adorno fetisch jazz

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    eingewandt, die spezifisch leichte Musik und alle zumKonsum bestimmte sei ohnehin niemals nach jenenKategorien erfahren worden, so ist das gewi einzu-

    rumen. Gleichwohl ist sie vom Wechsel betroffen:nmlich eben gerade darin, da sie die Unterhaltung,den Reiz, den Genu, den sie verspricht, gewhrt,blo um ihn zugleich zu verweigern. Aldous Huxleyhat in einem Essay die Frage aufgeworfen, wer ineinem Amsierlokal sich eigentlich noch amsiere.

    Mit gleichem Recht liee sich fragen, wen die Unter-haltungsmusik noch unterhalte. Viel eher scheint siedem Verstummen der Menschen, dem Absterben derSprache als Ausdruck, der Unfhigkeit, sich ber-haupt mitzuteilen, komplementr. Sie bewohnt dieLcken des Schweigens, die sich zwischen den vonAngst, Betrieb und einspruchsloser Fgsamkeit ver-formten Menschen bilden. Sie bernimmt allenthal-ben und unvermerkt die todtraurige Rolle, die ihr inder Zeit und der bestimmten Situation des stummenFilms zukam. Sie wird blo noch als Hintergrund ap-perzipiert. Wenn keiner mehr wirklich reden kann,dann kann gewi keiner mehr zuhren. Ein amerika-nischer Fachmann fr die Radioreklame, die ja mitVorliebe des musikalischen Mediums sich bedient,hat sich ber den Wert dieser Reklame skeptisch ge-uert, da die Menschen gelernt htten, selbst wh-

    rend des Hrens dem Gehrten die Aufmerksamkeit

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    derspruchs. Sie hngen nicht zusammen etwa derart,da die untere eine Art volkstmlicher Propdeutikfr die obere ausmachte oder da die obere ihre verlo-

    rene kollektive Kraft von der unteren ausborgen knn-te. Aus den zersprungenen Hlften lt das Ganzesich nicht zusammenaddieren, aber in jeder erschei-nen, wie sehr auch perspektivisch, die Vernderungendes Ganzen, das anders nicht sich bewegt als im Wi-derspruch. Wird die Flucht vor dem Banalen definitiv,

    schrumpft die Absatzfhigkeit der ernsten Produktionim Verfolg von deren sachlichen Anforderungen aufnichts zusammen, so bewirkt unten die Standardisie-rung der Erfolge, |da es zum Erfolg alten Stils garnicht mehr kommt, sondern nur noch zum Mitmachen.Zwischen Unverstndlichkeit und Unentrinnbarkeit istkein Drittes: der Zustand hat sich nach Extremen po-larisiert, die tatschlich sich berhren. Fr das Indi-viduum ist zwischen ihnen kein Raum. Dessen An-forderungen, wo etwa sie noch ergehen, sind schein-haft, nmlich den Standards nachgebildet. Die Liqui-dierung des Individuums ist die eigentliche Signaturdes neuen musikalischen Zustands.

    Sind die beiden Sphren der Musik bewegt in derEinheit ihres Widerspruchs, dann variiert ihre Demar-kationslinie. Die vorgeschrittene Produktion hat sichvom Konsum losgesagt. Der Rest der ernsten Musik

    wird ihm ausgeliefert um den Preis ihres Gehalts. Er

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    taneitten des Hrens zureichend begriffen werdenkann, sondern auf das Kommando der Verleger, Ton-filmmagnaten und Rundfunkherrn zurckdatiert. Stars

    sind keineswegs blo die |berhmten Personennamen.Die Werke beginnen hnlich zu fungieren. Es erbautsich ein Pantheon von best sellers. Die Programmeschrumpfen ein, und der Schrumpfungsproze schei-det nicht nur das mittlere Gut aus, sondern die akzep-tierten Klassiker selber unterliegen einer Selektion,

    die mit der Qualitt nichts zu tun hat: BeethovensVierte Symphonie rechnet in Amerika bereits zu denSeltenheiten. Diese Selektion reproduziert sich in fa-talem Zirkel: das Bekannteste ist das Erfolgreichste;daher wird es immer wieder gespielt und noch be-kannter gemacht. Die Auswahl der Standardwerkeselbst richtet sich nach ihrer Wirksamkeit im Sinneeben der Erfolgskategorien, welche die leichte Musikdeterminieren oder dem Stardirigenten gestatten, pro-grammgem zu faszinieren; die Steigerungen vonBeethovens Siebenter Symphonie rangieren auf glei-cher Stufe mit der unsglichen Hornmelodie aus demlangsamen Satz von Tschaikowskys Fnfter. Melodieheit da soviel wie achttaktigsymmetrische Oberstim-menmelodie. Diese wird als Einfall des Komponi-sten verbucht, den man meint, als Besitz nach Hausenehmen zu knnen, so wie er dem Komponisten als

    dessen Grundeigentum zugeschrieben wird. Der Be-

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    nicht erst zu fragen. Selbst die mechanische Verf-gung ber die Mittel wird eigentlich nicht mehr er-wartet. Eine Stimme mu nur noch besonders dick

    oder besonders hoch sein, um den Ruhm ihres Eigen-tmers zu legitimieren. Wer es jedoch wagen wollte,auch nur in der Konversation die entscheidende Wich-tigkeit der Stimme zu bezweifeln und die Ansicht zuvertreten, da man mit einer migen Stimme ebensoschn musizieren knne wie auf einem migen Kla-

    vier gut spielen, der wird sich sogleich einer Situationder Feindseligkeit und Abwehr gegenberfinden, dieaffektiv weit tiefer reicht als der Anla. Die Stimmensind heilige Gter gleich einer nationalen Fabrikmar-ke. Als wollten sich die Stimmen dafr rchen, begin-nen sie eben den sinnlichen Zauber einzuben, indessen Namen sie gehandelt werden. Meist klingensie wie Imitationen der arrivierten, auch wenn sie sel-ber arriviert sind. All das steigert sich ins offen Ab-surde beim Kultus der Meistergeigen. Man gertprompt in Verzckung ber den gut annonciertenKlang einer Stradivarius oder Amati, die nur das Spe-zialistenohr von einer anstndigen modernen Geigeunterscheiden kann, und vergit darber, der Kompo-sition und der Auffhrung zuzuhren, aus der sichimmer noch etwas entnehmen liee. Je mehr die mo-derne Technik des Geigenbaus fortschreitet, um so

    hher werden offensichtlich die alten Instrumente ge-

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    spezifische Fetischcharakter der Musik: die Affekte,die auf den Tauschwert gehen, stiften den Schein desUnmittelbaren, und die Beziehungslosigkeit zum Ob-

    jekt dementiert ihn zugleich. Sie grndet in der Ab-straktheit des Tauschwerts. Von solcher gesellschaft-lichen Substitution hngt alle sptere psychologi-sche, alle Ersatzbefriedigung ab.

