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95 Schimpfwoumlrter
JAN MARTIN LIES HANS-OTTO SCHNEIDER
Perlen der fruumlhneuzeitlichen Streitkultur
SCHIMPFWOumlRTER95
Mit Illustrationen von Ulrike Selders
Bibliographische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie detaillierte bibliographische Datensind im Internet uumlber httpdnbdnbde abrufbar
copy 2021 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH middot LeipzigPrinted in Germany
Das Werk einschlieszliglich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschuumltzt Jede Verwertung auszligerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulaumlssig und strafbar Das gilt ins-besondere fuumlr Vervielfaumlltigungen Uumlbersetzungen Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen
Das Buch wurde auf alterungsbestaumlndigem Papier gedruckt
Gesamtgestaltung Mario Moths MarlDruck und Binden CPI books GmbH
ISBN 978-3-374-06862-3 eISBN (PDF) 978-3-374-06863-0wwweva-leipzigde
Gedruckt mit Unterstuumltzung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
5Vorbemerkungen
Vorbemerkungen
raquoGleichwie die Biene ein Tierlein ist das zum Honig-sammeln geschaffen ist aber doch einen Stachel hat so ist auch kein Prediger eines so guumltigen Geistes der nicht bisweilen wegen der Bosheit und Undankbarkeit der Welt auch zuumlrnen und stechen muumlszligtelaquo1 (Martin Luther)
Die hier gesammelten Beitraumlge sind groszligenteils auf der Home-page des Forschungs- und Editionsprojekts raquoControversia et Confessiolaquo unter der Rubrik raquoSchimpfwort des Monatslaquo veroumlf-fentlicht worden (wwwcontroversia-et-confessiode) raquoCon-troversia et Confessiolaquo ist ein Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Rahmen des Akade-mienprogramms in Verbindung mit dem Leibniz-Institut fuumlr Europaumlische Geschichte Mainz (IEG) und der Johannes Gu-tenberg-Universitaumlt Mainz ( JGU) Es arbeitet erstmals syste-matisch die innerprotestantischen Streitigkeiten zwischen dem sogenannten Augsburger Interim (1548) und der Veroumlffentli-
1 Martin Luther WAT 3 254 Nr 3293a Sicut apis animal natum ad colligen-dum mel habet tamen stimulum ita non est tam benigno animo praedicator quem propter malitiam et ingratitudinem mundi non oporteat quandoque ira-sci et pungere
Vorbemerkungen 6
chung des Konkordienbuches (1580) wissenschaftlich auf2 Die Edition ist auf insgesamt neun Baumlnde angelegt die sukzessive auch als Digitale Edition im Internet uumlber die Projekt-Home-page zugaumlnglich gemacht werden (in Kooperation mit der Her-zog August Bibliothek Wolfenbuumlttel und der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt) Auszligerdem kann man dort auf eine umfaumlngliche einschlaumlgige bio-bibliographische Daten-bank zuruumlckgreifen
Bei der Arbeit an den Texten der Edition sind wir immer wieder auf Preziosen fruumlhneuzeitlicher Debattenkultur ge-stoszligen die zwischenzeitlich weithin auszliger Gebrauch geraten sind und uns doch mitteilenswert und bewahrenswuumlrdig er-schienen Das positive Echo seitens der Besucherinnen und Besucher unserer Homepage hat uns ermutigt die Beitraumlge nun auch gesammelt ndash gelegentlich leicht uumlberarbeitet und er-gaumlnzt um einige Schimpfwoumlrter der kommenden Monate ndash zu veroumlffentlichen Wir danken unserer Chefin Frau Prof Dr Irene Dingel die uns auch darin unterstuumltzt hat
Die fruumlhneuhochdeutschen Invektiven-Kleinode sind nicht zuletzt Belege fuumlr die starke innere Beteiligung der Disputan-ten im 16 Jahrhundert deren jeder sich im Besitz der durch die Gegner bedrohten Wahrheit glaubte Diese zu verteidigen scheute man kein verbales Mittel Vielleicht regen die Beitraumlge ja zu groumlszligerer Farbigkeit auch in heutigen Auseinandersetzun-gen an Jedenfalls ist im Anhang ein Verzeichnis der heutigen Aumlquivalente beigegeben das den gezielten Zugriff auf die in al-phabetischer Reihenfolge abgedruckten Stich- bzw Schimpf-woumlrter ermoumlglichen soll Den Band beschlieszligt ein Essay zum Thema raquoWoumlrter als Waffenlaquo in dem das Forschungsanliegen kurz umrissen wird
2 Zum sog Augsburger Interim vgl unten den Artikel raquoInterimlaquo das Konkor-dienbuch von 1580 mit der Konkordienformel von 1577 stellte den vorlaumlufi-gen Abschluss der Einigungsbemuumlhungen im Luthertum unter Federfuumlhrung des wuumlrttembergischen Theologen Jakob Andreae dar und ist noch heute Be-kenntnisgrundlage der lutherischen Kirchen
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
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5Vorbemerkungen
Vorbemerkungen
raquoGleichwie die Biene ein Tierlein ist das zum Honig-sammeln geschaffen ist aber doch einen Stachel hat so ist auch kein Prediger eines so guumltigen Geistes der nicht bisweilen wegen der Bosheit und Undankbarkeit der Welt auch zuumlrnen und stechen muumlszligtelaquo1 (Martin Luther)
