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Reportage aus verschiedenen Schulmensen. Erschienen in der NZZ.

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PD

42 Montag, 14. März 2011 ! Nr. 61BILDUNG UND GESELLSCHAFTNeuö Zürcör Zäitung

Gegen Hunger, Hänger und HeimwehMensen und Kantinen sind schulische Verpflegungsstätten – aber nicht nur

Genuss auf dem Zugerberg,Zweck am Rychenberg, Alterna-tiven am Rietberg: Ein Augen-schein in drei Mensen, die denHunger junger Menschen aufunterschiedliche Art und Weisezu stillen suchen.

Flavian Cajacob

Gourmands mögen mäkeln, Kritikerschnöden – aber so richtig hart wird’sfür den Koch erst, wenn Kinder überseine Küche urteilen. «Die kennenüberhaupt nichts. Entweder esschmeckt ihnen, oder es schmeckt ihnennicht. Und das sagen sie einem unver-blümt ins Gesicht, basta.» Saı̈djah vanDamme steht in der Küche der Riet-berg-Montessori-Schule in der ZürcherEnge, backt Brot, schneidet Gurkenund Tomaten, bereitet das Pesto für diePasta zu und überlegt bereits, wasnächste Woche auf dem Menuplan ste-hen könnte. Er ist sich sicher: «GutesEssen hebt die Stimmung an der Schule.Und fördert damit die Leistungsbereit-schaft der Schüler.»

Je älter, desto wählerischerKantinen, Mensen, Mittagstische – diekulinarische Vielfalt im Angebot derschulischen Futterkrippen deckt sich un-gefähr mit demUrteil über deren Quali-tät. Kaum jemand, der nicht irgendeineSchauergeschichte auftischen könnteüber qualvolle Erfahrungen mit derMassenverpflegung. Positive Meldun-gen hingegen schaffen es kaum einmalüber den Tellerrand, geschweige dennüber den Schulhof hinaus. Das weissauch Heinz Biber. Der Küchenchef derSV-Mensa in der Kantonsschule Ry-chenberg in Winterthur meint: «Je älterdie Schüler, desto wählerischer ihr Ge-schmack.» Biber hat gerade den grossenAnsturm auf seine Auslage hinter sich:Salate, Sandwiches, Müesli, Zigeuner-Cervelats, Tortelloni mit Käsefüllung.600 Jugendliche wollen innerhalb vonzwei Stunden verpflegt sein. Ein logisti-scher Herkulesakt. Und eineHerausfor-derung mit Blick auf das Budget. Dennpro Menu stehen dem Küchenchef ge-rade einmal vier Franken zurVerfügung.Daraus lässt sich kein Festmahl zaubern.«Aber», bemerkt Biber, «man kannwährend der Woche jonglieren; ameinen Tag ein paar günstigere Zutaten,am anderen ein paar teurere, das gleicht

sich wieder aus und sorgt für Abwechs-lung auf dem Menuplan.»

Patrick Hechenberger kann da schonmit grösserer Kelle anrichten. Denn werseinen Kindern am Institut MontanaBildung angedeihen lässt, der ist bereit,dafür tief in die Tasche zu greifen – auchfür die Verpflegung. Zahlen will derKüchenchef vom Zugerberg zwar nichtnennen, das Mittagsmenu allerdingslässt ungefähr erahnen, wie die Verhält-nisse sich präsentieren: Knoblibrot mitSalat, weisses Kalbsblanquette, Pilaw-reis, Peperonigemüse mit Honig, Him-beer-Joghurt-Muffin. Allein die Zuta-ten übersteigen Bibers Budget um dasDoppelte. Im grossen Saal des altehr-würdigen Instituts sind die Schülerin-nen und Schüler denn auch nicht demhäufig zitierten Kantinenmief ausge-setzt, der sich primär aus Brühwürfelnund Frittierfett zusammensetzt – nein,im Montana wird an langen Tischen ge-speist und von vorgewärmten Plattengeschöpft. Hauspersonal sorgt fürNachschub, ein kurzes Tischgebetschliesst das Mittagessen ab. Hechen-