    Der Funktionswechsel der Musik rhrt an Grund-bestnde des Verhltnisses von Kunst und Gesell-

    schaft. Je unerbittlicher das Prinzip des Tauschwertsdie Menschen um die Gebrauchswerte bringt, um sodichter vermummt sich der Tauschwert selbst als Ge-genstand des Genusses. Man hat nach dem Kitt ge-fragt, der die Warengesellschaft noch zusammenhlt.Zur Erklrung mag jene bertragung vom Gebrauchs-wert der Konsumgter auf ihren Tauschwert innerhalbeiner Gesamtverfassung beitragen, in der schlielich

    jeder Genu, der vom Tauschwert sich emanzipiert,subversive Zge annimmt. Die Erscheinung desTauschwerts |an den Waren hat eine spezifische Kitt-funktion bernommen. Die Frau, die Geld zum Ein-kaufen hat, berauscht sich am Akt des Einkaufens.Having a good time heit in der amerikanischenSprachkonvention: beim Vergngen der andern dabei-sein, das seinerseits auch blo das Dabeisein zum In-halt hat. Die Autoreligion lt im sakramentalen Au-

    genblick zu den Worten: Das ist ein Rolls Royce,

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    alle Menschen zu Brdern werden, und Frauen lassensich in Situationen der Intimitt die Erhaltung vonFrisur und Schminke angelegener sein als die Situati-

    on, der Frisur und Schminke zubestimmt sind. DieBeziehung zum Beziehungslosen verrt ihr gesell-schaftliches Wesen im Gehorsam. Das chauffierendePaar, das seine Zeit damit zubringt, jeden begegnen-den Wagen zu identifizieren und froh zu sein, wenn esber die lancierten Marken verfgt, das Mdchen, das

    seine Befriedigung nur noch darin hat, da es undsein Freund gut aussehen, die Expertise des Jazzen-thusiasten, der sich legitimiert, indem er ber das oh-nehin Unausweichliche Bescheid wei: all das bewegtsich nach dem gleichen Befehl. Vor den theologischenMucken der Waren werden die Konsumenten zu Hie-rodulen: die nirgends sonst sich preisgeben, hier ver-mgen sie es, und hier vollends werden sie betrogen.

    Im Warenfetischisten neuen Stils, im sadomaso-chistischen Charakter und im Akzeptanten der heuti-gen Massenkunst stellt sich die gleiche Sache nachverschiedenen Seiten dar. Die masochistische Mas-senkultur ist die notwendige Erscheinung der allmch-tigen Produktion selber. Die affektive Besetzung desTauschwerts ist keine mystische Transsubstantiation.Sie entspricht der Verhaltensweise des Gefangenen,der seine Zelle liebt, weil nichts anderes zu lieben ihm

    gelassen wird. Die Preisgabe der Individualitt, die in

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    die Regelhaftigkeit des Erfolgreichen sich einpat;das Tun dessen, was jeder tut, folgt aus dem Grund-faktum, da von der standardisierten Produktion der

    Konsumgter in weiten Grenzen jedem dasselbe ange-boten wird. Die marktmige Notwendigkeit zur Ver-hllung dieser Gleichheit aber fhrt zum manipulier-ten Geschmack und zum individuellen Schein der offi-ziellen Kultur, der notwendig proportional mit der Li-quidierung des Individuums wchst. Auch im Bereich

    des berbaus ist der Schein nicht blo die Verhl-lung |des Wesens, sondern geht aus dem Wesen selberzwangvoll hervor. Die Gleichheit des Angebotenen,das alle abnehmen mssen, maskiert sich in der Stren-ge des allgemeinverbindlichen Stils; die Fiktion desVerhltnisses von Angebot und Nachfrage lebt fort inden fiktiv-individuellen Nuancen. Wenn die Geltungdes Geschmacks in der gegenwrtigen Situation be-stritten ward, so lt sich recht wohl erkennen, wor-aus Geschmack in dieser Situation sich komponiert.Das Sicheinfgen rationalisiert sich als Zucht, Feind-schaft gegen Willkr und Anarchie: so grndlich wiedie musikalischen Reize ist heute auch die musikali-sche Noetik verkommen und hat ihre Parodie an denstur ausgezhlten Taktschlgen. Dazu gehrt ergn-zend die zufllige Differenzierung im strikten Rahmendes Gebotenen. Wenn aber das liquidierte Individuum

    wirklich die vollendete uerlichkeit der Konventio-

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    aber der Zerfall der Fetische diese selber gefhrdetund virtuell den Schlagern annhert, produziert er|eine Gegentendenz, um ihren Fetischcharakter zu be-

    wahren. Zehrt die Romantisierung des Einzelnen amKrper des Ganzen, dann wird der gefhrdete galva-nisch verkupfert. Die Steigerung, welche eben die ver-dinglichten Teile unterstreicht, nimmt den Charaktereines magischen Rituals an, in dem all die Mysterienvon Persnlichkeit, Innerlichkeit, Beseelung und

    Spontaneitt vom Reproduzierenden beschworen wer-den, welche aus dem Werk selber entwichen sind. Ge-rade weil das zerfallende Werk der Momente seinerSpontaneitt sich begibt, werden diese, stereotyp sogut wie die Einflle, von auen ihnen injiziert. AllemGerede von neuer Sachlichkeit zum Trotz ist die we-sentliche Funktion konformistischer Auffhrungennicht sowohl mehr die Darstellung des reinen Wer-kes als die Prsentation des depravierten mit einerGestik, welche Depravation emphatisch und ohn-mchtig von ihm fernzuhalten strebt.

