akute verätzung am auge - awmf
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S1-Leitlinie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG) und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) AMWF-Register Nr. 045-018
Akute Verätzung am Auge
Englischer Begriff: chemical burn of the eye
Schlüsselwörter:
Akute Verätzung am Auge, Verätzung, Hornhaut, Limbus, Augenvorderabschnitt, Spülung
A. Ziele der Leitlinie / Fragestellungen
Die vorliegende Leitlinie formuliert folgende Ziele
Festlegung des diagnostischen Vorgehens bei akuter Verätzung am Auge
Festlegung des therapeutischen Vorgehens (konservativ und chirurgisch)
bei akuter Verätzung am Auge
Festlegung der Notwendigkeit zur ambulanten versus stationären
Versorgung bei akuter Verätzung am Auge
Festlegung der Nachsorge bei akuter Verätzung am Auge
Vor diesem Hintergrund formulieren die delegierten Experten folgender Gesellschaften
und Verbände die vorliegende Leitlinie entsprechend dem Regelwerk der AWMF:
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. (DOG)
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)
Systematik und methodische Grundlagen der Erstellung dieser Leitlinie sind im
Leitlinienreport hinterlegt.
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Redaktionskomitee
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Fuchsluger, DOG, BVA (federführend)
Prof. Dr. med. Bernd Bertram, DOG, BVA (Koordinator)
Dr. med. Daniela Claessens, DOG, BVA (systematische Literaturrecherche,
Leitlinienreport)
Prof. Dr. med. Claus Cursiefen, DOG, BVA
Prof. Dr. med. Philip Eberwein, DOG, BVA
Frau Angelika Ostrowski, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.
(Patientenvertreterin).
Prof. Dr. med. Berthold Seitz, DOG, BVA
Prof. Dr. med. Hans-Gert Struck, DOG, BVA
C. Methodik
C.1 Entwicklungsstufe
Die Leitlinie wurde nach dem System der AWMF entwickelt. Diese klassifiziert 3
Entwicklungsstufen (S1, S2, S3), wobei S3 die höchste Entwicklungsstufe darstellt.
Für die vorliegende Leitlinie wurde zunächst die Entwicklungsstufe S2e angestrebt,
aber letztlich die Entwicklungsstufe S1 gewählt. Dabei wurde auch eine systematische
Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege (‚Evidenz’) zu der
relevanten klinischen Fragestellung durchgeführt. Die Schlüsselempfehlungen wurden
in Telefonkonferenzen innerhalb des Redaktionskomitees konsentiert einschließlich
einer Konsultationsphase mit Abfrage von Kommentierungen bei der DOG-Sektion
Cornea, dem Gesamtpräsidium der DOG und dem BVA-Vorstand. Der Langtest wurde
in der Leitliniengruppe konsentiert und dann von DOG und BVA genehmigt.
Einzelheiten zum Verfahren werden im Leitlinienreport beschrieben.
C.2 Literatursuche
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Evidenzanalysen zur akuten Verätzung am Auge
Recherche von Quellleitlinien, randomisierten kontrollierten Studien, Metaanalysen
und größeren Fallserien.
Systematische Literaturrecherche, Auswahl der Datenbanken und Studien sind im
Leitlinienreport beschrieben.
C.3 Finanzierung
Die Erstellung der Leitlinie wurde aus Mitteln von DOG und BVA finanziert. Durch diese
finanzierenden Organisationen erfolgte keine inhaltliche Beeinflussung. Eine externe
Finanzierung erfolgte nicht, insbesondere auch nicht durch die Industrie oder durch
Krankenkassen.
C.4 Evidenzgrad
Die Bewertung der Studien erfolgte nach der Methodik des Scottish Intercollegiate
Guidelines Network (SIGN) (1). Diese Methodik sieht eine Einstufung der einzelnen
Studien in Evidenzgrade vor. Die Evidenzklassifikation orientiert sich dabei am Design
der Studie (Übersichtsarbeit, RCT, Fall-Kontrollstudie etc.) und am Verzerrungsrisiko
der einzelnen Arbeit. Die Evidenzgrade nach SIGN sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Tabelle 1: Schema der Evidenzgraduierung nach SIGN:
C.5 Graduierung von Empfehlungen
Während mit der Darlegung der Qualität der Evidenz (Evidenzstärke) die Belastbarkeit
der Studienergebnisse und damit das Ausmaß an Sicherheit / Unsicherheit des
Wissens ausgedrückt wird, ist die Darlegung der Empfehlungsgrade Ausdruck des
Ergebnisses der Abwägung erwünschter / unerwünschter Konsequenzen alternativer
Vorgehensweisen und drückt die Einschätzung der Leitliniengruppe aus, wie eine
Maßnahme generell aufgrund von Evidenz und klinischer Erfahrung empfohlen werden
kann. Somit können Evidenz- und Empfehlungsstärken in begründeten Fällen
voneinander abweichen. Eine Begründung anhand der genannten Kriterien ist jeweils
im Hintergrundtext zur Empfehlung dokumentiert.
