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Spanen
Berend Denkena • Hans Kurt Tönshoff
Spanen
Grundlagen
3., bearb. u. erw. Aufl.
1 3
ISBN 978-3-642-19771-0 e-ISBN 978-3-642-19772-7DOI 10.1007/978-3-642-19772-7Springer Heidelberg Dordrecht London New York
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1995, 2004, 2011Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über-setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenver-arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
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Prof. Dr.-Ing. Berend DenkenaGottfried Wilhelm Leibniz Universität HannoverInstitut für Fertigungstechnik und WerkzeugmaschinenAn der Universität 230823 GarbsenDeutschlanddenkena@ifw.uni-hannover.de
Prof. em. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. mult. Dr. h.c Hans Kurt TönshoffGottfried Wilhelm Leibniz Universität HannoverInstitut für Fertigungstechnik und WerkzeugmaschinenAn der Universität 230823 GarbsenDeutschlandtoenshoff@ifw.uni-hannover.de
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Vorwort zur 3. Auflage
Seit 2003 hat sich auf dem Gebiet der Zerspanung – in der Forschung und auch in praktischen Anwendungen – Einiges getan. Wir hielten es daher für an der Zeit, eine 3. Auflage zu schreiben. Wir sind damit beim Springer Verlag sogleich auf Bereitschaft gestoßen. So legen wir Ihnen eine gründlich überarbeitete Auflage vor, die neuere wissenschaftliche Arbeiten des Instituts für Fertigungstechnik und Werk-zeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover ebenso wie technische Entwick-lungen der Praxis berücksichtigen will.
Ein eigenes Kapitel über Modellierung und Simulation wurde eingefügt, da in-zwischen vielfältige leistungsfähige Möglichkeiten existieren, Prozess- und Wirk-größen nicht nur in einer Momentaufnahme sondern auch auf der Grundlage von ki-nematischen oder Bewegungssimulationen, die an tatsächliche Bearbeitungsabläufe angepasst sind also den laufenden Prozess abbilden, zu bestimmen. Dem Leser zu ermöglichen, sich in den verschiedenen Ansätzen und ihren Grenzen zu Recht zu finden, ist Anliegen dieses Kapitels. Dr.-Ing. Böß hat mit mathematischer Kompe-tenz die Erarbeitung dieses neuen Teils weitgehend übernommen.
Auch neue Erkenntnisse über die Bedeutung der Mikrogeometrie des Schneid-keils auf das Verschleißverhalten eines Werkzeugs, auf den Kraft- und Leistungs-bedarf beim Spanen und nicht zuletzt auf die Randzonenbeeinflussung wurden he-reingenommen. Das Kapitel Oberflächeneigenschaften und Randzoneneigenschaf-ten wurde von Dr. rer.nat. Breidenstein auf den neuen Stand der messtechnischen Möglichkeiten gebracht.
Wertvolle Informationen über eben in die Anwendung eingeführten neuen Ver-fahren zum Abrichten von Schleifscheiben verdanken wir Prof. Dr.-Ing. T. Lierse und der Kaiser GmbH, Celle. Die Kapitel Kräfte und Leistungen, Räumen, Verzah-nungsschleifen; Prozesskettenauslegung und Kühlschmierung wurden überarbeitet. Wieder haben zahlreiche Mitarbeiter des Institutes geholfen, diese neue Auflage fertigzustellen. Wir danken besonders den Herrn Dr.-Ing. V. Böß, Dr. rer.nat. B. Breidenstein, Dipl.-Ing. J. Henjes, Dipl.-Math. A. Schindler und Dipl.-Ing. V. Sell-meier für ihre engagierte und kompetente Mitarbeit.
„Spanen – Grundlagen“ liegt nun in einer 3. Fassung vor. Für Anregungen und Korrekturen sind wir dankbar.
Hannover im Dezember 2010Berend Denkena
Hans Kurt Tönshoff
vii
Inhalt
1 Einführung in die Zerspantechnik ............................................................ 11.1 Wirtschaftliche Bedeutung ................................................................... 11.2 Gliederung ............................................................................................ 31.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen ................................... 41.4 Zerspanprozess als System ................................................................... 81.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren ............................. 91.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen ............................... 15 Fragen ............................................................................................................ 18Literatur ......................................................................................................... 19
2 Spanbildung ................................................................................................. 212.1 Spanbildungsarten ................................................................................ 212.2 Spanwurzeluntersuchungen .................................................................. 252.3 Scherebenenmodell .............................................................................. 29 Fragen ............................................................................................................ 35Literatur ......................................................................................................... 36
3 Spanformung ............................................................................................... 373.1 Spanraumzahl und Spanformklassen ................................................... 373.2 Spanleitung ........................................................................................... 393.3 Werkstoffeinfluss .................................................................................. 423.4 Einfluss der Schnittbedingungen .......................................................... 46 Fragen ............................................................................................................ 47Literatur ......................................................................................................... 49Weiterführende Literatur ................................................................................ 49
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen ......................................................... 514.1 Empirische Modelle ............................................................................. 524.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft ....................................... 614.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil ....................................................... 634.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik ...................................... 66
4.4.1 Theorie nach Ernst und Merchant ............................................ 66
viiiviii
4.4.2 Theorie nach Hucks .................................................................. 674.4.3 Fließkurven und Stoffgesetze ................................................... 69
4.5 Numerische Theorie ........................................................................... 714.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren ................................. 744.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen ................................................... 79 Fragen .......................................................................................................... 82Literatur ....................................................................................................... 84
5 Energieumsetzung und Temperaturen .................................................... 875.1 Umsetzungseffekte ............................................................................. 875.2 Wärmeabfuhr ...................................................................................... 905.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur ............................................. 93
5.3.1 Temperaturmessung ............................................................... 935.3.2 Temperaturfelder ..................................................................... 100
5.4 Schneidkeiloptimierung ..................................................................... 106 Fragen .......................................................................................................... 107Literatur ....................................................................................................... 108
6 Modellierung und Simulation .................................................................. 1096.1 Kinematische Simulation ................................................................... 110
6.1.1 Darstellung des Werkstücks ................................................... 1126.1.2 Werkzeugmodell ..................................................................... 1206.1.3 Ermittlung von Prozessgrößen ............................................... 121
6.2 Numerische Simulation nach FEM .................................................... 1256.3 Molekulardynamische Modellierung ................................................. 129Fragen .......................................................................................................... 132Literatur ....................................................................................................... 133
7 Verschleiß ................................................................................................... 1357.1 Verschleißformen ............................................................................... 1357.2 Beanspruchungen ............................................................................... 1387.3 Verschleißursachen ............................................................................. 1447.4 Standzeit ............................................................................................. 1487.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit ........................................... 1537.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß ................................................. 156
7.6.1 Werkstoffzusammensetzung ................................................... 1567.6.2 Schmelzenführung .................................................................. 1587.6.3 Wärmebehandlung ................................................................. 161
7.7 Schneidenverrundung ......................................................................... 161 Fragen .......................................................................................................... 164Literatur ....................................................................................................... 165
8 Schneidstoffe .............................................................................................. 1678.1 Anforderungen an Schneidstoffe ........................................................ 1678.2 Werkzeugstähle .................................................................................. 171
Inhalt
ixix
8.3 Schnellarbeitsstähle ............................................................................ 1718.4 Stellite ................................................................................................ 1748.5 Hartmetalle ......................................................................................... 1758.6 Cermets .............................................................................................. 1838.7 Schneidkeramik .................................................................................. 1858.8 Diamant .............................................................................................. 190
8.8.1 Monokristalliner Diamant ...................................................... 1918.8.2 Polykristalliner Diamant ........................................................ 191
8.9 Bornitrid ............................................................................................. 193 Fragen .......................................................................................................... 197Literatur ....................................................................................................... 198
9 Hochgeschwindigkeitsspanen ................................................................... 2019.1 Definition ........................................................................................... 2019.2 Spanbildung ........................................................................................ 2049.3 Anwendung ........................................................................................ 2069.4 Hochleistungszerspanung ................................................................... 2089.5 Hochleistungsbohren .......................................................................... 209 Fragen .......................................................................................................... 210Literatur ....................................................................................................... 211
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung ........................................................ 21310.1 Hartdrehen ........................................................................................ 21310.2 Hartbohren ........................................................................................ 22110.3 Hartfräsen ......................................................................................... 22210.4 Werkstoffe ........................................................................................ 22410.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur ............................................... 22510.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß ........................................... 231 Fragen .......................................................................................................... 232Literatur ....................................................................................................... 233
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität ............................................................ 23511.1 Makrogeometrische Abweichungen ................................................. 23511.2 Mikrogeometrische Eigenschaften ................................................... 23811.3 Physikalische Beeinflussung ............................................................ 23911.4 Wälzfestigkeit ................................................................................... 24211.5 Schwingfestigkeit ............................................................................. 24211.6 Dichtfähigkeit ................................................................................... 24411.7 Nachbehandlungsverfahren .............................................................. 245
11.7.1 Hartglattwalzen .................................................................. 245 11.7.2 Wasserstrahlen .................................................................... 247
Fragen .......................................................................................................... 248Literatur ....................................................................................................... 249
Inhalt
x
12 Räumen ...................................................................................................... 251 Fragen .......................................................................................................... 260Literatur ....................................................................................................... 260
13 Schleifen ................................................................................................... 26313.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden ........................ 26313.2 Schleifstoffe .................................................................................... 264
13.2.1 Korund .............................................................................. 26513.2.2 Siliziumkarbid .................................................................. 26813.2.3 Kubisch kristallines Bornitrid und Diamant ..................... 26813.2.4 Korngrößen von Schleifstoffen ........................................ 270
13.3 Bindung .......................................................................................... 27013.4 Schleifscheiben ............................................................................... 27313.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben ............................................ 27613.6 Schleifprozesse ............................................................................... 279
13.6.1 Eingangsgrößen ................................................................ 28013.6.2 Prozessgrößen ................................................................... 29113.6.3 Ausgangsgrößen ............................................................... 294
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen ......................................... 30113.7.1 Grundlagen ....................................................................... 30113.7.2 Konditionieren von konventionellen
Schleifwerkzeugen ........................................................... 30613.7.3 Konditionieren von hochharten Schleifscheiben .............. 308
13.8 Schleifkosten .................................................................................. 311 Fragen ........................................................................................................ 312Literatur ..................................................................................................... 313
14 Verzahnungsschleifen ............................................................................. 31714.1 Einleitung ....................................................................................... 31714.2 Diskontinuierliches Profilschleifen ................................................ 32214.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken .................. 32614.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen ......................................... 331 Fragen ........................................................................................................ 334Literatur ..................................................................................................... 335
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette ....................... 33915.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung ........................................ 33915.2 Prozessmodellbildung .................................................................... 34315.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“ ................... 34615.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“ ............. 34915.5 Prozessüberwachung ...................................................................... 356 Fragen ........................................................................................................ 360Literatur ..................................................................................................... 361
Inhalt
xi
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften ......................................... 36316.1 Oberflächeneigenschaften .............................................................. 364
16.1.1 Bestimmung von Oberflächeneigenschaften .................... 36516.2 Randzoneneigenschaften ................................................................ 369
16.2.1 Bestimmung von Randzoneneigenschaften ...................... 37016.2.2 Wirkung spanender Verfahren .......................................... 376
Fragen ........................................................................................................ 384Literatur ..................................................................................................... 384
17 Kühlschmierung ...................................................................................... 38717.1 Anforderungen ................................................................................ 38717.2 Kühlschmierstoffe .......................................................................... 389
17.2.1 Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe ....................... 38917.2.2 Wassermischbare Kühlschmierstoffe ................................ 39217.2.3 Additivierung von Kühlschmierstoffen ............................ 394
17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden ............................................... 397
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen ........................................ 39917.4.1 Methoden zur Bestimmung der Kühlschmierstoff-
wirkung beim Schleifen .................................................... 40217.4.2 Anwendungen und Wirkungen ......................................... 404
Fragen ........................................................................................................ 409Literatur ..................................................................................................... 410
18 Anhang ..................................................................................................... 413
Allgemeine Literatur ....................................................................................... 417
Sachverzeichnis ............................................................................................... 419
Inhalt
xiii
Formelzeichen und Abkürzungen
Formelzeichen
a Temperaturleitfähigkeit m2/sa Werkstückaufmaß mmA Spanungsquerschnitt mm2
Aφ Scherquerschnitt mm2
Ac rechnerische Kontaktfläche mm2
AD zerspante Stirnfläche beim Schleifen mm2
ae Arbeitseingriff, Schnittbreite mmAe wirkliche Kontaktfläche mm2
aed Arbeitseingriff beim Abrichten µmAg Kornquerschnitt im Eingriff mm2
Ak Kontaktfläche mm2
ap Schnittbreite, Schnitttiefe mmapd Eingriffsbreite beim Abrichten mmard radiale Abrichtzustellung mmAw Eingiffsquerschnitt mm2
Aw Zeitspanfläche, Flächenrate mm2/minaWZ Werkzeugbeschleunigung m/s2
b Spanungsbreite mmb Wärmeeindringkoeffizient W t1/2/m2
b Zahnradbreite mmb Spanbreite mmbL Spanleitstufenbreite mmbs Schleifscheibenbreite mmC Kornkonzentration -C Minutenschnittgeschwindigkeit m/minCµ Mittelwert der Minutenschnittgeschwindigkeit minc0 Gradient der Kornzahl mm-3
c1 Formzahl -cp Wärmekapzität J/(kg K)cx,y Federzahl in x,y-Richtung N/µm
xivxiv Formelzeichen und Abkürzungen
d als Index: Abrichtend Mittenkreisdurchmesser mmD Fräserdurchmesser mmd0 Mittenkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmda Außendurchmesser mmda Kopfkreisdurchmesser mmda0 Kopfkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmdb Grundkreisdurchmesser mmdf Fußkreisdurchmesser mmdf0 Fußkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmdFf Fuß-Formkreisdurchmesser mmdg Korndurchmesser mmdi Innendurchmesser mmdR Diamantabrichtrollendurchmesser mmds Schleifscheibendurchmesser mmdw Werkstückdurchmesser mmdy Durchmesser des Berührungspunktes mmE Elastizitätsmodul MPaE Gesamtstrahlungsintensität W/m2
ec spez. Schnittenergie J/mm3
eP0 Lückenweite des Stirnradbezugsprofils mmESλ Spektrale Strahlungsintensität W/m3
f Formabweichung µmf Vorschub mmF Kraft auf Eingriffsbreite bezogen N/mmfa Axialvorschub mmFa Aktivkraft NFc Schnittkraft NFc∞ asymptotische Schnittkraft NFcN Schnittnormalkraft NFcvar variable Schnittkraft Nfd Abrichtvorschub mmFd Drangkraft Nfe Eigenfrequenz HzFf Vorschubkraft NFmax maximale Zerspankraft NFn Normalkraft NF′n bezogene Normalkraft N/mmF′n KSS bezogene Flüssigkeitsnormalkraft N/mmFNγ Normalkraft a. d. Spanfläche NFNα Normalkraft a. d. Freifläche NFp Passivkraft Nfr radialer Vorschub µmFt Tangentialkraft N
xvFormelzeichen und Abkürzungen
F′t bez. Tangentialkraft N/mmfw Walzvorschub mmFw Walzkraft Nfz Vorschub je Schneide mmFz Zerspankraft NG Schleifverhältnis -h Spanungsdicke mmh Spandicke mmh0 Bezugsgröße Spanungsdicke mmha0 Kopfhöhe der Wälzschnecke mmhcu.max maximale Einzelkornspanungsdicke mmheq äquivalente Spanungsdicke µmhf0 Fußhöhe der Wälzschnecke mmHK Knoop-Härte -hkl Flächenindizes -hm Mittenspandicke, mittl. Spanungsdicke mmhmin Mindestspanungsdicke mmhr Abstand vom Wälzkreis mmHV Vickers-Härte -id Anzahl Abrichthübe -k Seebeck-Koeffizient V/Kk Taylorexponent -K Festigkeitsparameter MPaK Kolkzahl -kγ Reibenergie J/mm3
kφ Scherenergie J/mm3
kc spez. Schnittenergie N/mm2
kc spez. Schnittkraft, N/mm2
kc0 Bezugsgröße der spez. Schnittkraft N/mm2 kc1.1 Hauptwert der spez. Schnittkraft N/mm2
kel Federenergie J/mm3
kf Formänderungsfestigkeit MPakf spez. Vorschubkraft N/mm2
kf,p1.1 Hauptwert der spez. Vorschub-, Passivkraft N/mm2
ki bez. Zerspankraftkomponenten NKIc Bruchzähigkeit, Spannungsintensitätsfaktor N/mm2 ·
m1/2
KL Kontaktlänge mmkM Umlenkenergie J/mm3
KM Kolkmittenabstand mmKML Maschinenzeitsatz €/minkp spez. Passivkraft N/mm2
kT Trennenergie J/mm3
KT Kolktiefe mmKWZ Werkzeugkosten €
xvi
kγ Reibanteil der spez. Energie auf der Spanfläche N/mm2
kφ Umformanteil der spez. Energie N/mm2
l Länge mmL Wärmestrom Wlc Bohrweg mmlFZ Fräsweg pro Schneide mmLFZ Standweg pro Schneide mmlg geometrische Kontaktlänge mmlg.max maximale geometrische Kontaktlänge mmlk kinematische Kontaktlänge mmlk Kontaktbogen mmln ausgewerteter Teil der Messstrecke mmlP Profilausbildungslänge mmlr Einzelmessstrecke mmls Werkzeugteilung mmmc Anstiegswert der spez. Schnittkraft -mf,p Anstiegswert der spez. Vorschub-, Passivkraft -mn Normalmodul der Verzahnung mmmn0 Normalmodul der Wälzschnecke mmMx,y,z Momente im kartesischen Messsystem W/m2
NA Kornzahl je Fläche mm-2
nR Diamantabrichtrollendrehzahl min-1
ns Schleifscheibendrehzahl min-1
Nv Kornzahl eines Volumens mm-3
nw Werkstückdrehzahl min-1
p Druck MPaP Ausfallwahrscheinlichkei des Werkzeugs -P Spindelleistung WPα Reibleistung a. d. Freifläche WPγ Reibleistung a. d. Spanfläche WPφ Scherleistung WPφγ Scher- und Reibleistung a. d. Spanfläche WPc Schnittleistung WPch Leistungsanteil der Hauptschneide WPcq Leistungsanteil der Querschneide WPcvar variable Schnittleistung WPf Vorschubleistung WPL Leerlaufleistung Wpn0 Normalteilung der Wälzschnecke mmps Wasserstrahldruck MPaP′
v bez. Verlustleistung kW mm-1
pw Glattwalzdruck MPapxi Prioritätsfaktor -q Geschwindigkeitsverhältnis -
Formelzeichen und Abkürzungen
xvii
q Radiusverhältnis Bohren -Q bez. Radius -q. Wärmestromdichte W/m2
Q0 Wärmestrom Wqd Geschwindigkeitsverhältnis beim Abrichten -qi Teilwärmeströme J/sQKSS Kühlschmierstoffvolumenstrom l/minQ′
KSS bezogener Kühlschmierstoffvolumenstrom l/min · mmQSpan bez. Spanvolumen mm3/sQw Zeitspanvolumen (Volumenrate) mm3/sQ′w bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wl lokales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wm mittleres bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wmax maximales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wmin minimales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sr Radius mmR Krümmungsradius mmR Standzeitzuverlässigkeit -R Widerstand Ωrε Eckenradius mmr′ Biegeradius des Spans mmrε Schneideckenradius mmrβ Schneidkantenradius µmRa arith. Mittenrauwert µmrb Grundkreishalbmesser mmrc wirksamer Radius beim Bohren mmREK röntgenographische Elastizitätskonstanten 10-6 (N/
mm2)-1
req äquivalenter Radius mmrFa Kopfformkreishalbmesser mmrFf Fußformkreishalbmesser mmrh Radius der Hauptschneide mmri Vorbohrradius mmRm Zugfestigkeit N/mm2
Rmax maximale Rautiefe µros Wälzkreishalbmesser des Schleifrings mmrow Wälzkreishalbmesser des Zahnrads mmrPR Kantenradius der Diamantabrichtrolle mmrq Außenradius mmrq Radius der Querschneide mmrs Schleifscheibenradius mmRth theoretische Rautiefe µmRts Wirkrautiefe µm
Formelzeichen und Abkürzungen
xviii
rw Werkstückradius mmRz gemittelte Rautiefe µmRZ Spanraumzahl -∆s Zahnflankenaufmass mmSbr Sprengsicherheit -sc Lastverhältnis Bohren -sP0 Zahndicke des Stirnradbezugsprofils mmsRP Diamantprofilrollenbreite am Teilkreis mmt Momentenverhältnis Bohren -t Zeit sT Oberflächenspannung N/mT Standzeit minTµ Mittelwert der Standzeit mintc Schnittzeit mintL Spanleitstufentiefe mmtWZ Werkzeugwechselzeit minu Verschiebung mmU Spannung VUd Überdeckungsgrad -V Zerspanvolumen cm3
vφ Schergeschwindigkeit m/minvax axiale Schnittgeschwindigkeitskomponente m/sVb Bindungsvolumen mm3
VB Verschleißmarkenbreite µm, mmVBi Verschleißmarkenbreite im Bereich i = B, C, N µmvbr Bruchgeschwindigkeit m/svc Schnittgeschwindigkeit m/minvcd Schnittgeschwindigkeit beim Abrichten m/svctrans Übergangsschnittgeschwindigkeit m/minvd Abrichtrollengeschwindigkeit m/sve Wirkgeschwindigkeit m/minvf Vorschubgeschwindigkeit m/minvfd Abrichtvorschubgeschwindigkeit mm/minvfr radiale Vorschubgeschwindigkeit mm/minvft tangentiale Vorschubgeschwindigkeit m/minVg Kornvolumen mm3
Vge Volumen je Korn mm3
vgr radiale Schnittgeschwindigkeitskomponente m/svHG Grenzgeschwindigkeit m/minVp Porenvolumen mm3
vs Geschwindigkeit des Schleifringes m/svs Schleifgeschwindigkeit m/sVs Scheibenvolumen mm3
V′s tang. Komponente Schleifringgeschwindigkeit m/s
Formelzeichen und Abkürzungen
xix
vsp Spangeschwindigkeit m/minvw Walzgeschindigkeit m/minvw Werkstückdrehgeschwindigkeit mm/minV′w bezogenes Zerspanvolumen mm3/mmw Spanungslänge mmW′ Spanlänge mmx Profilverschiebung mmxi Normierte Zielgröße i -z Abstand von der Oberfläche µmz Schneidenzahl -z Zähnezahl des Zahnrads -z0 Gangzahl (Zähnezahl) der Wälzschnecke -zB Zahl der Bohrungen je Bauteil -zi maximaler Höhenwert µmzp Korneindringtiefe µmα Freiwinkel; Gradα Profilwinkel Gradαθ Temperaturkoeffizient 1/Kαn Normaleingriffswinkel Gradαn0 Normaleingriffswinkel der Wälzschnecke Gradαp Druckkoeffizient mm2/NαRP Diamantprofilrollenwinkel Gradβ Keilwinkel Gradβ Neigungswinkel Gradβ Schrägungswinkel der Verzahnung Gradβ0 Schrägungswinkel der Wälzschnecke Gradγ Spanwinkel Gradγ0 Mittensteigungswinkel der Wälzschnecke Gradγeff effektiver Spanwinkel Gradγh Spanwinkel der Hauptschneide Gradγq Spanwinkel der Querschneide GradγS Scherung -δ Drallwinkel (Bohrer) Gradδ Dicke der erwärmten Schicht mmδ Achskreuzungswinkel GradΔd Durchmesserfehler µmΔrs radialer Scheibenverschleiß µmδx Maßabweichung µΔx Bremsweg µmε bez. Fehler, Fräsen -ε bezogene Formänderung -ε Dehnung -•;. Formänderungsgeschwindigkeit s-1
εb Bruchdehnung -
Formelzeichen und Abkürzungen
xx
εD Stauchung -εR Randdehnung -εZ Dehnung -η Wirkrichtungswinkel Gradη Viskositätsfaktor MPa sΘ Temperatur °C, Kϑ Temperatur °C, K2° Beugungswinkel Gradκ Einstellwinkel Gradκeff effektiver Einstellwinkel Gradλ Formfaktor -λ Wärmeleitfähigkeit J/(Kms)Λ Wellenlänge nmλb Spanbreitenstauchung -λc Grenzwellenlänge µmλh Spandickenstauchung -λi Wärmeleitfähigkeit J/(K m s)λw Spanlängenstauchung -μ Reibwert -ν Querzahl -ρ Dichte g/cm3
ρ Reibwinkel Gradρs Dichte des Schleifstoffes g/mm3
ρs Dichte der Schleifscheibe g/mm3
σ Normalspannung MPaσ Spitzenwinkel (Bohrer) Gradσ Stefan-Boltzmann-Konstante W/(m2 K4)σ⊥ Eigenspannungs quer zur Schleifrichtung MPaσ|| Werkstückeigenspannung parallel zur
BearbeitungsrichtungN/mm2
σaD Dauerfestigkeit MPaσb Bruchspannung N/mm2
σiso isotherme Fließspannung MPaσlogT log. Standardabweichung der Standzeit -σr Radialspannung MPaσt Tangentialspannung MPaσΦ Eigenspannung in Richtung φ N/mm2
τ Eindringtiefe µmτ Schubspannung MPaτφ Scherspannung MPaφ Eingriffswinkel Gradφ Umformgrad, logarithm. Formände-
rungφ Vorschubrichtungswinkel Grad
Formelzeichen und Abkürzungen
xxi
Abkürzungen
AC Adaptive ControlASI Adaption, Substitution und IntegrationBN BornitridBY aus der Schmiedewärme abgekühltBY best yield strengthCAD Computer Aided DesignCAM Computer Aided ManufacturingCBN kubisch kristallines BornitridCNC numerische SteuerungCVD Chemical Vapor DepositionDLC Diamond Like CarbonDoE Design of ExperimentsDTI Design of Technological InterfacesEBSD Electron Back Scatter DiffractionELF explizite Lagrange’sche FormulierungEP Extreme PressureESU Elektroschlacke-UmschmelzverfahrenFEM Finite Elemente MethodeFEPA Vereinigung europ. SchleifmittelherstellerFGH functionally graded hardmetalHK Knoop HärteHM unbeschichtetes HartmetallHPC Hochleistungsspanen
φ Anstellwinkel zwischen Profilschleifscheibe und Wälzschnecke
Grad
•;. Formänderungsgeschwindigkeit s-1
Φ Scherwinkel Gradχ Verformungswinkel Gradψ Strukturwinkel Gradψ Neigungswinkel Gradψµ Einfluss Reibung -ψγ Einfluss Spanwinkel -ψ0 Einflussfunktion der spez. Schnittkraft -ψ1 Residuum der Einflussfunktion -ψv Einfluss Geschwindigkeit -ω Winkel im Mohrschen Spannungskreis Gradω Winkelgeschwindigkeit s-1
Ω Raumwinkel Gradωw Winkelgeschwindigkeit des Werkgrades rad/s
Formelzeichen und Abkürzungen
xxii
HRC RockwellhärteHSC HochgeschwindigkeitsspanenHSS SchnellarbeitsstahlHV Vickers-HärteILF implizite Lagrange’sche FormulierungIT ToleranzfeldKSS KühlschmierstoffMD Molecular DynamicsMMS MinimalmengenSchmierungODF Orientation Distribution FunctionOVF OrientierungsverteilungsfunktionPACVD Plasma assisted CVDPEK Prozess, Prozesskettenelement und ProzesskettePKB Polykristallines BornitridPKD Polykristalliner DiamantPM pulvermetallurgischPVD Physical Vapor DepositionREM RasterelektronenmikroskopRT RaumtemperaturSPC Statistical Process Control
Formelzeichen und Abkürzungen
1
1.1 Wirtschaftliche Bedeutung
Der industrielle Produktionsprozess wird entscheidend durch Fertigung und Mon-tage bestimmt; denn dort findet die reale Umsetzung geplanter Produkte durch die Herstellung von Teilen, Baugruppen und Aggregaten zu Erzeugnissen statt. Die Basis dieser Produktionsprozesse sind die Fertigungsverfahren, die sich nach DIN 8580 in sechs Hauptgruppen einteilen lassen [DEN10]. Spanende Verfahren sind Teil der Hauptgruppe Trennen. Sie werden hauptsächlich an metallischen Werkstof-fen eingesetzt und sind im Maschinen- und Fahrzeugbau, in der Luft- und Raum-fahrt, in der Geräte- und Antriebstechnik, in der Biomedizintechnik und in vielen anderen Produktbereichen wichtige Schritte im gesamten Produktionsprozess. Spa-nende Verfahren verfügen über ein unübertroffenes Spektrum an Möglichkeiten, Qualität, Mengenleistung und Formenvielfalt zu variieren. Vergleicht man sie mit benachbarten teilweise konkurrierenden Fertigungsverfahren wie dem Schmieden und dem Gießen, heben sie sich ab durch eine hohe Gestaltungs- und Formen-vielfalt sowie durch hohe Genauigkeit. In der Mengenleistung und Produktivität sind sie jedenfalls bei größeren Stückzahlen unterlegen. Da Spanen das Trennen von Spänen, also Stoffverlust bedeutet, sind sie unter dem Aspekt der Nachhaltig-keit im Sinne der Ressourcenschonung in Material und Energie eher unterlegen. Abbildung 1.1 gibt nur grob qualitativ einen Vergleich urformender, umformender und spanender Verfahren wieder.
Spanende Verfahren arbeiten im ISO-Qualitätsbereich von IT 2 bis IT 10. Sie werden in der Einzelfertigung von einem oder von wenigen Teilen (z. B. Herstel-lung von individuell angepassten Endoprothesen), in der Fertigung von kleinen und mittleren Serien (z. B. Triebwerksteile für Rennsportfahrzeuge und Flugzeugbau), in der Großserien- und in der Mengenfertigung (z. B. im Automobilbau) eingesetzt. Wegen ihrer spezifischen Eigenschaften sind sie häufig am Ende einer aus meh-reren oder vielen Fertigungsschritten bestehenden Arbeitsvorgangsfolge platziert. Daraus folgt eine besondere Anforderung an die Fertigungssicherheit, mit der spa-nende Verfahren bei finalen Arbeitsschritten arbeiten müssen. Allerdings ist – wie Abb. 1.1 andeutet – die Produktivität, gemessen als Mengenleistung, d.h. die Zahl der herstellbaren Teile je Zeiteinheit, verglichen mit umformenden und urformen-
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 1Einführung in die Zerspantechnik
2
den Verfahren meist erheblich geringer. Die Formenvielfalt ist kaum begrenzt. Da-bei ist besonders von Bedeutung, dass das Werkzeug nicht formgebunden ist, also nicht die Form des zu erzeugenden Werkstücks enthält, wie das bei Verfahren, die nach dem abformenden Prinzip arbeiten, der Fall ist, sondern dass die Form des Werkstücks durch die gesteuerte Bewegung zwischen Werkzeug und Werkstück er-zeugt wird (Abb. 1.2). Das bedeutet, dass die gesteuerte Bewegung eines spanen-den Werkzeugs direkt den Weginformationen eines Rechners entnommen und einer Werkzeugmaschine zugeführt werden kann. Das schafft eine hohe Flexibilität, d.h. die Fähigkeit, unterschiedliche Teile in ununterbrochener Folge bearbeiten zu kön-nen. Die Losgröße 1 in einem Auftrag ist so realisierbar.
Aber auch in der Serienfertigung wie dem Automobilbau ist die spanende Ferti-gung häufig von entscheidender Bedeutung, wie Abb. 1.3 zeigt.
Abb. 1.1 Vergleich einiger Fertigungsverfahren
Schmieden
Gießen
FormenQualität
Spanen
Mensch/UmweltProduktivität
Abb. 1.2 Formgebungsprinzipien
AbbildendesFormen
GesteuertesFormen
Werkzeug
Werkzeugbewegung
Werkzeugbewegung
Werkstück
Drehbewegung
Oberwerkzeug
Unterwerkzeug
Werkstück
Tö/18783 IFW
1 Einführung in die Zerspantechnik
3
1.2 Gliederung
Spanen ist Fertigen durch Stofftrennen. Von einem Rohteil/Werkstück werden durch eine (beim Drehen), mehrere (beim Fräsen) oder viele (beim Schleifen) Schneiden eines Werkzeugs Stoffteile in Form von Spänen mechanisch getrennt. Beim Spanen mit geo-metrisch bestimmten Schneiden sind die Schneidenanzahl, die Form der Schneidkeile und ihre Lage zum Werkstück bekannt und beschreibbar (Abb. 1.4). Beim Spanen mit
Abb. 1.3 Herstellkostenstruktur einiger Triebwerksbauteile [TÖN10]
Pleuel Achsschenkel Getriebewelle
Ck45 41Cr4 20MoCr4
67%
42%
30%
57%
25%
100%
18%28%
11%
22%
mechanischeBearbeitung
Umformung
Material
Fertiggewicht
Schmiedegewicht
0,87 kg
1,24 kg
3,87 kg
5,00 kg
1,62 kg
2,19 kg
1.2 Gliederung
Abb. 1.4 Fertigungsverfahren: Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden (nach DIN 8589-0)
SonstigeVerfahren:
FräsenBohrenSenkenReiben
Drehen
Werkstück
Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide
Werkzeug
Werk-zeug
Werk-stück Werkstück
Werkzeug Hobeln, StoßenRäumenSägenFeilen, RaspelnBürstspanenSchaben,Meißeln
4
geometrisch unbestimmten Schneiden lassen sich dagegen nur statistische Kenngrößen über die geometrische Ausbildung des Schneidenhaufwerks angeben.
Einordnung und Gliederung der spanenden Verfahren sind in der DIN 8589-0 festgelegt. Die Gruppen Spanen mit geometrisch bestimmten und unbestimmten Schneiden werden dort in einer Dezimalklassifikation in Untergruppen entspre-chend den Verfahren (3. Stelle: z. B. Drehen, Fräsen usw.) und weiter
• Nach der zu erzeugenden Fläche (4. Stelle: Plan-, Rund-, Schraub-, Wälz-, Pro-fil-, Form-),
• Nach der Richtung der Vorschubbewegung (5. Stelle: Quer-, Längs-) oder nach Werkzeugmerkmalen und
• Nach der Lage der erzeugten Fläche (6. Stelle: Außen-, Innen-) untergliedert.
Abbildung 1.5 zeigt typische Beispiele von Drehverfahren.
1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen
Beim Spanen dringt der Schneidkeil in den Werkstoff (Stoff des Werkstücks) ein. Die Relativbewegung zwischen den Wirkpartnern lässt sich durch die Schnittbewe-gung mit der Geschwindigkeit vc und die Vorschubbewegung mit der Geschwindig-keit vf beschreiben (Abb. 1.61). Durch Schnitttiefe und Vorschubgeschwindigkeit wird der Spanungsquerschnitt A bestimmt.
1 Geschwindigkeitspfeile werden unabhängig von der in der Werkzeugmaschine realisierten Rich-tung so angezeichnet, als wenn das Werkstück fest steht und das Werkzeug die Bewegung ausführt. In den meisten Drehprozessen – durchaus nicht in allen – führt das Werkstück die Drehbewegung und das Werkzeug die Vorschubbewegung aus.
Abb. 1.5 Drehverfahren (nach DIN 8589-1)
WST: Werkstück WZ: Werkzeug Vorschubrichtung Drehrichtung
WZ
WST
Runddrehen
WZ
WST
Abstechdrehen
Gewindedrehen
WZ
WST
ProfildrehenWST-Kontur im WZabgebildet
WZ
WST
Formdrehen
WZ
WST
% 2345
N10 x.. z F
z
x
WZ
WST
Plandrehen
Drehen
:
:
1 Einführung in die Zerspantechnik
5
Vorschub- und Schnittgeschwindigkeitsvektor spannen die Arbeitsebene auf (Abb. 1.7). Die vektorielle Summe aus Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit ist die Wirkgeschwindigkeit ve. Schnitt- und Wirkgeschwindigkeit schließen den Wirkrichtungswinkel ein, Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit den Vorschub-richtungswinkel . und sind beim Drehen und Bohren (bei allen Verfahren mit schraubiger oder gerader Wirkbewegung) konstant ( = 90°), beim Fräsen, Kreis-sägen und Schleifen (bei allen Verfahren mit zykloidischer Wirkbewegung) sind sie zeitlich veränderlich.
Abb. 1.6 Bewegungen beim Spanen
Schnittbewegung
Werkstück
vc
vfnw
apVorschubbewegung
Schnitttiefe
Werkzeug
1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen
Abb. 1.7 Wirkrichtung in der Arbeitsebene beim Runddrehen und Umfangsfräsen
Drehen
Arbeitsebene
Werkzeug
tan =
vc = Schnittgeschwindigkeitve = Wirkgeschwindigkeitvf = Vorschudgeschwindigkeit
vevc
ArbeitsebeneFräsen
Werkzeug
n
vfvf
Werkstück(raumfest)
vcve
Werkstück(raumfest) sin
vc / vf + cos
WirkrichtungswinkelVorschubrichtungswinkel
6
Am Schneidkeil sind in der Keilmessebene (Ebene senkrecht auf Bezugsebe-ne und Schneidenebene) der Freiwinkel ( > 0 unverzichtbar), der Spanwinkel ( > 0, wenn Meißelspitze vorläuft) und der Keilwinkel = 90° – ( + ) mess-bar. In der Schneidenebene wird der Neigungswinkel ( > 0, wenn Meißelspitze vorläuft) gemessen. In der Bezugsebene sind der Einstellwinkel κ und der Ecken-winkel definiert. Die Schneidkeilrundung wird in der Keilmessebene mit dem Kantenradius r und der Eckenradius r in der Bezugsebene gemessen (Abb. 1.8)2.
Bei Verfahren, bei denen der Vorschubrichtungswinkel = 90° konstant ist (Dre-hen, Bohren, Räumen), das sind alle Verfahren mit gerader, schraubiger oder spira-liger Wirkbewegung, ergibt sich das Zeitspanvolumen (oder die Volumenrate) Qw, das ist das je Zeiteinheit abgespante Volumen, also die Volumenrate oder auch das Zeitspanvolumen, zu
(1.1)
bei Verfahren mit zeitlich veränderlichem Vorschubrichtungswinkel (Fräsen, Schleifen, Kreissägen) zu
(1.2)
Es wird überraschen, dass nach Gl. 1.1 für das Drehen die Schnittgeschwindig-keit, für das Fräsen dagegen nach Gl. 1.2 die Vorschubgeschwindigkeit in die Be-rechnung der Volumenrate eingehen. An Hand der Abb. 1.8 sei erklärt, dass das Drehen als ein Sonderfall des Fräsens aufgefasst werden kann und dass dann die Schnittbewegung bei feststehendem Werkzeug tatsächlich eine Vorschubbewegung ist (Abb. 1.9).
Der Spanungsquerschnitt A lässt sich in zwei Größensystemen angeben: in Ko-ordinaten, die aus den Bewegungen zwischen Werkzeug und Werkstück abgeleitet sind, das sind die Eingriffsgrößen ap (Eingriffsbreite) und ae (Arbeitseingriff) in
2 Zur Verdeutlichung wurden die Geschwindigkeitspfeile ausnahmsweise dem Werkstück zuge-ordnet
Qw = ap · f · vc,
Qw = ap · ae · vf .
Abb. 1.8 Drehen als Sonder-fall des Fräsens
Werkstück
vfF
vcF
Werkzeug
Fräsen : vcF >> vfF
Drehen: vcD = vfF
vcF = 0
1 Einführung in die Zerspantechnik
7
der Praxis als Zustellung ap und als Vorschub f = ae bezeichnet oder in den Größen, die für die Kennzeichnung des Spanbildungsvorgangs wesentlich sind; das sind die Spanungsgrößen b und h (Abb. 1.10). Der Vorschub folgt aus der Werkstückdreh-zahl nw
(1.3)
Die Schnittgeschwindigkeit vc wird üblicherweise für den maximalen Kontakt-durchmesser 2rmax angegeben:
(1.4)
f =vf
nw.
vc = 2π · rmax · nw.
Abb. 1.9 Bezeichnung am Drehwerkzeug (nach DIN 6580 und 6581 bzw. ISO 3002-1 und 3002-3)
Spanfläche
Hauptschneide
Hauptfreifläche
Schneidenecke
Vorschub-richtung
Neben-schneide
Neben-freifläche
Vorschub-richtung
κ Z
A
Bvf ε
Keilmess-ebene
Freifläche
Schneiden-ebene
SpanflächevC
ßα
γ
+
Schnitt A - B.
Bezugs-ebene
Ansicht Z
vC
+λ
Bezugsebene
–
–
1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen
Abb. 1.10 Drehen: Schnitt- und Spanungsgrößen
Werkstück
A = ap f = b · hh = f · sinκb = ap/sinκ
apb
hκ
vf
hκ
bf
Werkzeug
f
A = Spanungsquerschnittap = Schnittiefef = Vorschubb = Spanungsbreiteh = Spanungsdickeκ = Einstellwinkel
rmax
0/09020 IFW
8
1.4 Zerspanprozess als System
Im systemtechnischen Sinne lässt sich der Zerspanprozess als „black box“ darstel-len, in den Eingangsoperanden hinein- und aus dem Ausgangsoperanden heraus-führen (Abb. 1.11). Die Eingangsoperanden lassen sich nach System- und Stell-größenunterscheiden. Systemgrößen beschreiben die Bedingungen des Prozesses, die unveränderlich oder jedenfalls über längere Zeit invariant sind. Sie sind von der Maschine (statische und dynamische Steifigkeit, Temperaturgang), dem Werk-stück (Festigkeit, Vorform, chemische Zusammensetzung, Gefügezustand) und dem Werkzeug (Stoff, Form, mechanische Eigenschaften) abhängig.
Stellgrößen werden in der Regel mit jedem Werkstück oder jedem Auftrag ma-nuell oder aus einem Programmspeicher abgerufen und verändert. Dazu gehören die Drehzahlen oder Schnittgeschwindigkeiten, die Vorschübe oder Vorschubge-schwindigkeiten und der Arbeitseingriff oder die Zustellung des Werkzeugs gegen-über dem Werkstück. Weiterhin können zu den einzustellenden Eigenschaften oder Größen die Zufuhr von Kühlschmierstoff oder auch die Spannkraft, mit der ein Werkstück gehalten wird, gehören.
Die Ausgangsoperanden bestehen aus den Prozess- und Wirkgrößen. Prozess-größen wie Zerspankräfte, Leistungen, Temperaturen in der Spanbildungszone, Schwingungen, die durch den Prozess verursacht sind, und akustische Emissio-nen, sind nur während des Prozesses wahrnehmbar. Sie können zur Überwachung oder Diagnose des Prozesses genutzt werden [TÖN01]. Wirkgrößen lassen sich am Werkstück (Maß-, Form- und Lageabweichungen, Mikrogeometrie, Randzonenbe-einflussung), am Werkzeug (Verschleiß), an der Maschine (Erwärmung, Verschleiß) und an den Hilfsstoffen (Erwärmung, Verunreinigung und chemische Veränderun-gen) ablesen.
Abb. 1.11 Zerspanprozess als System
Eingangsoperanden Ausgangsoperanden
Prozess
Systemgrößen Stellgrößen
MaschineWerkzeugSpannsystemWerkstoffRohteilform
Schnitt-geschwindigkeit
Vorschub-geschwindigkeit
ArbeitseingriffKühlschmierstoff
Prozessgrößen Wirkgrößen
Kräfte, LeistungenTemperaturenSchwingungenAkustischeEmissionen
Maße, Formendes Werkstücks
RauheitenRandzonen-beeinflussung
WerkzeugverschleißMaschinen-veränderungen
1 Einführung in die Zerspantechnik
9
Die Eingangsoperanden werden durch den Prozess in Ausgangsoperanden über-führt. Der Vergleich von Eingangs- und Ausgangsoperanden kennzeichnet das Übertragungsverhalten des Prozesses. Zur Bewertung eines Prozesses sind vier Kriterien eingeführt:
• Zerspankraft,• Verschleiß des Werkzeugs,• Oberflächenausbildung des Werkstücks,• Spanform.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Eingangsgrößen vorgegeben sind, dass also die Haupttechnologie und die Mengenleistung (z. B. die Volumenrate) über das Verfahren, die Maschine und die Steuerung ihrer Bewegungen bestimmt sind [TÖN01a].
Die Zerspankräfte sind von Bedeutung für
• Die Auslegung der Maschinenantriebe,• Die Gestellauslegung bzw. die Gestellverformungen,• Den Energie- und Leistungsbedarf,• Die elastischen Verformungen von Werkstück und Werkzeug,• Die notwendigen Werkstück- und Werkzeugspannungen.
Der Verschleiß des Werkzeugs bestimmt wesentlich die Wirtschaftlichkeit des Pro-zesses. Die Abweichung der Oberflächenausbildung von der im Prozess angestreb-ten Idealform (Maß, Form, Lage, Rauheit, physikalische Randzoneneigenschaft) kennzeichnet die Werkstückqualität. Die Spanform ist wichtig für die Werkzeug-konstruktion (Spanlücken), für die Gestaltung des Arbeitsraumes der Maschine und für einen ungestörten Prozessablauf (Beitrag zur Prozesssicherheit).
1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren
Das Bohren ist ein spanendes Verfahren mit drehender Schnittbewegung. Abbildung 1.12 zeigt gebräuchliche Bohrverfahren. Die Werkzeuge haben meist eine komplexe Gestalt. Grundsätzlich weist das Bohren einige Merkmale auf, die bei seiner Anwendung kritisch sein können. Diese sind:
• Die Schnittgeschwindigkeit ist über dem Radius veränderlich, sie ist nämlich dem Radius eines Schneidenpunktes proportional. Sie ist auf der Drehachse also null. Hier kann kein Schneiden auftreten. Das hat Folgen für den Kraft- und Mo-mentenbedarf.
• Aus dem Bohrloch müssen Späne transportiert werden. Der Transportweg nimmt mit der Bohrlochtiefe zu, womit Probleme in der Späneabfuhr auftreten können (Entspänen).
• Zufuhr von flüssigen Kühlschmierstoffen wird mit zunehmender Bohrtiefe kriti-scher, was besondere Maßnahmen erfordern kann (Innenkühlschmierung).
• Bohrwerkzeuge sind maßgebunden. Der Bordurchmesser lässt sich also nicht über die Steuerung verändern.
1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren
10
Am Beispiel des Bohrens seien technologische Kenngrößen als bestimmende Ein-stellgrößen erläutert: Diese sind die Schnittgeschwindigkeit vc und der Vorschub je Schneide fz. Sie sind jede durch eine charakteristische Prozessgrenze determiniert. Die Schnittgeschwindigkeit wird durch die thermische Belastung und damit das Verschleißverhalten des Werkzeugs, der Vorschub je Schneide durch die mechani-sche Beanspruchung begrenzt. Aus diesen Kenngrößen folgen dann die abgeleiteten Einstellgrößen wie die Drehzahl nw mit dem Bohrerradius r
(1.5)
und die Vorschubgeschwindigkeit vf mit der Schneidenzahl des Bohrers
(1.6)
Zum Einbohren oder Bohren ins Volle wird meist ein Spiralbohrer (Wendelbohrer) mit z = 2 verwendet. Das Zeitspanvolumen beim Vollbohren ist
(1.7)
worin der Vorschub f des Bohrers ist
(1.8)
Der Spiralbohrer besteht aus Schaft (zylindrisch oder kegelig) und Schneidteil. Abbildung 1.13 gibt Bezeichnungen des Bohrers, die Eingriffsgrößen und die Win-kel am Schneidkeil wieder. Über den Schaft wird der Bohrer eingespannt und ge-führt. Der Schaft dient insbesondere der Drehmomenteinleitung. Der Schneidkeil
nw = vc/(2 · π · r)
vf = z · fz · nw
Qw =1
2· r · f · vc
f = z · fz
Abb. 1.12 Bohrverfahren (nach DIN 8589-2)
Bohren
Kernbohren Gewindebohren Reiben
EinbohrenBohren ins Volle Aufbohren Senken Zentrierbohren
Zentrier-bohrer
Profil-senker
Spiral-bohrer
Spiral-senkerDrei-schneider
Kern-bohrer
Gewinde-bohrer
Maschinen-reibahle
1 Einführung in die Zerspantechnik
11
weist eine komplexe Geometrie auf, über die ein Bohrer an die jeweilige Bearbei-tungsaufgabe angepasst werden kann. Das Profil des Spiralbohrers soll einerseits große Spannuten aufweisen, um dem Spantransport genügend Raum zu lassen. Andererseits muss der Bohrer ausreichend torsionssteif (polares Trägheitsmoment) und torsionsfest (Widerstandsmoment) sein. Der Drallwinkel δ der Spannuten (Stei-gungswinkel der Nuten) beeinflusst den Spantransport und bestimmt gleichzeitig den Spanwinkel des Schneidteils.
Der Spanwinkel am Bohrer ist für das Verformungsgeschehen und für die Kräfte am Schneidkeil wesentlich. Es muss zwischen dem Spanwinkel an der Querschnei-de q, der ohne weiteres aus geometrischen Gründen stark negativ ist, und dem Spanwinkel an der Hauptschneide h unterschieden werden (Abb. 1.14).
In der Nähe des Bohrerzentrums ist q = −/2. Im weiteren Verlauf der Quer-schneide nimmt er geringfügig zu, bleibt aber im Bereich von
(1.9)
Der Spanwinkel an der Hauptschneide entspricht außen (r = ra) dem Drallwinkel korrigiert um den Spitzenwinkel .
(1.10)
Nach Innen verändert er sich mit dem Radius (Abb. 1.10) zu
(1.11)
−σ
2≤ γq ≤ −
(1 −
rq
ra
)·σ
2.
γh(r = ra) = arctantan δ
sin σ/2.
γh = arctan(
r
ra
tan δ
sin σ/2
).
Abb. 1.13 Bezeichnungen und Wirkungsweise des Spiralbohrers (nach DIN8589-2)
Querschneide
Spannut
Fase derNebenfreifläche
Fasenbreite
Schneidenecke
HauptfreiflächeWerkzeugachse
Hauptschneide
Nebenschneide
Stegbreite
Nebenfreifläche
Fase der Neben-freifläche
Kern
Spanfläche
σ
Werkzeug
n
2raWerkstück
vc
ve vf
η ϕ
δ
326/10187c IFW 8894
1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren
12
Ein Schliff durch die Spanbildungszone vor den Bohrerschneiden zeigt in Abb. 1.15 den stark veränderlichen Spanwinkel entlang dem Bohrerradius.
Der Anschliff eines Spiralbohrers ist für die Schneidfähigkeit von großer Be-deutung, denn durch ihn wird der Freiwinkel bestimmt. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verhältnis von Vorschub- zu Schnittgeschwindigkeit und damit der
Abb. 1.14 Spanwinkel am Bohrer
ra
0h
Steigung der Bohrernut
Vereinfachung: τ = 0
rq
rqr Bezugs-ebene Keilmess-
ebene
Schneiden-ebene
90°2
–
γq
γh
γ'h
γ'h
γ'h
γ'h
τ
2π ra
2π r
2π rq
σ
σ
Abb. 1.15 Spanbildung beim Bohren ins Volle
0,051 mm Radius 0,076 mm Radius
Quer-schneide
0,025 mm Radius 6,1 mm Radius
Haupt-schneide
0,13 mm Radius 3,6 mm Radius
1 Einführung in die Zerspantechnik
13
Wirkrichtungswinkel entlang der Schneiden mit dem Radius des Bohrers ändert (s. Abb. 1.14).
Wie in Abschn. 6.1 abgeleitet wird, muss der Freiwinkel eines Schneidkeils mit diesem Geschwindigkeitsverhältnis allein aus kinematischen Gründen steigen, um ein Drücken zu verhindern. Wegen der um den Einstellwinkel κ = –/2 geneigten Schneide gilt ohne Berücksichtigung von elastischen Abplattungen ein Mindest-freiwinkel min
(1.12)
wobei angenommen wurde, dass die Schneide nicht voreilt ( = 0).Umgekehrt lässt sich unter der Vorgabe eines minimalen Freiwinkels am Radius
des Kerns rq ein bezogener Grenzvorschub fgr/2ra ermitteln
(1.13)
Mit üblichen Werten ( = 118°, rq/ra = 0,2) und unter Annahme von min = 2° ergibt sich fgr/2ra = 0,026. Mit Rücksicht auf Abplattung und Verschleiß sollte höchstens die Hälfte dieses Wertes genutzt werden.
Der Anschliff eines Bohrers wird unter verschiedenen Kriterien ausgeführt:
• Der Bohrer soll ausreichende Zentriereigenschaften besitzen.• Es muss ein ausreichender Freiwinkel über der gesamten Schneidenlänge er-
reicht werden.• Der Schneidkeil soll andererseits möglichst stabil sein.• Die Querschneide soll wegen der ungünstigen Spanbildungsvorgänge möglichst
kurz sein.
Am weitesten verbreitet bei Spiralbohrern aus Schnellarbeitsstahl ist der Kegel-mantelschliff. Dazu wird der Bohrer gegenüber einer Schleiffläche um eine gegen seine Mittelachse gekippte Achse (Kippwinkel z. B. 20°) geschwenkt. Die Frei-fläche ist damit Teil eines Kegelmantels. Der Freiwinkel nimmt gegen die Bohrer-achse zu. Der Kegelmantelschliff lässt sich einfach kinematisch auf Spitzenschleif-maschinen erzeugen.
Daneben gibt es eine Reihe von Sonderanschliffen, die teilweise genormt (DIN 1412), teilweise herstellerspezifisch sind. Je nach Anwendungsfall wird da-bei eines der vorn angegebenen Kriterien besonders betont. Abbildung 1.16 zeigt Sonderanschliffe.
In Form A wird die Querschneidenlänge durch Ausspitzen etwa halbiert, wobei die Form der Ausspitzung dem Nutenprofil angepasst sein muss. Mit der verkürzten Querschneide lassen sich die Vorschubkräfte wesentlich herabsetzen, das Drehmo-ment wird dagegen kaum beeinflusst.
Nach Form B wird zusätzlich eine Spanwinkelkorrektur an den Hauptschnei-den vorgenommen. Damit ist die Bindung des Spanwinkels an den Drallwinkel der
tan αmin =vf
vc
· sinσ
2=
f · sin σ2
2π · r,
fgr
2ra=
π · tan αmin
sin σ2
·rq
ra.
1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren
14
Nut gelöst. Derartige Korrekturen können die Stabilität der Schneiden erhöhen und Spanformen günstig beeinflussen.
Der Kreuzanschliff nach Form C kann als besondere Art der Ausspitzung aufge-fasst werden. Die Querschneidenlänge wird auf etwa 6 % des Außenradius verrin-gert. Damit lassen sich an der Querschneide sogar positive Spanwinkel erreichen.
Beim Aufbohren und Senken wird eine Vorbohrung erweitert. Da keine Mitte mehr vorhanden ist, besteht die Schwierigkeit, das Werkzeug koaxial zu führen. Die Werkzeuge sind daher meist drei- oder mehrschneidig. Der Spänetransport ist jedoch einfacher als beim Bohren ins Volle. Daher werden Bohrungen mit großem Durchmesser häufig mit einem kleineren Spiralbohrer vorgebohrt und dann in einer oder mehr Stufen auf den Nenndurchmesser erweitert. Diese Vorgehensweise ist auch dann angesagt, wenn die zulässige Vorschubkraft und/oder das zulässige Dreh-moment einer Maschine nicht für das Bohren in einem Zug ausreichen. Das Zeit-spanvolumen beim Aufbohren ist mit dem Innenradius ri
(1.14)
Zentrierbohren ist erforderlich, wenn in ungünstige (raue, unebene oder geneigte Flächen) Oberflächen Bohrungen eingebracht werden sollen. Bei sehr steifer Füh-rung des Bohrers (kurze Einspannung des Bohrers, steife Spindel) oder bei Anwen-dung von Bohrbuchsen kann auf das Zentrieren verzichtet werden.
Kernbohren wird für große Bohrdurchmesser eingesetzt; denn dabei wird nicht das gesamte Material der Bohrung sondern nur ein Ring zerspant, was geringeres Drehmoment und geringere Leistung erfordert. Kernbohren setzt Durchgangsboh-rungen voraus.
Qw =1
2·(
r −ri
2
r
)· f · vc
Abb. 1.16 Anschliffformen gebräuchlicher Spitzenanschliffe (nach DIN 1412)
Form A Form B
Form C Form D
Ausgespitzte Querschneidemit korrigierte Hauptschneide
Ausgespitzte Querschneidemit facettierten Schneidenecken
Ausgespitzte Querschneide
Kreuzanschliff
1 Einführung in die Zerspantechnik
15
Gewindebohren erzeugt Innengewinde. Gewindebohrer müssen mit dem der Steigung entsprechenden Vorschub gefahren werden. Das kann bei maschineller Fertigung durch exakte Führung in einer NC-Maschine oder nach dem Anschneiden durch ein Ausgleichsfutter geschehen. Beim Gewindebohren muss die Drehrich-tung zum Herausfahren umgekehrt werden. Auf Mehrspindel-Stangendrehautoma-ten müssen dazu besondere Vorrichtungen (Abkoppeln der Spindel und Drehrich-tungsumkehr oder Überholspindel auf der Werkzeugseite) vorhanden sein. Große Innengewinde können durch Profildrehen in mehreren Durchgängen, durch das Strehlen, erzeugt werden. Dann erübrigt sich eine Drehrichtungsumkehr zum Her-ausfahren. Auch mit steuerbaren kollabierenden Gewindebohrern (collapsible tap) kann so gefahren werden.
Reiben ist ein Feinbearbeitungsverfahren, das dem Aufbohren mit mehrschnei-digen Werkzeugen bei geringer Schnitttiefe entspricht. Es dient dazu, maß- und formgenaue Bohrungen herzustellen. Die Lagegenauigkeit kann nicht beeinflusst werden. Toleranzbreiten von IT 7 – bei höherem Aufwand auch IT 6 – sind erreich-bar. Rautiefen liegen im Bereich von Rz = 5 µm. Bei konventionellen Reibahlen aus Schnellarbeitsstahl wird mit geringen Schnittgeschwindigkeiten von 10 bis 20 m/min und geringen Vorschüben von 0,08 bis 1,25 mm gearbeitet. In getaktet automatisier-ten Anlagen ist diese Art des Reibens in der Regel stark Taktzeit bestimmend. Daher wurden alternative Verfahren und Werkzeuge entwickelt.
1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen
Beim Fräsen wird die notwendige Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück durch eine kreisförmige Schnittbewegung des Werkzeugs und eine senk-recht oder schräg zur Drehachse des Werkzeugs verlaufende Vorschubbewegung erzielt. Die Vorschubbewegung kann vom Werkzeug oder Werkstück oder kombi-niert von beiden ausgeführt werden. Die Schneide ist nicht ständig im Eingriff. Vor-schub- und Wirkrichtungswinkel sind während des Eingriffs zeitlich veränderlich (s. Abschn. 1.3). Abbildung 1.17 zeigt die wichtigsten Fräsverfahren. Diese sind nach der Herstellung verschiedener Formen geordnet, die durch die Vorschubbe-wegung bestimmt sind. Beim Stirnfräsen steht die Drehachse des Werkzeugs senk-recht aus der erzeugten Fläche, beim Umfangsfräsen liegt sie parallel dazu. Das Umfangs-Stirnfräsen ist die Kombination beider Verfahren, bei der zwei senkrecht zueinander stehende Flächen erzeugt werden. Das Schraubfräsen und das Wälzfrä-sen erzeugen Funktionsflächen, die schraubig oder Evolventen förmig ausgebildet sind. Das Profilfräsen überträgt die Werkzeugform auf das Werkstück; es ist also form- und maßgebunden. Die breiteste Formenvielfalt lässt sich mit dem Form-fräsen erreichen, die allerdings abhängig ist von den in einer Fräsmaschine verfüg-baren gesteuerten Vorschubachsen. Eine Fräsmaschine hat meist drei geradlinige Vorschubachsen, die bei üblicher numerischer Steuerung simultan und abhängig von einander gesteuert werden können (Bahnsteuerung). Damit lassen sich dann beliebige räumliche Bahnen mit dem Werkzeug fahren. In speziellen Maschinen
1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen
16
werden den drei geradlinigen Vorschubachsen noch zwei Drehachsen zugefügt (Fünf-Achsen-Fräsen) womit dann in jedem Punkt der Bahn der Drehvektor der Fräserachse eine beliebige Richtung annehmen kann.
Wenn die Produktivität eines Fräsprozesses beim Schruppen betrachtet wird, wenn es also darauf ankommt möglichst rasch größere Volumina vom Werkstück zu trennen, zählt die Volumenrate (Zeitspanvolumen Qw):
(1.15)
Wenn eine möglichst große Fläche beim Schlichten bearbeitet werden soll, wird die Produktivität durch die Flächenrate (Zeitspanfläche) Aw bestimmt (gilt für das Stirnfräsen, für das Umfangsfräsen wird in Formel (1.16) ae gegen ap vertauscht)
(1.16)
Prinzip bedingt ist jede Schneide eines Fräsers maximal 180° oder weniger im Ein-griff, d.h. der Schnitt ist unterbrochen. Es entstehen dabei kommaförmige Späne. Die Eingriffsgrößen sind vom Eingriffswinkel abhängig (Abb. 1.18).
Häufig wird die Mittenspandicke hm zur Beschreibung des Fräsprozesses ver-wendet. Sie ist die über dem Eingriffsbogen gemittelte Spanungsdicke.
(1.17)
Qw = ap · ae · vf
Aw = ae · vf
hm =1
ϕc·
ϕA∫
ϕE
h(ϕ)dϕ =1
ϕc· fz sin κ (cos ϕE − cos ϕA)
Abb. 1.17 Fräsverfahren (nach DIN 8589-3)
Schraubfräsen Wälzfräsen
Frä
sen
Planfräsen
Stirn - Umfangs - Umfangs-Stirn-
WZ WZ WZ
WST WST WST
WST
WZ
Profilfräsen Formfräsen
WST
WZx z% 1234
N 5 X...Z...F...
.
...
.
.
