gut leben trotz weniger konsum? - momentum...
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GUT LEBEN TROTZ WENIGER KONSUM? Reflexion aktueller Debatten aus interessenpolitischer Perspektive der AK
Eingereicht für Track #5: Zur Mobilisierung kritischer Masse von:
Nina Tröger, KonsumentInnenpolitik, Arbeiterkammer Wien
Florian Wukovitsch, Umwelt und Verkehr, Arbeiterkammer Wien
Inhalt Einleitung ........................................................................................................................................................... 1
Visionen für einen sozial-ökologischen Wandel ................................................................................................ 2
Der Beitrag von Konsum .................................................................................................................................... 4
Beschleunigung findet statt ....................................................................................................................... 4
Funktionen von Konsum ............................................................................................................................ 6
Potenziale von neuen Konsumformen ...................................................................................................... 7
Gefahren durch die Sharing Economy ....................................................................................................... 8
AkteurInnen eines sozial-ökologischen Wandels .............................................................................................. 9
KonsumentInnen als HoffnungsträgerInnen? ........................................................................................... 9
Die Arbeiterkammer als Akteurin des Wandels? .................................................................................... 10
Literaturverzeichnis ......................................................................................................................................... 11
Einleitung
Die europäischen Gesellschaften stecken – nicht zuletzt infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise – seit Jah-
ren auch in einer Beschäftigungs- und Verteilungskrise. Gleichzeitig werden die Stimmen lauter, die vor der
Verschärfung der ökologischen Krise warnen, sollte Europa nicht auf einen fundamental anderen Wachs-
tums- bzw. Entwicklungspfad umschwenken. Schon heute zeigen sich die ökologischen und sozialen Folgen
des Klimawandels in manchen Regionen deutlich.
Während jedoch weiterhin viel Hoffnung auf Effizienzgewinne in einer wachsenden, wettbewerbsfähigen
und exportorientierten europäischen Wirtschaft gesetzt wird, stehen aus kritischer Perspektive die europä-
ischen Gesellschaften vielmehr vor der Herausforderung, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissio-
nen auf ein global tragfähiges Niveau zu reduzieren. Damit rücken Konsumniveaus und Verteilungsfragen
ins Zentrum der Diskussion. Innerhalb Europas geht es damit primär um die Gewährleistung der Teilhabe an
Wohlstand und Beschäftigung, global um eine gerechte Verteilung von Ressourcen und Emissionsrechten.
Zuletzt bilden sich in diesem Sinne neben der akademischen und politischen Diskussion neue zivilgesell-
schaftliche Allianzen bzw. Kooperationen zwischen ArbeitnehmerInnenvertretungen, Wissenschaft, sozia-
len Bewegungen und NGOs, die ein gutes Leben für alle – sowohl national als auch global – fordern.
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In diesem Papier wollen wir zunächst der Frage nachgehen, welche Visionen für einen sozial-ökologischen
Wandel derzeit diskutiert werden und inwiefern sich diese in ihrer politischen Stoßrichtung unterscheiden.
Dabei wird deutlich, dass die Rolle von Individuen und Institutionen doch recht unterschiedlich eingeschätzt
werden. Darauf aufbauend hinterfragen wir, welchen Stellenwert Konsum in der Vision einer sozial-
ökologischen Transformation einnimmt und welche Ausprägungen neuer Konsumformen in diesem Sinne
bereits zu beobachten sind. Abschließend sollen die potenziellen Beiträge von individuellen Entscheidungs-
trägerInnen – also KonsumentInnen – und einer gesetzlichen Interessensvertretung wie der Arbeiterkam-
mer zum sozial-ökologischen Wandel in Grundzügen angerissen werden.
Visionen für einen sozial-ökologischen Wandel
Obwohl die materielle Basis des Wirtschaftens im Mainstream der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie-
bildung weiterhin unberücksichtigt bleibt, hat die Diskussion über die biophysikalischen Grenzen des
Wachstums mittlerweile eine mehrere Jahrzehnte umfassende Geschichte. Stand in den 1970er Jahren
noch die Warnung vor der Knappheit der Ressourcen im Vordergrund, ist heute in der naturwissenschaftli-
chen Diskussion weitestgehend unumstritten, dass die Aufnahmekapazität der Atmosphäre den primären
Engpass einer Verallgemeinerung westlicher Konsum- und Lebensstile darstellt. Mit der Veröffentlichung
des Brundtland-Berichts in den späten 1980er Jahren wurde auch in der internationalen Politik im Konzept
der nachhaltigen Entwicklung der Grundstein für die Verknüpfung von Umwelt-, Verteilungs- und Entwick-
lungsaspekten gelegt. Dennoch bestehen weiterhin sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage, welche
Implikationen sich aus diesen Erkenntnissen für die weitere Entwicklung westlicher Gesellschaften ergeben.
Der US-amerikanische Ökonom Herman Daly hat aufbauend auf dem Nachhaltigkeitskonzept schon in den
1990er Jahren die Idee einer Steady-State-Ökonomie (weiter-)entwickelt, deren Materialdurchsatz sich auf
einem langfristig tragfähigen Niveau einpendelt (Daly 2009). Aus den Gesetzen der Thermodynamik geht
für ihn klar hervor, dass ein weiteres materialbasiertes Wachstum in den sogenannten Entwicklungsländern
nur funktionieren kann, wenn die wohlhabenden Gesellschaften ihren Durchsatz reduzieren. Zu diesem
Zweck schlägt er als Maßnahmen in hochentwickelten Ländern nicht nur die Verkürzung der Arbeitszeit bei
gleichzeitiger Begrenzung der Einkommensungleichheit, eine ökologische Steuerreform und die Einführung
von volkswirtschaftlichen Ertrags- und Kostenkonten zur differenzierten Betrachtung von Wachstumsge-
winnen und –verlusten, sondern auch die Regulierung des internationalen Handels, öffentliche Treuhand-
gesellschaften zur Verwaltung von Commons, stabilitätsorientierte Bevölkerungspolitik sowie – als markt-
fernste Maßnahme – die Festlegung von Obergrenzen für biophysikalische Größen vor.
