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Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Koalititonsvertrag
– eine erste Einschätzung
Prof. Dr. Heinz RothgangZentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Vortrag im Rahmen des Gesundheitspolitischen Kolloquiums zu aktuellen Vorschlägen zur Finanzierung des
Gesundheitswesensam 25. November 2009 in Bremen
Prof. Dr. Heinz Rothgang 2
Überblick I. Finanzierung der Krankenversicherung
II. Finanzierung der Pflegeversicherung
III. Fazit
Prof. Dr. Heinz Rothgang 3
Überblick I. Finanzierung der Krankenversicherung
1. Ausgangslagea) Strukturelle Einnahmeschwächeb) Beitrag des Gesundheitsfonds zur Lösung des Problemsc) Neue Probleme durch den Gesundheitsfonds
2. Der Koalitionsvertrag3. Fester Arbeitgeberbeitrag4. Kopfprämien
a) Grundidee und Historieb) Hauptargumente für Kopfprämien und deren Bewertungc) Gegenargumented) Weitere Auswirkungen
II. Finanzierung der Pflegeversicherung
III. Fazit
Prof. Dr. Heinz Rothgang 4
• Befund: – Steigende
Beitrags-sätze bei annährend konstantem Anteil der GKV-Aus-gaben am BIP
• Ursache:– Strukturelle Einnahmeschwäche, d.h. Gesamtsumme der
beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohsumme) wächst langsamer als das Sozialprodukt
I.1a) Ausgangsproblem: Strukturelle Einnahmeschwäche (3/3)
100
120
140
160
180
200
220
1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Inde
x 19
80 =
100
BIP je Einwohner
Leistungsausg. je Mitglied
Beitragspfl. Einn. je Mitglied
100
120
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1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Inde
x 19
80 =
100
BIP je Einwohner
Leistungsausg. je Mitglied
Beitragspfl. Einn. je Mitglied
Vereinigungseffekt
4
Prof. Dr. Heinz Rothgang 5
I.1a) Ausgangsproblem: Strukturelle Einnahmeschwäche (3/3)
Strukturelle Einnahmeschwäche der GKV beruht auf
• sinkender Lohnquote– geringes Wachstum der Löhne, Gehälter und Renten– Rückgang der Zahl abhängig Beschäftigten (Arbeitslosigkeit)– Rückgang der Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter
(Mini- und Midi-Jobs, Schwarzarbeit)
• steigendem Anteil der PKV-Versicherten– Westdeutschland: 7% (1976) 11% (1990)– Gesamtdeutschland: 8,8% (1991) 10,7% (2007)
• sozialpolitischen Verschiebebahnhöfen (Belastung der GKV zur Entlastung z.B. anderer SV-Zweige)
5
Prof. Dr. Heinz Rothgang 6
I.1a) Ausgangsproblem: Strukturelle Einnahmeschwäche (3/3)
Mögliche Problemlösungsstrategien:
• Erweiterung der Zahl beitragspflichtiger Mitglieder
• Ausdehnung der beitragspflichtigen Einnahmen (auch andere Einkommensarten)
• (Erhöhung der Abgabenquote)
6
Prof. Dr. Heinz Rothgang 7
I.1b) Beitrag des Gesundheitsfonds zur Problemlösung (1/3)• Vor der Bundestagswahl 2005 wurden diskutiert
– Bürgerversicherung– Pauschalprämienmodelle– Steuerfinanzierung
• Jeder dieser Vorschläge sorgt dafür, dass die Gesamtsumme der beitragspflichtigen Einkommen nicht mehr von der Sozialproduktentwicklung abgekoppelt wird
• Alle drei Vorschläge wirken der strukturellen Einnahmeschwäche der GKV entgegen.