WST WerkstückWZ Werkzeug
VorschubrichtungWST / WZDrehrichtungWST / WZ
WST
WZ
WST
WZ
1 Einführung in die Zerspantechnik
17
wobei gilt
(1.18)
Nach der Anschnittart ist zwischen dem Gleichlauf- (Bergab-Fräsen, Downhill) und Gegenlauffräsen (Bergauf-Fräsen, Uphill) zu unterscheiden (Abb. 1.19 und 1.20).
Beim Gleichlauffräsen greift die Schneide am dicken Ende des kommaförmigen Spans ein und baut die Zerspankraft stoßartig auf, die Maschine muss daher eine aus-reichende dynamische Steifigkeit aufweisen (ausreichend steif gegen Schwingungen sein). Beim Gegenlauffräsen beginnt die Spanbildung am dünnen Ende, am Anfang kommt es daher zum Drücken zwischen Fräser und Werkstück und damit zu ungüns-tigen Spanbildungsverhältnissen, da anfangs die Mindestspanungsdicke unterschrit-ten wird und kein Spanen stattfindet, sondern nur hohe Normal- und Reibkräfte ent-stehen, die stärkeren Verschleiß als beim Gleichlauffräsen bewirken. Wenn die Ma-schine und das Werkstück es zulassen, sollte Gleichlauffräsen bevorzugt werden. Die Maschine darf insbesondere kein Spiel im Vorschubantrieb aufweisen, was allerdings bei modernen NC-Maschinen ohnehin nicht der Fall ist. Das Gleichlauffräsen weist eine Kraftkomponente normal zur erzeugten Oberfläche auf, das Werkstück wird in der Regel auf seine Unterlage gedrückt. Das macht das Gleichlauffräsen auch zur Bearbeitung langer schlanker Werkstücke interessant, die beim Gegenlauffräsen eher von der Unterlage abgezogen würden. Beim Stirnfräsen kommt es je nach Lage der Drehachse zum Werkstück zum Gegen- und Gleichlauffräsen, wie Abb. 1.18 zeigt.
Nach Gl. 1.17 wird die gemittelte Spanungsdicke als Mittelwert über dem Ein-griffsbogen errechnet. In der Literatur findet man als Vereinfachung den Wert der Spanungsdicke über dem mittleren Eingriffsbogen. Da (1.10) den Bogen nichtli-near mit der Spanungsdicke verknüpft, sind die Definitionen nicht identisch. Beim Gleich- oder Gegenlauffräsen ist der Unterschied jedoch gering.
(cos ϕA − cos ϕE) = 2ae/D
Abb. 1.18 Eingriffsverhältnisse beim Stirnfräsen
ae
SchneideAustrittsebene
fz
D
Z
x ϕϕc
ϕE
y
i. Bahnkurve fc
ap b
Schnitt A - A
Werkstück
Ausschnitt Z
Werkzeug-schneide
fz
hi. + 1 Bahnkurveϕ = 0°
ϕ ϕ
180° – ϕ
κ
ϕA
nA fc
A
fz
z : Schneidenzahl
vf
n · zfz =
fc = fz · sinϕh = fz · sinϕ · sinκ
1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen
18
Fragen
1. Geben Sie eine Gliederung der Gesamtheit der Fertigungsverfahren und der spanenden Verfahren an. Welche Ordnungsgesichtspunkte liegen den Systema-tiken zugrunde?
2. Beurteilen Sie die Fertigungsverfahren Gießen, Schmieden und Spanen unter verschiedenen Kriterien.
3. Geben Sie Maßzahlen für die Leistungsfähigkeit spanender Verfahren an, beim Schruppen und beim Schlichten.
Abb. 1.19 Gleichlauf- (a) und Gegenlauffräsen (b)
vcve
n
vf
1
3
Vorschubrichtungswinkel 90 < 180
2
a
vevc
vf
2
n
1
3
Vorschubrichtungswinkel 0 < 90b
Abb. 1.20 Spanungsdicke beim Fräsen h
hm
ϕE ϕA
Gegenlauf
ϕAϕC ϕE
ϕAϕE
Stirnfräsen
Gleichlauf
ϕ
1 Einführung in die Zerspantechnik
19
4. Wie können Sie die unterschiedlichen Faktoren zur Berechnung der Volumen-raten beim Drehen und beim Fräsen erklären?
5. Nennen Sie Verfahrensgrenzen für Schlichtverfahren. 6. Nennen Sie Verfahrensgrenzen für Schruppverfahren. 7. Wie unterscheiden sich Wirk- und Vorschubrichtungswinkel beim Drehen und
Bohren einerseits und beim Fräsen andererseits? 8. Wie lassen sich die Volumenraten für verschiedene Bohrverfahren ermitteln? 9. Wie ist die Bezugsebene zur Angabe der Winkel am Drehmeißel definiert; wie
liegen die Schneiden- und die Keilmessebene?10. Kennzeichnen Sie den Zerspanprozess im systemtechnischen Sinne.11. Welches sind die Eingangsgrößen (Einflussgrößen) eines Zerspanprozesses?12. Welche Wirkgrößen kann man angeben? Welches sind die Kriterien zur Beurtei-
lung eines Zerspanprozesses?13. Nennen Sie Prozessgrößen eines Zerspanprozesses.14. Geben Sie technologische Kenngrößen (weitgehend invariante Einstellgrößen)
für das Bohren an.15. Vergleichen Sie wichtige Eingangsgrößen des Drehprozesses mit denen des
Bohrens, Räumens und Fräsens.16. Ermitteln Sie die gemittelte Spanungsdicke beim Umfangs-Planfräsen und
beim Gleichlauffräsen.
Literatur
von Produkten II. Vorlesungsmanuskript, Leibniz Univ. Hannover 2010 [DIN1412] N.N.: DIN 1412 Spiralbohrer aus HSS. Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth
Verlag GmbH, Berlin, 2001[DIN6580] N.N.: DIN6580 Begriffe der Zerspantechnik. Hrsg. Deutsches Institut für Normung,
Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1985[DIN6581] N.N.: DIN 6581 Begriffe der Zerspantechnik. Hrsg. Deutsches Institut für Normung,
Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1985[DIN8589-0] N.N.: DIN 8589 Fertigungsverfahren Spanen; Einordnung, Unterteilung, Begriffe.
Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2003[ISO3002-1] N.N.: ISO 3002-1 Basic quantities in cutting and grinding – Part 1: Geometry of the
active part of cutting tools. International Standard Organisation, 1992[ISO3002-3]N N.N.: ISO 3002-3 Basic quantities in cutting and grinding – Part 3: Geometric and
kinematic quantities in cutting. International Standard Organisation, 1984[TÖN01] Tönshoff, H.K.; Inasaki, I.: Sensors in Manufacturing. Sensors Applications, Volume 1.
Wiley-VCH, 2001[TÖN01a] Tönshoff, H.K.: Übersicht über die Fertigungsverfahren. Dubbel, Kap. S 1, 20.Auflage,
2001[TÖN10] Tönshoff, H.K.: Massivumformteile wirtschaftlich spa nen. Infostelle Industrieverband
Massivumformung e.V., Hagen, 2010
Literatur
21
Beim Spanen dringt ein Schneidkeil in den Werkstoff ein, wodurch dieser plas-tisch verformt wird und als Span über die Spanfläche des Schneidkeils abgleitet. Dieser Vorgang wird als Spanbildung bezeichnet. Die Spanbildung lässt sich in der Keilmessebene darstellen, das ist nach Abb. 1.9 die Ebene senkrecht zur Schneide, in der wesentliche Teile des Stoffflusses stattfinden (Abb. 2.1). Dabei kann von ebener Formänderung ausgegangen werden. Der ebene Formänderungszustand ist lediglich an den Rändern des Spanungsquerschnittes, an der freien Oberfläche und vor der Schneidenecke, gestört, weil an diesen Stellen durch die Bindung zum un-verformten Material bzw. durch die freie Oberfläche Stoff quer zur Keilmessebene fließt.
Bei der Spanbildung kommt es je nach Verformungsverhalten des Werkstoffs zu kontinuierlichem oder diskontinuierlichem Abfließen des getrennten Materials, d. h. zu unterschiedlichen Spanbildungsarten.
2.1 Spanbildungsarten
Je nach Werkstoff und Zerspanungsbedingungen lassen sich folgende Spanbil-dungsarten unterscheiden (Abb. 2.2):
• Fließspanbildung• Lamellenspanbildung• Scherspanbildung• Reißspanbildung
Fließspanbildung ist die kontinuierliche Spanentstehung. Der Span gleitet mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in stationärem Fluss über die Spanfläche ab. Eine Begünstigung der Fließspanbildung erfolgt durch gleichmäßiges, feinkörniges Ge-füge und hohe Duktilität des Werkstoffs, durch hohe Schnittgeschwindigkeit und geringe Reibung auf der Spanfläche, durch positive Spanwinkel und geringe Spa-nungsdicke (Abb. 2.3).
Lamellenspanbildung ist ein gleichmäßiger, periodischer Spanbildungsvor-gang, welcher der Fließspanbildung ähnelt. Allerdings bilden sich Formänderungs-
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 2Spanbildung
22
schwankungen, die im Span mehr oder weniger deutliche Lokalisierungen oder sogar konzentrierte Scherbänder sichtbar werden lassen. Der Span weist durch ther-mische oder elasto-mechanische Vorgänge gebildete Lamellen mit hoher Bildungs-frequenz im kHz- Bereich auf. Solche Lamellenspäne sind bei gut verformbaren Werkstoffen höherer Festigkeit zu beobachten, insbesondere bei der Zerspanung mit hohen Schnittgeschwindigkeiten (s. a. Hochgeschwindigkeitszerspanung).
Abb. 2.1 Spanungsquer-schnitt und Schneidkeil Schnitt in der
Keilmessebene
Span
Werkzeug
SchnittflächeWerkstück
Draufsicht aufdie Spanfläche
Keilmessebene
Werkzeug
Spanungs-querschnitt
Oberfläche desWerkstücks
h
h
Abb. 2.2 Spanbildungsarten
Fließspanbildung Lamellenspanbildung
Werkzeug
Werkstück
WerkzeugWerkzeug
Werkzeug
WerkstückWerkstück
Werkstück
ReißspanbildungScherspanbildung
2 Spanbildung
23
Scherspanbildung ist die diskontinuierliche Entstehung eines noch zusammen-hängenden Spanes, der jedoch deutliche Unterschiede im Verformungsgrad entlang der Fließrichtung erkennen lässt. Zur Scherspanbildung kommt es vorzugsweise bei negativen Spanwinkeln, geringeren Schnittgeschwindigkeiten und größeren Spa-nungsdicken.
Reißspanbildung tritt auf, wenn der Werkstoff wenig plastisch verformbar ist oder aufgrund von starken Inhomogenitäten (z. B. Gusseisen mit Lamellengraphit) vorgegebene Gleitsysteme bildet. Teile des Werkstoffes werden weitgehend unver-formt aus dem Stoffverbund herausgerissen. Die Oberfläche des Werkstücks wird dann weniger durch die Spuren des Werkzeugs als durch die Reißvorgänge während der Spanbildung bestimmt.
Bei einer Fließspanbildung kann es zu Aufbauschneiden kommen (Abb. 2.4). Dabei lagern sich Werkstoffpartikel auf der Spanfläche und an der Schneidkante ab. Diese Partikel wurden stark verformt und kaltverfestigt. Sie sind weit härter als der Grundwerkstoff. Voraussetzungen für eine Aufbauschneidenbildung sind daher
Abb. 2.3 REM-Aufnahmen von Spanbildungsarten
2.1 Spanbildungsarten
Abb. 2.4 Aufbauschneidenbildung
24
• Die Fähigkeit zur Kaltverfestigung des Werkstoffs,• Eine stabile, weitgehend stationäre Spanbildung,• Eine Stauzone im Stofffluss vor der Schneidkante sowie• Ausreichend geringe Temperaturen in der Spanbildungszone, die keine Rekris-
tallisation zulassen.
Aufbauschneiden verändern die Schneidkeilgeometrie. Sie erleichtern in der Re-gel die Spanbildung (geringere Kräfte). Beim Abwandern von Aufbauschneiden kann es zum Mitreißen von Werkzeugpartikeln (adhäsiver Verschleiß) kommen. Harte, kaltverfestigte Teile der Aufbauschneide können sich in die neu entstehen-de Werkstückoberfläche einlagern. Aufbauschneidenbildung ist daher in der Regel unerwünscht. Sie tritt allerdings bei höheren Schnittgeschwindigkeiten und damit höheren Temperaturen in der Spanbildungszone nicht mehr auf, da es wegen der Umformung oberhalb der Rekristallisationstemperatur nicht zur Kaltverfestigung kommen kann.
Bei kontinuierlicher Spanbildung, d.h. bei Fließspanbildung, lässt sich der Pro-zess modellhaft durch fünf Verformungszonen beschreiben (Abb. 2.5). Die haupt-sächliche plastische Verformung findet in der primären Scherzone durch Schub-verformung (Scherung) statt. In den sekundären Scherzonen vor der Span- und der Freifläche wird der Werkstoff zusätzlich unter dem Einfluss hoher Reibung verformt. Vor der Schneidkante bildet sich eine Stauzone (Zone hohen allseitigen Druckes), die gleichzeitig die Zone ist, in der der Werkstoff getrennt wird. Schließ-lich lässt sich noch eine Verformungsvorlaufzone beobachten, in der geringe, aber bleibende Verformungen auftreten. Diese Zone ist bestimmend für die Eindring-
Abb. 2.5 Zonen der Spanentstehung [WAR74]
Scherebene
SpanVsp
h'Werkzeug
Schneidkeilrβ
hvc
Werkstück
1 : primäre Scherzone2 : sekundäre Scherzone an der Spanfläche3 : sekundäre Scherzone an der Stau- u. Trennzone4 : sekundäre Scherzone an der Freifläche5 : Verformungsvorlaufzone
γ : Spanwinkelα : Freiwinkelφ : Scherwinkeltv : Verformungstiefe
α
γ
φ
tv
1
4
2
3
5
2 Spanbildung
25
tiefe plastischer Verformungen in das Werkstück, also für die Randzonenbeein-flussung.
2.2 Spanwurzeluntersuchungen
Zur Analyse der Spanbildung und des Werkstoffverhaltens in der Wirkzone wurden Methoden entwickelt, die das Verformungsgeschehen vor dem Schneidkeil sichtbar machen können. Diese sind im Wesentlichen die
• Die Schnittunterbrechung• Die Mikrokinematographie und• Die Simulation mit finiten Elementen (FEM).
Diese Untersuchungen sollen Informationen über die Spanbildungsart, die plasti-schen Verformungen in der Spanbildungszone und die Lage der Scherebene liefern. Die Spanbildungsuntersuchungen bilden damit die Basis für die anschließenden Berechnungen von kinematischen, mechanischen und thermischen Verhältnissen in der Spanbildungszone.
Das Prinzip der Schnittunterbrechung beruht auf einer abrupten Trennung von Werkzeug und Werkstück. Hierbei wird der Verformungszustand „eingefroren" und kann nach metallographischer Präparation mittels Mikroskop analysiert wer-den. Trotz schneller Unterbrechung des Vorganges muss von gegebener Formände-rungsgeschwindigkeit bis zum starren Zustand abgebremst werden. Das bedeutet, dass tatsächlich nicht der Zerspanungsvorgang bei normaler, stationärer Schnitt-geschwindigkeit eingefroren wird, sondern ein in der instationären Phase des Ab-bremsens sich ergebender Zustand. Dennoch ist die Methode der Schnittunterbre-chung anerkannt, sollte aber bei stark zeitabhängigen Vorgängen, wie bei thermisch bestimmten Abläufen oder raschen, instationären Verformungen kritisch betrachtet werden.
Die Schnittgeschwindigkeit, bei der die Spanwurzel entnommen werden soll, ist für die Auslegung von Schnittunterbrechungsvorrichtungen ausschlaggebend. Insbesondere beim Einsatz hoher Schnittgeschwindigkeiten müssen Schnittunter-brechungsverfahren die Anforderung erfüllen, in einem minimalen Zeitintervall t0 den Spanbildungsprozess zu unterbrechen.
Stark vereinfachte Geschwindigkeitsverhältnisse bei einem Abbremsversuch sind in Abb. 2.2 dargestellt. Hierbei wird von einer konstanten negativen Beschleu-nigung a ausgegangen. Es gilt daher
(2.1)
und darüber hinaus mit vrel = 0 m/min nach t0 für den benötigten Bremsweg ∆x
(2.2)
vrel = vc − awz · t
x =1
2vct0.
2.2 Spanwurzeluntersuchungen
26
Aus diesen Beziehungen lässt sich für einen noch zulässigen Bremsweg die not-wendige Beschleunigung a ermitteln zu
(2.3)
Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass die Bremsbeschleunigungen bereits bei geringen Schnittgeschwindigkeiten und zulässigen Bremswegen, die 10 % der Spa-nungsdicke nicht überschreiten sollten, sehr groß sein müssen. Anzumerken ist ins-besondere, dass die Schnittgeschwindigkeit in der 2. Ordnung in Gl. 2.3 eingeht. Um die zur Beschleunigung notwendigen Kräfte in Grenzen zu halten, kommt es daher vor allem bei hohen Geschwindigkeiten darauf an, die zu beschleunigenden Massen möglichst gering zu halten (Abb. 2.6).
Zur Schnittunterbrechung, auch Quick-Stopp genannt, werden verschiedene An-ordnungen genutzt (Abb. 2.7). Grundsätzlich lassen sich Werkzeug oder Werkstück beschleunigen oder abbremsen.
aWZ =v2c
2x.
Abb. 2.6 Geschwindig-keitsverhältnisse bei der Schnittunterbrechung
v
0,5vc
0t0
t
vWZ
vcvrel = vc – vwzh
vc
vwz
Abb. 2.7 Prinzipien der schnittunterbrechung
beschleunigen bremsen
Werkstück
Werk-stück
Werkzeug-schlitten
Führung
Führung
Führung
dc
a b
Abrissstelle
Wer
kzeu
gW
erks
tück
vWz
vc
vc
vc
vc
Prallplatte
2 Spanbildung
27
Das Prinzip der Schnittunterbrechung durch Werkzeugbeschleunigung ist im Teilbild a) dargestellt [KLO93]. In der Regel werden hierbei ganze Werkzeug-einheiten mit dem Werkzeughalter beschleunigt. Die benötigte und zunächst ge-speicherte potentielle Energie wird innerhalb weniger Millisekunden in kinetische Energie umgesetzt. Als Energiespeichermedien dienen Federn, Druckluft oder auch Explosivstoffe. Zur Schnittunterbrechung durch Beschleunigung des Werkzeugs können auch mechanische Trennvorrichtungen eingesetzt werden [BAI88]. Ein sich mit dem Werkstück drehendes Hindernis wird während einer Umdrehung über das Werkzeug gestellt, so dass dieses aus dem Eingriff beschleunigt wird.
Im Teilbild b) ist das Werkzeug (eine beidseitig schneidende Platte) auf einem möglichst massearmen Schlitten gespannt. Der Schlitten wird z. B. durch Druckluft beschleunigt und trifft dann auf das Werkstück. Dort wird ein kurzes Stück gespant (durch Hobeln) und das Werkzeug mit Schlitten durch das Werkstück, das als Prall-ring ausgebildet ist, abgebremst.
Dem Teilbild c) entspricht eine Anordnung, die Ben Amor [BEN03] basierend auf einem Ansatz von Buda [BUD68] für hohe Schnittgeschwindigkeiten entwi-ckelte. Diese Methode beschleunigt nur minimale Massen. Details des Verfahrens sind in Abb. 2.8 dargestellt. In einen Steg wird eine Sollbruchstelle eingebracht. Dieser wird anschließend durch radiales Einstechen zerspant. Mit zunehmender Schnittzeit wird der verbleibende Restquerschnitt oberhalb der Sollbruchstelle schließlich so klein, dass die zulässige Bruchspannung überschritten wird, ein Bruch eintritt und das Segment vom Werkstück abreißt. Das abgerissene Segment samt anhaftendem Span wird daraufhin durch die Schnittkraft vom Werkstück weg beschleunigt und dient als Spanwurzel der Analyse der Spanbildung. Folgendes Zahlenbeispiel belegt die Wirksamkeit dieses Verfahren zur Schnittunterbrechung. Gegeben sei:
h(b = 0,2) (3 mm2), (vc = 300 m/min), Stahl C45, Fc = 1800 N, m = 3g.
Abb. 2.8 Schnittunterbrechung nach Ben Amor
Werkstücksegment mitSpanwurzel
Werkzeug Werkstück
Werkzeug
SollbruchstellenBolzen zur Vermeidungelastischer und plastischerVerformungen
Vorbearbeitung der Probendurch Fräs- und Bohr-operationen:Erzeugung von Sollbruchstellen
Werkstück
vCvf
2.2 Spanwurzeluntersuchungen
28
Es wird nun vorausgesetzt, dass die anfängliche Beschleunigungskraft über die Dauer des Trennvorgangs wirksam und damit auch die Beschleunigung konstant ist. Damit ist
(2.4)
Hieraus lässt sich ein Beschleunigungsweg entsprechend Gl. 2.3 von 21 µm er-rechnen.
Abbildung 2.9 zeigt eine Spanwurzel, die mit dieser Methode bei hoher Schnitt-geschwindigkeit gewonnen wurde. Die Beschleunigungsstrecke kann die 10 %-Be-dingung zwar nicht erfüllen. Dennoch zeigt sich hier ein gutes zur Analyse geeigne-tes Bild des Formänderungsgeschehens vor der Schneide.
Im Teilbild d) der Abb. 2.7 wird ein massearmes Werkstück in einem Führungs-schacht durch Druckluft beschleunigt und prallt, nachdem es einen kurzen Spanweg durchlaufen hat, auf eine Platte, durch die es rasch abgebremst wird. Mit einer ähn-lichen Einrichtung wurden Spanwurzeln bis zu ursprünglichen Schnittgeschwin-digkeiten bis 2.400 m/min aufgenommen (Abb. 2.10), wobei ein Bremsweg von weniger als 20 µm eingehalten werden konnte [HOW05].
Im Gegensatz zu den Verfahren der Schnittunterbrechung bietet die Mikroki-nematographie die Möglichkeit, Spanbildungsvorgänge im laufenden Prozess auf-zunehmen [WAR74]. Dazu wird eine polierte und geätzte Probe (Schwarz-Weiß-Gefüge) gegen eine Quarzglasplatte gepresst (Abb. 2.11) und durch Querdrehen spanend bearbeitet. Durch die Quarzglasplatte lässt sich der Vorgang mittels eines Mikroskops vergrößert beobachten. Die Methode bietet allerdings wegen der freien Werkstückfläche nur ein angenähertes Bild der Zerspanung im Inneren. Bewe-gungsscharfe Aufnahmen sind nur bis zu Schnittgeschwindigkeiten von 1 m/min möglich.
awz = Fc/2m
Abb. 2.9 Spanwurzel aus C15 bei hoher Schnittgeschwindigkeit
Scherzone
Spanhöhe: h = 191 µm
100 µm
50 µm
Spanwurzel
Spanhöhe: h = 183 µm
Spansegmentierungsfrequenz: fs = 635 kHzbei: Segmentbreite bs = 0,05 mm
und vc = 4000 m/minSpan
Verfahren:Orthogonal-EinstechdrehenKSS: trockenSchnittbedingungen:Vorschub: f = 0,1 mmSpanungsbreite: b = 2 mmWerkstoff : C15 unbehandeltSchneidstoff:HC P30-P40 Ti(C,N)
WerkzeuggeometrieSNGN 12 04 12
0° 0° 0°90°α γ εr κ
2 Spanbildung
29
2.3 Scherebenenmodell
Verschiedene Theorien zur rechnerischen Behandlung des Zerspanprozesses ge-hen von einem Scherebenenmodell aus. Die plastische Formänderung während der Spanbildung findet danach allein in der Scherebene statt. Je nach Verformungsver-halten des Werkstoffes und nach Prozessbedingungen bildet das Modell die Reali-tät ausreichend genau nach. Unter der Voraussetzung der Gültigkeit des Scherebe-nenmodells und ebener Formänderung (Orthogonalschnitt) lässt sich die Scherge-schwindigkeit vφ bestimmen (Abb. 2.12).
(2.5)vφ = vcsin (90 − γ )
sin (90 + γ − φ)= vc
cos γ
cos (φ − γ )
Abb. 2.10 Spanwurzeln aus TiAl6V4 [HOW05]
0 40 µm
0 40 µm
0 40 µm0 40 µm
0 40 µm
vc = 10 m/sh = 100 µm
vc = 5 m/sh = 100 µm
vc = 20 m/sh = 100 µm
vc = 40 m/sh = 100 µm
vc = 0 m/sh = 80 µm
Werkstoff : TiAl6V4Schneidstoff : HM K10Freiwinkel α0 : 15°Spanwinkel γ0 : 0°
© 408-37-01
Abb. 2.11 Versuchsstand zur Mikrozerspanung [WAR74] Keilriemen
Hohlspindel
BeleuchtungMikroskop
Ortsfest
vf
Werkzeug
poliertes/geätztesWerkstück
Quarzglasscheibe
2.3 Scherebenenmodell
30
Aus der bei großen plastischen Formänderungen hinreichend genau gegebenen Vo-lumenkonstanz folgt1
(2.6)
für die Stauchungen . Da ebene Formänderung vorausgesetzt wird, ist die Breiten-stauchung b = 1, und es folgt
(2.7)
Es gilt zudem
(2.8)
Folglich ist
(2.9)
Aus dem Geschwindigkeitsplan (Abb. 2.12) folgt dann
(2.10)
1 Im Gegensatz zur elastischen Formänderung gilt für große plastische Formänderungen Volumen-konstanz. Für den elastischen Fall lässt sich die Volumenänderung über die Formänderungen in Normal- und Querrichtung (elastische Querzahl ν) bestimmen: V/V = (1 − 2 v)ε. Dies gilt jedoch nur für elastisches Verhalten!
b′
b·
h′
h·
w′
w= 1 oder λb · λh · λw = 1,
λh · λW = 1.
λw =w′
w=
v sp
vc.
λh =vc
vsp=
1
λW.
λh =cos (φ − γ )
sin φ.
Abb. 2.12 Scherebenmodell und Schergeschwindigkeit
vc = Schnittgeschwindigkeitvsp = Spangeschwindigkeitvφ = Schergeschwindigkeit
vφ
φ
vsp
vc
cos (φ − γ )
γγ
sin φ λh =
φ h
w
b
b'vsp
h'
w'
Scherebene
vc
2 Spanbildung
31
Da sich die Spandickenstauchung h (kurz Spanstauchung) durch Messen der Span-dicke oder der Spanlänge (beim unterbrochenen Schnitt) und aus den Einstellgrö-ßen bestimmen lässt, kann so der Scherwinkel im Experiment ermittelt werden.
In der Plastomechanik (der Mechanik plastischer Verformungen) werden Form-änderungen als bezogene Größen behandelt. In Abb. 2.13 sind Stauchung, Dehnung und Scherung dargestellt.
Zur zahlenmäßigen Beschreibung plastischer Hauptformänderungen werden in der Literatur zwei Notationen verwendet. In den Werkstoffwissenschaften und über-wiegend auch im englischen Sprachraum arbeitet man mit der bezogenen Formän-derung , und zwar D für Druck und Z für Zug. Es gilt
(2.11)
und
(2.12)
In der Umformtechnik wird vornehmlich im deutschen Sprachraum arbeitet mit der logarithmischen Formänderung gearbeitet.2
(2.13)
B.A. Behrens führt gute Gründe an, die Notation der logarithmischen Formände-rung zu verwenden [DOB07, S.56 f]. Darauf sei verwiesen. Die Notationen sind unschwer ineinander zu überführen:
(2.14)
und
(2.15)
2 Mit der logarithmischen Formänderung wird nur die plastische Formänderung erfasst, nicht die elastische. Dies ist jedoch bei großen plastischen Formänderungen unerheblich.
εD =h0 − h
h0= 1 −
h
h0
εZ =h − h0
h0=
h
h0− 1
ϕ = lnh
h0
ϕ = ln (1 − εD)
ϕ = ln(εZ − 1)
2.3 Scherebenenmodell
Abb. 2.13 Formänderungen
Stauchung Dehnung Scherung
h hh0 h0 l0γs
32
Für kleine Formänderungen unterhalb = 0,1 sind die Zahlenwerte praktisch gleich. Damit sind auch die Notationen für die Formäderungsgeschwindigkeiten zu beachten. Für die Stauch- und Dehngeschwindigkeiten gelten:
(2.14a)
und
(2.15a)
(2.16)
und (2.17)
(2.16a)
und
(2.17a)
Für plasto-mechanische Rechnungen des Spanens ist der Grad der Formänderung im Werkstoff von Interesse. Unter folgenden Voraussetzungen
• Scherebenenmodell,• Volumenkonstanz,• Homogenität des Werkstoffs,• Isotropie des Werkstoffs,• ebene Formänderung,
εD = 1 − eϕ
εZ = eϕ − 1
εD =(
d
dϕ(1 − eϕ) ·
dϕ
dt
)·
dϕ
dt
εZ =(
d
dϕ(eϕ − 1) ·
dϕ
dt
)·
dϕ
dt
ϕ =1
1 − εD
× εDεD
ϕ =1
εZ − 1× εZεZ
Abb. 2.14 Verformungsgeo-metrie bei Orthogonalschnitt
Span
Schneidkeil
Werkst ck
vC
a
a
a
a
4
31
3'
4'
1'
2'
2
α
γ
χ
ψ
2 Spanbildung
33
lässt sich nach Abb. 2.14 die Scherung S als Tangens des Verformungswinkels bestimmen (der Begriff „Scherwinkel“ wäre passender, ist aber in der Literatur be-reits für den Winkel zwischen Schnittrichtung und Scherebene vergeben). Der Verformungswinkel wird gegen die Normale auf die Scherebene gemessen. Es folgt daraus
(2.18)
Das in Abb. 2.14 betrachtete Volumenelement wurde seitenparallel zur Scherebene gewählt, um direkt die Scherverformung tan sichtbar zu machen. Für die Ankopp-lung des Verformungsgeschehens an eine Vergleichsformänderung sind die bezoge-nen Formänderungen, die maximale Dehnung εZ und die maximale Stauchung εD des Werkstoffs nach Durchtritt durch die Scherebene von Interesse. Dazu wird ein ungerichtetes Volumenelement, d.h. ein kreisförmiges Element, betrachtet, das sich hinter der Scherebene zu einer Ellipse verformt (Abb. 2.15).
Die lange und die kurze Achse 2a und 2b bezogen auf den Kreisdurchmesser 2 r entsprechen der maximalen Dehnung und Stauchung. Die Dehnung und Stauchung sind demnach
(2.19)
und
(2.20)
(2.19a)
tan χ = tan (φ − γ ) +1
tan φ
εZ =2a
d− 1
εD = 1 −2b
d
2b
d
εZ =1
2×
[tan (φ − γ ) +
1
tan φ
]− 1 +
√[tan (φ − γ ) +
1
tan φ
]2
+ 1
2.3 Scherebenenmodell
Abb. 2.15 Hauptformände-rungen beim Spanen
Werkzeug
Scherebene
2b
2a
2r
φ
γ
34
(2.20b)
Offenbar ist dann
(2.21)
In Abb. 2.16 sind die Verläufe der Dehnung εZ und Scherung S über dem Scherwin-kel aufgetragen für einen Spanwinkel von = 0°. Größere Spanwinkel verringern den Scherwinkel, die Dehnung und die Scherung.
Die bisher ermittelten Formänderungen und ihre Überführung ineinander be-ruhen allein auf geometrischen Zusammenhängen. In der Umformtechnik ist es üblich, sich Vergleichshypothesen zu bedienen, um mehrachsige Formänderungen und Spannungen in einachsige Vergleichswerte umzuwandeln [DOB07, S.153 f.].
εD =1
2×
[tan (φ − γ ) +
1
tan φ
]+ 1 +
√[tan (φ − γ ) +
1
tan φ
]2
+ 1
εZ + εD = tan χ = γs
Abb. 2.16 Formänderungen und Scherwinkel nach Köhler [KÖH68]
4,0
5,0
3,5
2,5
3,0
2,0
1,5
1,0
0,5
00
10 20 604030 °
–
Sch
erun
g γ s
, Deh
nung
ε
Scherwinkel φ
ε
γS
2 Spanbildung
35
Die Rechnung nach Tresca nutzt die Schubspannungshypothese, die Rechnung nach von Mises die Gestaltänderungshypothese. Über einen Energieansatz folgen damit auch die Vergleichsformänderungen.
Die in Gl. 2.21 enthaltene Scherung S lässt sich in die einachsige Vergleichs-formänderung umrechnen. Es gilt
nach Tresca (2.22)
und nach von v. Mises (2.23)
Fragen
1. Was bedeutet „ebene Formänderung“, was „ebener Spannungszustand“? 2. Welche Möglichkeiten des orthogonalen Spanens kennen Sie? 3. Wie lassen sich einachsige Hauptformänderungen beschreiben? Geben Sie die
beiden Notationen an. 4. Leiten Sie die Formänderungsgeschwindigkeiten ab. 5. Welche Größen müssen zur Bestimmung des Winkels, um den ein Element in
der Scherebene schubverformt wird, bekannt sein, wenn das Scherebenenmo-dell zugrunde gelegt wird?
6. Wie kann man diese Größen messen? 7. Welche Methoden werden zur Untersuchung der Spanwurzel benutzt? Sie
geben den Umformvorgang nur angenähert wieder. Welche Einschränkungen bestehen?
8. Welche Umformzonen lassen sich bei der Spanbildung unterscheiden? 9. Erläutern Sie die Spanarten und grenzen Sie diese gegen die Spanformen ab.10. Was ist ein Lamellenspan? Wie lässt sich der Gleichförmigkeitsgrad bestimmen?11. Unter welcher Voraussetzung kann es zur Scherlokalisierung kommen?12. Was sind Aufbauschneiden?13. Warum treten Aufbauschneiden nur im Fließspanbereich auf?14. Welche Wirkungen hat die Aufbauschneide auf das Arbeitsergebnis am Werk-
stück und auf das Werkzeug?15. Bestimmen Sie unter der Voraussetzung des Scherebenenmodells die
Schergeschwindigkeit.16. Erläutern Sie über die bei Metallen übliche elastische Querzahl (Poissonzahl),
warum bei elastischer (nicht plastischer) Umformung keine Volumenkonstanz vorausgesetzt werden kann.
17. Wie lässt sich der Scherwinkel aus der Spanstauchung ermitteln?18. Errechnen Sie den Verformungswinkel ?
nach Tresca ϕ =1
2χS
und nach von v. Mises ϕ =1
√3χS .
Fragen
36
Literatur
[BAI88] Baik, M.C.: Beitrag zur Zerspanbarkeit von Kobaltlegierungen. Dr.-Ing. Diss., Universi-tät Dortmund, 1988
[BEN03] Ben Amor, R.:Thermomechanische Wirkmechanismen und Spanbildung bei der Hoch-geschwindigkeitszerspanung. Dr.-Ing. Diss., Universität Hannover, 2003
[BUD68] Buda, J.; Vasilko, K.; Stranava, J.: Neue Methoden der Spanwurzelgewinnung zur Untersuchung des Schneidvorganges. Industrie Anzeiger 90 (1968) 5, S. 78-81
[DOB07] Doege, E.; Behrens, B.-A.: Handbuch der Umformtechnik. Springer Verlag, 2007[HOW05] Hoffmeister, H.-W.; Wessels, T.: Thermomechanische Wirkmechanismen bei der Hoch-
geschwindigkeitszerspanung von Titan- und Nickelbasislegierungen. In [TÖN05, S. 470-491][KLO93] Klose, H.-J.: Einfluss der Werkstofftechnologie auf die Zerspanbarkeit niedriglegierter
Gusseisen. Dr.-Ing. Diss., Universität Hannover, 1993[TÖN05] Tönshoff, H.K.; Hollmann, F.: Hochgeschwindigkeits-spanen. Wiley-VCH-Verlag, 2005[WAR74] Warnecke, G.: Spanbildung bei metallischen Werkstoffen. München: Techn. Verlag
Resch, 1974
2 Spanbildung
37
Die Spanform ist eines der vier Kriterien der Zerspanbarkeit (s. Kap. 1.3). Gera-de bei automatisierten Prozessen ist ein ungestörter Spanablauf wichtig, um nicht dem Maschinenbediener die inhaltsleere und ermüdende Funktion der ständigen Überwachung der gesicherten Spanabfuhr zuzumessen und damit seine Bindung an die Maschine und den Prozess zu erzwingen (Verstoß gegen das Mensch-Umwelt-Kriterium). Das Problem der Spanform stellt sich nicht bei Verfahren, die prinzip-bedingt mit unterbrochenem Schnitt arbeiten (Fräsen, Kreissägen, Schleifen). Bei kontinuierlichen Prozessen, wie beim Drehen und Bohren, kann die Spanformung gegenüber anderen Zerspanbarkeitskriterien dominant sein, denn sie berührt ent-scheidend die Prozesssicherheit. Die Spanform kennzeichnet die nach dem Zer-spanprozess vorliegende Form des Spans. Sie ist das abschließende Ergebnis der Spanbildung und des Spanablaufs von der Wirkstelle. Zur Quantifizierung der Spanformung wurden Spanformklassen und die Spanraumzahl eingeführt [STA90].
3.1 Spanraumzahl und Spanformklassen
Je nach Spanform nimmt das Spanvolumen (Schüttvolumen der Späne) einen weit größeren Raum ein als der massive Werkstoff. Das Verhältnis der beiden Volumina oder Volumenströme ist die Spanraumzahl RZ
(3.1)
Sie kennzeichnet die Sperrigkeit der Späne und dient zur Bemessung von Arbeits-räumen der Werkzeugmaschinen, von Spantransporteinrichtungen und Spanräumen der Werkzeuge (Spanraum im Fräser, Spannut im Bohrer). Je nach Spanform kann die Spanraumzahl sehr unterschiedliche Werte annehmen (Abb. 3.1).
Durch die Entwicklung der Schneidstoffe wurde die mögliche und wirtschaft-liche Schnittgeschwindigkeit (s. Kap. 8.1) und das mögliche Zeitspanvolumen (=Volumenrate) stark erhöht. Je Dekade wurden im Mittel Steigerungen um den
RZ =QSpan
QW.
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen,DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 3Spanformung
38
Faktor 2 erreicht. Zugleich nehmen mit höherer Schnittgeschwindigkeit die Span-raumzahlen tendenziell ab. Das Zeitspanvolumen eines Drehprozesses z. B. wurde so stark gesteigert, dass die Spanformung zu einer wesentlichen Verfahrensgrenze werden kann. Auch die Tendenz zu festeren und zäheren Werkstoffen wirkt in die gleiche Richtung.
Zur Charakterisierung der Spanformen wurden acht Spanformklassen eingeführt (Abb. 3.1) [STA90]. Ihnen lassen sich Spanraumzahlen zuordnen. Lange Späne, wie Bandspäne, Wirrspäne und Flachwendelspäne, sind ungünstig und können Per-sonen, Werkzeuge, Werkstücke und Maschine gefährden. Kurze Spanstücke, wie Bröckelspäne und Spiralspanstücke, können Schwierigkeiten beim Abtransport von der Wirkstelle (z. B. beim Bohren) oder bei ungenügendem Schutz der Werker (Au-genverletzungen) machen. Wendelspanstücke und Spiralspäne sind günstig.
Um günstige Spanformen zu erreichen, muss der Span in Stücke oder Partikel zerlegt werden. Dies kann geschehen durch
• Primäre Spanformung oder• Sekundäre Spanformung.
Primäre Spanformung hängt allein von der nicht kontinuierlichen Spanbildung ab. Zu den zur primären Spanformung neigenden Werkstoffen gehören Gusseisen mit Lamellengraphit, Messinge mit geringem Kupfergehalt und eutektische oder über-eutektische Aluminiumsiliziumlegierungen, also spröde Werkstoffe, die nur ein geringes plastisches Verformungsvermögen haben und daher während der Spanbil-dung bereits reißen oder brechen. Sie sind die kurzspanenden Werkstoffe. Das Spa-nen erfolgt meist durch Reißspanbildung. Bei Scherspan- oder Fließspanbildung muss eine sekundäre Spanformung nach der eigentlichen Spanbildung erzwungen werden. Man spricht von langspanenden Werkstoffen.
Abb. 3.1 Spanformen (Stahl-Eisen-Prüfblatt 1178–1190)
Bandspäne
Wirrspäne
Flachwendel-späne
lange, zylindr.Wendelspäne
Wendelspan-stücke
Spiralspäne
Spiralspan-stücke
Bröckelspäne
SpanraumzahlRZ
Spanform-klasse
Beurteilung
ungü
nstig
gut
brau
chba
r
1
2
3
4
5
6
7
8
≥ 90
≥ 90
≥ 50
≥ 50
≥ 25
≥ 8
≥
≥
8
3
3 Spanformung
39
3.2 Spanleitung
Bei langspanenden Werkstoffen, d. h. bei Fließ- und Scherspanbildung, lassen sich für nicht zu geringe Vorschübe günstige Spanformen durch Spanleitung erreichen. Der Span wird entsprechend seiner Fließrichtung aus der Spanbildungszone abge-führt. Welche der beiden prinzipiell möglichen Fließrichtungen der Span einnimmt, hängt von den plastomechanischen Vorgängen an der Schneide ab (Abb. 3.2). Oku-shima und Minato haben dazu ein einfaches Modell entwickelt, das den Spanungs-querschnitt in Inkremente zerlegt und die inkrementellen Fließvektoren nach einem Seileckverfahren zu einer Resultierenden zusammensetzt [OKU59] (Abb. 3.3).
3.2 Spanleitung
Abb. 3.2 Fließrichtung des Spans
Werkstück
Werkstück
vf
vc
vc
Spanfläche
Spanfläche
Werkzeug(Draufsicht)
Werkzeug
Fließrichtungparallel zurSpanfläche
Fließrichtungnormal zurSpanfläche
Span
Span
Abb. 3.3 Seileck zur Bestimmung der Fließrichtung
Werkstück
Werkzeug
Resultierende(Fließrichtung)
Inkremente
40
Dabei wird jedes Inkrement gemäß seinem Flächeninhalt gewichtet. Dies ist ein rein geometrisches Verfahren, das die plastomechanischen Vorgänge nur näherungs-weise wiedergeben kann. Dem realen Prozess näherkommende Verfahren beruhen auf FEM-Rechnungen [MÜL93]. Hinzu kommt, dass nach dem Seileckverfahren eine Spanleitung durch Neigung der Spanfläche (um den Spanwinkel γ und den Neigungswinkel β) nicht zu berücksichtigen ist. Gerade die Formgebung der Span-fläche an Wendeschneidplatten durch Fortschritte in der Sintertechnik wird häufig genutzt, um die Fließrichtung des Spans zu beeinflussen. Durch geeignete Aus-bildung der Spanfläche kann der abfließende Span an die Schnittfläche des Werk-stücks, an die Werkstückoberfläche oder an die Freifläche des Werkzeugs gelenkt werden (Abb. 3.4). Das nachfließende Material sorgt dafür, dass der am Hindernis gehaltene Span aufgebogen wird. Dadurch wird dem Span eine zusätzliche plasti-sche Verformung aufgezwungen. Die dabei auf Zug beanspruchte Spanoberseite ist zudem meist von der Spanbildung her gekerbt und zerklüftet und bricht durch das Aufbiegen.
Spanleitung kann durch eingeschliffene oder eingesinterte Stufen oder durch aufgesetzte, in das Klemmsystem von Wendeschneidplatten integrierte, „Spanfor-mer“ (falscher Begriff, da sich die Spanform erst durch Anlaufen am Hindernis ergibt) erreicht werden (Abb. 3.5). Es wurden vielfältige Formen von eingesinter-ten Spanleitstufen entwickelt. Ihre Geometrie muss an die Einstellbedingungen, insbesondere an Vorschub, Schnittgeschwindigkeit und Schnitttiefe angepasst sein (Abb. 3.6).
Abb. 3.4 Wirkung von Spanleitstufen
Anlaufen anSchnittfläche
Anlaufen anFreifläche
Anlaufen anWerkstück-oberfläche
Vorschubrichtung
3 Spanformung
41
Bei geringen Vorschüben ist Spanformung durch Spanleitung kaum möglich, da die plastische Dehnung, die durch das Aufbiegen des Spans erreicht werden kann, nicht ausreicht. Abbildung 3.7 zeigt, dass die Randdehnung εR eines gebogenen Spans bei gegebenem Biegeradius r′ der Spandicke h′ proportional ist. Bei dünneren Spänen kommt es also nur zu geringen plastischen Dehnungen, die vom Werkstoff noch ohne Brechen ertragen werden können.
Ein ähnlicher Effekt, wie er mit der Vergrößerung der Spanungsdicke verbunden ist, lässt sich durch eine Wölbung des Spanungsquerschnitts entlang der Schneide erreichen (Abb. 3.8). Dadurch wird die Randdehnung partiell erhöht, und der Span wird steifer, was das Brechen unterstützt. Auch Abstech- oder Einstechdrehmeißel werden mit einer gewölbten Spanfläche versehen, wodurch das Einklemmen der Späne in der Nut verhindert werden soll.
Abb. 3.5 Ausführungen von Spanleitstufen [HIN09]
3.2 Spanleitung
Abb. 3.6 Bereich günstiger Spanform bei Werkzeugen mit Spanformstufen (Sandvik)
Vorschub f
Sch
nittt
iefe
ap
42
3.3 Werkstoffeinfluss
Während der Spanbildung wird der Werkstoff starken plastischen Formänderungen ausgesetzt. Das Formänderungsvermögen hängt wesentlich von der Zusammen-setzung des Werkstoffs ab. Ob es also zu primärer oder sekundärer Spanformung
Abb. 3.8 Gewölbte Spanfläche
Längsdrehen
b
vf
vf
Abstechen
Span
Abstechmeißel
Werkzeug
vc ω
3 Spanformung
dünner Span
dicker Span
r'
r'
2r'
h'/2
h'
h'2h'1
h'1h'2
∆l
∆l
∆l
εR1
εR
εR1εR2
εR2
l
l
l
=
=
=
=
neutrale Faser
ϕ
Abb. 3.7 Randdehnung eines Spans
43
als Folge der plastischen Verformung kommt, wird entscheidend durch den zu bearbeitenden Werkstoff bestimmt. Generell lassen sich kurz- und langspanende Werkstoffe unterscheiden. Zu den kurzspanenden, zur Reißspanbildung neigenden Werkstoffen gehören Gusseisen mit Lamellengraphit (Grauguss), spröde Messinge und Aluminiumgusslegierungen. Zu den langspanenden Werkstoffen zählen Stähle, Kupfer und Aluminiumknetlegierungen.
Bei Stählen lässt sich das Formänderungsvermögen durch Legierungselemente so beeinflussen, dass eher günstige Spanformen entstehen. Allerdings wirken sich diese Begleiter meist ungünstig auf die Zähigkeit des Stahls aus.
Kohlenstoff ist der wichtigste Eisenbegleiter (Abb. 3.9). Kohlenstoffstähle ent-halten Ferrit ( α-Mischkristall) und Perlit, der als Eutektoid aus Zementit (Eisenkar-bid Fe3C) und Ferrit besteht. Ferrit ist weich und gut verformbar, Zementit (ortho-rhombisch kristallin) ist hart, spröd und praktisch nicht verformbar. Mit höherem Kohlenstoffgehalt von > 0,2 % C bis zur eutektoiden Zusammensetzung (Perlit) von 0,8 % C nimmt das Formänderungsvermögen des Stahls ab. Einsatzstähle (<0,2 % C) wie C15, 16MnCr5, 18CrNi8 neigen dazu, Band- und Wirrspäne zu bilden. Stähle mit höherem Perlitanteil ergeben günstigere Spanformen (Abb. 3.10).
Abb. 3.9 Spanform und Gefüge
Ferrit<0,02%.
Ferrit +Perlit
1
8
0,20 0,40 0,60 0,80 %
Kohlenstoffgehalt
Gefügebestandteile HV
90
200
800
>1000
Här
te
Spa
nfor
mkl
asse
güns
tiger
For
män
deru
ngs-
verm
ögen
Zementit
Martensit
Perlit (Ferrit + Zementit)
Ferrit (α-Mischkristalle)
Perlit(Eutektoid)
Perlit +Zementit
3.3 Werkstoffeinfluss
44
Schwefel ist im Eisen wenig löslich. Abhängig von weiteren Legierungsbestand-teilen entstehen Sulfide. Eisensulfid bildet ein Eutektikum. Es führt im Temperatur-bereich von 800 °C bis 1000 °C zur Rotbrüchigkeit. Sauerstoff setzt die Tempera-turen des Sulfideutektikums herab und verstärkt damit die Neigung zum Rotbruch. Durch Mangan, das eine größere Affinität zum Schwefel hat als Eisen, bildet sich Mangansulfid (MnS). Es hat einen höheren Schmelzpunkt als FeS. Dadurch wird die Rotbruchgefahr beseitigt. Mangansulfide sind nach dem Walzen lang gestreckt und zeilig angeordnet. Sie bilden Störstellen im Stahl und verbessern dadurch die Spanform. Allerdings wird damit auch die Querzähigkeit der Stähle beinträchtigt. Automatenstähle werden mit extrem hohen Schwefelgehalten (9S20 oder 45S20) von ca. 0,2 % S legiert. Damit sind neben anderen Vorteilen der Zerspanbarkeit durchweg gute Spanformen verbunden. Durch neue Stahlherstellungsverfahren (Blastechniken) lassen sich Stähle mit besonders niedrigen Schwefelgehalten her-stellen. Sie weisen ungünstige Spanformen auf (Abb. 3.11).
Phosphor führt zu starken Entmischungen (Seigerungen) im Stahl, die sich kaum durch Wärmebehandlungen beseitigen lassen. Phosphor fördert die Spröd-brüchigkeit bei Raumtemperatur und die Anlasssprödigkeit. Phosphor gilt daher als Stahlschädling. Je nach Stahlgüte werden die Inhalte auf unter 0,05 % P oder weiter begrenzt. Durch Ferritversprödung sorgt Phosphor für günstige Spanformen.
Blei ist im Eisen praktisch unlöslich. Die Umwandlungspunkte des Eisens (im Eisen-Kohlenstoff-System) werden durch Blei nicht verändert. Blei lagert sich sub-mikroskopisch an den Korngrenzen ab. Dadurch werden die Späne kurzbrüchig.
Die Wärmebehandlung des Stahls beeinflusst über die Ausbildung des Gefüges die Verformungsfähigkeit und damit auch die Spanbildung und Spanformung we-
Abb. 3.10 Einfluss der Werkstoffeigenschaften auf die Spanform (Kohlenstoffstahl)
1
8
1
8
0 0,85C - Gehalt
güns
tiger
güns
tiger
Spa
nfor
mkl
asse
%
10 150 µm
Korngröße
1
8
Spa
nfor
mkl
asse
1
80 0,03
S - Gehalt
güns
tiger
güns
tiger
%
%
0,1
10 20
Bruchdehnung
3 Spanformung
45
sentlich [WIN82, PAT87]. Dabei gilt allgemein, dass umso günstigere Spanformen entstehen, je inhomogener und grobkörniger der Werkstoff ist. So wirkt sich bei Vergütungsstählen (z. B. C45, 42CrMo4, 36CrNiMo4) eine gesteuerte Abkühlung aus der Schmiedewärme (Abb. 3.12), genannt BY-Behandlung ( best yield strength)
Abb. 3.11 Einfluss des Schwefelgehalts auf die Spanform
Werkstoff:
Schneidstoff:
Spanformgeometrie:
Schnittgeschwindigkeit:Vorschub:
Schnittiefe:
Schneidkeilgeometrie:
SchruppenVorschub f = 0,25 mmSpanformgeometrie A
SchlichtenVorschub f = 0,1 mmSpanformgeometrie F
Spanform / Spanformklasse
3,4
3,4
8
5
C45 (± S) BY
TiC / TiN besch. HMA, Fvc = 160 m. min–1
f = 0,1 mm, 0,25 mmap = 2,5 mm
κ = 75° / β = 90° / α = 6° / rε = 0,8 mm
–S : +S :0,002 % 0,03 %
Schwefelgehalt : –S = 0,002 %, +S = 0,030 %
Abb. 3.12 Einfluss der Wärmebehandlung auf die Spanform
Schmieden SchmiedenHärten
V
Anlassen
Zeit t Zeit t
Tem
p.
Tem
p.
Ac3Ac1
Ac3Ac1
Korngröße28 µm
Korngröße102 µm
VBY
BY
0,8 mm
chem. Zusammensetzung
C Si Mn P S
0,45 0,2 0,77 0,019 0,035
Zerspanbedungungen
Schnittgeschw.:Schnittiefe :Vorschub :Schneidstoff : TiC-Al2O3- besch.HM
vc = 200 m.min–1
ap = 2,5 mmf = 0,315 mm
5° 6° 0° 90° 60°rεα γ λ ε κ
C45 V
10 mm
C45 BY
10 mm
3.3 Werkstoffeinfluss
46
günstig aus.1 Mit dieser Behandlung können durch Einsparen weiterer Wärmvor-gänge Kosten bei der Rohteilherstellung durch Schmieden (Fortfall der Erwärmung zum Härten und zum Anlassen, Verringerung von Richtkosten) verringert werden. Die BY-Behandlung erzeugt ein grobkörniges Gefüge, bei dem Perlitkörner von einem geschlossenen Ferritnetz umgeben sind. Die Spanformen sind günstiger als bei einem Vergütungs- oder Normalisierungsgefüge. Andere Wärmebehandlungen sind auf die Ausbildung besonderer physikalischer Eigenschaften gerichtet und werden nicht primär zur Verbesserung der Spanformung eingesetzt.
Das Weichglühen (G) von Stählen höheren C-Gehalts oder von legierten Stählen soll dem Werkstoff hohe Härte nehmen und damit die Zerspanbarkeit (Kräfte, Ver-schleiß) verbessern. Die Spanformen werden dabei ungünstiger wegen der Bildung höherer Ferritanteile.
Durch Normalglühen (N) bei Stählen mit C-Gehalten unter 0,9 % wird das Ge-füge umkristallisiert (Glühtemperatur wenig über GOS im Eisen-Kohlenstoff-Dia-gramm) und dadurch feinkörniger und gleichmäßiger verteilt. Die Spanformung wird kaum beeinflusst, allenfalls verschlechtert.
Durch Vergüten (V) lässt sich die Festigkeit eines Stahls erhöhen. Dazu wird durch Härten Martensit gebildet. Durch anschließendes Anlassen verliert der Stahl wesentlich an Härte, wird aber zäher. Hochvergütete Stähle (hohe Festigkeit) zeigen eher günstige Spanformen. Mit höherer Anlasstemperatur sinkt die Festigkeit und das Formänderungsvermögen steigt. Entsprechend werden die Spanformen ungünstiger.
3.4 Einfluss der Schnittbedingungen
Die Schnittbedingungen wirken sich durch Beeinflussung der Spanbildung (Schnitt-geschwindigkeit und Spanwinkel) und über sekundäre Effekte (sekundäre Spanfor-mung: Vorschub und Schnitttiefe) auf die Spanformen aus.
Der Vorschub bestimmt mit der Spanstauchung die Spandicke und damit die Verformungsfähigkeit des Spans (s. Abschn. 3.2). Das führt zu einer starken Abhän-gigkeit der Spanformen vom Vorschub (Abb. 3.13). Bei richtig ausgelegten Span-leitstufen können für große Vorschübe (Schruppen) günstige Spanformen erreicht werden, nicht dagegen für geringe Vorschübe.
Die Schnitttiefe wirkt sich nur wenig auf die Spanform aus. Bei großen Schnitt-tiefen nimmt die Neigung des Spans ab, durch Anlaufen an ein Hindernis zu bre-chen.
Die Schnittgeschwindigkeit bestimmt wesentlich die Temperaturen in der Span-bildungszone über Wärmeleitung und Konvektion (s. Kap. 5). Höhere Schnittge-schwindigkeiten führen zu höheren Spanbildungstemperaturen. Bei höheren Tem-peraturen sind die meisten Stähle stärker verformbar. Daher werden sie während
1 BY-Behandlung oder auch P-Behandlung führt zu einem schmiedeperlitischen Gefüge. Einge-setzt werden ausscheidungshärtende Stähle (AFP-Stähle). Die Bezeichnung BY entspricht nicht mehr europäischer Norm.
3 Spanformung
47
der Spanbildung weniger geschädigt. Höhere Schnittgeschwindigkeiten führen zu ungünstigeren Spanformen bis ca. vc = 400 m/min. Bei Vergütungsstählen wird die Spanbildung oberhalb dieses Geschwindigkeitsbereichs ungleichmäßig. Es wech-seln Bereiche starker mit solchen geringer plastischer Formänderung. Sowohl aus-gesprochene Lamellenbildung als auch feine Segmentierung des Spans (adiabate Scherung) können vorliegen.
Der Spanwinkel beeinflusst die Scherung bei der Spanbildung. Negative Span-winkel führen zu starker Verformung, die besonders bei geringer Schnittgeschwin-digkeit den Span vorschädigen und damit sekundäres Brechen erleichtern.
Eine umfassende Einflussanalyse hat Nakayama [NAK92] vorgenommen (Abb. 3.14). Er verknüpft die Spanbildung über den Scherwinkel (A), die Scherver-formung (D) und die Kaltverfestigung (G) mit der Spanformung. Der Einfluss des Werkstoffs wird über seine Zähigkeit (B), die Spantemperatur (C) und die Risse im Span (E) gekennzeichnet. Die Schneidkeilform (F, H) und die Wirkung des Werk-zeugverschleißes werden angegeben.
Fragen
1. Was verstehen Sie unter den Begriffen Zeitspanvolumen (Volumenrate) und Spanraumzahl, welcher Zusammenhang besteht zwischen ihnen?
2. Welche Bedeutung hat die Spanraumzahl? 3. Nennen und beschreiben Sie Ihnen bekannte Spanformen und beurteilen Sie
ihre Zweckmäßigkeit.
Abb. 3.13 Einfluss der Schnittbedingungen auf die Spanform (nach [DEG93])
1
1 1
8
8 8
1
8100 300 m.min–1 1000
Schnittgeschwindigkeit vc
Vorschub f
vc2
vc1
vc2 > vc1
0°
Spa
nfor
mkl
asse
Spa
nfor
mkl
asse
Spa
nfor
mkl
asse
Spa
nfor
mkl
asse
Schnittiefe ap– γ + γ
Spanwinkel γ
Fragen
48
4. Welche Möglichkeiten der Spanformbeeinflussung sind Ihnen bekannt? Erläu-tern Sie deren Vor- und Nachteile.
5. Erläutern Sie die Funktion einer Spanformstufe. 6. Wie wirken sich die wichtigsten Eisenbegleiter auf die Spanformung von Stahl
aus? 7. Wie lässt sich erklären, dass bei großen Spanungsdicken günstigere Spanfor-
men auftreten als bei geringen Spanungsdicken?
Abb. 3.15 Einsatz von Spanleitstufen. a Eingesinterte Spanleitstufe. b Annahme: Span wird von Krümmungsradius R auf R→∞ aufgebogen. c Spanungsgrößen beim Drehen
bL
a b c
tL
R0
ap
k h
b
f
R ∞
3 Spanformung
Abb. 3.14 Einflussgrößen auf die Spanform [NAK92]
Scherwinkel Spandicke Spanbruch
SpanbruchZähigkeit des Spans
Spantemperatur
Scherverformung
Risse im Span
Schneidkantenverschleiß
Kaltverfestigung des vorlaufenden Schnitts
effektiverSpanwinkel
KolkverschleißScherwinkel
effektiver SpanwinkelSpandicke Spanbruch
B
B
B
B
A
A
B
C
D
E
F
G
H
49
8. Wie wirkt sich Kolkverschleiß, wie Schneidkantenverschleiß auf die Spanfor-men aus?
9. Eine in der Praxis übliche Methode zur Spanformung beim Drehen ist der Ein-satz von Spanleitstufen. Ihre Aufgabe ist es, den abfließenden Span gegen ein Hindernis in Fließrichtung zu leiten und somit durch eine zusätzliche Mate-rialbeanspruchung den Span brechen zu lassen. Ist beim Einsatz einer ein-gesinterten Spanleitstufe (Abb. 3.15a) ein sicherer Spanbruch beim Drehen des Werkstoffs C45 gewährleistet, wenn angenommen wird, dass der Span von einem Krümmungsradius R auf R = ∞ aufgebogen wird (Abb. 3.15b)? Der Einstellwinkel beträgt κ = 90°, der Vorschub f = 0,1 mm, der Spanwin-kel γ = 10° und der Scherwinkel ø = 35° (Abb. 3.15c) für den Spanformer gilt: bL = 1,0 mm, tL = 0,3 mm. Die gegen die gekerbte Spanoberseite des Spans gemessene Bruchdehnung von C45 beträgt εb = 7,1 %.
10. Welche Möglichkeit besteht, unter Anwendung desselben Werkzeugs die Span-form zu verbessern?
Literatur
[DEG93] Degner, W.; Lutze, H.; Smejkal, E.: Spanende Formung – Theorie, Berechnung, Richt-werte. 13. Aufl., Carl Hanser Verlag, München, Wien 1993
[HIN09] Hintze, W.: Persönliche Mitteilung, 2009[MÜL93] Müller, M.; Hintze, W.: Werkzeugentwicklung zur Spanbeherrschung beim Drehen und
Bohren. VDI-Berichte 988 (1993) S. 331-344[NAK92] Nakayama, K: Persönliche Mitteilung, 1992[OKU59] Okushima, K.; Minato, K.: On the behaviour of chip in steel cutting. Bulletin of the
Japan Society of Mechanical Engineers, 2 (1959) 5, p. 58-64[PAT87] Patzke, M.: Einfluss der Randzone auf die Zerspanbarkeit von Schmiedeteilen. Dr.-Ing.
Diss. Universität Hannover 1987[STA90] Stahl-Eisen-Liste. Verein deutscher Eisenhüttenleute. Düsseldorf: Verlag Stahleisen 8.