berger, einst kochend auf dem Schiffunterwegs und in den Küchen von Fünf-sternhäusern daheim, kennt seine Gäs-te. «Ich weiss, wer aus religiösen Grün-den kein Schweinefleisch isst, ich weiss,wer Allergiker ist, und ich weiss, wo dieVegetarier sitzen. Sie alle erhalten spe-zielle Menus.» In seiner Küche steht so-gar ein Diätkoch mit am Herd. «DieKinder leben hier oft fernab von zuHause. Und das während zehn wichtigerJahre ihres Lebens. Da wird uns einegrosse Verantwortung zuteil», führt derKüchenchef aus. So achte man dennnebst der Erziehung und Bildung auchexplizit auf eine ausgewogene Ernäh-rung, wenig Fett und Zucker, dafür vieleVitamine. Zudem kommen keine Süss-getränke auf den Tisch, Standard sindQuellwasser vom Zugerberg und Tee.

Das Essverhalten von Schülerinnenund Schülern beschäftigt die Ernäh-rungswissenschafter permanent. Denntrotz Kampagnen und Bewegungsdikta-ten: In der Schweiz ist heute jedes fünfteKind zu dick, jeder dritte Jugendlicheübergewichtig. Das hat viel mit man-

gelnder Bewegung zu tun – aber ebenauch mit dem Essverhalten. «Mensen,Kantinen und Mittagstische haben ei-gentlich die Möglichkeit, den Kindernauf einfache Art und nachhaltig aufzu-zeigen, dass es noch anderes gibt alsBurger, Schnitzel und Pommes frites»,sagt Steffi Schlüchter von der Schweize-rischen Gesellschaft für Ernährung(SGE). Insofern könne die Gemein-schaftsgastronomie durchaus eine Vor-bildfunktion einnehmen und eine wert-volle Ergänzung zu den zu Hause prak-tizierten Essgewohnheiten leisten. Vonzentraler Bedeutung seien dahingehendAbwechslung, Frische, Vielfältigkeitund Saisonalität. «Natürlich ist dasimmer auch eine Kostenfrage. Ich binaber überzeugt, dass ein kreativer Kochselbst mit einem tiefen Budgetschmackhafte, gleichzeitig aber auchausgewogene und gesunde Menus aufden Teller bringen kann.»

Eine Alternative bieten zur Küchezu Hause – genau das will Saı̈djah vanDamme, der Koch der Montessori-Schule in der Zürcher Enge. Selber

nicht ohne Fleischeslust, kommt bei ihmtrotzdem ausschliesslich Vegetarischesauf den Mittagstisch. «Die Kinder kön-nen ja zum Frühstück ein Salamibrotverspeisen und zum Abendessen einPlätzli. Für mich hat das nichts mitMoral zu tun, das ist ganz einfach eineSache von Vielfalt und Abwechslung.»Van Damme steht auf dem Pausenplatzund übernimmt nach dem Küchen-dienst auch gleich noch die Aufsicht.Seine selbstgemachten Maisbrötchenfinden reissenden Absatz. Während dieBuben herumrennen, zupft ihn ein klei-nes Mädchen am Jackensaum. Es willwissen, was am nächsten Tag aufgetischtwird. «Rösti und Rahmspinat.» DieKleine überlegt und meint: «Also wennes viel davon gibt und ich es nicht gern-hab, dann nehme ich einfach wenig.»

Harte KonkurrenzWenn Pizza, Pasta und Geschnetzeltesauf dem Menuplan stehen, dann geht’sin der SV-Mensa an der KantonsschuleRychenberg jeweils rund. «Das sind dieHits, neben Schnitzel / Pommes fritesnatürlich», sagt Küchenchef Biber la-chend. Eintöpfe hingegen finden über-haupt keinen Anklang. «Gerade dieJüngeren wollen sehen, was sie essen.»Eine Salattheke sowie verschiedene ka-lorienreduzierte Angebote sollen dieSchüler zu einer ausgewogenen, gesun-den Ernährung animieren. Biber befin-det sich damit im täglichen Konkurrenz-kampf mit den Fast-Food-Gastrono-men, die im Winterthurer Stadtzentrummit Dumpingpreisen um die Gunst derjungen Kundschaft buhlen. «Die Kinderschauen aufs Geld, sie wollen satt wer-den, und es soll schnell gehen. Klar,nehme ich deshalb auch einmal einenBurger, eine Falafel oder einen Kebabauf den Speisezettel.»