• Aber: Realisiert wurde eine andere Option: der Fonds
7
Prof. Dr. Heinz Rothgang 8
I.1b) Beitrag des Gesundheitsfonds zur Problemlösung (2/3)
8
7 Mrd. €7,9 %
7,0 %
Prof. Dr. Heinz Rothgang 9
I.1b) Beitrag des Gesundheitsfonds zur Problemlösung (3/3)• Im Gegensatz zu den anderen Optionen trägt der Fonds
nicht zur Lösung der GKV-Finanzierungsproblematik bei: – Der in der GKV versicherte und der beitragspflichtige Personenkreis
bleiben unverändert.– Die Begrenzung der Beitragspflicht auf Löhne und Gehälter (sowie
Lohnersatzleistungen) bleibt erhalten. Die Entwicklung der Gesamtsumme der beitragspflichtigen
Einnahmen bleibt von der Sozialproduktentwicklung abgekoppelt.Die strukturelle Einnahmeschwäche bleibt bestehen.
• Lediglich die angekündigte Erhöhung des Bundeszuschuss schafft etwas Entlastung
• Potentiale des Gesundheitsfonds (Einzahlungen aus verschiedenen Quellen, auch der PKV) bleiben ungenutzt
9
Prof. Dr. Heinz Rothgang 10
I.1c) Neue Problem durch den Gesundheitsfonds (1/2)• Zusatzbeitrag ist außerhalb des RSA
– Zuweisungen des Fonds sollen nach Ablauf des 1. Jahrs nur 95% der Ausgaben decken Zusatzbeitrag für (fast) alle Kassen
Anreize zur Risikoselektion nach gesundheitlichem Risiko
• Sozialschutzklausel: Zusatzbeitrag darf nur 1% betragen– Grundlohnschwache Kassen können Beitragsbedarf nicht decken– Insolvenzen nur aufgrund geringer Grundlohnsumme sind möglichAnreize zur Selektion nach Einkommen der Versicherten
10
Prof. Dr. Heinz Rothgang 11
I.1c) Neue Problem durch den Gesundheitsfonds (2/2)• Erzwungene Insolvenzen wirtschaftlicher Kassen mit
einkommensschwachen Versicherten können aus Sozialklausel folgen, wenn Fondsfinanzierung zurückgeht:
• Rechenbeispiel GKV – GKV-Ausgaben 2009: 169,4 Mrd. €– Beitragspflichtige Einnahmen: 1.043 Mrd. €– Systemgrenze (5% der Ausgaben): 8,47 Mrd. €– Individualgrenze (1% der bpE): 10,43 Mrd. € Die beiden Grenzen sind kompatibel
• Rechenbeispiel AOK Mecklenburg-Vorpommern – Ausgaben: 1,5 Mrd. €– Beitragspflichtige Einnahmen: 5,54 Mrd. €– Systemgrenze (5% der Ausgaben): 75 Mio. €– Individualgrenze (1% der bpE): 55,4 Mio. € Die beiden Grenzen sind nicht kompatibel: erzwungene Insolvenz
11
Prof. Dr. Heinz Rothgang 12
I.2 Koalitionsvertrag zur GKV-Finanzierung (1/2) Der Koalitionsvertrag zur GKV-Finanzierung:
(Koalitionsvertrag, S. 86)
12
Prof. Dr. Heinz Rothgang 13
I.2 Koalitionsvertrag zur GKV-Finanzierung (2/2) • Horst Seehofer: Es bleibt alles wie es ist
– Wir werden nächstes Jahr Zusatzbeitragserhebungen sehen, wahrscheinlich als „kleine Kopfprämie“ – ohne Solidarausgleich.
– Die Überforderungsklausel sorgt dafür, dass es einen Wettbewerb um einkommensstarke Versicherte gibt.
– Zusätzlich: verstärkt Selektion nach Gesundheitsrisiken– Die erkannten Defekte des Fonds werden nicht behoben.
• Philip Rösler: Es wird zum Systemwechsel kommen– Beitragsautonomie der Kassen
Grundsätzlich sinnvoll, ist aber im alten System ebenso gegeben wie auch im Fonds. Keine wirkliche Innovation.
– Eingefrorener Arbeitgeberbeitrag– Einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge, die sozial
ausgeglichen werden.13
Prof. Dr. Heinz Rothgang 14
I.3 Fester Arbeitgeberbeitrag: Verteilungspolitische Wirkungen• Bisher:
– GKV-Beitragssatzsteigerung führt automatisch zu Lohnerhöhung (AG-Lohn steigt wg. steigendem AG-Beitrag zur GKV)
– Arbeitgeber müssen dies in Tarifverhandlungen „zurückholen“
• In Zukunft:– Steigende GKV-Kosten lassen AG-Lohn unberührt– Gewerkschaften müssen steigende GKV-Beiträge in
Tarifverhandlungen „einpreisen“
Kurzfristig: Machtverschiebung in den Verhandlungen
• Aber langfristig: Löhne orientieren sich an Produktivität und Arbeitsmarktsituation.