Die hier gesammelten Beitraumlge sind groszligenteils auf der Home-page des Forschungs- und Editionsprojekts raquoControversia et Confessiolaquo unter der Rubrik raquoSchimpfwort des Monatslaquo veroumlf-fentlicht worden (wwwcontroversia-et-confessiode) raquoCon-troversia et Confessiolaquo ist ein Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Rahmen des Akade-mienprogramms in Verbindung mit dem Leibniz-Institut fuumlr Europaumlische Geschichte Mainz (IEG) und der Johannes Gu-tenberg-Universitaumlt Mainz ( JGU) Es arbeitet erstmals syste-matisch die innerprotestantischen Streitigkeiten zwischen dem sogenannten Augsburger Interim (1548) und der Veroumlffentli-
1 Martin Luther WAT 3 254 Nr 3293a Sicut apis animal natum ad colligen-dum mel habet tamen stimulum ita non est tam benigno animo praedicator quem propter malitiam et ingratitudinem mundi non oporteat quandoque ira-sci et pungere
Vorbemerkungen 6
chung des Konkordienbuches (1580) wissenschaftlich auf2 Die Edition ist auf insgesamt neun Baumlnde angelegt die sukzessive auch als Digitale Edition im Internet uumlber die Projekt-Home-page zugaumlnglich gemacht werden (in Kooperation mit der Her-zog August Bibliothek Wolfenbuumlttel und der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt) Auszligerdem kann man dort auf eine umfaumlngliche einschlaumlgige bio-bibliographische Daten-bank zuruumlckgreifen
Bei der Arbeit an den Texten der Edition sind wir immer wieder auf Preziosen fruumlhneuzeitlicher Debattenkultur ge-stoszligen die zwischenzeitlich weithin auszliger Gebrauch geraten sind und uns doch mitteilenswert und bewahrenswuumlrdig er-schienen Das positive Echo seitens der Besucherinnen und Besucher unserer Homepage hat uns ermutigt die Beitraumlge nun auch gesammelt ndash gelegentlich leicht uumlberarbeitet und er-gaumlnzt um einige Schimpfwoumlrter der kommenden Monate ndash zu veroumlffentlichen Wir danken unserer Chefin Frau Prof Dr Irene Dingel die uns auch darin unterstuumltzt hat
Die fruumlhneuhochdeutschen Invektiven-Kleinode sind nicht zuletzt Belege fuumlr die starke innere Beteiligung der Disputan-ten im 16 Jahrhundert deren jeder sich im Besitz der durch die Gegner bedrohten Wahrheit glaubte Diese zu verteidigen scheute man kein verbales Mittel Vielleicht regen die Beitraumlge ja zu groumlszligerer Farbigkeit auch in heutigen Auseinandersetzun-gen an Jedenfalls ist im Anhang ein Verzeichnis der heutigen Aumlquivalente beigegeben das den gezielten Zugriff auf die in al-phabetischer Reihenfolge abgedruckten Stich- bzw Schimpf-woumlrter ermoumlglichen soll Den Band beschlieszligt ein Essay zum Thema raquoWoumlrter als Waffenlaquo in dem das Forschungsanliegen kurz umrissen wird
2 Zum sog Augsburger Interim vgl unten den Artikel raquoInterimlaquo das Konkor-dienbuch von 1580 mit der Konkordienformel von 1577 stellte den vorlaumlufi-gen Abschluss der Einigungsbemuumlhungen im Luthertum unter Federfuumlhrung des wuumlrttembergischen Theologen Jakob Andreae dar und ist noch heute Be-kenntnisgrundlage der lutherischen Kirchen
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
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Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
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Das Buch wurde auf alterungsbestaumlndigem Papier gedruckt
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ISBN 978-3-374-06862-3 eISBN (PDF) 978-3-374-06863-0wwweva-leipzigde
Gedruckt mit Unterstuumltzung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
5Vorbemerkungen
Vorbemerkungen
raquoGleichwie die Biene ein Tierlein ist das zum Honig-sammeln geschaffen ist aber doch einen Stachel hat so ist auch kein Prediger eines so guumltigen Geistes der nicht bisweilen wegen der Bosheit und Undankbarkeit der Welt auch zuumlrnen und stechen muumlszligtelaquo1 (Martin Luther)
Die hier gesammelten Beitraumlge sind groszligenteils auf der Home-page des Forschungs- und Editionsprojekts raquoControversia et Confessiolaquo unter der Rubrik raquoSchimpfwort des Monatslaquo veroumlf-fentlicht worden (wwwcontroversia-et-confessiode) raquoCon-troversia et Confessiolaquo ist ein Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Rahmen des Akade-mienprogramms in Verbindung mit dem Leibniz-Institut fuumlr Europaumlische Geschichte Mainz (IEG) und der Johannes Gu-tenberg-Universitaumlt Mainz ( JGU) Es arbeitet erstmals syste-matisch die innerprotestantischen Streitigkeiten zwischen dem sogenannten Augsburger Interim (1548) und der Veroumlffentli-