Entgegen dieser schon seit langer Zeit bestehenden Reformvorschläge wird allerdings politisch im Sinne
umweltverträglicher Wachstumsstrategien (z.B. OECD 2011) weiterhin vielfach auf technologie- und inno-
vationsorientierte Ansätze zur sukzessiven Entkopplung der Wirtschaft vom Materialverbrauch gesetzt;
bestehende Produktions- und Konsumniveaus werden dabei kaum in Frage gestellt. Seitens der Forschung
bestehen allerdings an der Möglichkeit einer absoluten Entkopplung des Wachstums vom Materialver-
brauch massive Zweifel, ein empirischer Nachweis ist bisher nicht bekannt. Und selbst die Verteilungs- und
Beschäftigungskrisen werden im Unterschied zu den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg in einem der
Tendenz nach neoliberalen politisch-ökonomischen Rahmenwerk durch Wachstum kaum noch entschärft.
Im jüngst erschienenen Bericht In it together – Why less inequality benefits all zeigt die OECD (2015), dass
die in den letzten 30 Jahren zu beobachtende Polarisierung von Einkommen und Vermögen in den meisten
ihrer Mitgliedstaaten nicht nur die Teilhabemöglichkeiten der einkommensschwächeren Haushalte, son-
dern auch die Wachstumschancen der Volkswirtschaften massiv dämpfen.
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Radikale Wachstumskritiker wie Paech (2009) fordern daher eine grundlegende Abkehr vom bestehenden
Wachstumsmodell, auch durch (Konsum-)Verzicht, Suffizienzstreben und eine Aufwertung der gesellschaft-
lichen Produktion in kleinen Einheiten. Paech geht dabei von der Annahme aus, dass Entkopplung nicht
gelingen kann, weil durch steigende Ressourceneffizienz erzielte Einsparungen im Regelfall durch Zuwächse
bei der Nachfrage kompensiert werden – selbst wenn der zusätzliche materielle Wohlstand ab einem be-
stimmten Niveau de facto nichts mehr zum Wohlbefinden beiträgt. In einem Wirtschaftssystem, das auf
maßlosen Gewinnerwartungen, Fremdversorgung durch globale Arbeitsteilung und innovationsbasiertem
Wettbewerb sowie einer Kultur der materiellen Selbstverwirklichung aufgebaut ist, kann Wachstum seines
Erachtens nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Sein Entwurf einer Postwachstumsökonomie steht da-
her für Entschleunigung durch Konsumeinschränkung, ein neues Gleichgewicht zwischen Fremd- und
Selbstversorgung (durch Tauschringe, Eigenarbeit,…), intensivere Produktnutzung sowie grundlegende in-
stitutionelle Neuerungen wie Regionalwährungen und umfassende Geld- und Bodenreformen. Der Weg
dorthin bleibt jedoch relativ unbestimmt, viel Hoffnung wird zumindest vorerst auf die Macht individueller
(Konsum-)Entscheidungen einer aufgeklärten Elite gesetzt.
Deutlich werden die unterschiedlichen Interpretationen einer zukunftsfähigen Entwicklung auch in der En-
quete Kommission des deutschen Bundestags zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Da
man sich zur Zeit der Koalitionsregierung aus CDU und FDP nicht auf die Vision eines entschiedenen Kurs-
wechsel verständigen konnte, wurde das Konzept einer grundlegenden sozialökologischen Transformation
schließlich als Sondervotum der Oppositionsparteien und ausgewählter ExpertInnen in den Abschlussbe-
richt aufgenommen (siehe Deutscher Bundestag 2013). Im Vordergrund steht dabei die absolute Entkopp-
lung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch, die u.a. durch die Demokratisierung von Wirt-
schaft und Gesellschaft, europäische Kooperationen für Nachhaltigkeit und die Abkopplung des Arbeits-
markts und der Sozialsysteme vom Wirtschaftswachstum gefördert werden sollte.
Mit dem Begriff der sozialökologischen Transformation werden jene Strategien gefasst, die auf eine bewusste gesellschaftspolitische Gestaltung zur Bearbeitung der multiplen Krise setzen und nicht zuvorderst auf den kapitalistischen (Welt-)Markt, der vermeintlich auf die ökologischen Probleme mittels Technologien und Knappheitssignalen reagiert. […] Entsprechend geht es eben-falls um den Abbau von sozialen Ungleichheiten sowie um die Umverteilung gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Macht hin zu mehr Gerechtigkeit, insbesondere für die schwächeren Bevölkerungsgruppen. Bestandteile einer solchen Transformation sind die Einhegung des kapita-listischen Marktes und der Dominanz des Profitprinzips über eine Ausweitung des Öffentlichen und – wo es sinnvoll ist – des Staates über die Stärkung öffentlicher, genossenschaftlicher so-wie solidarischer Ökonomie, die insgesamt die ökologische Tragfähigkeit der Erde beachten. (Deut-scher Bundestag 2013, S. 484)
Auch jenseits der Ökologie- und Nachhaltigkeitsdiskussion werden in den letzten Jahren Stimmen lauter,
die angesichts des Scheiterns der neoliberal gefärbten Wachstumsstrategien eine Neubewertung wirt-
schaftspolitischer Ziele fordern. Gewissermaßen als Kompromiss zwischen Wachstum und Postwachstum
fordert beispielsweise der ehemalige DGB-Präsident Michael Sommer (2013) die Besinnung auf eine Form
qualitativen Wachstums, das wesentlich stärker an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist. Im
Zentrum der wirtschaftspolitischen Ziele müssten Vollbeschäftigung, Verteilungsgerechtigkeit und Lebens-
qualität stehen, das Primat der Politik wäre gegenüber dem Diktat der Finanzmärkte zurückzuerobern. Er
liegt damit auf einer Linie mit Wirtschaftswissenschaftlern wie Dullien und van Treeck (2012), die die Wie-
derbelebung der Idee eines magischen Vierecks der Wirtschaftspolitik fordern und dieses mit sehr detail-
lierten Indikatoren in vier neuen Dimensionen unterlegen. Materieller Wohlstand und ökonomische Nach-
haltigkeit als erstes Ziel wäre demzufolge auch durch Daten zu Beschäftigung, privaten und staatlichen Kon-
sumausgaben sowie zur Leistungsbilanz definiert, die Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und –finanzen als
zweites Ziel würde neben dem Defizit auch anhand der Nettoinvestitionen gemessen, soziale Nachhaltigkeit
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würde sich in Armutsrisiken, Einkommensverteilung und Schulabbrecherquoten zeigen und das Ziel der
ökologischen Nachhaltigkeit ließe sich an Emissionszielen festmachen.