– GKV-Finanzierung ist unerheblich– Arbeitgeberanteil ist sozialpolitische Illusion
14
Prof. Dr. Heinz Rothgang 15
I.3 Fester Arbeitgeberbeitrag: Rückwirkungen auf Steuerung• Ohne Beteiligung an der Finanzierung wird die Arbeitgeber-
beteiligung in der GKV-Selbstverwaltung delegitimiert
• Auswirkungen eines etwaigen Ausscheidens der Arbeitgeber aus der GKV-Selbstverwaltung
– Kostenbegrenzungsinteresse in der Selbstverwaltung wird geschwächt
– eine der wenigen Arenen für konstruktiven Dialog der Sozialpartner über die Sozialpolitik geht verloren
15
Prof. Dr. Heinz Rothgang 16
I.4 a) Kopfprämien: GrundideeBeweggründe für Kopfprämienmodelle
• Unabhängigkeit der Arbeitskosten von den GKV-Beiträgen (tatsächlich: von der Entwicklung der GKV-Beiträge)
• Trennung von Allokation und Distribution, d.h.– Beschränkung der GKV auf die Versicherung
Alle Versicherten zahlen den gleichen pauschalen Beitrag
– Umverteilung wird verlagert in das Steuer-Transfer-System
Je nach individueller finanzieller Leistungsfähigkeit erhalten die Bürger einen steuerfinanzierten Zuschuss oder müssen zusätzliche Steuern zahlen.
16
Prof. Dr. Heinz Rothgang 17
I.4 a) Kopfprämien: Varianten (1/2)
• Umverteilungselemente, die herausgelöst werden können, sind:
– Umverteilung nach Einkommen/Einkommenssolidarität – Umverteilung nach Kinderzahl und
Familienstatus/Familiensolidarität– Umverteilung nach Risiko – Umverteilung nach dem Alter/Intertemporale Umverteilung– Umverteilung nach dem Geschlecht
• Modelle lassen sich u.a. danach unterscheiden, welche Umverteilungsdimension(en) beibehalten werden soll(en)
17
Prof. Dr. Heinz Rothgang 18
I.4 a) Kopfprämien: Varianten (2/2)
+++-+-12. SVR+++-+-11. CDU/CSU+++-+-10. Fritzsche------9. FDP+++-+-8. BDA+++---7. Rürup/Wille+-+---6. CDU
+-+-+-5. Herzog-Kommission
+-+-+-4. Henke et al.------3. Zweifel et al.+++---2. Knappe et al.+++-+-1. Rürup et al.++++++Status Quo
Modelle
Ge-schlecht
AlterRisikoEhe-partner
KinderEin-kommen
Dimen-sion
18
Prof. Dr. Heinz Rothgang 19
I.4 a) Kopfprämien: Postulierte Vorteile (1/2) Höhere
Nachhal-tigkeit der
Finanzierung
Höhere Beschäfti
gung
Mehr Vertei-
lungsge-rechtigkeit
Höhere Effi-zienz des Krankenver-
sicherungs-marktes
Abfederung des demo-
graphischen Risikos
Gleiche Wettbe-werbsbedingungen für PKV und GKV
Wegfall bzw.