Auflage 1990[WIN82] Winkler, H.: Zerspanbarkeit von niedriglegierten Kohlenstoffstählen nach gesteuerter
Abkühlung. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover 1982
Weiterführende Literatur
Crafoord, R.; Kaminski, J.; Lagerberg, S.; Ljungkrona, O.; Wretland, A.: Chip control in tube turn-ing using a high-pressure water jet. Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part B: Journal of Engineering Manufacture 218 (1999) 8, p. 761-767
Jawahir, I. S.; van Lutterfelt, C. A.: Recent developments in chip control research and applications. Annals of the CIRP 42 (1993) 2, p. 659-93
Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren Bd. 1: Drehen, Fräsen, Bohren. 8. Aufl. Springer Ver-lag Berlin, Heidelberg, New York 2008
Weiterführende Literatur
50
Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren Bd. 2: Schleifen, Honen, Läppen. 4. Aufl. Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2005
Nakayama, K.; Arai, M.: Comprehensive chip form classification based on the cutting mechanism. Annals of the CIRP 41 (1992) 1, p. 71-74
Strenkowski, J. S.; Athavale, S. M.: A partially constrained Eulerian orthogonal cutting model for chip control tools. Journal of Manufacturing Science and Engineering, 119 (1997) 4B, p. 681-688
3 Spanformung
51
Zur Auslegung von Maschinen, Werkzeugen, Spannzeugen und überhaupt des ge-samten Prozesses ist die Kenntnis von Kräften und Leistungen, die beim Spanen auftreten, unerlässlich. Daher wurden verschiedene Ansätze entwickelt, diese Pro-zessgrößen vorherzubestimmen. Es sind dies
• Ansätze unter Nutzung empirischer Modelle, bei denen auf experimentellen Er-gebnissen aufgebaut wird,
• analytische Modelle auf der Grundlage der elementaren Plastomechanik• und Ansätze mit der Finite-Elemente-Methode (FEM).
Empirische Modelle sind geeignet, Leistungen und Kräfte in einem begrenzten Gül-tigkeitsbereich mit guter Genauigkeit wiederzugeben. Eine Schwierigkeit besteht im Allgemeinen darin, die Gültigkeitsgrenzen zu bestimmen. Dennoch haben sich in der Praxis die auf dieser Methode beruhenden Rechenverfahren weitgehend ein-geführt, weil sie einfach zu handhaben sind. Ob sie noch innerhalb gegebener Gül-tigkeitsgrenzen angewandt werden, sollte kritisch betrachtet werden.
Analytische Modelle auf der Grundlage der elementaren Plastomechanik können meist nicht den Anspruch erheben, im Einzelfall exakte Ergebnisse zu liefern. Sie haben aber den großen Vorteil, die Zusammenhänge der wichtigsten Eingangsgrö-ßen eines Prozesses in Form von Gleichungen wiederzugeben. Daraus lassen sich dann die „Stellschrauben“ zur Beeinflussung des Prozesses ableiten im Sinne einer Tendenzanalyse.
Mit der Finite-Elemente-Methode lassen sich Leistungen und Kräfte – und auch weitere Größen wie Verschiebungen, Bahngeschwindigkeiten, Dehnungen, Span-nungen und auch thermische Größen – weitgehend exakt ermitteln. Allerdings ist der Modellierungsaufwand und je nach Modellierung auch der Rechenaufwand er-heblich. Da inzwischen sehr leistungsfähige Rechenprogramme existieren, die den Modellierungsaufwand mindern, und weil mit schnellen Rechnern auch der Rechen-zeitaufwand begrenzt werden kann, wird die FEM in Entwicklungsabteilungen und in der Forschung zunehmend eingesetzt. Allerdings ist Voraussetzung für eine zu-verlässige Rechnung, dass das Stoffverhalten des Werkstoffes und die Kontaktbedin-gungen zwischen Werkstoff und Werkzeug ausreichend genau modelliert werden.
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 4Kräfte und Leistungen beim Spanen
52
4.1 Empirische Modelle
Der Werkstoff setzt dem Eindringen des Schneidkeils einen Widerstand entgegen, der durch Aufbringen einer Kraft, der Zerspankraft Fz, überwunden werden muss. Diese Zerspankraft steht im Allgemeinen schräg im Raum (Abb. 4.1). Sie wird zweckmäßig in einem rechtwinkligen Koordinatensystem zerlegt, das zwei Achsen in den Richtungen der Schnitt- und der Vorschubbewegung hat. Damit lassen sich die entsprechenden Kräfte und Leistungen unmittelbar den Bauteilen und Antrieben der Maschine zuordnen. In der aus Schnitt- und Vorschubvektor gebildeten Arbeits-ebene liegt die Aktivkraft Fa, also die vektorielle Summe aus Schnittkraft Fc und Vorschubkraft Ff,
(4.1)
senkrecht dazu liegt die Passivkraft Fp und folglich gilt
(4.2)
Die Passivkraft trägt nicht zur Leistungsumsetzung bei, da in ihrer Richtung keine Bewegung zwischen Werkzeug und Werkstück stattfindet. Sie ist jedoch für die Abdrängung von Werkzeug und Werkstück je nach Steifigkeit der im Kraftfluss liegenden Bauteile und damit für Maß- und Formfehler wesentlich.
Die für das Spanen erforderlichen Leistungen ergeben sich als Produkt aus den Geschwindigkeitskomponenten und den in ihrer Richtung wirkenden Komponen-ten der Zerspankraft. Damit erhält man die Leistungen zu:
Fa = Fc + Ff
Fz = Fa + Fp.
Abb. 4.1 Komponenten der Zerspankraft beim Drehen (nach DIN 6584)
Werkst ck
ArbeitsebeneFz
Werkzeug
ve
vc
vf
Fp
Ff
Fc Fa
0
η
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
53
Schnittleistung (4.3)
Vorschubleistung: (4.4)
Üblicherweise gilt:
woraus folgt
Zur Ermittlung der für die Zerspanung notwendigen Antriebsleistung einer Werk-zeugmaschine sind daher die Schnittleistung und die Schnittkraft wichtig. Die Schnittkraft ist in der Regel größer als die Vorschubkraft. Da auch die Schnittge-schwindigkeit größer ist als die Vorschubgeschwindigkeit, ergibt sich durch Pro-duktbildung eine für die Zerspanung notwendige Schnittleistung, die sogar deutlich oberhalb der Vorschubleistung liegt.
Bei der Auslegung moderner Werkzeugmaschinen spielen allerdings die erfor-derlichen Schnitt- und Vorschubleistungen in der Regel eine untergeordnete Rolle. Die Anwender von Werkzeugmaschinen fordern geringe Nebenzeiten und damit kurze Beschleunigungszeiten der Antriebe. Die installierten Beschleunigungsleis-tungen liegen deshalb teilweise um ein Vielfaches über der allein für den Zerspan-vorgang nach Gl. 4.3 und 4.4 ermittelten Leistungen Pc und Pf
Üblicherweise wird die Schnittkraft auf den Spanungsquerschnitt A = ap ⋅ f bzw. b ⋅ h bezogen und als spezifische Schnittkraft kc bezeichnet. Dann ist
(4.5)
Die Schnittkraft hängt von einer Vielzahl von Größen ab. Dazu gehören
• Die Werkstoffeigenschaften (Festigkeit, Formänderungsvermögen, Fließkurve),• Die Schnittgeschwindigkeit,• Die Form des Spanungsquerschnittes (Verhältnis ap/f bzw. b/h),• Die Winkel des Schneidkeils und• Die Kontaktbedingungen zwischen Werkstoff und Schneidkeil,
wobei durchaus Wechselwirkungen zwischen mehreren der genannten Einflüssen und der Kraft bestehen. Der allgemeine funktionale Zusammenhang zwischen der spezifischen Schnittkraft und den Einflussgrößen wird angeschrieben zu
(4.6)
Darin ist kc0 die spezifische Schnittkraft, die für festgelegte Bezugsgrößen der Ein-flussparameter h, b, γ, vc, µ etc. gilt. Ψ0 ist eine Funktion, die die Einflüsse dieser Einflussparameter und die Wechselwirkungen zwischen ihnen berücksichtigt. Ψ0 ist dimensionslos.
Zum Trennen einer Volumeneinheit Vw ist die Schnittarbeit Wc zu verrichten. Die hierzu korrespondierende spezifische Schnittenergie ec ist
(4.7)
Schnittleistung : Pc = Fc · vc
Vorschubleistung : Pf = Ff · vf
Fc > Ff und vc vf
Fc = kc · A
kc = kc0 · 0(kc0; h; b; γ ; vc; µ . . . ..)
ec =Wc
Vw=
Pc
Qw=
Fc · vc
Qw=
kc · b · h · vc
b · h · vc
= kc
4.1 Empirische Modelle
Pc Pf
54
Wie aus dieser Gleichung hervorgeht, ist die spezifische Schnittkraft kc eine ener-getische Größe, was ihrer physikalischen Bedeutung korrekt entspricht; denn tat-sächlich ist kc nicht eine auf den Spanungsquerschnitt wirkende Kraft, also eine Spannung, sondern eine Energie je Volumeneinheit oder eine Leistung je Volumen-rate mit der Dimension J/mm3.
kc hängt von der Form des Spanungsquerschnittes ab, der durch die Spanungs-größen h und b oder die Schnittgrößen ap und f bzw. bei mehrschneidigen Werk-zeugen ap und fz definiert ist. Dass der Einstellwinkel κ in Gl. 4.6 nicht explizit berücksichtigt wird, geht auf eine Überlegung von O. Kienzle zurück [KIE54], die idealisierte plastomechanische Vorgänge beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide zu Grunde legt.
Abbildung 4.2 erläutere die Überlegung von O. Kienzle: Sie legt nahe, dass die Spanungsbreite b in guter Näherung proportional in die Schnittleistung eingeht; denn das Formänderungsgeschehen vor dem Schneidkeil ändert sich mit Variation von b nicht, solange b >> h ist, d.h. solange Randeinflüsse der Spanbildung an der freien Oberfläche und am unverformten Werkstückmaterial vernachlässigt werden können. Danach ändert eine Verdoppelung der Spanungsbreite b an der spezifischen Energie nichts. So lässt sich die Spanungsbreite b als proportionale Einflussgröße einführen. Zugleich ist damit der Einfluss des Einstellwinkels berücksichtigt, wie Abb. 4.2 zeigt.
Die Spanungsdicke h dagegen wirkt sich unmittelbar auf das Formänderungsge-schehen aus. Zum Beispiel ändert sich die Spanstauchung mit der Spanungsdicke. Linearität kann daher nicht unterstellt werden. Tatsächlich zeigen experimentelle Untersuchungen, dass der Faktor kc von der Spanungsbreite in guter Näherung un-abhängig ist aber nichtlinear von der Spanungsdicke h abhängt, wie über einen wei-ten Bereich von h und für verschiedene spanende Verfahren Abb. 4.3 festzustellen ist (logarithmische Teilung der Achsen).
Da die experimentellen Befunde im doppellogarithmischen Diagramm in gu-ter Näherung – jedenfalls abschnittsweise einen Verfahrensbereich überdeckend – durch eine ausgleichende Gerade wiedergegeben werden können (Abb. 4.4), lässt sich eine Potenzfunktion anschreiben1:
1 Im doppellogarithmischen Diagramm gilt die Geradengleichung: lg kc − lg kc1.1 = mc (lg h − lg h0) und damit folgt nach Delogarithmieren Gl. 4.6
Abb. 4.2 Spanungsquerschnitt mit Spanungsgrößen
b
bb
h
h h
vf
vfvf
κ = 0° κ = 90° 0 < κ < 90°
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
55
Abb. 4.3 Spezifische Schnittenergie und Spanungsdicke für Stahlwerkstoffe
Polieren
Schleifen
Reiben
Drehen, Bohrenund Fräsen
spez
. Ene
rgie
kc
bzw
. Wc/
Vw
Spanungsdicke h10–6 10–4 10–3 10–2 1 mm10–110–5 101
103
2
4
68
104
2
4
6105
MPa
2
4.1 Empirische Modelle
Abb. 4.4 Spezifische Energie über der Spanungsdicke
Werkstückstoff : 20 MnCr 5 BGSchnittgeschw. : vc = 100 m.min–1
Schnitttiefe : ap = 3 mmSchneidstoff : Hartmetall P10
5° 0° 70°90°6° 0,8 mm
kc1.1 = 1510 MPamc = 0,24
mc = - lg(kc/kc1.1)
lg(h/ho)
spez
ifisc
he E
nerg
ie k
c
3,16
GPa
2,0
1,6
kc1.1
kc
1,25
1,00,16 0,25 0,4 0,63 1,0 mm 2,5
Spanungsdicke h
α γ λ ε κ rε
h ho
56
(4.8)
worin h0 eine Bezugsgröße ist. kc1.1 ist der Hauptwert, –mc der Anstiegswert der spezifischen Schnittkraft. kc1.1 wird seit der Schreibweise von Kienzle zu h0 = 1 mm angegeben.2 Das hat allerdings zur Folge, dass kc1.1 in der Regel nicht direkt zur Leistungsberechnung durch Multiplikation mit der Volumenrate angesetzt werden kann; denn selbst bei Schruppvorgängen ist h meist erheblich kleiner als 1 mm. Eine Umrechnung auf eine eher praxisgerechte Spanungsdicke erfolgt nach der Be-ziehung:
(4.9)
oder z. B. für hx = 0.5 mm kc1.0,5 = kc1.1 · ( 10.5 )−mc
Für wichtige Werkstoffe sind die spezifischen Schnittenergien für die Bezugs-größe h = 1 mm und der Anstiegswert –mc in Tab. 4.1 eingetragen [SAN05].
Nach Formulierung der spezifischen Energie durch die Kienzle-Gleichung lässt sich als Grundgleichung der Leistungsbestimmung für das Spanen anschreiben:
(4.10)
2 Die Schreibweise kc1.1 wurde von Kienzle gewählt, weil dies der kc-Wert bei den Bezugsgrößen b = 1 mm und h = 1 mm ist.
kc0 = kc1.1 ·(
h
h0
)−mc
kc1.x = kc1.1 ·(
h0
hx
)−mc
Pc = kc1.1 ·(
h
h0
)−mc
· Qw · 0
Tab. 4.1 Spezifische Zerspankräfte für das Drehen (nach Dubbel)
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
57
Mit einem Produktansatz für Ψ0 werden weitere Größen erfasst:
(4.11)
Der Winkel am Schneidkeil, der das Verformungsgeschehen am stärksten beein-flusst, ist der Spanwinkel γ bzw. γr. Daraus ist zu schließen, dass auch der Leis-tungsbedarf vom Spanwinkel abhängt. Für die Stahl- und Gussbearbeitung wurde in Versuchen in guter Näherung eine lineare Abhängigkeit im praktisch üblichen Bereich des Spanwinkels festgestellt (Abb. 4.5).
Für Stahl Ck 45 gilt in guter Näherung
(4.12)
und für Gusseisen mit Lamellengraphit (GGL)
(4.13)
Aus dem Vergleich der Geraden in Abb. 4.5 kann man folgern, dass der Einfluss des Spanwinkels auf die spezifische Energie mit der Verformungsfähigkeit oder der Bruchdehnung wächst.
Auch über den Einfluss der Schnittgeschwindigkeit vc liegen experimentelle Befunde vor. Die Arbeiten über das Hochgeschwindigkeitsspanen [BEN03] haben gezeigt, dass sich die Leistung bei hohen Schnittgeschwindigkeiten oberhalb einer Grenzgeschwindigkeit vcc (siehe dazu auch Abschn. 8) in erster Näherung propor-
0 = ψγ · ψvc · ψµ · 1 (kc; h; b; γ ; vc; . . . ..)
ψγ =(
1.09 − 0.09 ·γ
γ0
)mit γ0 = 6
ψγ =(
1.03 − 0.09 ·γ
γ0
)mit γ0 = 2
Abb. 4.5 Einfluss des Spanwinkels
Stahl Ck45
Gusseisen GGL
0 10–5–10
1,4
1,3
1,2
1,1
1,0
0,9
0,8
Ein
fluss
gre
ψγ
Spanwinkel γ °
4.1 Empirische Modelle
58
tional zur Schnittgeschwindigkeit verhält, das heißt, ψv ist konstant. Zu geringeren Schnittgeschwindigkeiten hin steigt ψv an. Bei vc = 0 wird ψv = ψv0 gesetzt. Eine vereinfachte Darstellung gibt Abb. 4.6 wieder.
Daraus lässt sich eine Näherung für den Einfluss der Schnittgeschwindigkeit ableiten:
(4.14)
mit der Überhöhung der spezifischen Energie: α =ψv0
ψv.
(4.15)Die Kontaktbedingungen können sich z. B. durch unterschiedliche Reibung ändern. Untersuchungen zeigen, dass der Einfluss des Kühlschmierstoffs (Emulsion oder Mineralöl) nicht groß ist und vernachlässigt werden kann. Anders ist das für Be-schichtungen der Schneidkeile; denn durch sie kann sich der Reibwert gegenüber unbeschichtetem Hartmetalle µu deutlich ändern. Reibkontakt zwischen dem Werk-stoff besteht an der Freifläche und an der Spanfläche. Eine Abschätzung des Reib-einflusses ergibt
(4.16)
mit R = eγ/eΦ als dem Verhältnis der Reibenergie zur Umformenergie, µu als dem Reibwert ohne Beschichtung und µ als dem durch Beschichtung verringerten Reib-wert (siehe auch Abschn. 7: Schneidstoffe). In der Literatur werden Verhältnisse R = 0,15 bis 0,3 angegeben. Mit R = 0,15 ist ψµ maximal. Der Einfluss auf die spezifische Leistung ist vergleichsweise gering. Er liegt in der Größenordnung von +/– 0,10.
für vc < vcc gilt: ψv = (1 − α) · vc/vcc + α
für vc ≥ vcc gilt: ψv = 1
ψµ =1 + (µ/µu) · R
1 + R
Abb. 4.6 Schnittgeschwin-digkeitseinfluss
Ein
fluss
sgr
e ψ
υ
Schnittgeschwindigkeit
vcc vc
ψυ∞
ψυ0
ψυ
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
59
Die in Gl. 4.9 angeschriebene Formel kann näherungsweise nach den Faktoren ψγ , ψv und ψµ abgebrochen werden. Das Residuum Ψ1 in Gl. 4.11 lässt sich in An-betracht der mit den experimentellen Befunden ohnehin begrenzten Genauigkeit vernachlässigen.
Nach Gl. 4.3 ist die Schnittkraft unmittelbar aus der Leistung zu berechnen. Es ist
(4.17)
Die Arbeiten von O. Kienzle hatten ursprünglich zum Ziel, die Schnittkraft und nicht die zum Spanen erforderliche Leistung zu ermitteln. kc wurde entsprechend Gl. 4.5 angeschrieben zu
(4.18)
und damit nach Gl. 4.8
(4.19)
Versuche zur Erfassung der Schnittkraft wurden von Kienzle und Victor mit Hilfe der in Abb. 4.7 abgebildeten Anordnung durchgeführt. Dabei wird das Drehmoment über Dehnmessstreifen aufgenommen, und daraus die Schnittkraft abgeleitet. Heute werden die Zerspankraftkomponenten meist piezoelektrisch aufgenommen.
Fc = Pc/vc
Fc = kc · b · h
Fc = kc1.1 · b · h0 ·(
h
h0
)1−mc
· 0
Abb. 4.7 Schnittmomenten-Messnabe (nach Kienzle und Victor)
Trägerscheibe 3 Dehnmessstreifen 6Biegestab als Mitnehmerbolzen 4
Drehherz 5
Körnerspitze auf Wälzlagern 2
Schleifring 7
Biegestab als Mitnehmer-bolzen 4
Drehherz 5
Dehnmessstreifen 6Anzeigegerät der Wheatstone'schen Brücke 9
Bürste 8
Werkstück
Schema
4.1 Empirische Modelle
60
Piezoelektrische Materialien wie bestimmte Kristalle, z. B. Quarz (SiO2) oder Keramiken, erzeugen bei mechanischer Belastung als Folge der elastischen Ver-formung Ladungen. Diese werden in geeigneten Verstärkern in Spannungssignale umgesetzt. Als Sensoren dienen häufig dünne Quarzkristallscheiben, die je nach ihrer kristallographischen Orientierung schub- oder drucksensitiv sind. Werden also drei entsprechend orientierte Scheiben aufeinander angeordnet und verspannt (um durch Reibung Schubkräfte und durch die Vorspannung auch Zugkräfte aufnehmen zu können), lassen sich mit einem derartigen Element Komponenten in 3 Raum-richtungen aufnehmen. Solche Pakete werden kompakt gebaut, weisen eine hohe Steifigkeit auf und haben damit auch eine hohe Eigenfrequenz, was für dynamische Untersuchungen wichtig ist. In Abb. 4.8 sind 2 Schubquarze über und unter einem Druckquarz angeordnet. Einer der Hersteller, die Kistler Instrumente AG, Winter-thur/Schweiz gibt für seine Produkte einen Übersprechfehler von weniger als 1 % an [KIS09].
Durch geschicktes Zusammenschalten von 4 Paketen, wie in Abb. 4.9 zu se-hen, gelingt es, 3 Kraftkomponenten und bis zu 3 Momente zu erfassen. Dabei wird jedenfalls bei der gezeigten Bauart erreicht, dass die Kräfte im Raum weit-gehend unabhängig von der Lage ihrer Wirkungslinie erfasst werden können, was den Mess- und Auswerteaufwand erheblich verringert. Das Zusammenschalten der 4 Pakete S1 bis S4, in denen jeweils 3 Kraftkomponenten Fx, Fy und Fz gemessen werden, ergeben die globalen Größen wie folgt [KIS09]
(4.20)
(4.21)
(4.22)
Fx = Fx1+2 + Fx3+4
Fy = Fy1+4 + Fy2+3
Fz = Fz1 + Fz2 + Fz3 + Fz4.
Abb. 4.8 Piezoelektrische 3-Komponenten-Kraftmes-sung (nach Kistler)
Fx
Fx
Fz
Fz
Fy
Fy
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
61
(4.23)
(4.24)
(4.25)
Die Rechnungen lassen sich analog in einem Summier-Rechner oder in einem Digi-talrechner ausführen. Kistler gibt an, dass für eine genaue Momentenmessung eine Kalibrierung notwendig ist [KIS09].
4.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft
Die beiden übrigen Komponenten der Zerspankraft sind zur Auslegung von Ma-schinenbaugruppen und aus Genauigkeitsgründen von Interesse. Für die Bemes-sung von Vorschubantrieben kann die Vorschubkraft Ff gefragt sein, obwohl in modernen automatisierten Maschinen meist die notwendigen Beschleunigungen
Mx = b × (Fz1 + Fz2 − Fz3 − Fz4)
My = a × (−Fz1 + Fz2 + Fz3 − Fz4)
Mz = b × (−Fx1+2 + Fx3+4) + a × (Fy1+4 − Fy2+3)
Abb. 4.9 Dreikomponenten Schnittkraftmesser (nach Kistler)
Fx1+2
Fx3+4Fy1+4
Fy2+3Fz1
Fz2
Fz3Fz4
Sensor 4
Sensor 3 Sensor 2
Sensor 1
Fx
FzMz
Mz
My
a
a
bb
4.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft
62
die vom Prozess herrührenden Vorschubkräfte weit überwiegen. Die Passivkraft Fp geht – lineares Systemverhalten vorausgesetzt – proportional in die elastische Ab-drängung von Werkzeug und Werkstück ein und bestimmt damit Maß- und Form-fehler. Während z. B. beim Drehen aus der i. Allg. größeren Schnittkraft Fehler 2. Ordnung folgen
(4.26)
bewirkt die Passivkraft Fehler 1. Ordnung
(4.27)
Die Drangkraft Fd ist die vektorielle Summe aus Passiv- und Vorschubkraft
(4.28)
Bei üblichen Einstellbedingungen (h<<b, d.h. ohne Randeinflüsse des Spanungs-querschnitts) steht die Drangkraft aus Symmetriegründen senkrecht auf der Haupt-schneide. Damit liegt das Verhältnis von Passiv- zu Vorschubkraft fest
(4.29)
(4.30)
(4.31)
Als Richtwert zur Abschätzung der Drangkraft gilt
(4.32)
In Anlehnung an die Modellierung der Schnittkraft Fc lassen sich auch Potenzansät-ze für die Vorschub- und Passivkraft angeben, wobei allerdings auch hier unterstellt wird, dass die Spanungsbreite proportional in die Passiv- und Vorschubkraft ein-gehen, was hier weniger zutrifft als für die Schnittkraft.
(4.33)
(4.34)
Die Haupt- und Anstiegswerte der spezifischen Vorschub- und Passivkräfte für ei-nige wichtige Metalle sind in Tab. 4.1 enthalten.
d =2
d·(
Fc
cy
)2
d = 2 ·Fp
cx
→F d =
→Ff +
→F p.
Ff = Fd · sin κ
Fp = Fd · cos κ
Ff
Fp= tan κ.
Fd ≈ 0.7 · Fc (h b).
Ff = kf1.1 · b · h0 ·(
h
h0
)1−mf
Ff = kf1.1 · b · h0 ·(
h
h0
)1−mf
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
63
Wie in Abschn. 4.1 erläutert, lassen sich auch hier andere Bezugsgrößen als h0 = 1 mm und b0 = 1 mm einführen. Es gelten dann entsprechende Beziehungen wie in Gl. 4.8.
4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil
Mit den gezeigten Messanordnungen können die Zerspankräfte nur integral aufge-nommen werden. Die Messungen geben keinen Hinweis auf die Oberflächenkräfte, d.h. auf die Verteilung der Kräfte über die Kontaktflächen. Zum einen wird jedoch tatsächlich die Zerspankraft sowohl über die Spanfläche als auch die Freifläche ein-geleitet, zum anderen sind die Kräfte flächenmäßig verteilt. Abbildung 4.10 gibt eine Aufteilung auf Span- und Freifläche wieder, wobei quasi-orthogonales Spanen voraus-gesetzt ist. Zur Messung der Oberflächenkräfte werden folgende Methoden eingesetzt:
• Spannungsoptik (Schneidkeil aus aktivem Material),• Variation der Kontaktflächen,• Geteilte Schneidkeile.
Der Literatur [ZOD67, KAT57, UST60] lassen sich die in Abb. 4.11 dargestellten charakteristischen Verteilungen auf der Spanfläche für das Orthogonaleinstechdre-hen entnehmen.
Abb. 4.10 Oberflächenkräfte am Schneidkeil
Kontaktflächen:KL : Kontaktlänge auf SpanflächeVB : Kontaktlänge auf Freiflächeb : Breite des Keils
SchneidkeilBreite b
SchneidkeilBreite b
Fc = ∫ bσγy dx + ∫ bταy dy
Fp = ∫ bσαx dy + ∫ bτγx dx
KL
KL
KL
VB
VB
0
0 0
0
y
xz
Fp
Fc
VB
α
α
σγy
τγx
ταy
σαx
4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil
64
Ziebeil nutzt einen geteilten Schneidkeil, so dass Kraftanteile auf der Spanflä-che bei unterschiedlich langen Kontakten KL im Orthogonalschnitt aufgenommen werden können [ZIE95]. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Schnittkraft nur über die Spanfläche eingeleitet wird. Kraftanteile in Schnittkraftrichtung an der Freiflä-che werden vernachlässigt. Abbildung 4.12 zeigt den Normalspannungsverlauf bei unterschiedlichen Schnittgeschwindigkeiten für eine Aluminiumlegierung.
Eine Abschätzung der Kraftanteile auf Span- und Freifläche kann alternativ zu diesen aufwändigen Messungen eine einfache Betrachtung diskreter Kräfte leisten
Abb. 4.11 Spannungsverteilungen auf der Spanfläche [ZIE95]
nach Zorev(Rechnung)
nach Kattwinkel nach Usui und Takeyama(Spannungsoptische Messungen an Blei)
Werkzeug Werkzeug Werkzeug
extrapoliertKL : Kontaktlänge
Nor
mal
- u
. Sch
ubsp
annu
ng σ
γ, τ γ
KL KL KL
α + γ α + γ α + γ
σγ
σγ
σγ
τγ τγ
τγ
Abb. 4.12 Normalspannungen auf der Spanfläche [ZIE95]
Kontaktlänge KL
Schnittbedingungen:
Werkstoff : Al Cu Mg PdSchneidstoff : Al2O3/ZrO2 f = 2 mm
vc = 800 m/min
vc = 200 m/min
vc = 100 m/min
Nor
mal
span
nung
1000
MPa
600
400
200
0
vc = 400 m/min
0 0,2 0,4 0,6 0,8 mm 1,2
γ = – 6°α = 6°
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
65
(Abb. 4.13). Vorausgesetzt wird ein bekanntes Reibgesetz, z. B. das Coulombsche Gesetz, das an Frei- und Spanfläche gleichermaßen gilt.
(4.35)
(4.36)
Aus der Kräftesumme folgt weiterhin
(4.37)
(4.38)
Damit lassen sich aus gemessenen Kräften Fc und Fd die Normallkraftanteile auf die Span- und Freiflächen bestimmen:
(4.39)
und
(4.40)
Die Tangentialanteile ergeben sich nach Coulomb durch Einsetzen in Gl. 4.35 und 4.36.
Beispiel: Für einen Schrupp-Schlichtdrehprozess seien folgende Zahlenwerte angenommen:
Dann ergeben sich folgende Kraftanteile:
FγN = 0.9 Fc, FαN = 0.33 Fc oder FαN = 0.56 Fd, FγT = 0.27 Fc oder FγT = Fd und FαT = 0.1 Fc
FαT = µ · FαN
FγT = µ · FγN
FγN + FαT = Fc
FαN + FγT = Fd
FγN =1
1 − µ2× (Fc − µ × Fd)
FαN =1
1 − µ2× (Fd − µ × Fc)
µ = 0.3 und Fd = 0.7 Fc
Abb. 4.13 Diskrete Kraft-anteile auf der Span- und Freifläche
FγN
FαT
FαN
FγT
4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil
66
Diese Zahlenwerte stimmen in guter Näherung mit den von Denkena [DEN92, SPA67] angegebenen überein.
4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik
Die Theorie der Plastomechanik führt die Kraft- und Leistungsbestimmung auf werkstoffkundliche Grundgrößen und die allgemeine Beschreibung des Stoffver-haltens bei bildsamer Formgebung zurück. Die elementare Theorie, für die hier zwei Beispiele gegeben werden, verwendet stark vereinfachende Modelle der Ki-nematik (Verschiebungen und Formänderungen) und der Kinetik (Spannungen und Kraftwirkungen). Diese Ansätze gewinnen ihren Wert weniger dadurch, dass sie Kräfte und Leistungen exakt beschreiben können, sondern vielmehr dadurch, dass sie wichtige Eingangs- und Prozessgrößen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit dar-stellen.
4.4.1 Theorie nach Ernst und Merchant
Ernst und Merchant [ERN41] nehmen für ihre Theorie an, dass
• Orthogonales Spanen, d.h. ebene Formänderung vorliegt,• Die Zerspankraft senkrecht zur Arbeitsebene linienförmig in den Schneidkeil
eingeführt wird,• Coulombsche Reibung besteht,• Die Formänderung allein in der Scherebene stattfindet (Scherebenenmodell) und• Der Spannungszustand über der Scherebene konstant ist.
In Abb. 4.14 ist die zwischen Werkzeug und Werkstück wirkende Zerspankraft in drei Systemen auf rechtwinklig zueinander stehende Komponenten (Thaleskreis über Fz) zerlegt. Aus den eingetragenen Kräften lässt sich die Schubspannung in der Scherebene τφ berechnen:
(4.41)
Die Scherebene liegt dort, wo die Schubspannung τφ maximal ist. Der zugehörige Scherwinkel φ ergibt sich durch Nullsetzen der ersten Ableitung der Funktion τφ (φ)
(4.42)
nach einiger Umformung zu
(4.43)
τφ =Fz
b · h· cos (φ + ρ − γ ) · sin φ
dτφ
dφ= 0
cos (φ + ρ − γ + φ) = 0
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
67
wobei nur Werte für φ < 90ˆsinnvoll sind. Folglich gilt die Scherwinkelbeziehung nach Ernst und Merchant
(4.44)
4.4.2 Theorie nach Hucks
Auch die Theorie von Hucks gibt die Voraussetzungen Orthogonalschnitt, Scher-ebenenmodell, Coulombsche Reibung (Reibwert µ) und konstante Schubspannung in der Scherebene vor [HUC54]. Weiter gilt, dass der Span frei über der Spanfläche abfließt, d.h. die Normalspannung auf der Spanfläche verschwindet (σTγ = 0). Die Ableitung der Scherwinkelbeziehung nach Hucks erfolgt nach Abb. 4.15.
Aus dem Mohrschen Spannungskreis folgt
(4.45)
und aus dem Richtungsfeld
(4.46)
φ =π
4−
ρ
2+
γ
2.
tan ω =2τy
σNy
= 2µ
π
2= φ +
π
4+ ω − γ
Abb. 4.14 Kräftegeometrie beim Orthogonalschnitt
Scherebene
Span
h´
Schneidkeil
Werkstück
h vc
FpFz
FTγ
FNγ
Fc
FNφFTφ
α
γ
η
ρ – γ
φ
ρ
ϑ
4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik
68
Es ergibt sich schließlich folgende Gleichung
(4.47)
Abbildung 4.16 stellt die Scherwinkelbeziehungen nach Ernst und Merchant sowie Hucks graphisch dar. Darüber hinaus sind ca. 20 weitere Scherwinkelbeziehungen bekannt, deren allgemeine Form sich wie folgt angeben lässt:
(4.48)
φ =π
4+ γ −
1
2arctan 2 µ
φ = f (ρ, γ , ...)
Abb. 4.15 Scherwinkelbeziehung nach Hucks
Spannungs-zustand in derScherebene
Scherebene
Richtungsfeld
1;3: Hauptnormal- spannungs- ebene
MohrscherSpannungskreis
ωγ
π4
π4
φvc
3
1ασNγσNγ
σTγ
σTγ
σ
σ1
σNγ
2ωσ3
τTγ
τmax
σTγ
τγ
γ
τγ
τγτγ
Abb. 4.16 Gegenüberstellung von Scherwinkelbeziehungen
Winkeldifferenz ρ – γ
Sch
erw
inke
l Φ
70
Grad
Grad
50
40
30
20
200–10–20 30 40 60
10
100
Lee und Shaffer / Krystof
Ernst und Merchant
Hucksπ4
12
π4 2
γ ρ2Φ = + –
π4
Φ = + γ – ρ
Φ = + γ – arctan(2 µ)
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
69
Mit dem Scherwinkel lässt sich der schubverformte Querschnitt Aφ = b ⋅ h/sinφ bestimmen. Mit der Scherspannung τφ = τmax ergibt sich daraus die Scherkraft FTφ und mit den bekannten Winkeln φ und ρ die Zerspankraft und ihre Komponenten. Die Scherspannung lässt sich aus plastomechanischen Grundversuchen gewinnen [DOE86, ELM04].
4.4.3 Fließkurven und Stoffgesetze
Die Spannungen, die erreicht werden müssen, damit der Werkstoff sich plastisch verformt oder fließt, werden meist experimentell in einachsigen Grundversuchen, im Zug- oder Druckversuch, seltener im Torsionsversuch oder auch in dem Spanen technologisch näher liegenden Experimenten [ALS01] ermittelt. Die wichtigsten Einflussgrößen auf die Formänderungsfestigkeit sind die Temperatur, die Form-änderung (Dehnung, Stauchung oder Schub) und die Formänderungsgeschwin-digkeit. Während in der Umformtechnik wie z. B. beim Schmieden, Fließpressen oder Tiefziehen meist mit quasistationären Formänderungsgeschwindigkeiten bis φ = 50 s–1 gearbeitet wird, treten beim Spanen Formänderungsgeschwindigkeiten bis zu 104 s–1 und beim Hochgeschwindigkeitsspanen bis 106
s–1 auf. Daher lassen
sich Fließkurven, die für umformtechnische Analysen bestimmt wurden, nicht auf das Spanen übertragen. Fließkurven für hohe Geschwindigkeiten findet man inzwi-schen in der Literatur [z. B. TÖH05]. Für Kohlenstoffstahl CK45N sind beispielhaft Fließkurven bis zu φ = 5.000 s–1, φmax = 0.7 und θmax = 1.000 °C dargestellt. Abbil-dung 4.17 zeigt den Einfluss von Temperatur und Formänderungsgeschwindigkeit
4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik
Abb. 4.17 Formänderungsfestigkeit, Temperatur und Formänderungs-geschwindigkeit
1000
1000
MPa
600
600
400
400
200
2000
0Temperatur
For
män
deru
ngsf
estig
keit
Ck45Nϕ = 0,1
ϕ = 0,1 s–1
ϕ = 700–1000 s–1
°C
•
•
70
auf die Formänderungsfestigkeit. Als Folge der dynamischen Verfestigung (dyna-mische Reckalterung) steigt die Formänderungsfestigkeit bei diesem Werkstoff im Bereich von 250 bis 400 °C deutlich an.
Abbildung 4.18 gibt die Formänderungsfestigkeit in Abhängigkeit von der Formänderung bei einer Temperatur von 300 °C und 900 °C für eine Formände-rungsgeschwindigkeit von 5.000 s–1 wieder. Wie zu erwarten liegt die Formän-derungsfestigkeit bei 900 °C niedriger als bei 300 °C. Sie fällt mit zunehmender Formänderung ab, weil wegen annähernd adiabater Umformung die Temperatur in der Umformzone steigt.
Für numerische Rechnungen werden die Zusammenhänge von Formänderungs-festigkeit, Formänderungsgeschwindigkeit, Formänderung und Temperatur in komplexen Funktionen dargestellt, was wegen der Wechselwirkungen zwischen den Größen und dem unregelmäßigen Verlauf der Funktionen nicht trivial ist. Sol-che Funktionen heißen Stoffgesetze oder Fließgesetze. In den kommerziellen Pro-grammsystemen zur numerischen Rechnung plastischer Vorgänge wie MARC oder Deform sind häufig solche Stoffgesetze bereits implementiert. Meist wird das Stoff-gesetz von Johnson/Cook genutzt, nicht zuletzt wegen seiner Einfachheit [JOC85]. In [ELM04] sind Stoffgesetze für das Spanen mit hohen Geschwindigkeiten für Stähle, Titan und eine Aluminiumlegierung formuliert.
In den Fließkurven bzw. Stoffgesetzen wird die Fließspannung oder Formände-rungsfestigkeit kf angegeben, also die Fließgrenze bei einachsigem Spannungszu-stand. Mit Hilfe eines Fließkriteriums lassen sich mehrachsige Normalspannungs-zustände oder Schubspannungen in die einachsige Vergleichsspannung kf übertra-gen. Aus einer Energiebetrachtung ergibt sich daraus auch die Umrechnung von Formänderungen.
Nach dem Fließkriterium von Tresca (Schubspannungshypothese) gilt:
(4.49)τmax =1
2kf
Abb. 4.18 Formänderungsfestigkeit, Temperatur und Formänderung
1000F
orm
nder
ungs
fest
igke
it k f MPa
600
400
200
00 1,2 – 1,8
Form nderung ϕ
Ck45Nϕ = 5000 s–1
0,80,4
300 °C
900 °C
•
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
71
(4.50)
und nach dem Fließkriterium von v. Mises (Gestaltenergieänderungshypothese):
(4.51)
(4.52)
Damit lassen sich dann die nach den in Abschn. 4.4.1 angeschriebenen Kräfte FTφ, Fz und Fc für den Orthogonalschnitt ermitteln. Die Tangentialkraft in der Scherebe-ne FTφ ist somit
(4.53)
Aus den Kräfteplänen in Abb. 4.13 folgen
(4.54)
und
(4.55)
4.5 Numerische Theorie
Mit der später in Abschn. A vorgestellten Methode der Finiten Elemente lassen sich Spannungen, Kräfte und Temperaturen während des Spanens berechnen. We-gen des numerischen Ansatzes können dabei komplexe Stoffgesetze berücksichtigt werden, worauf in Abschn. 4.4 bereits hingewiesen wurde. Beispielhaft seien hier zwei Stoffgesetze angeführt. Der Ansatz von Johnson/Cook enthält bereits einen dynamischen Anteil
(4.56)
(4.57)
Die fünf Parameter sind werkstoffspezifisch und werden aus Fließkurvenscharen bestimmt. ε und ε stehen für plastische Dehnungen und Dehngeschwindigkeiten. ε0ist eine Bezugsformänderungsgeschwindigkeit. Sie wird zu ε0 = 1s–1 gewählt. ϑ* ist die bezogene Temperatur mit ϑ0 = 293 K als Referenztemperatur und ϑm als Schmelztemperatur des Werkstoffs. Für Stahl Ck45N wird angegeben A = 500 MPa, B = 693 MPa, C = 0,0114, n = 0,36, m = 1 und ϑm = 1808 K [JOC83].
ϕ =1
2γS
τmax =1
√3
kf
ϕ =1
√3γS
FTφ = τmax ·b·h
sin φ.
Fz = FTφ ·1
cos (φ + ρ − γ )
Fc = Fz · sin 2φ.
kf (ε, ε, ϑ) = (A + Bεn) · (1 + C · ln(ε/ε0)) · (1 − (ϑ∗)m)
mit ϑ∗ =ϑ − ϑ0
ϑm − ϑ0.
4.5 Numerische Theorie
72
Ähnlich aufgebaut ist das Stoffgesetz von El-Magd [ELM04]. Es eignet sich für die numerische Behandlung spanender Prozesse deshalb besonders, weil es große Bereiche der Formänderungsgeschwindigkeit, der Formänderung und der Tempera-tur überstreicht. Wie oben erwähnt, treten beim Spanen anders als bei den meisten makroskopischen Umformvorgängen wie beim Walzen, Ziehen, Schneiden oder Tiefziehen um zwei bis drei Zehnerpotenzen größere Formänderungsgeschwindig-keiten auf. Die Formänderungen liegen in der gleichen Größenordnung und der Temperaturbereich, den ein Stoffteilchen während der Spanbildung durchläuft, reicht von Raumtemperatur bis zu 500 °C oder unter besonderen Bedingungen so-gar bis zur Schmelztemperatur.
Auch bei numerischen Rechnungen nach der FEM wird im Allgemeinen von einem Kontinuum ausgegangen, das sich isotrop verhält und das jedenfalls zu Be-ginn der Formänderung homogen ist. Auch Volumenkonstanz kann wegen der gro-ßen plastischen Formänderung vorausgesetzt werden.
Das Stoffgesetz macht die Fließspannung kf von der Formänderung ε, der Form-änderungsgeschwindigkeit ε und der Temperatur ϑ abhängig. Bei El-Magd setzt es sich multiplikativ aus einem isothermen Teil σiso und einem Faktor Ψ (ϑ), der den mit Formänderungsgeschwindigkeit steigenden adiabaten Anteil berücksichtigt, zu-sammen
(4.58)
Die isotherme Fließspannung muss für eine Bezugstemperatur angegeben werden. Häufig wird ϑ0 = 273 K gesetzt. Dann wird aufgrund umfangreicher experimentel-ler Untersuchung angenähert
(4.59)
Darin stecken der Festigkeitsparameter K [MPa] für die Festigkeit des Werkstoffs und die Exponenten n und m für die Verfestigung mit der Formänderung bzw. mit der Formänderungsgeschwindigkeit. η [MPa⋅s] ist ein Viskositätsparameter, der den Hauptteil des Geschwindigkeitseinflusses ausmacht.
Durch die schnelle Umformung in der Spanbildungszone wird die dem Prozess zugeführte Energie, die wie vorn bereits erläutert wurde, fast vollständig in Wärme umgesetzt wird, auf die Spanbildungszone konzentriert, die Umformung ist nahe-zu adiabat – und zwar umso mehr, je größer die Schnittgeschwindigkeit und je geringer die Temperaturleitfähigkeit des Werkstoffes ist. Die Umformung ist mehr oder weniger weit vom isothermen Fall entfernt. Dies kann nach El-Magd durch die Temperaturfunktion Ψ(ϑ) berücksichtigt werden
(4.60)
In dem Exponentialansatz sind zwei Bezugstemperaturen ϑ1 [K] und ϑ2 [K] sowie die dimensionslosen Größen Gewichtungsfaktor Ax und der Exponent µ enthalten. Diese Parameter müssen für jeden Werkstoff aus Versuchen gewonnen werden. Für
kf (ε, ε, ϑ) = σiso (ε, ε, ϑ0) · (ϑ).
σiso (ε, ε) = K · εn · εm + ηε.
ψ(ϑ) = exp
(−
ϑ
ϑ1
)+ Ax exp
(−
ϑ
ϑ2
)µ
.
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
73
eine große Zahl von Werkstoffen sind sie tabelliert [ELM04]. Dabei ist einzuräu-men, dass insgesamt acht Parameter in dem hier angeschriebenen Stoffgesetz Auf-wand bedeuten, der aber durch den breiten Gültigkeitsbereich gerechtfertigt werden kann. Die Parameter für Stahl Ck45N sind K = 1341 MPa, n = 0,17, m = 0,01, η = 0,0242 MPa⋅s, ϑ1 = 1300 K, ϑ2 = 700 K, Ax = 0,33 und µ = 7. In Abb. 4.16 sind Fließkurven dargestellt, die von El-Magd aufgenommen wurden.
Daten für die Modelle von Johnson/Cook und El-Magd werden in Stauch- oder Scherversuchen ermittelt. Einen interessanten Ansatz zur Fließkurvenermittlung wählt Altan. Er lässt sich von der Überlegung leiten, sich mit der Datenaufnahme möglichst nahe an den Prozess anzulehnen, für den die Daten auch nachher benötigt werden. Er verzichtet daher auf die klassischen werkstoffkundlichen Grundversu-che und wählt einen Umfangsfräsprozess, mit dem er in einer Rückwärtssimulation aus gemessenen Zerspankraftkomponenten auf die Parameter eines Stoffgesetzes schließt. Von einem Ansatz des Stoffgesetzes nach Johnson/Cook ausgehend
(4.61)
werden die Startwerte (A0, B0, C0, D0, E0, m0 und n0) bestimmt. Dabei wird kf mit dem Algorithmus von Oxley aus den gemessenen Kräften bestimmt [OXL89]. Das Verfahren wird iterativ wiederholt, bis gemessene und aufgrund des Modells er-rechnete Kräfte ausreichend genau übereinstimmen [ALS01].
Mit Hilfe der Stoffgesetze lassen sich über die FEM Kräfte und Spannungen in der Spanbildungszone ermitteln. Abbildung 4.19 zeigt ein Beispiel. Im Teilbild links oben sind die Vergleichsspannungen nach von Mises in einem Moment der Spanbil-
kf = (A + Bεn) (1 + Clnε) (D − Eϑxm)
4.5 Numerische Theorie
Abb. 4.19 Kräfte in der FE-Simulation
Vergleichsspannungnach von Mises beiInkrement 82
PunktXn
PunktX0
Punkt X0Punkt Xn
Knoten K
konstanteSpannung
WerkstückPfad X
Kno
tenk
räfte
ent
lang
des
Pfa
des
X
Pfad X0...n
Kräfte inX-Richtung
Kräfte in X-Richtung
Kräfte inY-Richtung Kräfte in Y-Richtung
Kra
fte a
uf d
asW
erkz
eug
in X
–R
icht
ung
Krä
fte a
ufei
nen
Kno
ten
K
Zeit t
Zeit t
Y
X
Werkzeug
74
dung dargestellt. Die durchgezogenen Linien zeigen Knoten, in denen gleiche Span-nungen wirken. Rechts oben sind die Kräfte in Schnittrichtung über der Zeit bzw. über den Schnittweg nach Eindringen des Schneidkeils dargestellt. Im Teilbild rechts unten wird nur die Kraft an einem Knoten über der Zeit abgebildet (am Knoten K, s. links oben). Schließlich sind links unten die Kraftkomponenten in Schnittrichtung (x) und normal dazu (y) entlang dem Knotenpfad x0 → xn aufgetragen.
4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren
Die beim Bohren aufzubringende Leistung ist Folge von Scher- oder Umformvor-gängen und von Reibung. Wie in Abschn. 1.5 beschrieben wurde, trennen beim Bohren ins Volle (mit einem zweischneidigen Spiralbohrer) zwei Haupt- und zwei Querschneiden je einen Span ab, wobei der Werkstoff unterschiedlich umgeformt wird. Vor den Hauptschneiden bilden sich Späne dem Drehen vergleichbar, aller-dings entlang der Schneide mit unterschiedlicher Schnittgeschwindigkeit und unter-schiedlichen Spanwinkeln. Die Querschneiden haben stark negative Spanwinkel (Abb. 1.13 und 1.14). Bis zur Mitte des Bohrers fällt die Schnittgeschwindigkeit auf null ab und der als Span getrennte Werkstoff muss zusätzlich zu seiner Bewegung normal zur Schneide eine Querverschiebung erfahren, um aus dem Bereich des Bohrerkerns in den Raum der Spannut zu gelangen. Diese Scher- und Quetschvor-gänge sind eher einem Fließpressvorgang als der freien Spanbildung beim Drehen ähnlich. Die Spanbildung und Spanverschiebung erfolgt hier unter hohem hydro-statischem Druck vor den Schneiden.
Reibvorgänge treten – wie beim Drehen – auf den Span- und Freiflächen auf. Zusätzlich reiben die Fasen der Nebenfreiflächen an der Bohrungswand und die von Quer- und Hauptschneiden gebildeten Späne in den Spannuten und an der Bohrungswand. Daraus folgt, dass die Kräfte und Momente beim Bohren über der Bohrtiefe nicht konstant sind, sondern ansteigen und zwar zunächst beim Eindrin-gen der Bohrerspitze annähernd proportional zum Bohrweg und dann mit geringe-rer Steigung der zunehmenden Reibung entsprechend.
Die Anteile, die Haupt- und Querschneide durch Scher- und Reibvorgänge zu Leistungen, Kräften und Momenten beitragen, lassen sich näherungsweise nach dem Dekompositionsprinzip ermitteln. Dazu wird der Bohrvorgang in Teile auf-gelöst (Abb. 4.20). Beim „freien Bohren“ (B) wird ein rohrförmiges Werkstück mit einem Außenradius geringer als dem Bohrradius und einem Innenradius größer als der Kerndurchmesser des Bohrers bearbeitet. Nur die Hauptschneiden spanen. Die Späne können frei abfließen. Die aufzubringende Schnittleistung, die Momente und die Kräfte in Schnitt- und Vorschubrichtung entsprechen in guter Näherung dem Drehen (A).
Auf die für diesen Fall geltende Schnittleistung Pch lässt sich die Grundgleichung nach Gl. 4.8 anwenden.
(4.62)Pch = kc1.1 ·(
h
h0
)−mc
· Qv · 0
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
75
Beim Aufbohren (C) können die Späne nicht mehr frei abfließen. Es kommen Reib-kräfte hinzu. Ein Vergleich mit dem Bohren ins Volle lässt schließlich den Einfluss der Querschneiden erkennen (D). Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Schnittleis-tungsanteil von der Wirkung der Querschneide Pcq, so dass gilt
(4.63)
Diese Dekomposition setzt allerdings Unabhängigkeit der Teilvorgänge voraus, was streng nicht gegeben ist; denn z. B. tragen die von den Querschneiden erzeug-ten Späne zur Spanreibung bei.
Die Leistungsanteile lassen sich in Versuchen entsprechend Abb. 4.20 über ge-messene Momente bestimmen. Das Moment aus dem Eingriff der Hauptschnei-den sei Mch, aus der Querschneide Mcq und das Verhältnis beider sei tc = Mch/Mcq. Aus Messungen beim Bohren von Stahl C 45 ergibt sich ein Momentenverhältnis von ungefähr tc = 11 d. h. der Querschneidenanteil am Schnittmoment und an der Schnittleistung ist gering. Mit
(4.64)
ist die Gesamtleistung
Pc =(
1 +1
tc
)· Pch
und
(4.65)
mit h = ½ f sin σ/2 (f = Bohrervorschub)
Pc = Pcq + Pch
Mcq =1
tc· Mch
Pch =(
1 +1
tc
)· kc1.1 ·
(h
h0
)−mc
· Qv · 0
Abb. 4.20 Dekompositionsprinzip
Aufbohren Bohren ins Volle
Reibungdurch dieFührungsfase
Spanen undUmformenan derQuerschneide
Bohren ohne FührungsfaseneinflussOrthogonales Drehen
Reibung durchdie Späne
ah
hb b
b
c d
O
nw nw
4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren
76
Abbildung 4.21 zeigt die Bohrerspitze und die an ihr angreifenden Kräfte, die hier als diskret wirkend angesetzt werden. Die Kräfte werden als Oberflächenkräfte über die Kontaktflächen eingeleitet, d.h. als Normal- und Schubspannungen. Für die folgende Betrachtung werden diese Spannungen zu längenbezogenen Strecken-lasten zusammengefasst. In Abb. 4.22 sind diese Streckenlasten, für die in eine Ebe-ne geklappten Quer- und Hauptschneiden, aus Schnitt- pc und Vorschubstreckenlast pf schematisch dargestellt. Die geringe Radiusabhängigkeit der bezogenen Schnitt-
Abb. 4.21 Spanungsgeometrie und Zerspankräfte beim Bohren
Kräfte Vollbohren
Werkzeug
Werkstück
* ) aus Versuchen an Stahl Ck45
Ff1
Fc1
Ff2
2rc
2rc
Fp1
Fp1
Fp2
Fp2
Fc2
d0 d0
apap
vc vcvf vf
fz fz
hhb bdi
rc = 0,41.ra*)
rc = (ra + ri)12
σ σ
κ κ κ κ
ω ω
Aufbohren
Abb. 4.22 Belastung von Haupt- und Querschneide
Streckenlastaus Vorschubkraft
Streckenlastaus Schnittkraft
HauptschneideQuer-schneide
0 rq ra
pch
pcq
pc
0 rq ra
pfh
pfq
pf
pc
pf
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
77
kraft lässt zu, dass mit abschnittsweiser konstanter Streckenlast gerechnet werden kann. Es gilt folglich für das Bohrmoment
(4.66)
Es wird ein Lastverhältnisses sc = pcq/pch und ein Radiusverhältnis q = rq/ra einge-führt. Für Spiralbohrer des Typs N im Durchmesserbereich von 5 mm bis 20 mm ist ein Radiusverhältnis von q = 0,19 üblich.
(4.67)
oder das Verhältnis der einzelnen Momentenanteile
(4.68)
woraus sich das Lastverhältnis bestimmen lässt
(4.69)
oder in Zahlen für Stahl C45 sc = 2.4Für die Schnittkraft je Schneide ergibt sich
(4.70)
und mit sc und q ist
(4.71)
Mit Mc und Fc lässt sich für das Bohren ins Volle der wirksame Radius rc, an dem die diskret angenommene Schnittkraft angreift, errechnen.
(4.72)
Damit folgt in Zahlen für das Bohren ins Volle von Stahl C45 rc = 0.41 ra
(4.73)
Aus Gl. 4.65 und 4.67 lässt sich schließlich die Streckenlast auf die Hauptschneide und mit sc auch auf die Querschneide bestimmen, wobei ω die Winkelgeschwindig-keit des Bohrers ist.
Mc = 2 ·rq∫
0
pcq · rdr + 2 ·ra∫
rq
pch · rdr
Mc = pch · r2a · (1 − q2 + sc · q2)
tc =Mch
Mcq=
pch · (1 − q2)
pcq · q2
sc =(1 − q2)
q2·
1
tc
Fc =rq∫
0
pcq dr +ra∫
rq
pch dr.
Fc = pch · ra (1 − q + sc · q)
rc =Mc
2 · Fc
=1 + q2 · (sc − 1)
2 · [1 + q(sc − 1)]
Mc
2Fc
= 0, 41ra.
4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren
78
(4.74)
Die Vorschubkraft Ff je Schneide ergibt sich zu
(4.75)
Mit dem Kraftverhältnis sf = pfq/pfh gilt
(4.76)
Das Kraftverhältnis liegt bei sf = 4 und damit wird
(4.77)
Der erste Term in Gl. 4.77 steht für die Vorschubkraft an der Querschneide, der zweite für die an der Hauptschneide. Das bedeutet, der Querschneideneinfluss ist von gleicher Größenordnung wie der der Hauptschneide. Zu berücksichtigen ist, dass durch Verschleiß der Querschneide und zu einem geringeren Teil auch der Hauptschneiden die Vorschubkraft beim Bohren ins Volle bis zum Faktor 2 wachsen kann. Ein Verkürzen der Querschneide durch Anschliffe unterschiedlicher Art (s. Abb. 1.11) kann die Vorschubkraft wesentlich verringern, wie durch Minderung des Schneidenverhältnisses q aus Gl. 4.76 abzulesen ist.
Die bezogene Vorschubkraft für die Hauptschneiden lässt sich aus der Kienzle-Gleichung ermitteln. Es gilt
(4.78)
(4.79)
Die bisher angeschriebenen Ableitungen beziehen sich auf das Bohren ins Volle. Beim Aufbohren einer Vorbohrung mit ri > rq gilt dagegen Gl. 4.62 ohne einen Querschneideneinfluss.
Danach lassen sich ohne weiteres Momente und Kräfte errechnen.
Der Wirkradius rc wird
(4.80)
pch =Pc
ω × r2a ×
[1 + q2 (sc − 1)
]
Ff =rq∫
0
pfq dr +ra∫
rq
pfh dr.
Ff = (sf · q + 1 − q)pfh · ra.
Fh
pfh · ra= 0.76 + 0.81
pch = kc1.1h(1−mc)
sin σ/2 ·[1 − q(1 − sc)
] ; h = fz sin σ/2
pfh = kf 1.1 ·h(1−mf )
sin σ/2 · [1 + q (1 − sf )]
Mch =1
ω· Pch
rc =Mc
2 · Fc
=1
2(ra + ri).
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
79
und
(4.81)
Die Vorschubkraft beim Aufbohren ergibt sich entsprechend Gl. 4.33 zu
(4.82)
In den bisher angeschriebenen Ableitungen ist der Reibungseinfluss der Späne und der Führungsfase (Fall C in Abb. 4.20) nicht einbezogen. Tatsächlich steigt das Bohrmoment mit der Bohrtiefe um ungefähr 10 % je 2 ra Tiefe an. Um die Reibung der Führungsfase nicht zu stark bis zum Klemmen ansteigen zu lassen, werden Spi-ralbohrer zum Schaft hin leicht konisch (um 0.2 bis 0.8 % des Bohrerdurchmessers) ausgeführt; was der Erwärmung des Werkzeugs während des Bohrens Rechnung trägt.
4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen
Die vorn angeschriebenen Gl. 4.3 und 4.8 für die Schnittleistung sind grundsätzlich auch für das Fräsen gültig.
(4.83)
(4.84)
In Gl. 4.84 geht die Spanungsdicke h ein, die für den Einsatz eines mehrschnei-digen Fräswerkzeugs ermittelt werden muss, wie in Abb. 1.17 angegeben ist. Of-fenbar ist bei allen Verfahren, bei denen der Vorschubrichtungswinkel φ veränder-lich ist (also beim Fräsen und daraus abgeleiteten Verfahren sowie beim Schleifen) die Spanungsdicke nicht konstant, entsprechend sind es auch nicht die momentane Leistung und die momentane Zerspankraft.
Zur Bestimmung der mittleren Antriebsleistung, die an einer Frässpindel min-destens zur Verfügung gestellt werden muss, ist folglich der Mittelwert der Leistung über dem Eingriffsbogen zu bilden. Der Einfachheit halber wird unterstellt, dass der Einfluss der Spanungsdicke h auf die spezifische Energie kc in kc0 (Gl. 4.8) aus-reichend genau erfasst ist, so dass er in der Korrekturfunktion 0 vernachlässigt werden kann. Folglich kann angeschrieben werden:
(4.85)
In Gl.4.85 tritt ein Integral auf, das allgemein analytisch nicht zu lösen ist. Daher wird zur Ermittlung der mittleren Leistung meist mit der mittleren Spanungsdicke
Fc =Mc
2 · rc
.
Ff = kf 1.1 ·ra − ri
sin σ/2· h(1−mf )
Pc = Fc · vc
Pc = kc1.1 ·(
h
h0
)−mc
· Qw · 0
Pcm = kc1·1 · fz · sin k · Qw · ψ0 ·1
ϕc
ϕA∫
ϕE
sin−mc dϕ
4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen
80
hm nach Gl. 1.16 gearbeitet, die dann über dem Eingriffswinkel φc als konstant an-genommen wird.
hm =1
ϕc
∫ ϕA
ϕE
h(ϕ)dϕ =1
ϕc· fz sin κ · (cos ϕE − cos ϕA) (1.17)
Daraus folgt dann
(4.86)
Allerdings ist damit nur eine Näherung angeschrieben; denn die Mittelung wurde nicht über der spezifischen Energie sondern über der Spanungsdicke durchgeführt. Der Fehler, der durch diese Näherung gemacht wird, lässt sich numerisch z. B. z. B. über MATLAB ermitteln. Für einen Exponenten von mc = 0.25 wurde der Fehler ε in Abb. 4.23 dargestellt.
(4.87)
Man erkennt, dass über die Näherungslösung zwar eine zu geringe Leistung errech-net wird (ε > 0), dass also die Berechnung über die mittlere Spanungsdicke für alle Kombinationen des Eingriffs- und Austrittswinkels unter dem Fräsintegral liegt, dass der Fehler aber äußerst gering ist.
Zur Ermittlung der notwendigen Antriebsleistung der Maschine sind der Wir-kungsgrad im Antriebsstrang und ein Zuschlag von 15 % für die Ungleichförmig-keit der momentanen Leistung gegenüber der eben angeschriebenen mittleren Leis-tung zu berücksichtigen.
P ∗cm =
1
ϕc
· kc1.1 · Qw ·(
hm
h0
)−mc
ε =P ∗
cm − Pcm
Pcm
Abb. 4.23 Fehler durch Mittelung des Fräsintegrals
0.12
0.08
0.06
0.04
0.02
0
0.1
200150
100
φ2[°] φ1[°]
50 500 0
100
Feh
ler
ε
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
81
Das mittlere Drehmoment, das an der Frässpindel zur Verfügung gestellt werden muss, ergibt sich aus der mittleren Schnittleistung und der Winkelgeschwindigkeit ω der Frässpindel zu
(4.88)
Für die Auslegung von Maschinenkomponenten, Werkzeugen und Spannmitteln sind nicht die mittleren Werte der Prozessgrößen Drehmoment und Zerspankraft als vielmehr deren Maximalwerte von Interesse. Daher kann nicht von der mittleren Spanungsdicke ausgegangen werden sondern von ihrem Maximalwert. Dieser ist für
φE und φA < 90°: hmax = fz · sin κ · sin φA φE und φA > 90°: hmax = fz sin κ sin φE φE < 90° und φA > 90° hmax = fz sin κ
Für die Komponenten der Zerspankraft (Abb. 4.24) Schnittkraft Fc, Schnittnormal-kraft FcN und Passivkraft Fp (Tab. 4.2) gilt dann
(4.89)
Für die auf die Spindel insgesamt wirkenden Kräfte muss allerdings die Kraftwir-kung aller im Eingriff befindlichen Schneiden berücksichtigt werden.