Den ProponentInnen einer neuen Wirtschaftspolitik geht es angesichts des hohen Entwicklungsstands in
Europa also weniger um weiteres Wachstum als um die Verallgemeinerung der Teilhabe am bestehenden
Wohlstand durch die Umverteilung von Vermögen, Einkommen und Arbeit im Sinne eines guten Lebens für
alle; durch die anhaltenden Produktivitätsfortschritte sei die Zeit reif für eine weitere (massive) Reduktion
der Arbeitszeit. In einem vielbeachteten Werk fordern der britische Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky
und sein Sohn Edward (2013) – ein Philosoph –, die Erfüllung menschlicher Grundgüter wie Sicherheit, Ge-
sundheit, Respekt, Persönlichkeit, Freundschaft, Harmonie mit der Natur und Muße als zentrale Ziele der
Wirtschaftspolitik zu etablieren. Um das zu ermöglichen, wären den Skidelskys zufolge Beschränkungen des
internationalen Handels und der Werbung (!), ein bedingungsloses Grundeinkommen (als Einmalzahlung),
die Unterrichtung des Einzelnen in der Nutzung der Freizeit sowie (progressive) Steuern auf Konsum, Ver-
mögen, Finanztransaktionen und CO2-Emissionen wesentliche politische Ansatzpunkte.
Der Reiz der Diskussion zum guten Leben (für alle) ist, dass sie nicht primär vor den – für den einzelnen
Menschen abstrakten – biophysikalischen Grenzen unserer Lebensweise warnt, sondern die – individuell
greifbare – Erfüllung menschlicher Bedürfnisse ins Zentrum rückt. Anstelle des Aufrufs zu Verzicht und Ein-
schränkung soll die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für alle reaktiviert werden, in der mehr Zeit für
Selbstentfaltung und die Pflege sozialer Beziehungen zur Verfügung steht. Dabei sind die Vorstellungen
eines guten Lebens tief in der abendländischen Kultur verankert. Die US-amerikanische Sozialphilosophin
Martha Nussbaum (bspw. 1999) beruft sich auf Aristoteles, wenn sie als menschliche Grundfähigkeiten, die
es im Sinne einer Ethik des guten Lebens zu entwickeln gilt, neben guter Gesundheit und einer angemesse-
nen Unterkunft und Ernährung u.a. auch die Entwicklung einer eigenen Lebensplanung, die Entfaltung der
eigenen schöpferischen Kraft, den Aufbau bedeutender Beziehungen zu Mitmenschen und die Verbunden-
heit mit der Natur anführt. Auf anderer theoretischer Grundlage, aber mit ähnlicher Zielsetzung, fordert die
Feministin und Sozialpsychologin Frigga Haug (2011) für alle Menschen ausreichend Zeit, um sich in den
vier Tätigkeitsbereichen Erwerb, Kultur, Politik und Reproduktion zu engagieren.
Die Erfüllung der Forderungen nach einem guten Leben für alle würde also nicht nur auf eine Umverteilung
von Vermögen und Einkommen, sondern auch von gesellschaftlich notwendiger und individuell wün-
schenswerter Arbeit(szeit) hinauslaufen. Dabei besteht durchaus die Hoffnung, dass durch die neue Zeit-
souveränität – bei gleichmäßigerer Verteilung des Wohlstands – ehemals in Konsumwünsche kanalisierte
Ausdrucks- und Entfaltungsbedürfnisse neue Formen in den Tätigkeitsbereichen Kultur, Politik und Repro-
duktion (Haug 2011) bzw. im Streben nach den Grundgütern Muße, Persönlichkeit, Freundschaft und Har-
monie mit der Natur (Skidelsky/Skidelsky 2013) finden. Damit sollte eine neue Stufe der abendländischen
Zivilisation eingeleitet werden, in der die jahrhundertealten Ideale des guten Lebens tatsächlich für alle
verfügbar und begehrenswert sind. Im Sinne einer umfassenden Persönlichkeitsentfaltung jenseits des
Broterwerbs kommt der Umdeutung vermeintlicher Konsum- bzw. Kaufbedürfnisse hierbei eine zentrale
Rolle zu (Baumann 2009; Rosa 2011).
Der Beitrag von Konsum
Beschleunigung findet statt
Der ökonomische Wachstumsdruck gefährdet nicht nur die ökologischen Grundlagen des Wirtschaftens,
sondern beeinträchtigt durch chronischen Stress und Überforderung auch das individuelle Wohlbefinden
bzw. die Gesundheit der westlichen Erwerbs- und Konsumgesellschaften. Er befördert eine ständige Be-
schleunigung, nicht nur auf technischer, sondern auch auf sozialer und individueller Ebene, mit der wir
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kaum noch mithalten vermögen. Hartmut Rosa sieht im Zusammenwirken von Produktion, Distribution und
Konsumtion einen Kreislauf, in dem ständig das Tempo erhöht wird. Durch Innovationen und neue techni-
sche Errungenschaften werden stetig Produkte entwickelt, die in irgendeiner Art und Weise neu erschei-
nen, es jedoch seltener auch wirklich sind. Produktzyklen müssen sich in der aktuellen Wirtschaftslogik
immer mehr verkürzen, um die Wachstumsspirale im Gang zu halten. Diese Produkte und Waren sollen in
Verkehr gesetzt und auf den Markt gebracht werden, für die Absatzförderung wird Marketing eingesetzt.
(Rosa und Lorenz 2009, S. 11) Kaufen wird vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Rezession als probates Mittel
der Politik betrachtet, wenn nicht sogar als Bürgerpflicht inszeniert, um Wachstum und damit Arbeitsplätze
zu sichern. Nicht nur aus ökologischer, sondern auch gesellschaftlicher Perspektive ist eine Veränderung
des Status Quo unausweichlich.