Reduktion des RSA
Rürup et al. + + + + - - + Knappe/Arnold + + + + - + + Zweifel/Breuer - - + + - + + Henke et al. - + + + + + - Herzog-Kommission
- - - - + - -
CDU - + + - + - - Rürup/Wille + + + - - - + BDA - + + - - - - FDP - + - + + - - Fritzsche - + + - - - - CDU/CSU - + - + - - + SVR Wirtschaft
+ + + + - + -
19
Prof. Dr. Heinz Rothgang 20
I.4 a) Kopfprämien: Postulierte Vorteile (2/2)1. Höhere Nachhaltigkeit der Finanzierung
2. Höhere Beschäftigung durch – (Verringerung der Lohn(zusatz)kosten)– Verringerung der disincentives to work
3. Verbesserte Zielgenauigkeit der Umverteilung
4. Höhere Effizienz des Krankenversicherungsmarktes durch Ermöglichung von Zu- und Abwahlen
5. „Demographieresistenz“ (nur in kapitalfundierten Modellen)
6. Stärkung des Wettbewerbs zwischen GKV und PKV
7. Reduktion des RSA-Umfangs durch Wegfall des Finanzkraftausgleichs
20
Prof. Dr. Heinz Rothgang 21
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Arbeitsanreize (1/2)• Argument:
– Derzeit: Keil zwischen brutto und netto: wenn Einkommen steigt, steigt auch GKV-Beitrag „disincentives to work“
– Bei Kopfpauschale: GKV-Beitrag ist einkommensunabhängig, keine negativen Arbeitsanreize
Das ist grundsätzlich richtig!
• Aber: – Reine Kopfpauschalen führen zur Überforderung einkommens-
schwacher Haushalte. Daher: steuerfinanzierter Transfer– Für Transferempfänger bleiben negative Arbeitsanreize erhalten
• Beispiel: Einkommen steigt um 100 Euro.– Derzeitiges System: 7,90 Euro höherer GKV-Beitrag– Pauschalprämie: kein Effekt– Pauschalprämie für Transferempfänger bei Einkommensgrenze 7,9%:
Transfer sinkt um 7,90 €
• Kein Effekt für Transferempfänger21
Prof. Dr. Heinz Rothgang 22
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Arbeitsanreize (2/2)• Wie hoch ist der Anteil der Transferempfänger?
– Schweiz (System mit Kopfprämien): je nach Kanton 24-78%– Niederlande (seit 2006 AN-Beiträge als Kopfprämien): 70%– Deutschland (Modellrechnung Lauterbach): 79%
• Mehrzahl der Versicherten wird zu Transferempfänger, für diese gibt es keinen Abbau der negativen Arbeitsanreize!
22
Prof. Dr. Heinz Rothgang 23
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Umverteilung (1/4)• Zutreffende Diagnose: Es gibt Ungerechtigkeiten in der
derzeitigen GKV-Finanzierung, insbesondere– Haushalte mit gleichem Einkommen zahlen unterschiedliche
Beiträge, je nach Zusammensetzung der Einkommen– Ehepaare mit gleichem Einkommen (oberhalb der BBG) zahlen
unterschiedliche Beiträge, je nach Verteilung der Einkommen auf die Ehepartner (s. nächste Folie)
• Diese Ungerechtigkeiten könnten aber im bestehenden System abgebaut werden durch
– Einbeziehung aller Einkommensarten in die Beitragspflicht– Ehegattensplitting
23
Prof. Dr. Heinz Rothgang 24
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Umverteilung (2/4)Gerechtigkeitslücke im bestehenden System (BBG: Stand ‘09)
Mo-dell-
Einkommen (in Euro) des … Beitragspflichtiges Einkom-men des
haus-halt
Partners 1
Partners 2
Haushalt Partners 1
Partners 2
1 7.350 0 7.350 3.675 0 3.675 2 6.850 500 7.350 3.675 500 4.175 3 6.350 1.000 7.350 3.675 1.000 4.675 4 5.850 1.500 7.350 3.675 1.500 5.175 5 5.350 2.000 7.350 3.675 2.000 5.675 6 4.850 2.500 7.350 3.675 2.500 6.175 7 4.350 3.000 7.350 3.675 3.000 6.675 8 3.675 3.675 7.350 3.675 3.675 7.350
24
Prof. Dr. Heinz Rothgang 25
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Umverteilung (3/4)• Ohne Transfermechanismus führen Kopfprämien zu Um-
verteilung von unten nach oben und prohibitiven Prämien für Niedrigeinkommenbezieher
• Mit Transfermechanismus:– Gleiche Prämien für alle Versicherten, die keine Transfers
enthalten Abbau der Umverteilung in diesem Segment– Für die Transferempfänger: Frage nach Stabilität des Transfers
• Keine eigentumsrechtliche Absicherung (wie bei Beiträgen)• Seit Einführung der Steuerfinanzierung in der GKV im Jahr 2004: vier
verschiedene Regelungen: Stabilität?