    Depravation und Magisierung, feindliche Geschwi-ster, hausen gemeinsam in den Arrangements, dieber weite Bezirke der Musik angesiedelt sind. DiePraxis der Arrangements erstreckt sich nach den ver-schiedensten Dimensionen. Einmal bemchtigt siesich der Zeit. Sie bricht die verdinglichten Einflle

    handgreiflich aus ihrem Zusammenhang heraus und

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    montiert sie zum Potpourri: sie zerschlgt die viel-schichtige Einheit ganzer Werke und fhrt blo ein-zelne gewinnende Stze vor: das Menuett aus Mozarts

    Es-Dur-Symphonie, ohne die andern Stze gespielt,bt seine symphonische Verbindlichkeit ein und ver-wandelt sich unter den Hnden der Auffhrung in einkunstgewerbliches Genrestck, das mehr mit der Ste-phanie-Gavotte zu tun hat als mit jener Art Klassizi-tt, fr die es Reklame machen soll. Dann aber wird

    das Arrangement zum Prinzip der Koloristik. Sie ar-rangieren, wessen immer sie sich bemchtigen kn-nen, solange nicht das Diktat berhmter Interpreten esverbietet. Sind im Bereich der leichten Musik die Ar-rangeure die einzigen geschulten Musiker, so fhlensie sich berufen, mit den Kulturgtern desto unbefan-gener umzuspringen. Von ihnen werden fr die Beset-zungsarrangements allerlei Grnde vorgebracht: imFalle groer Orchesterwerke sollen sie zur Verbilli-gung helfen, oder es wird den Komponisten mangel-hafte Instrumentationstechnik vorgeworfen. DieseGrnde sind jmmerliche |Vorwnde. Der der Billig-keit, der sthetisch sich selber richtet, erledigt sichpraktisch durch den Hinweis auf die berreichen or-chestralen Mittel, die gerade jenen Instanzen zur Ver-fgung stehen, die die Praxis der Arrangements ameifrigsten betreiben, und durch die Tatsache, da

    beraus hufig, etwa bei instrumentierten Klavierlie-

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    dern, die Arrangements wesentlich teurer zu stehenkommen als eine Auffhrung in der Originalbeset-zung. Der Glaube vollends, ltere Musik sei der kolo-

    ristischen Auffrischung bedrftig, nimmt eine Zufl-ligkeit der Relation von Farbe und Zeichnung an, wiesie nur die krudeste Unkenntnis von der Wiener Klas-sik und dem so gern arrangierten Schubert behauptenknnte. Mag immer die eigentliche Entdeckung derkoloristischen Dimension erst in die ra von Berlioz

    und Wagner fallen: die koloristische Kargheit Haydnsoder Beethovens steht im tiefsten Zusammenhang mitder Prponderanz des Konstruktionsprinzips ber dasmelodisch Einzelne, das in leuchtenden Farben ausder dynamischen Einheit heraussprnge. Gerade insolcher Kargheit gewinnen die Fagott-Terzen am An-fang der dritten Leonorenouvertre oder die Oboenka-denz in der Reprise des ersten Satzes der Fnften eineGewalt, die in vielfarbigerem Klang unwiederbring-lich verlorenginge. Man mu danach annehmen, dadie Praxis der Arrangements Motive sui generis hat.Vorab will sie den groen distanzierten Klang, der al-lemal Zge des ffentlichen und Unprivaten besitzt,assimilierbar machen. Der mde Geschftsmann kannarrangierten Klassikern auf die Schulter klopfen unddie Kinder ihrer Muse abttscheln. Es ist ein hnli-cher Drang wie jener, der die Radiolieblinge ntigt,

    als Onkel und Tanten sich in die Familienangelegen-

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    heiten ihrer Hrer einzuschalten und menschlicheNhe zu posieren. Die radikale Verdinglichung pro-duziert ihren eigenen Schleier von Unmittelbarkeit

    und Intimitt. Umgekehrt wird das Intime, eben als zukarg, von den Arrangements aufgeblht und ange-frbt. Die Augenblicke des sinnlichen Reizes, die ausden zerfallenden Einheiten hervortreten, sind als sol-che, da sie einmal blo als Momente des Ganzen de-terminiert waren, zu schwach, um eben den sinnlichen

    Anreiz auszuben, der von ihnen verlangt wird, damitsie ihre Reklamepflicht erfllen. Die Aufschmckungund Vergrerung |des Individuellen lt die Zge desProtests, die in der Beschrnkung des Individuellenauf sich selber gegenber dem Betrieb angelegtwaren, ebensogut verschwinden, wie in der Intimisie-rung des Groen der Blick auf die Totalitt verloren-geht, an dem die schlechte individuelle Unmittelbar-keit in groer Musik ihre Grenze fand. Statt dessenbildet sich ein falsches Gleichgewicht heraus, das sichauf Schritt und Tritt durch den Widerspruch zum Ma-terial als falsch verrt. Schuberts Stndchen, im auf-geplusterten Klang der Kombination von Streichernund Klavier, mit der albernen berdeutlichkeit derimitierenden Zwischentakte, ist so sinnwidrig, wiewenn es im Dreimderlhaus entstanden wre. Nichternster aber tnt das Preislied der Meistersinger,

    wenn es vom bloen Streichorchester exekutiert wird.

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    ment. Das offizielle Auffhrungsideal, das im GefolgeToscaninis auerordentlicher Leistung ber die Erdezieht, verhilft einem Zustand zur Sanktionierung, der,

    mit dem Ausdruck Eduard Steuermanns, Barbarei derVollendung heien darf. Gewi, hier werden nichtlnger die Namen der berhmten Werke fetischisiert,obwohl die unberhmten, die in die Programme ein-rcken, beinahe die Beschrnkung auf den kleinenVorrat als wnschbar erscheinen lassen. Gewi, hier

    werden nicht die Einflle breitgetreten und nicht dieSteigerungen zwecks Faszination ausgekostet. Esherrscht eiserne Disziplin. Aber eben eiserne. Derneue Fetisch ist der lckenlos funktionierende, metall-glnzende Apparat als solcher, in dem alle Rdchenso exakt ineinanderpassen, da fr den Sinn des Gan-zen nicht die kleinste Lcke mehr offenbleibt. Die im

    jngsten Stil perfekte, makellose Auffhrung konser-viert das Werk um den Preis seiner definitiven Ver-dinglichung. Sie fhrt es als ein mit der ersten Notebereits fertiges vor: die Auffhrung klingt wie ihre ei-gene Grammophonplatte. Die |Dynamik ist so prdis-poniert, da es Spannungen berhaupt nicht mehrgibt. Die Widerstnde der Klangmaterie sind im Au-genblick des Erklingens so erbarmungslos beseitigt,da es zur Synthesis, zum Sich-selbst-Produzierendes Werkes, wie es die Bedeutung jeder Beethoven-

    schen Symphonie ausmacht, nicht mehr kommt.