Der Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und der Beschleunigung des Lebenstempos ist
nicht von der Hand zu weisen. Diese verstärkt sich durch den digitalen Wandel noch mehr. Errungenschaf-
ten der heutigen Zeit, vor allem Flexibilität, wirken sich auch unsere Arbeits- und Konsumweise aus. Wir
passen unsere Rahmenbedingungen immer mehr unseren Anforderungen an, anstatt jedoch dadurch mehr
Zeit zur Verfügung zu haben, muss alles noch in kürzerer Zeit funktionieren. In den Anfangsphasen der in-
dustriellen Revolution lebte noch die Utopie, dass sich durch den Einsatz von Maschinen und moderner
Technik der Druck auf die Arbeitskräfte verringern würde, wodurch mehr Zeit für Muße, Familie und Gesell-
schaft bleiben würde – Voraussetzung dafür war nach diesen sozialistischen Ideen natürlich die Abschaf-
fung kapitalistischer Produktionsweisen. Die Produktivität erhöhte sich dank der Technik zwar permanent,
die Arbeitskräfte wurden jedoch immer mehr unter Druck gesetzt, um den wirtschaftlichen Output noch
weiter zu steigern.
Technischer Fortschritt führt in vielen Fällen nicht dazu, das persönliche Leben zu vereinfachen, sondern
noch mehr zu beschleunigen. So führte z.B. die Entwicklung des Verkehrs zu mehr Mobilität und einfache-
ren Verbindungen zwischen Wohnstätte und Arbeitsplatz, jedoch haben sich dadurch die Wegzeiten nicht
verkürzt, sondern die Entfernungen sind größer geworden. Der Coffee-to-go ist vielleicht das symptomati-
sche Beispiel der Beschleunigung. Die Zeit, in der zu Hause oder im Kaffeehaus ein Kaffee konsumiert wird,
wird gespart und auf dem Weg von a nach b verlagert – er kann somit jederzeit an jedem Ort getrunken
werden. (Lönneker 2001, S. 8) Hier findet nicht nur eine zeitliche Beschleunigung der Alltagstätigkeiten
statt, die auch zu einem erhöhten Stresslevel beitragen, sondern auch soziale Aspekte und Rituale gehen
verloren. Freundschaft und soziale Beziehungen, die eines der Basisgüter eines guten Lebens nach Skidels-
ky/Skidelsky (2013) darstellen, gehen in der hektischen Zeit an verschiedenen Stellen verloren. Das gemein-
same Essen in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen ist nicht nur die Nahrungsversorgung aller Be-
teiligten, es hat auch soziale und symbolische Bedeutungen. Das gemeinsame Essen ist ein Ritual, das die
soziale Bindung stärkt, mit dem Beziehungen gepflegt werden und wodurch gegenseitige Wertschätzung
und Respekt gelebt wird. Mit dem Angebot von Convenience Produkten reagiert die Lebensmittelindustrie
auf ihre Weise auf die immer weniger verfügbare gemeinsame (Frei-)Zeit. Das Essen steht nicht zu einer
bestimmten Zeit am Tisch, zu der alle Haushaltsmitglieder anwesend sein müssen, sondern kann individuell
eingenommen werden – praktisch verpackt in einzelnen Portionen, die unabhängig voneinander aufgetaut
und zubereitet werden können. Die Individuen werden damit flexibler und mobiler, andere Aspekte gehen
verloren.
Der technische Fortschritt unterstützt einerseits das menschliche Bestreben nach Freiheit und Unabhängig-
keit, andererseits werden wir dadurch selbst immer mehr angetrieben, um noch mehr und ständig leisten
zu können. Laptops und Smartphones erleichtern Homeworking, Crowdworking etc, aber dadurch fällt es
auch schwerer, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. Dadurch werden arbeitsrechtliche und soziale
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Standards langsam aber stetig unterminiert. Insgesamt ist unsere Gesellschaft mit einer Beschleunigung
konfrontiert, die sich auf alle Lebenslagen auswirkt.
Funktionen von Konsum
Konsum wird oft verwechselt mit Kaufen, wie Rosa mit seinem Titel „Über die Verwechslung von Kauf und
Konsum“ (2011) schon treffend festgestellt hat. Durch die Beschleunigung verändert sich auch unser Ver-
hältnis zum Konsum. Ein Konsumbegriff im weiteren Sinne, der die Nutzung einschließt, umfasst nicht nur
das Anschaffen von Produkten wie Bücher, Musik, Filme etc, sondern auch deren Nutzung. Rosa stellt je-
doch sehr prägnant fest, dass zwar der Konsum im engeren Sinne, dh Kaufen (vgl. dazu auch Definition von
Streissler/Streissler 1966), jedoch nicht die Nutzung zugenommen hat. In einer Zeit mit erhöhtem Tempo ist
das folgendermaßen logisch:
Weil durch das Kaufen sich immer Optionsräume erweitern lassen und weil der Kaufakt fast keine Zeitressourcen bindet, kaufen wir immer mehr Dinge, während wir die Realkonsumtion kaum zu steigern vermögen. (Rosa 2011, S. 127)
Hier fehlt die Zeit oder die Muße, um die Dinge auch wirklich zu konsumieren – zu lesen, hören, ansehen,
tragen etc., Kaufen kann hier als eine Ersatzhandlung gesehen werden.
Der Zugang zu Konsum hat sich im Westen vor allem durch den wirtschaftlichen Aufschwung – in Europa
seit den 1960er Jahren – von einer Mangel- zu einer Überflussgesellschaft (Galbraith) entwickelt. Massen-
produktion ermöglichte beinahe allen Bevölkerungsschichten materiellen Wohlstand. Kühlschrank, Fernse-
her, Auto wurden von Luxusgütern zu Alltagsgegenständen, die zu einem guten Lebensstandard dazugehör-
ten. Aber auch die Mobilität und dadurch das Reiseverhalten haben sich verändert – so hat die Zahl der
Kurzurlaube alleine seit den 1990er Jahren um 10 Prozentpunkte zugenommen1. Auch die Veränderungen
der Standards hinsichtlich der Wohnformen – die Wohnnutzfläche nimmt zu – und der Ernährungsweise
(vor allem mehr Fleischkonsum) nehmen Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck, der immer größer wird
und in der westlichen Welt ökologisch nicht mehr tragbar ist.