Kebab-Stände undMcDonald’s-Filia-len sind auf dem Zugerberg inexistent.Aber der Küchenchef kocht deshalbnicht etwa ausser Konkurrenz. Hechen-berger formuliert es sachlich: «UnsereSchülerschaft ist international zusam-mengewürfelt und hat einenmannigfalti-gen Hintergrund bezüglich des Eltern-hauses. Entsprechend unterscheiden sichdie kulinarischen Ansprüche der jungenLeute.» Generell gelte: Ausser Meeres-früchten und pochiertem Fisch stossefast alles, was frisch zubereitet ist, aufGegenliebe. «Wissen Sie», sagt er undschnappt sich einen Muffin, «mit einemguten Essen habe ich hier schon mancheinen vom Heimweh geheilt.»

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«Schnitzel,Pommes-friteszieht bei denSchülernimmer.»

Stefan SiebenhaarSV (Schweiz) AG

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«Die Bereitschaft, sich gesund zu ernähren, ist gering»Ein Spezialist für Mensa-Gastronomie zur neuen Verpflegung an den Schulen

Herr Siebenhaar, was ist das A und Oeiner guten Kantinenverpflegung?Da wären wir schon bei etwas ganzGrundsätzlichem: Wir sprechen heutenicht mehr von Kantinen, sondern vonMensen und von Personalgastronomie.Das Wort «Kantine» wird nur allzu oftsehr abwertend verwendet – im Sinnevon «Kantinenfrass».

Also, neuer Versuch: Was sind die Eck-pfeiler einer zeitgemässen Mensenver-pflegung?Ein zentrales Element ist das Tempo.Die Pausen an den Schulen scheinenunseres Erachtens immer kürzer zuwerden. Entsprechend sind wir gehal-ten, in einem engen Zeitfenster einegrosse Zahl Menschen zu verpflegen.Das funktioniert nur, wenn die Prozessein der Küche, bei der Ausgabe und ander Kasse reibungslos vonstattengehen.Als Zweites spielt der Preis eine grosseRolle und natürlich der Angebotsmix.Sie können selbst einem noch so hungri-gen Jugendlichen nicht alle vierzehnTage das Gleiche auftischen. Ausser eshandelt sich um Schnitzel mit Pommesfrites, das zieht eigentlich immer.

Und wie sieht dieser Mix konkret aus?Hier an der Kantonsschule Rychenbergbeispielsweise haben die Schülerinnen

und Schüler jeden Mittag die Wahl zwi-schen mehr als zwanzig verschiedenenSpeisen. Das reicht vom Birchermüesliüber Sandwiches, Suppen und Salate bishin zum klassischen Tagesteller,Schweinsvoressen zum Beispiel oderein vegetarisches Curry.

Vorgefertigtes Convenience-Food, neh-me ich an.Überhaupt nicht. Wo und wann immermöglich werden die Produkte frisch zu-bereitet. Dass unser Personal nicht hun-dertzwanzig Kilo Kartoffeln spitzt, ver-steht sich von selbst. Das ist in denmeis-ten Gasthäusern auch nicht anders.Unser Augenmerk ist des Weitern klarauf die Vielfalt und die Ausgewogenheitinsgesamt gerichtet. Eine im Blickfelddes Gastes aufgestellte Salattheke etwasoll zur gesunden Ernährung animieren,zudem bieten wir auch Speisen an, diewenig Kalorien enthalten.