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    Wozu noch die symphonische Kraftanstrengung,wenn der Stoff bereits zermahlen ist, an dem die Kraftsich bewhren knnte? Die bewahrende Fixierung des

    Werkes bewirkt dessen Zerstrung: denn seine Ein-heit realisiert sich blo in eben der Spontaneitt, dieder Fixierung zum Opfer fllt. Der letzte Fetischis-mus, der die Sache selbst ergreift, erstickt sie: die ab-solute Angemessenheit der Erscheinung an das Werkdementiert dieses und macht es gleichgltig hinter

    dem Apparat verschwinden, so wie gewisse Sumpf-entwsserungen durch Arbeitskolonnen blo noch umder Arbeit und nicht ihres Nutzens willen geschehen.Nicht umsonst gemahnt die Herrschaft der arriviertenDirigenten an die des totalitren Fhrers. Gleich die-sem bringt er Nimbus und Organisation auf den ge-meinsamen Nenner. Er ist der eigentlich moderne Typdes Virtuosen: als band leader so gut wie in der Phil-harmonie. Er hat es so weit gebracht, da er schonnichts mehr selber zu tun braucht; selbst vom Parti-turlesen entlastet ihn zuweilen der Stab der Korrepeti-toren. Er leistet Normung und Individualisierung aufeinen Schlag: die Normung wird seiner Persnlichkeitzugute gehalten, und die individuellen Kunststcke,die er verbt, geben allgemeine Maximen ab. Der Fe-tischcharakter des Dirigenten ist der evidenteste undverborgenste: die Standardwerke knnten von den vir-

    tuosen gegenwrtigen Orchestern wahrscheinlich

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    ebenso perfekt schon ohne den Dirigenten gespieltwerden, und das Publikum, das dem Kapellmeisterzujubelt, wre unfhig zu bemerken, da im verdeck-

    ten Orchesterraum der Korrepetitor fr den erkltetenHeros einspringt.

    Das Bewutsein der Hrermassen ist der fetischi-sierten Musik adquat. Es wird vorschriftsmig ge-hrt, und freilich, die Depravation selber wre nichtmglich, wenn Widerstand erfolgte; wenn die Hrer

    berhaupt noch vermchten, in ihren Anforderungenirgend ber den Umkreis des Angebotenen hinauszu-gehen. Wer es aber versuchte, den Fetischcharakterder |Musik durch Erforschung von Hrerreaktionen,durch Interviews und Fragebogen zu verifizieren,der knnte unversehens vexiert werden. In der Musikwie sonstwo ist die Spannung von Wesen und Er-scheinung derart angewachsen, da berhaupt keineErscheinung unvermittelt mehr zum Beleg des We-sens taugt4. Die unbewuten Reaktionen der Hrersind so dicht abgeblendet, ihre bewute Rechenschaft

    orientiert sich so ausschlielich an den herrschendenFetischkategorien, da jede Antwort, die man erhlt,vorweg mit der Oberflche jenes Musikbetriebs kon-formiert, welche von der Theorie angegriffen wird, derdie Verifizierung gilt. Schon wenn man einemHrer jene primitive Frage nach Gefallen oder Mi-

    fallen vorlegt, kommt der gesamte Mechanismus

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    wirksam ins Spiel, von dem man meint, er knnedurch die Reduktion auf diese Frage transparent ge-macht und eliminiert werden. Trachtet man aber gar,

    elementare Versuchsbedingungen durch solche zu er-setzen, die der realen Abhngigkeit des Hrers vomMechanismus Rechnung tragen, so bedeutet jedeKomplikation des Versuchsmodus nicht blo eine Er-schwerung der Interpretierbarkeit der Resultate, son-dern potenziert die Widerstnde der Versuchsperso-

    nen und treibt sie nur um so tiefer in die konformisti-sche Verhaltensweise hinein, in der sie sich vor derGefahr von Enthllungen geborgen meinen. Es ltsich kein Kausalnexus etwa zwischen isolierten Ein-wirkungen der Schlager und deren psychologischenEffekten auf die Hrer suberlich herausprparieren.Wenn wirklich heute die Individuen nicht lnger sichselbst mehr gehren, dann bedeutet das auch, da sienicht lnger mehr beeinflut werden. Die Gegen-punkte von Produktion und Konsumtion sind jeweilsstreng einander zugeordnet, nur eben nicht isoliertvoneinander abhngig. Ihre Vermittlung selber ent-zieht sich keinesfalls der theoretischen Mutmaung.Es gengt die Erinnerung daran, wieviel Leiden demerspart wird, der keinen Gedanken zuviel mehr denkt,wieviel realitts-gerechter tatschlich der sich ver-hlt, der die Realitt als die rechte bejaht, wie sehr

    nur dem noch die Verfgungsgewalt ber den Mecha-

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    nismus zufllt, der sich ihm einspruchslos fgt, damit|die Korrespondenz des Hrerbewutseins und der fe-tischisierten Musik auch dann noch verstndlich

    bleibt, wenn jenes nicht eindeutig auf diese sich redu-zieren lt.

    Am Gegenpunkt zum Fetischismus der Musik voll-zieht sich eine Regression des Hrens. Damit ist nichtein Zurckfallen des einzelnen Hrers auf eine frherePhase der eigenen Entwicklung gemeint, auch nicht

    ein Rckgang des kollektiven Gesamtniveaus, da dieerst von der heutigen Massenkommunikation musika-lisch erreichten Millionen mit der Hrerschaft derVergangenheit sich nicht vergleichen lassen. Viel-mehr ist das zeitgeme Hren das Regredierter, aufinfantiler Stufe Festgehaltener. Die hrenden Subjekteben mit der Freiheit der Wahl und der Verantwor-tung nicht blo die Fhigkeit zur bewuten Erkennt-nis von Musik ein, die von je auf schmale Gruppenbeschrnkt war, sondern trotzig negieren sie die Mg-lichkeit solcher Erkenntnis berhaupt. Sie fluktuierenzwischen breitem Vergessen und jhem, sogleich wie-der untertauchendem Wiedererkennen; sie hren ato-mistisch und dissoziieren das Gehrte, entwickelnaber eben an der Dissoziation gewisse Fhigkeiten,die in traditionell-sthetischen Begriffen weniger zufassen sind als in solchen von Fuballspielen und