Gegenüber der Drehbearbeitung ist die Messung der Kräfte, die am Fräserzahn angreifen, durch das rotierende Werkzeug schwieriger. Oft erfolgt die Messung der
Mc =1
ωPcm
Fi = ae · fz · ki1.1 ·(
hmax
h0
)−mi
mit i = c, cN , p
4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen
Abb. 4.24 Eingriffs- und Kraftverhältnisse beim Stirnplanfräsen
Maschinenspindel
Messerkopf
Schneide
Einzelheit "Z"fc
TU
Vb Sb
S
κr
SaVa
a p
a ea p
ü
a e2
a e1
Werkstück
AustrittsebeneSchneide
Fp
vc
ϕcϕe
ϕa
fz
vf
vf vf
D
"Z"
x
Eintrittsebene
i.–1. Bahnkurve
i. Bahnkurve y
–Fa–FfN
Fx
x
–Fc
–FcN
–Ff
FaFy
vc
ϕ = 0°ϕ = 0°
z
ω
ω
ωϕ
ϕ
82
Zerspankraftkomponenten zwischen Maschinentisch und Werkzeug im ortsfesten Koordinatensystem (Ff, Fp, FfN) mit einer piezoelektrischen Dreikomponenten-Messplattform (s. Abb. 4.9). Anschließend ist eine Transformation in umlaufen-de Koordinaten notwendig, um die Zerspankräfte Fc und FcN zu erhalten. Aus der Differenzbildung zwischen großen Komponenten können sich dabei allerdings un-zulässige Messfehlerüberhöhungen ergeben. Die zur Umrechnung erforderliche Transformationsmatrix ergibt sich zu:
(4.90)
Für eine Zerspankraftmessung beim Fräsen wurde daher der in Abb. 4.25 dar-gestellte Einzahnfräser entwickelt [BUS91]. Die Kraftmessung erfolgt auch hier piezoelektrisch über drei Dreikomponenten Kraftmesszellen, die sehr dicht an der Wirkstelle angeordnet sind. Die entsprechende Einheit gewährleistet die direkte Er-fassung der Zerspankräfte Fc, FcN und Fp. Die Halterung der Schneidplatten erfolgt durch Kassettensysteme, so dass unterschiedliche Schneidengeometrien und Werk-zeugwinkel realisiert werden können. Festgelegt ist hierbei der Werkzeugdurch-messer des Fräsers zu 200 mm.
Fragen
1. Erläutern Sie die Möglichkeiten zur Modellierung der Schnittleistung bzw. der Schnittkraft.
2. Welchen Beitrag bringen die Zerspankraftkomponenten zur an der Wirkstelle umgesetzten Leistung?
Fc
FcN
Fp
=
sin ϕ − cos ϕ 0cos ϕ sin ϕ 0
0 0 1
·
Fx
Fy
Fz
.
Tab. 4.2 Spezifische Zerspankräfte für das Fräsen (Dubbel)
4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
83
3. Warum wird in der Kienzleschen Schnittkraftbeziehung der Einstellwinkel nicht berücksichtigt?
4. Geben Sie eine physikalische Deutung der Größe kc. Sehen Sie in der Dimen-sion “Kraft/Fläche“ die Bedeutung einer Spannung?
5. Die Kienzlesche Schnittkraftbeziehung ist scheinbar dimensionsunrichtig. Wie kommt es dazu?
6. Was bedeutet der Hauptwert der spezifischen Schnittkraft kc1.1? 7. Hängt die Schnittkraft Fc stärker von der Spanungsbreite b oder der Spanungs-
dicke h ab? 8. Wie verändert sich Fc wenn bei konstantem Spanungsquerschnitt h verringert
wird? 9. kc hat die Dimension einer Spannung. Welcher spezifischen Energie entspricht
sie?10. Geben Sie die Kienzle-Beziehung für beliebige Bezugsgrößen an.11. Wie wirkt sich das Formänderungsvermögen eines Werkstoffs auf den Einfluss
des Spanwinkels auf die spezifische Energie aus?12. Welche Möglichkeiten der Schnittkraftmessung sind Ihnen bekannt?13. Wenn höher frequente Zerspankraftkomponenten gemessen werden müssen,
welches Messprinzip wählen Sie?14. Erläutern Sie das Prinzip der Zerspankraftmessung, das weitgehend unabhän-
gig von der Wirkungslinie der Kraft ist.15. Auf welchem Extremalprinzip baut die plastizitätsmechanische Ermittlung der
Scherwinkelbeziehung von Ernst und Merchant auf?
Abb. 4.25 Ermittlung der Zerspankraftkomponenten mittels Einzahnfräser
Kassettenhalter
Schneidplatte
3 - Komponenten - Kraftmesselement
Schleifring
Ladungs-verstärker
Kassette Fc
FcN
Fp
Fz
ω
Fragen
84
16. Erläutern Sie Vereinfachungen oder nicht reale Voraussetzungen in der Theorie von Ernst und Merchant.
17. Die plastizitätsmechanischen Überlegungen von Hucks gehen vom Volumen-element aus. Welche Spannungen setzt er an und wie stehen sie zueinander in Beziehung?
18. Wie hängt der Scherwinkel von der Differenz zwischen Reibwinkel und Span-winkel aufgrund der Scherwinkelbeziehungen von Ernst/Merchant und Hucks ab (qualitativ)?
19. Welche Folgerungen kann man daraus bei einer Vergrößerung des Spanwinkels ziehen?
20. Welche Möglichkeit zur Messung der Scherspannung wird genutzt?21. Was ist die isotherme und was die adiabate Fließspannung?22. Altan entwickelte ein Verfahren der Rückwärtssimulation zur Bestimmung der
Fließkurve. Was ist damit gemeint ?23. Erläutern Sie das Dekompositionsprinzip bei der Drehmoment- und Vorschub-
kraftermittlung für das Bohren.24. Beim Bohren ins Volle ergibt sich das Moment aus der Schnittkraft Fc und dem
Radius rc, an dem man sich die Kraft Fc angreifend denken kann. Warum ist rc werkstoffabhängig?
25. Wie lassen sich rechnerisch die raumfesten und schneidteilfesten Fräskraft-komponenten ineinander überführen?
26. Berechnen Sie unter Zuhilfenahme der Scherwinkelbeziehung nach Ernst u. Merchant sowie unter Berücksichtigung des Fließkriteriums nach Tresca für Ck 45 N die Tangentialkraft FTφ in der Scherebene und die zugehörige Schnittkraft Fc für den Orthogonalschnitt.
gegeben: kf = 774 MPa, γ = –6°, h = 0,2 mm, b = 2 mm, µ = 0,2
Literatur
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4 Kräfte und Leistungen beim Spanen
85
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Literatur
87
5.1 Umsetzungseffekte
Dem Zerspanprozess wird mechanische Leistung zugeführt
(5.1)
Die Leistung aus der Vorschubbewegung ist vernachlässigbar und bleibt hier un-berücksichtigt (s. Abschn. 4). Diese Schnittleistung wird durch folgende physikali-sche Effekte in Wärme oder potentielle Energie umgesetzt:
• Umformung, Scherung,• Reibung,• Stofftrennung,• Stoffumlenkung,• Eigenspannungen
In der folgenden Darstellung werden diese Leistungsanteile auf das Zeitspanvolu-men oder gleichbedeutend die Energieanteile auf das abgespante Volumen bezogen. Damit lässt sich in einer Energiebilanz die spezifische Schnittenergie kc den be-zogenen Energieanteilen aus der Umformung kφ, der Reibung kγ, der Stofftrennung kT, der Stoffumlenkung kM und den durch die Eigenspannungen bedingten Anteil kel gleichsetzen:
(5.2)
Die Energieanteile sollen qualitativ abgeschätzt, damit ihre hauptsächlichen Ein-flussgrößen erkennbar werden. Es wird mit dem Scherebenenmodell gearbeitet, das analytischer Beschreibung zugänglich ist. Dies Modell setzt voraus, dass die gesam-te Umformung in der Scherebene stattfindet. Mit den in Abschn. 4.4 angeschriebe-nen Voraussetzungen gilt, dass in der Scherfläche Aφ die konstante Scherspannung τφ wirkt. Die auf das Zeitspanvolumen bezogene Scherleistung ist demnach
(5.3)
Pc = kc · Qw
kc = kφ + ky + kT + kM + kel
kφ =τφ · Aφ · vφ
Qw= τφ ·
cos γ
sin φ cos (φ − γ )
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen,DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 5Energieumsetzung und Temperaturen
88
Für den Reibanteil kγ wird nur die Energieumsetzung auf der Spanfläche, nicht die an der Freifläche berücksichtigt. Es wird das Coulomb’sche Reibgesetz vorausge-setzt mit µ = tan ρ (µ: Reibwert, ρ: Reibwinkel). Die Tangentialkraft, die auf die Spanfläche wirkt, ist nach Abschn. 4.4.1:
(5.4)
und folglich die spezifische Reibenergie
(5.5)
Zur Stofftrennung, d.h. zur Bildung neuer Oberflächen, muss Oberflächenenergie aufgewandt werden. Sie ergibt sich aus der Oberflächenspannung T des Werkstoffs gegen das umgebende Medium und ist proportional zu den gebildeten Flächen. Die Fläche je Zeiteinheit am Span und am Werkstück ist:
(5.6)
(5.7)
Daraus folgt für
(5.8)
Weiter folgt ein Energieanteil kM aus der Stoffumlenkung. Zu seiner Bestimmung wird die Spanbildung als eine Rohrströmung aufgefasst, die durch die Spanfläche umgelenkt wird. Dann ergibt sich der Impuls auf die Spanfläche zu:
(5.9)
mit der Impulskraft FM in Richtung der Schergeschwindigkeit vφ und dem Zeitin-krement ∆t bzw. der Masse m und der Dichte ρ (Achtung: ρ ist hier die Dichte und nicht der Reibwinkel). Daraus folgt:
(5.10)und
(5.11)
oder
(5.12)
FTγ= = τφ · b · h ·[cos (φ + ρ − γ ) · ( sin φ)]
sin ρ
ky = τφ ·[cos (φ + ρ − γ ) · ( sin φ)]
sin ρ
ASp = b ·vc
λh
AWSt = b · vc
kT =
(b · vc
λh+ b · vc
)· T
Qw=
(1 +
1
λh
)·T
h.
FM · t = m · vφ.
FM = ρ · QW · vφ
kM =FM · vφ
Qwρ · v2
φ
kM = ρ ·cos2γ
cos2(φ − γ )v2
c .
5 Energieumsetzung und Temperaturen
89
Schließlich ist der Energieanteil, der als bezogene Federenergie kel infolge von Eigenspannungen gespeichert werden kann, abzuschätzen. Dieser Anteil wird als elastische Energie (potentielle Energie) in der Werkstückrandzone und im Span ge-speichert. Eine Abschätzung der maximal im Span und in der Werkstückrandzone verbleibenden Federenergie lässt sich über die Fließgrenze des Werkstoffs vorneh-men. Dazu wird vereinfachend vorausgesetzt:
• Eigenspannungen können die Fließgrenze nicht übersteigen, da sie andernfalls durch plastisches Fließen abgebaut würden.
• Bei Entlastung des Werkstoffs gilt das Hooke`sche Gesetz.• Die Abschätzung kann am einachsigen Spannungszustand vorgenommen wer-
den.
Abbildung 5.1 zeigt die Spannungsdehnungskurve für den einachsigen elastisch-plastischen Zustand und die spezifische Federenergie kel.
Die im Span und in der Randschicht des Werkstücks je Volumeneinheit maximal gespeicherte Energie ist
(5.13)
An einem Zahlenbeispiel für übliche Bedingungen sollen die Größenordnungen der Anteile bestimmt werden. Zerspant wird normalisierter Kohlenstoffstahl C45N mit Hartmetallwerkzeugen. Damit sind folgende Größen festgelegt:
E = 210.000 N/mm2, ρ = 7,8 g/cm3,kf = 2 τφ = 660 N/mm2, µ = 0,2, T = 40 mN/m,
Die Zerspanungsbedingungen seien:
Qw = 250 cm3/min mit vc = 250 m/min, h = 0,3 mm und b = 3,3 mm. Die Spanstau-chung wurde zu λ = 2,0 beobachtet. Der Spanwinkel beträgt γ = 6°.
kel =1
2
k2f
E
Abb. 5.1 Spannungs-Deh-nungskurve kf
tan α = E
kf = E.εf
kel
εf ε
α
5.1 Umsetzungseffekte
90
Aus Gl. 2.9 folgt
(2.9a)
Damit ergeben sich die Energieanteile
kφ = 760 N/mm2, kγ = 658 N/mm2, kT = 134 ⋅ 10–3 N/mm2, kM = 0,155 N/mm2, kel = 1,4 N/mm2
Diese Energiebetrachtung führt zu einem zahlenmäßigen Ergebnis, das ca. 40 % geringer ist als das nach der Kienzle-Formel, was auf die unterschiedlichen An-sätze zurückzuführen ist. Jedoch lässt sich ablesen, dass die Anteile kT, kM und kel für übliche Schnittbedingungen um Größenordnungen geringer als die Anteile kφ und kγ sind. Allerdings gewinnen kT und kM in der Ultrapräzisionszerspanung mit h ≈ 10 nm oder in der Hochgeschwindigkeitszerspanung mit vc ≈ 104 m/min er-heblich an Bedeutung. Ältere Arbeiten von Vieregge ergeben in Größenordnung vergleichbare Anteile (Abb. 5.2) der Energieumsetzung.
5.2 Wärmeabfuhr
Die über die dominanten Effekte (kφ und kγ) umgesetzte Schnittleistung wird im Wesentlichen als Wärme abgeführt. Kleinere Anteile werden als elastische Energie (potentielle Energie aus Eigenspannungen) in der Werkstückrandzone und im Span gespeichert.
arc tan φ =λ − sin γ
cos γ
Abb. 5.2 Aufteilung der Zer-spanarbeit [VIE53]
8000
6000
4000
2000
1,0
1,0
0,8
0,6
0,6 0,8
0,4
0,4
0,2
0,20
0
0
J
mm
Spanungsdicke h
Freiflächenreibung u. Trennarbeit
Freiflächenreibung u. Trennarbeit
Spanflächenreibung
Spanflächenreibung
Scherarbeit
Scherarbeit
Gesamtarbeit
Zer
span
arbe
it
Ant
eil d
erV
erfo
rmun
gsar
beit
und
der
Rei
bung
sarb
eit
an d
er Z
ersp
anar
beit
5 Energieumsetzung und Temperaturen
91
Die abgeführte Wärme verteilt sich auf den Span, das Werkstück, das Werkzeug und die Umgebung. Der Wärmestrom in die Umgebung ist gering, wenn nicht mit flüssigen Kühlschmierstoffen gearbeitet wird. Die Aufteilung der Abflüsse ist stark von der Schnittgeschwindigkeit abhängig (Abb. 5.3). Das liegt an der „Festkörper-konvektion“, der mit dem Span abgeführten Wärme und der begrenzten Wärmelei-tung in den Schneidkeil und in das Werkstück. Der Wärmestrom in das Werkzeug ist bei stationärem Spanen, wenn also das Werkzeug dauernd im Eingriff ist, wegen deren hohen Temperaturen gering; der Wärmestrom in das Werkstück hängt von der Wärmeleitfähigkeit und von der Geschwindigkeit, mit der sich die Wirkstelle über das Werkstück bewegt ab, d.h. von der Schnittgeschwindigkeit.
Zur Abschätzung der Wärmestromaufteilung in Span und Werkstück wird das in Abb. 5.4. dargestellte Modell verwendet.
Das Modell geht von einem stationären Vorgang aus. In der Spanbildungszo-ne besteht die Wärmequelle kc Qv. Aus dem Volumen fließen drei Ströme, q1 in das Werkzeug, q2 in das Werkstück und q3 in den Span. Ein vierter Teilstrom in den Kühlschmierstoff bzw. in die umgebende Luft bleibt hier unberücksichtigt. Die Teilströme q1 und q2 entstehen durch Wärmeleitung. Für sie gilt allgemein
Abb. 5.4 Modell zur Wärmestromteilung
vc
Span
WerkzeugkcQw q3
Span
q2Werkstück
Werkstückh.
h
q1Werkzeug
5.2 Wärmeabfuhr
100
%80706050403020100
100 200 300 m/min 400Schnittgeschwindigkeit vc
0
Energieanteil im Werkzeug
Energieanteil imWerkstück
Energieanteil im Span
uuc
Abb. 5.3 Energieverteilung an der Wirkstelle
92
(5.14)
Mit λ als Wärmeleitfähigkeit, mit ∆x · "1" der Fläche, über die der Wärmestrom geleitet wird (die Erstreckung senkrecht zum Strom sei "1"), mit der Stärke der er-wärmten Schicht δ, den Temperaturen im Quellvolumen θ0 und im angrenzenden Körper θi.
(5.15)
Mit cp als der Wärmekapazität, ρ der Dichte und θ0 der Temperatur des Quellvolu-mens, von dem aus die Wärmeströme q1 und q2 in die angrenzenden Körper fließen und in deren Kontaktflächen die Temperaturen θ1 und θ2 bestehen. Dann sind
(5.14a)
(5.14b)
Und schließlich folgt aus der Wärmebilanz
(5.16)
Es werden nun einige Vereinfachungen vorgenommen. Bei modernen Schneidstof-fen heizen sich die Schneidkeile so stark auf, dass praktisch kein Temperaturgefälle zwischen dem Quellvolumen und dem Schneidkeil (θ1 = θ0) besteht. Das bedeutet, dass q1 = 0 ist. ∆x2 = λh × h heißt, für ∆x2 wird die Spandicke eingesetzt. Aus Gl. 5.14 bis 5.16 folgt dann
(5.17)
Mit praktisch üblichen Daten für Stahl C45N
kc = 2.500 N/mm2, vc = 240 m/min, λh = 1.5, cp = 0.465 103 J/(kg K), ρ = 7.8 g/cm3 und λ2 = 50 J/(K m s), δ = 0.1 h, h = 0.1 mm ergibt sich
(5.18)
also 512 K über Umgebungstemperatur. Man erkennt aus Gl. 5.18, dass von der Gesamtleistung kc ⋅ Qw = 1.000 J/s der Anteil, der in den Span durch „Festkörper-konvektion“ geht, größer ist als der Wärmestrom, der ins Werkstück eintritt. Er ist in diesem Beispiel
(5.19)
q1 = λ1 · x1 ·1
δ1· ′′1′′ · (θ0 − θi)
q3 = cp · ρ · Qw · θ0
q1 = λ1 · x1 ·1
δ1· ′′1′′ · (θ0 − θ1)
q2 = λ2 · x2 ·1
δ2· ′′1′′ · (θ0 − θ2)
kc · Qw = q1 + q2 + q3
θ0 =kc
cp · ρ + λ2 · x2δ2·Qv
θ0 =2.500 106
3.63 106 + 1.25 106 = 512K
q3 = cp · ρ · Qw · θ0 = 744J/s
5 Energieumsetzung und Temperaturen
93
und entsprechend der Anteil, der ins Werkstück fließt q2 = 256 J/s. Allerdings ist in Gleichung Gl. 5.14 die Annahme der Schichtdicke δ sehr kritisch. Sie beeinflusst das Ergebnis der Rechnung stark. Daher kann diese Betrachtung nur einen Hinweis auf die Zusammenhänge geben. Die Energieaufteilung entspricht aber der Abb. 5.3 jedenfalls näherungsweise.
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
Die Temperaturen im Schneidkeil sind wesentlich für den Verschleiß. Oxidations- und Diffusionsvorgänge, die Teilursachen für den Verschleiß des Werkzeugs sind, werden mit höheren Temperaturen stark beschleunigt. Die Temperaturen in den Randschichten des Werkstücks sind für die Randzonenbeeinflussung wie Härtever-änderungen, Eigenspannungen und Gefügeumwandlungen maßgebend.
5.3.1 Temperaturmessung
Daher wurden unterschiedliche Temperaturmessverfahren entwickelt, die jedoch sämtlich verfahrensspezifische Nachteile haben. Wegen des geringen Umfangs der erhitzten Kontaktzone (nur wenige mm2), der hohen Temperaturen (ϑ > 1000 °C), des steilen Temperaturgefälles (dϑ/ds > 500 K/mm), der hohen mechanischen Beanspruchung (über 1000 MPa) und der hohen Aufheizgeschwindigkeiten (dϑ/dt ≥ 106 K/s) gestalten sich die Messungen schwierig.
Abbildung 5.5 gibt einen Überblick über die bisher beim Spanen verwendeten Messverfahren. Nach der Art, wie die Wärmeübertragung auf den jeweiligen Mess-wertaufnehmer oder Sensor erfolgt, kann zwischen Wärmeleitung und Wärmestrah-lung unterschieden werden. Die verschiedenen Messmethoden haben unterschied-liche Eigenschaften, die sie je nach Anwendungsfall geeignet erscheinen lassen. Tabelle 5.1 gibt einen Vergleich der wichtigsten Methoden mit Kriterien.
Die Widerstandsmessung beruht auf dem Effekt, dass sich die elektrische Leit-fähigkeit von Leitern und Halbleitern mit Temperatur und Druck ändert. Metalle
Abb. 5.5 Temperaturmess-verfahren
Temperaturmessung
Wärmeleitung
Widerstandsmessung Gesamtstrahlungsmessung
Bandstrahlungsmessung
Quotiententhermometrie
Seebeck-Effekt
Stoffwandlung
Wärmestrahlung
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
94
(Leiter) ändern ihren Widerstand weitgehend linear mit dem Temperaturkoeffizien-ten αθ und dem Druckkoeffizienten αp, wenn nur begrenzte Temperatur- und Druck-bereiche betrachtet werden. Allerdings ist die Druckempfindlichkeit erheblich ge-ringer als die Temperaturempfindlichkeit.
(5.20)
Für Platin- und Nickelelemente kann αp praktisch vernachlässigt werden. Dann lässt sich anschreiben
(5.21)
mit der Messtemperatur θ, der Raumtemperatur θ20, dem gemessenen Wider-stand R, dem Widerstand bei Raumtemperatur R20 und dem elektrischen Tempe-raturkoeffizienten bei Raumtemperatur α20. Für größere Temperaturbereiche muss der Widerstandskoeffizient angepasst werden. Die lineare Beziehung gilt nicht für Widerstände auf Halbleiterbasis (Thermistoren).
Grundsätzlich lassen sich nahezu alle Metalle zur Widerstandsmessung einset-zen. Um aber störende Oxidationen zu vermeiden, werden Edelmetalle, vor allem Platin als Widerstandsmaterial verwendet. Platin-Widerstandsthermometer lassen sich bis 900 °C nutzen. Sie sind als Draht von 0,9 bis 4 mm Durchmesser verfügbar. Ihre Zeitkonstanten liegen für derartige Abmessungen jedoch zwischen 2 bis 20 s. Wegen ihrer Größe und ihrer hohen Zeitkonstanten werden solche Elemente zur Temperaturmessung an spanenden Prozessen nur eingesetzt, wenn quasi-stationäre Verhältnisse vorliegen. Der Nachteil langer Zeitkonstanten kann weitgehend beho-ben werden, wenn als Widerstandselemente dünne Folien oder isolierte Schichten
R
R= αp · p + αT · θ.
θ = θ20 + (R/R20 − 1)/α20
5 Energieumsetzung und Temperaturen
Tab. 5.1 Vergleich der Temperaturmessverfahren [DAV07]
95
verwendet werden; denn offenbar sind die Aufwärmzeit und damit die Zeitkonstan-te abhängig vom Querschnitt des Wärme leitenden Elementes.
Zur Bestimmung der Temperaturverteilung in den Kontaktzonen zwischen Werk-stoff und Schneidstoff sind Sensoren in Dünnschichttechnik entwickelt worden [TÖN94]. Die Sensordicke beträgt 0,2 µm, die Breite 20 µm. Um einen Kurzschluss mit dem ablaufenden Span zu vermeiden, sind die leitenden Schichten mit einer ca. 2 µm dicken Al2O3-Schutzschicht überzogen. Durch die Anordnung mehrerer Wi-derstandselemente dicht hintereinander gelingt es, die Temperaturverteilung auf der Span- bzw. Freifläche während des Spanens zu bestimmen. Das Messprinzip und einen einsatzbereiten Sensor, bei dem die Elemente auf der Spanfläche aufgebracht sind, zeigt Abb. 5.6.
Thermoelemente arbeiten nach dem Seebeck-Effekt. Das Prinzip ist in Abb. 5.6 dargestellt. Grundlage der Thermoelektrizität bilden frei bewegliche Elektronen, die die Oberfläche eines Metalls verlassen können, wenn ihre kinetische Energie mindestens gleich der Austritts- oder Ablösearbeit ist. Da diese materialabhängig ist, treten bei einer innigen Berührung zweier Metalloberflächen einige Elektronen von einem Metall mit niedriger Austrittsarbeit in das andere über. Es entsteht eine Berührungsspannung, deren Größe temperaturabhängig ist. Ein Thermoelement enthält zwei dieser Berührungsstellen. Besteht zwischen diesen keine Temperatur-differenz, so gleichen sich die beiden Berührungsspannungen aus. Haben die beiden Verbindungsstellen unterschiedliche Temperatur, so fließt als Folge der Thermo-spannung ein Thermostrom. Seine Größe hängt außer vom Stromkreiswiderstand von den beteiligten Stoffen, hier von Werkstoff und Schneidstoff, und der Tem-peraturdifferenz ab. Für begrenzte Messbereiche gilt näherungsweise die Thermo-spannung
(5.22)U = k · (θ1 − θ0)
Abb. 5.6 Dünnschichtmesswertaufnehmer
Messprinzip einsatzbereite Messwertaufnehmer
AnschlussfahnenSchutzschicht(Al2O3)
Werkzeug(Al2O3)
Aufnehmer(Ni oder Pt)
∆RR
= αp0 • ∆p + αϑ • ∆ϑ
αp : Druckkoeffizientαϑ : Temperaturkoeff.
p : Druck.
R : elektr. Widerstandϑ : Temperatur
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
96
Darin ist k der Seebeck-Koeffizient, der von der Materialpaarung und von der mittleren Arbeitstemperatur abhängt. Typische Materialkombinationen sind Pt und Pt/Rh mit k = 10 µV/K oder NiCr und Ni mit 40 µV/K. Einige Möglichkeiten der Nutzung des Seebeck-Effektes beim Spanen zeigt Abb. 5.7
Beim Einmeißel-Verfahren werden Werkzeug und Werkstück unmittelbar als Messelemente genutzt. Die beiden Materialien bilden also das Thermopaar. Da der Seebeck-Koeffizient dieser Paarung nicht bekannt ist, muss die Empfindlichkeit durch Kalibrierung möglichst im Messbereich gewonnen werden. Abbildung 5.8 zeigt eine Anordnung in einer Drehmaschine.
Hauptschwierigkeiten beim Einmeißel-Verfahren sind die Isolation der Potential führenden Teile zur Ableitung der Thermospannung vom umlaufenden Werkstück und die Kalibrierung des Thermopaares [OPI52]. Kennzeichnend für die Messme-thode nach dem Einmeißel-Verfahren ist, dass sie nur einen Temperaturmittelwert über der Kontaktfläche liefert. Über die Art der Mittelung kann keine Aussage ge-
Abb. 5.7 Anwendung von Thermoelementen
ein Werkzeug zwei Werkzeuge
WerkstückMesspunktMesspunkt
Werkstück
V
Werkzeuge
Isolierung
Isolierung Thermoelement Thermoelement
Werkzeug
Werkstück
zvar
Halter
Schneidplatte
Werkzeugeinbau Werkstückeinbau
Thermoelement (zwei-Drath Methode)
V
Abb. 5.8 Temperaturmessung, Einmeißel-Verfahren [OPI52]
Hg - Abnehmer Werkstück Messstelle
V
I = 0
Vergleichsstellen
lsolierung
isolierterSchutzmantel
Werkzeug
stromloseSpannungsmessung
5 Energieumsetzung und Temperaturen
97
macht werden. Ein weiteres Problem ist, dass die Kalibrierung für jede Stoffpaa-rung zu leisten ist; wenn also ein anderer Werkstoff untersucht oder ein anderer Schneidstoff eingesetzt wird, ist neu zu kalibrieren.
Die Notwendigkeit der Kalibrierung jeder Werkzeug-Werkstück Kombination und die Probleme bei der Ableitung der Thermospannung vom sich bewegenden Werkstück führten zur Entwicklung des Zweimeißel-Verfahrens. Dabei wird mit zwei aus verschiedenen Stoffen bestehenden Werkzeugen gleichzeitig und unter denselben Versuchsbedingungen zerspant, die Thermospannung wird zwischen den beiden Werkzeugen als Thermopaar gemessen.
Weitere Varianten des thermoelektrischen Prinzips arbeiten mit diskreten Ther-moelementen, die in das Werkzeug (Abb. 5.9) oder in das Werkstück eingebaut werden. Es können auch einzelne Drähte in elektrisch isolierende Schneidstoffe eingebracht werden. Der Draht bildet dann gemeinsam mit dem berührenden Span oder dem Werkstück ein Thermoelement. Das definierte Einbringen von Thermo-elementen ermöglicht die Bestimmung der Temperaturverteilung im Werkzeug oder Werkstück.
Der Effekt, dass alle Stoffe bei bestimmten Temperaturen ihr Gefüge und damit ihre physikalischen oder chemischen Eigenschaften ändern, ist die Basis weiterer Temperaturmessverfahren ( Stoffumwandlung). Dabei wird die Energie, die zur Än-derung notwendig ist, von der Umgebung aufgenommen oder an sie abgegeben. Die Temperaturen müssen somit eine gewisse Zeitdauer auf die Stoffe einwirken, damit der Energietransport zu reproduzierbaren Werten führt. Kurzzeitige Änderungen der Temperatur werden meist nicht ausreichend erfasst, deshalb sind die Messun-gen auf stationäre Temperaturfelder beschränkt. Aussagen über kurzzeitig höhere Temperaturen sind nicht ohne weiteres möglich. Kommerziell sind temperaturemp-findliche Farbanstriche, Flüssigkristalle und thermographische Kreiden erhältlich.
Abb. 5.9 Thermoelement im Drehmeißel
PtPtRh
Kaltlötstelle
Ausgleichswiderstand
V
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
98
Inzwischen wurden diese umwandelnden Stoffe für einen Temperaturbereich bis 2.000 °C entwickelt [DAV07].
Die von einem Körper abgestrahlte Energie ist ein Maß für seine Temperatur. Die je Fläche abgestrahlte Leistung hängt nach dem Planck’schen Gesetz von der Wellenlänge λ der Strahlung und der Temperatur der strahlenden Fläche ab. Ein „schwarzer Körper“ strahlt nach dem Wien’schen Gesetz die Energie je Flächenein-heit und Wellenlänge ESλ ab (Abb. 5.10):
(5.23)
In Gl. 5.23 ist σ = 5,67 !0–8 W/m2 K4 der Strahlungskoeffizient. Wirkliche Körper emittieren weniger Leistung als ein schwarzer Körper. Daher ist die Emissionszahl ε zu berücksichtigen:
(5.24)
In der Kenntnis der Emissionszahl liegt die Schwierigkeit, sie muss für die am Pro-zess beteiligten Körper bekannt sein.
Strahlungsthermometer werden auch als Pyrometer bezeichnet. Mit Gesamt-strahlungsthermometern wird eine maximale Strahlungsleistung über einen gro-ßen Empfangskegel und über alle Wellenlängen aufgenommen. Sie können über einen weiten Bereich von Temperaturen ab 200 °C bis 1.800 °C verwendet werden. Bandstrahlungsthermometer nehmen Strahlung nur über einen definierten Wellen-längenbereich auf. Sie werden wegen ihrer relativ guten Handhabbarkeit häufig für Temperaturmessungen an spanenden Prozessen eingesetzt. Quotiententhermome-
ESλ = σ · θ4
E = ε · ESλ
Abb. 5.10 Emittierte Leis-tung und Temperatur
4,80
Wcm2 m
3,84
3,20
2,56
1,92
1,28
0,64
00 1 2
Wellenlänge 3 4 5 7
0
0,33
0,67
rel.
spek
tral
eE
mpf
indl
ichk
eit
1,00
1000 Ksp
ektr
ale
Str
ahlu
ngsi
nten
sitä
t Wb
Detektor
1100 K
1200 K
1300 K
900 K800 K700 K
m
5 Energieumsetzung und Temperaturen
99
ter nehmen die Strahlung zweier Wellenlängen auf und können so weitgehend den Einfluss der Stoff abhängigen Emissionszahl eliminieren, indem der Quotient der aufgenommenen Strahlungsenergien gebildet wird und sich so die Emissionszahl heraus kürzt. Das setzt voraus, dass die Emissionszahl nicht Wellenlängen abhängig ist. Allerdings sind durch die Nutzung von nur zwei Wellenlängen die Strahlungs-energie und damit die Empfindlichkeit der Messung begrenzt. Auch dieses Verfah-ren wird zur Temperaturmessung an spanenden Prozessen eingesetzt.
Das Prinzip eines typischen Strahlungsthermometers ist in Abb. 5.11 dargestellt.Die Temperaturmessung über Strahlung hat eine Reihe von Vorteilen: Die Mes-
sung ist sehr schnell, sie dauert nämlich je nach Gerät weniger als 1s bis 10 µs. Der mögliche Messbereich ist groß, er liegt zwischen 300 °C bis 3500 °C. Das Messobjekt wird nicht beeinflusst und es lassen sich Temperaturen auch an be-wegten Messobjekten bestimmen. Nachteilig ist, dass die Emissionzahl vom Stoff, von seiner Oberflächenstruktur, von der aufgenommenen Wellenlänge und von der Temperatur selbst abhängt.
Als Strahlungsempfänger werden heute in der Regel infrarotempfindliche De-tektoren (Photowiderstand mit einer oberen Grenzwellenlänge) eingesetzt. Abbil-dung 5.12 zeigt schematisch eine Messanordnung zur Infrarotthermographie.
Mit diesem Verfahren können auch bewegte Bilder bei der Zerspanung erhalten werden. Abbildung 5.13 ist ein Infrarotthermogramm der Bandspanbildung beim Orthogonaleinstechdrehen von C45E. Bereits 1933 wurden von Schwerd und Kra-mer in Hannover erste Messungen nach diesem Verfahren zur Bestimmung von Temperaturfeldern beim Spanen gemacht [SCH33]. Dem Problem der Tempera-turabhängigkeit von Emissionszahlen, das Messfehler bei der Abtastung von in-homogenen Temperaturfeldern verursacht, kann durch Punktmessungen begegnet werden, wenn der potentielle Fehler durch Kalibrierung der Detektorspannung eli-miniert wird [DEN92].
Abb. 5.11 Strahlungsthermometer [DAV07]
Verstärker/Monitor
Winkel-Blende
LinseEmpfänger
Target-Blende
FilterdA
Target
System-antwort
R (
λ)
λ
ε(λ,φ,θ)Eλ,b
φθ
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
100
5.3.2 Temperaturfelder
Mit der in Abb. 5.12 dargestellten Methode lassen sich Temperaturen auf der Span-fläche eines Werkzeugs im unterbrochenen Schnitt messen. Aus den Abkühlkurven über der Zeit kann bei Anwendung eines Modells zur instationären Temperaturver-teilung mit ausreichender Genauigkeit auf die Spanflächentemperatur im Moment des Schneidenaustritts geschlossen werden. Abbildung 5.14 zeigt Temperaturzeit-verläufe beim Drehen mit verschiedenen keramischen Schneidstoffen. Je nach Wär-meleitfähigkeit ergeben sich unterschiedliche Austrittstemperaturen.
Die Ausdehnung der erwärmten Zone sowie die Temperaturverteilung in diesem Gebiet sind wie das Temperaturmaximum abhängig von den thermischen Eigen-
Abb. 5.12 Anordnung einer Messeinrichtung zur Infrarotthermographie beim Drehen
Drehprozess
InfrarotkameraAufnahme von Einzelbildern und Verknüpfung zubewegten Bildern
Anzeige und Schnittstellen
t
Abb. 5.13 Infrarotbild beim Drehen von C45E
5 Energieumsetzung und Temperaturen
101
schaften des Schneidstoffs, den Einstellbedingungen und aufgrund unterschied-licher Spanbildungsmechanismen vom Werkstoff. Bei einer Al2O3/ZrO2-Keramik ergibt sich für Grauguss eine Verteilung nach Abb. 5.15. Das Temperaturmaximum befindet sich in der Mitte der Kontaktzone zwischen Werkzeug und Span.
Abb. 5.14 Temperaturverlauf beim Fräsen mit unterschiedlichen Keramiken nach dem Austritt [DEN92]
800
Austrittstemperatur
Werkstoff : GG - 25: vc = 500 m/min
: ap = 2,0 mm
r Fase–6° –4°
0,3
90°
0,16Hauptschneide Nebenschneide
75° 1,2mm
1,00,2x20°
: f = 0,32 mmSchnittgeschw.VorschubSchnittiefe
°C
600
500
400
berechnete Werte
gemessene Werte300
2000 2 4 6 8 10 12 14 16 ms 20
Zeit t
Si3N4
Al2O3/TiC Al2O3/ZrO2Tem
pera
tur
ϑ
λ κεγ
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
Abb. 5.15 Temperaturverteilung auf der Spanfläche von Al2O3/ZrO2-Schneidkeramik [DEN92]
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5mm
730°
Nebenschneide
Hauptschneide
Zeitpunkt : Austritt
y x
Messfleck.-Ø : 0,16 mm
500°C
0,8mm0,6
0,40,2
WerkstoffSchnittgeschw.VorschubSchnittiefe
–6° –4° 90° 75° 1,2mm 0,2×20°Faser
: vc = 500 m/min: f = 0,32 mm: ap = 2,0 mm
: GG - 25
λ κεγ
ϑ
Spanfläche
102
Der Einfluss der Schnittgeschwindigkeit und des Vorschubs auf die Spanflä-chentemperatur unterschiedlicher Schneidkeramiken ist aus Abb. 5.15 für die Guss-bearbeitung und aus Abb. 5.16 für die Stahlbearbeitung ersichtlich. Die Diagramme zeigen, dass die Temperaturen mit der Schnittgeschwindigkeit und mit dem Vor-schub ansteigen. Bei der Dispersionskeramik (Al2O3/ZrO2) bewirkt die Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit von 200 m/min auf 800 m/min eine Temperaturzu-nahme um durchschnittlich 100 K, die Erhöhung des Vorschubs von 0,1 mm auf 0,32 mm eine mittlere Temperaturzunahme um 150 K. Bei der Mischkeramik und der Siliziumnitridkeramik liegen die Schnittemperaturen deutlich niedriger als bei Al2O3/ZrO2-Keramik, wie bereits in Abb. 5.13 gezeigt.
Der Übergang von Grauguss zu Vergütungsstahl bewirkt, wie dem Vergleich der Abb. 5.16 und 5.17 zu entnehmen ist, einen Temperaturanstieg, der in Abhängigkeit von den Prozessparametern zwischen 50 und 100 K liegt. Bemerkenswert ist die Temperaturzunahme bei der Si3N4-Keramik, die sich ohne weiteres nicht für die Stahlbearbeitung eignet. Es treten hohe Verschleißraten als Folge der thermischen Beanspruchung auf.
Mit der IR-Kamera konnte die Temperaturverteilung auf der Nebenfreifläche des Werkzeugs aufgenommen werden [BAR88]. Im Orthogonalschnitt ist die Neben-freifläche ständig sichtbar, so dass genügend Zeit zur Verfügung steht, um ein Ge-samtbild (Abb. 5.18) aufzunehmen. Der Einfluss von Schnittgeschwindigkeit, Vor-schub und Werkstoff auf die maximale Nebenfreiflächentemperatur kann Abb. 5.19 entnommen werden.
Abbildung 5.19 stellt die Temperaturverteilung in einem Hartmetalldrehmeißel dar. Ermittelt wurde das Temperaturfeld auf der Spanfläche sowie in einer Ebene senkrecht und parallel zur Hauptschneide durch Einbringen von Thermoelementen in Bohrungen des Werkzeugs [KÜS56]. Der Übergang von Grauguss zu Vergü-
Abb. 5.16 Austrittstemperaturen bei der Fräsbearbeitung von Gusseisen [DEN92]
Al2O3/ZrO2 - KeramikTe
mpe
ratu
r ϑ
Tem
pera
tur
ϑ
800
600
500
400
°C
Al2O3/TiC - Keramik800
600
500
400
°C
0,32
0,10
0,32
0,10
0,32
0,10
Si3N4 - Keramik
Vorschub fz [mm]
0 200 400 600 1000m/min
0 200 400 600 1000m/minSchnittgeschwindigkeit vc
Schnittgeschwindigkeit vc
Werkstoff : GG - 25 Schnittiefe : ap= 2,0 mm
Hauptschneide Nebenschneide0,3
0,161,0
γ λ ε κ r Fase–6° –4° 75°90° 0,2×20°1,2mm
5 Energieumsetzung und Temperaturen
103
tungsstahl bewirkt, wie dem Vergleich der Abb. 5.15 und 5.16 zu entnehmen ist, einen Temperaturanstieg, der in Abhängigkeit von den Prozessparametern zwischen 50 und 100 K liegt. Bemerkenswert ist die Temperaturzunahme bei der Si3N4-K-eramik, die sich ohne weiteres nicht für die Stahlbearbeitung eignet. Es treten hohe Verschleißraten als Folge der thermischen Beanspruchung auf. Beim Vergleich der Abb. 5.17 und 5.19 ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Vorschübe ver-wendet wurden.
An Abb. 5.20 ist erkennbar, dass sich auf der Spanfläche eines Schneidkeils die höchsten Temperaturen einstellen, was auf den Einfluss der Reibung zurückzufüh-
Abb. 5.17 Austrittstemperaturen bei der Fräsbearbeitung von Stahl [DEN92]
Al2O3/ZrO2 - Keramik
Al2O3/TiC - Keramik
Si3N4 - KeramikTe
mpe
ratu
r ϑ
Tem
pera
tur
ϑ
Schnittgeschwindigkeit vc
Schnittgeschwindigkeit vc
WerkstoffSchnittiefeVorschub
: Ck 45: ap = 2,0 mm: fz = 0,10 mm
γ λ ε κ r Fase–6° –4° 90° 75° 1,2mm 0,2×20°
0,3 1,00,16Hauptschneide Nebenschneide
0 200 400 600 1000m/min
800
600
500
400
°C
800
600
500
400
°C
0 200 400 600 1000m/min
Abb. 5.18 Isothermenverteilung auf der Nebenfreifläche bei der Stahlzerspanung [BAR88]
342342
280
280
228
230
342
280
230217
343281230217
544543 tc = 26 s
tc = 6 s
tc = 14 s
tc = 10 s tc = 11 s
167
166167
15412
9
154
Neben-freifläche
359
292255
217
542480505
Werkstoff : Ck 45 NSchneidstoff : Al2O3
Schnittgeschw. : vc = 200 m/minVorschub : f = 0,2 mmSchnittiefe : ap = 2,0 mm
90° –6° –0°rε
–0,4 mmκ γ λ
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
104
Abb. 5.19 Maximale Temperatur an der Nebenfreifläche [BAR88]
600
°C
500
max
.Neb
enfr
eiflä
chen
tem
p. m
ax
400
300100 200 m.min 400 0 0,1 0,2 0,3 mm 0,5
Vorschub fSchnittgeschwindigkeit vc
vc = 300 m/min
f = 0,2 mm
f = 0,1 mm
Ck 45 N GGG - 40
Ck 45 N
Werkstoff : Ck 45 N/GGG - 40Schneidstoff : Al2O3
Schnittiefe : ap = 2,7 mm
Fase : 0,2 × 20°
90° –6° –0°rε
–0,4 mm
κ γ λ
Abb. 5.20 Temperaturfeld in einem HM-Drehmeißel [KÜS56]
SchnittA - B
900800700600500400
00
1
1
2
2
3
3
4
4
5
6mm
mm
1000
900
800700600500400300
°C
300°C
300°C
A
400
500
600
700
800
900
1000
°C
1000°C
D
B
C
Schnitt C - D
WerkstoffSchneidstoffvcb × hγ = 0°, λ = 0°, α = 4°, κ = 45°
: 30 Mn 4: HM P 20
4,25 × 2,52 mm2120 m/min
==
α
5 Energieumsetzung und Temperaturen
105
ren ist. Da diese Temperaturen für das Verschleißverhalten der Werkzeuge von gro-ßer Bedeutung ist, wird eine analytische Abschätzung eingeführt, die jedenfalls die wichtigsten Einflussgrößen zeigen soll [BAE94, BEN03].
Der Schneidkeil wird wieder als einseitig unendlicher Körper aufgefasst. Nach Baehr gilt für die Spanflächentemperatur θγ :
(5.25)
mit der Wärmestromdichte q, Wärmeeindringkoeffizienten b und der Kontaktzeit t. Die Wärmestromdichte ergibt sich aus der Kontaktlänge KL und der Spanungsbrei-te "1", der Spangeschwindigkeit vSP und der Tangentialkraft auf der Spanfläche FTγ.
(5.26)
Mit den in Abschn. 5.1 genutzten Ableitungen ergibt sich schließlich die maximale Spanflächentemperatur zu
(5.27)
Abbildung 5.21 zeigt die Abhängigkeit der Spanflächentemperatur von der Schnitt-geschwindigkeit nach Gl. 5.24 [BEN03].
θγ = θ0 +q
b·
2√
π
√t
q =FT γ · vSP
1 · KL
θSP = θ0 +FTγ · vc
b · 1 · KL·
sin φ
cos (φ − γ )·
2√
π·
√KL
vc·
cos (φ − γ )
sin φ
Abb. 5.21 Spanflächentemperatur und Schnittgeschwindigkeit (nach Ben Amor)
Analytisch
Finite VolumenMethode
einseitig unendilchausgedehnter Körper
1 mm
Numerisch
Spanfläche
400 µmFreifläche
Berechnungenvon Vieregge
ϑ(0,t)=ϑ0 +FTγ vc
vc
sin(φ)sin(φ)
2 KLπcos(φ – γ)
cos(φ – γ)b · bSt · KL
Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen
SpanungsbreiteWerkstoff Werkzeug
BeschichtungKSS
: HC P30-P40: Ti(C,N)/Al2O3: trocken
Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff
εr κ0°90°–6°6°–Vorschub
: Ck45N: b = 3 mm: f = 0,1 mm
°C
1200
1600
1000
800
600
400
200
00 500 1000 1500 2000 2500 3500m/min
Schnittgeschwindigkeit vc
Spa
nflä
chen
tem
pera
tur
ϑsp
v c =
200
0 m
/min
v c =
200
m/m
in
. . . .
vSp
680
400
800
140
1330
90
Tem
pera
tur
[°C
]T
empe
ratu
r [°
C]
5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur
106
5.4 Schneidkeiloptimierung
Die Schneidkeile spanender Werkzeuge müssen dem jeweiligen Einsatzfall ange-passt werden. Das gilt insbesondere für die Winkel des Schneidkeils. Eine Betrach-tung des Raumwinkels Ω, den die Spanfläche und die Freiflächen der Haupt- und Nebenschneide bilden, gibt Hinweise für die Optimierung des Schneidkeils. Aus thermischen und mechanischen Gründen wird man diesen Raumwinkel möglichst groß machen, um eine robuste und stabile Schneidecke zu erhalten, die zudem über einen großen Raumwinkel die Wärme im Schneidkeil schnell abführt und damit das Temperaturniveau im Werkzeug senkt. Ein großer Raumwinkel Ω wird nach Abb. 5.22 erreicht durch Verringerung des Spanwinkels γ, des Freiwinkels α und des Einstellwinkels κ bzw. durch Vergrößerung des Eckenwinkels ε. Dabei ergeben sich jedoch Grenzen durch gegenläufige Einflüsse:
Spanwinkel γ: Bei Verringerung von γ nehmen die Kräfte und Leistungen zu.Freiwinkel α: Eine Mindestgröße von α = 5–6° sollte nicht unterschritten
werden, da sonst die Reibkräfte an der Freifläche stark anstei-gen und somit höhere Leistungen bewirken, was gleichbedeu-tend mit höheren Temperaturen im Werkzeug ist.
Einstellwinkel κ: Der Einstellungswinkel wird üblicherweise nicht kleiner als 45° gewählt, weil – abgesehen vom Anwachsen der Passivkraft – auch die leistungsführende Schnittkraft bei gleichem Spanungs-querschnitt größer wird; denn die Spanungsdicke nimmt ab.
Eckenwinkel ε: Der Eckenwinkel sollte so groß ausgeführt werden, als nach den einsatzbedingten Schneidenlagen möglich ist. Ein minima-ler Einstellwinkel der Nebenschneide κN darf aus Gründen der Schnittstabilität nicht unterschritten werden.
Abb. 5.22 Optimierung des Schneidkeils
Spanfläche
Haupt-schneide
Neben-schneide
Draufsichtauf die Spanfläche
ε
−γ
−α
κ κN
Ω
5 Energieumsetzung und Temperaturen
107
Aus dieser Grenzbetrachtung folgt, dass ein Schneidkeil entsprechend dem Einsatz-fall (Schruppen oder Schlichten, gleichmäßiger oder unterbrochener Schnitt, über-wiegend thermische oder mechanische Belastung) optimiert werden kann und so einen Kompromiss darstellt zwischen günstigem Wärmefluss und großer mechani-scher Tragfähigkeit durch einen großen Raumwinkel, einer breiten Vielfalt herstell-barer Formen durch geringen Eckenwinkel und geringer Reibbeanspruchung durch ausreichende Freiwinkel und Einstellwinkel der Nebenschneide.
Fragen
1. Welche Energiewandlungen finden an der Wirkstelle statt? 2. Welche Zonen der Energiewandlung sind zu unterscheiden? 3. Wie lassen sich die auf die Zonen entfallenden Energieanteile bestimmen,
wenn Ihnen ein 3-Komponenten-Schnittkraftmesser zur Verfügung steht? 4. Wie lässt sich der Energieanteil aus eingefrorener elastischer Verformung
(Eigenspannungen) abschätzen? 5. Wie erfolgt die Wärmeabfuhr von der Wirkstelle? 6. Skizzieren Sie den Ansatz des Modells zur Wärmestromabfuhr. 7. Nennen Sie einige Möglichkeiten der Temperaturmessung und diskutieren Sie
sie. 8. Was ist der Seebeck-Effekt? 9. Erläutern Sie das Zweimeißel-Verfahren. Welchen Vorteil bietet es gegenüber
dem Einmeißel-Verfahren?10. Geben Sie eine obere Grenze für die Spantemperatur an.11. Was verstehen Sie unter Festkörperkonvektion beim Spanen?12. Vergleichen Sie die Werkstückoberflächentemperatur beim Spanen mit hoher
und geringer Schnittgeschwindigkeit. Wann wird mehr Energie je Volumenein-heit umgesetzt? Wodurch sind die Temperaturunterschiede zu erklären?
13. Skizzieren Sie (schematisch) den Isothermenverlauf im Schneidkeil in der Keilmessebene und in einer Ebene parallel zur Schneidenebene im Abstand der 2-fachen Spanungsdicke von der Schneide.
14. Welche sind die wesentlichen Einflussgrößen auf die Temperatur im Schneidkeil?
15. Wodurch ist der Raumwinkel, der den Schneidkeil umschließt, begrenzt?16. Welche gegenläufigen Einflüsse bestimmen die optimale Schneidkeilform?17. Die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung (HSC) gewinnt immer mehr an Bedeu-
tung (s. auch Abschn. 9). Aluminiumwerkstoffe werden hierbei mit Schnitt-geschwindigkeiten bis vc = 10.000 m/min gegenüber vcmax = 3000 m/min bei konventioneller Zerspanung bearbeitet.
a. Um welchen Faktor erhöht sich hierbei der spezifische Energieanteil der Stoffumlenkung?
b. Welchen Einfluss haben die bestimmenden Größen?
Fragen
108
c. Geben Sie das Verhältnis der Energieanteile für die Stoffumlenkung zur Stoffumformung für beide Geschwindigkeitsbereiche an.
Literatur
[BAR88] Bartsch, S.: Verschleiß von Aluminiumoxidkeramik-Schneidstoffen unter sationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1988
[BAE94] Baehr, H.D.: Wärme und Stoffübertragung. Springer 1994[BEN03] Ben Amor, R.: Thermomechanische Wirkmecha nismen und Spanbil dung bei der
Hochge schwindigkeitszerspanung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 2003[DAV07] Davies, M.A..e.a.: On the Measurement of Temperatures in Material Processing. Annals
of the CIRP, 56 (2007), 2, p.581-604[DEN92] Denkena, B.: Verschleißverhalten von Schneidkeramik bei instationärer Belastung. Dr.-
Ing. Diss. Univ. Hannover 1992[KÜS56] Küsters, K. J.: Temperaturen im Schneidkeil spanender Werkzeuge. Dr.-Ing. Diss.
RWTH Aachen 1956[OPI52] Opitz, H.: Meßgeräte zur Ermittlung der Schnittkraft und Schnitttemperatur bei Zerspa-
nungsvorgängen. Werkstatt und Betrieb, 85 (1952) 2, S. 43-47[SCH33] Schwerd, F.: Über die Bestimmung des Temperaturfeldes beim Spanablauf. Zeitschrift
des VDI, 77 (1933) 9, S. 211-216[TÖN94] Tönshoff, H.K.; Wobker, H.-G.; Ziebeil, F.: Distribution of temperature and stress in the
contact zone of a cutting tool. Annals of the German Acadamic Soc. for Production Engeniee-ring, Vol.2, (1994)
[VIE53] Vieregge, K.: Die Energieverteilung und die Temperatur bei der Zerspanung. Werkstatt und Betrieb, 86 (1953) 11, S. 691-703,
konv.: vc = 3000 m/min λh,konv. = 1,6vf = 6000 mm/min kf,konv. = 155 MPa
HSC: vc = 10000 m/min λh,HSC = 3,5vf = 6000 mm/min kf,HSC = 147 MPa
Orthogonalschnitt: γ = 12° ρ = 2,8 kg/dm3
5 Energieumsetzung und Temperaturen
109
Die Anwendung von Simulationen im Bereich der Zerspanung baut im Allgemei-nen auf der Verbindung numerischer Methoden oder der algorithmischen Geometrie mit den in diesem Buch behandelten Verfahren auf. Entscheidend für die Aussage-kraft sind daher nicht nur die Eingangsdaten der Simulation, sondern auch die zu-grundeliegenden Modelle.
Auf der anderen Seite bieten rechnergestützte Verfahren die Möglichkeit, Daten in vielen Variationen und in einer Geschwindigkeit und Auflösung zu berechnen, die ohne sie undenkbar wären. Die Konsequenz hieraus sind Möglichkeiten für neue Modelle, die bislang notwendige Vereinfachungen vermeiden und daher eine deutlich gesteigerte Aussagekraft haben. Man darf jedoch, trotz der eindrucksvollen und anschaulichen bewegten Bilder, nicht vergessen, dass Simulationen die Realität stets nachbilden – und zwar basierend auf der durch die Modelle gefilterten Sicht der Realität. Vor einer Schlussfolgerung auf Basis der Ergebnisse einer Simula-tion ist demnach die Anwendbarkeit des verwendeten Modells auf die jeweilige Situation zu prüfen und ggf. mittels realer Experimente zu verifizieren. Ziel einer Simulation muss stets sein, ein Modell anzuwenden und durch das systematische Durchspielen zahlreicher Varianten zu verstehen.
Bei der Durchführung einer Simulation ist stets zwischen der Zeit, die durch die Simulation abgebildet wird – der Simulationszeit – und der tatsächlich benötigten Zeit für die notwendigen Berechnungen – der Realzeit – zu unterscheiden. Diese stimmen in den seltensten Fällen überein. Wird beispielsweise untersucht, wie viel Material bei einer Umdrehung eins Fräsers mit einer Drehzahl von 6.000/min ent-fernt wird, so beträgt die Simulationszeit hierfür eine hundertstel Sekunde, unab-hängig davon, welche Realzeit in der Zwischenzeit vergangen ist.
Im Bereich der Simulation des Zerspanprozesses werden zwei wesentliche Ansät-ze verfolgt, die sich durch ihre Zielsetzung und ihren Detailierungsgrad unterschei-den. Bei der geometrischen Simulation des Materialabtrags oder kinematischen Simulation wird die Form des am Werkstück zerspanten Bereiches in diskreten Zeitschritten und hieraus die jeweilige Gestalt des Werkstücks ermittelt. Moderne Systeme zur rechnergestützten Fertigungsplanung (engl.: Computer Aided Manu-facturing, CAM) enthalten häufig einfache Varianten solcher Simulationen, um die geplanten Bearbeitungsprozesse zu visualisieren und zu überprüfen. Darüber hinaus
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 6Modellierung und Simulation
110
werden spezialisierte, kommerzielle Systeme angeboten, die virtuelle Ebenbilder von Werkzeugmaschinen inklusive Kinematik, Steuerung und Simulation des Ma-terialabtrags zur Verfügung stellen. Zielsetzung auch dieser Systeme ist bislang die Visualisierung und Überprüfung der Prozessplanung. In neuerer Zeit werden jedoch immer häufiger die ermittelten geometrischen Informationen zur Berechnung von technologischen Größen, wie z.B. Prozesskräften oder Temperaturen, verwendet.
Die kinematische Simulation zeichnet sich durch die Möglichkeit zur Abbildung komplexer Werkzeug- und Werkstückgestalten aus und ist zudem in der Lage, auch komplizierte Bewegungen der beteiligten Komponenten nachzubilden.
Im Gegensatz hierzu steht die numerische Simulation von Zerspanprozessen auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM) oder der Molecular Dynamics (MD). Diese Ansätze betrachten die Vorgänge der Zerspanung sehr viel detaillier-ter, decken aber aus diesem Grund auch ein sehr viel kleineres zeitliches Intervall wie auch einen kleineren geometrischen Bereich ab. Die Berechnung für einen ein-zelnen Schneidendurchlauf kann hierbei bis hin zu mehreren Tagen dauern. Es ist offensichtlich, dass die Wahl eines geeigneten Simulationsansatzes von der Ziel-setzung der gewünschten Untersuchungen abhängt. Für jeden Anwendungsfall ist daher nach dem Grundsatz vorzugehen: So detailliert wie nötig aber mit so wenig Aufwand wie möglich.
6.1 Kinematische Simulation
Voraussetzung, um mit einem Rechner den Abtrag von Material am Werkstück nachzubilden, sind geometrische Modelle von Werkstück und Werkzeug sowie die Beschreibung der ausgeführten Bewegung. Geeignete Formate, um die Gestalt von beteiligten Komponenten zu beschreiben, finden sich im Bereich der rechnerge-stützten Konstruktion (engl.: Computer Aided Design, CAD). Tatsächlich werden diese Formate bereits bei der Planung der Bearbeitungsprozesse mittels CAM ver-wendet und bieten sich daher auch als Eingangsdaten für die Simulation an. Eine naheliegende Methode, um die Gestalt eines spanend bearbeiteten Werkstücks in einer Simulation nachzubilden, besteht darin, ein vorhandenes CAD-Modell des Werkstücks im Ausgangszustand durch das kontinuierliche Anwenden von geome-trischen Schnittoperationen mit dem Werkzeug zu modifizieren und dem Fortgang des Zerspanprozesses anzupassen. Dies kann grundsätzlich durch dieselben Me-chanismen erfolgen, die auch im CAD genutzt werden. In den meisten Fällen ist es jedoch sinnvoll, einen auf die Zielsetzung angepasstes Modell zu verwenden. Die Simulationszeit wird hierbei in Intervalle aufgeteilt, die nur näherungsweise be-trachtet werden, jedoch kurz genug sind, um die jeweilige Veränderung hinreichend genau zu betrachten. Da zur Berechnung nur der Zustand zu Beginn und zum Ende des Zeitabschnitts betrachtet wird, wird von Zeitschritten bzw. Zeit-Diskretisie-rung gesprochen.
Zwei wesentliche Kriterien für die Eignung eines Modells für eine konkrete An-wendung sind die zu erwartende Rechenzeit und der Speicherverbrauch. Wichtig
6 Modellierung und Simulation
111
sind dabei weniger der absolute Wert für eine konkrete Simulation als das Verhalten des Modells bei zunehmendem Detaillierungsgrad. Je nach Modell, kann sich bei einer Halbierung des maximalen Fehlers der benötigte Speicherplatz verachtfachen (verdoppeln je Raumrichtung) oder überhaupt nicht erhöhen. Gleiches gilt für die benötigte Rechenzeit.
Für die Beschreibung der Bewegungen werden, je nach Komplexität, entweder direkte interaktive Eingaben oder der für die Programmierung der zu verwenden-den Werkzeugmaschine vorhandene NC-Code verwendet. Innerhalb der Simulation wird dieses Format in die resultierende Bewegung des Werkzeugs, bezogen auf das Werkstück transformiert. Sowohl das Modell des Werkstücks wie auch des Werk-zeugs bestehen aus Punkten, Kanten, Flächen und Körpern, die jeweils bezogen auf ein lokales Koordinatensystem beschrieben sind. Für Fräswerkzeuge wird der Null-punkt üblicher Weise in die Spitze, mit Ausrichtung der Z-Achse entlang der Ro-tationsachse gelegt und mit Werkzeugkoordinatensystem bezeichnet. Das lokale Koordinatensystem des Werkstücks wird mit Werkstückkordinatensystem be-zeichnet. Zur Beschreibung der Position einer Komponente ist es ausreichend, die Position und Orientierung des lokalen Koordinatensystems festzulegen (Abb. 6.1).
