Über Reisen und Kultur zu schreiben und dort mein Basislager als freiberuf-licher Autor, Journalist und Korrespondent aufzuschlagen, ja, das konnte ich mir vorstellen. Vorausschauend zog ich ein paar mäßige Buchaufträge an Land, um in der Ferne zu starten, und verdrängte die Gedanken an die weitere Zukunft. In Deutschland schlug ich das Angebot einer attraktiven Redakteursstelle bei der Tageszei-tung Hessische/Niedersächsische Allgemeine aus. Es erreichte mich zu spät, der Aufbruch stand kurz bevor.

Ende 1995 packten Cristina, meine Frau, und ich in Kassel den jungen Hausstand zusammen. Das Inventar verschwand in 40 Um-zugskartons, die wir gemeinsam mit bleischweren Elektrogeräten und den Kiefernmöbeln eines schwedischen Einrichtungshauses an einem Novembermorgen in einen Mietlaster luden. Und den fuhr ich selbst: über Süddeutschland und quer durch Frankreich. Hinter Bordeaux rochen wir das Meer, in Hendaye passierten wir die Gren-ze und fuhren unter stahlblauem Himmel ins Vorpyrenäen land nach Pamplona, unserem Ziel. Dort deponierten wir die Fracht mit Hilfe spanischer Freunde zunächst im Haus der Schwiegereltern und bei einer Tante. Eigentlich nur 1.400 Kilometer von meiner deutschen Altheimat Düren/NRW weg, doch Welten von ihr ent-fernt. Wir hatten keine eigene Wohnung, wenig Geld, aber Energie und Ideen und sprühten vor Optimismus.

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So begann mein dauerhaftes Leben in España, einem Land, das ich zuvor zwei Auslandssemester lang kennen- und lieben gelernt hatte. Lebensart und Fiestas hatten mich bereits als Student faszi-niert, Sitten und Unsitten, der lockere Umgang miteinander, die Musik, das Klima, die Reberzeugnisse, die Ausgehkultur.

Es gibt sicher Hunderte Argumente, Spanien zu lieben. Damals wie heute. 111 triftige Gründe dafür habe ich ausgewählt, elf mal zehn plus einen. Es sind Mosaiksteinchen, die Ihnen helfen sol-len, einen Blick hinter die Kulissen des Landes werfen, die Men-schen buchstäblich besser zu verstehen, der Mentalität auf den Grund zu gehen. Die Episoden über meine Wahlheimat habe ich in Elementen aus Reportage, Essay, Erzählung und Satire zu einer Liebeserklärung verdichtet. Rein subjektiv, versteht sich. Da geht es um Gewohn- und Eigenheiten, Alltag, Sprache, Kneipen- und Museumskultur, Bräuche, Feiern, Kulinarisches, Entdeckungen in der Natur, die Stadtkonkurrenten Madrid und Barcelona und vieles mehr. Aus einigen Geschichten tropft der Wein, aus Legenden das Blut. Tapas, Oliven, Käsebrüste und verschmutzte Kneipenfußbö-den lassen auf den Geschmack kommen – Sie werden es sehen. Nebenbei verrate ich diesen oder jenen Insidertipp für Ihre Reisen, Ihre eigenen Annäherungen an Spanien.

Bienvenidos, willkommen! Andreas Drouve

PS: Mein Dank gilt den Produkten spanischer Winzer, die den Schaffensprozess der 111 Gründe, Spanien zu lieben begleitet ha-ben. Zu noch größerem Dank bin ich meiner Familie und meiner Schreibhand verpflichtet.

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K APITEL 1

De aperitivo … Stimmen Sie sich ein!

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1. Grund

Weil dieses Land am Südwestrand Europas keine Randerscheinung ist

Viva España! Es lebe Spanien! Sehnsuchtsziel unter südlicher Sonne. Traditionelle Heimat von Flamenco, Sangría, Paella. Tummelplatz von Reingeschmeckten, die, wie ich, aus freien Stücken und ohne Groll, Deutschland adiós gesagt haben. Alljährlich Reisetraum von über 50 Millionen Gästen aus dem Ausland. Einfluss auf Statistiken und Zugkraft haben nicht zuletzt die Inselgruppen der Kanaren und Balearen. Manche sehen Mallorca als 17. und Gran Canaria als 18. deutsches Bundesland an. Persönlich hätte ich lieber For-mentera, aber das ist sehr klein und im Sommer voller Italiener …