C.6 Empfehlungsgrad
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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• Grad A (⇑⇑/⇓⇓): „Soll/ soll-nicht“-Empfehlung: zumindest eine randomisierte
kontrollierte Studie von insgesamt guter Qualität und Konsistenz, die sich direkt auf die
jeweilige Empfehlung bezieht und nicht extrapoliert wurde (Evidenzgrad 1++ bis 2+).
• Grad B (⇑/⇓): „Sollte/ sollte-nicht“-Empfehlung: gut durchgeführte, aber nicht
randomisierte klinische Studien mit direktem Bezug zur Empfehlung (Evidenzgrad 2+
bis 3) oder Extrapolation von Evidenzebene 1, falls der Bezug zur spezifischen
Fragestellung fehlt.
• Grad 0 (): „Kann“-Empfehlung: Berichte von Expertenkreisen oder
Expertenmeinung und/oder klinische Erfahrung anerkannter Autoritäten (Evidenzgrad
4) oder Extrapolation von Evidenzebene 2 oder 3, wenn keine direkt anwendbaren
klinischen Studien von guter Qualität verfügbar waren.
1. Einteilungen
1. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Zur Klassifikation des Schweregrades können die Reim-Klassifikation (ähnlich Roper-Hall) und die Dua-Klassifikation verwendet werden.
Literatur: [Hughes W 1946; Roper-Hall MJ 1965; Reim M 1999; Reim M 1995; Reim M 1992; Dua HS 2001]
Zwei bedeutende Klassifikationen für Verätzungen der Hornhaut und der
Augenoberfläche sind die Klassifikation nach Reim (ähnlich der Roper-Hall-
Klassifikation) [Hughes W 1946; Roper-Hall MJ 1965; Reim M 1999; Reim M 1995;
Reim M 1992] und die Dua Klassifikation [Dua HS 2001]. Die Klassifikation nach Reim
beruht im Wesentlichen auf dem Ausmaß der Hornhautbeteiligung und der
Limbusischämie (siehe Tabelle 2). Die Dua-Klassifikation basiert auf Beurteilung der
Limbusbeteiligung (in Zeitstunden) sowie auf der prozentualen Beteiligung der
Bindehaut (siehe Tabelle 3). Eine randomisierte Kontrollstudie akuter Verätzungen
hatte zum Ergebnis, dass die Dua-Klassifikation bezüglich der Vorhersagekraft
hinsichtlich der Prognose bei schweren Verätzungen der Roper-Hall-Klassifikation
überlegen ist [Gupta N 2011].
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Tabelle 2: Klassifikation von Verätzungen und Verbrennungen der Augen (nach Reim):
Klassifikation für Verätzungen der Augen (nach Reim)
Erst-befund
I II III IV
Erosio Limbusschaden 0 Hyperämie
Erosio Limbusschaden <1/3 Ischämie 1/3, Chemosis
Erosio Limbusschaden <1/3 Ischämie 1/3, Chemosis
tiefe Ischämie Limbusschaden >1/2 Dichte Corneatrübung, konjunktivale Nekrosen, Sklera porzellanweiß, Missfärbung und Atrophie der Iris, Fibrinexsudate
1-3 Tage später
Regeneration Rezirkulation Regeneration
Persistierende Erosio Narbenpterygium Konjunktivalisation Ulzeration Neovaskularisation Narben
Proliferationen Konjunktivalisation Schwere Vernarbung Große Vernarbung Große Ulzerationen Einschmelzung Katarakt, Glaukom
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Tabelle 3: Klassifikation von Verätzungen und Verbrennungen der Augen (nach Dua):
Dua Klassifikation von Verätzungen der Augenoberfläche
Grad Prognose Klinische Befunde Konjunktivale
Schädigung
Analogskala*
I sehr gut null Zeitstunden
Limbusbeteiligung
0% 0/0%
II gut <3 Zeitstunden
Limbusbeteiligung
<30% 0,1-3/1-29,9%
III gut 3-6 Zeitstunden
Limbusbeteiligung
30-50% 3,1-6/31-50%
IV gut bis
mäßig
6-9 Zeitstunden
Limbusbeteiligung
50-75% 6,1-9/51-75
V mäßig bis
schlecht
9-12 Zeitstunden
Limbusbeteiligung
75-100% 9,1-11,9/75,1-
99,9%
VI sehr
schlecht
komplette (12 Zeitstunden)
Limbusbeteiligung
komplett
(100%)
12/100%
*Die Analogskala beschreibt das Ausmaß der Limbusbeteiligung (in Zeitstunden) / die
prozentuale konjunktivale Schädigung. Die konjunktivale Schädigung ist lediglich für
die bulbäre Konjunktiva zu erheben, einschließlich der Beteiligung der konjunktivalen
Fornices.
2. Epidemiologie
Der Anteil von Verätzungen an den Augenverletzungen beträgt 11,5-22,1% [Clare G.
2012]. Verätzungen ereignen sich mehrheitlich im Rahmen von Arbeitsunfällen und
zunehmend in häuslicher Umgebung oder als Folge von Angriffen.