    Chauffieren. Sie sind nicht kindlich, wie etwa eine

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    Auffassung es erwarten mchte, die den neuen Hrtypin Zusammenhang bringt mit der Einbeziehung ehe-dem musikfremder Schichten in das Musikleben. Son-

    dern sie sind kindisch: ihre Primitivitt ist nicht diedes Unentwickelten, sondern des zwangshaft Zurck-gestauten. Sie offenbaren, wann immer es ihnen er-laubt wird, den verkniffenen Ha dessen, der eigent-lich das andere ahnt, aber es fortschiebt, um unge-schoren leben zu knnen, und der darum am liebsten

    die mahnende Mglichkeit ausrotten mchte. Es istdiese prsente Mglichkeit oder, konkreter gespro-chen, die Mglichkeit einer anderen und oppositionel-len Musik, vor der eigentlich regrediert wird. Regres-siv ist aber auch die Rolle, welche die gegenwrtigeMassenmusik im psychologischen Haushalt ihrerOpfer spielt. Sie werden nicht nur von Wichtigeremabgezogen, sondern in ihrer neurotischen Dummheitkonfirmiert, ganz gleichgltig, wie ihre musikalischenFhigkeiten zur spezifisch musikalischen Kultur fr-herer gesellschaftlicher Phasen sich verhalten. DasEinstimmen |auf die Schlager und die depraviertenKulturgter fllt in den gleichen Symptomzusammen-hang wie jene Gesichter, von denen man schon nichtmehr wei, ob sie der Film der Realitt oder die Rea-litt dem Film entwendet hat; die einen unfrmig gro-en Mund mit blitzenden Zhnen zum gefrigen La-

    chen aufreien, whrend trist und zerfahren die ange-

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    Schlagertitel jeweils zu besinnen. Die Schrift unterdem Tonbild jedoch, welche die Identifikation erlaubt,ist nichts anderes als die Warenmarke des Schlagers.

    |Die perzeptive Verhaltensweise, durch die das Ver-gessen und das jhe Wiedererkennen der Massenmu-sik vorbereitet wird, ist die Dekonzentration. Wenndie genormten, mit Ausnahme schlagzeilenhaft auffl-liger Partikeln einander hoffnungslos hnlichen Pro-dukte konzentriertes Hren nicht gestatten, ohne den

    Hrern unertrglich zu werden, dann sind diese ihrer-seits zu konzentriertem Hren berhaupt nicht mehrfhig. Sie knnen die Anspannung geschrfter Auf-merksamkeit nicht leisten und berlassen gleichsamresigniert sich dem, was ber sie ergeht und womit siesich anfreunden nur, wenn sie nicht gar zu genau hin-hren. Benjamins Hinweis auf die Apperzeption desFilms im Zustand der Zerstreuung gilt ebensowohl frdie leichte Musik. Der bliche kommerzielle Jazzetwa kann seine Funktion blo ausben, weil er nichtim Modus der Attentionalitt aufgefat wird, sondernwhrend des Gesprchs und vor allem als Begleitungzum Tanz. Man wird denn auch immer wieder demUrteil begegnen, zum Tanzen sei er hchst angenehm,zum Hren abscheulich. Wenn aber der Film als Gan-zes der dekonzentrierten Auffassungsweise entgegen-zukommen scheint, dann macht das dekonzentrierte

    Hren die Auffassung eines Ganzen unmglich. Rea-

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    lisiert wird nur, worauf gerade der Scheinwerferkegelfllt; auffllige melodische Intervalle, umkippendeModulationen, absichtliche oder unabsichtliche Feh-

    ler, oder was etwa durch besonders intime Verschmel-zung von Melodie und Text sich als Formel konden-siert. Auch darin stimmen Hrer und Produkte zusam-men: die Struktur, der sie nicht folgen knnen, wirdihnen gar nicht erst angeboten. Bedeutet bei der obe-ren Musik' das atomistische Hren fortschreitende

    Dekomposition, so gibt es bei der unteren schonnichts mehr zum Dekomponieren; die Formen derSchlager sind bis auf die Taktzahl und die exakteZeitdauer so strikt genormt, da beim einzelnen Stckeine spezifische Form berhaupt nicht in Erscheinungtritt. Die Emanzipation der Teile von ihrem Zusam-menhang und allen Momenten, die ber ihre unmittel-bare Gegenwart hinausgehen, inauguriert die Ver-schiebung des musikalischen Interesses auf den parti-kularen, sensuellen Reiz. Bezeichnend die Anteilnah-me, welche die Hrer nicht blo besonderen instru-mentalen Akrobatenkunststcken, sondern den einzel-nen |Instrumentalfarben als solchen entgegenbringen;eine Anteilnahme, welche von der Praxis der amerika-nischen popular music wieder dadurch gefrdert wird,da jede Variation chorus mit Vorliebe eine be-sondere Instrumentalfarbe, die Klarinette, das Kla-

    vier, die Posaune quasi-konzertant ausstellt. Das geht

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    approbierter Art sein. Wohl kommen in der Jazzpra-xis Dissonanzen vor, und selbst Techniken des ab-sichtsvollen Falschspielens haben sich herausgebildet.