Hätten die Verhältnisse aus der Kolonialzeit noch Bestand, wäre Spanien weitaus größer als jetzt mit seinen rund 505.000 Quadrat-kilometern. Mexiko würde dazugehören, Ecuador, Peru, Argenti-nien, Chile, die Philippinen, viele weitere reizvolle Territorien in Übersee. Ob es wohl günstige Inlandsflüge gäbe? »In meinem Reich geht die Sonne niemals unter«, soll König Karl V. (1500–1558) ausgerufen haben, doch belegt ist der Ausspruch nicht. Allzubald verdunkelten Wolken das Firmament. Und leider – aus spanischer Sicht – setzte der Anfang vom Ende als Welt- und Seemacht bereits 1588 mit dem Untergang der Armada Invencible ein, der »Unbe-siegbaren Armada«, die gegen England ausrückte und volle Kraft voraus ins Verderben steuerte. Später pflegte man die Staatsgelder nach Belieben in weiteren Kriegen zu verpulvern und im eigenen Prunk zu verschleudern. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhoben sich die Kolonien und setzten die finalen Schnitte der Unabhängig-keit, was bedeutete: Spanien schrumpfte erheblich. Heute ist das Land jedoch keineswegs eine Randerscheinung am Südwestrand Europas, zumal Österreich von der Fläche her sechsmal geschluckt würde. España wird von Atlantik und Mittelmeer umspült, von

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Flüssen wie Ebro und Guadalquivir durchzogen, von Deltas und Meeresarmen durchsetzt. Majestätisch erheben sich die Pyrenäen, die Picos de Europa, die Sierra Nevada in Andalusien als höchstes Gebirge der Iberischen Halbinsel.

Wer bei Wer wird Millionär? die Frage »An wie viele Länder grenzt Spanien?« gestellt bekäme, müsste wohl erst den Publikums-, dann den Telefon- und den 50/50-Joker ziehen – und letztlich pas-sen. Wer käme auf fünf und bekäme sie zusammen? Portugal und Frankreich, klar, aber Andorra, Marokko, Großbritannien? Diese Anhängsel sind in ihrer Gesamtheit weniger präsent. Andorra als Steuerparadies. Marokko wegen der beiden Exklaven Ceuta und Melilla, die sich Spanien einverleibte. Großbritannien wegen Gibraltar, das 1704 ans Empire fiel. Unter unablässigem Säbel-rasseln fordern die Spanier Gibraltar von den Briten zurück, ohne im Entferntesten daran zu denken, die Besitzungen in Nordafrika aufzugeben.

Die Zukunft wird zeigen, ob die Gebietsgrenze Spaniens ver-ändert und die Antwort auf die Frage »An wie viele Länder grenzt Spanien?« neu gegeben werden muss. Im Baskenland und in Kata-lonien fordern die radikalsten Vertreter die Unabhängigkeit. Sicher gäbe es jeweils 111 Gründe, das Baskenland und Katalonien zu lie-ben, doch um Politik soll es in diesem Buch nach Möglichkeit nicht gehen, sondern um eines der beliebtesten (Reise-)Länder weltweit.

2. Grund

Weil die Küsten keine Wünsche offen lassen

Exotik, Wildheit, bestes Wetter, Puderzuckerstrände wie Sand am Meer. Derlei Zutaten verheißen die im Zuge des Fremdenverkehrs erfundenen Namensbeiwerke von Spaniens südlichen Küsten. Cos-ta del Sol, die »Sonnenküste«. Costa Blanca, die »Weiße Küste«.

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Costa Tropical, die »Tropische Küste«. Wer kann dazu schon Nein sagen …? Etwas anders verhält es sich im äußersten Nordwesten mit der Costa da Morte, der »Küste des Todes« in Galicien, die eher nach einer Einladung in die ewigen Jagdgründe klingt. Nicht, dass Sie glauben, ein Tourismusmanager hätte bei der Wortschöpfung einen schlechten Tag gehabt. Der Name ist historisch und geht auf die Vielzahl an Schiffen zurück, die seit Menschengedenken an den Klippen zerschellt sind. Davon abgesehen ist die Todesküste um Kap Fisterra kein Ziel der Strandmassen.