Laugenverätzungen treten häufiger auf als Säureverätzungen, u.a. wegen der hohen
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Verbreitung alkalischer Materialien in Bau- und Werkstoffen und in Reinigungsmitteln
[Haring RS 2016; Wagoner MD 1997].
3. Pathophysiologische Grundlagen
Laugen
Laugen sind lipolytisch und penetrieren schnell durch die Membranen der zellulären
Gewebe. Sie verseifen die Fettsäuren der Zellmembranen, penetrieren die Gewebe
von Lid-, Bindehaut- Hornhautstroma und Limbus und verändern die Gewebe [López-
García JS 2007].
Säuren
Säuren schädigen Geweben durch Denaturierung und durch Ausfällen von Proteinen.
Koagulierte Proteine wirken kurzzeitig als Barriere gegen eine weitere Penetration der
Säure [Barouch F 2008]. Eine Ausnahme stellt die Flusssäure dar, bei der Fluorionen
rasch durch die gesamt Dicke der Hornhaut penetrieren und schwerste Schäden am
gesamten Auge anrichten [McCulley J 1987; Spöler F 2008].
Mischagentien
Zu den Mischagentien gehören Reinigungsprodukte mit oberflächenaktiven Stoffen
(Tenside)[Jähne M 1974].
Gefährdungspotential/Prophylaxe
Das durch Chemikalien geschädigte Gewebe sezerniert proteolytische Enzyme,
welche ihrerseits weiteren Schaden verursachen [Fish R 2010; Barouch F 2008;
Schrage NF 2011].
2. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Da praktisch alle Augenverätzungen beim Umgang mit konzentrierten Chemikalien passieren, sollen Schutzbrillen und wo eben möglich Dekontaminationshilfen beim Umgang mit Säuren und Laugen vorgehalten werden [siehe Arbeitsschutzverordnung]. Schutzeinrichtungen zur Verhinderung von Leckagen bei hohem Druck sollen durch entsprechende Sicherheitseinrichtungen geschaffen werden.
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Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Unfallstellen sollen konsequent analysiert und geschützt werden. Literatur: [Fish R 2010; Barouch F 2008; Schrage NF 2011]
4. Diagnosestellung
Anamnese
3. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Symptome Die Beschwerden sind unspezifisch. Besonders schwere Verätzungen sind häufig symptomarm und haben wegen der schweren Ischämie nur wenig Rötung.
Statement
Literatur: [Sharma N 2018]
Die Schwere der Verätzung hängt im Wesentlichen von fünf Faktoren ab:
- Kontaktzeit der Chemikalie mit dem Auge
- Zeitpunkt des Einsetzens einer qualifizierten Notfalltherapie
- Spezifische Toxizität der Chemikalie (Dissoziationskonstante)
- Konzentration der Chemikalie, Temperatur der Chemikalie, mechanischer
Druck der Einwirkung
- Ausdehnung des mit der Ätzsubstanz in Berührung gekommenen Gebietes
4. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Eine ausführliche Anamneseerhebung soll während bzw. nach der Spülung erfolgen:
- Art der Chemikalie (Packung, Fachinformationen oder MSDS (material safety data sheet) vorhanden? Ggf. Giftnotruf kontaktieren)
- Erheben des Unfallzeitpunkts - Verletzungsmechanismus (u.a. stand die Chemikalie
unter hohem Druck?) - Erfolgte ein Ausspülen der Chemikalie? Womit? Für wie
lange?
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Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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5. Untersuchung
5. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Die augenärztliche Erstuntersuchung soll umfassen:
Untersuchung der Augenvorderabschnitte mit der Spaltlampe einschließlich Anfärbung mit Fluoreszein: Sowohl die Hornhaut, der Limbus, die palpebrale und die bulbäre Konjunktiva einschließlich der Umschlagfalten sollen mit Fluoreszeinanfärbung unter Verwendung von Weiß- und Kobaltblaulicht untersucht werden. Inspiziert werden sollen weiterhin die Lider und die Tränenpünktchen. Die Erstuntersuchung soll das Ausmaß und die Tiefe der Verätzung dokumentieren (siehe Klassifikation unten). Insbesondere soll der Grad der Schädigung dokumentiert werden (mit Beschreibung des Ausmaßes des geschädigten Randschlingennetzes), da dies für die Therapie wichtig ist und Aussagen zur weiteren Prognose ermöglicht [Reim 1995, Gupta N 2011].
Sehschärfenprüfung ggf. mit bekannter Korrektur, ggf. unter Verwendung von Betäubungstropfen
Messung des Intraokulardruck bei schwerer Verätzung (auch bei einem Hornhautepitheldefekt, ggf. mit Lufttonometrie), da schwere Verätzungen sowohl im akuten als auch im chronischen Stadium zu Augeninnendruckanstiegen führen können [Lin MP 2012].