    Aber allen diesen Gepflogenheiten ist eine Unbedenk-lichkeitsbescheinigung mitgegeben: jeder extravagan-te Klang mu so beschaffen sein, da der Hrer ihnals Substitut fr einen normalen erkennen kann;und whrend er sich an der Mihandlung freut, wel-che die Dissonanz der Konsonanz angedeihen lt,

    fr die sie eintritt, garantiert die virtuelle Konsonanzzugleich, da man im Kreise verbleibt. Bei Tests berdie Rezeption von Schlagern |hat man Versuchsperso-nen gefunden, die fragen, wie sie sich zu verhaltenhtten, wenn eine Stelle ihnen zugleich gefalle undmifalle. Man mag wohl vermuten, da sie eine Er-fahrung anmelden, die auch jene machen, die von ihrkeine Rechenschaft ablegen. Die Reaktionen auf dieisolierten Reize sind ambivalent. Ein sinnlich Wohl-geflliges schlgt in Ekel um, sobald ihm anzumerkenist, wie sehr es blo noch dem Betrug des Konsumen-ten dient. Der Betrug besteht hier im Angebot desimmer Gleichen. Noch der stumpfeste Schlagerenthu-siast wird nicht immer des Gefhls sich erwehrenknnen, das dem genschigen Kind aus der Kondito-rei vertraut ist. Stumpfen sich die Reize ab und ten-dieren sie zu ihrem Gegenteil die kurze Lebensdauer

    der meisten Schlager gehrt in den gleichen Erfah-

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    rungskreis , dann bewirkt vollends die Kulturideolo-gie, welche den oberen Musikbetrieb umkleidet, dadie untere mit schlechtem Gewissen gehrt wird. Kei-

    ner glaubt so ganz an das kommandierte Vergngen.Regressiv aber bleibt das Hren dennoch insofern, alses diesen Zustand trotz allen Mitrauens und allerAmbivalenz bejaht. Die Verschiebung der Affekte aufden Tauschwert bewirkt, da in Musik eigentlich garkein Anspruch mehr erhoben wird. Die Substitute er-

    fllen darum so gut ihren Zweck, weil das Verlangen,dem sie sich anmessen, selber bereits substituiert ist.Ohren aber, die blo noch fhig sind, von Gebotenemdas zu hren, was man von ihnen verlangt, und dieden abstrakten Reiz registrieren, anstatt die Reizmo-mente zur Synthesis zu bringen, sind schlechte Ohren:selbst am isolierten Phnomen werden ihnen ent-scheidende Zge entgehen, nmlich eben die, durchwelche es seine eigene Isoliertheit transzendiert. Esgibt tatschlich einen neurotischen Mechanismus derDummheit auch im Hren: die hochmtig ignoranteAblehnung alles Ungewohnten ist sein sicheres Kenn-zeichen. Die regredierten Hrer benehmen sich wieKinder. Sie verlangen immer wieder und mit hartnc-kiger Tcke nach der einen Speise, die man ihnen ein-mal vorgesetzt hat.

    Fr sie wird eine Art musikalischer Kindersprache

    prpariert, die sich von der echten dadurch unterschei-

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    digen wohlberaten, Amateurversionen unkontrolliertpublizieren. Die Fehler sind entweder von den Sach-verstndigen bewut produziert oder bleiben absicht-

    lich stehen mit Rcksicht auf die Hrer. Man knn-te den Verlegern und Sachverstndigen den Wunschunterlegen, sich bei den Hrern anzubiedern, indemman so hemdsrmelig und nonchalant setzt, wie etwaein Dilettant einen Schlager nach dem Gehr paukt.Solche Intrigen wren vom gleichen Schlag, wenn

    auch psychologisch anders berechnet, wie die unkor-rekte Orthographie in zahlreichen Reklame-Inschrif-ten. Aber auch wenn man ihre Annahme als zu weithergeholt ausschlieen wollte, lieen die stereotypenFehler sich verstndlich machen. Auf der einen Seiteverlangt das infantile Hren sinnlich reichen, vollenKlang, wie ihn zumal die ppigen Terzen reprsentie-ren, und es ist gerade diese Forderung, in welcher dieinfantile Musiksprache dem Kinderlied aufs brutalstewiderspricht. Andererseits verlangt das infantileHren berall die bequemsten und gelufigsten L-sungen. Die Konsequenzen, die sich aus dem rei-chen Klang bei |korrekter Stimmfhrung ergben,wren von den standardisierten harmonischen Ver-hltnissen so weit entfernt, da die Hrer sie als un-natrlich ablehnen mten. Die Fehler wren danachdie Gewaltstreiche, welche die Antagonismen des in-

    fantilen Hrerbewutseins beseitigten. Nicht weniger

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    aggressiver. Das sind die patenten Kerle, die berallsich zurechtfinden und alles auch selber knnten: derhhere Schler, der in jeder Gesellschaft sich bereit-

    findet, zum Tanz und zur Unterhaltung, Jazz mit ma-schineller Przision herunterzuspielen: der Junge vonder Tankstelle, der unbefangen seine Synkopensummt, wenn er das Benzin auffllt; der Hrexperte,der jede band zu identifizieren vermag und sich in dieGeschichte des Jazz versenkt, als handle es sich um

    die Heilsgeschichte. Er steht dem Sportsmann amnchsten: wenn nicht dem Fuballspieler selbst, danndem schwadronierenden Gesellen, der die Tribnenbeherrscht. Er glnzt durch Fhigkeit zur rden Im-provisation, selbst wenn er insgeheim stundenlangKlavier ben mu, um die widerspenstigen Rhythmenzusammenzubringen. Er gibt sich als der Unabhngi-ge, der auf die Welt pfeift. Aber was er pfeift, ist ihreMelodie, und seine Kniffe sind weniger Erfindungendes Augenblicks als aufgespeicherte Erfahrung ausdem Umgang mit den umworbenen technischen Din-gen. Seine Improvisationen sind allemal Gesten derbehenden Unterordnung unter das, was |der Apparatvon ihm verlangt. Der Chauffeur ist das Vorbild frden Hrtyp des patenten Kerls. Sein Einverstndnismit allem Herrschenden geht so weit, da er gar nichterst mehr Widerstnde produziert, sondern von sich

    aus bereits je und je das leistet, was von ihm verlangt

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    wird um des zuverlssigen Funktionierens willen. Erlgt sich die Vollkommenheit seiner Unterordnungunter den verdinglichten Mechanismus in dessen Be-

    herrschung um. So ist die souverne Routine desJazzamateurs nichts anderes als die passive Fhigkeit,in der Adaptation der Modelle von nichts sich irrema-chen zu lassen. Er ist das wahre Jazzsubjekt: seineImprovisationen kommen aus dem Schema, und dasSchema steuert er, die Zigarette im Mund, so nachls-

    sig, als htte er es gerade selber erfunden.Mit dem Mann, der seine Zeit totschlagen mu,