1 Martin Luther WAT 3 254 Nr 3293a Sicut apis animal natum ad colligen-dum mel habet tamen stimulum ita non est tam benigno animo praedicator quem propter malitiam et ingratitudinem mundi non oporteat quandoque ira-sci et pungere
Vorbemerkungen 6
chung des Konkordienbuches (1580) wissenschaftlich auf2 Die Edition ist auf insgesamt neun Baumlnde angelegt die sukzessive auch als Digitale Edition im Internet uumlber die Projekt-Home-page zugaumlnglich gemacht werden (in Kooperation mit der Her-zog August Bibliothek Wolfenbuumlttel und der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt) Auszligerdem kann man dort auf eine umfaumlngliche einschlaumlgige bio-bibliographische Daten-bank zuruumlckgreifen
Bei der Arbeit an den Texten der Edition sind wir immer wieder auf Preziosen fruumlhneuzeitlicher Debattenkultur ge-stoszligen die zwischenzeitlich weithin auszliger Gebrauch geraten sind und uns doch mitteilenswert und bewahrenswuumlrdig er-schienen Das positive Echo seitens der Besucherinnen und Besucher unserer Homepage hat uns ermutigt die Beitraumlge nun auch gesammelt ndash gelegentlich leicht uumlberarbeitet und er-gaumlnzt um einige Schimpfwoumlrter der kommenden Monate ndash zu veroumlffentlichen Wir danken unserer Chefin Frau Prof Dr Irene Dingel die uns auch darin unterstuumltzt hat
Die fruumlhneuhochdeutschen Invektiven-Kleinode sind nicht zuletzt Belege fuumlr die starke innere Beteiligung der Disputan-ten im 16 Jahrhundert deren jeder sich im Besitz der durch die Gegner bedrohten Wahrheit glaubte Diese zu verteidigen scheute man kein verbales Mittel Vielleicht regen die Beitraumlge ja zu groumlszligerer Farbigkeit auch in heutigen Auseinandersetzun-gen an Jedenfalls ist im Anhang ein Verzeichnis der heutigen Aumlquivalente beigegeben das den gezielten Zugriff auf die in al-phabetischer Reihenfolge abgedruckten Stich- bzw Schimpf-woumlrter ermoumlglichen soll Den Band beschlieszligt ein Essay zum Thema raquoWoumlrter als Waffenlaquo in dem das Forschungsanliegen kurz umrissen wird
2 Zum sog Augsburger Interim vgl unten den Artikel raquoInterimlaquo das Konkor-dienbuch von 1580 mit der Konkordienformel von 1577 stellte den vorlaumlufi-gen Abschluss der Einigungsbemuumlhungen im Luthertum unter Federfuumlhrung des wuumlrttembergischen Theologen Jakob Andreae dar und ist noch heute Be-kenntnisgrundlage der lutherischen Kirchen
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
5Vorbemerkungen
Vorbemerkungen
raquoGleichwie die Biene ein Tierlein ist das zum Honig-sammeln geschaffen ist aber doch einen Stachel hat so ist auch kein Prediger eines so guumltigen Geistes der nicht bisweilen wegen der Bosheit und Undankbarkeit der Welt auch zuumlrnen und stechen muumlszligtelaquo1 (Martin Luther)
Die hier gesammelten Beitraumlge sind groszligenteils auf der Home-page des Forschungs- und Editionsprojekts raquoControversia et Confessiolaquo unter der Rubrik raquoSchimpfwort des Monatslaquo veroumlf-fentlicht worden (wwwcontroversia-et-confessiode) raquoCon-troversia et Confessiolaquo ist ein Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Rahmen des Akade-mienprogramms in Verbindung mit dem Leibniz-Institut fuumlr Europaumlische Geschichte Mainz (IEG) und der Johannes Gu-tenberg-Universitaumlt Mainz ( JGU) Es arbeitet erstmals syste-matisch die innerprotestantischen Streitigkeiten zwischen dem sogenannten Augsburger Interim (1548) und der Veroumlffentli-
1 Martin Luther WAT 3 254 Nr 3293a Sicut apis animal natum ad colligen-dum mel habet tamen stimulum ita non est tam benigno animo praedicator quem propter malitiam et ingratitudinem mundi non oporteat quandoque ira-sci et pungere
Vorbemerkungen 6
chung des Konkordienbuches (1580) wissenschaftlich auf2 Die Edition ist auf insgesamt neun Baumlnde angelegt die sukzessive auch als Digitale Edition im Internet uumlber die Projekt-Home-page zugaumlnglich gemacht werden (in Kooperation mit der Her-zog August Bibliothek Wolfenbuumlttel und der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt) Auszligerdem kann man dort auf eine umfaumlngliche einschlaumlgige bio-bibliographische Daten-bank zuruumlckgreifen
Bei der Arbeit an den Texten der Edition sind wir immer wieder auf Preziosen fruumlhneuzeitlicher Debattenkultur ge-stoszligen die zwischenzeitlich weithin auszliger Gebrauch geraten sind und uns doch mitteilenswert und bewahrenswuumlrdig er-schienen Das positive Echo seitens der Besucherinnen und Besucher unserer Homepage hat uns ermutigt die Beitraumlge nun auch gesammelt ndash gelegentlich leicht uumlberarbeitet und er-gaumlnzt um einige Schimpfwoumlrter der kommenden Monate ndash zu veroumlffentlichen Wir danken unserer Chefin Frau Prof Dr Irene Dingel die uns auch darin unterstuumltzt hat