Versuch der Beurteilung des zentralen Augenhintergrundes
Bei Verdacht auf Verschluss der Tränenwege Tränenwegsspülung und ggf. Intubation der Tränenwege
Bei Folgeuntersuchungen sollen die o.g. Untersuchungen je nach Befund und Verlauf wiederholt und ggf. ergänzt werden
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6. Therapie
6. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Beim Eintreffen eines Patienten mit Verätzung soll sofort eine Augenspülung und Reinigung von partikulären Resten erfolgen. Bei schweren Verätzungen soll doppelt ektropioniert und sollen die Umschlagfalten inspiziert, ggf. gereinigt und
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Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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7. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Bei Verätzungen soll nicht mit geschlossenem Verband behandelt werden. ⇑⇑
6.1 Spülung
8. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Die Chemikalie soll möglichst schnell ausgespült und ggf. mechanisch entfernt werden, da dies entscheidend für die Limitierung ihrer Einwirkdauer ist. Ziel der Spülung ist es, das Agens zu entfernen und den physiologischen pH wiederherzustellen.
Um höchstmöglichen Patientenkomfort und eine effektive Durchführung der Spülung zu erzielen, sollte vor der Spülung die Gabe einer topischen Anästhesie erfolgen. Dann kann auch die Spülung unter Verwendung eines Lidsperrers erfolgen und auch z.B. ein Schlauchsystem oder eine Spülschlinge oder -schale (z.B. Morgan-Linse) eingesetzt werden.
Bei sehr starken Schmerzen und zur genaueren Inspektion und Reinigung kann eine para- oder retrobulbäre Anästhesie oder eine Kurznarkose erwogen werden.
Die initiale Spülung soll entsprechend der Schwere der Verätzung und ausreichend intensiv erfolgen, bei schweren Verätzungen bis der pH-Wert neutral ist. Diese soll initial mit Leitungswasser erfolgen.
Alternativ kann insbesondere bei schwereren Verätzungen mit dekontaminierenden Lösungen gespült. Wenn weder qualifizierte Dekontaminationslösungen noch Wasser verfügbar sind, kann bei Verätzungen auch mit anderen Flüssigkeiten, z.B. Softdrinks, Milch oder ähnlichen Flüssigkeiten gespült werden.
Bei Flusssäure- (HF-) Verätzungen soll eine gleichzeitige lebensbedrohliche Haut- und Inhalationsverätzung ausgeschlossen werden. Dabei soll auch auf eventuelle Gefährdungen der Helfenden
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gespült werden. Die Hornhaut und alle verätzten Strukturen sollen dann intensiv gespült werden. Literatur: [Sharma N 2018]
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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geachtet werden und ggf. Maßnahmen zum Eigenschutz der Helfenden erfolgen. Die Augen- und Hautspülung soll hier mit der spezifischen Hexafluorine-Lösung erfolgen, bei fehlender Speziallösung mit Leitungswasser oder Kalziumglukonat (allerdings Gefahr der Hornhaut-Verkalkung). Wegen der Gefahr einer assoziierten systemischen Hypokalzämie der Patienten, die potentiell lebensgefährlich ist, soll eine internistische Mitbetreuung und ggf. eine Kalziumsubstitution erfolgen.
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Literatur: 1.-3. Punkt: [Sharma N 2018] 4. Punkt: [Ikeda N 2006]., 5. Punkt: [Rihawi 2006, Wiesner N 2019, Kompa S 2002], 6. Punkt: [Beiran I 1997; Mathieu L 2001; Hojer J 2002; Spöler F 2008]
Bezüglich des Patientenkomforts wurden in mehreren randomisierten kontrollierten
Studien das Einbringen verschiedener Spüllösungen nach chemischer Verätzung am
Auge miteinander verglichen. Es handelt sich um kleine, nicht adäquat gepowerte
Studien, die in zwei systematischen Übersichtsarbeiten [Herr RD 1991, Rihawi S 2006]
zusammen ausgewertet wurden. Die Autoren schlussfolgern, dass das unmittelbare
Ausspülen des Auges mit Leitungswasser am effektivsten Beschwerden vermindert.
Von den verschiedenen Lösungen (NaCl, Ringerlaktakt, NaCl plus Bikarbonat und
„Balanced Saline Solution plus
(BSS)“ konnte keine als klar überlegen eingestuft werden, wobei in einem
Krankenhaussetting BSS tendentiell präferiert wurde. Mit allen Spüllösungen wurde
eine Reduktion der angegebenen Beschwerden erreicht.
6.2 Ektropionieren zur Inspektion und Reinigung der Fornices und tarsalen Konjunktiva
9. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Bei jeder Verätzung, insbesondere bei solchen mit soliden Partikeln, z.B. mit kalkhaltigen Baustoffen, soll nach ausführlicher Spülung, ggf. unter Gabe von topischen Lokalanästhetika, eine Inspektion der peripheren bulbären Konjunktiva, der Fornices sowie der tarsalen Konjunktiva unter einfachem oder doppeltem Ektropionieren erfolgen. Vorhandene Fremdkörper sollen unter Verwendung von Wattetupfern, ggf. eines Hockeymessers zu entfernen.