Sie sprechen also den ernährungsspezifi-schen Aspekt an.Genau. Viele Kinder und Jugendlichesind übergewichtig, weil sie sich im All-tag zu wenig bewegen und falsch ernäh-ren. Wir wollen diesem Trend mit be-wussten Aktionen entgegenwirken. Mitunserem Label «liveEasy» beispielswei-se setzen wir auf vitamin- und ballast-

stoffreiche Mahlzeiten, die nur ein Drit-tel des täglichen Kalorienbedarfs ab-decken. Zudem wird bei uns mit hoch-wertigen Fetten und Ölen gekocht, Salzfindet nur zurückhaltend Anwendung.

Trotzdem rümpfen Ernährungsberaterwie Konsumenten häufig die Nase, wenn

sie auf ihren letzten Besuch in einerMensa zu sprechen kommen.Das hat nicht immer direkt mit demEssen zu tun, sondern vielfach auch mitdem Interieur, das nicht überall gleichzeitgemäss ist. Aber klar, die Ansprü-che, welche an eine Mensa gestellt wer-den, sind wie erwähnt vielfältig: Dieeine will möglichst günstig essen, derandere möglichst schnell. Dem Drittengeht es hauptsächlich darum, dass ersatt ist, die Vierte wiederum will nichtzu viele Kalorien zu sich nehmen.

Und der Fünfte möchte ganz einfachseine Ruhe haben.Ganz genau. Und das sind erst diegrundlegendsten Bedürfnisse, denenwir logistisch wie kulinarisch zu entspre-chen haben. Hinzu kommen noch dieindividuellen Ansprüche, etwa solche,die mit der ethnischen Abstammungoder der religiösen Ausrichtung ver-knüpft sind, mit Allergien oder einerideologischen Einstellung. All dies un-ter einen Hut zu bringen, ist keine ein-fache Aufgabe.

Wie eruieren Sie die Vorlieben der Schü-lerinnen und Schüler?Die Küchenchefs der jeweiligen Men-sen sind in der Wahl der Menus grund-sätzlich frei. Sie erleben es ja stets anOrt und Stelle, was ankommt und wasnicht. Die direkten Reaktionen sindimmer die ehrlichsten und entspre-chend wichtig für die Ausarbeitung derMenupläne. Wir vom Management be-sprechen uns zudem im Durchschnittsechs- oder siebenmal pro Jahr mit denSchulleitungen. Statistische Gästebefra-gungen runden die Erhebungen ab.

Wie kommen Angebote zur gesundenErnährung an?Das Bedürfnis ist auch in den Mensenda, und die Schüler weisen ein hohes

Bewusstsein auf, was eine gesunde Er-nährung anbelangt. Die Bereitschaft,dieses Wissen im Alltag umzusetzen, isthingegen sehr gering. Das ist wohl weni-ger ein explizites Problem von Perso-nalgastronomie und Schule als eher einallgemeines der Gesellschaft und mit-unter vielleicht auch eines des Eltern-hauses.

Sie wollen also nicht mit gutem Beispielvorangehen?Doch, natürlich. Wir leisten tagtäglichunseren Beitrag zu einer gesunden undausgewogenen Ernährung. Die entspre-chenden Angebote werden entwickeltund attraktiv präsentiert. Jemandenzwingen, sie anzunehmen, können wirallerdings nicht. Die Jugendlichenschauen täglich ins Portemonnaie undfragen sich: Gehe ich heute zu McDo-nald’s, an einen Kebab-Stand oder indie Mensa? Als Mensa-Betreiber mö-gen wir ja vielleicht nicht das iPhone derGastronomie erfunden haben, zeitge-mäss mit unserem Angebot sind wirtrotzdem allemal.

Interview: Flavian Cajacob

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Stefan Siebenhaar ist COO und Geschäftsleitungs-mitglied der SV (Schweiz) AG. Die SV Group ist in derSchweiz, in Deutschland und Österreich im Catering, inder Gastronomie und im Hotelmanagement tätig.

Mittagessen in der Kantonsschule Rychenberg. 600 Schülerinnen und Schüler wollen in zwei Stunden verpflegt sein. KARIN HOFER / NZZ

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