Darf ich Sie zur Einstimmung kurz auf eine Komplettreise an den Festlandsküsten entlang entführen? Dann treten Sie sich bitte im Nordosten an der französisch-spanischen Grenze in Portbou die Flipflops ab und folgen mir im Uhrzeigersinn. Den Auftakt am Mittelmeer macht die Costa Brava, die »Wilde Küste« Kataloniens, die bis Blanes ein kontrastreiches Wechselspiel treibt: Klippen, lan-ge Sandbänder, kleine Buchten. Zeigt Ihnen jemand Ferienbilder mit dem blautürkisfarbigen Schimmer des Wassers, verdächtigen Sie ihn nicht der Bearbeitung mit Photoshop! An Wasser und Licht berauschten sich bereits Künstler wie Marc Chagall, der Tossa de Mar sein »blaues Paradies« nannte, und Salvador Dalí, der lange in Port Lligat lebte. Dort schätzte Dalí die »erhabene Schönheit des Mittelmeers« und genoss es, »jeden Morgen der erste Spanier« zu sein, den die Sonne berührte – die geografische Lage und seine herrlich abstrusen Selbsteinschätzungen im Tagebuch eines Genies machten es möglich.

Über die »Sumpfland-Küste«, Costa del Maresme, erreichen wir im Süden Kataloniens die »Goldene Küste«, Costa Dorada, auf Ka-talanisch Costa Daurada, eine touristische Goldgrube. Das Strand-potenzial sieht sich trefflich durch das Römererbe von Tarragona ergänzt. Unbekannter ist die zur Provinz Castellón de la Plana ge-hörige »Orangenblütenküste«, Costa del Azahar, wo ich vor allem das Städtchen Peñíscola und den Naturpark Serra d’Irta schätze, während die »Weiße Küste«, Costa Blanca, das ABC ihrer Klassiker

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lehrt: Alicante, Benidorm, Calpe. In der Region Murcia erwartet uns die »Heiße Küste«, Costa Cálida, wo die Gegend um Águilas mein Favorit ist, bevor wir uns in Andalusien dem Atem Afrikas nähern. Die »Küste von Almería«, Costa de Almería, klingt einfallslos, ist aber rund um das Cabo de Gata ein Traumziel für Naturfans. Die Provinz Granada schmückt sich mit der »Tropischen Küste«, Costa Tropical, ein recht kleiner Abschnitt um Almuñécar, wo ich einige Monate gelebt habe. Internationaler Kracher der Ferien szene ist die »Sonnenküste«, Costa del Sol, die um Torremolinos und Marbella glüht. Haben wir die Straße von Gibraltar gestreift, wo sich auf der Gegenseite deutlich der Schwarze Kontinent abzeichnet, folgt am Atlantik die »Küste des Lichts«, Costa de la Luz, mit ihren raueren Stränden.

Würden wir uns per Zeitmaschine zurück in die Jahre 1580 bis 1640 katapultieren, könnte ich Ihnen die Küsten Portugals als jene Spaniens präsentieren. Damals hatte España den kleineren Nach-barn als Beute gemacht, so aber klammern wir ihn aus. Nördlich von Portugal landen wir in den Meeresarmen Galiciens, den Rías. Als Gott die Welt erschuf und sich ausruhte, stützte er sich mit den Händen ab und drückte seine Finger in die Landmasse. So und nicht anders entstanden die Rías, behaupten die Galicier. Wer wagt es, dieser Geschichte zu widersprechen? Den Aufakt machen die Unteren Meeresarme, Rías Bajas, auf Galicisch Rias Baixas, gefolgt von den Rías der eingangs erwähnten Todesküste und den Oberen Meeresarmen, Rías Altas, die bis an die Regionalgrenze zu Astu-rien reichen. Dort beginnt die »Grüne Küste«, Costa Verde, deren Pflanzenkleider sich dank ausgiebiger Bewässerung von oben frisch halten. Das Grün und das launische Klima setzen sich an der »Küste von Kantabrien«, Costa de Cantabria, und der »Baskischen Küste«, Costa Vasca, fort.