6.1 Kinematische Simulation
Abb. 6.1 Abbildung von Bewegungen über Transformation des lokalen Werkzeug-Koordinatensystems
X
Y
Z
X
Y
Z
X
Y
Z
globalesKoordinatensystem
Werkstück-koordinatensystem
Werkzeug-koordinatensystem
Werkzeug
Werkstück
112
Dies geschieht durch eine räumliche Transformationsmatrix, die die Darstellung eines jeden Punktes oder Vektors im Zielkoordinatensystem beschreibt. Zur Dar-stellung einer Bewegung wird für jeden Zeitpunkt t eine solche Matrix festgelegt.
Für den Fall, dass als Eingangsdaten das NC-Programm für die Werkzeugma-schine verwendet wird, muss zur Berechnung der tatsächlichen Bewegung ein ma-thematisches Modell der Maschinenkinematik und eine Nachbildung der Maschi-nensteuerung herangezogen werden, um die Transformationsmatrix zu berechnen. Die Aufgabe der Maschinensteuerung ist es, die beschriebenen Bewegungen in der realen Maschine umzusetzen. Um die dabei auftretenden physikalischen Beschrän-kungen zu umgehen, ist es notwendig, Modifikationen an den Bewegungsbahnen vorzunehmen. Eine plötzliche Richtungsänderung wird beispielsweise durch Ver-rundungen ersetzt, da die Beschleunigung der physikalischen Maschinenachsen be-schränkt ist. Darüber hinaus, weicht eine Maschine aufgrund von Nachgiebigkeiten und Schwingungen von der Idealbahn ab. Die Untersuchung dieser Abweichungen ist häufig das Ziel der durchgeführten Simulationen. Je mehr Einflüsse nachgebildet werden sollen, desto größer ist der notwendige Aufwand. Zudem ist die Zielsetzung der kinematischen Simulation häufig auf die Verwendung der Ergebnisse in wei-teren Simulationen ausgerichtet, die das Maschinenverhalten nachbilden [SUR06, REH09]. An dieser Stelle soll jedoch nur die Funktionsweise der Berechnung der Werkstückgestalt zu den einzelnen Zeitpunkten beschrieben werden. Im Folgenden wird deshalb von einer gegebenen Beschreibung der Bewegungsfunktion ausge-gangen.
Um die räumliche Gestalt von Werkzeug und Werkstück zu beschreiben, ist ein geeignetes rechnerinternes Format, ein sogenanntes Volumenmodell, notwendig. Ungeachtet der Vielzahl der aus dem CAD bekannten konkreten Dateiformate, las-sen sich die Methoden der Darstellung in drei Klassen aufteilen. Volumetrische Modelle nutzen kleine, einfach zu beschreibende, aneinander grenzende, sich je-doch nicht schneidende Zellen, um diese zu einem Gesamtmodell zu kombinieren. Bei Verknüpfungsmodellen werden durch geschlossene Formeln beschreibbare räumliche Objekte wie Kugeln, Quader, Zylinder etc. durch sogenannte Boolesche Operationen miteinander verknüpft, d.h. durch Vereinigung, Durchschnitt oder Dif-ferenz der jeweiligen eingeschlossenen Teilmengen des kartesischen Raums. Bei den sogenannten Grenzflächenmodellen (engl.: Boundary Representation, B-Rep) werden die Objekte durch die sie einschließenden, aneinandergrenzenden Flächen beschrieben [STR06]. Dies können sowohl komplexe parametrisierte Flächen, wie auch eine Vielzahl von Dreiecken sein. Für die Simulation von Materialabtrag kom-men unterschiedliche, teils spezialisierte Varianten dieser Klassen zum Einsatz, die im Folgenden beschrieben werden.
6.1.1 Darstellung des Werkstücks
Bevor konkrete Modelle zur Darstellung des Werkstücks erläutert werden, soll zu-nächst noch ein Blick auf die Anforderungen aus Anwendersicht geworfen werden.
6 Modellierung und Simulation
113
Diese hängen, wie bereits mehrfach erwähnt, von den Zielen der mit ihrer Hilfe durchgeführten Untersuchung ab. Daher müssen vor der Auswahl eines Modells zunächst die folgenden Fragen gestellt werden, nach denen die Modelle bewertet werden müssen.
1. Mit welcher Genauigkeit soll die Werkstückgestalt ermittelt werden? Diese Frage beeinflusst nicht nur die Auswahl des Modells an sich, sondern bei Nut-zung einer approximierten Gestalt die Wahl der Anzahl von Elementen bzw. der Element-Auflösung. Je nach Anwendung kann es hinreichend sein, lediglich eine Aussage über den Zeitpunkt des Kontaktes zwischen Werkzeug und Werkstück zu treffen oder die genaue Oberfläche mit sehr hoher Auflösung zu berechnen. Eine höhere Genauigkeit führt meist zu einem höheren Bedarf an Speicherplatz und wirkt sich negativ auf die Geschwindigkeit der Simulation aus.
2. Wird das ganze Werkstück oder nur ein Ausschnitt betrachtet? Nicht immer ist es von Interesse, die Bearbeitung eines kompletten Werkstücks abzubilden. Zudem ist es möglich, dass z.B. nur eine Seitenfläche des Werkstücks mit hoher Genauigkeit untersucht werden muss.
3. Welche zeitliche Auflösung und Dauer soll untersucht werden? Wie bereits bei der Abgrenzung der kinematischen Simulation von FEM und MD, spielt diese Frage auch hier eine Rolle. Eine höhere zeitliche Auflösung hat im All-gemeinen eine längere Rechenzeit zur Folge. Der Speicherbedarf für das Modell steigt zwar nicht an, dafür werden jedoch mehr Ergebnisdaten erzeugt.
4. In welcher Realzeit soll die Simulation durchgeführt werden? Es ist zu prü-fen, ob für die Dauer der Berechnungen zeitliche Einschränkungen bestehen. Dies ist insbesondere bei Simulationen der Fall, die parallel zum realen Prozess durchgeführt werden, um über diesen zusätzliche Informationen zu erhalten oder sogar regelnd auf ihn einzuwirken. Bei Simulationen zur Überprüfung von NC-Programmen ist es natürlich erwünscht, nur möglichst kurz auf das Ergebnis warten zu müssen.
5. Welche Art von Bewegungen des Werkzeugs wird erwartet und was bedeu-tet dies für die entstehende Gestalt? Ein 3-Achs-Fräsprozess ist in den meisten Fällen von vornherein auf die Oberfläche einer Seite eines Quaders beschränkt. Durch die Wahl eines geeigneten Modells kann die Aussagekraft der Simula-tion verbessert oder der Ressourcenverbrauch vermindert werden. Gleiches gilt für viele Prozesse, die sich aus translatorischen und rotatorischen Bewegun-gen zusammensetzen. Dies kann insbesondere bedeuten, dass das Werkstück, zumindest in Idealgestalt, rotationssymmetrisch aufgebaut ist, beispielsweise bei einem Dreh- oder Rundschleifprozess.
6. In welcher Art sollen die ermittelten geometrischen Daten weiterverarbei-tet werden? Je nach Ziel einer geometrischen Simulation und nach betrach-tetem Prozess sollen unterschiedliche Informationen ermittelt werden. Dies können beispielsweise Kräfte, Temperaturen, etc. sein. Die Eingangsdaten für die verwendeten technologischen Berechnungen müssen auf möglichst einfache Art und mit geringen Verlusten aus den Simulationsergebnissen ermittelt wer-den können. Unter Umständen sollen sie Eingangsdaten für andere Simulatio-
6.1 Kinematische Simulation
114
nen sein. Umgekehrt sind ggf. die Ergebnisse anderer Simulationen auch die Eingangsdaten für das verwendete Abtragsmodell. Bei einigen Anwendungen erfolgt sogar ein stetiger Austausch zwischen verschiedenen Simulationssyste-men, um dynamische Effekte abzubilden. Der Datenaustausch beeinflusst dann besonders stark die Wahl des Werkstückmodells.
6.1.1.1 Voxelmodelle
Ein Voxelmodell ist die einfachste Form einer volumetrischen Darstellung räum-licher Objekte [HOU03]. Es ist vergleichbar mit Bitmapformaten für Grafiken. Durch dreidimensionale Felder kleiner Quader wird ein diskretisiertes Abbild des Werkstücks erzeugt (Abb. 6.2). Die Quader werden mit Voxel bezeichnet, einem Kunstwort für volume element (in einigen Quellen auch volumetric pixel). Da ein Voxel nur zwei Zustände kennt, nämlich Material vorhanden oder kein Material vorhanden, benötigt es nur ein Bit an Speicherplatz. Der Ort eines Voxels wird über die Position in der dreidimensionalen Speichermatrix festgelegt. Die Genau-igkeit eines Voxelmodells ist im günstigsten Fall durch den kleinsten, senkrechten Gitterabstand und im ungünstigsten Fall durch die Länge der Raumdiagonale des Voxels festgelegt. Da dreidimensionale Datenfelder verwendet werden, steigt der Speicherbedarf in dritter Potenz, d.h. bei einer Verdoppelung der Auflösung in jeder Hauptrichtung wird die achtfache Speichermenge benötigt. Für einen Würfel mit der Kantenlänge 200 mm und einen Gitterabstand von 0,1 mm würde demnach bereits ein Speicher von 1 Gigabyte benötigt (2000³ Bit). Der enorme Speicherver-brauch des Voxel-Modells lässt sich zwar durch eine flexible Variation der Auflö-sung in den unterschiedlichen Werkstückbereichen abschwächen – beispielsweise durch eine sogenannte Octree-Struktur – dies erhöht jedoch deutlich die Komplexi-tät der Berechnungen.
Abb. 6.2 Schematische Dar-stellung eines Voxelmodells
6 Modellierung und Simulation
115
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Voxelmodelle aufgrund ihrer Einfachheit schnell anwendbar sind und bei niedrigen Auflösungen eine sehr hohe Rechenge-schwindigkeit erreichen. Mit steigender Anzahl der Voxel stößt dieses Verfahren jedoch schnell an seine Grenzen.
6.1.1.2 Dexelmodelle
Ein im Prinzip dem Voxelmodell sehr ähnlicher Ansatz, das sogenannte Dexel-modell, stellt über einer zweidimensionalen Matrix von äquidistanten, diskreten X- und Y-Positionen die jeweilige Höhe der Ober- und der Unterseite des Werk-stücks dar. Die entstehenden Stäbchenelemente an den Matrixpositionen werden mit Dexel (depth elements) bezeichnet [STA06]. Dies ist anschaulich vergleich-bar mit auf einem Brett rechteckig angeordneten, parallelen Nägeln, die durch den Prozess beschnitten werden (Abb. 6.3). Für den Fall, dass die Höhenwerte für beide Seiten identisch sind, ist kein Material, also anschaulich kein Nagel vorhanden.
Durch die Beschränkung auf ein Dexel pro Position ergibt sich eine Einschrän-kung in der Darstellbarkeit beliebiger räumlicher Objekte. In Richtung des Verlaufs eines Dexels können keine Lücken im Material dargestellt werden. Dies lässt sich durch eine Erweiterung mit einer lokal variablen Zahl von Dexeln vermeiden, führt jedoch zu erhöhtem Speicherbedarf und einer komplexeren Datenstruktur.
Dexelmodelle haben gegenüber den Voxelmodellen den Vorteil, dass der Spei-cherbedarf nur in zweiter Potenz wächst. Zusätzlich ist die Genauigkeit in Rich-tung der Dexel sehr viel höher, da die Höhenwerte statt über ganzzahlige Werte
Abb. 6.3 Dexelmodell eines Quaders
6.1 Kinematische Simulation
116
mit Fließkomma-Genauigkeit dargestellt werden können. Ein beliebiger Punkt auf einer näherungsweise senkrecht zur Stäbchenrichtung verlaufenden Oberfläche ist also über Interpolation zwischen den Höhenwerten der benachbarten Raster-punkte recht genau zu bestimmen. Liegt die betrachtete Richtung jedoch in der Ebene der Rastermatrix, so wird keine höhere Genauigkeit als beim Voxelmodell erreicht. Für ein allgemein anwendbares Materialabtragsmodell ist es jedoch nicht zufriedenstellend, wenn die Rechengenauigkeit stark von der betrachteten Rich-tung abhängt. Man kann diese Problematik umgehen, indem für jede Hauptachse des kartesischen Werkstück-Koordinatensystems ein eigenes Dexelfeld aufgebaut wird. Diese Vorgehensweise hat allerdings den Nachteil, dass zur Weiterverarbei-tung, beispielsweise zur Visualisierung, drei redundante Datenmengen zu einem Gesamtmodell zusammengefügt werden müssen, ein Vorgang der zum Teil recht aufwändig ist.
Der Speicherbedarf des bereits beim Voxelmodell verwendeten Beispiels eines Würfels mit 2000 Elementen pro Richtung liegt beim Dexelmodell − setzt man ein-fache Fließkommagenauigkeit (32Bit) in drei Raumrichtungen voraus − bei 2000² Elemente à 192 Bit, das ergibt 96 MByte. Selbst bei einer aufwändigeren Darstel-lung der Dexel ist also bereits bei dieser Werkstückgröße und Auflösung mit einem deutlich geringeren Speicherbedarf zu rechnen als beim Voxelmodell.
6.1.1.3 Polyedermodelle
Polyeder-Modelle gehören zur Gruppe der Grenzflächenmodelle, d.h. ein Körper wird komplett durch seine Oberfläche beschrieben. Im Fall des Polyedermodells besteht diese Fläche ausschließlich aus ebenen Polygonen (Facetten), die die tat-sächlich zu beschreibende Fläche mit einer im Allgemeinen vorher spezifizierten maximalen Abweichung bedecken (Abb. 6.4). Um eine konsistente Funktion si-cherzustellen, muss die Oberfläche geschlossen sein, darf also keine Lücken enthal-ten. Anschaulich bedeutet dies, dass die beschriebene Fläche „wasserdicht“ ist. Um
Abb. 6.4 Polyedermodell unter Verwendung von Dreiecken
6 Modellierung und Simulation
117
dies zu erreichen, wird häufig die Datenstruktur für das Modell derart aufgebaut, dass ein hierarchischer Baum aus Körper, Flächen, Kanten und Knotenpunkten entsteht. Eine Fläche wird in diesem Baum durch Verweise auf die begrenzenden Kanten beschrieben. Diese bestehen aus Verweisen auf Anfangs- und Endknoten. Durch Mehrfachverweise auf gemeinsame Elemente wird die Gefahr von Lücken vermindert und die Überprüfbarkeit der Konsistenz des Modells erleichtert. Zwei benachbarte Flächen verweisen beispielsweise auf dieselbe Kante. Um grafische Darstellungen oder Rechenoperationen mit den beschriebenen Körpern zu verein-fachen, ist jeder Fläche zusätzlich ein Normalenvektor zugeordnet, der aus dem Körper herauszeigt.
Schnittoperationen zwischen zwei Körpern lassen sich im Polyedermodell auf eine Reihe von Schnittoperationen zwischen den miteinander in Kontakt stehenden Facetten beider Körper reduzieren. Getrennt durch die Polygonzüge der Schnittkan-ten beider Körperoberflächen, entstehen vier oder mehr Teilschalen, die je nach Art der Operation zum resultierenden Körper zusammengefügt werden. In der Praxis wird häufig auf Polyeder mit mehr als drei Ecken bzw. Seiten verzichtet. Hierdurch verringert sich die Anzahl der zu unterscheidenden Konfigurationen beim Schnitt. Elemente mit mehr Ecken lassen sich einfach in Dreiecke zerlegen.
Die Rechengenauigkeit des Polyedermodells ist abhängig von der Genauigkeit der Approximation. Bei der Durchführung von Schnittoperationen ist es jedoch teilweise schwierig, zwei identische Punkte als solche zu erkennen, da durch den vorhandenen Rechenfehler nicht identische Koordinaten, sondern nur zwei sehr dicht beieinander liegende Werte vorliegen. Dies wird durch die Einführung eines Schwellenwertes vermieden, der zwei Punkte unterhalb eines Mindestab-stands als identisch definiert. Trotzdem kann es bei ungünstigen Konfigurationen zu inkonsistenten Daten kommen, die entweder durch entsprechende Fallunter-scheidungen vermieden oder nach anschließender Überprüfung korrigiert wer-den müssen.
Die für eine Schnittoperation erforderliche Rechenzeit hängt von der Anzahl der Flächen der beteiligten Körper ab. Eine Verdoppelung der Flächenzahl an beiden Komponenten vervierfacht die Anzahl der notwendigen Vergleiche. Der Speicher-bedarf ist nicht, wie bei den volumetrischen Modellen, direkt berechenbar. Das Beispiel des Würfels mit 200 mm Kantenlänge lässt sich sehr einfach als Poly-eder-Modell darstellen – tatsächlich ist ein Würfel bereits ein durch die sechs Sei-ten mit Polyedern, nämlich Quadraten, beschrieben. Für eine Darstellung mit Drei-ecksflächen müssen jeweils nur Diagonalen in die Seiten eingefügt werden. Die so entstehende Darstellung des Würfels ist in jedem Punkt mathematisch korrekt und ohne Fehler und benötigt, unabhängig von der Größe des Würfels stets den gleichen Speicherplatz. Je komplexer die Gestalt eines Werkstücks wird, desto größer wird jedoch auch die benötigte Anzahl von Flächen. Hier wird auch ein Nachteil des Polyedermodells offenbar. Durch jede Verschnittoperation mit dem Werkzeug kom-men im Allgemeinen mehr Polyeder hinzu als entfernt werden. Der Speicherbedarf wächst also mit Fortschreiten der Simulation. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass je nach Bedarf in verschiedenen Werkstückbereichen lokal sehr unterschiedliche Ge-nauigkeiten erzeugt werden können.
6.1 Kinematische Simulation
118
6.1.1.4 CSG-Modelle (Constructive Solid Geometry)
CSG-Modelle [SUR06] werden durch Anwendung von Mengenoperationen auf eine Grundmenge einfach zu beschreibender Grundkörper, sogenannter Primitiva, gebildet und gehören damit zu den Verknüpfungsmodellen. Im Gegensatz zu den bislang beschriebenen Modellen, wird die Schnittoperation jedoch nicht zum Zeit-punkt der Definition durchgeführt, sondern die verwendeten Körper und Operatio-nen gespeichert (Abb. 6.5). Die Datenhaltung erfolgt als binärer Baum, dessen Blät-ter durch die einzelnen Primitiva und dessen Knoten durch die jeweilige Mengen-operation gebildet werden. In dieser Struktur ist eine Schnittoperation, wie sie bei Zerspanprozessen vorgenommen wird, sehr einfach hinzuzufügen. Darüber hinaus ist die resultierende Gestalt, abhängig von der Darstellungsgenauigkeit der Grund-elemente, analytisch exakt beschrieben. Bei der Weiterverarbeitung, beispielsweise zur grafischen Darstellung oder zur Berechnung von Prozessgrößen, muss jedoch der Baum der Operationen jeweils erneut ausgewertet und in ein anderes Modell
Abb. 6.5 CSG-Modell eines Kugelkopf-Fräsprozesses (oben), resultierende Werkstückgestalt (unten)
Werkstück
Werkzeug
Vf
6 Modellierung und Simulation
119
konvertiert werden, da CSG-Modelle nur sehr eingeschränkt für die direkte Nut-zung geeignet sind. Der bereits mehrfach als Beispiel herangezogene Würfel er-zeugt im CSG-Modell einen Baum mit einem Knoten. Die Größe des Baums steigt mit der Anzahl der durchgeführten Operationen. Damit steigen auch der Speicher-bedarf und die Rechenzeit für die weiterführende Auswertung. Die Speicherung der Schnittoperation selbst kann jedoch sehr schnell vollzogen werden.
6.1.1.5 Höhenlinien
Ein weiteres Modell auf Basis von Grenzflächen ist das Höhenlinien-Modell (Abb. 6.6) [DEN07]. Ähnlich der Darstellung von landschaftlichen Erhebungen in Karten, wird das Werkstück hierbei mit parallelen Ebenen, üblicherweise parallel zu einer der kartesischen Hauptebenen, geschnitten und der Linienzug als zwei-dimensionales Modell gespeichert. Der Linienzug kann entweder als Polygonzug mit entsprechender Vorgabe für die maximale Abweichung angelegt werden oder als analytische Beschreibung in Form von parametrisierten Kurven. Im Fall von Polygonzügen erhält man auf diese Weise einen Spezialfall des Polygonmodells, da sich die Knoten benachbarter Ebenen leicht zu Dreiecken ergänzen lassen. Zum Schneiden des dargestellten Werkstücks mit einem Werkzeug genügt es, den Schnitt des Werkzeugs in der jeweiligen Ebene zu bestimmen und die entstehende Schnitt-kurve mit dem jeweiligen Höhenzug zu verschneiden. Die durchgeführte Operation ist sehr viel einfacher zu vollziehen als beim allgemeinen Polyedermodell, da es sich um eine zweidimensionale Schnittoperation handelt.
Ein weiterer Vorteil des Höhenlinienmodells liegt in dem geringeren Aufwand zur Aufbereitung bei der Weiterverwendung der Ergebnisse. Das beim Material-
6.1 Kinematische Simulation
Abb. 6.6 Höhenlinienmodell
120
abtrag in einem Zeitschritt zerspante Volumen ist durch die Ebenen in Elemente zerteilt, die in einer Richtung durch parallele Ebenen begrenzt werden, was weitere Berechnungen vereinfacht.
6.1.2 Werkzeugmodell
Jedes der beschriebenen Modelle für das Werkstück ist darauf ausgerichtet, mit einem geeigneten Modell für das Werkzeug modifiziert zu werden, indem geomet-rische Schnittoperationen durchgeführt werden. Das für das Werkzeug verwendete Modell muss hierbei nicht zwangsläufig auf dieselbe Art aufgebaut sein wie das Werkstück. Vielmehr ist es, je nach Situation, von Vorteil, ein spezielles, auf das Bearbeiten des Werkstückmodells angepasstes Werkzeugmodell zu nutzen.
Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass bei Verwendung eines Werkstücks mit analytisch beschriebener Gestalt die Verwendung von diskretisierten Werkzeug-modellen den Vorteil der hohen Genauigkeit zunichtemacht. Insgesamt gilt, dass die Genauigkeit der Darstellung des Werkzeugs auf die des Werkstücks abzustimmen ist. Gleiches gilt für die Wahl der zeitlichen Auflösung.
Trotzdem ist es, abhängig vom Ziel der Simulation, oft sinnvoll, Vereinfachun-gen beim Werkzeugmodell vorzunehmen. Bei den meisten Anwendungen mit rotie-renden Werkzeugen ist es hinreichend, den durch die Rotation entstehenden Körper des Werkzeug zu betrachten, da die Bewegung der einzelnen Schneiden in den Zeit-schritten der Simulation nicht betrachtet werden. Daher werden keine CAD-Mo-delle des tatsächlichen Werkzeugs mit einer detaillierten Darstellung der einzelnen Schneiden verwendet. Die Werkzeuge werden stattdessen häufig über die Kontur-kurve des Rotationskörpers spezifiziert. Eine Darstellung mit sieben Parametern, mit der die meisten Fräswerkzeuge abgebildet werden können ist in DIN66215 an-gegeben [DIN66215].
Trotz der Reduzierung der Werkzeuge auf ihren Rotationskörper kann im Üb-rigen durchaus bei der Auswertung der Ergebnisse die Schnittrichtung und -ge-schwindigkeit oder die konkrete Gestalt der Schneiden berücksichtigt werden.
Ungeachtet des verwendeten Formats oder Detaillierungsgrads des Werkzeug-modells ist beim Schneiden des Werkstückmodells zu beachten, dass zur Bestim-mung des zu entfernenden Materials auch bei sehr hochauflösender zeitlicher Dis-kretisierung stets der vom Werkzeug durchlaufene Raum – die Spur – zu betrachten ist und nicht das Werkzeugmodell zu einem bestimmten Zeitpunkt. Daher ist aus dem Werzeugmodell und den Daten über die durchgeführte Bewegung durch eine weitere Operation ein sogenanntes Spurvolumen zu erzeugen. Dies ist insbesondere bei Werkzeugbewegungen, die durch Kombination von translatorischen und rotato-rischen Bewegungen abgebildet werden nicht trivial. Für viele Modelle existieren allerdings bereits Algorithmen, die Spurvolumina erzeugen können.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Wahl eines geeigneten Werkzeugmodells ist die Konvexität. Bei der Berechnung von Schnitten zwischen Werkzeugen und Werkstück wird bei den meisten Verfahren jeweils nur der sichtbare Bereich der
6 Modellierung und Simulation
121
Werkzeugoberfläche von unterschiedlichen Seiten betrachtet und dieser mit dem Werkzeugmodell verschnitten. Befinden sich in der jeweils betrachteten Richtung Hinterschnitte im Werkzeug, d.h. ein Strahl in Blickrichtung würde mehr als ein-mal in das Material ein- und wieder austreten, so wird der verdeckt liegende Be-reich nicht erkannt Dieser Fall kann beispielsweise beim Schleifen mit profilierten Schleifscheiben (Abb. 6.7). Topfscheiben oder bei der detaillierten Betrachtung von Fräsprozessen inklusive der Einzelschneiden auftreten. Nicht nur aus diesem Grund ist es wichtig, bei der Auslegung von kinematischen Simulationen mit der Funk-tionsweise der Modelle und Algorithmen vertraut zu sein.
6.1.3 Ermittlung von Prozessgrößen
Bislang wurde beschrieben, wie aufgrund rein geometrischer Betrachtungen für ein vorher festgelegtes Zeitintervall die Gestalt des zerspanten Materials bestimmt wer-den kann. Die Eingangsgrößen der analytischen Methoden, wie sie in den voran-gegangenen Kapiteln beschrieben werden, beinhalten keine detaillierte Information über diese Gestalt, sondern müssen Verallgemeinerungen vornehmen. Im Gegen-satz hierzu bietet die Simulation die Möglichkeit, eine Darstellung der tatsächlichen Form des pro Zeitschritt entfernten Bereichs zu ermitteln. Dies erfordert einerseits, dass die ermittelten Daten zur weiteren Verwendung aufbereitet werden, anderer-seits bietet sich durch Einbeziehung von Wissen über weitere Prozessgrößen die Möglichkeit, ein sehr viel detaillierteres Bild des ablaufenden Prozesses zu erhalten.
6.1 Kinematische Simulation
Abb. 6.7 Berücksichtigung von konkaven Bereichen im Werkzeugmodell
ProfilierteSchleifscheibe(Werkzeug)
Nicht sichtbarerBereich
Strahl zur Schnitt-Bestimmung
Betrachtungs-richtung
Werkstück
122
Einige der wichtigsten geometrischen Eingangsgrößen beim Zerspanen sind der Spanungsquerschnitt, die Kontaktfläche zwischen Werkzeug und Werkstück und das zerspante Volumen pro Zeiteinheit. Insbesondere bei wechselnden Eingriffs-bedingungen lässt sich zur präziseren Bestimmung dieser Größen der betrachtete Bereich in kleine Teilbereiche aufteilen. Die unterschiedlichen Verfahren zur Be-rechnung weiterer Prozessgrößen, wie beispielsweise Zerspankräften, können an-schließend separat, mit jeweils angepassten Parametern auf die Teilbereiche ange-wendet werden. Hierdurch können die in der Praxis lokal variierenden Größen, wie etwa Schnittgeschwindigkeiten besser berücksichtigt werden.
Als Beispiel für eine Anwendung der Berechnung der Gestalt der Spanfläche soll eine Kopplung der ermittelten Kräfte an eine Simulation des dynamischen Schwin-gungsverhalten der verwendeten Werkzeugmaschine erläutert werden. Ziel ist es, das Stabilitätsverhalten beim Nutenfräsen nachzubilden und die hierdurch entste-hende Beeinflussung der Bauteiloberfläche zu bestimmen. Aufgrund der Prozess-krafteinwirkung erfolgt während der Bearbeitung eine Abdrängung des Werkzeugs, was wiederum zu sich ändernden Eingrifffsverhältnissen und damit zu variiernden Kräften führt. In Verbindung mit dem Schwingungsverhalten der Maschine kommt es zu dynamischen Effekten, die sich als Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche des Werkstücks abbilden.
Um die Kräfte bei den wechselnden Eingriffsbedingungen zu bestimmen, sind rein analytische Betrachtungen nicht hinreichend. Auch eine Vereinfachung des Ab-tragprozesses, indem lediglich der Rotationskörper des Werkzeugs mit dem Werk-stück geschnitten wird liefert keine ausreichende zeitliche Auflösung des Kräftever-laufs. Vielmehr ist es notwendig, die Position der einzelnen Schneiden des Fräsers in die Simulation mit einzubeziehen und die Kraftverläufe bei rotierendem Werk-zeug zu ermitteln. Abbildung. 6.8 zeigt den Abtrag der zwei Schneidplatten eines
Abb. 6.8 Simulation des Materialabtrags einzelner Schneidplatten im rotierendem Werk -zeugsystem
Werkzeug
Abtragsbild dereinzelnenSchneidplatten
Schneidplatte 2
Schneidplatte 1
Werkstück
6 Modellierung und Simulation
123
Torusfräsers. Die von den beiden Schneiden bearbeiteten Bereiche sind hier zum Zweck der Veranschaulichung unterschiedlich eingefärbt.
Zur Berechnung der Zerspankräfte für die Prozessbedingungen eines jeden Zeit-schritts wird zunächst die geometrische Gestalt des zerspanten Bereichs aus dem verwendeten Werkstückmodell ermittelt. Sie entspricht dem Durchschnitt des Spur-körpers des Werkzeugs von der Start- bis zur Endposition des betrachteten Zeit-schritts mit der Gestalt des Werkstücks vor zum Startzeitpunkt. Es ist zu beachten, das jedes Zeitintervall auch in der Rotationsbewegung des Fräsers ein Intervall ent-hält. Die Zeitschritte sind daher hinreichend klein zu wählen, damit der entstehende Sehnenfehler bei der Bildung des Spurkörpers vernachlässigt werden kann. In der Anwendung hat sich ein maximale Schrittweite von 10° der Werkzeugrotation als geeignet erwiesen.
Im nächsten Schritt wird aus dem ermittelten Volumenelement die Spanfläche ermittelt. Die für jeden Einzelpunkt relevante Information ist hierbei die Position in dem von der Fräserachse und dem Radius aufgespannten Bezugssystem. Daher wird im Raum der Zylinderkoordinaten über diesen Achsen eine Projektion des Körpers auf die durch den Radius und die Werkzeugachse aufgespannte Ebene vor-genommen.
Die so entstehende Fläche wird in Teilflächen zerlegt und für diese der jeweilige Anteil der Kraftkomponenten berechnet (vergl. Kap. 4)1. Sie Summe der Anteile ergibt jeweils die zu bestimmende Kraftkomponente (Abb. 6.9).
1 Im vorgestellten Beispiel wurde zur Ermittlung der Kräfte ein von Altintas eingeführtes semi-empirisches Kraftmodell verwendet. Vergleiche hierzu [ALT00].
6.1 Kinematische Simulation
Abb. 6.9 Berechnung der Zerspankräfte anhand der Spanfläche aus der Simulation
21
mm
mm
19
18
17
16
15
7,5 9,0 10,5Abstand zur Spindelachse h
Koo
rdin
ate
in S
pind
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htun
g a p
Integrationder Fläche
durchäquidistante,
umschließendeRechtecke
pa
124
Ein Anwendungsbeispiel, bei dem weniger die Querschnittsfläche, sondern mehr die Kontaktfläche zwischen Werkzeug und Werkstück eine wesentliche Rolle spielt, ist die Abstimmung von Schleifprozessen bei der Fertigung von Fräsern und Boh-rern aus Hartmetall [DEN08]. Die Nuten am Werkstück – in diesem Fall der Fräser oder Bohrer – werden durch eine profilierte Schleifscheibe erzeugt, die auf mehre-ren Helixbahnen um das zylindrische Werkzeug verläuft (Abb. 6.10). Bedingt durch den harten Werkstoff und die angestrebten hohen Zeitspanvolumina entstehen gro-ße Prozesskräfte. Diese führen, wie auch in dem ersten Beispiel, zu Abweichungen von der zu fertigenden Gestalt, in diesem Fall jedoch durch eine Abdrängung des Werkstücks. Ist die Art und Größe dieser Abweichung bekannt, so kann durch eine Anpassung der Zustellung der Fehler kompensiert werden.
Die analytische Betrachtung von geometrischen Eingangsgrößen (vgl. Kap. 12.7) führt Schleifprozesse auf das Planschleifen zurück, indem die einzelnen Grö-ßen zu äquivalenten Größen transformiert werden, beispielsweise dem äquivalen-ten Scheibenradius req oder der äquivalenten Spanungsdicke heq. Hierzu wird eine Verallgemeinerung vorgenommen, indem die tatsächlich lokal variierenden Größen durch einen durchschnittlichen Wert ersetzt werden. Dadurch, dass beim Werkzeug-schleifen die Achse der Schleifscheibe gegenüber der Vorschubrichtung angestellt ist, variieren auf der Kontaktfläche nicht nur die Schnittgeschwindigkeit, sondern auch die Kontaktlänge und Spanungsdicke. Hieraus folgt eine ungleichmäßige Kräfteverteilung, die Auswirkungen auf die Abdrängung hat. Eine Untersuchung mit Hilfe einer geometrischen Simulation liefert die notwendigen Daten für eine ge-nauere Betrachtung. Zur Auswertung wird die in der Simulation berechnete (nicht ebene) Kontaktfläche in kleinere Teilflächen zerlegt.
Anhand der, auf gleiche Art wie im ersten Beispiel bestimmten, berechne-te Gestalt des zerspanten Bereichs wird jeder Teilfläche das zerspante Volumen
Abb. 6.10 Simulation des Materialabtrags beim Werkzeugschleifen
6 Modellierung und Simulation
125
im jeweils betrachteten Zeitintervall zugeordnet. Aus diesem lassen sich heq und die äquivalente Spanungsbreite beq respektive die äquivalente Querschnittsfläche Aeq = beq · hec bestimmen. Diese werden für jede Einzelfäche als Eingangsgrößen für die Berechnung der Kräfte verwendet, um auf diese Art die Normalspannungen an der Kontaktfläche zu ermitteln (Abb. 6.11). Mit dieser Verteilung als Eingangs-größe für eine Simulation der Durchbiegung des Werkstücks lassen sich sehr viel präzisere Aussagen über die Abdrängung erzielen. Wird die Berechnung der Kräfte mit einem geeigneten Modell gekoppelt, so lassen sich, ähnlich wie im ersten Bei-spiel, auch dynamische Effekte nachbilden [DEI10].
6.2 Numerische Simulation nach FEM
Mit leistungsfähigen Rechenanlagen wurden Simulationen aufgrund numerischer Verfahren möglich. Auch sie beruhen sämtlich auf Modellen, die das reale Verhal-ten des zu untersuchenden Systems nur in Abstraktionen wiedergeben (Abb. 6.12); allerdings ist man – abhängig vom Aufwand – freier in der Wahl der berücksich-tigten Effekte verglichen mit geschlossenen analytischen Methoden. Man darf sich aber nicht täuschen: Auch diese numerischen Simulationen müssen in Experimen-ten verifiziert werden. Der gelegentlich verwendete Begriff „Numerisches Experi-ment“ ist folglich verfehlt.
Unter den numerischen Verfahren hat sich die Methode der finiten Elemente (FEM) in vielen Bereichen der Mechanik, der Thermodynamik und insbesonde-re der Kontinuumsmechanik eingeführt, so auch in der Mechanik großer plasti-scher Formänderungen und so seit einigen Jahren auch in der Zerspanung [STR90, MEI88].
FEM-Simulationen lassen sich grundsätzlich auf zwei fundamentale Prinzipien zurückführen, auf die Lagrange- oder die Euler-Formulierung. Die Lagrange-For-mulierung lässt sich weiter in einer impliziten und einer expliziten Form unterschei-den. Simulationen des Spanbildungsprozesses werden bisher wegen des hohen Re-
Abb. 6.11 Durch Simulation ermittelte Verteilung der Normalspannungen an der Kontaktfläche bei gerader Nut (links) und bei einer Helixnut (rechts)
13.4
N/mm2
0
6.2 Numerische Simulation nach FEM
126
chenaufwandes überwiegend zweidimensional ausgeführt. Dieser Ansatz entspricht dem orthogonalen Spanen.
Eine Schwierigkeit bei der Simulation der Spanbildung nach Lagrange besteht darin, die starken Dehnungen an der Schneidkante nachzubilden. Dazu wurden zwei Wege entwickelt.
Bei der impliziten Lagrange’schen Formulierung (ILF) wird eine Trennlinie d eingeführt (Abb. 6.13).
Abb. 6.12 Allgemeine Formulierung von Ingenieuraufgaben
Frage-stellung
Frage-stellung
Verhaltendes realenSystems
Antwort
Ausschnittdes realenSystems
Experi-ment
mathematischesModell Lösung
Abb. 6.13 Darstellung der Verbindungselemente mit Trennlinie bei der ILF [ZHA94]
Span
Werkzeug
Werkstück
4-KnotenElement
vc
d
D
d ist in der Realität Null, zeigt aber dieVerbindungselementeD ist Auftrennkriterium
6 Modellierung und Simulation
127
Nur auf dieser Trennlinie ist eine Teilung des FE-Netzes zugelassen. Span und Werkstück werden durch eigene Netze repräsentiert, die bis zur eigentlichen Tren-nung durch Verbindungselemente verbunden sind. Der Trennweg ist als parallele Linie zur Werkstückoberfläche auf Höhe der Werkzeugspitze festgelegt. Jedes Ver-bindungselement besteht aus zwei Knoten, die dieselben Koordinaten haben, da ihre ursprüngliche Länge d gleich Null ist. Sie haben zwei Zustände: entweder die starre Verbindung oder die Trennung. Diese Zustände sind jeweils abhängig vom Abstand D zwischen der Werkzeugspitze und dem nächsten Element der Trenn-linie. Wenn D einen vorher definierten Wert erreicht oder unterschreitet, wird das Element aufgelöst und Span und Werkstück werden getrennt. Beim Fortschreiten des sich hier mit Schnittgeschwindigkeit vc bewegenden Werkzeugs wird dann der Span weiter ausgebildet. Der Vorgang der Spanbildung wird rein geometrisch be-trachtet. Vernachlässigt wird dabei der Einfluss der Schnittgeschwindigkeit. Auch bei Bestimmung des Zeitpunktes der Netzauftrennung wurden anfangs rein geo-metrische Größen angenommen. Erst später wurden materialspezifische Werte (z.B. maximale Dehnung) als Trennkriterium herangezogen [LIN93].
Bei der expliziten Lagrange’schen Formulierung (ELF) werden die Bewegungs-gleichungen direkt und explizit integriert. Im Gegensatz zu den impliziten Ver-fahren, in denen die FEM-Lösung über die Steifigkeitsmatrix erreicht wird, wird keine globale Steifigkeitsmatrix verwendet. Die Spannungen werden direkt aus den Elementspannungen nach jedem einzelnen Zeitschritt in der Integration berechnet. Der Vorteil dieser Formulierung ist, dass keine Trennlinie mehr vorgegeben werden muss. Um den Ort der Materialtrennung im Modell zu finden, werden in einer eige-nen Routine an jedem Knotenpunkt des FE-Netzes die maximalen Spannungen mit einem kritischen Wert verglichen; bei dessen Überschreiten wird eine Teilung durch Knotenverdopplung durchgeführt. Hier zeigte sich, dass die Dehnungsenergiedich-te ein realistisches Kriterium für die Knotenteilung darstellt [MEI88].
Die dritte Möglichkeit der Simulation ist eine Betrachtung nach der Euler-Formu-lierung, in der die untersuchte Struktur als kontrolliertes Volumen angesehen wird. Bei diesem Ansatz sind die Knotenpunkte stationär und nicht fest mit dem physi-kalischen Material der untersuchten Struktur verbunden. Das hat den Vorteil, dass an der Werkzeugspitze, dort wo die höchsten Spannungs- und Dehnungsgradienten auftreten, das Netz so stark verfeinert werden kann, wie es für die Genauigkeit notwendig ist. Wichtig ist, dass es bei der Euler-Formulierung kein Trennkriterium gibt, da bei dieser Methode die Spannungen und Geschwindigkeiten im Werkstück als Funktion der räumlichen Position berechnet werden und nicht als Funktion des einzelnen Materialpartikels. Da die Spangeometrie in der Euler’schen Darstellung nicht von vorn herein bekannt ist und die Materialeigenschaften zum Teil von der Umformgeschwindigkeit und der sich ändernden Temperatur abhängen, müssen die Gleichungen für das Zerspanmodell iterativ gelöst werden [STR90] (Abb. 6.14). Der Vergleich der Darstellung zeigt:
6.2 Numerische Simulation nach FEM
128
Eigenschaften der Euler-Formulierung:
• viskoplastischer Fließvorgang,• kein Trennkriterium notwendig,• Kräfte und Temperaturen im Kontakt Werkzeug-Werkstück werden realitätsnah
dargestellt,• es wird ein ortsfestes Netz verwendet, dessen Berandung auch an der sich frei
bildenden Oberfläche des Spanes (Randstromlinie) vorher bekannt sein muss,• es lassen sich nur stationäre Vorgänge und z.B. keine Lamellierungen oder
Scherlokalisierungen abbilden,• es treten keine extremen Verzerrungen im Schneidkantenbereich auf, so dass mit
gleichbleibendem Rechengitter gerechnet werden kann.
Eigenschaften der Lagrange-Formulierung:
• elastisch-plastischer Anlaufvorgang,• Trennkriterien erforderlich,• an der Schneidkante treten extreme Verzerrungen des Netzes auf, die aufwendige
Neuvernetzungen (Remeshing) erfordern,• Spangeometrie während und unmittelbar nach der Spanbildung ist Ergebnis der
Simulation und braucht nicht vorgegeben zu werden,• es lassen sich auch instationäre Vorgänge abbilden, d.h. die Simulation ist nicht
auf reine Fließspanbildung beschränkt, was insbesondere für Scherlokalisatio-nen bei Spanstauchung oder für die Darstellung von Abschnittvorgängen und veränderlichen Spanungsquerschnitten von Interesse ist,
• wegen der notwendigen Neuvernetzung und der Materialpunktbindung sind Lagrange-Simulationen erheblich aufwendiger als Euler-Rechnungen; sie bieten aber überhaupt erst die Chance, Materialinhomogenitäten zu berücksichtigen, was speziell im Mikrobereich interessant ist.
Die meisten FE-Modelle, die in der Literatur beschrieben werden, beruhen auf der Lagrange-Formulierung. Es sind auch Verknüpfungen von Lagrange-und Eu-ler-Formulierungen bekannt geworden, die Vorteile beider Rechenarten verbinden wollen [STR90].
Abb. 6.14 Iterativ ermittelte Ausgangs- und Endkontur bei einem Euler-Modell
Ausgangskontur Endkontur
6 Modellierung und Simulation
129
Während der FE-Analyse kommt es zu erheblichen Deformationen der Netz-struktur. Geometrisch stark verzerrte Elemente weisen eine geringe Ergebnisgüte auf und können zum Abbruch der Rechnung führen, wenn die Jacobi-Determi-nante des Verschiebungstensors negativ wird [MAR98]. Besonders im Kontakt-bereich, wo im Allgemeinen eine große Verformung stattfindet, können Zustands-größen aufgrund der Verzerrung der Elemente unrealistische Werte annehmen. So werden bei Analysen mit einem verzerrten Netz fälschlich größere Zustandsgrö-ßen erreicht als mit wiederholter Neuvernetzung. Für eine realitätsnahe Prozess-simulation ist daher ein robuster automatischer Vernetzungsablauf erforderlich, der nach vorher festgelegten Kriterien ohne ein Eingreifen des Benutzers ein neues Netz erzeugt.
Es gibt mehrere FEM-Programme, die zur Spanbildungssimulation geeignet sind. Davon werden folgende Programme häufig verwendet; SFTC/Deform, MSC/Superform, Thirdwave AdvantEdge und ABAQUS. SFTC/Deform und MSC/Superform sind FEM-Programme zur Lösung umformtechnischer Problemstellun-gen. ABAQUS ist ein Finite-Elemente Programm zur Behandlung strukturmecha-nischer, thermischer und akustischer Probleme. Die vorgenannten Programme müs-sen für die Zerspansimulation angepasst werden. Thirdwave AdvantEdge wurde speziell für Zerspansimulationen konfiguriert. Die genannten Programme basieren auf dem Lagrange’schen Ansatz. Sie unterscheiden sich in der Softwaregestaltung, der Programmierung und der Verwendung unterschiedlicher Algorithmen zur Neu-vernetzung stark verformte Werkstoffbereiche.
Ein für die Simulation der Spanbildung charakteristisches Problem, das in der Regel für allgemeine plastomechanische Probleme nicht existiert, ist die Stofftren-nung. Sie wird bei Lagrange’schen Ansätzen unterschiedlich gelöst:
• Entweder tritt die Trennung entlang von Elementkanten ein, womit auch die Richtung der Trennung eben mit diesen Kanten vorgegeben ist,
• oder es werden Elemente aus dem Netz entfernt.
Das vorstehende Beispiel demonstriert den Einsatz der FEM für die Spanbildung, d.h. das Formänderungsgeschehen oder die Spanbildungskinematik behandelt. Ab-bildung 6.15 zeigt die Momentaufnahme einer mit FE simulierten Spanwurzel. Ein besonderer Vorteil der FEM ist, dass mit ihr auch Spannungsverteilungen und damit Kontaktspannungen, der Kraft- und Leistungsbedarf, Wärmeflüsse und Tempera-turverteilungen und bei geeigneter Modellierung auch Randzonenveränderungen als Folge des Spanens berechnet werden können.
6.3 Molekulardynamische Modellierung
Während die vorangegangene Betrachtung phenomenologisch am isotropen und homogenen Kontinuum angestellt wurde, lassen sich inzwischen Verformungs- und auch Verschleißvorgänge auf molekularer und atomarer Basis (molecular dynamics (MD), minimum potential simulation (MPT)) behandeln [IKA92]. Die Wechsel-
6.3 Molekulardynamische Modellierung
130
wirkungen von Atomen oder Molekülen werden im Modell erfasst. So lassen sich mechanische und thermische Zustände in einem Atomgitter abbilden.
Abbildung 6.16 zeigt das generelle Konzept der Modellierung des Spanens nach der MD Methode [REN95, REN09]. Offenbar wird orthogonales Spanen an-gesetzt, was für zweidimensionale Analysen unerlässlich ist. Im Modell müssen die Materialeigenschaften, die Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen, die Kontakt- und Schnittstellenbedingungen zwischen Schneidkeil, Werkstück und Span sowie die Umgebungseigenschaften beschrieben werden. Weiterhin sind die Randbedingungen innerhalb des Modells (Oberfläche gegenüber dem Grundma-terial) und die Systemgrenzen zu der nicht modellierten Umgebung von Interesse. Ein Kern der MD Methode ist die Teilchen-zu-Teilchen Wechselwirkung des Mate-rials. Diese Wechselwirkung wird durch die potentielle Energie zwischen den Teil-chen beschrieben. Abbildung 6.17 zeigt die potentielle Energie als Funktion des
Abb. 6.16 Konzept der Modellierung des Spanens in MD (nach Rentsch)
SpanWerkzeug
Oberfläche
Ran
d
Ran
d
Rand
Atome
Werkstück
a
v
e
c
6 Modellierung und Simulation
Abb. 6.15 Simulation der Scherspanbildung
Span Scherband
Werkzeug
Werkstück
verformte Ebenen
131
Atomabstands und deren Ableitung nach dem Abstand. Rentsch weist darauf hin, dass diese Paarfunktion technische Metalle nicht korrekt abbilden kann. Dafür sind Modelle auf der Basis von Vielkörper-Wechselwirkungen erforderlich, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann [REN09].
Für die Modellierung des Spanens bedarf es einer Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück, beschrieben durch die Schnittgeschwindigkeit vc, die eingeführt werden muss. Weiterhin müssen die Kräfte und Momente, die über die Kontaktstellen zwischen Werkzeug und Werkstück in das Modell eingeführt wer-den, durch geeignete Reaktionen aufgenommen werden, um unrealistische Bewe-gungen des Systems zu vermeiden. In der Regel ist das Verformungsgeschehen vor der Schneide von Interesse. Um die Komplexität in Grenzen zu halten, wird daher das Werkzeug meist als starr angenommen. Grundsätzlich könne jedoch auch geeig-nete Teilmodelle eingeführt werden, die es zulassen, den durch Reibung und ther-mische Effekte verursachten Verschleiß zu simulieren. Da im Prozess Energie in Wärme umgesetzt wird, erhöht sich die Temperatur des Werkstoffs. Um realistische Verhältnisse in der Spanbildungszone zu bewahren, werden Temperatur steuernde Atome an den Rändern der modellierten Körper eingeführt.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Simulationsrechnungen sehr zeitauf-wändig sind. Daher können nur begrenzte Volumengrößen bzw. Flächen modelliert und simuliert werden. Andererseits müssen die Volumina jedoch ausreichend groß sein, um Artefakte von Seiten der Ränder und durch elastische Effekte vernachläs-sigbar zu halten.
Abb. 6.17 Potentielle Energie als Funktion des Atomabstands [REN09]
Atomabstand
pote
ntie
lle E
nerg
ie φ
(r)
dφ (r)d r
φ (r)
r0
ε
r
6.3 Molekulardynamische Modellierung
132
Mit größeren Rechenleistungen kann diese Art der Modellierung gleichwohl das Potenzial enthalten, realistische Szenarien des Spanens abzubilden. Interessant ist auch, dass Ansätze verfolgt werden, MD-Modelle mit FE-Modellen zu kombinieren [HEI09]. Dabei wird ein auf atomarer Sicht beruhender Teil, der lokale elastische und plastische Verformungen berücksichtigt, ergänzt. Ein umgebender FE-Teil be-rücksichtigt elastische Vorgänge, wie das in der Realität des Spanens mit abklin-gender Wirkung in die fernere Umgebung der Wirkstelle ja tatsächlich der Fall ist.
Es konnte jedenfalls gezeigt werden [REN09], dass schon heute die MD Me-thode interessante Hinweise geben kann auf das Verformungsgeschehen vor einem Schneidkeil, auf die thermischen Vorgänge an der Wirkstelle und auf die Span-nungsverteilungen im Werkstoff beim Mikrospanen im Nanometerbereich von ein-kristallinen Werkstoffen.
Fragen
1. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Simulationszeit und Realzeit. 2. Welche Überlegungen sollten der Auswahl von Modellen für die kinematische
Simulation vorangehen? 3. Worin unterscheiden sich die Modelle für die Darstellung des Werkstücks bei
der Simulation von Materialabtrag? 4. Warum ist die Abstimmung des Werkzeugmodells auf das Simulationsziel und
das verwendete Werkstückmodell wichtig?
Abb. 6.18 MD-Simulation des orthogonalen Spanens nach Rentsch [REN95]
–10 –100
100
100
50
10
0
0
z [A]
x [A] y [A]
freie Oberfläche
Werkzeug, starr
Span
Werkstückgefüge
vc
6 Modellierung und Simulation
133
5. Erläutern Sie die fundamentalen Prinzipien der FEM. 6. Was bedeutet implizite, was explizite Formulierung? 7. Welche prinzipiell verschiedenen Effekte sind bei der FE-Simulation des
Spanens nach Lagrange zu berücksichtigen verglichen mit konventionellen Umformvorgängen wie dem Tiefziehen oder Fließpressen?
8. Warum ist bei Nutzung der Euler-Formulierung ein Trennkriterium nicht erforderlich?
9. Nennen Sie typische Fragestellungen des Spanens, die mit der FEM bearbeitet werden können. Ordnen Sie diese nach der Komplexität oder dem Schwierig-keitsgrad und begründen Sie dies.
10. Vergleichen Sie FEM mit MD11. Wie wird in der MD Methode die Wechselwirkung zwischen Atomen
beschrieben?
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134
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6 Modellierung und Simulation
135
7.1 Verschleißformen
Spanende Werkzeuge verschleißen während des Einsatzes. Am Schneidkeil bilden sich typische Verschleißformen aus. Diese Verschleißphänomene hängen von den Stoffen des Wirkpaares und von den Bedingungen, unter denen der Zerspanprozess abläuft, ab. Von den Verschleißformen sind die Verschleißarten (auch Verschleiß-ursachen genannt) zu unterscheiden. Damit ergibt sich folgende Wirkungskette:
Die wichtigsten Verschleißformen sind in Abb. 7.1 dargestellt, zusammen mit den Größen, die sie quantitativ beschreiben.
Freiflächenverschleiß bildet sich an den Freiflächen von Haupt- und Neben-schneide; an diesen Verschleißflächen gleiten die gerade erzeugten Schnittflächen des Werkstücks vorbei. Es bildet sich eine deutliche Markierung. Ihre Ausdehnung in Schnittrichtung wird als Verschleißmarkenbreite VB bezeichnet. Da sich unter-schiedliche Verschleißmarkenbreiten entlang der Schneidkante ausbilden können, wird zwischen dem Verschleiß an der Eckenrundung VBC (dort Maximalwert, C für corner), an dem geraden Teil der Schneidkante VBB als Mittelwert und VBBmax als Maximalwert und an der Ausbildung einer Kerbe am Ende der Schneidkante, ge-kennzeichnet durch VBN (N für notch) unterschieden ( Kerbverschleiß).
Der Freiflächenverschleiß bildet sich in der Regel monoton. Das vom Schneid-keil abgetrennte Volumen VT bezogen auf die Schneidenlänge hängt bei konstant angenommenem Freiflächenverschleiß vom Freiwinkel des Werkzeugs ab
(7.1)
Ein kleiner Freiwinkel bewirkt einen stabilen Schneidkeil. Ein zu kleiner Freiwin-kel vergrößert jedoch die Reibfläche und verstärkt damit auch den Reibeffekt zwi-schen dem Wirkpaar. Prinzipiell ist ein Freiwinkel unverzichtbar, weil sonst das Werkzeug nur drücken und nicht spanen könnte. Aus den Geschwindigkeitsplänen in Abb. 7.2 folgt
Beanspruchung → Verschlei arten → Verschlei formen .
VT =1
2VB2 tan α.
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 7Verschleiß
136
(7.2)
Aus kinematischen Gründen muss der Freiwinkel α größer sein als der auf die Werkzeug-Orthogonalebene (Po) projizierte Wirkrichtungswinkel '. In dieser Be-trachtung sind allerdings noch keine Verformungen des Wirkpaares berücksichtigt. Tatsächlich liegen daher die Freiwinkel in der Praxis um ca. 4° höher als sie nach der oben angeschriebenen Beziehung errechnet werden.
tan αmin =vf
vcsin κ.
Abb. 7.1 Verschleißformen beim Drehen (nach ISO 3685)
Freiflächenverschleiß
VB
Kerbverschleiß
Kolkverschleiß
A
Kerbverschleißan der Neben-freifläche
KT = Kolktiefe
KT
Schnitt A -A
A
Abb. 7.2 Kinematisches Freiwinkelminimum. (nach DIN 6581)
Po
Pe
Vf
V'f
'
V'f
vc
Po
αmin
Schneidkeil
κ
Po = Werkzeug-Orthogonalebene, Keilmessebene
Spanfläche
Pe = Arbeitsebeneκ = Werkzeug-Einstellwinkel
Hauptschneide
7 Verschleiß
137
Abbildung 7.3 zeigt, dass die Verschleißmarkenbreite bei sehr geringen Frei-winkeln wegen der vergrößerten Reibung ansteigt; dies tritt aber auch bei höherer Belastung und großen Freiwinkeln ein, weil der Schneidkeil dann geschwächt ist.
Interessant ist, dass man durch eine geringfügige Rücknahme der Freifläche nach Abb. 7.4 eine deutliche Minderung des Verschleißes in der Anfangsphase und einen
Abb. 7.3 Einfluss des Freiwinkels auf den Freiflächenverschleiß
0,5
0,3
0,2
0,1
mm
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
00 2 4 6 8 10 14
Freiwinkel α
Stahl C60W3HM P20t = 10 min
f = 0,45
f = 0,05
°
7.1 Verschleißformen
Abb. 7.4 Freiflächenrücknahme und Verschleiß (Prinzip)
konventionelleWerkzeuggeometrie
Standzeitgewinn
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
c
Sb2
Sb1
A
A
B
B
Einfluss der Stegbreite sbsb1 < sb2
Schnittzeit tc
A B
Sb
St
My/48676 © IFW
138
Standzeitgewinn erreichen kann [DEN08]. Zudem wird hierdurch die Kontaktlänge zwischen der Freifläche und dem Werkstück über einer bestimmten Schnittzeit an-nähernd konstant gehalten. Dieses ist bspw. für die Hartbearbeitung bedeutsam, da hierdurch die Höhe der Passivkraft und der Eigenspannungszustand der Werkstück-randzone beeinflusst werden (siehe hierzu Abschn. 10 und 11).
Der Kolkverschleiß bildet sich als muldenförmiger Abtrag von Schneidstoff auf der Spanfläche aus (Abb. 7.1 bzw. Abb. 7.5). Er wird durch die Kolktiefe KT oder das Kolkverhältnis K = KT/KM als Quotient aus Kolktiefe und Kolkmittenabstand beschrieben. Das Kolkverhältnis ist ein Maß für die Schwächung der Kolklippe und damit für die Gefahr, dass sie ausbricht.
Weitere Verschleißphänomene, wie plastische Verformung des Schneidkeils, Rissbildung, Abschieferung und Bruch werden im Zusammenhang mit den Ver-schleißursachen erläutert.
7.2 Beanspruchungen
Die aktiven Teile spanender Werkzeuge, die Schneidkeile, werden mechanisch, thermisch und chemisch beansprucht (Abb. 7.6). Diese Beanspruchungen können zeitlich konstant (Drehen im glatten Schnitt oder Bohren) sein. Instationär, also zeitlich wechselnd ist die Beanspruchung beim Fräsen oder Drehen im unterbro-chenen Schnitt.
Die mechanische Beanspruchung des Schneidkeils folgt aus der Einleitung von Kräften über die Kontaktflächen auf den Span- und den Freiflächen der Haupt- und Nebenschneide. Die dadurch hervorgerufenen Spannungen lassen sich bspw. mit
Abb. 7.5 Einfluss der Schnittzeit auf den Verschleiß am Drehwerkzeug
× 1
000
× 100
Abtastung N NN
N
α
γ
20 µm
Verschleiß-marken-breite VBB =
Schnittzeitt=
0 min 0 µm
0,5 min 40 µm
1,5 min 90 µm
4 min 155 µm
5 min 181 µm
6 min 203 µmVBB
VBB
VBB
VBB
VBB
::
WerkstoffSchneidstoff
Ck 60HM P 30
ap × f = 1 × 0,2 mm2
vc = 150 m / min
= 45° , = 6°κ γ
7 Verschleiß
139
der Methode der finiten Elemente (FEM) errechnen. Voraussetzung ist, dass die Verteilung der Oberflächenkräfte auf den Kontaktflächen bekannt ist. Aus Messun-gen oder Rechnungen lassen sich i. Allg. nur die globalen Kraftkomponenten, deren Resultierende die Zerspankraft ist, angeben; die Oberflächenkräfte sind schwer zu ermitteln (Abschn. 4.5).
Am Beispiel eines Fräsvorganges seien der Rechengang und die notwendigen Annahmen erläutert [DEN92]. Aus der Zerspankraft oder ihren in einem Messko-ordinatensystem aufgenommenen Komponenten müssen die auf den Schneidkeil bezogenen, d.h. die normal und tangential auf die Kontaktflächen wirkenden Kraft-komponenten errechnet werden. Dies geschieht mit den in Abb. 7.7 eingezeichneten Größen und Winkeln durch eine Koordinatentransformation.
(7.3)
worin TFS die Transformationsmatrix ist, die trigonometrische Funktionen der Werkzeugwinkel , a und r enthält. Die sich mit dem Eingriffswinkel ändernden Kräfte für die Fräsbearbeitung von Ck45N mit Schneidkeramik sind in Abb. 7.8 dargestellt. Aus den so ermittelten Komponenten sind die Anteile, die über die Span- und Freiflächen übertragen werden (Abschn. 4.7), zu bestimmen. Hierzu kann bspw. auf die Untersuchungen von Spaans [SPA67] zurückgegriffen werden, der folgende Komponentenanteile für die Freifläche (F) und die Spanfläche (F) ermittelte:
(7.4)
(Fx, Fy, Fz)T = TFS · (Fc, FcN, Fp)T
Fαy = 0,1 Fy Fαx = 0,4 Fx
Fγ y = 0,9 Fy Fγ x = 0,6 Fx
Abb. 7.6 Beanspruchungen und Verschleißursachen von Schneidstoffen
Mechanisch
Thermisch
Chemisch
Beanspruchung Verschleißursachen
Abrasion
Adhäsion
Bruch
Abschieferung
Rissbildung
Diffusion
Oxidation
kurzzeit-wirkung
Langzeit-wirkung
StationäremechanischeLast
StationärethermischeLast
ChemischerEinflussim Innern
WechselndemechanischeLast
WechselndethermischeLast
ChemischerEinfluss an derOberfläche
7.2 Beanspruchungen
140
Die über die Freifläche der Nebenschneide übertragenen Anteile sind unter Schrupp-Schlicht-Bedingungen vernachlässigbar.
Nunmehr muss die Verteilung der diskreten Normal- und Tangentialkräfte über die Kontaktflächen nach Abschn. 4 bestimmt werden. Die Breite der Kontaktflä-
Abb. 7.7 Koordinatentransformation: Messerkopf – Schneidplatte
κ
Z
v (FcN)
Schneid-kante
Z3
Z1
Z2
SpanflächeSchneid-platte
X3
X2
X1
X
Y
w(Fp)
Y1Y2
Y3 γr
γa
u(Fc)
( u,v,w ) - Messerkopfkoordinaten
( x,y,z ) - Schneidplattenkoordinaten
Abb. 7.8 Zerspankraftkomponenten in Messerkopf- und Schneidplattenkoordinaten
0 10 20 ms 30Zeit t
0 10 20 ms 30Zeit t
160
120
500
N
0
–500
–1000
–1500
–2000
Zer
span
kraf
tkom
pone
nten
Fi
Fx
FyFc
FcN
Fp
Fz
Schnittgeschw.VorschubSchnittbreite
: vc = 315 m/min: f = 0,2 mm: ap = 2,0 mm
Fase0,2×20°
γa γr ε κ–7° –8°30' 90° 75°
7 Verschleiß
141
chen entspricht der Spanungsbreite b, die Kontaktlänge in Richtung des Spanflus-ses ist etwa 2,5 mal der Spanungsdicke h. Die Kontaktlänge kann sich allerdings bis zum Standzeitende verdoppeln [DEN92]. Deshalb empfiehlt sich eine experi-mentelle Bestimmung aus dem Kontaktabdruck am Schneidkeil. Auf diese Weise sind die Oberflächenspannungen ermittelt, die als Randbedingungen für eine FEM-Rechnung bekannt sein müssen.