    weil er seine Angriffslust an nichts anderem auslassendarf, und mit dem Gelegenheitsarbeiter haben die re-gressiven Hrer Entscheidendes gemeinsam. Manmu viel freie Zeit und wenig Freiheit haben, um sichzum Jazzexperten auszubilden oder den ganzen Tagam Radio zu hngen; und die Geschicklichkeit, diemit den Synkopen so gut sich abfindet wie mit denGrundrhythmen, ist die des Autoschlossers, der auchden Lautsprecher und das elektrische Licht reparierenkann. Die neuen Hrer hneln den Mechanikern, spe-zialisiert zugleich und fhig, die Spezialkenntnisse anunverhoffter Stelle auerhalb der gelernten Arbeit ein-zusetzen. Aber die Entspezialisierung hilft ihnen bloscheinbar aus dem System heraus. Je wendiger sie denForderungen ihres Tages nachkommen, um so starrer

    werden sie jenem System unterworfen. Die Research-

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    Der Hrmasochismus definiert sich nicht blo inder Selbstpreisgabe und der Ersatzlust durch Identifi-kation mit der Macht. Zugrunde liegt ihm die Erfah-

    rung, da die Sicherheit des Unterschlupfs unter denherrschenden Bedingungen ein Provisorium, da siebloe Erleichterung sei, und da endlich doch alles zuBruch gehen msse. Noch in der Selbstpreisgabe istman sich selber nicht gut: genieend fhlt man sichals Verrter des Mglichen und zugleich verraten vom

    Bestehenden. Das regressive Hren ist allemal bereit,in Wut auszuarten. Wei man, da man selber imGrunde auf der Stelle tritt, so richtet sich die Wutvorab gegen alles, was die Modernitt des Mitdabei-und Uptodateseins desavouieren und offenbarenknnte, wie wenig in der Tat sich verndert hat. Mankennt aus Photographie und Film den Effekt des ver-altet Modernen, der, ursprnglich vom Surrealismusals Schock verwandt, seitdem zum billigen Amse-ment derer herabgesunken ist, deren Fetischismus andie abstrakte Gegenwrtigkeit sich heftet. Dieser Ef-fekt kehrt fr die regredierenden Hrer in wilder Ver-krzung wieder: sie mchten verlachen und zerstren,woran sie sich noch gestern berauschten, als wolltensie sich noch nachtrglich dafr rchen, da derRausch keiner war. Man hat diesem Effekt seinen ei-genen Namen gegeben und ihn wiederum in Radio

    und Zeitung propagiert. Corny heit aber keineswegs,

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    wie man denken knnte, die rhythmisch simplereleichte Musik der Vorjazzperiode und deren Relikte,sondern alle synkopierte, die sich nicht gerade aus den

    im Augenblick approbierten rhythmischen Formelnzusammensetzt. |Ein Jazzexperte kann etwa sich vorLachen schtteln, wenn er ein Stck hrt, das aufgutem Taktteil ein Sechzehntel mit nachfolgendempunktiertem Achtel bringt, obwohl dieser Rhythmuszwar aggressiver, keineswegs aber dem eigenen Cha-

    rakter nach etwa provinzieller ist als die spter prakti-zierten synkopischen Bindungen und der Verzicht aufalle Gegenbetonungen. Die regressiven Hrer sindtatschlich destruktiv. Die hausbackene Beschimp-fung hat ihr ironisches Recht: ironisch, weil die De-struktionstendenzen der regredierenden Hrer inWahrheit gegen das gleiche sich richten, was die alt-modischen hassen; gegen die Unbotmigkeit als sol-che, es sei denn, da sie sich durch die tolerierteSpontaneitt kollektiver Ausschreitungen deckt. DerScheingegensatz der Generationen wird nirgendsdurchsichtiger als in der Wut. Die Mucker, die sich inpathetisch-sadistischen Briefen an die Sendegesell-schaften ber das Verjazzen heiliger Gter beklagen,und die Jugend, die an solchen Exhibitionen ihreFreude hat, sind eines Sinnes. Es bedarf nur der ge-eigneten Situation, um sie zur Einheitsfront zusam-

    menzuschweien.

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    Damit ist Kritik gesetzt an den neuen Mglichkei-ten im regressiven Hren. Man knnte versucht sein,es zu retten, so, als ob es eines wre, in welchem der

    auratische Charakter des Kunstwerks, die Elementeseines Scheins, zugunsten des spielerischen zurcktre-ten. Wie immer es damit beim Film sich verhalte, dieheutige Massenmusik zeigt wenig von solchem Fort-schritt in der Entzauberung. Nichts berlebt in ihrstandhafter als der Schein; nichts ist scheinhafter als

    ihre Sachlichkeit. Das infantile Spiel hat mit dem pro-duktiven der Kinder kaum mehr als den Namen ge-mein. Nicht umsonst mchte der brgerliche Sportvom Spiel so strikt sich geschieden wissen. Sein tieri-scher Ernst besteht darin, da man, anstatt in der Di-stanzierung von den Zwecken dem Traum der Freiheitdie Treue zu halten, die Spielhandlung als Pflichtunter die ntzlichen Zwecke aufnimmt und damit dieSpur von Freiheit an ihr vertilgt. Das gilt verstrkt frdie heutige Massenmusik. Spiel ist sie blo noch alsWiederholung vorgegebener Modelle, und die spiele-rische Entlastung von Verantwortung, die dabei sichrealisiert, nimmt nicht sowohl einen von den Malender Pflicht geheilten Zustand |vorweg, als da sie dieVerantwortung auf die Modelle abschiebt, denennachzufolgen man sich selber zur Pflicht macht. Sol-ches Spiel ist bloer Schein von Spiel; darum inh-

    riert der Schein notwendig dem herrschenden Musik-

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    zen so gut wie in der Organisation des einzelnenKunstwerks hngt allein ab, ob eine Technik als fort-schrittlich und rational gelten kann. Technisierung

    als solche kann in den Dienst der kruden Reaktion tre-ten, sobald sie sich als Fetisch etabliert und durch ihrePerfektion die versumte gesellschaftliche als schongeleistet hinstellt. Daher sind denn alle Versuche,Massenmusik und regressives Hren auf dem Bodendes Bestehenden umzufunktionieren, gescheitert.