So, geschafft, einige tausend Reisekilometer liegen hinter uns. Bedenken Sie, dass Ihnen im Norden am Atlantik zu keiner Jahres-zeit eine Schönwettergarantie zusteht. Und dass Sie zur Hochsaison

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am Mittelmeer keinen Anspruch auf ein ungestörtes Strandplätz-chen haben, so früh Sie Ihr Handtuch auch hinlegen mögen. Für eines aber verbürge ich mich: Spaniens Küsten lassen keine Wün-sche offen!

3. Grund

Weil Bürokratie auch erheitern kann

»Spanien ist anders«, España es diferente, lautete zu Diktator Francos Zeiten ein Slogan, um Besucher ins Land der Strände und Sonne zu locken. Ja, Spanien ist durchaus anders, aber irgendwie altvertraut, wenn es um Erfahrungen mit Bürokratie und Behörden geht. Was manchmal erheiternde Seiten haben kann …

In den Anfängen meiner Sesshaftigkeit in Spanien galt es, sich als Freiberufler anzumelden, was über verschiedene Amtsstellen lief. »Journalist gibt es nicht«, teilte mir die zuständige Sachbearbeiterin allen Ernstes mit, nachdem sie eine Liste mit möglichen Berufsfel-dern und deren Kennnummern gecheckt hatte, und setzte hinzu: »Aber ich hatte mal einen ähnlichen Fall, den haben wir als Töp-fer eingetragen. Ist ja egal, ist alles derselbe Monatsbeitrag für die Sozialversicherung und so.« Ich ließ mir die Liste zur Durchsicht ge-ben. So sehr ich suchte: Journalist tauchte als Selbstständiger in der Tat nicht auf. Ebensowenig Autor, Korrespondent oder Schriftstel-ler. Töpfer schon. So wurde ich Töpfer. Bis ich irgendwann Kenntnis einer überarbeiteten Liste bekam und gewissermaßen umschulte …

Dieser Groteske erinnerte ich mich, als ich die Amtspost von heute durchlas. Absender: das Rathaus. Obgleich seit vielen Jahren ordnungsgemäß mit Hauptwohnsitz gemeldet, verlangt das Ein-wohnermeldeamt von mir nun eine Rückbestätigung meiner Mel-dung, die bis zum Soundsovielten des Monats mit einer Kopie des Ausweisdokuments persönlich einzureichen sei. Ansonsten werde

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man, so entnehme ich dem Behördenspanisch, ab der genannten Frist automatisch den Vorgang der Abmeldung in die Wege leiten. Das drohende Ende in Spanien! Ich finde zwecks Kontrolle die An-gaben zu meiner Person beigefügt, so wie sie im Amtscomputer stehen. Geschlecht: männlich. Korrekt. Adresse: korrekt, sonst hätte mich die Post nicht erreicht. Geburtsdatum: korrekt. Unter »Berufsausbildung« hingegen stutze ich und sehe einzig vermerkt: »Grundschule nicht beendet.« Da muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen: Das stimmt so nicht. Ich war zwar nie Einserschüler, kann aber lesen, schreiben und manchmal sogar etwas rechnen. Nach meiner Versetzung war ich auf dem Gymnasium, habe Abitur, stu-diert, eine Magisterarbeit und meine Dissertation – im Gegensatz zu manch deutschem Politiker – selbst und mit eindeutigen An-gaben der Quellen verfasst. All dies werde ich dem örtlichen Rat-haus gegenüber selbstverständlich verschweigen, denn: Sämtliche Dokumente von mir liegen einzig auf Deutsch vor. Will ich den Beweis antreten, die Grundschule nicht geschmissen, sondern mich nach dem zehnten Lebensjahr weitergebildet zu haben, befürchte ich, bis zum Soundsovielten des Monats beglaubigte Kopien meiner Zeugnisse und Nachweise vorlegen zu müssen. Samt autorisierter Übersetzungen, versteht sich. Unter diesen Vorzeichen bleibe ich lieber: Kinderkrippenabsolvent.

4. Grund

Weil der Wohlklang der Sprache schon beim Namen beginnt

Plötzlich war es um mich geschehen, als ich im Hochschulsekre-tariat von Granada verfolgte, wie sie ihre Unterschrift mit feierli-cher Hingabe und Feingliedrigkeit zelebrierte: María Encarnación González Álvarez. Mit jedem Vokal, jedem Konsonanten schien sie ihren Namenszug auszukosten, was bei dieser Länge deutlich mehr