Der Faktor Konsum nimmt mittlerweile eine so dominante Rolle in unserer Lebensweise ein, dass vielfach
von einer Konsumgesellschaft gesprochen wird (vgl. Brewer zit. nach Schneider 2000). Die Definition einer
Konsumgesellschaft (ebd.) bezeichnet unter anderem das Angebot eines reichhaltigen Warensortiments für
breite Gesellschaftsschichten, spezialisierte Kommunikationssysteme der Werbewirtschaft und Marktfor-
schung, die Wertschätzung von Freizeit und Konsum gegenüber Arbeit und Produktion und das Vorhanden-
sein von Waren und Dienstleistungen, die der sozialen Distinktion dienen.2 Konsum beeinflusst damit auch
unsere Alltagskultur:
Konsum prägt heute den Alltag und die Alltagsästhetik in starkem Maße. Alle Schichten haben Zugang zur Welt des Warenkonsums erhalten, in der Tendenz konsumiert man heute mehr, schneller und ausgiebiger als vor hundert Jahren. […] Doch hat die Konsumkultur nicht nur die Produktstrukturen und den Absatz stark verändert, sondern greift in die Alltagskultur insgesamt stark ein. (Bosch 2010, S. 163)
Soziale Distinktion durch Konsumgüter ist jedoch keine Neuerscheinung, sondern wurde früher vor allem
vom Adel und dem reichen Bürgertum zur Abgrenzung benutzt, wie Veblen (2011) in Form des demonstra-
tiven Konsums im 19. Jahrhundert aufgezeigt.
1 http://www.freizeitforschung.at/data/forschungsarchiv/2015/137.%20FT%203-2015_Tourismusanalyse.pdf
2 Insgesamt handelt es sich um sechs Merkmale, ergänzend die beiden fehlenden: KonsumentInnen als individuelle
Rolle und soziale Kategorie und institutionalisierte Konsumkritik
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Der Besitz von bestimmten Objekten sowie Techniken der Körpergestaltung impliziert Zugehörig-keiten, bezeichnet einen sozialen Status sowie politische oder soziale Einstellungen bzw. Konstruk-tionen von Weltwahrnehmung. (Bosch 2010, S. 167)
In einer Konsumgesellschaft wird die soziale Distinktion nicht mehr nur von der Oberschicht zur Abgren-
zung nach unten eingesetzt, auch Subgruppen vor allem in Jugendszenen grenzen sich untereinander ab.
Distinktion schafft auch Zugehörigkeiten und die Integration in soziale Gruppen, vor allem bei Jugendlichen
spielt wiederum die Inklusionsfunktion durch Konsum eine wichtige Rolle. Dies führt uns auch die Werbung
vor Augen, wie vor allem die Kampagne eines Mobilfunkbetreibers eindrücklich zeigt3. Wer mithalten will,
muss up-to-date sein, immer das Neueste besitzen und dies präsentieren. Neben der sozialen Funktion hat
Konsum auch eine hedonistische Funktion. Die Werbung und Marken bieten gesamte Identitätskonzepte
an, die suggerieren, dass durch Aneignung der Produkte das projizierte Image auf die TrägerInnen über-
geht. Park/Roedder-John (2010) stellten fest, dass allein das Tragen einer „Victoria’s secret“ Einkaufstasche
eine positive Auswirkung auf das Selbstbewusstsein der Trägerinnen hat. Die Funktionalität und der eigent-
liche Nutzen der Produkte geraten dabei vielfach in den Hintergrund (Rosa 2011). Kaufen wird zum Selbst-
zweck, Shopping zum Hobby. Rosa stellt fest, dass unsere heutige westliche Gesellschaft absurderweise
eigentlich eher durch einen Konsumverzicht als durch eine Konsumsteigerung gekennzeichnet ist, die Stei-
gerung findet nur im Kaufen statt. (Rosa 2011, S. 128)
Potenziale von neuen Konsumformen
Durch die technologischen Entwicklungen, die scheinbar permanenten digitalen Innovationen, werden die
Produktzyklen am Markt immer kürzer. Dies führt zu kürzeren Nutzungsdauern, die durch frühzeitigen Ver-
schleiß aber auch durch Marketingstrategien herbeigeführt werden – zeigen die Ergebnisse einer Studie des
deutschen Umweltbundesamts. Für Österreich gibt es keine Längsschnittdaten, jedoch zeigt eine repräsen-
tative Online-Umfrage der AK auch hier empirische Hinweise für kurze Nutzungsdauern: Im Schnitt werden
z.B. Waschmaschinen 8,3 Jahre und Handys gar nur 2,7 Jahre genutzt. (Wieser et al. 2015, S. 6) Wir leben
zwar in einer Überflussgesellschaft, aber nicht unbedingt in einer Wegwerfgesellschaft – die AK-Studie zeigt
auch auf, dass Menschen das Wegwerfen von Dingen schwer fällt, weswegen sie auch viele unbenützte
Dinge horten. Jede zehnte Person hat bspw. mehr als fünf Handys zu Hause herumliegen. Nicht nur die
natürlichen Ressourcen werden dadurch verschwendet, auch der soziale Druck, immer das neueste Produkt
haben zu müssen, ist hoch und wirkt sich mitunter auch negativ auf das individuelle Wohlbefinden aus.
Daher ist die Frage, welche Rolle Konsum in einem „guten Leben“ einnehmen soll auch für die sozial-
ökologische Transformation eine wesentliche. In einer transformierten Gesellschaft muss Konsum in einem
weiteren Sinne4 verstärkt in den Fokus gelangen und weniger das Kaufen als Selbstzweck im Vordergrund
stehen.