    Konsumfhige Kunstmusik hat mit dem Preis ihrerKonsistenz zu zahlen, und die Fehler, die sie enthlt,sind nicht artistische, sondern in jedem falschge-setzten oder rckstndigen Akkord spricht sich dieRckstndigkeit derer aus, deren Nachfrage man sichanpat. |Technisch konsequente, stimmige und vonden Elementen des schlechten Scheins gereinigteMassenmusik aber schlge in Kunstmusik um: sieverlre sogleich die Massenbasis. Alle Vershnungs-versuche, sei es marktglubiger Artisten, sei es kol-lektivglubiger Kunsterzieher, sind fruchtlos. Siehaben nicht mehr zustande gebracht als entwederKunstgewerbe oder jene Art von Erzeugnissen, deneneine Gebrauchsanweisung oder ein sozialer Text bei-gegeben werden mu, damit man ber ihre tieferenHintergrnde sich rechtzeitig informiere.

    Das Positive, das der neuen Massenmusik und dem

    regressiven Hren nachgerhmt wird: Vitalitt und

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    technischer Fortschritt, kollektive Breite und Bezie-hung zu einer undefinierten Praxis, in deren Begriffedie flehentliche Selbstdenunziation der Intellektuellen

    eingegangen ist, die doch ihre gesellschaftliche Ent-fremdung von den Massen am letzten dadurch beseiti-gen knnen, da sie sich dem gegenwrtigen Massen-bewutsein gleichschalten dies Positive ist negativ:Einbruch einer katastrophischen Phase der Gesell-schaft in die Musik. Positives liegt beschlossen allein

    in ihrer Negativitt. Die fetischisierte Massenmusikbedroht die fetischisierten Kulturgter. Die Spannungzwischen den beiden musikalischen Sphren ist derartangewachsen, da es der offiziellen schwerfllt, sichzu behaupten. Wie wenig es auch mit den technischenStandards des standardisierten Massenhrens auf sichhat: vergleicht man die Sachkenntnis eines Jazzexper-ten mit der eines Toscaniniverehrers, so ist jener die-sem weit berlegen. Aber nicht nur den musealenKulturgtern, sondern der uralten, sakralen Funktionder Musik als der Instanz zur Bndigung des Triebeswchst im regressiven Hren ein erbarmungsloserFeind heran. Nicht ungestraft, darum auch nicht unge-zgelt, werden die depravierten Erzeugnisse der Mu-sikkultur respektlosem Spiel und sadistischem Humorberantwortet. Vor dem regressiven Hren beginntMusik insgesamt, einen komischen Aspekt anzuneh-

    men. Man braucht nur dem unverzagten Klang einer

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    Chorprobe von auen zu lauschen. Mit groartigerEindringlichkeit ward diese Erfahrung in einigen Fil-men der Marx Brothers festgehalten, die eine Opern-

    dekoration demolieren, als sollte die geschichtsphilo-sophische Einsicht in den Zerfall der Opernform alle-gorisch zugerichtet |werden, oder mit einem hochacht-baren Stck gehobener Unterhaltung den Flgel inTrmmer schlagen, um sich des Rahmens der Kla-viersaiten als der wahren Zukunftsharfe zu bemchti-

    gen, auf der sich prludieren lt. Das Komischwer-den der Musik in der gegenwrtigen Phase hat vorabden Grund, da etwas so gnzlich Nutzloses mit allensichtbaren Zeichen der Anstrengung ernster Arbeit be-trieben wird. Die Fremdheit der Musik zu den tchti-gen Menschen stellt deren Entfremdung voneinanderblo, und das Bewutsein der Fremdheit macht sichLuft im Gelchter. In Musik oder hnlich im lyri-schen Dichter wird die Gesellschaft komisch, die siezur Komik verurteilt. Teil aber hat an jenem Gelch-ter der Verfall der sakralen Vershnlichkeit. Sehrleicht klingt alle Musik heute so wie fr NietzschesOhren der Parsifal. Sie mahnt an unverstndlicheRiten und berlebende Masken aus der Vorzeit, sieprovoziert als Brimborium. Das Radio, das Musik zu-gleich abschleift und berbelichtet, trgt vorab dazubei. Vielleicht hilft solcher Verfall einmal zu Uner-

    wartetem. Einmal mag selbst den patenten Kerlen ihre

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    bessere Stunde schlagen, die eher das prompte Schal-ten mit schon vorgegebenen Materialien, die improvi-satorische Versetzung der Dinge verlangt, als jene Art

    von radikalem Beginnen, das nur im Schutz der uner-schtterten Dingwelt gedeiht; selbst Disziplin kannden Ausdruck freier Solidaritt bernehmen, wennFreiheit zu ihrem Inhalt wird. So wenig das regressiveHren ein Symptom des Fortschritts im Bewutseinder Freiheit ist, so jh vermchte es doch umzusprin-

    gen, wenn jemals Kunst in eins mit der Gesellschaftdie Bahn des immer Gleichen verliee.

    Fr diese Mglichkeit hat nicht die populre, wohlaber die Kunstmusik ein Modell hervorgebracht.Mahler ist nicht umsonst das rgernis aller brgerli-chen Musiksthetik. Sie nennen ihn unschpferisch,weil er ihren Begriff des Schaffens selber suspendiert.Alles, womit er umgeht, ist schon da. Er nimmt es hinin der Gestalt seiner Depravation; seine Themen sindenteignete. Dennoch klingt keines, wie man es ge-wohnt war: alle sind wie durch einen Magneten abge-lenkt. Gerade das Ausgeleierte gibt der improvisieren-den Hand schmiegsam nach, gerade die vernutztenStellen gewinnen ihr zweites Leben als |Varianten.Wie die Kenntnis des Chauffeurs von seinem alten,gebraucht gekauften Wagen ihn befhigen kann, die-sen pnktlich und unerkannt zum vereinbarten Ziel

    durchzusteuern, so kann der Ausdruck einer ausgefah-

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    Mchte liquidieren auch in Musik die unrettbare Indi-vidualitt, aber blo Individuen sind fhig, ihnen ge-genber, erkennend, das Anliegen von Kollektivitt

    noch zu vertreten.

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    1 Platon, Staat. Ins Deutsche bertragen von KarlPreisendanz. 5.9. Taus., Jena 1920; St. 398.

    2 a.a.O.; St. 399.

    3 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischenkonomie. Ungekrzte Ausgabe nach der zweitenAuflage von 1872. (Geleitwort von Karl Korsch.)Berlin 1932, Bd. 1, S. 77.

    4 Vgl. Max Horkheimer, Der neueste Angriff auf dieMetaphysik, in: Zeitschrift fr Sozialforschung 6(1937), S. 28ff.

    GS 14, 0ber den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hrens11265