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Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Literatur: [Schrage N 2016]
6.3 Medikamentöse Therapie
10. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Ziel der medikamentösen Therapie ist die möglichst schnelle Heilung ohne oder mit möglichst wenig Narbenbildung. Dazu gehört u.a. die Beschleunigung des Epithelschlusses und die Beschleunigung der Kollagensynthese bei gleichzeitiger Kontrolle der Entzündung.
Statement
Leichte bis mittelgradige Verätzungen (Grad I und II in beiden Klassifikationen) haben eine gute Prognose. Oftmals reicht eine alleinige medikamentöse Therapie ohne chirurgischen Eingriff.
Statement
Literatur: 1. Punkt: [Trief D 2017].
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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11. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Zur Behandlung bestehen je nach Befund und Verlauf folgende Optionen, wobei alle eingesetzten Augentropfen bevorzugt phosphatfrei und ohne Konservierungsmittel sein sollten:
Kortisonhaltige Augentropfen sollen eingesetzt werden, da sie eine Entzündungsreaktion reduzieren und weiteren kornealen Gewebeverlust verhindern. Die Steroide sollen auch bei Epitheldefekten eingesetzt werden. Die Dosierung der Kortison-Augentropfen soll der Schwere der Verätzung angemessen sein, initial bei schweren Verätzungen bis zu stündlich.
Eine topische antibiotische Behandlung sollte bei einem Epitheldefekt angewendet werden, um eine Superinfektion zu vermeiden.
Benetzende Augentropfen sollten großzügig eingesetzt werden (Förderung der Epithelialisierung und des Patientenkomforts).
Verbandlinsen, s. BVA-DOG-Leitlinie 6a. -
Augensalben z.B. Dexpanthenol können gegeben werden, um die Augenoberfläche mit einem lindernden Salbenfilm zu bedecken.
Zykloplegika können bei schweren Verätzungen zur Reduzierung eines intraokularen Reizzustandes und der damit verbundenen Schmerzen sowie zur Vermeidung hinterer Synechien eingesetzt werden.
Literatur: 1. Punkt: [Dohlman C 2011; Donshik PC 1978], 2.-5. Punkt: [Pargament JM 2015], 6. Punkt: [Zoega G 2004]
12. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Als weitere medikamentöse Therapien können bei mindestens mittelgradigen Verätzungen erfolgen
Ascorbinsäure (Vitamin C) als Augentropfen und/oder Tabletten
Systemische und/oder subkonjunktivale Steroide / NSAIDs
Doxyzyklin oder Tetrazyklin oder Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin oral bei Hornhauteinschmelzung
Serum-AT, Platelet - rich plasma Augentropfen (=thrombozytenreiche Plasmaaugentropfen), Eigenblut-therapie zur Erzielung einer Re-Epithelialisierung
Antiglaukomatosa bei Sekundärglaukom (im akuten Stadium eher systemische Therapie)
Literatur: 1. Punkt: [Pfister RR 1980], 2. Punkt: [[Gross J 1981], 3. Punkt [Pargament JM 2015], 4. Punkt: [[[Panda A 2012]
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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Ascorbinsäure ist ein Cofaktor in der Kollagensynthese und kann infolge einer
Verätzung der Augenoberfläche erniedrigt sein. Vitamin C kann als Augentropfen
(10%, z.B. in stündlicher Gabe) oder oral (1-2 Gramm, bei Erwachsenen bis zu 4 x
täglich) verabreicht werden. Im Kaninchenmodell waren schwere Verätzungen
assoziiert mit reduzierten Vitamin C-Werten im Glaskörper. Diese Reduktion korrelierte
mit Ulzerationen des Hornhautstromas und Perforation. Systemische Vitamin C-Gaben
förderten die Kollagensynthese und reduzierten das Ausmaß der Ulzerationen [Pfister
RR 1991]. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist auf eine Anpassung
der Vitamin C - Dosen bei potentieller Toxizität zu achten [Gabardi S 2007].
Doxyzyklin oder Tetrazyklin oder Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin oral reduzieren
unabhängig von ihren antimikrobiellen Eigenschaften die von Matrix-
Metalloproteinasen (MMPs) initiierten Degradierungsprozesse von Kollagen Typ I.
Verschiedene Mechanismen führen hierbei zur Verminderung der MMP-vermittelten
Entzündung der Augenoberfläche: Die Restriktion der Genexpression von
neutrophilen Kollagenasen und epithelialen Gelatinasen, die Unterdrückung der
Alpha-1-Antitrypsindegradierung und die Reduktion reaktiver oxidativer Substanzen
[Ralph RA 2000; Smith VA 2004].