25
Prof. Dr. Heinz Rothgang 26
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Umverteilung (4/4)
26
Quelle: Stefan Greß: Vortrag auf der DGSMP Jahres-tagung 2009
Prof. Dr. Heinz Rothgang 27
I.4 b) Argumente pro Kopfprämie: Differenzierter Leistungskatalog• Zu- und Abwahlen im Leistungskatalog der GKV sind nur
bei Kopfprämienfinanzierung sinnvoll möglich
• Aber: Zu- und Abwahlen sind nicht sinnvoll.– Differenzierung nach eigener Betroffenheit Entsolidarisierung– Differenzierung nach Einkommen Mehrklassenmedizin– Abwahl „unnötiger“ Leistungen GKV enthält nur notwendige
Leistungen, Komfortleistungen sind heute bereits zusätzlich zu versicherten
• Abgrenzung von notwendig – nicht notwendig ist enorm schwierig
• Zu- und Abwahlen von Leistungen sind nicht notwendig um funktionalen Wettbewerb zu gewährleisten
– Wettbewerb über Form der Leistungserbringung reicht vollkommen aus
27
Prof. Dr. Heinz Rothgang 28
I.4 c) Argumente contra Kopfprämie: • Die Mehrzahl der Versicherten (Lauterbach: 79%) wird zu
Transferempfängern– Bisher: eigenverantwortliche Vorsorge und Rechtsansprüche auf
verfassungsrechtlich garantierten Leistungen – Kopfpauschalensystem: Versicherte werden zu
Fürsorgeempfänger herabgestuft mit Ansprüchen (auf Transfer) nach Kassenlage.
• Finanzierung des Transferbedarfs ist vollkommen unklar: – Lauterbach: Transferbedarf in Höhe von 38,66 Mrd. €. Annahmen:
• 180 Mrd. GKV-Ausgaben für 2011, An-Anteil: 53% (= 88 Mrd. €)• Beitragspflicht für alle Erwachsene• Überforderungsgrenze: 8% des „Einkommens“ (unklare Definition)
– Markus Söder (CSU): „Der Haupthaken der Idee der FDP ist, dass sie nicht finanzierbar ist.“ Die Kopfpauschale wird „zwischen 20 und 40 Milliarden Eurokosten. Wer will im Moment diese Summe irgendwoher bekommen?“
28
Prof. Dr. Heinz Rothgang 29
I.4 c) Weitere Effekte der Kopfprämie • Kopfpauschale in der GKV macht Systemübertritt in PKV
unattraktiv– Derzeitiger monatlicher Beitrag bei Überschreiten der
Versicherungspflichtgrenze: 290 € (=7,9% von 3675 €)– Neue Kopfpauschale:
• 100 Euro (Jürgen Wasem im Ärzteblatt vom 29.10.2009)• 125 Euro (Karl Lauterbach, Modellrechnung vom 17.11.2009).
Reduktion des Beitrags für diese freiwillig Versicherten: 165-190 €
• Zu erwarten Nachwuchsprobleme der PKV– Finanzierungsmodell der PKV wankt (trotz Altersrückstellungen)– PKV wird gegen Kopfprämien opponieren
29
Prof. Dr. Heinz Rothgang 30
Überblick I. Finanzierung der Krankenversicherung
II. Finanzierung der Pflegeversicherung 1. Ausgangslage2. Koalitionsvertrag3. Argumente für Kapitalfundierung4. Umstieg auf Kapitalfundierung5. Ergänzende Kapitalfundierung
III. Fazit
30
Prof. Dr. Heinz Rothgang 31
II.1 Finanzierung der Pflegeversicherung: Ausgangslage (1/3)
Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten des Bundesgesundheitsministeriums.