Erste Anzeichen, wie solche Formen aussehen können, geben uns die Entwicklungen im Bereich des Sha-
rings, der Trend zum Reparieren oder die Debatten um die Obsoleszenz. Alle diese Entwicklungen zeigen
andere Zugangsmöglichkeiten zum Konsumieren auf. Beim Sharing steht das Nutzen und nicht das Besitzen
im Vordergrund (vgl Botsman 2011). Durch den digitalen Wandel bekamen sehr traditionelle gemeinschaft-
liche Nutzungsweisen wieder Auftrieb. Die „Währung“ im Bereich der digitalen Welt sind die Bewertungen
anderer UserInnen. Dadurch wird Vertrauen hergestellt und es ist leichter, sich mit anonymen Menschen
3 https://www.youtube.com/watch?v=cayW1wdbt8A
4 Zur Definition von Streissler/Streissler aus dem Jahre 1966: Sie unterscheiden Konsum "im engeren Sinne" und "im
weiteren Sinne". Im engeren Sinne bezieht sich Konsum auf den reinen Kaufakt, nämlich die Einkommensverwendung für Zwecke des Konsums im weiteren Sinne oder auch die Marktentnahme. Beim Konsum im weiteren Sinne handelt es sich um die Nutzung der Waren und Güter zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung (Hellmann 2013, 163).
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einzulassen. Potenziale des Sharings liegen einerseits in der ökologischen Komponente – durch gemein-
schaftliche Nutzung von Gütern werden Ressourcen geschont. Eine Bohrmaschine wird während ihrer ge-
samten Nutzungsdauer im Schnitt angeblich nur 12-13 Minuten aktiv verwendet5; auch wenn die Datenlage
hierzu nicht komplett gesichert ist, zeigt es dennoch den Unterschied zwischen Anschaffungswert und
Nutzwert, wodurch sich auch ökonomisch eine gemeinschaftliche Nutzung bei bestimmten Gegenständen
eher rechnet. Diese ökonomische Komponente hilft wiederum der sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken,
da dadurch auch gesellschaftliche Gruppen Zugang zu Produkten haben, die für diese vorher nicht leistbar
waren, z.B. auch zu qualitativ hochwertigen Produkten. Im Bereich der Waschmaschinen ist es nach wie vor
so, dass billige Geräte früher kaputt werden, als teure – hier stimmt das Preis-Leistungsverhältnis noch
relativ gut überein, was in vielen anderen Fällen nicht zutrifft. Demnach wären andere Geschäftsmodelle,
die sich auf Leasing statt Verkauf konzentrieren auch für finanziell schwache Personen von Vorteil. Um bei
dem Beispiel Waschmaschine zu bleiben: das Unternehmen verkauft dann keine Waschmaschine, sondern
Waschgänge, die Waschmaschine wird von den KonsumentInnen nur genutzt, bleibt aber im Besitz der
Firma. Dadurch ist der Anbieter weiterhin in der Verantwortung für eine funktionierende Waschmaschine
zu sorgen, eine lange Lebensdauer rechnet sich damit auch für die Unternehmensseite.
Bislang sind diese Formen des Wirtschaftens jedoch noch eine Nischenform. Gelingt hier eine Transforma-
tion, ist eine Änderung gesellschaftlicher Werthaltungen eine grundlegende Voraussetzung oder auch Kon-
sequenz, das muss ein in sich greifender Prozess sein. Aber ohne eine Reflexion von Werthaltungen wie
Leistungs-, Status- und Konkurrenzdenken, die in unserer heutigen Gesellschaft tief verwurzelt sind, wird
eine Trendumkehr nicht stattfinden können. Durch kollaborativen Konsum können andere Werte in den
Vordergrund rücken, der Nutzen und die Funktionen der Produkte stehen im Zentrum, Statuskonsum könn-
te dadurch weniger wichtig werden. Werte wie Solidarität, Kooperation und Teilen erfahren dadurch er-
höhte Bedeutung – diese Ideen finden sich ja auch in den Konzepten von Skidelsky/Skidelsky (2013) wieder.
Gefahren durch die Sharing Economy
Jedoch sollte hier auch noch auf mögliche Risiken hingewiesen werden, die jede Form der Veränderung in
sich trägt. Zum einen können durch Sharing durchaus ökologisch unerwünschte Rebound-Effekte entstehen,
im Bereich des Car-Sharings bspw., wenn durch die überall verfügbaren free-floating Angebote das Auto
stärker als der öffentliche Verkehr genutzt wird oder wenn allgemein die ersparten Kosten des Sharings in
ressourcenschädliche Formen wie z.B. Urlaubsflüge investiert wird. Soziale Ungleichheit ist auch hier ge-
fährdet sich zu manifestieren anstatt reduziert zu werden – um teilen zu können, ist Besitz Voraussetzung.
Bislang ist Sharing auch ein Nischenthema das von ganz bestimmten Gruppen angenommen wird, die we-
der sozial noch finanziell benachteiligt sind. Auch in dieser Art ist Sharing ein Mittel der sozialen Distinktion.
Aktuell sind die ideologischen Grundvorstellungen des kollaborativen Konsums aber durch eine Verein-
nahmung von marktwirtschaftlichen Anbietern wie Airbnb und Uber bedroht. Durch diese kapitalistischen
Formen, indem auch über das Sharing versucht wird, einen wirtschaftlichen Eigennutzen und Mehrwert –
sei es durch die Plattformen selbst oder die KonsumentInnen als Anbieter, werden die alternativen Konzep-
te in kapitalistische Logiken integriert und die Grundideen unterwandert. Wichtig ist daher in diesem Zu-
sammenhang die verschiedenen Formen zu definieren und vor allem die gewinnorientierten von den ge-
meinschaftsorientierten klar voneinander abzugrenzen. (vgl. dazu Müller 2015, S. 15–22) So lange die kapi-
talistische Wirtschaftsform die Wirtschafts- und Lebensweise bestimmt, werden solche Anbieter bestehen,
wodurch die Grundidee bedroht ist, zu verwässern oder gänzlich zu verschwinden.
5 http://www.ted.com/talks/rachel_botsman_the_case_for_collaborative_consumption/transcript
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AkteurInnen eines sozial-ökologischen Wandels
Bei einer sozial-ökologischen Transformation sind unterschiedliche AkteurInnen notwendig, ein gesell-
schaftlicher Entwurf im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung muss geschaffen werden, um lebbare
und für Menschen attraktive Verhältnisse gestalten zu können (Brand 2014, S. 8).