Die fruumlhneuhochdeutschen Invektiven-Kleinode sind nicht zuletzt Belege fuumlr die starke innere Beteiligung der Disputan-ten im 16 Jahrhundert deren jeder sich im Besitz der durch die Gegner bedrohten Wahrheit glaubte Diese zu verteidigen scheute man kein verbales Mittel Vielleicht regen die Beitraumlge ja zu groumlszligerer Farbigkeit auch in heutigen Auseinandersetzun-gen an Jedenfalls ist im Anhang ein Verzeichnis der heutigen Aumlquivalente beigegeben das den gezielten Zugriff auf die in al-phabetischer Reihenfolge abgedruckten Stich- bzw Schimpf-woumlrter ermoumlglichen soll Den Band beschlieszligt ein Essay zum Thema raquoWoumlrter als Waffenlaquo in dem das Forschungsanliegen kurz umrissen wird
2 Zum sog Augsburger Interim vgl unten den Artikel raquoInterimlaquo das Konkor-dienbuch von 1580 mit der Konkordienformel von 1577 stellte den vorlaumlufi-gen Abschluss der Einigungsbemuumlhungen im Luthertum unter Federfuumlhrung des wuumlrttembergischen Theologen Jakob Andreae dar und ist noch heute Be-kenntnisgrundlage der lutherischen Kirchen
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Vorbemerkungen 6
chung des Konkordienbuches (1580) wissenschaftlich auf2 Die Edition ist auf insgesamt neun Baumlnde angelegt die sukzessive auch als Digitale Edition im Internet uumlber die Projekt-Home-page zugaumlnglich gemacht werden (in Kooperation mit der Her-zog August Bibliothek Wolfenbuumlttel und der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt) Auszligerdem kann man dort auf eine umfaumlngliche einschlaumlgige bio-bibliographische Daten-bank zuruumlckgreifen
Bei der Arbeit an den Texten der Edition sind wir immer wieder auf Preziosen fruumlhneuzeitlicher Debattenkultur ge-stoszligen die zwischenzeitlich weithin auszliger Gebrauch geraten sind und uns doch mitteilenswert und bewahrenswuumlrdig er-schienen Das positive Echo seitens der Besucherinnen und Besucher unserer Homepage hat uns ermutigt die Beitraumlge nun auch gesammelt ndash gelegentlich leicht uumlberarbeitet und er-gaumlnzt um einige Schimpfwoumlrter der kommenden Monate ndash zu veroumlffentlichen Wir danken unserer Chefin Frau Prof Dr Irene Dingel die uns auch darin unterstuumltzt hat
Die fruumlhneuhochdeutschen Invektiven-Kleinode sind nicht zuletzt Belege fuumlr die starke innere Beteiligung der Disputan-ten im 16 Jahrhundert deren jeder sich im Besitz der durch die Gegner bedrohten Wahrheit glaubte Diese zu verteidigen scheute man kein verbales Mittel Vielleicht regen die Beitraumlge ja zu groumlszligerer Farbigkeit auch in heutigen Auseinandersetzun-gen an Jedenfalls ist im Anhang ein Verzeichnis der heutigen Aumlquivalente beigegeben das den gezielten Zugriff auf die in al-phabetischer Reihenfolge abgedruckten Stich- bzw Schimpf-woumlrter ermoumlglichen soll Den Band beschlieszligt ein Essay zum Thema raquoWoumlrter als Waffenlaquo in dem das Forschungsanliegen kurz umrissen wird
2 Zum sog Augsburger Interim vgl unten den Artikel raquoInterimlaquo das Konkor-dienbuch von 1580 mit der Konkordienformel von 1577 stellte den vorlaumlufi-gen Abschluss der Einigungsbemuumlhungen im Luthertum unter Federfuumlhrung des wuumlrttembergischen Theologen Jakob Andreae dar und ist noch heute Be-kenntnisgrundlage der lutherischen Kirchen
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
7Vorbemerkungen
Wir bitten die geneigten Leserinnen und Leser trotz des eigentuumlmlichen Charmes manchen Schimpfwortes die apos-tolische Mahnung (Eph 426) nicht zu uumlberhoumlren raquoLasst die Sonne nicht uumlber eurem Zorn untergehenlaquo
Jan Martin Lies (J M L) und Hans-Otto Schneider (H-O S)
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Inhalt8
INHALT
Teil I Die Schimpfwortartikel Jan Martin Lies und Hans Otto Schneider
Adiaphoristadiaphoristisch 12 Affensteiger 15 Ahitophel 17 Akzidensschmierer 19 Aumlrgernisrufer 20
BaalspfaffeBaalspriester 22 Bachant 24 Bauchknecht Bauchprediger 26 BeerwolfBaumlrwolf 29 Blutschreier 32 BubeBubenstuumlckbuben 34
Centaurus 36 Corruptelist 38
Detzel 40 Diltap 43 Distelkopf 46 DompropstPropst Domherr 47 Drecktaumltlein 49 Duckmaumluser 51
Eisenfresser 53 Ekelheiliger 55 Empusa 59 Epikurer epikurisch 60 Erzheuchler 63 Eselskopf 65
Filcianer 67 Flacianerflacianisch 69 FinanzFinanzereifinanzisch 73 FladenbischofFladenweiher 75 Flattergeist 78 Fuchsschwaumlnzer 80
Galater 82 Geldnarr 84 Gleisner 86 Gnatho 88 Gottsverraumlter 89 GrilleFeldheimchen 91
Harpyie 93 Hohlhippler 95 Houmlllenbrand 97 stummer Hund 99 Hyaumlne 101
Interim 103 Interimsmeister 107 Irrwisch Teufelsirrwisch 108
Kluumlgling 111 Kuckuck 113
LaumlrmenschlagerLaumlrmenblaser 116 Lassduumlnken 118 Laumlsterschreiber 120 Luumlgenmaul 121 Luumlgenwaumlscher 123 Lumpensetzer 125