Abbildung 7.9 zeigt die Hauptspannungen anhand ausgewählter Punkte der Schneidkeramik basierend auf der in Abb. 7.8 dargestellten Kraftbeanspruchung. Die berechneten Spannungen sind für den untersuchten Schneidstoff nicht kritisch. Sobald die Zerspankraft aber beispielsweise verschleißbedingt ansteigt, könnten sie kritische Werte annehmen.
Auch die thermische Beanspruchung eines Schneidkeils lässt sich mittels der FEM bestimmen, wenn der Wärmestrom, der in den Schneidkeil eintritt, und seine Verteilung bekannt sind. Die an der Schneide umgesetzte Leistung führt zu Wärme-strömen über Span, Werkstück, Werkzeug und Umgebung. Für den Schneidkeil, der anders als die drei anderen Elemente der Wärmeabfuhr ständig im Wärmestrom liegt, folgt daraus eine erhebliche Temperatursteigerung mit je nach thermophysika-lischen Eigenschaften großen Temperaturgradienten und damit großen Wärmespan-nungen. Für ihre Bestimmung bedarf es folgender Annahmen und Schritte:
1. Die insgesamt umgesetzte Leistung entspricht nahezu der zugeführten mechani-schen Leistung
2. Der über das Werkzeug abgeführte Anteil des Wärmestromes beträgt nur etwa 5 % bis 20 %. Die Kenntnis hierüber ist also für die Bestimmung der Wärme-spannungen kritisch.
3. Aus dem Wärmestrom, der durch die Kontaktfläche des Schneidkeils tritt, las-sen sich z.B. mit Hilfe der Finite-Elemente, Temperaturverteilungen ermitteln.
Abb. 7.9 Hauptspannungen während der Eingriffsphase
300
MPa
150
0
–150
–300
–4500 10 20 ms 30
Zeit t
600
MPa
0
–600
–1200
–1800
–24000 10 20 ms 30
Zeit t
C
C
Hau
ptsp
annu
ng
3
Hau
ptsp
annu
ng
1
A B
x xy
yz z
AB
ABC
0,3500 0
–0,2
–0,20,351,23,0
7.2 Beanspruchungen
142
Voraussetzungen dafür sind die Kenntnis der temperaturabhängigen thermo-physikalischen Daten und der Wärmeabfuhr über die Werkzeugoberfläche und in die Werkzeughalterung. Die Messung der Temperaturverteilungen wurde in Abschn. 5 behandelt. Wegen der schwierigen Datenlage kann im Allgemeinen auf Messungen nicht verzichtet werden.
4. Aus der Temperaturverteilung lassen sich wiederum über die FEM die Wärme-spannungen bei Kenntnis der temperaturabhängigen thermischen Ausdehnungs-koeffizienten und elastischen Konstanten errechnen.
Wärmespannungen müssen den aus mechanischen Belastungen folgenden Span-nungen überlagert werden. Solange es nicht zu plastischem Fließen, zu Rissen oder anderen nicht linearen Effekten kommt, lassen sich mechanische und thermische Spannungen addieren. Abbildung 7.10 zeigt Temperatur- und Spannungsverteilung bei thermischer Beanspruchung einer keramischen Wendeschneidplatte.
Von besonderem Interesse für die thermische Beanspruchung ist der instationäre Fall, weil es durch Temperaturwechsel zur Spannungsumkehr kommen kann. In Abb. 7.11 ist die Kontakttemperatur für einen Punkt auf der Spanfläche beim Fräsen dargestellt. Heiz- und Abkühlphasen im Wechsel führen über kurze Zeit zur Anhe-bung der mittleren Temperatur, bis sich ein eingeschwungener Zustand eingestellt hat. Für den betrachteten Punkt auf der Spanfläche ergeben sich die in Abb. 7.12 dargestellten Spannungsverläufe für eine Aufheiz- und Abkühlperiode.
Die Hauptspannung 3 verhält sich proportional zur Werkzeugtemperatur. Wäh-rend der Aufheizphase steigt ihr Wert degressiv auf das Spannungsmaximum am Ende dieser Phase an, danach fällt der Wert entsprechend dem Temperaturverlauf exponentiell ab.
Die andere Hauptspannung 1 verläuft deutlich anders. Während der gesamten Aufheizphase bleibt der Spannungswert annähernd konstant. Mit Einsetzen der
Abb. 7.10 Temperatur und Spannungsverteilung senkrecht zur Hauptschneide [DEN92]
Keramik : Al2O3/TiCKühlung : h = 20 W/m2K
Wärmestrom indas WerkzeugQ0 = 40 W
Temperaturverteilung A
A
B
B
C
C
D
D
E
E
F
F
G
G
H
H
I
I
J
J
K
K
L
L
A B C D E F G H I J
M
M
N
N
O
O
t1 = 16 ms
Spannungsverteilung J I H G F
EDCDE
A B C
588 547 507 466 426 385 345 304 204 224 183 143 102 62 21
281 216 152 88 23 –41 –105 –170 –224 –298
Temperat.°C
σ1(MPa)
2,0 mm
0,5 mm
xy
z
7 Verschleiß
143
Kühlung wechselt der Spannungswert vom Druck- in den Zugbereich, wobei das Zugspannungsmaximum 1 = 90 MPa etwa 4 ms nach Kühlungsbeginn vorliegt. Die Zuordnung der Normal- und Hauptspannungen zeigt, dass 3 im Wesentlichen zz entspricht, 1 dagegen xx [DEN92].
Für die Entwicklung und Auswahl von Schneidstoffen ist der Einfluss der ther-mischen Konstanten wie der spezifischen Wärmekapazität cp, der Wärmeleitfähig-keit und der Temperaturleitfähigkeit bzw. der Dichte von Interesse. Am Bei-
Abb. 7.11 Zeitlicher Temperaturverlauf an der Fasenkante [DEN92]
(0,2 / 0 / 0,9)
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2s
Zeit t
1000
°C
800
600
400
200
0
Tem
pera
tur
ϑKeramikWärmestromKühlung
: Al2O3 /TiC: Q0 = 40 W: h = 20 W/m2k
yx z 840°C
240°C
∆ϑ=600°C
Abb. 7.12 Spannungen in der Oberfläche [DEN92]
(0,2/0/0,9)
σ1
σ3
0 20 40 ms 60Zeit t
300
MPa0
–300
–600
–900
–1200
–1500
–1800
Hau
ptsp
annu
ngen
σ1
und
σ 3
0 20 40 ms 60Zeit t
300MPa
0
–300
–600
–900
–1200
–1500
–1800
σxy
σzzσxx
σyy
σyz
Spa
nnun
gen
σ ii u
nd σ
ij
Kühlung
x zy
7.2 Beanspruchungen
144
spiel eindimensionaler Wärmeleitung, bei der ein Stab mit dem Querschnitt A an seiner Stirnseite mit dem Wärmestrom Qo beaufschlagt wird, lässt sich die Tempe-raturänderung über der Zeit wie folgt abschätzen:
(7.5)
Darin ist ϑ0,t die Oberflächentemperatur und ϑk,t die Temperatur im Inneren des Stabes. Abbildung 7.13 zeigt die Oberflächentemperatur über der Temperaturleit-fähigkeit , wobei einmal variiert wird ( ⋅ cp = const.) und im anderen Fall ⋅ cp variabel ist ( = const.).
Durch eine Erhöhung der Wärmeleitfähigkeit wird der Wärmetransport aus der Kontaktzone beschleunigt, die Oberflächentemperaturen sinken. Die Wärmekapa-zität · cp ist ein Maß für die Umsetzung von Wärme in Temperatur. Eine Erhöhung der Wärmekapazität wirkt sich daher auch temperaturmindernd aus [DEN92].
7.3 Verschleißursachen
Je nach Beanspruchung und ihrem zeitlichen Verlauf stellen sich unterschiedliche Verschleißursachen mit verschiedenen Verschleißmechanismen ein (Abb. 7.14).
Abrasion (Abrieb) tritt als Folge von Gleitung zwischen den Wirkpartnern durch harte Bestandteile des Werkstoffs auf (Abb. 7.15) [VIE70]. Es ist ein rein mecha-
ϑ0,t+1 =1
ρ · cp·
t
α·[
Q0
A+
λ
α
(ϑk,t − ϑ0,t
)]mit α =
λ
ρ · cp
Abb. 7.13 Schneidentemperatur über thermischen Schneidstoffeigenschaften [DEN92]
1200
°C
900
600
Tem
pera
tur
300
00 5 10 15 10–6m2/s 25
Temperaturleitfähigkeit α =λ
ρ.cp
(ρ.cp)
Hartmetall
Schneid-keramik
SK(0,2 / 0 / 0,9)
xy
zHM ρ.c p
λ
Wärmestrom :KeramikW.-leitfahigk.W.-kapaziät
Q0 = 50 WAl2O3/TiCλ1 = 17 W/mK
= 4,7 J/cm3Kbei 1 = 400°C
= f[λ,(ρ cp)1] λ = konst.
= f[(ρcp),λ1] ρ.cp = konst.
:::
7 Verschleiß
145
nischer Vorgang, einem Mikrozerspanen (Mikrofeilen) vergleichbar, der allerdings durch hohe Oberflächentemperaturen des Schneidkeils auf der Span- und Freifläche und die damit verbundene Entfestigung des Schneidstoffs unterstützt wird. Unter der Wirkung von Normal- und Scherkräften werden weichere Teile des Schneid-stoffs abgetrennt. Eine feinbearbeitete Oberfläche des Schneidkeils kann mit der Einsatzzeit rauer werden. Seine Mikrogeometrie beeinflusst den Verschleiß anfäng-lich, später nicht mehr.
Abb. 7.14 Verschleißmechanismen und -formen [DEN92]
Abrasion Adhäsion
TribochemischeReaktion
Oberflächen-zerrüttung
Werkstoff-ablagerungen
Freiflächen-verschleiß
Kolkverschleiß
Rissbildung
7.3 Verschleißursachen
Abb. 7.15 Schematische Darstellung des Werkzeugverschleißes durch Abrieb [VIE70]
a b
c
146
Adhäsiver Verschleiß liegt vor, wenn Teilchen des Schneidstoffs auf den Span bzw. die Schnittfläche durch Adhäsion, d.h. durch atomare Bindungskräfte an Mik-rokontaktstellen übergehen. Adhäsion beim Spanen wird dadurch unterstützt, dass durch permanentes Gleiten die Schneidkeilflächen von passivierenden Schichten freigehalten werden und die Schnittflächen oder die Spanunterseite als Oberflächen in statu nascendi ebenfalls von hoher Reinheit sind. Grundsätzlich lassen sich fol-gende zwei Vorgänge für den adhäsiven Verschleiß unterscheiden:
• Es kommt zu Kaltverschweißungen (Pressschweißungen) am Schneidkeil. Die damit gebildeten Ablagerungen werden später – nach weiterem Wachsen – aus dem Schneidstoff herausgerissen, was mit Stoffverlust verbunden ist.
• Schneidstoffteilchen verschweißen direkt mit der Schnittfläche und der Spanun-terseite und werden dabei getrennt.
Beide Effekte nehmen mit höherer Gleitgeschwindigkeit, d.h. mit der Schnittge-schwindigkeit ab.
Tribochemischer Verschleiß beim Spanen ergibt sich durch Diffusion. Mit steigender Temperatur eines Stoffes nimmt die Beweglichkeit seiner Atome und Moleküle zu. Es kann zu thermisch aktiviertem Wandern von Bestandteilen des Schneidstoffs in den Werkstoff oder auch zu Wanderungen in Gegenrichtung kommen. Aus den chemischen Reaktionen der eingewanderten Teilchen mit dem Schneidstoff oder aus der Entfernung von Bestandteilen können sich weiche Schichten bilden, die abgetragen werden. Beim Zerspanen von Kohlenstoffstahl mit Hartmetall, bestehend aus WC und Co, kommt es zu folgenden Reaktionen [KÖN89]:
• Fe diffundiert in die Bindephase Co. Es kommt zur Bildung von Fe-Co-Misch-kristallen.
• Co wandert aus dem Hartmetall heraus zum Fe und bildet dort Mischkristalle.• C wandert aus dem Stahl über die Kobaltphase in den Schneidstoff und führt zur
Auflösung des WC durch Bildung weicherer Eisen-Wolfram-Mischkarbide.
Eine weitere tribochemische Verschleißursache ist die Oxidation. Sie kann an den Rändern der Kontaktzonen auftreten, wenn die Oberflächentemperaturen und die Oxidationsneigung der Schneidstoffe hoch genug sind. Wie Abb. 7.16 zu entneh-men ist, ist Oxidationsverschleiß bei Stelliten wegen geringerer Oxidationsneigung und bei unlegierten Werkzeugstählen und Schnellarbeitstählen wegen der schon bei geringen Temperaturen auftretenden Erweichung ohne Bedeutung.
In Abb. 7.17 ist schematisch die Bedeutung der verschiedenen Verschleißarten für den Gesamtverschleiß von Hartmetall bei der Stahlzerspanung in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit und damit von der Schneidkeiltemperatur angege-ben.
Der Anteil der einzelnen Verschleißarten an der Werkzeugabnutzung ist nicht eindeutig feststellbar. Je nach Paarung Werkstoff – Schneidstoff und je nach Schnei-dentemperatur und Schnittgeschwindigkeit kann die eine oder andere Art im Vor-dergrund stehen.
7 Verschleiß
147
Zur Rissbildung kommt es besonders bei instationärer Schneidkeilbeanspruchung. Es lassen sich Risse parallel (laterale Risse) und normal zur Schneidkante unter-scheiden (Abb. 7.18). Normalrisse treten häufig mit regelmäßigem Abstand auf. Sie werden als Kammrisse bezeichnet und sind thermischen Ursprungs [BAR 88].
Dabei können rein elastische oder je nach Verformungsverhalten auch elastisch-plastische Vorgänge bestimmend sein. In der Schnittphase wird der Schneidkeil auf-geheizt. Unter der Flächennormale stellt sich ein typischer abklingender Tempera-turverlauf ein (Abb. 7.19). Während der Abkühlphase gibt es ein Temperaturgefälle zur Oberfläche des Schneidkeils, das bedeutet Zug-Wärmespannungen während der Abkühlphase. Wenn plastische Stauchungen ( < 0) in der Schnittphase auftreten, folgen daraus nach Abkühlung Zugeigenspannungen in der Oberfläche. Beide Ef-fekte können also zu Rissen führen. Die Regelmäßigkeit der Kammrisse ergibt sich daraus, dass die kritischen Zugspannungen aus Volumenveränderungen distanzab-hängig sind.
Abb. 7.16 Gewichtszunahme beim Glühen verschiedener Schneidstoffe
Glühzeit : 15 min
Stellit
S10-4-3-10
250
150
100
50
0
g/m2
300 400 500 600 700 800 900 °C 1100Temperatur T
Gew
icht
szun
ahm
e
K20
P1
0
Rei
neis
en
C60
7.3 Verschleißursachen
Abb. 7.17 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Verschleißarten
Gesamtveschleiß
Abrasion
Ver
schl
eiß
tribochem. Verschleiß
Adhäsion
Schnittgeschwindigkeit
148
7.4 Standzeit
Als Standzeit T bezeichnet man die Zeit, in der ein Werkzeug vom Anschnitt bis zum Erreichen einer vorher festgelegten Verschleißgrenze unter gegebenen Bedin-gungen Zerspanarbeit leistet.
Die Standzeit eines Werkzeugs hängt von der Schneidstoff-Werkstoffpaarung, von den Maschineneinstellbedingungen, unter denen das Werkzeug eingesetzt wird, und von der Schneidkeilgeometrie ab. Zur Beurteilung dieser zeitlichen Verände-rung des Werkzeugs und zur Bestimmung des Standzeitendes werden verschiedene Standzeitkriterien herangezogen.
Der Aufwand zur Bestimmung des zu verwendenden Standzeitkriteriums ist ab-hängig vom Einsatzfall und der zu fertigenden Losgröße. Allgemein gilt:
• Großserienfertigung:⇒Erprobung im Einsatzfall,• Einzel- und Kleinserienfertigung:⇒Erfahrungswerte.
Abb. 7.18 Verschleiß am Schneidkeil
Kammrisse
laterale Risse
Nebenfrei-flächeHauptfreifläche
Spanfläche
Abb. 7.19 Thermisch indu-zierte Rissbildung
ϑ ϑ0
0ϑ σ
σ
z zz
z z z
–ε
Schnittphase
Schnittphase
Abkühlphase
Abkühlphase
elas
tisch
-pla
stis
chel
astis
ch
Temperaturunter Span-fläche
Zug-spannung
plast. Ver-formung
Zugeigen-spannung
7 Verschleiß
149
Als Maximalwerte für die Größe der Verschleißmarkenbreite gelten nach Tab. 7.1:Für den Kolkverschleiß werden im Allgemeinen folgende Grenzwerte angenommen:
Kolktiefe: KTZUL = 1–1,5 mmKolkverhältnis: KZUL = 0,4
Die nach ISO 3685 maximal zulässige Kolktiefe ist jedoch abhängig vom einge-stellten Vorschub. Standzeiten beziehen sich auf ein bestimmtes Kriterium; z.B. bedeutet: TVB0,4 Standzeit bis zu einer Verschleißmarkenbreite von VB = 0,4 mm. Die zeitliche Entwicklung des Freiflächenverschleißes ist in Abb. 7.20 dargestellt.
Der Verschleiß ist abhängig von fixen oder optimierten, aber im Prozess i. Allg. nicht mehr beeinflussten Eingangsgrößen:
• Schneidstoff,• Werkstoff,• Werkzeuggeometrie,• Kühlschmierstoff,• dynamisches Verhalten von Werkzeug, Werkstück, Werkzeugmaschine,
und von wählbaren Einstellgrößen wie:
• Schnittgeschwindigkeit vc,• Vorschub f,• Schnitttiefe ap.
VBZUL Schnellarbeitsstahl/Hartmetall Schneidkeramik
Schruppen 0,8–1,0 mm 0,3 mmSchlichten 0,2–0,4 mm 0,3 mm
Tab. 7.1 Verschleißmar-kenbreiten
7.4 Standzeit
Abb.7.20 Zeitliche Entwicklung des Freiflächenverschleißes
Zeit t
degressiverVerschleiß
linearerVerschleiß
progressiverVerschleiß
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
150
Den stärksten Einfluss hat die Schnittgeschwindigkeit auf kontinuierlich fort-schreitende Verschleißformen wie den Freiflächen- oder den Kolkverschleiß. Bei variierten Schnittgeschwindigkeiten unter sonst gleichen Bedingungen ergeben sich ähnliche, aber verschieden steile Verschleiß-Einsatzzeit-Kurven, wie in Abb. 7.21 eingetragen. Beim Standzeitkriterium sind dann die jeder Schnittgeschwindigkeit zuzuordnenden Standzeiten abzulesen [TAY07].
F.W. Taylor (USA, 1856 bis 1915) fand durch experimentelle Untersuchungen einen exponentiellen Zusammenhang zwischen Schnittgeschwindigkeit und Stand-zeit bei gegebenen Verschleißkriterien Verschleißmarkenbreite VBZUL oder Kolk-tiefe KTZUL
(7.6)
Mit T0 = 1 min und der zugehörigen Minutenschnittgeschwindigkeit C (Schnitt-geschwindigkeit bei Standzeit von 1 min) wird die Beziehung im Allgemeinen als Zahlenwertgleichung angeschrieben.
(7.7)
Bei logarithmischer Achsteilung kann dieser Zusammenhang als Gerade dargestellt werden. Diese Geraden bezeichnet man als „Taylor- Geraden“ (Abb. 7.22).
Die Konstanten C und k können Tabellen (Tab. 7.2) entnommen werden. Die Steilheit der Geraden gibt die Empfindlichkeit einer Schneidstoff-Werkstoffkom-bination gegen Schnittgeschwindigkeitssteigerung an. Die Breite des Streubandes lässt Rückschlüsse auf die Standzeitzuverlässigkeit bzw. die Eintreffwahrschein-lichkeit des Standzeitkriterums zu (s. Abschn. 7.5). Dabei können der Freiflächen-
vc = C ·(
T
T0
)1/k
vc = C · T1/k
Abb. 7.21 Vergleich der Verschleißmarkenbreite bei der Guss- und Stahlzerspanung
Schnittzeit t0 10 20 30 40 50 60 80min
vc = 160 m.min–1
vc= 400 m.min–1
vc = 315 m.min–1
vc = 63 m.min–1
vc = 250 m.min–1
800
µm
600
400
200
0
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
α γ λ ε κ r
0,8 mm0,8 mm– 6°– 6°6°
6°5° 0° 90°90°
60°60°
SchnittiefeVorschubSchneidstoff
: ap = 2,5 mm: f = 0,25 mm: doppelbeschichtetes Hartmetall
SchneidengeometrieWerkstückstoff
GGG-3049 Mn VS 3
7 Verschleiß
151
oder der Kolkverschleiß je nach Schneidstoff-Werkstoffpaarung und nach den Ein-satzbedingungen kritisch sein. Wenn beide Verschleißformen auftreten, ist im All-gemeinen im geringeren Schnittgeschwindigkeitsbereich der Freiflächenverschleiß, bei höheren Schnittgeschwindigkeiten der Kolkverschleiß für das Standzeitende be-stimmend. Die Taylor-Gerade für den Freiflächenverschleiß ist flacher als die für den Kolkverschleiß.
Abb. 7.22 Entwicklung der Taylor-Geraden
40
min
16
6,3
2,5
0,4
To=1
160 250 400 630 C 1600 m. min–1
C = vc . T–1/k
Sta
ndze
it T
250
400
Standzeit-kriterium
1000 m. min–1
630
6 12 18 24 min 36Schnittzeit tc
Schneidstoff : Oxidkeramik
Schnittgeschwindigkeit vc
KonfidenzintervallVertrauen 95%
WerkstückstoffVorschubSchnittiefe
: 42 Mn Si VS 33 BY: f = 0,25 mm: ap = 1,5 mm
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
B
mm
0,3
0,2
0,1
00
7.4 Standzeit
Tab. 7.2 Koeffizienten zur Ermittlung der Taylor-Geraden
152
Abbildung 7.23 lässt den Einfluss des Werkstoffs auf die Lage der Taylor-Gerade erkennen. Höhere Festigkeit verringert die Standzeit, wie der Vergleich von Kugel-graphitguss GGG-60 und GGG-70 zeigt. Andererseits wirken sich Zusammenset-zung und Gefüge der Werkstoffe entscheidend aus, was man den Taylor-Geraden für GGG-70 und den mikrolegierten Stahl 49 MnVS 3 mit gleicher Festigkeit ent-nehmen kann.
Die Standzeit und die Schnittgeschwindigkeit lassen sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimieren. Optimierungskriterien können sein:
• minimale Bearbeitungszeit,• minimale Stückkosten oder• minimale Periodenkosten.
Das Stückzeit-, Stückkosten- oder Periodenkostenoptimum ergibt sich aus gegen-läufigen Zeit- oder Kostenanteilen bezogen auf die Werkzeuge (mit vc steigend) und die Maschinenbelegung (mit vc fallend) (Abb. 7.24). Für die Stückkostenoptimie-rung der Schnittgeschwindigkeit gilt:
(7.8)vc,Kopt= C [(−k − 1) · (twz+KWZ/KML)]1/k
Abb. 7.23 Standzeitvergleich bei der Stahl- und Gussbearbeitung
GGG - 70
49 Mn VS 3
100
min
40
25
16
10
6,3
4
2,5
1,6
1,016 25 40 63 100 160 630m. min–1
Schnittgeschwindigkleit vc
Sta
ndze
it T
GGG - 60
SchnittiefeVorschubVerschleißkriteriumSchneidstoff
: ap = 2,5 mm: f = 0,25 mm: VB = 0,3 mm: TiC-Al2 O3 besch. HM
Werk-stoff
Schneidengeometrie
GussStahl
α γ λ ε κ r
0,8 mm0,8 mm–6°–6°6°
6°5° 0° 90°90°
60°60°
vcKopt vcPopt vcTopt
Minim. Stückkosten max. Gewinn HochkonjunkturNormalbeschäftigungLangfristig
geringe Markttranspa-renz, kurzfristig
Markt halten
Tab. 7.3 Optimie-rungskriterien für die Schnittgeschwindigkeit
7 Verschleiß
153
Die Schnittgeschwindigkeit für minimale Periodenkosten vc,Popt liegt zwischen vc,Topt und vc,Kopt. Die minimalen Periodenkosten ergeben sich aus einer Opti-mierung von Stückzeit und Stückkosten. Es bestehen folgende Zusammenhänge zwischen den nach unterschiedlichen Kriterien optimierten Schnittgeschwindig-keiten:
Bei schwacher Konjunktur ist es sinnvoll, die Schnittgeschwindigkeit zu senken, um die Werkzeugkosten zu minimieren, da die Maschine ohnehin nicht voll genutzt wird. Andere Kostenanteile, wie die Energiekosten gehen damit auch zurück. Die damit u.U. steigenden Personalkosten müssen allerdings beachtet werden.
In Abb. 7.25 ist der direkte Kostenvergleich zwischen zwei unterschiedlichen Drehwerkzeugen dargestellt. Die Wendeschneidplattentechnik hat eine Kostensen-kung gebracht.
Ein Kostenoptimum ergibt sich durch eine Minimierung der Werkzeugwechsel-zeit und der Werkzeugkosten je Standzeit. Der dargestellte Zusammenhang lässt sich nicht einfach generalisieren, besonders wenn man einen Kostenvergleich an Werkzeugen mit komplizierten geometrischen Formen vornimmt. Neben der Schnittgeschwindigkeit ist die Standzeit eines Werkzeuges – wenn auch weniger sensitiv – vom eingestellten Vorschub abhängig. Allerdings ist der Vorschub in vie-len Einsatzfällen nicht frei wählbar, z.B. wenn die Oberflächengüte vorgegeben ist.
7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit
In der betrieblichen Praxis zeigt sich, dass die Verschleißentwicklung und damit die Standzeit starken Streuungen unterliegt, selbst wenn Werkstoffe gleicher Norm-bezeichnung mit gleichen Werkzeugen unter identischen Einstellbedingungen be-arbeitet werden [VOS76]. Die Ursachen liegen in Schwankungen der Eingangs-größen (Abb. 7.26). Dabei sind die Einstellgrößen in der Regel in engen Grenzen
Abb. 7.24 Fertigungs-kosten als Funktion der Schnittgeschwindigkeit Stückkosten K
maschinen-gebundeneStückkosten KM
werkzeug-gebundeneStückkosten
KWZ
vcKopt
Schnittgeschwindigkeit vc
Km
in
Stü
ckko
sten
K, K
M, K
WZ
7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit
154
konstant zu halten, wenn auf derselben Maschine gearbeitet wird. Als wichtige
Störgrößen, die für Standzeitschwankungen bestimmend sind, haben sich geometri-sche Abweichungen der Rohteile [PAT87] und chemische und physikalische Eigen-schaftsschwankungen der Werkstoffe und Schneidstoffe herausgestellt.
Abb. 7.25 Kostenvergleich zweier Drehwerkzeuge
Anschliffgelöteter
Drehmeißel
neuer Dreh-meißel
neuer Halterneue WP
Halter mit Wende-schneidplatten
Zahl der Einsätze
Wer
kzeu
gkos
ten
200
Euro
150
100
50
01 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Abb. 7.26 Streuung von Standzeit und Schnittgeschwindigkeit [VOS76]
Sta
ndze
it T
Schnittgeschwindigkeit vc
σlgT = Standardabweichung des Logarithmus der Standzeit
σlgC = Standardabweichung des Logarithmus der Minuten- schnittgeschwindigkeit
1000
min
100
31
10
3,15
110 31,5 100 m/min 1000
σlgT
Cµ
σlgC
7 Verschleiß
155
Die Standzeit ist somit eine Zufallsgröße. Aus Versuchen wurde ermittelt, dass sie in guter Näherung einer logarithmischen Normalverteilung folgt. Dann lässt sich die Dichte der logarithmischen Standzeit angeben
(7.9)
worin Tµ der Mittelwert und lgT die log. Standardabweichung der Standzeit ist. Von Interesse ist die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Werkzeugs P(A).
(7.10)
Durch eine mit |u| < 1 schnell konvergierende Reihenentwicklung lässt sich an-schreiben
(7.11)
mit
(7.12)
Die Standzeitzuverlässigkeit R(T) ist dann
(7.13)
Die logarithmische Normalverteilung der Standzeit kommt dem Einbau in die Tay-lor-Beziehung entgegen. Es ergibt sich in einfacher Weise
(7.14)
Dieser Zusammenhang ist in Abb. 7.26 dargestellt. Daraus folgt, dass für die voll-ständige Darstellung der Taylor-Beziehung unter Berücksichtigung des Zufallcha-rakters der Standzeit das Wertetripel ausreicht:
(7.15)
Die Standzeitgerade, deren Lage durch Cµ beschrieben ist, bedeutet eine Zuverläs-sigkeit gemessen am Standzeitkriterium von 50 %. Je weiter eine parallele Gerade nach links verschoben wird, desto größer wird die Zuverlässigkeit. In Abb. 7.27 sind die Verteilungsfunktionsgeraden im Wahrscheinlichkeitsnetz und die Stand-zeitgeraden im T-vc-Diagramm dargestellt. Für Cµ = 300 m/min beträgt die Aus-fallwahrscheinlichkeit 50 %, für C = 230 m/min bzw. 180 m/min dagegen nur noch 5 % bzw. 0,1 %.
f ( lg T) =1
σlg T√
2π· e
−( lg T − lg Tµ)2
2σ 2lg T
P(A) = P(T < Tµ) = F(lgT) =lg T∫
o
f ( lg T) d ( lg T)
P (A) =1
2−
1√
2π
[|u| −
|u|3
6
]
u =lg T − lg Tµ.
σlg T
R(T) = 1 − P(A).
σlg C = −1
kσlg T.
Cµ, k und σlgC.
7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit
156
7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß
Die Zerspanbarkeit eines Werkstoffs wird nach den Kriterien Werkzeugverschleiß, Zerspankräfte, Spanform und Oberflächengüte beurteilt. Sie hängt von der Werk-stoffzusammensetzung, der Schmelzenführung, der Umformung und der Wärmebe-handlung ab (Abb. 7.28) [VIE70, WIN83]. Die Einflüsse auf den Verschleiß werden am Beispiel untereutektoider und niedriglegierter Kohlenstoffstähle erläutert.
7.6.1 Werkstoffzusammensetzung
Der wichtigste Begleiter des Stahls ist Kohlenstoff. Der Kohlenstoff liegt im We-sentlichen in gebundener Form im Eisenkarbid, dem Zementit (Fe3C) vor. Zementit mit einem C-Gehalt von 6,67 % ist rhombisch kristallin und hat eine hohe Härte von HV ≈ 1000. Der weitere Grundbestandteil ist das -Mischkristall, das Ferrit, mit einem C-Gehalt von weniger als 0,02 %. Ferrit ist kubisch raumzentriert und hat nur geringe Härte um HV ≈ 90. Das Eutektoid Perlit (0,86 % C) besteht aus einem feinen Gemenge aus Ferrit und Zementit. Untereutektoide Stähle bestehen aus einer Mischung von Ferrit und Perlit, übereutektoide aus Sekundärzementit und Perlit.
Die Anteile an harten Bestandteilen geben einen Hinweis auf die Verschleißnei-gung der Stähle. Auch die Zerspankräfte nehmen mit dem C-Gehalt zu. Allerdings neigen Stähle mit geringen C-Gehalten (< 0,02 %) wie z.B. Einsatzstähle im weich-
Abb. 7.27 Standzeitzuverlässigkeit und Taylor-Gerade [VOS76]
100
31,5
3,15
1100 160 250 m/min 400
Schnittgeschwindigkeit vc
0,9990,990,90
Verteilungs-funktion R(T)= 0,5
Sta
ndze
it T
Streuung
0,50
Standzuverlässigkeit R(T)
10
R(T)=0,99
min
7 Verschleiß
157
geglühten Zustand zum Kleben und zur Adhäsion, wodurch ihre Zerspanbarkeit wieder verschlechtert ist.
Sauerstoff gelangt bei der Herstellung in den Stahl. Er liegt ausschließlich in Form oxidischer Einschlüsse, z.B. Manganoxid, Siliziumoxide (Silikate) und Alu-miniumoxid, vor. Alle Oxide haben verschleißende Wirkung, besonders Alumi-niumoxid [WIN83].
Silizium verbindet sich mit Sauerstoff und ergibt harte Silikateinschlüsse. Es führt zu einer Steigerung der Ferritfestigkeit und erhöht den Werkzeugverschleiß.
Schwefel besitzt nur geringe Löslichkeit in Stahl und bildet stabile Sulfide. Seine Bindungsfreudigkeit gegenüber den Metallen nimmt in der Reihenfolge Ni-ckel (Ni), Kobald (Co), Molybdän (Mo), Eisen (Fe), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Zirkonium (Zr), Titan (Ti) zu. Welche Sulfide entstehen, richtet sich daher nach den Legierungsbestandteilen des Stahls. Eisensulfid ist unerwünscht, weil es einen niedrigen Schmelzpunkt (1188 °C) hat und sich an den Korngrenzen ablagert. Bei der Warmumformung kann es so zu Rotbruch oder Heißbruch kommen. Durch Mangan, das eine größere Affinität zum Schwefel hat als Eisen, können Mangan-sulfide (MnS) gebildet werden, die einen höheren Schmelzpunkt als FeS aufweisen und daher Rotbruch- und Heißbruchgefahr beseitigen. Mangansulfide wirken ver-schleißmindernd.
Mangan bindet den Schwefel und verhilft dem Stahl dadurch auch zu besseren mechanischen Eigenschaften. Bei einem Mangan/Schwefel-Verhältnis größer als Mn/S = 1,7 wird der gesamte Schwefel zu dem bei 1600 °C schmelzenden Mangan-sulfid oder zu anderen manganhaltigen Sulfiden abgebunden. Bei Fließspanbildung können Mangansulfide darüber hinaus eine Schutz- und Schmierwirkung auf dem Schneidkeil der Werkzeuge übernehmen (s. Schmelzenführung).
Abb. 7.28 Einflussgrößen und Beurteilungskriterien der Zerspanbarkeit
Werkstoff-zusammen-
setzung
Werkzeug-verschleiß
Schmelzen-führung
Umform-vorgang
Wärme-behandlung
Zerspan-kräfte
SpanformOberflächen-
güte
Zerspanbarkeit von Werkstoffen
7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß
158
Ein Phosphor-Gehalt bis zu 0,1 % wirkt sich günstig auf die Zerspanbarkeit da-durch aus, dass der Stahl versprödet wird und es damit zu günstigeren Spanformen kommt. Die Erhöhung der Härte kann jedoch die Werkzeugstandzeit mindern.
Abbildung 7.29 zeigt eine Übersicht über die Wirkung der Stahlzusammenset-zung auf den Werkzeugverschleiß bzw. die Standzeit.
7.6.2 Schmelzenführung
Durch die Zugabe von Desoxidationsmitteln wie z.B. Aluminium, Silizium oder Mangan, die eine hohe Affinität zu Sauerstoff besitzen, wird die starke Gasentwick-lung während des Erstarrens der Schmelze unterdrückt. Der freiwerdende Sauer-stoff wird als Oxid gebunden. Aluminiumoxid und Siliziumoxid sind harte Ein-schlüsse und nicht verformbar. Der Verschleiß wird besonders dann erhöht, wenn die oxidischen Einschlüsse in größeren Mengen oder in Zeilenform im Stahl vor-liegen. Durch die Wahl eines geeigneten Desoxidationsmittels kann das Verschleiß-verhalten günstig beeinflusst werden. Mit Calcium-Silizium oder Ferro-Silizium desoxidierte Stähle bilden beim Spanen verschleißhemmende oxidische und sulfi-dische Schutzschichten auf Hartmetall- und Keramikschneiden. In Abb. 7.30 ist der Mechanismus der verschleißmindernden Wirkung der Beläge dargestellt.
Der aus (Mn, Ca)S bestehende Belag (Dicke ca. 1 m) hat eine trennende und schmierende Wirkung, wodurch insbesondere der Kolkverschleiß deutlich verrin-gert wird. Durch Reduktion, der an der Schneide auftretenden Reibung, ergibt sich eine geringere thermische Belastung des Werkzeugs. Der Belag kann auch als Dif-fusionssperre zwischen Schneidstoff und Werkstoff wirken. Abbildung 7.31 zeigt
Abb. 7.29 Einfluss der Legierungselemente und der Härte auf die Werkzeugstandzeit
Leg.-elem.
Wir-kung
Wir-kung
Ursache, Bedingung
C T Twenn Rm über C eingestellt wird
Si T TFerritfestigkeit , Silikate
Ni T TZähigkeit steigt
Mn T TBei MnS > 1,7 Bildung vonMangansulfid, Parallel-verschiebung derStandzeitgeradeS T T
Ca T TBildung globularer nichtmet.Einschlüsse, Belagbildung
Te T TBildung globularer nichtmet.Einschlüsse
P TT Av nimmt ab
Leg.-elem.(Härte)
Cr
Mo
W
Pb
Bi
V
Ti
HB Spanflächentemperatur steigt
Festigkeit steigt durch feineCarbid und Carbonitrid-ausscheidungen
Bildung weicher nichtm. Einschl.
Bildung weicher nichtm. Einschl.
falls Carbide vorliegen
Ursache, Bedingung
angenommen ist jeweils eine Zunahme des Legierungsgehalts bzw. der HärteT = Werkzeugstandzeit
7 Verschleiß
159
die Standzeit in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit für einen mit Cal-cium behandelten und einen unbehandelten Stahl.
Die Standzeitgewinne durch die Behandlung sind erheblich. EDX-Analysen zei-gen, dass bei Ca-behandeltem Stahl im Kolkbereich Ablagerungen mit Ca-Kon-
Abb. 7.30 Verschleißminderung durch Trennschlichten
unbehandelter Stahl(Ca - Gehalt : 0,0002 Gew.-%)
Frei-flächen-verschleißVB
Frei-flächen-verschleißVB
Trennschicht(Ca, S, Mn)
Kolkver-schleiß KT
Ca - behandelter Stahl(Ca - Gehalt : 0,0042 Gew.-%)
7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß
Abb. 7.31 T-vc-Abhängigkeit
42 CrMo S4
42 CrMo S4 (Ca)
α γ λ ε κ rε
6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm
: Cermet E, SNGN 120408: f = 0,2 mm: ap = 1,5 mm: VBB = 0,3 mm
SchneidstoffVorschubSchnittiefeStandkriterium
1000
min
100
10
1
0,1
Sta
ndze
it T
200 300 400 500 m.min–1
42 CrMo S4 (Ca) : 0,0042 Gew. - % Ca
42 CrMo S4 : 0,0002 Gew. - % Ca
Schnittgeschwindigkeit vc
160
zentration und, insbesondere im Bereich des Kerbverschleißes, Anhäufungen von Schwefel und Mangan auftreten (Abb. 7.32 und 7.33) [TÖN89]. Ein Vergleich der EDX-Analysen für Eisen und Calcium zeigt, dass in dem von Calcium bedeckten Bereich nahezu kein Eisen vorliegt. Demnach wird durch den Belag der direkte Kontakt zwischen dem Eisen und der Schneidplatte verhindert.
Abb. 7.32 Elementverteilung nach Bearbeitung von Ca-behandeltem Vergütungsstahl
WerkstoffSchneidstoffSchnittgeschw.VorschubSchnittiefeStandzeitkriteriumStandzeitSNGN 120 408
α γ e k rε
6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm
. 42 CrMo S 4 (Ca): Cermet E: vc = 250m · min–1
: f = 0,2 mm: ap = 1,5 mm: VBB = 0,3 mm: T = 150 min
300µm
Verschleißbild Verteilung Fe
Verteilung Ca
Abb. 7.33 Elementverteilung nach Bearbeitung von unbehandeltem Vergütungsstahl
Verschleißbild Verteilung Fe
Verteilung Al
α6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm
γ e k rε
SNGN 120 408
Schneidstoff : Cermet EWerkstoff : 42 CrMo S 4
Schnittgeschw. : vc = 250 m · min–1
Vorschub : f = 0,2 mmSchnittiefe : ap = 1,5 mmStandzeitkriterium : VBB = 0,3 mmStandzeit : T = 26 min
100 µm
300 µm
7 Verschleiß
161
Bei der Bearbeitung von unbehandeltem Stahl liegt eine hohe Konzentration von Eisen im Bereich der Verschleißmarke, im Kolkauslauf und im Kerbverschleißbe-reich vor. Die Existenz eines Belages aus (Mn, Ca)S ist nicht nachzuweisen, so dass hier ein direkter Kontakt von Stahl und eingelagerten Karbiden (und auch Alumi-niumoxiden) mit der Schneide besteht, was einen erhöhten Verschleiß der Freiflä-chen und des Kolkbereichs zur Folge hat.
7.6.3 Wärmebehandlung
Durch die Wärmebehandlung lässt sich bei Stählen die Gefügeausbildung weitge-hend beeinflussen. Die nachfolgend aufgeführten Gefügebestandteile beeinflussen den Verschleiß zunehmend ungünstig:
• Ferrit,• Perlit mit eingeformtem Zementit,• grober Perlit,• feiner Perlit,• Bainit,• Martensit,• Zementit.
Bei gleicher Festigkeit lässt sich durch Grobkörnigkeit des Gefüges, wie sie z.B. durch BY-Behandlung (gesteuert aus der Schmiedewärme abgekühlt) erreicht wird, auch eine deutliche Verringerung des Verschleißes erzielen (Abb. 7.34). Als Ursa-che wird die grobe Kornstruktur des Gefüges angesehen [WIN83].
7.7 Schneidenverrundung
Neben der Makrogeometrie1 eines Zerspanwerkzeuges (Span-, Freiwinkel, etc.) bestimmt dessen Schneidengeometrie die Leistungsfähigkeit und das Verschleiß-verhalten. Besondere Bedeutung kommt der Schneidengestalt z.B. beim Hartdre-hen zu, wo hohe Anforderungen an die Werkstückoberfläche bestehen. Eine hoch-wertige Werkstückoberfläche setzt vor allem eine gut definierte Schneide voraus. Die Schneiden müssen in der Lage sein, hohe Kraft- und Temperaturbelastungen auf Dauer zu ertragen. Überscharfe Schneiden können diesen Anforderungen nicht gerecht werden und besitzen für diese Anwendung eine geringe Standzeit. Neben der geringen Kantenfestigkeit sind aus der Schleifbearbeitung resultierende kleine
1 Wenn von „Geometrie“ gesprochen wird, folgt diese Bezeichnung einem in der Technik fälsch-lich eingeführten Begriff, der in der Regel „Gestalt“ oder „Form“ meint. „Geometrie“ ist zutref-fend dagegen ein Teil der Mathematik.
7.7 Schneidenverrundung
162
Ausbrüche der harten Carbide aus der Bindung dafür ursächlich [TÖN01, DEN02] (Abb. 7.35, links oben).
Das gezielte Verrunden oder Anfasen der Schneide ermöglicht eine gleichmäßi-ge Qualität des bearbeiteten Werkstücks und eine Leistungs- bzw. Standzeitsteige-rung des Werkzeugs.
Zum Verrunden oder Anfasen der Schneide wird sie nach dem Schleifen einem zusätzlichen Bearbeitungsschritt unterzogen. Für diese Präparation werden ver-schiedene Verfahren eingesetzt. Hierzu zählen das Bürsten, Strahlen oder Polieren sowie verschiedene Schleifverfahren [FRIE02].
Eine Schneidenverrundung muss nicht notwendigerweise kreisförmig sein. Tat-sächlich kann wegen des gerichteten Eindringens des Schneidkeils damit gerechnet werden, dass ein bewusstes Abweichen von der Kreisform Vorteile bringt. Aller-dings bedarf es dann einer weitergehenden Definition der Schneidengeometrie. Um eine verbesserte Charakterisierung der Schneide vorzunehmen, werden 4 Charak-terisierungsparameter: ∆r, , Sα, Sγ, eingesetzt. Das Vorgehen bei der Vermessung ist in Abb. 7.35 dargestellt. Der Wert ∆r beschreibt die Größe der Schneidenverrun-dung, der Winkel die Verschiebung der Schneidenspitze entweder zur Span – oder zur Freifläche und die Parameter Sγ und Sα den scharfen oder stumpfen Verlauf zur Span – bzw. Freifläche. Diese Parameter lassen sich mit geringem Aufwand mit Hilfe eines Messtasters und eines Vermessungsprogramms oder auch optisch auto-
Abb. 7.34 Einfluss von Werkstoffmodifikation und Wärmebehandlung auf den Verschleiß [WIN83]
Schnittgeschw.SchnittiefeVorschubSchneidstoffSchneidengeometrie
: vc = 125 m min–1
: a = 2,5 mm: f = 0,25 mm: HM, P10
BY
BY
BY
V
V
N
BY
Ck
45 S
49 M
n V
S 3
Ck
45 M
o C
Ck
45
Ck
45
Ck
45
Ck
35
Schnittzeit t = 10 min
Schnittzeit t = 20 min
p
5° 6° 0° 90° 60° 0,8 mm
rκα γ λ ε
300
µm
240
180
120
60
0
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
7 Verschleiß
163
matisch ermitteln. Die so gemessenen Größen erlauben eine definierte Charakteri-sierung der Schneidengeometrien und eine systematische Ermittlung der Einfluss-größen für einen optimierten Zerspanprozess.
Abb. 7.35 Ausbrüche an der Schneide
19°
R25µm
Messtaster
Schneidplatte Prisma
Vorschubrichtung
Spanfläche
Freifläche
Kontur
scharfe Schneide
Sγ Sα
Kontur
Spanfläche FreiflächeWinkelhalbierende
∆r
−ϕ
Spanfläche Spanfläche
Freifläche Freifläche
Messung Charakterisierung
verrundete Schneideunbehandelte Schneide
7.7 Schneidenverrundung
Abb. 7.36 Schneidencharakterisierung mit neuen Parametern – Einfluss auf die Schnittkraft
rel.
Bea
rbei
tung
skrä
fte F
c
Sα
Sγ
∆r
Schneidengeometrie:
Prozess:
Werkzeug:
Prozessparameter:Orthogonal-Einstechdrehen
WSP - SNGN 1204
vc = 250 m/min, f = var,ap = 2 mm
Werkstoff: Ck45 N
Schneidstoff: HW-K10
6° – 6° 90°90° 0°
Sα Sγϕ
var. var. var.
∆r
10µmKühlung: ohne
Sch
neid
enfo
rm
f = 0,05 mm
f = 0,1 mm
f = 0,2 mm
00
–10 –5 0 5 10 15 grad° 25
Winkel ϕ
B
B
C
D
A
1,25
FcFc,min
1,15
1,1
1,05
1
ϕ = 0°
ϕ
ϕ ϕ
ϕ = 21°ϕ = 13,5°ϕ = –13,5°
20 µm
Spanfläche
Freifläche
DCA
α β γ ε κ
164
Praxisübliche Schneidkantenverrundungen für die Stahlbearbeitung liegen im Be-reich ∆r = 10 bis 30 µm. Die Titanbearbeitung erfordert möglichst scharfe Schneid-kanten ∆r ≈ 0. Zerspanversuche, bei denen unterschiedliche Schneidenformen gezielt hergestellt wurden, zeigen beim Orthogonal-Einstechdrehen, dass die gleichmäßige Schneidenverrundung mit = 0 in allen Fällen die höchsten Bearbeitungskräfte be-wirkt (s. Abb. 7.36). Es zeigt sich weiterhin, dass mit Schneiden, die ungleichmäßige Formen aufweisen – ob in positiver oder in negativer Richtung ±- geringere Zer-spanungskräfte resultieren. Es ist zu erkennen, dass bei einem kleineren Vorschub die Kraftänderungen durch Variation des Winkels größer sind als bei höheren Vor-schüben. Dieses lässt auf einen gesteigerten Einfluss der Schneidengeometrie mit kleineren Vorschüben schließen und muss somit besonders bei der Schlichtbearbei-tung beachtet werden. Es wird deutlich, dass sich durch eine ungleichmäßig verrun-dete Schneide die Bearbeitungskräfte reduzieren lassen. Somit kann eine gesteigerte Qualität der Oberfläche erzielt und der Werkzeugverschleiß reduziert werden.
Fragen
1. Charakterisieren Sie die Wechselwirkung zwischen Verschleiß, Temperaturen und Kräften im Zerspanprozess.
2. Welche Verschleißformen kennen Sie? 3. Erläutern Sie den Einfluss des Freiwinkels auf den Freiflächenverschleiß. 4. Welche untere Schranke lässt sich für die Größe des Freiwinkels aus den Bewe-
gungsverhältnissen beim Zerspanen ableiten? 5. Welchen Einfluss hat der Verschleiß auf die Spanbildung und das
Arbeitsergebnis? 6. Welche Verschleißursachen sind Ihnen bekannt? 7. Warum nimmt der Verschleiß als Folge von Pressschweißungen mit hohen
Schnittgeschwindigkeiten ab? 8. Wie ist die Form des Kolkes zu erklären? 9. Warum wird beim Einsatz von Hartmetall Gusseisen mit Lamellengraphit mit
geringeren Schnittgeschwindigkeiten abgespant als Kohlenstoffstahl?10. Welche den Verschleiß beeinflussenden Oxidationsvorgänge sind Ihnen
bekannt?11. Welche Messprinzipien werden zur Verschleißmessung eingesetzt?12. Wie ist der Begriff „Standzeit“ definiert? Wie wird die Standzeit ermittelt?13. Welche Bedingungen können die Standzeit einschränken?14. Von welchen Bedingungen bzw. Größen ist der Werkzeugverschleiß abhängig?15. Skizzieren Sie den typischen Verlauf der Verschleißmarkenbreite abhängig von
der Zeit. Wie ändert sich der Verlauf bei Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit?16. Welche Abhängigkeit besteht zwischen Schnittgeschwindigkeit und Standzeit
bei gegebenem Standzeitkriterium und wie kann sie beschrieben werden?17. Welchen Einfluss haben Vorschub und Standzeitkriterium auf die Taylorbezie-
hung? Skizzieren Sie die Veränderungen.
7 Verschleiß
165
18. Skizzieren Sie qualitativ die Veränderungen von Werkzeugkosten, Maschinen-kosten und Stückkosten, die sich bei spanender Bearbeitung abhängig von der Schnittgeschwindigkeit ergeben.
19. Wo liegt das Minimum der Stückkosten?20. Wo liegt das Minimum der Periodenkosten?21. Nach welchen Kriterien kann die Standzeit optimiert werden?22. Welche Größen bestimmen die zeitoptimale Schnittgeschwindigkeit?23. Wie liegen die Werte der optimierten Schnittgeschwindigkeit nach den Krite-
rien Stückkosten, Stückzeit und Periodenkosten zueinander?24. Für eine Bohroperation mit einem Spiralbohrer ist die zeitoptimale Schnitt-
geschwindigkeit zu bestimmen. Das Verschleißverhalten des Bohrers geht aus nachfolgendem Diagram (Abb. 7.37) hervor. Als Verschleißkriterium ist eine Verschleißmarkenbreite von 0,2 mm zu wählen. Weiter bekannt ist die Werk-zeugwechselzeit twz = 6 min.
Literatur
[BAR88] Bartsch, S.: Verschleißverhalten von Aluminiumoxid-Schneidstoffen unter stationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1988
[DEN92] Denkena, B.: Verschleißverhalten von Schneidkeramik bei instationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1992
[DEN02] Denkena, B., Friemuth, T., Fedorenko, S., Groppe, M: Neue Parameter zur Charak-terisierung der Schneidengeometrien an Zerspanwerkzeugen, Werkzeuge-Sonderausgabe der Zeitschrift Fertigung, S. 24-26, 2002
[DEN08] Denkena, B., Boehnke, D., Meyer, R.: Reduction of wear induced surface zone effects during hard turning by means of new tool geometries. Prod. Eng. – Res. + Devel. (2008) 2, S. 123-132.
Abb. 7.37 Freiflächenverschleiß in Abhängigkeit von der Bohrzeit
Literatur
166
[FRI02] Friemuth, T.: Herstellung spanender Werkzeuge. Habilitationsschrift, Universität Han-nover, 2002
[PAT87] Patzke, M.: Einfluss der Randzone auf die Zerspanbarkeit von Schmiedeteilen. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1987
[TAY07] Taylor, F.W.: On the Art of cutting metals. Trans. Am. Soc. Mech. Engrs. 28, (1907), S.31-279
[TÖN89] Tönshoff, H.K.; Kaestner, W.; Schnadt, R.: Metallurgische Auswirkungen der Calcium-behandlung von Stahlschmelzen auf die Bearbeitbarkeit. Stahl und Eisen 109, 13, (1989), S.651-660
[VIE70] Vieregge, F.: Zerspanung der Eisenwerkstoffe. 2. Auflage, Düsseldorf: Stahleisen M.B.H. Verlag, 1970
[VOS76] Voss, W.: Optimierung spanender Fertigung. München: Techn. Verlag Resch 1976[WIN83] Winkler, H.: Zerspanbarkeit von niedriglegierten Kohlenstoffstählen nach gesteuerter
Abkühlung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1983
7 Verschleiß
167
Schneidstoffe bestimmen wesentlich die Wirtschaftlichkeit eines spanenden Pro-zesses. Die Entwicklung der Zerspantechnik ist daher unmittelbar mit der Entwick-lung der Schneidstoffe verknüpft. Abbildung 8.1 zeigt die mit Neuentwicklungen möglichen Stundenschnittgeschwindigkeiten seit der Jahrhundertwende. Je Dekade zeigt sich etwa eine Verdopplung der möglichen Schnittgeschwindigkeit.
Neben den üblicherweise als Schneidstoffe eingesetzten Schnellarbeitsstählen (HSS) lassen sich gemäß DIN ISO 513 die folgenden Gruppen harter Schneidstoffe klassifizieren:
• Hartmetalle (Carbide)• Schneidkeramik• Diamant• Bornitrid
8.1 Anforderungen an Schneidstoffe
Schneidstoffe müssen verschleißfest (hart) und ausreichend zäh sein, um lan-ge Standzeiten und hohe Prozesssicherheit zu gewährleisten. Beide Forderungen gleichzeitig sind nicht zu erfüllen, harte Stoffe sind in der Regel nicht zäh und um-gekehrt (Abb. 8.2). Aus den Beanspruchungen und Verschleißursachen (s. Kap. 7) ergeben sich Anforderungen, denen folgende Eigenschaften entsprechen müs-sen [VIE70, TÖN90]: Härte, Warmhärte, Zähigkeit und chemische Beständigkeit (Tab. 8.1).
Härte: Die Härte ist ein Maß für die Verschleißfestigkeit des Schneidstoffes. Sie wirkt abrasivem und adhäsivem Verschleiß entgegen. Schneidstoffe können ihre Härte aus der Grundmasse, aus Hartstoffen, die in eine bindende Matrix eingelagert sind, oder allein über harte Kristallite, die direkt über Kongrenzen verbunden sind, erhalten. Entsprechend ist der Hartstoffgehalt verschieden (Abb. 8.3).
Warmhärte: Auch bei hohen Schneidkeiltemperaturen muss die Härte möglichst weit erhalten bleiben, um abrasivem Verschleiß und plastischen Verformungen ent-gegenzuwirken (Abb. 8.4).
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 8Schneidstoffe
168
Zähigkeit: Die Fähigkeit der Schneidstoffe, der Ausbreitung von Rissen Wider-stand entgegenzusetzen, wird als Zähigkeit bezeichnet. Ein Maß für die Zähigkeit liefert die Bruchmechanik mit dem Spannungsintensitätsfaktor, dem KIc-Wert (auch Bruchzähigkeit genannt). Der KIc-Wert wird in einem technologischen Prüfver-fahren mit vorgeschriebener Probengeometrie nach einer Zahlenwertgleichung er-mittelt. Nach Abb. 8.5 wird ein Probenkörper mit einem definierten Anriss (z. B.
Abb. 8.1 Entwicklung von Schneidstoffen
1600m/min1000
400
160
63
25
10
4
1900 1920 1940 1960 1980 20001894 1904 1926 1938 1967 1990 2010
Entwicklungsjahr
Stu
nden
shni
ttges
chw
indi
gkei
t vc6
0
HSS
WZ-Stahl
PKB
1) GG-252) AISi-Legierung
PKD2)
Si3N41)
beschichtete Hartmetalle
Oxidkeramik
HM gesintertStellite
mittlere Stundenschnitt-geschwindigkeit für dieBearbeitung eines Stahlsmit 600 N/mm2 Festigkeit
Abb. 8.2 Schneidstoffe gemäß Verschleißfestigkeit und Zähigkeit [KLO08]
BN
PK
D
Al2O3-Keramik
Al2O3+ TiC
Si3N4-Keramik
beschichtetesCermet
Cermet beschichtetesHartmetall
idealer Schneidstoff
Hartmetall auf WC-Basis
Feinstkorn-und Ultrafeinkorn-Harmetall
beschichteter HSS
HSS
Zähigkeit und Biegefestigkeit (Vorschub)
Ver
schl
eiß
fest
igke
it, W
arm
fest
igke
it(S
chni
ttges
chw
indi
gkei
t)
8 Schneidstoffe
169
Ermüdungsriss durch Zugschwellbeanspruchung eingebracht) im Zug- oder Drei-punktbiegeversuch soweit beansprucht, bis sich der Riss instabil, d. h. schlagartig ausbreitet. Die dabei auftretende Bruchspannung ist b; a ist die Risslänge; Y ist ein Kalibrierfaktor, der die Probengeometrie berücksichtigt. Der Spannungsintensitäts-faktor KIc der Schneidstoffe liegt zwischen 13 und 30 MPa m1/2 für Schnellarbeits-
Tab. 8.1 Eigenschaften von Schneidstoffen
Abb. 8.3 Hartstoffgehalt von Schneidstoffen
Hartstoff
90
%
70
60
50
40
30
20
10
Metall
Har
tsto
ffgeh
alt i
n V
ol. -
%
Schneidkeramik, PKB,PKD
Hartmetall I (karbidreich)
Hartmetall II (metallreich)
Stellite, Hartleglierungen
Schnellarbeitsstähle
legierte Werkzeugstähle
unlegierte Werkzeugstähle
WC - BasisTiCN - Basis
8.1 Anforderungen an Schneidstoffe
170
stähle, 8 bis 18 MPa m1/2 für Hartmetalle und 2 bis 7 MPa m1/2 für Schneidkera-miken.
Für Schneidkeramiken, die sprödes Bruchverhalten zeigen, gibt auch die Bie-gebruchfestigkeit einen Hinweis auf die Zähigkeit. Ihr Zahlenwert in MPa ist das 100 bis 200-fache des KIc-Wertes. Die Zähigkeit wirkt sich auf die Bruchneigung
Abb. 8.4 Warmhärte der Schneidstoffe
2500
2000
1500
1000
500
00 250 500 750 C 1000
Temperatur
C-Stahl
Här
te H
V
Al2 O3 / TiC-Keramik
Al2O3-Keramik
Si3N4-KeramikCermetskonv. Hartmetall
HSS-Stahl
Abb. 8.5 Definition der Bruchzähigkeit
a
b : Bruchspannung
KIC
Y ab :
KIC : kritischer Spannungs- intensitätsfaktor
Y : Geometriefaktor
8 Schneidstoffe
171
des Schneidstoffs und auf die Verschleißfestigkeit bei instationären mechanischen und thermischen Beanspruchungen aus. Bei letzterer Beanspruchung spricht man beispielsweise von Thermoschock. Der Widerstand gegen Temperaturwechsel wird Temperaturwechselfestigkeit oder Thermoschockfestigkeit genannt.
Chemische Stabilität: Um tribomechanischem Verschleiß entgegenzuwirken, sollen Schneidstoffe chemisch inert sein gegenüber Werkstoffen und gegenüber Umgebungsstoffen wie Luft und Kühlschmierstoff. Chemische Stabilität ist eine Voraussetzung für den Einsatz eines Schneidstoffs bei hohen Temperaturen. Ein Maß für die chemische Stabilität ist die Bildungsenthalpie. Eine große negative Bildungsenthalpie einer Verbindung entspricht einer hohen chemischen Stabilität, d. h. es muss hohe Wärmeenergie zugeführt werden, um eine chemische Reaktion zu bewirken.
Einen idealen Schneidstoff, der alle genannten Anforderungen erfüllt, gibt es nicht. Für alle Schneidstoffe gilt der grundlegende Dualismus, entweder hart und verschleißfest oder zäh und gegen instationäre Beanspruchungen widerstandsfähig zu sein.
8.2 Werkzeugstähle
Es wird zwischen unlegierten und legierten Werkzeugstählen unterschieden. Un-legierte Werkzeugstähle (Kohlenstoffstähle) enthalten Kohlenstoff von 0,6 bis 1,3 %. Sie erhalten ihre Härte und den Verschleißwiderstand durch Härten, bei dem sich ein martensitisches Gefüge ausbildet. Legierte Werkzeugstähle für höhere Beanspruchungen enthalten zusätzlich bis 5 % Anteile von Cr, W, Mo und V. Sie besitzen gegenüber unlegierten Werkzeugstählen eine erhöhte Verschleißfestigkeit (Zusatz von karbidbildenden Elementen), eine höhere Anlassbeständigkeit (Legie-rungselemente) und eine größere Härte (in Lösung gegangener Kohlenstoff). We-gen der begrenzten Warmhärte von Werkzeugstählen (Abb. 8.4) sind nur geringe Schnittgeschwindigkeiten möglich, so dass Werkzeugstähle für die Metallbearbei-tung auf Werkzeugmaschinen kaum eingesetzt werden. Sie werden in erster Linie für spanende Handwerkzeuge (Feilen, Reibahlen) und für die Holzbearbeitung ver-wendet.