Bilanz der Sozialen Pflegeversicherung
-1000
0
1000
2000
3000
4000
5000
in M
illio
nen
€
Überschüsse 3440 1180 800 130 -30 -130 -60 -380 -690 -823 -360 450 -320 630
Rücklagen 2.870 4.050 4.860 4.990 4.950 4.820 4.760 4.930 4.240 3.417 3.050 3.500 3.180 3.810
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
31
Prof. Dr. Heinz Rothgang 32
II.1 Finanzierung der Pflegeversicherung: Ausgangslage (2/3)
2332
2007 2012 in €in % des
Ausgangs-wertes
2007-2012 1996-2015
Stufe I 384 € 450 € 66 € 17,2 3,2 0,8Stufe II 921 € 1.100 € 179 € 19,4 3,6 0,9Stufe III 1.432 € 1.550 € 118 € 8,2 1,6 0,4
Stufe I 205 € 235 € 30 € 14,6 2,8 0,7Stufe II 410 € 440 € 30 € 7,3 1,4 0,4Stufe III 665 € 700 € 35 € 5,3 1,0 0,3
Stufe I 1.023 € 1.023 € 0 € 0 0 0Stufe II 1.279 € 1.279 € 0 € 0 0 0Stufe III 1.432 € 1.550 € 118 € 8,2 1,6 0,4
insgesamt 7,1 1,4 0,4
Sachleistungen
Pflegegeld
vollstationär
Jahr VeränderungDurchschnittliche
Wachstumsrate p.a. in % (geometrisches Mittel)
• 1.7.2008: erstmals Leistungsanpassung positiv
• Differenzierte Steigerungsraten
– positiv wegen Förderung der häuslichen Pflege
– negativ, wegen Beschränkung auf ausgabenschwache Bereiche
• Keine nachholende Anpassung
• Ab 2015: alle 3 Jahre wird „geprüft“, ob angepasst wird. Anpassungshöhe maximal das Minimum von Inflation und Lohnsteigerung unzureichend
Prof. Dr. Heinz Rothgang 33
II.1 Finanzierung der Pflegeversicherung: Ausgangslage (3/3)• In der Regierungserklärung 2005 war angekündigt:
– Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch einen Finanzbeitrag der privaten Pflegeversicherung („Bürgerversicherung“) und
– Schaffung einer „Demographiereserve“, d.h. temporäre Kapitalbildung
• Realisiert wurde lediglich: Beitragssatzerhöhung um 0,25 Beitragssatzpunkte
• Mit dieser Regelung wurde lediglich „Zeit gewonnen“. – Laut Gesetzentwurf ist die Finanzierung bis 2014 gesichert– Angesichts aktueller Entwicklungen (Pflegebedürftigkeitsbegriff,
Finanzkrise!) ist das sehr zu bezweifelnEine erneute Reform in dieser Legislaturperiode ist notwendig.
2333
Prof. Dr. Heinz Rothgang 34
II.2 Koalitionsvertrag„Die Pflegeversicherung bleibt ein wichtiges Element der sozialen Sicherung. Die Pflegebedürftigen müssen auch künftig angemessene Pflegeleistungen zu einem bezahlbaren Preis erhalten. In der Form der Umlagefinanzierung kann die Pflegeversicherung jedoch ihre Aufgabe, allen Bürgern eine verlässliche Teilabsicherung der Pflegekosten zu garantieren, auf Dauer nicht erfüllen. Daher brauchen wir neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss. Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird dazu zeitnah einen Vorschlag ausarbeiten.“ (S. 93)
2334
Prof. Dr. Heinz Rothgang 35
II.3 Begründungen für Kapitalfundierung• Mehr Wachstum durch höhere Ersparnis?