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
9Inhalt
Mameluck 127 Mammonsknecht 129 Markolf 132 Mietling 134 Mordbrenner 137 Mordkraumlher 139 Muumlckenseiher und Kamelverschlinger 141
Narr 143 Naseweis 145
Ohrenkrauer 147
Papagei-Theologe 148 Papistpapistisch 150 Pelagianer pelagianisch 153 Perserfuumlrst 154 Pflaumenstreicher 156 Plauderer 158 Pocher 159 Polterkopf 161 Pragmosiner 163 Prediger (Klotzprediger Luumlgenprediger Zuckerprediger) 166 Proteus 171
RotteRottengeistRottgesellenRottenmeister 173 Rotzloumlffel 176 Ruffian 178
Saucerdos 180 Sauschwein 182 SchalkGrundschalk 184 Schalksknecht 187 Scharrhans 189 Schmarutzler 190 Schneiderkoumlnig 193 SchwaumlrmerSchwaumlrmerei 195 Seelmoumlrder 196 Stuumlrmer 197
Theosophist 199 Thraso 200 Tyrann 201
Unflatunflaumltig 204
VielwaumlscherWaumlscher 205
Wetterhahn 207 Widerbeller 209
Zungendrescher 211
Teil II Woumlrter als rsaquoWaffenlsaquo in der zweiten Haumllfte des 16 Jahrhunderts
Jan Martin Lies
Teil III Synonymenregister Literaturverzeichnis Zu den Autoren
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
11TEIL I
TEIL I Die Schimpfwortartikel
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Adiaphoristadiaphoristisch12
A
ADIAPHORISTADIAPHORISTISCH
raquo[hellip] so haben wir nu eine zimliche lange zeit keine schrifft wider die Adiaphoristen umb friedens willen ausgehen las-sen bis uns Menius dazu gedrungen hat [hellip]laquo (Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] C 4r in unsere Edition Bd 2 Nr 9 S 8053ndash5)
raquoMelanchthon neigte zu einem Ausgleich zwischen Protestan-ten und Katholiken einerseits Reformierten und Lutheraner [sic] andererseits und aumlnderte demzuliebe die Augustana um Nach den Schlaumlgen des Schmalkaldischen Krieges verlor er eine Weile ganz den Halt und machte der Kirche weitgehende Zugestaumlndnisse im Leipziger Interimlaquo (Lepp Schlagwoumlrter 41)
So beschrieb Friedrich Lepp in seiner Auf listung der raquoSchlag-woumlrter der Reformationszeitlaquo die Entstehung des Begriffs raquoAdia-phoristlaquo Ohne die Wertungen uumlber Melanchthons Verhalten zu uumlbernehmen doch den Ausgangspunkt fuumlr die Entstehung des Schlagwortes ebenso in den innerprotestantischen Reaktionen im Umgang mit dem Augsburger Interim 1548 (Mehlhausen Augsburger Interim) sowie in den Verhandlungen kursaumlchsischer Theologen und Raumlte die zum Leipziger Landtagsentwurf vom Dezember 1548 (PKMS 4 Nr 212 S 254ndash260 unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 357ndash441) fuumlhrten erkennend aumluszligert sich das Fruumlhneuhochdeutsche Woumlrterbuch (Art raquoAdiaphoristlaquo in FnhdWb 1 639f)
Im Grimmrsquoschen Woumlrterbuch schlieszliglich sucht man das Wort raquoAdiaphoristlaquo vergeblich Allerdings findet sich dort ein Eintrag zu dem allgemeinen Begriff raquoMitteldinglaquo der dem-gemaumlszlig einen deutlich breiteren Ansatz verfolgt indem der Gebrauch des Wortes in religioumlsem Kontext von Martin Lu-ther bis Philipp Jakob Spener angezeigt wird Ein eindeutiger
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
13Adiaphoristadiaphoristisch
AVerweis auf das Schimpfwort raquoAdiaphoristlaquo in der Zeit um 1548 wie in vorhergenannten Werken fehlt gaumlnzlich (Art raquoMitteldinglaquo 1ndash3 in DWb 12 2395f)
Dieser Befund suggeriert dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo als Schmaumlhbezeichnung in Bedeutung und Anwendungsbereich weitgehend statisch und klar definierbar gewesen sei Doch gerade der Streit zwischen Matthias Flacius Illyricus und Justus Menius 155758 verdeutlicht dass der Begriff raquoAdiaphoristlaquo mit der Zeit eine deutliche Ausweitung in der Verwendung erfuhr
Der Superintendent von Gotha Justus Menius geriet Mitte der fuumlnfziger Jahre in den Verdacht die These Georg Majors von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigt zu haben (vgl unsere Edition Bd 3 Nr 10 und 11) Doch dem Vorwurf des raquoMajorismuslaquo folgte unverzuumlglich ebenso der des raquoAdiaphorismuslaquo
Dem Schlagwort raquoAdiaphoristadiaphoristischlaquo kam somit spaumltestens ab der zweiten Haumllfte der fuumlnfziger Jahre des 16 Jahrhunderts eine erhebliche konfessionspolitische Bedeutung zu da die Deutung des Begriffs allmaumlhlich von seinem kon-kreten historischen Entstehungskontext (Auseinandersetzung der kursaumlchisch-albertinischen Theologen mit dem Augsbur-ger Interim und Entstehung der Leipziger Landtagsvorlage [rsaquoLeipziger Interimlsaquo] vgl dazu den Art raquoInterimlaquo) abgeloumlst und nun als allgemeines Schimpfwort im Sinne von raquoGlaubens-abtruumlnnigerlaquo und raquoIrrlehrerlaquo verwendet wurde Vor diesem Hintergrund sprach Nikolaus v Amsdorf darum von seinen Gegnern als raquoSchandAdiaphoristenlaquo und parallelisierte dies folgerichtig mit der Verunglimpfung raquoErtzheuchlerlaquo (vgl den Art raquoErzheuchlerlaquo)