KonsumentInnen als HoffnungsträgerInnen?
Im Zuge der Diskussion um Nachhaltigkeit wird oftmals die sogenannte „Konsumentensouveränität“ be-
schworen. KonsumentInnen haben mit ihren täglichen Kauf- und Konsumhandlungen den Einfluss auf die
Entwicklung der Welt in Richtung Nachhaltigkeit in der Hand – das wird nicht nur von wirtschaftlicher Seite,
sondern auch von den ProponentInnen einer Postwachstumökonomie suggeriert. Dadurch wird auch die
Verantwortung bequem ausgelagert und in die Hände der KonsumentInnen gespielt, die Industrie ist damit
aus dem Schneider. Durch Einkommen und Bildungslagen bestimmte Möglichkeiten nachhaltiger Konsum-
stile werden in dieser Perspektive ausgeblendet. Diese Privatisierung von Verantwortung spiegelt einerseits
die derzeitigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen wider – soziale Absicherung, Bildung, Gesundheit
usw. wird durch das Zurückdrängen des Wohlfahrtsstaates immer mehr an Individuen ausgelagert. Mit der
Individualisierung der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung werden nicht mehr nur persönliche Risi-
ken, sondern gesellschafts- und umweltbezogene Risiken ausgelagert. Nicht nur, dass einzelne – auch hoch
informierte – KonsumentInnen mit dieser Last im alltäglichen Konsum schnell überfordert sind, auch indivi-
duell nachhaltige Entscheidungen können unerwünschte Rebound-Effekte auf die Gesamtgesellschaft einer
Nation oder sogar global6 haben.
Es ist eine gefährliche Illusion und bloßer Selbstbetrug, die Wende zur Nachhaltigkeit allein oder auch nur hauptsächlich von den Konsumenten und vom privaten Umwelthandeln zu erwarten. (Grunwald 2012, S. 14)
KonsumentInnen handeln aus ihren konkreten Lebenssituationen heraus. So lange daher auf wirtschaftli-
cher und gesellschaftlicher Ebene – durch ungleichheitsbedingten Statuskonsum, Wachstumszwang und die
staatliche Förderung umweltschädlicher Verhaltensweise wie bspw. durch die steuerliche Benachteiligung
der Bahn gegenüber dem Flugverkehr – keine Änderungen stattfinden, ist es verwerflich und zu einfach,
andere Handlungsweisen von KonsumentInnen zu verlangen.
Doch es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass der Konsum nachhaltig(er) werden muss. Der hohe Anteil des Konsums an der Wirtschaftsleistung führt dazu, dass ohne einen nachhaltigeren Konsum jeder Versuch eines Richtungswechsels erfolglos bleiben muss. Die große Illusion bezieht sich nicht auf die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Konsums, sondern darauf, dass die Konsu-menten ihn mit Millionen von Einzelhandlungen im Rahmen ihrer Konsumentensouveränität be-wirken sollen. (Grunwald 2012, S. 115)
Die Verantwortung einer sozial-ökologischen Transformation können nicht (politische) KonsumentInnen
allein tragen. Emanzipierte und aufgeklärte „KonsumbürgerInnen“ sind zwar wünschenswerte Zielgruppen
einer Verbraucherpolitik, aber auch Idealvorstellungen, die nur von einem geringen Teil der Bevölkerung
erfüllt werden (können oder wollen). Es darf dabei insbesondere auch nicht suggeriert werden, dass alle
6 Z.B. gab es in den letzten Jahren einen Hype um indische Waschnüsse – diese wurden als natürliche Alternative zu
herkömmlichen Waschmitteln entdeckt. Durch den Aufschwung stieg jedoch auch der Preis der Waschnüsse. Dadurch wurde der indischen, vor allem armen Bevölkerung ihr natürliches und kostengünstiges Waschmittel entzogen, diese mussten auf billige, chemische Produkte zurückgreifen. Problem dabei ist, dass die Wäsche dort meist im Fluss direkt gewaschen wird und die Auswirkungen auf die Umwelt dadurch verheerend sind.
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BürgerInnen als KonsumentInnen gleich an der Verursachung der ökologischen Krise beteiligt sind – und
daher auch gleichermaßen an der notwendigen Veränderung beteiligt werden müssen – bzw. dass alle über
die gleichen Handlungsmöglichkeiten verfügen. Die soziale Ungleichheit muss hier im Kern berücksichtigt
werden; Begriffe wie "Komfortzone" (Welzer 2013 zit. nach Brand 2014, S. 13) erwecken hingegen prinzipi-
ell den Eindruck, dass wir alle gleichermaßen im Überfluss und Wohlstand leben und sich daher auch sozial
Benachteiligte noch stärker einschränken müssen.
Daneben sind KonsumentInnen aber auch eine individuelle Masse ohne Organisationsgrad. Daher bedarf es
einerseits Überlegungen, wie in zivilgesellschaftlich abgestimmter Form – und notwendigerweise auf unter-
schiedlichen Ebenen – Dynamiken in Gang gesetzt werden können, um den Druck zu sozial und ökologisch
problematischen Konsumstilen zu reduzieren. Die eingangs beschriebenen Allianzen für ein gutes Leben für
alle bilden in diesem Sinne einen guten Ausgangspunkt für thematisch breit aufgestellte zivilgesellschaftli-
che Bewegungen. Umwelt- und Sozialbewegungen haben sich in der Vergangenheit vielfach nur wenig sys-
tematisch aufeinander bezogen. Die Arbeitsbedingungen im globalen Süden und die Konsummuster im
globalen Norden wurden zwar von zahlreichen – auch österreichischen – NGOs schon lange gemeinsam
problematisiert. Durch die multiple Krise der letzten Jahre – und nicht zuletzt die aktuelle Flüchtlingskrise –
könnten die Zusammenhänge zwischen europäischen Konsummustern und den globalen sozialen und öko-
logischen Verwerfungen für die europäischen BürgerInnen jedoch zunehmend erfahrbar werden. Die öster-
reichische Initiative Wege aus der Krise, die seit mehreren Jahren in einem breiten, themenübergreifenden
Verbund das „Zivilgesellschaftliche Budget“ veröffentlicht, zeigt, dass es den neuen Verbünden heute da-
rum geht, vor dem Hintergrund der vielfachen Krisenerscheinungen konkrete politische Möglichkeiten für
einen sozialen und ökologischen Wandel bzw. – in der oben vorgestellten Terminologie – für eine sozial-
ökologische Transformation aufzuzeigen.