8.3 Schnellarbeitsstähle
Schnellarbeitsstähle (HSS: High Speed Steel) sind ledeburitische, hochlegierte Werkzeugstähle mit Legierungsgehalten bis 35 %. Sie werden für Werkzeuge zum Bohren, Fräsen, Räumen, Sägen und Drehen eingesetzt. Gegenüber Werkzeugstäh-len besitzen sie eine höhere Anlassbeständigkeit und eine Warmhärte bis 600 °C (Abb. 8.4). Bestimmend für die hohe Anlassbeständigkeit und Warmhärte sind nicht in Karbiden gebundene, sondern in der Matrix gelöste Legierungselemente. Die
8.3 Schnellarbeitsstähle
172
Härte und der hohe Verschleißwiderstand ergeben sich aus dem martensitischen Grundgefüge und aus eingelagerten W-, W-Mo-, Cr-, und V-Karbiden. Die Eigen-schaften von Schnellarbeitsstählen werden in erster Linie von den Legierungsele-menten W und Mo bestimmt. Die Wolfram- und Molybdängehalte werden daher zur Klassifizierung der Schnellarbeitsstähle nach DIN EN 10027–1 in vier Gruppen ge-nutzt (Tab. 8.2). Sie werden mit HS für Schnellarbeitsstahl und den Prozentangaben der Legierungsbestandteile W-Mo-V-Co bezeichnet. Die Universalsorte HS6-5-2 deckt mehr als 50 % der insgesamt erzeugten Menge an Schnellarbeitstahl ab. Die in der 6 % W- und 5 % Mo-Klasse genannten Sorten überdecken ungefähr 90 % der Erzeugnismenge [HAB88].
Die Legierungselemente beeinflussen spezifische Eigenschaften der Schnell-arbeitsstähle:
C: Kohlenstoff ist entscheidend für die Härte der Grundmasse und ist zur Kar-bidbildung erforderlich.
W: Wolfram ist ein Karbidbildner und erhöht die Anlassbeständigkeit und die Verschleißfestigkeit.
Mo: Molybdän erhöht die Durchhärtbarkeit und die Zähigkeit; es kann Wolfram ersetzen. Wegen der halbierten Dichte sind geringere Massengehalte vergli-chen mit Wolfram erforderlich.
V: Vanadium ist, ähnlich dem Wolfram, ein Karbidbildner und erhöht die Verschleißfestigkeit.
Co: Kobalt ist in der Lage, die Härtetemperatur von Schnellarbeitsstahl zu erhö-hen. Dadurch können mehr Legierungsgehalte an Karbidbildnern gelöst wer-den, d. h. die Warmhärte und Anlassbeständigkeit steigen.
Schnellarbeitsstähle werden schmelzmetallurgisch hergestellt. Die Härtetemperatu-ren (1180 °C – 1280 °C je nach Legierung) und die Tauchzeiten während des Härte-vorgangs werden so gewählt, dass ein möglichst großer Teil der Karbide in Lösung geht, aber keine Grobkörnigkeit entsteht. Der verbleibende Austenitanteil kann durch mehrmaliges Anlassen (540 °C – 580 °C) verringert werden. Dem damit verbunde-nen Härteabfall durch Zerfall von Martensit wirkt die Ausscheidung von Karbiden entgegen. Der Härteabfall ist jedoch mit einer Zunahme der Zähigkeit verbunden.
8 Schneidstoffe
Tab. 8.2 Legierungsgruppen der SchnellarbeitsstähleKlasse Bezeichnung nach
DIN EN 10027-1Anteile in % AnwendungenC W Mo V Co
6% W, 5% Mo
HS6-5-2HS6-5-3HS6-5-2-5HS10-4-3-10
0,850,850,851,25
6,5 6,5 6,510
5,0 5,0 5,0 4,0
2,02,82,03,25
––
4,7510,0
- Bohrer- Gewindebohrer- Fräser- Reibahlen- Drehmeißel
2% W, 10% Mo
HS2-10-1-8 1,1 2,1 10 1,2 7,9 - Schaftfräser
12% W HS12-1-4-5 1,45 12 0,8 3,75 4,75 - Drehmeißel18% W HS18-1-2-5 0,80 18 0,8 1,5 4,75 - Drehmeißel
- Hobelmeißel- Fräser
173
Bei der schmelzmetallurgischen Herstellung neigen die Schnellarbeitsstähle während der Erstarrungsphase zu Seigerungen, die sich nachteilig auf das Ver-schleißverhalten auswirken können. Um diese Nachteile zu umgehen, werden das Elektroschlacke-Umschmelzverfahren (ESU) und die pulvermetallurgische Her-stellung (PM) eingesetzt. Beide Verfahren führen zu einer gleichmäßigeren Gefüge-ausbildung und zu feinerem Korn. PM-Stähle weisen bessere Kantenfestigkeit und Schneidenhaltigkeit auf. Sie werden für Gewinde- und Reibwerkzeuge eingesetzt. Bei hohen Vanadiumkarbidanteilen sind sie besser schleifbar als erschmolzene Schnellarbeitsstähle. Nachteilig sind die höheren Herstellkosten.
Höhere Standzeiten und Schnittgeschwindigkeiten lassen sich mit Schnell-arbeitsstahlwerkzeugen durch Beschichten mit Titannitrid (TiN) erreichen. Die Schichten haben eine Stärke von 2 μm bis 7 μm. Durch TiN wird die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff herabgesetzt und somit der adhäsive Verschleiß verringert. Die geringere Reibung führt auch zu einer Reduktion der erforderlichen Schnittleistung und der Schnittkräfte um 10 % bis 20 %.
Die Spanfläche des Werkzeugs wird vor allem bei höheren Schnittgeschwindig-keiten durch Reibwärme erhitzt. Der größere Anteil der Leistungsumsetzung findet in der Spanbildungszone statt (s. Kap. 5), die Umformenergie trägt aber wenig zur Temperatur auf der Werkzeugoberfläche bei. Daher wirkt sich eine Gesamtleis-tungsminderung als Folge geringerer Spanflächenreibung wie folgt aus:
(8.1)
(8.2)
(8.3)
Darin teilt sich die gesamte spezifische Energie kc in den Reibanteil auf der Span-fläche k und den Umformanteil (zuzüglich Reibung an der Freifläche) k auf. Mit einer Beschichtung sinkt die Gesamtenergie auf a · kc als Folge einer auf b · k verringerten Reibung auf der Spanfläche. Mit den Zahlen aus Kap. 5 für die Um-form- und Reibenergie und a = 0,8 (d. h. Reduktion der Schnittleistung auf 80 %) ergibt sich b = 0,2; das heißt, die Reibenergie wird durch die Beschichtung mit TiN auf 20 % des Ursprungwertes gesenkt. Die Temperaturen im Schnellarbeitsstahl-werkzeug können durch eine TiN-Beschichtung wesentlich herabgesetzt werden, was sich in einer deutlichen Steigerung der möglichen Schnittgeschwindigkeit bzw. der Standzeit auswirkt. Hinzu kommt eine Verringerung des abrasiven Verschleißes durch die höhere Härte der TiN-Schicht, die bei HV05 = 2400, im Vergleich zum Substrat (HV05 = 900 bei Raumtemperatur), liegt.
Wegen der niedrigeren Prozesstemperaturen beim Aufdampfen von Schichten werden Schnellarbeitsstahlwerkzeuge mit dem PVD-Verfahren ( physical vapor deposition) beschichtet. Typische Beschichtungstemperaturen liegen bei diesem Verfahren bei unter 500 °C. Dabei treten kaum Anlasseffekte auf. Beim chemischen Aufdampfen (CVD, chemical vapor deposition) liegt die Prozesstemperatur bei 900 °C bis 1000 °C, also weit über der Anlasstemperatur von Schnellarbeitsstahl.
kc = kφ + kγ ohne Beschichtung
a · kc = kφ + b · kγ mit Beschichtung a, b < 1
b = 1 +kc
kγ
(a − 1).
8.3 Schnellarbeitsstähle
174
Mit CVD beschichtete Werkzeuge müssen daher nachgehärtet werden. Wegen der damit verbundenen Verzugsgefahr gelingt das nur bei einfachen Formen wie bei Wendeschneidplatten. In Kap. 8.5 werden die unterschiedlichen Aufdampfverfah-ren eingehender erläutert.
Beschichtete Werkzeuge weisen erheblich längere Standzeiten auf. Selbst bei nachgeschliffenen Werkzeugen stellt sich noch ein deutlicher Effekt ein. Ursachen liegen in Stütz- und Schutzwirkungen als Folge von TiN-Verschleppungen. Be-schichtet werden u. a. Spiralbohrer, Fräser, Wälzfräser, Gewindebohrer, Reibahlen und Räumwerkzeuge, die dann bei z. T. erheblich größeren Schnitt- und Vorschub-geschwindigkeiten eingesetzt werden können. Abbildung 8.6 zeigt empfohlene Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeiten von unterschiedlich beschichteten Bohrern aus Schnellarbeitsstahl und Vollhartmetall für einen Bohrerdurchmesser von 6 mm.
8.4 Stellite
Stellite sind gegossene Hartlegierungen (nicht zu verwechseln mit Hartmetallen, die gesintert sind). Sie sind naturhart, brauchen also nicht gehärtet zu werden. Sie wurden erstmalig 1915 von E. Haynes entwickelt. Sie haben folgende Zusammen-setzung: 42–53 % Co, 24–33 % Cr, 11–22 % W und 1,8–3 % C. Cr und W bilden
Abb. 8.6 Empfohlene Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeiten unterschiedlich beschichteter Spiralbohrer. (nach Gühring)
120
mmmin
80
60
40
20
0
HSS VHM
blan
k
TiN
MC
blan
k
TiN
MC
Sch
nittg
esch
win
digk
eit v
c
Stahl C45V, 705 N/mm2, HB = 201d = 6 mm, I = 20 mm, Außenkühlung
blan
k
TiN
MC
blan
k
TiN
MC
1200
800
600
400
200
0
mmmin
HSS VHM
0,09
6
0,15
0
Vor
schu
bges
chw
indi
gkei
t vf
HSS: HS6-5-2TiN: TitannitridbeschichtungMC: MultigradshichtenVHM: Vollhartmetall
0,09
6
0,09
6
0,12
0
f = 0
,120
mm
8 Schneidstoffe
175
Karbide. Stellite haben eine Härte von HV05 = 700–750 bei Raumtemperatur. Bei niedriger Schnittgeschwindigkeit sind sie daher den Schnellarbeitsstählen, bei hö-herer Schnittgeschwindigkeit den Hartmetallen unterlegen (Abb. 8.4). Die Gestal-tungsmöglichkeiten durch Gießen können bei großen Profilwerkzeugen vorteilhaft sein. Die hohe Oxidationsbeständigkeit der Stellite kann bei stark zum Oxidations-verschleiß neigenden Werkstoffen von Interesse sein.
8.5 Hartmetalle
Hartmetalle sind zwei- oder mehrphasige, pulvermetallurgisch hergestellte Legie-rungen aus einem die Zähigkeit bestimmenden Bindemetall ( -Phase) und Metall-karbiden oder -karbonitriden als Härteträger [KIE53]. Als Hartstoffe werden Wolf-ramkarbid (WC, -Phase), Titan-, Tantal- und Niobkarbid (TiC, TaC, NbC, -Phase) oder Titankarbonnitrid und andere Titanmischkarbide verwendet. Das erste grund-legende Patent wurde 1923 K. Schröter in der Osram-Studiengesellschaft auf ein WC-Co-Hartmetall erteilt. Die günstige Eigenschaftskombination von Härte und Zähigkeit hat zur Voraussetzung, dass Wolframkarbid von Cobalt ( -Phase) sehr gut benetzt wird und dass Cobalt größere Teile des Wolframkarbids lösen kann. Die gute Benetzbarkeit ist derart, dass Hartmetall nie entlang der Bindemetall-Karbid-Grenzflächen bricht. Das Lösungsvermögen bewirkt hohe innere Bindekräfte und eine gute Kantenfestigkeit des Hartmetalls.
Durch Variation der - und -Phasenanteile lässt sich der Schneidstoff in Gren-zen maßschneidern. Zähe Hartmetalle enthalten bis zu 15 % Co, verschleißfeste dagegen nur bis 5 % Co (Abb. 8.6). Durch Zulegieren von Titankarbid lässt sich die Diffusionsneigung des WC-Hartmetalls verringern, was trotz der an sich höhe-ren Warmhärte von WC (HV05 = 1800 bei RT, HV05 = 800 bei 1000 °C) als TiC (HV05 = 3 000 bei RT, HV05 = 400 bei 1 000 °C) zu besserer Warmverschleiß-festigkeit des Hartmetalls führt. Allerdings ist die Bindefähigkeit und damit auch die Zähigkeit und Kantenfestigkeit herabgesetzt. Beimengungen von TaC und NbC wirken dieser Tendenz durch Kornverfeinerung entgegen und erhöhen damit die Zähigkeit.
Die wichtigsten Neuentwicklungen, um die Härte von WC-Co-Karbiden zu stei-gern, sind die Feinstkorn- und Ultrafeinkorn-Hartmetalllegierungen mit einer WC-Korngröße von 0,5–0,8 µm bzw. 0,2–0,5 µm bei einem Kobaltgehalt zwischen 6–16 Massenprozent. Im Gegensatz zu Standardmaterialien haben diese feinen Pulver eine nahezu runde Kornform, die nicht nur einen positiven Einfluss auf die Gleich-mäßigkeit der durch das Sintern erzeugten Mikrostruktur hat, sondern auch auf die erreichbare Verdichtung.
Eine neuere Entwicklung auf dem Gebiet der Karbide ist ein in die Randzone von Zerspanungswerkzeugen eingebrachter Funktionsgradient (FGH = functionally graded hardmetal). Ein solcher Funktionsgradient ist eine präzise, fein variierende Verteilung von Phasen und/oder Elementzusammensetzungen, die für einen sehr widerstandsfähigen Oberflächenbereich sorgen, der die Wechselwirkungen zwi-
8.5 Hartmetalle
176
schen Werkstück und Werkzeug bei hohen Temperaturen erträgt. So wird beispiels-weise der Co-Gehalt im Randbereich erhöht, um die Zähigkeit gezielt zu steigern und Schneidkantenausbrüche zu reduzieren [BÖH02].
Nach DIN ISO 513 werden Hartmetalle in drei Zerspanungs-Anwendungs-gruppen (P, K und M) eingeteilt. Die WC- (TiC-, TaC-, NbC-) Co-Legierungen der P-Gruppe ( Plastisch) werden bei der Bearbeitung langspanender Eisenwerk-stoffe (Stahl, ss) eingesetzt. Die weitgehend TiC-/TaC- freien WC-Co-Legierun-gen der K-Gruppe ( Kurzspanend) werden für die Zerspanung von NE-Metallen, Eisen-Gusswerkstoffen, Al-Si-Legierungen, Kunststoffen und Holz verwendet. Den Übergang zwischen den P- und K-Gruppen bilden die Hartmetalle der M-Gruppe ( Mischgruppe), die für legierte austenitische bzw. ferritische Stähle und legierten Grauguss eingesetzt werden. Durch Anfügen von Ziffern innerhalb jeder Zerspanungshauptgruppe werden Zähigkeit und Verschleißfestigkeit gekennzeich-net. Mit zunehmenden Ziffern steigt die Zähigkeit, während die Verschleißfestigkeit abnimmt. In Tab. 8.3 sind typische Zusammensetzungen und Eigenschaften einiger Hartmetalle aufgeführt.
Der für Schneidstoffe kennzeichnende und zugleich begrenzende Dualismus, hohe Härte und Verschleißfestigkeit oder hohe Biegefestigkeit und Zähigkeit auf-zuweisen, kann zu wesentlichen Teilen überwunden werden durch Beschichtungen von Substratmaterial. Dieses Prinzip der Funktionstrennung kombiniert verschleiß-feste Schichten mit zähem Grundstoff. Wegen der großen Temperaturunterschiede, die in spanenden Werkzeugen auftreten, ist die Beherrschung der Temperaturrisse als Folge unterschiedlicher thermischer Ausdehnungskoeffizienten Voraussetzung für haltbare, rissfreie Schichten.
Einen großen Anteil an den Schichtmaterialien besitzen nach wie vor Titan-karbid (TiC), Titannitrid (TiN), Titankarbonitrid (TiCN) und Titanaluminiumnitrid (TiAlN). Ausgewählte Eigenschaften einiger dieser Stoffe im Vergleich zum Wolf-ramkarbid werden in Tab. 8.4 gezeigt. Die Eigenschaften der Hartstoffe werden maßgeblich durch die Art der chemischen Bindung bestimmt. Gute Schichthaftung
Tab. 8.3 Zusammensetzung und Eigenschaften verschiedener Hartmetalle
8 Schneidstoffe
177
beispielsweise wird am besten durch metallische Bindung erreicht, da sie über die größten Adhäsionskräfte verfügt. Große Härte für optimalen Verschleißschutz liegt am ehesten bei kovalenter Bindung vor. Die ebenfalls geforderte chemische Stabi-lität wird durch überwiegend ionische Bindung bedingt. TiN besitzt Anteile aller drei Bindungsarten, daher wurde es als erstes Schichtmaterial erfolgreich eingesetzt [BOB08].
Neuere PVD-Schichten bestehen aus Systemen von TiN/TiAlN oder Hart-Weich-Kombinationen wie TiAlN + WC/C in Mehr- oder Vielfachschichten (Multilayer). Seit einigen Jahren werden nanostrukturierte Schichten aus TiSiN, TiAlN, TiAlSiN oder TiAlBN eingesetzt. CrAlN, CrAlSiN oder Al2O3 sind Komponenten für Viel-lagenschichten, die erfolfreich bei der Hartbearbeitung eingesetzt werden [BOB08].
Auch bei der CVD-Beschichtung wirken sich Mehrfachschichten mit oxidkera-mischen Anteilen vorteilhaft aus. Günstig erwiesen sich Kombinationen von TiC, TiN, TiCN und Al2O3. Für das Drehen von Stahl- und Gusswerkstoffen bewährte sich ein Schichtpaket aus TiN, TiCN, Al2O3 und ZrCN. Verbesserungen des Leis-tungsvermögens von CVD-Beschichtungen können durch quaternäre Beschich-tungsmaterialien wie (Ti,Zr)(C,N) oder (Ti,Hf)(C,N) erreicht werden [DRE01].
Titankarbonitridschichten können auf TiC mit monotonem Übergang der An-teile bis zu reinem TiN aufgebaut werden. Das Nitrid ist chemisch träge und wirkt daher Diffusions- und Oxidationsverschleiß entgegen. Es hat zudem geringe Kle-beneigung und senkt den Adhäsionsverschleiß. Aluminiumoxid Al2O3 ist ebenfalls reaktionsträge. Es dient als Oxidationsschutz.
(Ti,Al)N spielt seine Vorteile bei hohen Prozesstemperaturen aus und bildet eine dünne, passive Schicht auf der Werkzeugoberfläche aus, die einen schnell voran-schreitenden Diffusions- und Oxidationsverschleiß verhindert. Hoch-Ionisation-
Tab. 8.4 Eigenschaften von SchichtstoffenWC TiC TiN TiCN (Ti,Al)N Al2O3
Härte HV0,05 bei RT bei 1000 °C
1800800
3000400
2400450
3000790
28001250
22001100
Wärmeausdehnungs-koeffizient 10–6K–1
7,3 7,8 9,4 7–8 7,6 8,3
WärmeleitfähigkeitW/mK
90 30 39 50–100 50–100 25
E-ModulGPa
690 450 256 372 390 410
BildungsenthalpiekJ/mol bei 1450 °C
–54 –165 –335 –268 –210 –1670
Freiflächenverschleiß + o + + oKolkverschleiß o o o o +Zähigkeit + + + o oBindungsfähigkeit + + + + oReibwert + + o o oTrennfunktion o + o + +
+ = bestens geeignet; o = geeignet
8.5 Hartmetalle
178
Puls-Prozesse ermöglichen gegenwärtig die Herstellung von nicht leitenden Nit-ridschichten mit einem hohem Gehalt an oxidschichtbildenden Bestandteilen, wie z. B. (Al,Ti)N-Supernitridschichten mit mehr als 65 mol % an Aluminiumnitrid. Ziel auch dieser Weiterentwicklungen von Werkzeugbeschichtungen ist ein verbes-sertes Verschleißverhalten. Abbildung 8.7 zeigt den grundsätzlichen Aufbau unter-schiedlicher Schichtkonzeptionen.
Die Ein- und Mehrlagenschichten sind insgesamt 2 μm bis 10 μm stark. Sie werden durch Aufdampfen aufgebracht. Chemisches Aufdampfen (CVD, chemical vapor deposition) arbeitet mit Prozesstemperaturen von 900 °C bis 1000 °C. Ab-bildung 8.8 zeigt den Prozess zum Aufbringen von TiC- Schichten nach folgender Reaktionsformel:
(8.4)
Methan (CH4) und Titanchlorid (TiCl4) werden gasförmig einem beheizten Reaktor zugeleitet, in dem sich die möglichst metallisch reinen Substratplatten befinden. An der erwärmten Oberfläche des Substrates zerfallen die Gase in den entsprechenden Feststoff (TiC) und in flüchtige Nebenprodukte (HCl). Die Schichten wachsen kör-nig (TiC, Al2O3) oder faserig (TiN) auf. Das Aufwachsen von TiC erfolgt zunächst mit hoher Beschichtungsrate. Mit wachsender Schichtdicke verlangsamt sich die Beschichtungsrate, die Korngröße der Schicht steigt dabei. Mit CVD entstehen we-gen der unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten und der nach der Beschichtung erfolgten Abkühlung Zugeigenspannungen in den Schichten. Diese Spannungen können die Zugfestigkeit überschreiten, wodurch es zu Rissen in der Schicht kommt.
Physikalisches Aufdampfen (PVD, physical vapor deposition) arbeitet bei nied-rigen Prozesstemperaturen von ca. 500 °C. Eingesetzt wird das Ionenplattieren und das Kathodenzerstäuben (Sputtern) (s. Abb. 8.9). Die Schichten entstehen durch Beschleunigung geladener Teilchen und Bombardement des Substrats. Da die zu
TiCl4 + CH4 → TiC + 4HCl
Abb. 8.7 Aufbau unterschiedlicher Schutzschichtkonzeptionen
Mischkristall-schichten
Gradienten-schichten
MetastabileMehrkomponenten-
schichten
Nanokristalline,mehrphasige
Schichten
Viellagen-schichten
+ Härte+ Warmhärte
+ Haftung+ chemische Stabilität
+ Warmhärte+ Oxidations- u. Korrosions- beständikgkeit
+ Warmhärte+ Zähigkeit+ tribologische Eigenschaften
+ Warmhärte+ Zähigkeit+ tribologische Multifunktion
doppelt misch-kristallverfestigtes,VEK-optimiertesSchichtmaterial
heteropolar
kovalent
metallisch
homogenes, in metallähnlicher
Strukturkristallisiertes,
verfestigtesSchichtmaterial
~ 50-1000Einzellagen
z.B. Ti(C,N) z.B. WC->TiC->TiN z.B. (Ti,Al)N z.B. TiB2 /TiC z.B. TiB2 /TiC
8 Schneidstoffe
179
beschichtenden Flächen zugänglich sein müssen, folgen daraus geometrische Ein-schränkungen, welche teilweise durch eine Probenrotation während des Prozesses aufgehoben werden können. Auch durch PVD entstehen Eigenspannungen in den Schichten. Ihre Ursache liegt jedoch kaum in Differenzen der thermischen Aus-dehnung, sondern in dem Ionenbeschuss. Es entstehen Druckeigenspannungen, was
Abb. 8.8 Herstellung TiC-beschichteter HM-Platten nach dem CVD-Verfahren
DestillierkolonneThermostat
Vakuumpumpe
6650 Pa900 C
Heizung
Reaktionsgefäßmit Hartmetall-platten
Wasserstoff
Methan Titanchlorid
TiCl4+CH4 TiC+4HCl
Abb. 8.9 PVD-Verfahren zum Beschichten
Vakuum-Aufdampfen Reaktives lonenplattieren Reaktives Sputtern
Halter
Werkstücke
neutralesGas
neutralesGas
neutralesGas
EnergiePlasma
Reaktionsgas
Beschichtungs-stoff
VakuumVakuum
Energie Beschichtungsstoff
Verdampfer
zerstäubetrBeschichtungsstoff
Energie Werkstücke
Vakuum
Halter
8.5 Hartmetalle
180
sich bei instationären thermischen Beanspruchungen günstig auswirken kann, weil die Druckeigenspannungen die Wärmespannungen in den Schichten kompensieren.
Das Plasma-CVD-Verfahren (PACVD) vermeidet Beschränkungen der CVD- und PVD-Behandlung (Abb. 8.10). Das Verfahren nutzt zur Aktivierung der che-mischen Reaktionen nicht mehr nur thermische Energie, sondern der Prozess wird durch ein Plasma im Reaktor aktiviert. Das Plasma hat zum einen eine katalytische Wirkung, zum anderen die Aufgabe der Energieeinkopplung. Somit können die Re-aktionen bei niedrigeren Temperaturen ablaufen bzw. werden dadurch erst ermög-licht. Mit der PACVD-Anlage können, je nach Art der Gaszuführung, Nitrid-, Kar-bid- oder auch Karbonitridschichten hergestellt werden. Bei der Beschichtung nach den PACVD-Verfahren werden Substrattemperaturen von unter 500 °C realisiert.
Gegenüber der CVD-Beschichtung sind daher Diffusionsvorgänge, Phasenum-wandlungen und Austauschreaktionen sowie die damit verbundenen Versprödungs-effekte zwischen Substrat und Schicht ausgeschlossen. Gegenüber PVD erzeugten Schichten, die ebenfalls bei niedrigen Temperaturen aufgebracht werden, zeigen PACVD-Schichten neben höheren Haftfestigkeiten niedrigere Eigenspannungen sowie einen geringeren Einfluss auf die Biegefestigkeit des Substrats. Ferner ent-fällt das beim PVD-Prozess notwendige Ausrichten und Chargieren, um gleichmä-ßige Schichtstärken zu erreichen.
Sehr harte Schichten aus Diamant können mittels CVD-Verfahren auf Wende-schneidplatten und Schaftwerkzeuge aufgebracht werden. Als Substratmaterial eig-nen sich feinkörnige Hartmetalle und siliziumbasierte Keramik. Der Kobaltgehalt ist bei den Hartmetallen für die Beanspruchbarkeit der CVD-diamantbeschichteten Werkzeuge verantwortlich [UHL09].
Erste erfolgreiche Versuche mit CBN-Beschichtungen sind ebenfalls dokumen-tiert [WIE07, UHL04]. Durch Verbesserungen der Beschichtungstechniken PVD
Abb. 8.10 Herstellung TiN-beschichteter Schneidplatten nach dem PACVD-Verfahren
Reaktions-gas
neutralesGas Ar
CH4
H2
N2 m
m
m
m
Energie 400-650 V–
Strom-versorgungDC-Puls
Heizung
Plasma
Werkstück
Reaktionsgefäß
TiCl4-Vorratsbehälter
Vakuum-pumpe
450-650°C10-1000 Pa
2 Ti Cl4 + CH2 + N2 2TiN + 8HCl
Ti Cl4 + CH4 TiC + 4HCl
8 Schneidstoffe
181
und plasmaunterstütztes CVD gelang es, CBN-Schichten mit mehr als 1 µm Di-cke auf Hartmetall-Wendeschneidplatten abzuscheiden. Diese Schichten sind mehr als doppelt so hart wie TiN-Schichten und zeigen mehr als zehnfachen Widerstand gegen abrasiven Verschleiß, wobei der Reibkoeffizient gegenüber Stahl nur halb so groß ist. Einsatzversuche beim Drehen von Stahl, z. T. gehärtet, und Gusswerk-stoffen zeigen das Potenzial der CBN-Schichten, aber auch den noch großen For-schungsbedarf auf [UHL04].
Vor 40 Jahren gelang es, dünne amorphe Kohlenstoffschichten zu synthetisie-ren, deren Eigenschaften bezüglich Transparenz, Refraktionsindex, Isolation, Härte und chemischer Resistenz an Diamant erinnern, und die deshalb diamantähnlicher Kohlenstoff genannt werden (DLC, diamond like carbon) [AIS71]. Dieses Material erlaubt eine große Variation der Zusammensetzung durch den Einbau von Wasser-stoff, metallischen oder nichtmetallischen Elementen, wodurch seine Eigenschaften maßgeblich bestimmt werden können. DLC-beschichtete Zerspanwerkzeuge wer-den bei der Trockenzerspanung von Al- und AlSi-Legierungen eingesetzt [SAN07, FUK04]. Die Neigung zur Aufbauschneidenbildung wird unterdrückt, und die Oberflächenrauheit wird reduziert.
Heute werden 80 % der Hartmetallwerkzeuge PVD- oder CVD-beschichtet [BOB08]. Sie haben sich jedoch nicht bewährt für NE-Metalle, für hochnickelhalti-ge Stähle oder Nickelbasislegierungen und für austenitische und ferritische rostbe-ständige Stähle. Zu beachten ist auch, dass beschichtete Hartmetalle prinzipbedingt größere Schneidkantenrundungen (äquidistante, prozessnotwendige Verrundung) aufweisen. Bei sehr geringen Spanungsdicken führt das effektiv zu stark negativen Spanwinkeln, was zur Folge hat, dass beschichtete Werkzeuge bei Feinstbearbei-tungsverfahren nicht einzusetzen sind. Im Übrigen sind beschichtete Hartmetalle unbeschichteten im Verschleißverhalten deutlich überlegen (Abb. 8.11). Hinzu kommt, dass durch die Beschichtung eine Sortenbereinigung möglich ist, denn eine enge Anpassung an die Bearbeitungsbedingungen oder die zu bearbeitenden Werk-stoffe ist nicht mehr erforderlich.
Abb. 8.11 Standzeitvergleich zwischen Schneidstoffen bei Guss- und Stahlzerspanung
300280
min
200
100
0C35 GTS55 GGG50
25
100
2,5 14,5 10
Sta
ndze
it T
VB = 0,3 mmvc = 160 m/minf = 0,25 mmap = 2,51 mm
Doppelbeschichtung HMP 10M 15M 10
8.5 Hartmetalle
182
Beschichtete Hartmetalle verschleißen langsamer und mit einer typischen Ver-schleißentwicklung (Abb. 8.12). Selbst wenn die Schicht durchbrochen ist, besteht noch eine Schutzwirkung, wie am mäßigen Verschleißfortschritt zu erkennen ist. Sie wird auf Stützeffekte und kontinuierliches „Plattieren“ durch Adhäsion erklärt. Nach weiterem Einsatz kommt es dann allerdings zum typischen steilen Verschleiß.
Zur Beurteilung des Verschleißzustands von Werkzeugen kann neben der Ver-schleißmarkenbreite die Kolktiefe KT herangezogen werden. In Abb. 8.13 ist das
Abb. 8.12 Verschleißvorgänge bei beschichtetem Hartmetall
I SKVKT
II III
Hartstoff-partikel
Stütz-wirkung
SubstractBeschichtung
VB
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
Schnittzeit t
I II III
Abb. 8.13 Verschleißkennwerte beim Drehen mit doppelt beschichtetem Hartmetall
400
µm
160
63
25
01 2,5 6,3 16 40 min 100
Schnittzeit t
t = 50 min
Verschleißmarkenbreite VB
Kolktiefe KTWerkstückstoff : GGG70Schnittgeschw. : vc = 80 m·min–1
Schnittiefe : ap = 2,5 mmVorschub : f = 0,25 mmSchneidstoff : HM, beschicht.
(Al2O3-TiC)Schneidengeometrie
6° –6° –6° 90° 60° 0,8 mmr
Ver
schl
eiß
α γ λ ε κ
8 Schneidstoffe
183
Verschleißverhalten eines TiC-Al2O3-Hartmetalls bei der Zerspanung von Guss-eisen mit Kugelgraphit dargestellt.
Eine Änderung der Eigenschaften von Hartmetallen, insbesondere der Härte, Zähigkeit und Verschleißfestigkeit, ist durch die Änderung von Korngröße und Form der Karbide möglich. Dies führte zur Entwicklung von Feinstkornhartmetal-len. Durch Verwendung feinkörniger Karbide (Korngröße < 1µm) werden Härte, Bruchzähigkeit, Druckfestigkeit, Verschleißfestigkeit und Kantenfestigkeit erhöht. Aufgrund der geringen Korngröße und der daraus resultierenden Stoffeigenschaften lassen sich aus Feinstkornhartmetallen besonders scharfe und hoch belastbare Werk-zeugschneiden herstellen. Dementsprechend werden Feinstkornlegierungen bislang vorwiegend in der Schlicht- und Feinschlichtbearbeitung sowie als Schneidstoff für Bohrer eingesetzt. Vorteile beim Bohreinsatz bestehen vor allem beim Spanen mit geringen Schnittgeschwindigkeiten (vc < 60 m/min). Hier kommt die hohe Zähig-keit dieser Schneidstoffe zum Tragen. So konnten gegenüber konventionellen Hart-metallen deutliche Standzeitverbesserungen erreicht werden (Abb. 8.14).
8.6 Cermets
Hartmetalle ohne freie Wolframkarbide werden Cermets genannt (aus den Wort-stämmen „ceramics“ und „metals“) [ETT88]. Es sind Vielkomponentenhartmetalle auf der Basis von Titankarbonitrid mit Tantal, Niob und Vanadium im Hartstoff. Im Binder sind Nickel und Cobalt enthalten. Durch Mischkristallverfestigung über Molybdän, Titan und Aluminium lässt sich auch von der Binderseite her die Ver-schleißfestigkeit steigern. Gegenüber WC-Hartmetallen weisen Cermets eine er-heblich höhere chemische Beständigkeit bei hohen Temperaturen auf, d. h. weniger
Abb. 8.14 Einfluss der Hartmetallqualität auf das Standverhalten
500
400
300
200
100
0
Anz
ahl d
er B
ohru
ngen
Streubereich
Korngröße:P40 konv. K10/20 konv. K10/20 F K10/20 UF
2,5 µm < a < 4 µm 2,5 µm < a < 4 µm 0,8 µm < a < 1 µm 0,3 µm < a < 0,7 µm
Verfahren: Werkzeug:Bohren,Grundloch
100Cr6durchgehärtet60 HRC
vc = 50 m/min
f = 0,02 mm/UI = 2 x D
Werkstoff:
Schnittgeschw.:
Vorschub:Bohrtiefe:
SpiralbohrerD = 6 mmTiN-besch.Kreuzanschliff
8.6 Cermets
184
Diffusions- und Oxidationsverschleiß. Zusätzlich besitzen Cermets eine wesentlich höhere Kantenfestigkeit. Die ertragbaren Schnittgeschwindigkeiten liegen höher als bei beschichteten Hartmetallen (Abb. 8.15).
Die Bruchzähigkeit von Cermets ist geringer (Tab. 8.5) als die von zähen WC-Hartmetallen. Große Unterschiede bestehen im thermischen Ausdehnungskoeffizi-enten und in der Wärmeleitfähigkeit, was sich auf das Einsatzverhalten bei instatio-närer Beanspruchung auswirkt (s. Kap. 7).
Cermets lassen sich zum Schlichtdrehen, zum Gewindedrehen und zum Fräsen von Stahl und Gusswerkstoffen einsetzen. Der Trend der Serienfertigung, Formtei-
Abb. 8.15 Verschleißentwicklung über der Schnittzeit bei Cermets und beschichteten Hartmetallen
0,3
mm
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
Kok
ltief
e K
T 0,2
0,15
0,1
0,05
00 2 4 6 8 10 12 14 16 18 22 24 min 26
Schnittzeit tc
Cermet
besch. Hartmetall
Cermet(P10-P30)
Kolkverschleiß
Freiflächen-verschleiß
Schneideinsatz : SNGN 120 408
Schnittgeschw. : vc = 250 m·min–1
Vorschub : f = 0,25 mmSchnittiefe : ap = 2 mmWerkstoff : Ck 45
SNUN 120 408
6° 75° 0,8mm
r
–6° –4° 90°
besch. Hartmetall(P10-P35,8 m)TiC+Ti(C,N)+TiN)
1 mm
Tab. 8.5 Eigenschaften von WC-Hartmetallen und Cermets
8 Schneidstoffe
185
le mit geringem Aufmaß (Nahe-Endform-Technologie) zu verwenden, kommt dem Einsatz von Cermets entgegen.
8.7 Schneidkeramik
Zerspanwerkzeuge aus keramischen Schneidstoffen werden durch Sintern von Me-talloxiden, -nitriden und -karbiden hergestellt [FRI88, MOM93]. Die keramischen Grundstoffe werden unterteilt in Oxid- und Nichtoxidkeramiken. Zu den wichtigs-ten oxidkeramischen Schneidstoffen zählen Aluminium- und Zirkonoxid, zu den Nichtoxidkeramiken Siliziumnitrid, Titankarbid und -nitrid (Abb. 8.16). Mischun-gen und Mischkristalle (z. B. SiAlON) werden eingesetzt, um die günstigen Eigen-schaften verschiedener Grundstoffe zu kombinieren.
Die wichtigsten Eigenschaften der Keramiken sind ihre hohe Härte und ihr Ver-schleißwiderstand. Die Härte sinkt mit steigender Temperatur langsamer als bei Hartmetall, dessen Hartstoffe in eine metallische Bindephase eingebettet sind. Hier-durch besitzen keramische Schneidstoffe auch bei hohen Schnittgeschwindigkeiten eine sehr gute Verschleißbeständigkeit (Abb. 8.17). Ihre chemische Reaktionsträg-heit vermindert Werkstoffaufschweißungen und Kolkverschleiß.
Die Zähigkeit keramischer Schneidstoffe ist begrenzt. Bei mechanischer Über-lastung bricht Keramik spröde, praktisch ohne vorhergehende plastische Verfor-mung. Im Vergleich zu Metall erfordert die Ausbreitung eines Risses bei kera-mischen Stoffen nur wenig Energie. Hierdurch sind Keramiken sehr empfindlich
Abb. 8.16 Basiswerkstoffe für Schneidkeramiken
Al2 O3, Zr O2
Oxide
Karb-oxide
KarbideWC, TiC
SiC
Karbo-nitride
Oxi-nitride
Si Al ON
Nitride
Si3 N4, TiN, BN
Ti (C, N)Karboxi-nitride
8.7 Schneidkeramik
186
gegen äußere Kerben und innere Werkstofffehler, an denen eine Spannungsüber-höhung stattfindet. Die Festigkeit eines keramischen Bauteils wird bestimmt von der Abmessung seines größten Fehlers. Weil die Größen von Gefüge- und Ober-flächenfehlern statistischen Verteilungen unterliegen, schwankt die Bruchspannung bei Keramik in weiten Grenzen. Sie lässt sich beschreiben mit Hilfe der Weibull-Verteilung (Abb. 8.18). Diese Zusammenhänge können die Prozesssicherheit kera-mischer Schneidstoffe beeinträchtigen.
Zum erstenmal setzte Osenberg 1938 keramische Werkzeuge zum Spanen ein, hatte jedoch mit reinem Aluminiumoxid wegen dessen hoher Sprödheit keinen Er-folg [OSE38]. Seit den sechziger Jahren sind verbesserte oxidkeramische Schneid-stoffe verfügbar. Sie enthalten neben 60–95 % des Härteträgers Aluminiumoxid entweder 5–15 % Zirkonoxid („weiße“ Oxidkeramik) oder bis zu 40 % Titankarbid und -nitrid („schwarze“ Mischkeramik).
Der Zusatz feinverteilten Zirkonoxids (ZrO2) steigert die Bruchzähigkeit. Diese Dispersionsverstärkung beruht auf drei Mechanismen: der Spannungsinduzierung, der Rissablenkung und der Rissverzweigung (Abb. 8.19).
Unter mechanischer Belastung in der Nähe eines Risses wandelt sich das ZrO2 aus seiner metastabilen tetragonalen Hochtemperaturphase in die monokline Tief-temperaturphase um. Da monoklines ZrO2 eine 4 % geringere Dichte als tetrago-nales besitzt, sind die ZrO2-Partikel bestrebt, ihr Volumen zu vergrößern. Dabei erzeugen sie Spannungsfelder in der Al2O3-Matrix. Risse werden auf ZrO2-Partikel
8 Schneidstoffe
Abb. 8.17 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Standzeit
100
min
63
40
25
16
Sta
ndze
it T
10
6,3
4
40 63 100 160 250 400 m·min–1 1000Schnittgeschwindigkeit vc
Werkstoff : Ck55N
Standzeitkriterium : VB = 0,5 mm
Spanungsquerschnitt : ap x f = 2 x 0,5 mm2P 25 (H
artmetall besch.)
P 25 (H
artmetall)
Keramik
S 10 - 4 - 3 - 10 (S
chnellarbeitsstahl)
187
hin abgelenkt und können dort stehenbleiben ( Rissablenkung). Lokale Spannungs-felder entstehen in Al2O3- ZrO2-Keramik aber auch schon bei der Abkühlung von der Sintertemperatur. Sie sind die Folge der unterschiedlichen thermischen Ausdeh-nungskoeffizienten der beiden Werkstoffe ( thermische Misfitspannungen). Diese
Abb. 8.18 Bruchverhalten von Metall und Keramik
Plastisches Materialverhalten Sprödhartes MaterialverhaltenS
pann
ungs
-D
ehnu
ngs-
verh
alte
n
Ris
s-ve
rhal
ten
Bru
ch-
wah
rsch
ein-
lichk
eit
Bru
chw
ahr-
sche
inlic
hkei
t P
Bru
chw
ahr-
sche
inlic
hkei
t P
100
Rm
Mikroriss
Spannungs-abbau durchplastischesFließen
%
100
Spannungs-konzen-tration
%
Biegespannung b
Spa
nnun
g
Spa
nnun
g
Dehnung
Bruch Bruch
Dehnung
Biegespannung b
8.7 Schneidkeramik
Abb. 8.19 Verstärkungsmechanismen in Dispersionskeramik
monoklin 3
2
1%
Mikroriss
RT
Temperatur T
2 3
Tetragonal
Deh
nung
1
SpannungsinduzierteUmwandlungmetastabiler
ZrO2-Teilchen
Rissablenkung inRichtung umgewandelter
ZrO2 - Teilchen
Mikrorissbildung anumgewandeltenZrO2-Teilchen
durch Herstellungsprozess
FF
188
Spannungen können über die Korngröße des Zirkonoxids so eingestellt werden, dass sie eine große Zahl von Mikrorissen (0,01–0,1 µm) um die ZrO2-Partikel her-um erzeugen. Durch ihre geringe Größe vermindern diese Risse nicht die Festigkeit des Schneidstoffs. Trifft ein äußerer Riss auf ein solches Mikrorissnetzwerk, wird seine Oberfläche stark vergrößert, und die notwendige Energie zu seiner weiteren Ausbreitung steigt entsprechend an ( Rissverzweigung).
Dispersionsverstärkte Aluminiumoxidkeramik wird zum Schrupp- und Schlicht-drehen von Stahl und Eisengusswerkstoffen bis zu Härten von 48 HRC bzw. 400 HV eingesetzt. Zur Zerspanung von Aluminiumlegierungen ist Aluminiumoxidkeramik aufgrund des chemischen Angriffs ungeeignet.
Titankarbid und Titannitrid erhöhen Härte und abrasive Verschleißbeständigkeit des reinen Aluminiumoxids. Ihre überwiegend kovalenten Bindungen verleihen die-sen Stoffen eine besonders hohe Warmhärte im Vergleich zu der des überwiegend ionisch gebundenen Aluminiumoxids. Hierdurch lassen sich auch gehärtete Stähle bis zu 64 HRC zerspanen. Hauptanwendungsgebiet von Al2O3-TiC/TiN-Schneidke-ramiken ist das Schlichten mit hohen Schnittgeschwindigkeiten. Die durch den TiC-Anteil deutlich erhöhte Wärmeleitfähigkeit erlaubt den Einsatz unter den schnell wechselnden thermischen Belastungen des unterbrochenen Schnitts.
Siliziumnitridkeramik (Si3N4) wurde Anfang der achtziger Jahre zum Spanen von Eisenguss- und hochwarmfesten Werkstoffen eingeführt. Die Härte dieser nichtoxidischen Keramik ist wenig temperaturabhängig. Aufgrund günstiger ther-mischer Eigenschaften und einer höheren Zähigkeit ist Siliziumnitridkeramik we-sentlich unempfindlicher gegen Thermoschock als reine Oxidkeramiken, so dass sie auch im unterbrochenen Schnitt eingesetzt werden kann. Siliziumnitrid reagiert allerdings bei Temperaturen ab 1200 °C mit Eisen unter Bildung von Eisensiliziden. Aus diesem Grund eignet es sich nicht zur Zerspanung von Stahl, bei der solch hohe Temperaturen erreicht werden.
Alle Schneidkeramiken werden mittels Sinterverfahren aus feinen Pulvern her-gestellt. Dabei unterscheiden sich die Verfahrensschritte für Schneidstoffe auf Alu-miniumoxid- bzw. Siliziumnitridbasis grundlegend. Abbildung 8.20 beschreibt die möglichen Herstellverfahren für Oxidkeramik. Als Ausgangsmaterialien werden die gewünschten Basiswerkstoffe und geringe Anteile von Sinterhilfsstoffen in Pul-verform eingesetzt, im erforderlichen Verhältnis eingewogen und gemeinsam einer Mahlbehandlung in einer Kugelmühle unterzogen (Attritieren). Hierdurch werden Agglomerate der feinen Pulverteilchen zerstört, die sonst zu Sinterfehlern führen würden. Die Korngröße der Einzelteilchen wird durch die Pulverherstellung (Fäl-lung, Gasphasenreaktionen) festgelegt und hier im Allgemeinen nicht weiter redu-ziert. Die aufbereitete Pulvermischung kann nun auf verschiedenen Wegen zu fes-ten Keramikkörpern verarbeitet werden. Die ältere Verfahrensanordnung umfasst ein Kompaktieren des Pulvers bei Raumtemperatur und Drücken von mehreren hundert bar in einer Pressform und anschließendes druckloses Sintern des halbfes-ten sogenannten Grünkörpers zwischen 1500 °C und 1800 °C. Diese beiden Verfah-rensschritte vereinigt das Heißpressen in einem einzigen Vorgang. In beiden Fällen wird jede Wendeschneidplatte einzeln gepresst und nicht später aus einem größeren Sinterkörper herausgetrennt. Für besonders hohe Anforderungen an Porenfreiheit
8 Schneidstoffe
189
und Festigkeit können fertig gesinterte Werkzeuge unter hohem Gasdruck bei hoher Temperatur isostatisch nachgepresst werden. Voraussetzung hierfür ist eine bereits geschlossene Porosität zumindest an der Oberfläche. Die gesinterten Werkzeuge müssen zuletzt durch Schleifen und Läppen mit Diamant auf Sollform und -maß gebracht werden. Auch die erforderliche hohe Oberflächengüte wird in diesem Pro-zessschritt erzeugt.
Abbildung 8.21 erläutert die Schneidkeramiken auf Siliziumnitridbasis. Aus-gangsmaterial können sowohl Siliziumnitridpulver als auch Siliziumpulver sein. Letzteres reagiert erst beim Sintern mit der Stickstoffatmosphäre des Ofens zu - und -Siliziumnitrid (reaktionsgebundenes Si3N4). Alle Siliziumnitridkeramiken müssen unter Stickstoffüberdruck gesintert werden, da Si3N4 unter Normaldruck bei hoher Temperatur in seine elementaren Bestandteile zerfällt. Weiterhin müssen Sinterhilfsstoffe (Yttrium-, Magnesium-, Siliziumoxid) zur Bildung einer silikati-schen Glasphase zugesetzt werden, die die nadelförmigen Siliziumnitridkristalle zu einem dichten, porenfreien Gefüge verbindet. Da Gläser keinen festen Schmelz-punkt besitzen, sondern bei erhöhter Temperatur erweichen, wird durch die Glas-phase die Hochtemperaturfestigkeit von Siliziumnitridschneidstoffen gemindert. Die Folge ist Kriechen, d. h. langsame plastische Verformung unter mechanischer Belastung. Die Si3N4-Kristalle gleiten dabei entlang ihrer Korngrenzen aneinander ab. Zur Steigerung der maximalen Gebrauchstemperatur kann man das Glas durch nachträgliches Tempern (Auslagern bei erhöhter Temperatur) ganz oder teilweise auskristallisieren. Es bildet sich so zwischen den Si3N4-Nadeln eine Matrix aus Gra-natkristallen mit hohem Schmelzpunkt, die weitaus kriechbeständiger ist.
Abb. 8.20 Herstellung von Oxidkeramik
MischkeramikAl2O3 + TiC (>10%)
MischkeramikAl2O3 + TiC (<10%)
OxidkeramikAl2O3 + ZrO2
Dosieren
Mahlen
HeißpressenSprühtrocknen
Kaltpressen
Sintern
Heißisostat. Pressen
Schleifen
Endkontrolle
8.7 Schneidkeramik
190
Wendeschneidplatten aus heiß gepresstem Siliziumnitrid werden in Form großer Platten gesintert und nachträglich mittels Laser getrennt. Im Unterschied zur Oxid-keramik ist die Laserbearbeitung hier problemlos, da Siliziumnitrid keine Schmelz-phase ausbildet, sondern bei 1900 °C sublimiert. Zur Erzielung von Form-, Maß- und Oberflächengüte werden auch Siliziumnitridschneidplatten durch Diamant-schleifen fertig bearbeitet. Wegen der hohen Härte und relativ hohen Zähigkeit ist die Schleifbearbeitung von Keramiken sehr aufwändig und verursacht einen hohen Anteil der gesamten Herstellkosten der Schneidwerkzeuge.
Neue Entwicklungen bei keramischen Schneidstoffen zielen auf eine weitere Er-höhung der Prozesssicherheit ab. Hierzu werden die Keramiken mit keramischen Fasern, hochfesten faserförmigen Einkristallen (Whiskern) und Plättchen (Plate-lets) verstärkt. Sie erhöhen die Biegefestigkeit und besonders die Bruchzähigkeit durch Rissumlenkung, Rissüberbrückung und damit Spannungsverminderung an der Rissfront. Diese Maßnahmen erschweren und verteuern allerdings meist die Schleifbearbeitung der keramischen Werkzeuge. Im Fall der Whisker bestehen da-rüber hinaus gesundheitliche Risiken bei der Handhabung der Pulver, weshalb die Fertigung in Deutschland zunächst aufgegeben wurde.
8.8 Diamant
Diamant gehört wie kubisch kristallines Bornitrid zu den hochharten Schneidstof-fen (superhard materials). Diamant ist der härteste bekannte Stoff. Er besteht aus reinem Kohlenstoff. Der elementare Kohlenstoff tritt in der stabilen Modifikation Graphit und in der instabilen Hochdruckmodifikation Diamant auf. Diamant erstarrt
8 Schneidstoffe
Abb. 8.21 Siliziumnitridkeramik
Ausgangsmaterial
Siliziumpulver Siliziumnitridpulver
Reaktionsge-bundenes Si3N4
GesintertesSi3N4
HeißgepreßtesSi3N4
Si-Al-O-N
s = 1200-1450°Cs = 1600-1800°C s = 1700-1900°C ’ - Si - Al - O - N
Stoffsystem :
Y - Si - Al - O - N
Mischkristall
= 2,6 g/cm–3
b = 300 MPa
ps = 1-10 MPa pp = 10-50 MPa
= 3,1 g/cm–3 = 3,2 g/cm–3
b = 650 MPa b = 700 MPa
- Si3N4 - Si3N4
Korngrenzenphase Korngrenzenphase
- Netz mit – Einschlüssen
191
kubisch-kristallin, wobei im Gittersystem jedes Kohlenstoffatom von vier benach-barten Kohlenstoffatomen umgeben ist. Die C-Atome sind durch kovalente Bindun-gen tetraedrisch miteinander verbunden. Die hohe Härte des Diamanten ergibt sich aus den hohen Bindungsenergien der Atome.
Diamanten werden in der Natur gefunden und dort bergmännisch abgebaut. Seit den 1950er Jahren [BUN55] werden Diamanten auch synthetisch hergestellt. Beide Variationen können als monokristalline oder polykristalline Diamanten vorliegen.
8.8.1 Monokristalliner Diamant
In der Natur gefundene Diamanten werden meist als Einkristalle eingesetzt, und zwar dort, wo bei geometrisch bestimmten Bearbeitungsverfahren Schneidkeile höchster Schärfe und geringster Schartigkeit erforderlich sind. Typische Anwen-dungsbereiche sind das Ultrapräzisionsspanen und das Glanzspanen von NE-Me-tallen wie Aluminium, Kupfer und ihre Legierungen. Bei Nutzung der kristallogra-phischen Orientierung des Diamanten lässt er sich durch Schleifen und Polieren zu Schneidkeilen mit geringstem Schneidkantenradius r ≈ 1 m formen. Die Schneiden werden mit Facettenschliff, also mit mehreren Einstellwinkeln der Hauptschnei-de und kleinen Einstellwinkeln der Nebenschneide von 1° bis 3° oder als Bogen-schneide (großer Radius r) ausgeführt. Die Monokristalle werden in Haltekörper eingelötet oder eingeklemmt. Monokristalliner Diamant besitzt aufgrund seiner Gitterstruktur stark richtungsabhängige physikalische Eigenschaften (anisotropes Materialverhalten) wie z. B. Härte, Festigkeit, E-Modul und Wärmeleitfähigkeit. Diese Anisotropie wird genutzt, um den Diamanten durch Spalten, Schleifen und Polieren bearbeiten zu können. Für seinen Einsatz als Werkzeug wird er möglichst in seine harten, verschleißfesten Richtungen orientiert. Grundsätzlich lassen sich auch große monokristalline Diamanten synthetisch herstellen. Wegen der hohen Anlagen- und Werkzeugkosten zur Herstellung von großen Kristallen für den An-wendungsbereich bei geometrisch bestimmten Verfahren sind aber bisher Natur-diamanten als große Monokristalle wirtschaftlicher.
8.8.2 Polykristalliner Diamant
Die erste Diamantsynthese soll 1953 bei ASEA, Schweden, gelungen sein. 1955 wurde über die Synthese von Bundy et al. (General Electric, USA) in Nature veröf-fentlicht [BUN55]; die ersten Patente zur industriellen Nutzung wurden 1960 erteilt [HAL60]. Damals gelang es zunächst, kleinere Diamantkörner direkt aus Graphit bei hohen Temperaturen bis 3000 °C und hohen Drücken von 10 GPa herzustellen. Durch Beigabe von Lösungsmittteln und Katalysatoren (wie Kobalt, Nickel, Sili-zium, Bor, Beryllium und Eisen) lassen sich die Synthesebedingungen auf 6 GPa und 1500 °C senken. Kobalt z. B. besitzt ein Lösungsvermögen für Kohlenstoff,
8.8 Diamant
192
das von Druck und Temperatur abhängig ist. Unter Synthesebedingungen im meta-stabilen Diamantbereich ist Kobalt flüssig. Mit Erhöhung von Druck und Tempera-tur nimmt die Löslichkeit für Kohlenstoff ab, Diamant wird ausgeschieden. Durch mehrmaliges zyklusartiges Durchlaufen des Synthesebereichs lässt sich die Um-wandlung steigern. Bei dieser Synthese werden Einkristalle erzeugt, deren Wachs-tumsgeschwindigkeit durch gezielte Druck- und Temperaturregelung sowie durch die Menge von Impfkristallen (Kerndichte) verändert werden kann. Die Größe der Kristallite lässt sich so gezielt beeinflussen. Zur Erzeugung der für die Diamantsyn-these notwendigen Drücke werden Pressen, wie in Abb. 8.22 dargestellt, verwendet.
Aus der Diamantsynthese ergeben sich Körner im Bereich von 2 μm bis 400 μm, die nach Sortierung in einem weiteren Prozess, durch das Hochdruck-Flüssigpha-sensintern, zu einer polykristallinen Matrix verbunden werden können (PKD). In diesem zweiten Prozess wird wieder die katalytische Wirkung der metallischen Be-gleiter genutzt. Zum Sintern werden Diamantkörner auf ein kobaltreiches Hartme-tallsubstrat aufgebracht (Abb. 8.23). Eine Haftungsverbesserung lässt sich durch eine kobaltreiche Zwischenschicht erreichen. Werden metallische Phasen als Sin-terhilfsmittel eingesetzt, liegt deren Liquiduslinie auch im Hochdruckbereich unter der Sintertemperatur.
Die Eigenschaften der polykristallinen Diamantschichten lassen sich über die Größe der eingesetzten Körnung und über Art und Menge der metallischen Phasen steuern. Korngrößen von 2 μm bis 60 μm werden im Endzustand erreicht, wobei die Korngröße während des Sinterprozesses abnimmt. Der Co-Gehalt nach dem Sintern sinkt mit zunehmender Korngröße des Ausgangsmaterials [SIE91]. Folglich ist an-zunehmen, dass größere Körnungen höhere Anteile an kovalenter Bindung aufwei-sen. Darin ist begründet, dass PKD mit gröberen Strukturen die höchste Verschleiß-festigkeit aufweist, allerdings weist er auch die geringere Schneidenqualität auf.
Abb. 8.22 Belt-Presse zur Herstellung von synthetischen Diamanten [HAL60]
“belt” oberer Stempel
Stromzuführung
Pyrophyllitkapsel
Graphit
Eisen oder Nickel
Blechkonus
Pyrophyllit
Abschluss-scheibeunterer Stempel
Pyrophyllit-konus
Zug+σt
0
-σtDruck
im vorge-spanntenZustand
r
während desPressvorgangs
Tang
entia
lspa
nnun
g σ t
8 Schneidstoffe
193
Polykristalline Diamanten sind wegen des kristallinen ungerichteten Haufwerks, aus dem sie bestehen, weitgehend isotrop. Sie sind allerdings auch weniger hart als Monokristalle. Wegen ihrer Isotropie, ihrer Korngrenzen und metallischen Ein-schlüsse sind sie wesentlich zäher als Einkristalle.
Ihr Anwendungsbereich liegt in der Schruppschlicht- und Schlichtbearbeitung von NE-Werkstoffen bei Einstellbedingungen, für die kein chemischer Verschleiß und keine Schneidkeiltemperaturen oberhalb 700 °C eintreten. Chemischer Ver-schleiß ergibt sich bei Karbidbildern, insbesondere bei Stählen. Die zulässige Tem-peratur wird nicht durch die Graphitisierungstemperatur von rund 900 °C, sondern bereits bei 650 °C bis 800 °C begrenzt. Grund ist die in diesem Temperaturbereich auftretende Kobaltanreicherung als Folge von Volumenausdehnungen des Ko-balts gegenüber dem Diamant. Dieser Effekt ist allerdings dispositionszeitabhänig [SIE91]. Metallische Werkstoffe wie Aluminium, Kupfer und ihre Legierungen, Nichtmetalle wie Kunststoffe, Holzwerkstoffe und Graphit lassen sich mit PKD vorteilhaft bearbeiten. Besonders wirtschaftlich wird PKD für stark abrasive Werk-stoffe wie übereutektische Aluminium-Siliziumlegierungen (Kolben, Zylinderblö-cke), glasfaserverstärkte Kunststoffe und Holz-Kunststoff-Füllmittelverbundwerk-stoffe eingesetzt, da verglichen mit Schnellarbeitsstahl, Hartmetall oder Keramik, sehr hohe Standzeiten erreicht werden (Abb. 8.24 und 8.25).
Für weiche, zum Kleben neigende Werkstoffe, wie z. B. Aluminiumknetlegie-rungen, kann es interessant sein, dass Verklebungen und Scheinspanbildungen durch PKD wegen seiner guten Schneidhaltigkeit (Geometrieeffekt, Verzögern von Schneidkantenverrundungen) und wegen seines geringen Reibwertes (Triboeffekt) unterbunden oder verzögert werden.
8.9 Bornitrid
Kubisch kristallines Bornitrid (CBN) ist nach Diamant der nächstharte Schneid-stoff (Tab. 8.1). Anders als Diamant ist CBN chemisch beständig gegenüber Eisen und anderen karbidbildenden Werkstoffen. Es ist bis zu Temperaturen von 1400 °C
Abb. 8.23 Hochdruck-Flüs-sigphasensintern von PKD auf Substrat
6 GPa
1500°C
Hartmetallstempel
Hartmetallunterlage
Kapsel
Harmetallsubstrat
kobaltreicheGrenzschicht
Diamantkörner
Dichtung
Hartmetallgürtel(belt)
8.9 Bornitrid
194
stabil. In Normalatmosphäre verhindert eine Schutzschicht von Boroxid B2O3 eine Oxidation bis 1300 °C. Daher können CBN-Werkzeuge zum Spanen gehärteter Stähle, von Hartguss, Nickel-Basislegierungen und zur Bearbeitung von aufge-spritzten oder aufgeschweißten Hartstoffschichten eingesetzt werden.
Abb. 8.25 Verschleißmarkenbreite unterschiedlicher Schneidstoffe [HER91]
250
µm
150
100
50
00 20 40 m 80
Fräsweg pro Zahn Ifz
PKD
CermetHSS
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
B
Werkzeug
HSSHM - K10CermetPKD
Schaftfräser D = 16 mmSchaftfräser D = 32 mmSchaftfräser D = 16 mmSchaftfräser D = 32 mm
15°0°3°0°
12°15°15°15°
90°90°90°90°
30°
0°0°
0°-
0,8 mm0,8 mm0,8 mm
s r
Werkstoff : Graphit (EK 88)Korngröße : 10 µm
Schnittbedingungen : ap = 2 mm: ae = 6 mm: fz = 0,04 mm: vc = 1000 m/min
HM - K10
8 Schneidstoffe
Abb. 8.24 Standzeit beim Fräsen von Aluminium
125
min
31,5
8
2
0,5
0,125
0,0315200 315 500 800 1250 m·min–1 3150
Schnittgeschwindigkeit vc
Sta
ndze
it T
PKD
4° 10° 5° 60° 90°
Werkstückstoff : AISi18CuMgNiVorschub : fz = 0,28 mmSchnittiefe : ap = 0,5 mmStandzeitkriterium : VB = 0,3 mm
HMK10
195
Bornitrid kommt natürlich nur in seiner hexagonal kristallinen Form vor, welche eine ähnliche Konsistenz wie Graphit aufweist. Bor und Stickstoff sind die dem Kohlenstoff im Periodensystem unmittelbar benachbarten Elemente. Bornitrid lässt sich wie Diamant durch eine Hochdruck-Hochtemperatursynthese in die kubisch kristalline Modifikation überführen. Dieser Gittertyp weist eine kovalente Bindung auf. Es gibt daneben noch einen weiteren hexagonalen Gittertyp hoher Härte (je-doch nicht ebenso hart wie der kubische Typ), die Wurtzit-Modifikation. Hexagona-les Bornitrid wird mittels Pyrolyse aus Bor-Halogenverbindungen gewonnen.