Als raquoAdiaphoristenlaquo wurden von Flacius Amsdorf Gallus und den Jenaer Theologen nunmehr alle ihre konfessions-politischen Gegner pauschal gebrandmarkt Sie entwickelten damit dieses Schlagwort zu einem schimpf lichen Synonym
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Adiaphoristadiaphoristisch14
Afuumlr all diejenigen die in ihren Augen die Theologie Luthers nicht unverfaumllscht lehrten einerlei worin genau der Ursprung fuumlr die tatsaumlchlichen oder vermeintlichen Lehrunterschiede bestanden und um welche konkrete Lehrdifferenz es sich handelte Die Lehre der kursaumlchsischen Theologen von den raquoAdiaphoralaquo wurde fuumlr Flacius und seine Mitstreiter somit als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Lehrabweichun-gen identifiziert Eben darum nannte Flacius die hier zitierte Schrift aus dem Jahr 1558 in der er verschiedene Kontroversen seiner Zeit thematisierte (Synergismus Antinomismus Ma-jorismus usw) raquoVon den vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmernlaquo Das Wort raquoadiaphoristischlaquo wurde von Flacius somit zu diesem Zeitpunkt bereits im Sinne von raquoLehrver-faumllschunglaquo und raquoHaumlresielaquo schlechthin verwendet
Das Autorenkollektiv der raquoWittenberger Studentenlaquo die ihre Professoren 1560 gegen Angriffe in Schutz nehmen wollten wandte sich darum dezidiert gegen die Deutung des vom Schlagwort mit spefizischem Hintergrund zum all-gemeinen Schimpfwort weiterentwickelten Begriffs raquoAdia-phoristadiaphoristischlaquo durch Flacius und seine Mitstreiter und bezeichneten deren Deutung von raquoAdiaphoraadiapho-ristischlaquo als raquoKriegsadiaphoralaquo (Die Wittenberger Studenten Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] O 4v unsere Edition Bd 2 S 9335)
Lit unsere Edition Bde 2 und 3 Gehrt Konfessionspolitik bes 81ndash84
( J M L)
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
15Affensteiger
A
AFFENSTEIGER
raquoAlso spielet auch Schwenckfelt jtziger zeit mit der armen Leute houmlchsten Trost und Seligkeit und ertichtet ein besonder Straszlig und Leiterlin darauff der Affensteiger die unverstendigen wil bereden in Himel in die unerforschliche Geheimnis der goumltt-lichen Maiestet zu klettern und steigen Und fuumlret hiemit die einfeltigen Leute von dem rechten Licht (das uns Gott selbst hat zu einer Fackel unser Fuumlsse angezuumlndet und damit aus den tieffen Finsternissen des leidigen Bapsts erlediget) widerumb durch sei-ne stinckende bittere Rauchbrende in noch viel duumlstere und aumlus-serste finsternis damit wir durch erkuumlndigung der unerforsch- lichen Geheimnis ja auch zugleich den geoffenbarten willen
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Affensteiger16
AGottes verlieren und nimermehr zur rechten Warheit Licht und Erkentnis komen muumlgen sondern in solchem finsternis Nacht fuumlr tag Luumlgen fuumlr warheit halten und houmlren muumlssenlaquo (Weimarer Konfutationsbuch [1559] C 2r fol 6a in unsere Edition Bd 5 Nr 10 S 33311ndash23)
Die Bezeichnung raquoAffensteigerlaquo ist hier gegen den schlesischen Adligen und spiritualistischen Theologen Caspar Schwenckfeld von Ossig gerichtet der einen Sonderweg zur Seligkeit ver-kuumlnde auf dem er diejenigen die seinen Lehren folgten ins Verderben fuumlhre
Ein Artikel raquoAffensteigerlaquo findet sich weder in Grimms Woumlr-terbuch noch im Fruumlhneuhochdeutschen Woumlrterbuch dort (Fnhd Wb 1 673) gibt es immerhin Eintraumlge unter raquoaffensteglaquo und raquoaffenweglaquo in der Bedeutung raquoHolzweglaquo Ein Holzweg fuumlhrt nicht zu einem Ziel also zu einer Ansiedlung oder Ortschaft o dgl und ist nicht Teil des allgemeinen Verkehrsnetzes ein Holzweg endet stattdessen irgendwo im Wald und ist nur fuumlr die Forstwirtschaft von Bedeutung An anderer Stelle (Confes-sionsschrift etlicher Predicanten in den Herrschaften Graitz Geraw Schoumlnburg ua 1567 [VD 16 M 5038 ZV 10917 ZV 10919] X 2v Christoph Obenhin Einfeltiger und wahrhaftiger Bericht von dem Freyen willen [] 1569 [VD 16 ZV 11901] R 4v) fin-det sich der Ausdruck raquohimmlische Affensteigerlaquo in Parallele zu der Wendung raquoentzuumlckte Enthusiastenlaquo sodass man wohl nicht fehlgeht wenn man unter raquoAffensteigerlaquo einen Phantasten und Schwaumlrmer versteht der plan- und ziellos agiert Der Affe gilt als toumlricht Man vergleiche noch das heute gebraumluchliche charakterisierende Beiwort raquoverstiegenlaquo (= abwegig abseitig eigenwillig sonderbar uumlberspannt)
Lit Art raquoAffelaquo in DWb 1 182 Art raquoversteigenlaquo C) in DWb 25 1710
(H-O S)