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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6.4 Chirurgische Behandlungen
Im Rahmen einer schweren Verätzung ist durch den Verlust der limbalen Blutzufuhr eine Nekrose im Bereich des vorderen Augenabschnitts und infolge schwerer limbaler Ischämie die Entstehung eines sterilen Hornhautulcus möglich. Nach Entfernung des nekrotischen Gewebes kann eine Tenonplastik (=Verlagerung intakter Konjunktiva und Tenon zum Limbus) erfolgen, um so die limbale Vaskularisierung wiederherzustellen und die Re-Epithelialisierung zu fördern [für mittel- und langfristige Verlaufsdaten siehe Kuckelkorn Redrake 1995 und Kuckelkorn Kottek 1995]. Ziel einer Amnionmembrantransplantation (AMT) ist die zügige Wiederherstellung der konjunktivalen Oberfläche und die Reduktion limbaler und stromaler Entzündung. Die AMT bietet dabei sowohl physikalische als auch biologische Vorteile: Physikalisch reduziert eine AMT die augenlidbedingte Reibung an der Augenoberfläche und
13. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Zur Behandlung können je nach Befund und Verlauf eingesetzt
werden:
Débridement nekrotischen Epithels, eine Peridotomie oder Peridektomie können in den ersten drei Tagen nach der Verätzung durchgeführt werden, da nekrotisches Gewebe Entzündungen bedingen und eine Re-Epithelialisierung verhindern kann
Eine korneosklerale Tenonplastik oder eine sklerokorneale tektonische Keratoplastik können bei schwerer Verätzung mit Limbusischämie erfolgen.
In seltenen Fällen kann bei starker Chemose und Ischämie ein Débridement nekrotischen Epithels (Peridotomie, Peridektomie) notwendig werden: Hierzu wird unter Tropfbetäubung die chemotische Konjunktiva im Bereich der stärksten Chemose radiär eingeschnitten.
Eine Illigschale kann zur Vermeidung von Symblephara eingesetzt werden. Dazu können auch die Fornices bis zur Epithelialisierung ausgestrichen werden.
Bei einer mindestens mittelgradigen Verätzung kann eine großzügige Amnionmembrantransplantation (AMT) als Patch, ggf. als Amnion-ummantelte Illig-Schale durchgeführt werden
Literatur: 1. Punkt: [Hemmati HD 2012], 2. Punkt: [Kuckelkorn 1995; Viestenz, A. 2018], 3. Punkt: [Records RE 1979], 5. Punkt: [Eslani M 2019]
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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verbessern dadurch das Patientenempfinden. In Studien konnte eine Verminderung des Schmerzempfindens nach AMT bei Patienten mit moderater bis schwerer Verätzung festgestellt werden [Baum J 2002], sowie die Symblepharonbildung reduziert werden. Die biologischen Effekte einer Amnionmembran erstrecken sich u.a. auf die Expression von TGFB1 und des epidermalen Wachstumsfaktors, welche beide im Rahmen der Wundheilung von Bedeutung sind [Tseng SC 2005; Hopkinson A 2006; Gicquel JJ 2009]. Weiterhin wurden anti-inflammatorische Eigenschaften nachgewiesen [Ueta M 2002; Hao Y 2000; Li W 2006]. Zusammengefasst können die biologischen Effekte der Amnionmembran die Entzündungsreaktion reduzieren, epitheliales Wachstum fördern, Narbenbildung reduzieren und Neovaskularisation reduzieren. Ein Cochrane Database Review führt eine kontrollierte, randomisierte Studie zur Anwendung von Amnionmembran in den ersten sieben Tagen nach Verätzung auf [Clare G 2012]. Obgleich unverblindeter Bedingungen und ungleicher Ausgangsparameter in Kontroll- und Behandlungsgruppe, erzielten die Patienten mit moderaten Verätzungen nach Amnionmembrantransplantation signifikant bessere Visuswerte als jene nach alleiniger konservativer Therapie [Tandon R 2011, Westekemper H 2017, de Farias C 2016].
Bewertung der 6.4 zugrundeliegenden Studien (ausführlich) (s.u. alternativ
Kurzfassung)
Studie Design Güte (Evidenzgrad
nach SIGN)
Effektstärken
Clare
2012
(s.
Evidenztabelle)
Cochrane
Database
Review
kontrollierte,
randomisierte
Studie
1-
only one RCT included in the study
RR of failure of
epithelialisation by day 21
was 0.18 in the treatment
group (95% confidence
interval (CI) 0.02 to 1.31;
P = 0.09).
Mean LogMAR final
visual acuities were 0.06
(standard deviation (SD)
0.10) in the treatment
group and 0.38 (SD 0.52)
in the control group,
representing a MD of -
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
18
0.32 (95% CI -0.05 to -
0.59).
In the severe category,
1/17 treatment and 1/15
control eyes were
epithelialised by day 21.
The RR of failure of
epithelialisation in the
treatment group was 1.01
(95% CI 0.84 to 1.21; P =
0.93). Final visual acuity
was 1.77 (SD 1.31) in the
treated eyes and 1.64
(SD 1.48) in the control
group (MD 0.13; 95% CI -
0.88 to 1.14)
Tandon 2011
(s.
Evidenztabelle)
RCT mit hohem
Risiko
systematischer
Fehler
1-
high risk of bias in three domains (performance, detection, and baseline imbalance); low risk in four (selection,allocation concealment, attrition, and selective reporting).
Epithelialisation: risk ratio (RR) of failure of epithelialisation by day 21 of 0.18 in the treatment group (95% confidence interval (CI) 0.02 to 1.31; P =0.09).