Die Arbeiterkammer als Akteurin des Wandels?
Damit wird deutlich, dass ein einfaches Plädoyer an KonsumentInnen – lebt und kauft nachhaltiger – viel zu
einfach ist und keine langfristigen Lösungsansätze bietet.
Vereinfachte Lösungsansätze wie sparsamer Umgang mit Ressourcen oder keynesianische Ökoin-vestitionen müssen in größere Zusammenhänge eingebettet werden, um möglichst wenig uner-wünschte Nebenwirkungen zu haben. Nur wer Komplexität wahrnimmt, sieht, dass Single-Issue-Initiativen zu kurz greifen und es eine holistische und systemische Herangehensweise braucht. Diese könnte Grundlage pluralistischer Allianzen werden, Mensch und Natur vor den zerstöreri-schen Tendenzen eines entfesselten Kapitalismus zu schützen. (Novy 2014, S. 34)
Daher bedarf es einer Allianz aus Umwelt- und sozialen Bewegungen sowie der Unter- und der Mittel-
schicht, um das gute Leben zu entwickeln und den Übergang in eine nachhaltige und solidarische Gemein-
schaft zu gestalten. Dabei darf jedoch nicht auf Initiativen abseits vom Staat gebaut werden (Novy 2014, S.
34–35). Die Verteilungsfragen – von Vermögen/Einkommen, Macht und Lebenschancen – bleiben zentral
und müssen Teil einer progressiven Politik sein (Brand 2014, S. 13), die Zivilgesellschaft kann in diesem Sin-
ne nur Druck aufbauen und damit den Wandel unterstützen. Nur die politischen und staatlichen Entschei-
dungsträgerInnen können aber sicherstellen, dass trotz grundlegender Reformen der BürgerInnen ein Ge-
fühl von Sicherheit und Gestaltungsmacht vermittelt wird.
Eine entscheidende Frage ist daher, welche gestalterischen Aufgaben zentrale AkteurInnen des gesell-
schafts- und wirtschaftspolitischen Lebens übernehmen können bzw. müssen. Die Arbeiterkammer hat als
politische Interessensvertretung den gesetzlichen Auftrag, „die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und
kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern“ (Arbeiter-
kammergesetz 1992, §1) und darüber hinaus „… in Angelegenheiten der Bildung, der Kultur, des Umwelt-
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schutzes, des Konsumentenschutzes, der Freizeitgestaltung, des Schutzes und der Förderung der Gesund-
heit, der Wohnverhältnisse und der Förderung der Vollbeschäftigung Maßnahmen zu treffen und Einrich-
tungen zu schaffen, zu verwalten oder zu unterstützen“ (Arbeiterkammergesetz 1992, §4).
In diesem Sinne hat die Arbeiterkammer auch das Mandat, in umfassender Weise politisch zu agieren. Auch
wenn ArbeitnehmerInnen ihre primäre Zielgruppe ausmachen, vertritt sie ebenso die Interessen von Ar-
beitslosen, Karenzierten, Lehrlingen, Präsenz- und Zivildienstleistenden sowie der pensionierten Arbeit-
nehmerInnen; darüber hinaus betreffen Fragen des Umwelt- oder Konsumentenschutzes auch andere
Gruppen. Die Arbeiterkammer ist insofern im Kern dazu berufen, sich nicht nur über die Arbeitsbedingun-
gen ihrer Mitglieder, sondern ebenso über Bedingungen eines guten Lebens in der österreichischen Gesell-
schaft Gedanken zu machen und diese öffentlich zur Diskussion zu stellen.
Die Arbeiterkammer ist bei ihren Ambitionen der umfassenden Interessensvertretung natürlich ebenso mit
den strukturellen Gegebenheiten unserer Wirtschaftsweise konfrontiert: Einerseits bleiben höhere Wachs-
tumsraten angesichts der Beschäftigungs- und Verteilungskrise nach wie vor die wichtigste Hoffnung der
Politik, wenn es um Fragen der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Wohlstandssicherung geht. Anderer-
seits freuen sich KonsumentInnen über niedrige Preise von Konsumgütern und lange Öffnungszeiten bzw.
die Annehmlichkeiten des Online-Handels, auch wenn das oft auf Kosten von (österreichischen) Arbeits-
plätzen und gewerkschaftlichen Errungenschaften (Stichwort: Lohndumping) geht. Gerade daraus wird aber
ersichtlich, dass es im Interesse der AK ist, Visionen einer ganzheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftspoli-
tik zu entwickeln und diese systematisch in den politischen Prozess einzubringen.
Angesichts der dynamischen Veränderungen auf den Arbeits- und Konsumgütermärkten – nicht zuletzt
durch den digitalen Wandel – scheint die Arbeiterkammer insbesondere auch zukünftig dazu aufgerufen,
beide „Seiten“ systematisch gemeinsam zu vertreten – also ArbeitnehmerInnen UND KonsumentInnen
gleichzeitig zu schützen. Und da sich in den letzten Jahren ohnedies keine Rückkehr zu einem schnellen
Wachstumspfad abgezeichnet hat, scheint es auch lohnend, sich wieder verstärkt über die Potenziale einer
neuen Verteilung von Erwerbsarbeit – sei es durch regelmäßige (Bildungs-)Karenzen, zusätzliche Urlaubs-
wochen oder gar eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit – als Beitrag zu einem guten Leben für alle
Gedanken zu machen. Dass in diesem Zusammenhang die von der AK seit langer Zeit problematisierte Fra-
ge der Verteilung von Einkommen und Vermögen zentral bleibt, liegt auf der Hand.
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