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
17Ahitophel
A
AHITOPHEL
raquoDas also alle frome hertzen welche gern bei Christo rein unnd allein bleiben und ihn fur dieser argen Welt bekennen woumlllen an diesen stenden der Meisnischen Landtschafft ein Exempel haben ire bekentnis gleicher gestalt fur den Achito-feln und Tyrannen so offt es von noumlten zu fuumlren odder auch wem es Gott gibt zu verbessernlaquo (Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 1v in unsere Edition Bd 2 Nr 4 S 37033ndash3712)
Ahitophel (in der Vulgata Achitophel) war ein Ratgeber des alttestamentlichen Koumlnigs David der abtruumlnnig wurde indem er sich der Revolte Absaloms gegen David anschloss (II Sam 15ndash17) Der Verweis auf diese biblische Gestalt und die im zweiten Buch Samuel geschilderten politischen Umstaumlnde waumlhrend des Aufstands von Absalom gegen seinen Vater David durch Flacius und Gallus diente der Parallelisierung zu ihrer
Ahitophel als Ratgeber des aufstaumlndischen Absoloms (II Sam 17) Kupferstich Marten de Vos ca 1585 Wikipedia commons
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
A
AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
B
Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
Ahitophel18
AGegenwart Der verratene Koumlnig David wird dabei wohl mit dem nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1547 abgesetzten Kurfuumlrsten Johann Friedrich d Auml von Sachsen und der Usurpator Absalom mit dem neuen saumlchsischen Kur-fuumlrsten Moritz gleichgesetzt
Der Verweis auf Ahitophels Verrat und die damit einher-gehende Deutung auf die politische Gegenwart in der Mitte des 16 Jahrhunderts avancierte bei Flacius und Gallus zu einer uumlberaus beliebten Schmaumlhung was in ihren Schriften oder Publikationen an denen sie beteiligt waren zu einem geradezu inf lationaumlren Gebrauch fuumlhrte (vgl zB Matthias Flacius Illyricus Widder den Auszug [1549] A 4r und B 1r in unsere Edition Bd 2 3023 und 3210 ders Von wahren und falschen Mitteldingen [1550] F 4r und M 2r in ebd 191 359 und 24924 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts A 1v und D 1r = 190247 und 24820 Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (Hg) raquoLeipziger Interimlaquo von 1548 [1550] B 2v B 4r H 2v M 1r in ebd 3733 3755 40525 42421 Magdeburger Bekenntnis [1550] J 4r P 4r in ebd 54929 61336ndash6151 in der lateinischen Ausgabe dieses Texts F 2r F 2v K 1r = 54816 55010 6142 Matthias Flacius Illyricus Die vornehmlichsten adiaphoristischen Irrtuumlmer [1558] B 3r in ebd 79526 und 7967)
( J M L)
19Akzidensschmierer
A
AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
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AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
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Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
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19Akzidensschmierer
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AKZIDENSSCHMIERER
raquoAlso muumlssen wir auch durch Gottes gnade aus Gottes Wort wider die Sacramentirer Accidensschmierer und andere ver-fuumlrer gewiszlig und geruumlst sein []laquo (Christoph Irenaumlus Apostasia 1573 VD 16 I 273 Bl a3v)
Die Invektive entstammt der Auseinandersetzung um die Be-deutung der Erbsuumlnde Betrifft diese die Substanz des Men-schen der darum voumlllig unfaumlhig ist einen Beitrag zu seiner eigenen Rechtfertigung zu leisten oder handelt es sich dabei um einen mehr aumluszligerlichen Makel der die urspruumlngliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht wesentlich zu beeintraumlchtigen vermag so dass der Mensch auf das Heilsan-gebot Gottes zustimmend reagieren kann Nach Ansicht des Matthias Flacius und seiner Mitstreiter zu denen auch Chris-toph Irenaumlus gehoumlrte ist die Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Suumlnde so radikal dass jeder Mensch ganz und gar auf Gottes rettendes Handeln in Christus angewiesen ist Wenn ihre Gegner die Erbsuumlnde als bloszlige Aumluszligerlichkeit (Akzidens) betrachteten setzten sie damit zugleich die Bedeu-tung des Rettungshandelns Christi herab Die Empoumlrung uumlber die schriftliche Verbreitung solcher theologisch unannehm-baren Irrlehren schlaumlgt sich in der Bezeichnung der Gegner als raquoAkzidensschmiererlaquo nieder Gelegentlich werden sie auch einfach als raquoAkzidenzerlaquo apostrophiert (vgl Spangenberg Ana-thema (1578) A 4v unsere Edition Bd 6 Nr 21 S 69110)
Vgl auch den Artikel raquoKlotzpredigerlaquo(H-O S)
Aumlrgernisrufer20
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AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
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Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