This gives the NNTB for one patient with AMT to achieve complete epithelialisation at day 21 as 3.5 (95% CI 2 to 104.5).
Visual acuity: mean visual acuity (LogMAR) at final follow-up was 0.06 in the AMT treatment group (SD 0.10). In the control
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
19
group, LogMAR visual acuity was 0.38 (SD 0.52). The mean difference (MD) was -0.32 (95% CI -0.09 to -0.55; P = 0.007).
Corneal neovascularisation: RR of developing 1 to 2 quadrants of corneal new vessels in
Baum J 2002 Literature
review
2- Nicht-systematische
Übersicht
Tseng SC 2005 Fall-Kontroll-
Studie mit
einem hohen
Risiko
systematischer
Verzerrung
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße:
mean epithelial healing
time 4.2+/-1.9 weeks.
During follow-up of
14.16+/-5.2 months, all
eyes showed marked
reduction of conjunctival
inflammation, deep fornix
continuous tear
meniscus. Of 12 eyes
with motility restriction, 2
eyes with multiple
recurrent pterygia and 1
eye with severe thermal
burn showed recurrence
of partial motility
restriction 2 months after
surgery
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
20
Hopkinson A
2006
Fall-Kontroll-
Studie
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Gicquel JJ
2009
Fall-Kontroll-
Studie
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Ueta M 2002 Kontrolliertes
Tierexperiment
2+ The mean percentage of
CD4+Vβ6+ T cells was
5·5% in allogenic MLR
with AM, while the
positive and negative
control groups contained
12·5% and 2·5% of
CD4+Vβ6+ T cells,
respectively
Hao Y 2000 Experimental in
vitro model
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Li W 2006 Controlled in-
vitro experiment
2+ Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Bewertung der 6.4 zugrundeliegenden Studien (Kurzfassung)
Studie Design Güte
(Evidenzgrad
nach SIGN)
Effektstärken
Clare
2012
Cochrane
Database
Review
1-
s. Evidenztabelle
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
21
kontrollierte,
randomisierte
Studie
Tandon
2011
RCT mit hohem
Risiko
systematischer
Fehler (RSF)
1-
s. Evidenztabelle
Baum J
2002
Literatur Review 2- Nicht-systematische
Übersicht
Tseng SC
2005
Fall-Kontroll-
Studie mit RSF
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Hopkinson A
2006
Fall-Kontroll-
Studie mit RSF
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Gicquel JJ
2009
Fall-Kontroll-
Studie mit RSF
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Ueta M 2002 Kontrolliertes
Tierexperiment
2+ Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Hao Y 2000 in vitro
Experiment
2- Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
Li W 2006 kontrolliertes in-
vitro Experiment
2+ Keine Angabe über
Effektstärkenmaße
14.Empfehlungen/Statements Empfehlungsgrad
Eine Limbusstammzelltransplantation und/oder eine perforierende Keratoplastik / Keratoprothesen können bei schwerer Limbusstammzellinsuffizienz erfolgen, möglichst erst
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
22
über ein Jahr nach der Verätzung zu einem Zeitpunkt weitgehend abgeklungener Augenoberflächenentzündung. [Samson CM 2002; Liang LH 2009]
Limbale Ischämie und resultierender Verlust der zu epithelialer Repopulation
befähigten Stammzellen verursachen einen signifikanten Anteil der
verätzungsbedingten Schädigungen. Transplantationen limbaler Stammzellen werden
daher zur Wiederherstellung dieser kritischen Zellpopulation durchgeführt. Diese
Stammzellen befinden sich in der Tiefe des Limbus, bedingen die Proliferation von
Epithelzellen und die Inhibierung des Überwachsens der Konjunktiva über die Kornea
[Huang T 2011]. Limbale Autotransplantate können vom gesunden Partnerauge
gewonnen werden, sofern bei der Verätzung lediglich ein Auge verletzt wurde [Morgan
S 1996, Barreiro TP 2014]. Bei Patienten mit zwei verätzten Augen wurden
Limbustransplantationen von nächsten Verwandten durchgeführt. Die verätzten Augen
zeigten postoperativ eine verminderte Neovaskularisation, eine verminderte Trübung
der Hornhaut sowie eine verbesserte Epithelialisierung ohne Notwendigkeit einer
systemischen Immunsuppression [Huang T 2011]. Eine andere Möglichkeit ist die
Verwendung von Spenderaugen Verstorbener. Diese Behandlungsmethode erfordert
eine systemische Immunsuppression [Tsai RJ 1994; Liang L 2009].
7. Stadien der Erholung der Augenoberfläche nach Verätzung
In u.g. Tabelle findet sich eine Übersicht der Erholungsphasen der Augenoberfläche
nach Verätzung [Hemmati HD 2012; McCulley J 1987].
Phase Tag Erholung
initial 0 Die klinischen Befunde entsprechen der Schwere der
Verätzung und können gemäß des Ausmaßes der limbalen
Schädigung sowie der Beteiligung von Hornhaut und
Bindehaut klassifiziert werden.