– Beruht auf mehreren kritischen Annahmen– Wird heute nicht mehr laut vorgetragen
• Demographieresistenz?– Grundsätzlich nicht bei Veränderungen in Lebenserwartung und
Ausgaben pro Versicherten (med. Inflation)– Hinsichtlich Fertilitätsschwankungen und variabler Kohortenstärke
• Grundsätzlicher Einfluss von Demographie bleibt, aber anderer Mechanismus
• Neue Risiken: Kapitalmarktrisiken
• Intertemporale Umverteilung?– Ist normativ nicht zwingend: Generationengerechtigkeit im
Längsschnitt vernachlässigt Gerechtigkeit im Querschnitt.– Kann durch Kapitalfundierung erreicht werden
35
Prof. Dr. Heinz Rothgang 36
II.4 Umstieg auf Kapitalfundierung• hat hohe Umstellungskosten (Doppelbelastung). Beispiele:
– SVR Wirtschaft:• Ältere zahlen Pauschalbeitrag von 50€,• Jüngere zahlen eigene Vorsorge (40-60€) plus einem Solidarbeitrag von
rd. 0,7% des Einkommens für die nächsten 40 Jahre.– Herzog-Kommission:
• Sofortige Anhebung des Beitrags (auf alle Einkommen) auf 3,2 Beitragssatzpunkte für die nächsten 30 Jahre
• ist nicht notwendig und politisch nicht durchsetzbar
Einzig interessant ist eine ergänzende Kapitalfundierung
36
Prof. Dr. Heinz Rothgang 37
II.5 Ergänzende Kapitalfundierung (1/4)
• in der sozialen Pflegeversicherung – Problem 1: Kann Rücklage vor Zugriff der Politik gesichert
werden?– Problem 2: Nur temporäre Kapitalbildung?
• als private Pflegezusatzpflichtversicherung– Problem 1: Umverteilung von unten nach oben bei Kopfprämien
(Stewens-Modell)– Problem 2: Administrativ aufwändiges weiteres System und
Reibungsverluste an der Systemgrenze– Problem 3: nur temporäre Kapitalbildung, wenn die
Zusatzversicherung – wie im Stewens-Modell zugleich die Leistungsdynamisierung finanzieren soll
37
Prof. Dr. Heinz Rothgang 38
II.5 Ergänzende Kapitalfundierung(2/4) Verwendung der Mittel der privaten
Pflegezusatzpflichtversicherung
-10
-5
0
5
10
15
20
25
30
35
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr
in M
rd. €
Leistungsdynamisierung bei 1,5% p.a. Kapitalbildung
38
Prof. Dr. Heinz Rothgang 39
5.5 Ergänzende Kapitalfundierung (3/4)Mittelverwendung in der privaten Pflegezusatzpflichtversicherung
-30
-20
-10
0
10
20
30
40
50
60
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr
in M
rd. €
p.a
.
Leistungsdynamisierung bei 2% p.a. Kapitalbildung
39
Prof. Dr. Heinz Rothgang 40
II.5 Ergänzende Kapitalfundierung (4/4)
• Alternative 1: Zusatzbeitrag für Rentner und obligatorische Kapitalbildung für Jüngere (Pflege-Riester)– Vorteil: gut begründbar und fiskalisch ergiebig– Nachteil: geht nur bei Betrachtung anderer Belastungen der Rentner
• Alternative 2: Zusatzbeitrag nach Kinderzahl. – Der Zusatzbeitrag wird in einer öffentlichen Kasse angespart, dort 30
Jahre angelegt und fließt dann an die Pflegeversicherung. – Die Ansparfrist simuliert den Effekt der späteren Beitragszahlung der
Kinder– Effekte:
• Dauerhafte Kapitalbildung• Intertemporale Umverteilung• Intergenerative Umverteilung und• Intragenerative Umverteilung
40
Prof. Dr. Heinz Rothgang 41
Überblick I. Finanzierung der Krankenversicherung
II. Finanzierung der Pflegeversicherung
III. Fazit
41
Prof. Dr. Heinz Rothgang 42
III. Fazit• Im Koalitionsvertrag werden weit reichende Änderungen
angesprochen – Eingefrorener Arbeitgeberanteil und einkommensunabhängiger
Arbeitnehmeranteil in der GKV– Ergänzenden Kapitalbildung in der Pflegeversicherung
• Die Ankündigungen bleiben unpräzise, es wird jeweils auf Regierungskommissionen verwiesen Umsetzung fraglich
• Inhaltliche Bewertung – Hauptprobleme des eingefrorenen AG-Anteil sind nicht die
Verteilungswirkung, sondern die Rückwirkungen auf Steuerung der GKV
– Kopfpauschalen schaffen erhebliche neue Probleme– Teilkapitaldeckung ist nicht zwingend, wenn sie eingeführt wird, sind
aber eine Reihe von Fragen erst noch zu lösen.
42
Prof. Dr. Heinz Rothgang 43
Schluss
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
43
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