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BACHANT
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AumlRGERNISRUFER
raquo[] weiset sich greiff lich aus das diese Ergernisruffer auch hierin Camelverschlinger und Muckensichter sein als die noch andern Leuten viel vom ergernis zu predigen sich nicht scheuen und sey dieses auch den Richtern heimgestellet zu erkennenlaquo (Summa und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [1560] J 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 10 S 8997ndash11)
Ein Aumlrgernisrufer ist ein Mensch der lautstark auf tatsaumlch-liche oder vermeintliche Missstaumlnde aufmerksam macht eine treffende neuzeitliche Entsprechung waumlre wohl raquoWhistleblo-werlaquo So wird man Matthias Flacius Illyricus mit einem ge-
21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
Baalspfaf feBaalspriester22
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Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
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21Aumlrgernisrufer
Awissen Recht nennen duumlrfen ohne seinem Selbstverstaumlndnis Gewalt anzutun Die Wittenberger Studenten die in ihrer Schrift raquoSumma und kurzer Auszug aus den Actis synodicis [hellip]laquo (1560) den Flacius und seine Anhaumlnger als raquoErgernisruf-ferlaquo apostrophieren werfen ihren Gegnern vor heuchlerisch Missstaumlnde anzuprangern wo keine seien und tatsaumlchliche Missstaumlnde gef lissentlich zu uumlbersehen (vgl den Art Muumlcken-seiher und Kamelverschlinger) Auszligerdem fehle ihnen ohnehin die Kompetenz uumlber Skandale zu urteilen Dabei schwingt freilich etwas von jener Unbeliebtheit mit die gemeinhin aus interessierten Kreisen denjenigen entgegenzuschlagen pf legt die raquoder Katze die Schelle anhaumlngenlaquo also einen Missstand namhaft machen Nicht selten wird der Vorwurf der raquoNestbe-schmutzunglaquo nicht etwa gegenuumlber denjenigen erhoben die einen Missstand verursacht haben sondern gegenuumlber den-jenigen die ihn oumlffentlich machen um Abhilfe zu schaffen
Vgl auch den Art raquoLaumlrmenblaserlaquo(H-O S)
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Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
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Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Dresden Gemaumlldegalerie Alte Meister Wikimedia commons
BA ALSPFAFFEBA ALSPRIESTER
raquoWarumb haben wir nit D Martinum Luther gehoumlrt wel-chen theuren Mann unns Gott auszlig sonder gnaden gegeben und seinen Son durch ihn geoffenbaret hat War er nicht ein fraydiger [= freimuumltiger kuumlhner] Elias Greifftt er nicht die Baalspfaffen dapffer an Wievil schoumlner predigten hat er ge-thon Wievil feyner Buumlcher hat er lassen auszliggehn Hat er aber die Bibel nicht wol verteuumltschet Lachet doch einem sein hertz wer darinnen liset Mich dunckt ich sey imm paradeiszlig wann ich darinnen lese so klar und lieblich ists verteuumltschtlaquo (Erasmus Alber Dialogus vom Interim [1548] J 3rndashv in unsere Edition Bd 1 Nr 11 S 63312ndash19)
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
Bachant24
B
BACHANT
23Baalspfaf feBaalspriester
BraquoUnd do jhre Fuumlrsten und Herrn sichs selbs geschemet und dar-umb zornig gewesen haben die guten Baals-Priester jhnen frey bekennet das des Luthers Lere nicht koumlnne mit Gottes Wort verlegt [= widerlegt] werden aber aus der Veter Schriff-ten moumlchte man es thun koumlnnenlaquo (Magdeburger Bekenntnis [1550] A 3r in unsere Edition Bd 2 Nr 5 S 46319ndash22)
Wie das erste Zitat erkennen laumlsst geht die Bezeichnung auf die biblische Erzaumlhlung vom Gottesurteil auf dem Karmel zuruumlck (1 Koumlnige 18) Der Prophet Elias fordert die Pro-pheten Baals heraus und stellt das Volk vor die Alternative JHWH oder Baal die Ehre zu geben In der Reformationszeit bezog man die Bezeichnung auf die altglaumlubigen Priester und Theologen Das Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis be-zieht sich auf die Verfasser der Confutatio der altglaumlubigen raquoWiderlegunglaquo des Augsburger Bekenntnisses von 1530 Mit der Konjunktur der Bezeichnung raquoBaalspfaffe-priesterlaquo und der exemplarischen Entscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Goumltzen wurde das Sujet auch in der darstellenden Kunst der Reformationszeit aufgenommen vgl z B Lucas Cranach d J Elias und die Baalspriester (1545) Gemaumllde-galerie Alte Meister Dresden (Inv Nr 1941) Cranach d J Werkstatt Das Opfer des Elias (1552ff ) Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Inv Nr Rp 124191023)
Lit Art raquobaalspfaffelaquo in Fnhd Wb 2 1594(H-O S)
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