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
23
akut 0-7 Die epitheliale Wundheilung beginnt, sofern ausreichend
intakte limbale Stammzellen vorhanden sind. Die
Behandlung soll auf Förderung des Epithelwachstums und
Unterdrücken der Entzündungsreaktion abzielen.
frühe
Heilungsphase
7-21 Korneales, konjunktivales Epithel und Keratozyten
proliferieren während dieser Phase. Leichte Verätzungen
zeigen vollständige Re-Epithelialisierung während schwere
Verätzungen persistierende Epitheldefekte aufweisen. Die
Aktivität der Kollagenasen gipfelt zwischen Tag 14 bis 21,
während die Kollagensynthese andauert. Die Behandlung
soll die Kollagensynthese maximieren und die Aktivität der
Kollagenasen minimieren.
späte
Heilungsphase
nach
Tag
21
Bei milden Verätzungen mit intakten Populationen limbaler
Stammzellen ist der Reparaturvorgang abgeschlossen. Bei
Grad II-Verätzungen mit umschriebenem Stammzellverlust
kann eine fokale Konjunktivalisierung der Hornhaut
eintreten. Bei schwereren Verätzungen tritt eine verzögerte
Epithelialisierung der Hornhaut ein. Diese kann entweder
zu einer Repopulation des konjunktivalen Epithels oder zu
stromaler Ulzeration und permanenter Narbenbildung
führen. Bei schweren Limbusschädigungen kann ein Auge
trotz optimalen Therapiemanagements oftmals nicht
gerettet werden.
8. Ambulante / stationäre Versorgung, Nachsorge
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
24
15. Empfehlungen/Statements Empfehlungsgr
ad Bei leichten Verätzungen soll die Betreuung ambulant
erfolgen.
Bei mittelgradigen Verätzungen soll die Entscheidung, ob
eine ambulante oder eine stationäre Behandlung erfolgt, unter anderem aufgrund der Ausprägung der Befunde, der notwendigen Therapie, der Fähigkeit des Patienten zur Umsetzung der notwendigen Therapie, der Schmerzen und des Leidensdruckes erfolgen.
Bei schweren Verätzungen soll zunächst stationär behandelt werden.
Augenärztliche Kontrollen sollen in Abhängigkeit von Befund und Verlauf zur Untersuchung möglicher Langzeitkomplikationen erfolgen. Dabei sollen als Langzeitkomplikationen auch u.a. Glaukom, trockenes Auge, Veränderungen/Vernarbungen der Lider und der Augenoberfläche und Vernarbungen der ableitenden Tränenwege sowie bei ästhetisch entstellendem Befund oder beidseitiger schwerer Visusminderung die psychischen Konsequenzen für die Betroffenen berücksichtigt werden.
Glaukom 15-55% der Patienten mit schweren Verätzungen der Augenoberfläche entwickeln ein
Glaukom [Lin MP 2012]. Ursächlich ist ein multifaktorieller Mechanismus, welcher
durch eine Kontraktion der anterioren Bulbusstrukturen nach chemischer und
inflammatorischer Schädigung, durch Debris von Entzündungszellen im
Trabekelmaschenwerk als auch eine Schädigung des Trabekelmaschenwerks selbst
gekennzeichnet ist [Paterson CA 1974]. Augen mit höhergradigen Verätzungen (Reim
III und IV) zeigen signifikant höheren Augeninnendruck und benötigen mit höherer
Wahrscheinlichkeit langfristige topische oder chirurgische drucksenkende Therapien
als solche mit Verätzungen Grades I-II [Lin MP 2012]. Bei der Verschreibung
drucksenkender Medikamente sollte eine Stabilisierung des Augeninnendrucks im
Normalbereich angestrebt werden.
Trockenes Auge Eine Verätzung der Augenoberfläche kann die konjunktivalen Becherzellen zerstören
und auf diese Weise zu Verminderung oder Fehlen von Mukus im Tränenfilm führen.
Dies führt zu geschädigter Dispersion des präkornealen Tränenfilms. Dieser
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
25
Mukusmangel resultiert in einer Keratokonjunktivitis sicca (Trockenes Auge) [Le Q
2011]. Selbst bei sehr gut abgeheilten Augenoberflächen kann ein chronisches
Trockenheitsgefühl aufgrund des Unbehagens, der visuellen Beeinträchtigung und
einer möglichen Schädigung der Augenoberfläche mit einem ausgeprägten
Krankheitswert assoziiert sein.
Schädigung der Augenlider oder der palpebralen Konjunktiva Die direkte chemische Schädigung der Konjunktiva kann zu Vernarbung,
Fornixverkürzung, Symblepharonbildung und Narbenentropium oder -ektropium
führen. Diese Befunde treten Woche bis Monate nach der Verätzung ein und können
durch anti-inflammatorische Therapien und frühe Amnionmembrantransplantationen
behandelt werden [Hemmati HD 2012; Kheirkhah A 2012; Tuft SJ 2009].
Leitlinie: Akute Verätzung am Auge Stand 31.12.2020
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