(8.5)
Die Herstellung von CBN kann auf mehrere Arten erfolgen, die sich hinsichtlich der Anzahl der Prozessschritte des Einsatzes von Hilfsstoffen unterscheiden. Beim einstufigen Prozess wird polykristallines CBN direkt aus der hexagonalen Modifi-kation hergestellt, beim zweistufigen Prozess wird zunächst das CBN synthetisiert, und in einem anschließenden Sinterprozess werden die Körner zu polykristallinem Material verarbeitet [KRE07].
Bei der Pyrolyse werden zumeist metallische Katalysatoren eingesetzt, wobei Lithium am häufigsten verwendet wird, was zu braunem bis schwarzem CBN führt. Die Weiterverarbeitung der in der Pyrolyse erzeugten CBN-Körner zu Schleifmit-teln erfolgt in der gleichen Weise wie beim synthetisch hergestellten Diamant.
Kubisches Bornitrid wurde zuerst 1957 hergestellt [WEN57]. Zur Synthese sind gleiche Anordnungen wie für Diamant erforderlich. Drücke von 5 bis 9 GPa und Temperaturen von 1500 °C bis 2000 °C müssen aufgebracht werden [WEN61]. Als Katalysatoren, die die Synthesetemperaturen auf den angegebenen Bereich zu reduzieren gestatten, dienen Alkalimetalle.
Ähnlich dem Diamant lassen sich auch CBN-Körner zu dicken polykristallinen Schichten (Schichtstärke 0,5 mm) auf Hartmetall oder zu Massivkörpern durch Hochdruck-Flüssigphasensintern verarbeiten (s. Abb. 8.22). Dieses polykristalli-ne Bornitrid (PKB) wird in zwei unterschiedlichen Schneidstoffarten hergestellt, einem PKB mit hohem Hartstoffanteil und starker Durchdringung der Körner und einer anderen Art mit geringerem Hartstoffanteil und ohne Korndurchdringung; die Binderphase enthält Titankarbid oder Titannitrid. PKB mit geringerem Hartstoffan-teil weist eine wesentlich niedrigere Wärmeleitfähigkeit auf ( = 40 W/mK gegen-über 100 W/mK bis 200 W/mK).
PKB verschleißt erheblich weniger als Hartmetall (Abb. 8.26). So lassen sich bei gleicher Standzeit um Größenordnungen höhere Schnittgeschwindigkeiten er-reichen [HER91]. Bei der Bearbeitung hochfester Werkstoffe mit schlanken Werk-zeugen oder bei höheren Nachgiebigkeiten der Werkstücke ist von Interesse, dass wiederum aus geometrischen und tribologischen Gründen geringere Zerspankräfte entstehen (Abb. 8.27).
PKB ist von großer Bedeutung für die Hartbearbeitung von Stählen, besonders bei instabilen Bearbeitungsbedingungen oder bei unterbrochenen Schnitten. Für geeig-nete Bearbeitungsaufgaben lassen sich durch Drehen, Fräsen oder Bohren mit PKB Schleifoperationen ersetzen (s. Kap. 10). Geeignete Bearbeitungsaufgaben bedeuten:
2BCl3+6NH3−6HCl 2B(NH2)3
−3NH3−−−−→ B2(NH)3−NH3−−−→ 2BN
8.9 Bornitrid
196
Abb. 8.26 Standweg unterschiedlicher Schneidstoffe in Abhängigkeit der Schnittgeschwindigkeit
100
m
10
1
0,1100 160 250 400 630 m/min 100
Schnittgeschwindigkeit vc
Standkriterium : VB = 0,1 mm
Sta
ndw
eg p
ro Z
ahn
L fz PKB
HM - K10
HM - P25
Cermet
Wekstoff :X32CrMoV33
(Rm = 1900 Mpa)Kugelkopffräser : D = 16 mm (z = 2)Auskraglänge : lw = 37 mmtheor. Rillentiefe : tr = 10 µm
Schnittbedingungen: ap = 0,5 mm
br = 0,8 mmfz = 0,1 mm
βf = 40°
γeff = 9,1° α = 16,1°
Abb. 8.27 Verlauf der Zerspankraft verschiedener Schneidstoffe
1400
N
1000
800
600
400
200
00 10 20 m 40
Fräsweg pro Zahn lfz
CBN
HM - K10
HM - P25
Cermet
max
. Zer
span
kraf
t Fm
ax
Wekstoff : X32CrMoV33: (Rm = 1900 N/mm2)
Kugelkopffräser : D = 16 mm (z = 2)Auskraglänge : lw = 37 mmtheor. Rillentiefe : tr = 10 µm
Schnittbedingungen : ap = 0,5 mm
: br = 0,8 mm: fz = 0,1 mm: βf = –40°: vc = 315 m/min
γeff = –9,1°
α = 16,1°
8 Schneidstoffe
197
• kleine zu bearbeitende Flächen, um Formfehler in Grenzen zu halten• begrenzte Anforderungen an die Maß- und Formgenauigkeit,• gedrungene, steife, durch Passivkräfte nicht unzulässig verformbare Teile
Sind diese Bedingungen erfüllt, lassen sich erhebliche Rationalisierungseffekte durch höhere Zeitspanvolumina und kürzerer Arbeitsgangfolgen erreichen.
Fragen
1. Nennen Sie Beanspruchungsarten an spanende Werkzeuge. 2. Welche Eigenschaften müssen Schneidstoffe besitzen? 3. Bei welchen spanenden Bearbeitungsverfahren werden besondere Anforderun-
gen an die mechanische und thermische Wechselbeständigkeit des Schneid-stoffs gestellt?
4. Welchen Effekt hat die Einlagerung von Hartstoffen in die Schneidstoffmatrix? 5. Welche vier Hartstoffklassen sind Ihnen bekannt? 6. Nennen Sie zu allen Hartstoffklassen je ein Beispiel. 7. Nennen Sie mindestens fünf unterschiedliche Schneidstoffe und ordnen Sie
diese nach ihrer Verschleißfestigkeit. 8. Welchen Kohlenstoffgehalt besitzen unlegierte Werkzeugstähle? 9. Welche Hauptlegierungselemente bewirken eine Karbidbildung?10. Welche Bedeutung hat die Bezeichnung HS10-4-3-10 ?11. Was bedeutet die Bezeichnung HSS, und für welche Werkzeuge wird dieser
Schneidstoff bevorzugt eingesetzt?12. Wie werden Hartmetalle hergestellt, und aus welchen Hauptphasen setzen sie
sich zusammen?13. Weshalb werden Werkzeuge beschichtet, und welche Probleme treten hier auf?
In welchen Bereichen liegt die aufgebrachte Schichtdicke?14. Erklären Sie den Unterschied zwischen PVD-, CVD- und PACVD- Verfahren.15. Was verspricht man sich von TiC-beschichteten Hartmetallen?16. Was sind Cermets?17. Wodurch unterscheiden sich Cermets von WC-haltigen Hartmetallen? Wo sind
die Anwendungsgebiete?18. Welche Vor- und Nachteile haben Wendeschneidplatten aus Keramik?19. Welcher wesentliche Unterschied besteht zwischen Hartmetall und Schneidke-
ramik hinsichtlich der Zusammensetzung? Welche Schneidkeramiksorten sind Ihnen bekannt?
20. Was verstehen Sie unter Umwandlungsverstärkung bei Schneid- keramik?21. Was ist PKB und welche Eigenschaften hat dieser Schneidstoff?22. Welche Arten von PKB gibt es, wie unterscheiden sie sich?23. Beschreiben Sie den Prozess zur Herstellung von PKD.24. Was ist das Verstärkungsprinzip der Belt-Presse?
Fragen
198
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Literatur
201
9.1 Definition
Das Spanen mit hohen Geschwindigkeiten hat in den letzten Jahren starke Verbrei-tung gefunden, nachdem die technischen Vorraussetzungen durch Schneidstoffe, Arbeitsspindeln, Vorschubantriebe und Steuerungen gegeben waren. Der Begriff „Hochgeschwindigkeitsspanen“ oder „HSC“ wird in diesem Zusammenhang ver-wendet, ohne dass eine eindeutige auf physikalischen Grundlagen beruhende De-finition existiert. „Hochgeschwindigkeit“ oder „Hochleistung“ sind unbestimmte nach oben offene Bezeichnungen. Es hat nicht an Definitionsansätzen gefehlt, die bis in die 30er Jahre zurückgehen (Abb. 9.1).
Salomon [SAL31] glaubte einen grundsätzlichen Wechsel der Spanbildungs-mechanismen bei sehr hohen Geschwindigkeiten entdeckt zu haben. Er verwies in einem Patent darauf, dass in diesem Geschwindigkeitsbereich die Beanspruchung und der Verschleiß der Werkzeuge stark gemindert seien. Icks [ICK81] machte das Hochgeschwindigkeitsspanen vom Bearbeitungsprozess abhängig. Schulz [SCH94] definierte Hochgeschwindigkeitsbereiche, die je nach Werkstoff sehr unterschied-lich anzusetzen sind. Ben Amor [TÖN05, BEN03] gelang es erstmalig, eine analy-tisch begründete Definition aufgrund experimenteller Kraft- und Leistungsbestim-mungen zu entwickeln.
Es wurde beobachtet, dass sich für praktisch alle metallischen Werkstoffe ein typischer Kraftverlauf in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit ergibt (Abb. 9.2).
Danach verlaufen Schnitt- und Vorschubkraft asymptotisch gegen einen kons-tanten Wert, der im Falle der Schnittkraft mit Fc∞ bezeichnet wird. Ben Amor konnte zeigen, dass sich der variable Schnittkraftanteil gut mit einer exponentiellen Ab-klingfunktion beschreiben lässt.
(9.1)
Dazu wurde eine Grenzgeschwindigkeit vHG eingeführt. vHG ist offenbar nach Gl. (9.1) die Geschwindigkeit, bei der der variable Teil der Schnittkraft um 86,5 %
Fc(vc) = Fc∞ + Fcvar e(
−2vcvHG
)
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 9Hochgeschwindigkeitsspanen
202
abgefallen ist (Exponent –2). Eine analytisch plausible Darstellung wird über die Leistungsanteile erreicht (Abb. 9.3).
Nach Abb. 9.3 gibt es eine Schnittgeschwindigkeit, bei der die Funktion der variablen Leistung Pc var einen Wendepunkt besitzt und damit die Veränderung von Pc var über vc ein Minimum annimmt. Diese Schnittgeschwindigkeit vHG wird als Grenzgeschwindigkeit bezeichnet. Sie gibt definitionsgemäß nach Ben Amor [BEN03] den Beginn des Hochgeschwindigkeitsspanens an. Diese Grenzgeschwin-
Abb. 9.1 Definitionen der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung
Tönshoff, 1998deutliche Überschreitungder konventionellenSchnittgeschwindigkeit
Reich, 1997wesentliche Senkung derFertigungskosten bei deutlicherSteigerung von Vorschub-oder Schnittgeschwindigkeit
Schneider, 1996feste Unterteilung in dreiGeschwindigkeitsbereiche:- konv. Bereich: 0 bis 500 m/min- HG-Zerspanung: 500 bis 10 000 m/min- Ultraschnellzerspanung: über 10 000 m/min
Schulz, 1994Zuweisung einerHochgeschwindigkeitfür einzelne Werkstoffe
1925 2000
die ersten Versuche
Icks, 1981abhängig vomBearbeitungsprozesszwischen 1000 und10 000 m/min
Salomon, 1931HG-BearbeitungPatent für Schnitt-geschwindigkeitenüber 720 m/min
Abb. 9.2 Schnittkraftcharakteristik in Abhängigkeit der Schnittgeschwindigkeit
1200
800
600
400
200
500 1000 1500 2000 2500 3500m/min0
0
N
Krä
fte F
c, F
f
Schnittgeschwindigkeit vc
Schnittkraft FcVorschubkraft Ff
Näherungsfunktion:–2vc
vHGFc (vc)= Fc∞+ Fcvar e
Wiederholungen: 5absolute maximaleStandardabweichung : 23,44 N
reletive maximaleStandardabweichung : 2,33 %
f ⊗vC
vHG
Verfahren:Orthogonal-Einstechdrehen
Werkstofff:Spannungsbreite:Vorchub:KSS:
Ck 45 Nb = 3 mmf = 0,1 mmtrocken
Schneidstoff:HC P30–P40Beschichtung: Ti(C,N)AI2O3
WerkzeuggeometrieSNGN 120412
Fase αeff γeff εr κ
– 6° –6° 90° 0°
9 Hochgeschwindigkeitsspanen
203
digkeit lässt sich in guter Weise mit der Zugfestigkeit vieler bedeutsamer metalli-scher Werkstoffe korrelieren (Abb. 9.4).
Die Näherungsfunktion
(9.2)
mit vHG [m/min] und Rm [MPa] gibt mit einem hohen Bestimmtheitsmaß (R = 0,984) die Abhängigkeit von der Festigkeit wieder. Von den untersuchten Werkstoffen bil-
vHG = 3.360 × e− Rm400
Abb. 9.3 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Leistungsüberhöhung
Schnittgeschwindigkeit vc
Var
iabl
er L
eist
ungs
ante
il P
c var
0
167
333500
667
833
10001167
Watt
1500
0 m/min
Pcvar
dPcvar/dvc –1,67
– 0,830
0,83
1,672,5
3,33
4,17
55,83
vtrans
vHG
Maximum
Wende-punkt
Beispielrechnungfür Ck45W1
Pc(vc) = vcFc∞ + vcFcvare–2vcvHG
vHGPcvar = vc Fvar e
–2vc
Pc
vc
vc Fc∞
Pcvar
P
2
11
2
7.5
N
–167
–3331000 2000 4000
⇒
( (
( (
Ers
te A
blei
tung
dp c
var/d
v c
Abb. 9.4 Grenzgeschwindigkeit und Zugfestigkeit
Gre
nzge
schw
indi
gkei
t vH
G
3000
2000
1500
1000
500
200 400 600 800 1000 14000
0
m/min
MPa
Zugfestigkeit Rm
AIMgSi1
AIMgSi1-1
AIMg1SiCu
CuZn37
Ck45W3Ck45W2
Ck45W1
Ck45N
Ck45V5GGG-70
GGV-550
GG-25 C15
AZ91D
Näherungsfunktionnach der Methode derkleinsten Quadrate
vHG = 33601 e [m/min]
–Rm
400
Bestimmtheitsmaß
R = 0,9837
Gusswerkstoffe, AZ91Dund CuZn37 in derNäherungsfunktionnicht berücksichtigt
Inconel 718
TiAl4V6
2
9.1 Definition
204
den lediglich einige Gusseisenwerkstoffe, Messing CuZn 37 und die Magnesium-legierung AZ91D eine Ausnahme.
9.2 Spanbildung
Beim Spanen mit hohen Geschwindigkeiten kommt es zu deutlicher Veränderung der Spanbildung. Sichtbare oder messbare Phänomene sind:
• der Abfall der Schnittkraft und der übrigen Zerspankraftkomponenten bei allen bisher untersuchten duktilen metallischen Werkstoffen,
• eine Vergrößerung des Scherwinkels und damit eine Minderung der Spanstauchung,• eine deutliche Segmentierung des Spanes und eine Konzentration von plasti-
schen Formänderungen in Scherlokalisierungen, wobei dies allerdings stark werkstoffabhängig ist,
• eine instabile Entstehung von stark konzentrierten Scherbändern, abhängig vom Werkstoff und Gefügezustand.
Der ausgeprägte Schnittkraftabfall ist durchgängig zu beobachten, solange es nicht zur spröden Reißspanbildung kommt. Bäker [BÄK03] hat mögliche Ursachen ge-nannt, wie sie unterschiedlich auch in der Literatur vorgeschlagen werden. Er kann durch geschickte Simulation schlüssig erklären, dass nicht die Segmentierung oder eine Veränderung des Reibwertes dieses Phänomen deuten können, sondern dass ein Formänderungsgeschwindigkeit abhängiger, adiabater Abfall der Formände-rungsfestigkeit [ELM05] die experimentellen Beobachtungen vollständig erklären kann. Daraus folgt ein Wachsen des Scherwinkels, wie z. B. für Kohlenstoffstahl Ck45N in Abb. 9.5 zu erkennen ist.
Abb. 9.5 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf den Scherwinkel
1: Hochgeschwindigkeits-kamera
2: SchnittunterbrechungIWF-Braunschweig
4: SchnittunterbrechungIFW-Hannover
3: Spanstauchung
experimentelle Ermittlungvon Φ nur mit ∆Φ = ± 3°möglich
Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen
Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub
: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 2/3 mm
: f = 0,2 mmBeschichtungKSS : trocken
Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr
– 6° –6° 90° 0°
Sch
erw
inke
l φ
45
35
30
25
20
15
10
5
00 500 1000 1500 2000 2500 3000 4000m/min
°
Schnittgeschwindigkeits vc
1
2
3
4
κ
9 Hochgeschwindigkeitsspanen
205
Davon unabhängig tritt bei Metallen ausreichend hoher Festigkeit eine typische Segmentspanbildung auf. Bei Titanlegierungen ist dies bereits bei allen, auch sehr geringen Schnittgeschwindigkeiten zu beobachten. Bei duktilen Stählen höherer Festigkeit zeigen sich Segmentspäne erst bei höheren Geschwindigkeiten; bei aus-gesprochen weichen Stählen sind keine Segmentspäne festzustellen. Scherbänder lassen sich in metallographischen Schliffen (Abb. 9.6) und in Mikrohärtemessun-gen (Abb. 9.7) nachweisen.
Abb. 9.6 Spanbildung bei hohen Vorschüben
Spanstauchung:
Scherbandbreite:
Spandicke:
Gleitwinkel:
Schergeschwindigkeit:
Segmentierungsfrequenz:
vc = 300 m/min vc = 3000 m/minλ = 2,1 λ = 1,5
h' = 0,63 mm h' = 0,448 mmφspan = 33° φspan = 43°
s = 21 µm s = 10 µm
γ = 22 103 s–1.γ = 64 105 s–1.
fs = 6,87 kHz fs = 100 kHz
Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen
Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub
: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 3 mm
: f = 0,3 mmBeschichtungKSS : trocken
Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr κ
– 6° –6° 90° 0°
φspanh'
s
200 µm
9.2 Spanbildung
Ultr
amik
rohä
rte
HV
400
300
250
200
50 100 150 200 300
HV
00 µm
Abstand vom Scherband xSB
vc = 4000 m/min
vc = 300 m/min
vc = 3000 m/min
F = 0,05 N
Scherbandbreite
Härte desAusgangsgefüges
Messbedingungen:Kraft:Belastungszeit:Härtemessungen im Ferrit
Messebene
F = 0,015 Nt = 120 s
XSB
WZ
Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen
Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub
: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 3 mm
: f = 0,3 mmBeschichtungKSS : trocken
Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr κ
– 6° –6° 90° 0°
Abb. 9.7 Mikrohärteverlauf im Segmentbereich
206
Abbildung 9.8 gibt ein Modell wieder, das Stauch- und Scherphasen bei der Span-bildung unterscheidet. Diese Phasen wechseln annähernd periodisch miteinander ab. Solche Periodizitäten bilden sich auch auf der Werkstückoberfläche ab, was zugleich periodische Kraftverläufe zwischen Werkstück und Werkzeug bedeutet.
9.3 Anwendung
Nach bisherigen experimentellen Befunden ist das Hochgeschwindigkeitsspanen nicht grundsätzlich unterschiedlich vom Spanen in konventionellen Geschwindig-keitsbereichen. Gleichwohl lassen sich durch Einführung des Hochgeschwindigkeits-spanens einige Effekte nutzen, die für die praktische Anwendung interessant sind.
Mit höheren Schnittgeschwindigkeiten steigt zunächst das Zeitspanvolumen bei allen spanenden Prozessen, wenn der Spanungsquerschnitt unverändert bleibt. Dies kann vor allem dort genutzt werden, wo mit rotierenden Werkzeugen gearbei-tet wird. Bei Prozessen und Maschinen, bei denen das Werkstück rotiert und mit Schnittgeschwindigkeit bewegt wird, ergeben sich dagegen meist Grenzen aus der Spanntechnik; denn die Fliehkräfte, die die Spannbacken nach außen drücken, wirken den Spannkräften entgegen und mindern sie mit dem Quadrat der Dreh-zahl. Hinzu kommt, dass bei schwereren Werkstücken und Spannvorrichtungen die Hochlauf- und Bremszeiten, ebenfalls mit dem Quadrat der Drehzahl wachsend, so lang werden können, dass damit die Nebenzeiten die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Spanstauchung bei rotierenden Werkstücken ist somit begrenzt durch
• Beeinflussung der Werkstückspannung mit 2. Ordnung der Drehzahl• notwendige Verstärkung der Sicherheitseinrichtungen gegen Lösen rotierender
Elemente
Abb. 9.8 Werkstoffverformung während der Bildung eines Segments
Stauchphase Scherphaseüb
erS
chni
ttunt
erbr
echu
ng
WZ WZ
Phase I Phase II
sche
mat
isch
eA
bbild
ung
Kontaktherstellung Stauchung und Scherungdes Werkstoffes
fortgeschrittene Stauchungund Einsetzen der Scherung
Abschereneines Segmentes
1 2 3 4
9 Hochgeschwindigkeitsspanen
207
• Erhöhung der Nebenzeiten für das Anlaufen und Abbremsen von Werkstück, Spannvorrichtung und Spindel.
Diese Nachteile wirken sich beim Spanen mit rotierenden Werkzeugen weniger oder gar nicht aus. In der Regel sind die rotierenden Massen bzw. die Massen-trägheitsmomente wesentlich geringer, so dass Anlauf- und Bremsvorgänge sich weniger nebenzeitverlängernd auswirken, wenngleich der Effekt nicht vernach-lässigt werden kann; denn das Zeitspanvolumen wächst mit der ersten und die Hochlauf-/Bremszeit mit der zweiten Ordnung der Drehzahl bzw. der Geschwin-digkeit. Auch für das Spannen der Werkzeuge unter Hochgeschwindigkeitsbedin-gungen sind besondere Vorkehrungen, wie das Spannen über Hohlschaftkegel, zu beachten.
Vorteilhaft wirkt sich beim Spanen mit hohen Geschwindigkeiten aus, dass die Schnitt- und Vorschubkräfte deutlich sinken. Filigrane Bauteile mit geringen Wand-stärken lassen sich dadurch mit geringeren elastischen Verformungen als Folge der Zerspankraftkomponenten bearbeiten (Beispiel: Bauteile für den Flugzeugbau). Allerdings ist für Schlichtoperationen, für die dieser Effekt allein interessant ist, die Wirkung einer Minimierung des Spanungsquerschnittes stärker; es gilt nämlich vereinfacht (s.a. Abschn. 4)
(9.3)
kc,f,p: spez. Energie für Schnitt-, Vorschub- und PassivrichtungA: Spanungsquerschnittkc,f,p sinkt mit e− 2vc
vHG während Ac proportional in Gl. 9.3 eingeht.
Mit der Schnittgeschwindigkeit nimmt die in der Spanbildungszone umgesetzte Leistung zu – wenn auch wegen der fallenden Schnittkraft unterproportional. Die an den Kontaktflächen (Index für die Freifläche und Index für die Spanfläche) umgesetzten Leistungen ergeben sich mit den Tangentialkräften FT und FT zu
(9.4)
Entsprechend steigen die Temperaturen in den Kontaktflächen und damit im Schneidkeil. Dabei ist zu beachten, dass für die Wärmebilanz im Hinblick auf das Werkzeug die Energie je Zeiteinheit, d.h. die Leistung, maßgebend ist; denn der Schneidkeil ist dauernd oder über längere Zeitabschnitte im Eingriff. Anders verhält es sich mit der Wärmebilanz im Hinblick auf den Werkstoff, z. B. für die Randzo-nenbeeinflussung der neu entstandenen Oberfläche, oder die mittlere Temperatur in der Spanbildungszone. Hier kommt es auf die Energie je Volumeneinheit an.
Durch die mit der Schnittgeschwindigkeit zunehmenden Temperaturen in den Kontaktflächen und im Schneidkeil entsteht eine starke Zunahme des thermischen Verschleißes. Dadurch kommt es beim Spanen von Eisenwerkstoffen und anderen Werkstoffen höherer Festigkeit zu wirtschaftlicher Begrenzung der Geschwindig-keitssteigerung. Nur bei Werkstoffen mit vergleichsweise niedriger Schmelztempe-
Fc,f,p = kc,f,p · A
Pγ =1
λFTγ vc und Pα = FTαvc.
9.3 Anwendung
208
ratur, wie Aluminium- und Magnesiumlegierungen, bleibt die thermische Belastung des Schneidkeils unkritisch. Schnittgeschwindigkeiten von mehr als 3000 m/min sind durchaus erreichbar.
Allerdings im unterbrochenen Schnitt, wie zum Beispiel beim Fräsen, kommt es häufig nicht zu so hohen mittleren Temperaturen im Werkzeug, dass unwirt-schaftliche Standzeiten entstehen. Daher wird das Hochgeschwindigkeitsfräsen mit gutem Erfolg auch bei der Bearbeitung von Gehäusen aus Stahl- und Gusseisen-werkstoffen oder im Werkzeug- und Formenbau für die Bearbeitung von Stählen und Gusseisen eingesetzt. Für Schlichtoperationen kann man sich dabei zu Nutze machen, dass nicht die gesamte Schnittgeschwindigkeitssteigerung zur Erhöhung des Zeitspanvolumens genutzt wird, sondern auch ein zu optimierender Teil in die Verringerung der Spanungsdicke Verwendung findet. Damit lassen sich hohe Ober-flächengüten erzeugen, was besonders im Werkzeug- und Formenbau oder beim Zirkularfräsen von Bohrungen größeren Durchmessers genutzt werden kann. Im Werkzeug- und Formenbau lässt sich damit erreichen, dass der Anteil der manuellen Bankarbeit zum Schlichten und Feinschlichten gefräster Oberflächen wesentlich verringert werden kann und sich zugleich die Maß- und Formgenauigkeit deutlich erhöhen lässt. Beim Zirkularfräsen von Bohrungen im Bereich von IT 7 und IT 6 ist von Vorteil, dass dort maßunabhängige Werkzeuge eingesetzt werden können. Wenn eine Bohrung durch konventionelle Bohrtechnik erzeugt werden soll, so muss ein maßgebundenes Werkzeug eingesetzt werden. Beim Zirkularfräsen kann man dagegen einen größeren Durchmesserbereich mit gleichem Werkzeug überstrei-chen. Damit entfallen Werkzeugaufwendungen und Nebenzeiten für das Umspan-nen der Werkzeuge.
9.4 Hochleistungszerspanung
Grenzen für einen Zerspanprozess können neben der Schnittgeschwindigkeit auch das Drehmoment und die Leistung sein. Dem folgend wurde in neuerer Zeit der Begriff der Hochleistungszerspanung entwickelt [AND02]. Die Hochleistungszer-spanung beruht auf vier Verfahrensgrenzen,
• der maximalen Maschinenleistung• dem maximalen Drehmoment und der maximalen Vorschubkraft• der maximalen Werkzeugbelastung und• der maximalen Vorschubgeschwindigkeit, die aufgrund der Antriebe und Steue-
rung erreicht werden kann.
Am Beispiel der Leistungsgrenzen und der Zerspanung einer Aluminiumlegierung, wie sie im Flugzeugbau verwendet wird, sind die Abhängigkeiten in Abb. 9.9 dar-gestellt. Mit steigender Schnittgeschwindigkeit und damit steigender Drehzahl der Spindel nehmen die Leistungsverluste im Leerlauf zu. Es steht also bei hohen Geschwindigkeiten weniger Leistung an der Arbeitsspindel zur Verfügung. Dem
9 Hochgeschwindigkeitsspanen
209
wirkt entgegen, dass die spezifische Energie, die zum Spanen aufgebracht werden muss, mit der Geschwindigkeit abfällt, allerdings in einem asymptotischen Verlauf (s. vorn). Schließlich ist zu beachten, dass bei gegebener Leistungsgrenzen durch Verringerung der Spanungsdicke, die spezifische Energie ebenfalls zunimmt. Diese Einflüsse führen dazu, dass es ein Optimum in dem je kW erreichbaren Zeitspan-volumen gibt, wie theoretisch und experimentell nachgewiesen wurde [AND02]. Dieses Optimum ist allerdings von den Randbedingungen der Maschine, des Werk-zeugs und des Werkstoffs abhängig.
9.5 Hochleistungsbohren
Auch beim Bohren kann das Zeitspanvolumen über eine Steigerung der Schnittge-schwindigkeit nicht beliebig gesteigert werden. Dafür sind neben technologischen Gründen die begrenzten Beschleunigungsvermögen des Spindel- und des Vor-schubantriebes maßgebend [AND02]. Abbildung 9.10 zeigt aus den für eine Hoch-geschwindigkeitsfräsmaschine angegebenen Grenzen für die Beschleunigung und den Ruck die erreichbaren Vorschubgeschwindigkeiten (linkes Teilbild). Gemessen wurden die im rechen Bildteil erreichten mittleren Geschwindigkeiten und Bohr-zeiten bei einem gegebenen Bohrweg. Es folgt also auch hier, dass je nach den gegebenen Bedingungen die Drehzahl optimiert werden kann (Abb. 9.11.). Dabei kann die Spindelhochlaufzeit einen erheblichen Anteil an der Bohrzeit haben. Folg-lich muss auch die Zahl der Bohrungen, die ohne Spindelstop erzeugt werden muss, berücksichtigt werden.
Abb. 9.9 Leistungsbedarf in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit
Leis
tung
P
Leerlaufleistung PL
Schnitt-leistung Pc sp
ez. Z
ersp
anvo
lum
en q
z, q
zP spez. Zerspanvolumenqz = Qw / Pc
spez. ZerspanvolumenqzP = Qw / P
Schnittgeschwindigkeit vc Schnittgeschwindigkeit vc
25
15
10
5
00 1500 15003000 30006000 6000m/min m/min
kW
00
150
90
60
30
cmmin kW
Maschine : Makino A77Material : AIZn6MgCu1,5Werkzueg: Messerkopf
D = 100 mm,κ = 90°, z = 5
Prozeß : fz = 0,1 mm, ap = 5 mm, ae = 20 mm, vc = var.
KSS : trocken
3
Spindelleistung P
9.5 Hochleistungsbohren
210
Fragen
1. Welche Entwicklungen bei Werkzeugmaschinen und Schneidstoffen ermög-lichten das Hochgeschwidigkeitsspanen (HSC)?
2. Erläutern Sie die Definition des Hochgeschwindigkeitsspanens nach Ben Amor. Können Sie darin eine physikalisch/metallurgische Begründung finden?
3. Wie verändert sich die Spanbildung bei hohen Schnittgeschwindigkeiten?
Abb. 9.10 Geschwindigkeitsverläufe beim Bohren
Ist-
Vor
schu
bges
chw
indi
gkei
t20
20
10
10 15
5
50
0
mmin
mm 30
Bohrweg IB
programmierte vf = 15 m/min
programmierte vf = 4 m/min
programmiertevf = 8 m/min
Boh
rzei
t t (
ohne
Rüc
kzug
)
0,5
00
0
10
5
20
0,25
1,0
s
4 8 1612 20
mmin
Bohrtiefe tB = 30 mm
Geschwindigkeit vm
mitt
lere
Ges
chw
indi
gkei
t vm
programmierte Geschwindigkeit vf
vf = 15 m/min
vf = 4 m/minBeschleunigung/Verzögerung
30 mm
Maschine : Makino A88Geschwindigkeit : vx,y,z = 50 m/min
Beschleunigung : ax,y,z = 5 m/s2
Ruck : áx,y,z = 70 m/s3
Bohrzeit t
Abb. 9.11 Bestimmung der optimalen Drehzahl beim Bohren
Einzelbohrung
Spindelhochlaufzeit
Spi
ndel
hoch
lauf
zeit
1,0 16 40
20
10
8
4
0 00
0,5
0,25
00 5000 500010000 1000020000 200001/min 1/min
Boh
rzei
t t (
ohne
Rüc
kzug
)
Boh
rzei
t t in
cl. H
ochl
lauf
zeit
Bauteil
zB = 40
zB = 20
zB = 5 nopt
Maschine : Makino A88Geschwindigkeit : vx,y,z = 50 m/minBeschleunigung : ax,y,z = 5 m/s2
Ruck : ax,y,z = 70 m/s3
Bohrtiefe tB = 30 mmf = 0,8 mm
zB = 5 – 40
VorschubAnzahl Bohrungeneines Durchmesserspro Bauteil
s s s
zB = 10
Bohrzeit t
9 Hochgeschwindigkeitsspanen
211
4. Was sind Scherbänder? 5. Diskutieren Sie die thermischen Verhältnisse in der Spanbildungszone in ihrer
Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit. 6. Warum ist HSC für eine Drehbearbeitung weniger interessant? 7. Erläutern Sie den Begriff der Hochleistungszerspanung (HPC) anhand von
Verfahrensgrenzen. 8. Welche wirtschaftlichen Grenzen sehen Sie beim Hochleistungsbohren? 9. Welche Vorteile bietet das Zirkularfräsen?10. Nennen Sie typische Schnittgeschwindigkeiten im HSC-Bereich für AlMgSi 1,
Sk 45 N, Inconel und TiAl 4 V 6.11. Versuchen Sie eine tribologische und/oder physikalische Erklärung für die star-
ken Unterschiede der Schnittgeschwindigkeiten zu geben.
Literatur
[AND02] Andrae, P.: Hochleistungszerspanung von Aluminiumlegierungen. . Dr.– Ing. Diss. Uni-versität Hannover 2002
[BÄK03] Bäker, M.: An investigation of the chip segmentation process using finite elements; to appear in: Technische Mechanik 23, 2003
[BEN03] BenAmor, R.: Thermomechanische Wirkmechanismen und Spanbildung bei der Hoch-geschwindigkeitszerspanung. Dr.–Ing. Diss. Universität Hannover 2003
[ELM05] El Magd, E.; Treppmann, C. et al.: Experimentelle und numerische Untersuchungen zum thermo-mechanischen Stoffverhalten. In [TÖH05, S. 183–206]
[ICK81] Icks, G.: Maschinenseitige Grenzen des Hochgeschwindigkeitsdrehens, Dissertation, Stuttgart 1981
[SAL31] Salomon,C.: Deutsches Patent Nr. 523594, April 1931[SCH94] Schulz, H.: Hochgeschwindigkeits-Bearbeitung – Technologie mit Zukunft; Werkstatt
und Betrieb 127(1994)7-8, S. 539–541[TÖD05] Tönshoff, H.K., Denkena, B., et al.: Spanbildung und Temperaturen beim Spanen mit
hohen Geschwindigkeiten. In [TÖH05, S. 1–40][TÖH05] Tönshoff, H.K., Hollmann, F., Hrsg.: Hochgeschwindigkeitsspanen, Wiley-VCH Verlag
2005
Literatur
213
Spanen von gehärteten Eisenwerkstoffen und von Hartstoffschichten mit Härten oberhalb 47 HRC wird als Hartbearbeitung (genauer: Hartbearbeitung mit geome-trisch bestimmter Schneide) bezeichnet. Diese harten Werkstoffe wurden – abge-sehen von Reparaturfällen – bis zum Aufkommen dieser Technologie ausschließ-lich durch Schleifen bearbeitet und in ihre Endform gebracht [TÖN81, TÖN86]. Durch die Entwicklung von Schneidstoffen hoher Härte und Warmfestigkeit sind das Hartdrehen, das Hartfräsen und das Hartbohren, auf die hier eingegangen wird, und auch das Harträumen, Hartschaben und Hartreiben möglich und wirtschaftlich geworden. Tabelle 10.1 gibt eine Übersicht über Bedingungen wieder, unter denen diese Prozesse geführt werden können.
In vielen Bereichen des Maschinen-, Fahrzeug- und Gerätebaus werden Βauteile höheren Kraft- und Leistungsdichten ausgesetzt. Sie müssen daher fester, härter und verschleißfester sein. Wo früher Werkstoffe und insbesondere Stähle mit nur mäßi-gen Festigkeiten ausreichten, werden jetzt zunehmend hochvergütete oder gehärtete Werkstoffe eingesetzt. Für eine Vielzahl von Bauteilen lässt sich durch die Verfah-ren der Hartbearbeitung neben dem Schleifen das Spektrum der Vor- und Fertig-bearbeitungsprozesse erweitern [KLB05]. Neben den Festigkeiten und Härten sind bei hochbeanspruchten Bauteilen zugleich die Qualitätsanforderungen erheblich gewachsen. Diese Anforderungen müssen demnach auch durch die Hartbearbei-tung mit geometrisch bestimmten Schneiden erfüllt werden [KAN04] (Abb. 10.1).
10.1 Hartdrehen
Beim Drehen ist die Schneide meist ununterbrochen im Eingriff. Die in der Spanbil-dungszone beim Hartdrehen umgesetzte Energiedichte ist hoch, was zu einer hohen thermischen Belastung des Schneidkeils führt [SCH99]. Daher müssen Schnitt-geschwindigkeiten mit Rücksicht auf den Werkzeugverschleiß begrenzt werden (Tab. 10.1). Schneidkeramiken (Mischkeramiken aus Al2O3 und TiC) werden bei 150 m/min und polykristallines Bornitrid (PKB) bis 220 m/min bei geringerem Här-teniveau auch höher eingesetzt. Übliche Schnitttiefen liegen im Bereich ap = 0,05
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 10Hartbearbeitung, Prozessauslegung
214
bis 0,3 mm. Vorschübe bestimmen wesentlich die Oberflächengüte. Je nach An-forderungen an die Rauheit werden f = 0,05 bis 0,2 mm eingestellt. Die Standzeit ist wesentlich von der Härte des Werkstoffes abhängig, wie einer Tendenzdarstel-lung für gehärtete Stahlwerkstoffe in Abb. 10.2 zu entnehmen ist. Dort sind auch
Tab. 10.1 Randbedingungen bei der Hartbearbeitung
Abb. 10.1 Typische Qualitätsanforderungen hartbearbeiteter Bauteile [KAN04]
0,04 A
A
A
A
A
A
0,0062 H
0,03
H
0,0050,007
30,014 0,05
0,0050,025
0,1 B
Ø 4
7,01
7+/-
0,00
8
Ø 5
4,8
17°
Rz 1.6
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
215
die maximalen Schnittgeschwindigkeiten, die sich erreichen lassen, eingetragen. Grundsätzlich lassen sich mit PKB neben gehärteten Stählen harte Gusseisen, Ni-ckel-Basislegierungen und gesinterte und gehärtete Stähle bearbeiten [KLB05]. Abbildung 10.3 zeigt die Abhängigkeit von Standzeit und Schnittgeschwindigkeit in einem Taylordiagramm für den Einsatz von polykristallinem Bornitrid. Aus den atypischen Kurven, vergleicht man sie mit den Geraden bei der Weichzerspanung, ist zu entnehmen, dass ein begrenztes Schnittgeschwindigkeitsfenster eingehalten werden muss.
In Abb. 10.3 wurde neben der Schnittgeschwindigkeit die Härte des Werkstoffes variiert [KOC96]. Man erkennt auch hier einen starken Einfluss der Härte, wobei die martensitische Härte des 100 Cr 6 und die Härte aus Martensit und Karbiden
Abb. 10.2 Einfluss der Härte auf die Standzeit
Sta
ndze
it
Härte
Stahl, gehärtetPCBNVB = 0,1 mm
630
min
400
400
160
160 100
63
25
50 55 60 65HRC
vcmax[m/min]
10.1 Hartdrehen
Abb. 10.3 Verschleißverhalten von PKB
X 38 Cr Mo V 51 (52 HRC)
S 6 - 5 - 2 (65 HRC)
100 Cr 6 (60 - 62 HRC)
80 125 160100 200 250 m/minSchnittgeschwindigkeit vc
400
160
63
25
10
min
Sta
ndze
it
Werkzeug : PCBN, CNMA 120408 - F
Bedingungen : f = 0,05 mm
ap = 0,05 mm
trocken
Kriterium : VB = 0,1 mm
216
beim Schnellarbeitstahl tendenziell ähnlich wirken. Für praktische Belange gilt, dass geringfügiges Absenken der Härtegrade einen deutlichen Gewinn an Standzeit mit sich bringt.
Beim Hartdrehen wird meist mit geringen Vorschüben und vergleichsweise gro-ßen Eckenradien rε der Schneiden gearbeitet. Damit lässt sich die Schneidkanten-belastung in Grenzen halten. Abbildung 10.4 zeigt die Eingriffsverhältnisse beim Hartdrehen, wobei f, ap, rε und rβ maßstabgerecht dargestellt wurden. Man erkennt in der Draufsicht auf die Spanfläche, dass sich der tatsächliche Einstellwinkel ent-lang dem Eingriffsbogen stark verändert und dass der nominelle Einstellwinkel gar nicht zur Wirkung kommt. Um die Lastbedingungen der Schneide zutreffend ab-schätzen zu können, wird ein effektiver Einstellwinkel κeff definiert, der dem halben Kontaktwinkel ψ entspricht. Es ist
(10.1)
Auch in der senkrecht zur Schneide liegenden Keilmessebene sind geometrische Bedingungen gegeben, die von der konventionellen Zerspanung abweichen, wegen der geringen Spanungsdicke, die zudem stark variiert von h = 0 zum Maximalwert hmax = f ⋅ sin 2κeff.
Die Länge des Kontaktbogens lk, das ist der Teil der Schneide, der im Eingriff ist, folgt aus
(10.2)
Aus Abb. 10.4, rechter Bildteil ist erkennbar, dass der tatsächliche Spanwinkel γeff, der von der Bezugsebene (etwa normal zum Schnittgeschwindigkeitsvektor) bis zur
κeff =1
2arccos
(rε − ap
rε
)
lk = 2κeff rε
Abb. 10.4 Eingriffsverhältnisse beim Hartdrehen
WerkzeugDraufsicht
WerkzeugKeilmessebene
Werkstück
Werkstück
h
h(ϕ)f = 0,05 mm
VB
r ε = 0
,8 m
m
ap = 0,1 mm
ψ
ψ
ϕ
γeff
2
rβ
κeff
κeff
lk
=
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
217
variierenden Spanungsdicke gerechnet wird, wegen des Schneidkantenradius rβ in der Regel negativ ist. Es gilt für die arbeitsscharfe Schneide bei h < rβ
(10.3)
Für h ≥ rβ gilt der durch die Spanfläche vorgegebene Spanwinkel, wobei aller-dings meist eine zusätzliche Fase zur Stärkung des Schneidkeils vorgesehen wird. Mit einem vom Halter abhängigen negativen Spanwinkel von z. B. –6° (negative Schneidplatte) und einer zusätzlichen Fase von γn = 20° ergibt sich also ein resultie-render Spanwinkel von γ = –26°.
Als Endbearbeitungsverfahren zielt das Hartdrehen auf die Substitution von Schleifoperationen. In Abb. 10.5 ist ein Praxisbeispiel wiedergegeben, bei dem das Hartdrehen deutlich günstiger ist [BRA95]. Eine Reibscheibe aus Wälzlagerstahl 100 Cr 6 wird an drei Flächen, einem Außenzylinder, einer Planfläche und einem kurzen Innenzylinder feinbearbeitet. Die wirtschaftlichen und ökologischen Vor-teile sind in der Abbildung angegeben.
Allerdings ist ein Vergleich zwischen dem Schleifen und Drehen sehr von der Bearbeitungsaufgabe abhängig und durchaus nicht überwiegend eindeutig. Hinzu kommt, dass unterschiedliche Kriterien an den Prozess angelegt werden können wie Fertigungskosten je Teil, Flexibilität, Bauteilqualität oder ökologische Ver-träglichkeit. Einen Vergleich des Zeitspanvolumens Qw (abgespanntes Volumen je Zeit) und der Zeitspanfläche (spanend erzeugte Fläche je Zeit) zeigt Abb. 10.5. Man erkennt, dass insbesondere für die Zeitspanfläche AW erheblich größere Werte zu Gunsten des Schleifens sprechen. Der Vorteil greift allerdings nur dort, wo gro-ße Flächen zu bearbeiten sind. Von Bedeutung ist auch, dass beim Drehen und all-gemein beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide mit einer Mindestspa-
γeff(ϕ) = arcsinrβ − h(ϕ)
rβ
Abb. 10.5 Wirtschaftliche Fertigung durch Hartdrehen
Fertigungsfolge
Bearbeitungszeit
1)2)3)4)5)6)
1)2)3)
Vorbearbeitung (weich)HärtenPlanschleifen (B)Bohrungsschleifen (C)Außenrundschleifen (A)Schleifen Fase (B1,B2)
Vorbearbeitung (weich)HärtenHartdrehen Komplett
Schleifen Hartdrehen KürzereBearbeitungszeit
VereinfachterArbeitsablauf
GeringereHerstellkosten
Kleinere Losgrößen
Freisetzung vonMaschinenkapazitäten
Vermeidung vonKühlschmierstoffen
Bauteil :Reibscheibe
VergleichSchleifen/Hartdrehen
Vergleichdurch Hartdrehen
4°
FaseB2
B1
Werkstoff :100 Cr 6,60 ... 62 HRC
A
B
C
BearbeiteteFlächen
RRz(Fase)
= 6,3 µm= 3,0 µm
zSchleifen Hartdrehen
Fase
AußenBohrg.
Planfl.
100
%
50
0
25
10.1 Hartdrehen
218
nungsdicke gerechnet werden muss. Das bedeutet, dass nicht mit beliebig geringen Zustellungen oder Schnitttiefen gearbeitet werden kann. Beim Schleifen dagegen kann der Prozess soweit durch „Ausfeuern“ geführt werden, bis die Normalkraft verschwindet. Folglich sind Hartbearbeitungsprozesse dann kaum einsetzbar, wenn lange, schlanke und sehr nachgiebige Werkstücke bearbeitet werden müssen, zu-mal dann meist auch die hohen Zeitspanflächen des Schleifens genutzt werden können (Abb. 10.6).
Ein in vielen Fällen entscheidender Vorteil des Hartdrehens ist die Formflexibili-tät des Verfahrens. Das Werkstück wird gesteuert gefertigt, während beim Schleifen meist im Einstechverfahren oder jedenfalls die Kontur der Schleifscheibe auf das Werkstück abbildend gearbeitet wird. Durch Drehen lassen sich Werkstücke mit einem oder mehreren leicht zu wechselnden Werkzeugen fertigen. Das führt häufig zu einer erheblichen Verkürzung der Prozesskette im Sinne einer Komplettbearbei-tung, zu geringeren Komplexitätskosten und zu geringeren Investitionen.
Unter ökologischem Aspekt werden Stoff- und Energieströme verglichen. Am Beispiel der Fertigung eines Innensonnenrades für ein Reibradgetriebe zeigt Abb. 10.7 die aus der Fertigung von 5.000 Teilen resultierenden Stoffströme für das Schleifen und Hartdrehen. Auf der Grundlage der Aufmaße der Teile ergibt sich eine Masse von 50 kg an Spänen, die pro Jahr anfallen. Der auf den benötig-ten 4 Schleifmaschinen eingesetzte Kühlschmierstoff summiert sich zu rund 8 t pro Jahr, wenn ein halbjährlicher Wechsel zugrunde gelegt wird. Zusätzlich fallen je nach eingesetztem Schleifstoff ca. 20 cm3 Abrieb von den Schleifscheiben aus den Schleifprozessen vom Konditionieren sowie zusätzlich Filtermaterialien an.
Abb. 10.6 Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen
Verfahrensprinzip
Zeitspanvolumen
spez. Zeitspan-volumen
Zeitflächenrate
CharakteristischeParameter
Wertebereich
Schleifen Hartdrehen
f = 0,05 - 0,2 mm
Aw = f · vc
Aw = 5000 - 20000 mm2/s Aw = 125 - 500 mm2/s
Aw = ap · vft,w
ap = 5 - 20 mmap = 0,05 - 0,3 mm
vc = 150 m/minvft,w = 1 m/s
Q'w = 2 · rw · π · vfr
Q'w = 2 - 12 mm3/mms Q'w = 22 - 242 mm3/mms
Qw = ap · f · vcQw = ap · Q'w
dw
vfr
vf
vcbs
ap
ap
nw nw
Qw = 10 - 240 mm3/s Qw = 6 - 150 mm3/s
Q'w =ap · f · vc
lc
313/
2052
3 ©
IFW
abg
eänd
ert f
ür T
ö
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
219
Besonders kritisch ist dabei zu bewerten, dass es beim Einsatz dieser Technologie zu einer Mischung der Stoffströme kommt, so dass in der Regel der gesamte Stoff-strom entsorgt werden muss. Für die anfallenden Späne existieren zwar Technolo-gien, diese bis auf einen Restgehalt von unter 3 % zu trocknen, so dass sie zurück-geführt werden könnten, dies erfordert jedoch einen zusätzlichen Energieaufwand [WOB96].
Für die Hartbearbeitung ergibt sich dem gegenüber ein günstigeres Bild. Da die Bearbeitung trocken durchgeführt werden kann, können die Späne ohne weitere Behandlung in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Die geringen Beimen-gungen an Werkzeug-abrieb sind dabei für das Recycling nicht von Bedeutung. Die eingesetzten Werkzeuge können je nach Schneidstoff entsorgt werden (Kera-mik), oder es besteht die Möglichkeit, sie nach zu bearbeiten (PKB). Damit stellt sich die Bilanz der Stoffströme für die Hartbearbeitung günstiger dar, dies resul-tiert aus den geringeren zur Entsorgung anstehenden Mengen und dem höheren Reinheitsgrad.
Hinsichtlich des Energiebedarfs wurde ein Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen beim Fertigen großer Wälzlagerringe durchgeführt. Gegenüber der konventionellen Fertigungsfolge können beim Hartdrehen direkt aus der Umform-wärme gehärteter Wälzlagerringe, 34 % Primärenergie und 15 % Werkstoff nach einer optimierten Arbeitsvorgangsfolge eingespart werden. Neben dem deutlich ge-ringeren Energieverbrauch ergeben sich weitere Vorteile durch erheblich reduzierte Bearbeitungszeiten und leicht recyclebare Zerspanabfälle [WIN96].
Um in der Feinbearbeitung übliche Toleranzen im Bereich von IT6 und geringer zu erreichen, werden häufig besondere Anforderungen an Hartdrehmaschinen ge-
Abb. 10.7 Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen (Energie- und Stoffströme) (nach H.-G. Wobker)
Aufarbeitung,Recycling
24 kWhHilfsantriebe/
Steuern
42 kWhHilfsantriebe/
Steuern
9 kWhSpanen
49 kWhSpanen
ca. 32 kWh p.a.Energieverbrauch
260 kWh p.a.Energieverbrauch
Vorbear-beitung+Härten
Vorbear-beitung+Härten
Hartbearbeitung Fertigteil
Fertigteil
Werkstoff :100 Cr6,60 - 62 HRC
VerschlisseneWerkzeuge
Späne50 kg/a
Späne, Filter50 kg / a
Einsparpotential 49%d. Bearbeitungszeit tges
Werkzeug-abrieb
Kühlschmierstoff8 t / a
Entsorgung8 t / a
Plan-schleifen
Bohrungs-schleifen
Außenrund-schleifen
Fasen-schleifen
169 kWhHilfsaggr./Pump.
A
A: Außendurchmesser
B
C
D
B: StirnflächeC: BohrungD: Fase
10
R ≤ 6,3 µmR ≤ 3 µm
(Fase)
ø 8
6,3
10.1 Hartdrehen
220
stellt. Das betrifft die Maß- und Formgenauigkeit, die erreichbare Oberflächengü-te und die von der Maschinensteifigkeit abhängige Mindestspanungsdicke. Neben konventionellen Maschinen, die in statischer und dynamischer Steifigkeit und im Auflösungsvermögen der Wegmesssysteme besonders ausgelegt sind, werden Prä-zisionsdrehmaschinen (auch Hoch-Präzisionsdrehmaschinen genannt) eingesetzt. Diese Maschinen weisen zur Verbesserung des dynamischen und thermischen Ver-haltens ein Maschinenbett aus Granit auf. Auch der Spindelstock kann aus Granit ausgeführt sein. Um thermische Verlagerungen zu verringern, werden Versorgungs-einheiten für Elektrik, Pneumatik und Hydraulik vom Grundaufbau der Maschine, der aus Gestell, Bett und Schlitten mit Antrieben, Lagern und Führungen besteht, getrennt angeordnet.
Abbildung 10.8 zeigt, inwieweit sich durch den Einsatz von Präzisionsdreh-maschinen eine Verbesserung der Oberflächenqualität gegenüber konventionellen Drehmaschinen ergibt. Insbesondere Oberflächengüten in Feinschleif- und Hon-qualität (RZ < 1 µm) lassen sich prozesssicher nur mit Präzisionsdrehmaschinen bei Anwendung von Vorschüben mit f < 0,1 mm erzielen. Dieses Ergebnis ist auf die hydrostatistische Spindellagerung und die damit erzielbare hohe Rundlaufgenau-igkeit kleiner 0,1 µm zurückzuführen, wohingegen bei der konventionellen Dreh-maschine die erzielbare gemittelte Rautiefe von der Spindelrundlaufgenauigkeit im Bereich von ca. 1 µm begrenzt wird. Bei Anwendung höherer Vorschübe überlap-pen sich jedoch dann die Gütebereiche für beide Maschinentypen deutlich, da der Einfluss der vom Vorschub und Schneideckenradius abhängigen theoretischen Rau-heit überwiegt.
Abb. 10.8 Vergleich der Oberflächengüte beim Einsatz einer konventionellen und einer Präzisionsdrehmaschine
vc
ap
Gem
ittel
te R
auht
iefe
Rz
0
0,5
1,0
00 0,040,04 0,080,08 mmmm 0,160,16
1,5
2,0
2,5
µm
3,5
Vorschub f Vorschub f
Werkstoff: Schneidstoff: PKBDNMA 150608, VBc ≤ 100 µm
100Cr660...62 HRC
= 150 m/min= 0,05 mm
PräzisionsdrehmaschineKonv. Drehmaschine
Spindel:
Schlitten x, z:
Spindel:
Schlitten x, z:
Hydrostatische LagerungRundlaufgen. 0,1 µmHydrostatische Lagerung
WälzlagerungRundlaufgen. 1 µmGleitführung
Feinschleif- /Honqualität
Streubereich 2σ
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
221
10.2 Hartbohren
Überwiegend müssen in Drehteile auch Bohrungen eingebracht werden. Unabhän-gig davon, ob harte Werkstücke durch Schleifen oder Drehen/Fräsen gefertigt wer-den, müssen solche Teile durch Hartbohren bearbeitet werden. Für einsatzgehärtete Werkstücke, also Teile mit einer 0,5 mm bis 1,5 mm starken harten Schicht und zä-hem Grundmaterial ergibt sich häufig noch die zusätzliche Schwierigkeit im harten und im weichen Gefüge bohren zu müssen.
Abbildung 10.9 zeigt, dass auch beim Bohren ein begrenztes Prozessfenster ein-gehalten werden sollte [SPI95]. Grundsätzlich werden Vollhartmetallbohrer einge-setzt. Dabei haben sich Feinkornhartmetalle besonders bewährt. Erst bei großen Bohrungsdurchmessern werden Aufbohrwerkzeuge mit Schneidplatten verwendet. Dabei haben sich mit Titannitrid beschichtete Werkzeuge eingeführt. Sie bieten neben einer Verschleißminderung den Vorteil, die Reibung zwischen Bohrer und Bohrungswand und zwischen Span und Spannut herabzusetzen. Unter Schlichtbe-dingungen lassen sich durch Hartbohren mit Vollhartmetallbohrern Maßgenauig-keiten im Bereich IT7 bei IT9 und Oberflächengüten von RZ = 2 µm bis 4 µm, in Sonderfällen auch RZ = 1 µm, erreichen. Gerade bei einsatzgehärteten Bauteilen lässt sich durch Hartbohren die Fertigungsfolge erheblich verkürzen. Besonders in-teressant ist, dass die gesplittete Wärmebehandlung (Aufkohlen und Härten) bzw. das notwendige Abdecken beim Einsetzen entfallen können (Abb. 10.10).
Die Möglichkeiten der Wärmeabfuhr sind beim Hartbohren besonders ungüns-tig; denn zum einen entsteht wegen der Härte und Festigkeit eine hohe Leistungs-dichte vor den Schneiden und zum anderen ist die Wärmeabfuhr aus dem Bohrer behindert. Daher heizt er sich während eines Bohrvorgangs stark auf, dehnt sich
Abb. 10.9 Standzeiten beim Hartbohren in Abhängigkeit von den Schnittparametern
160
min
63
40
25
16
10
6,3
4
2,5
1,6
1,0
Sta
ndze
it T
0,01 0,025 0,063 mm
Vorschub f
25 40 63 100 160 m/min
Schnittgeschwindigkeit vc
vc = 50 m/min f = 0,02 mm
Feinstkorn-hartmetall K 40F
rβ ≈ 10 µm
konventionellesHartmetall P 40
rβ ≥ 25 µm
Werkstoff:100 Cr 6, 60 HRCWerkzeug:VHM-Bohrerd = 6 mm
10.2 Hartbohren
222
dabei aus und kann durch Wandreibung zusätzlich erwärmt werden und klemmen. Daher hat es sich bewährt, das Bohrwerkzeug schwach konisch mit Verjüngung zum Schaft hin auszuführen [SPI95].
10.3 Hartfräsen
Das Hartfräsen wird im Maschinenbau und im Werkzeugbau eingesetzt. Die Fein-bearbeitung von Gleitführungsflächen für Werkzeugmaschinen erfordert aufwen-dige Führungsbahnenschleifmaschinen, die wegen ihres großen Arbeitsraumes er-hebliche Investitionen darstellen. Daher ist eine Substitution des Schleifens durch Fräsen interessant. Eine Alternative ist der Aufbau von gehärteten Leisten auf ein Maschinenbett aus weichem Gusseisen oder Stahl. Aber auch derartige Leisten müssen im gehärteten Zustand feinbearbeitet werden.
Abbildung 10.11 zeigt den Verschleiß über dem Vorschubweg eines Fräswerk-zeuges aus PKB. Bearbeitet wurde ein Kohlenstoffstahl Cf53 hoher Härte, der sich wegen seiner geringen Verzugsneigung besonders für Führungsbahnen eignet. Es fällt auf, dass verglichen mit dem Drehen und Bohren erheblich höhere Schnitt-geschwindigkeiten und Vorschübe (hier Vorschub je Zahn fz) gewählt wurden. Dies ist dadurch zu erklären, dass eine Frässchneide nur zeitweise in Eingriff kommt, wodurch zwar die mechanischen und thermischen Beanspruchungen stoßartig auf-treten, aber das Temperaturniveau im Schneidkeil ist erheblich niedriger. Für die Wahl des Vorschubs ist neben der Schneidenausbildung (vorzugsweise Einsatz von Schleppschneiden) die geforderte Oberflächengüte maßgeblich. Rautiefen von RZ = 2 µm bis 5 µm sind durchaus erreichbar. Für die Maß- und Formgenauig-
Abb. 10.10 Verringerung der Arbeitsschritte durch Einsatz des Hartbohrers
bisher Bauteil in Zukunft
1. Spannungsfrei glühen
2. Drehen beider Seiten
3. Bohren
4. Zwischenkontrolle
5. Zylinderstifte in Pass- bohrungen einsetzen
6. Verzahnen
7. Demontieren der Zylinderstifte
8. Reiben der Passbohrung oder Gewinden
1. Spannungsfrei glühen
2. Drehen beider Seiten
3. Verzahnen
4. Einsetzen u. Härten
5. Bohren und Reiben oder Gewinden
WerkstoffZähnezahlStirnmodul
: 15 CrNi 6: z = 36: mn = 2,5
38,233–0,03
153,
353 –
0,03
6H6
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
223
keit muss berücksichtigt werden, dass durch Bauteilerwärmung, durch das Einbrin-gen und das Auslösen von Eigenspannungen und durch den Temperaturgang der Maschine systematische Störungen auftreten können, die sich allerdings teilweise kompensieren lassen (Abb. 10.12) [BUS91].
Im Werkzeug- und Formenbau werden Hohlformwerkzeuge zum Ur- und Um-formen hergestellt. Derartige Hohlformen werden teilweise zur Verringerung von Verschleiß gehärtet. Nach der Härtung müssen sie in die endgültige Form gebracht
Abb. 10.11 Freiflächenverschleiß beim Hartfräsen
400
300
200
100
00 1,0 2,0 3,0 4,0 m 5,0
Fräsweg lfz
Ver
schl
eiß
mar
kenb
reite
VB
µm
Werkstückstoff: Cf53 - 840 HV30
Schnittbedingungen:
Werkzeugschneide:RNMN 090300T - PKB
vc = 225 m/minfz = 0,18 mmap = 0,2 mm
γp γf αp
–7°
16,7° 4,76 mm 0,2x20°
–8° 9,3° 30,1°
Faserεκr
αf
VB
Prozess:Stirnplanfräsen
Abb. 10.12 Kompensation von Formfehlern
10
µm
0
–10
–20
–30
–40
2
10G
ewic
ht g
iF
orm
abw
eich
ung
f
0 200 400 600 800
Werkstückkoordinate x
I fε (Restfehler)
ferr (berechnet)
f (gemessen)
Werkstückstoff: Cf53 - 750 HV 30
Nebenbedingung:LIN : 0,0 µm < Zl < 10,0 µmQUAEXP
Formfehlerkoeffizient:LINQUAEXP
Fehler:fεrel = 0,6 µm
: –140 µm < Zσ < 0,0 µm: –30 µm < ZΦ < 0,0 µm
:::
0,25
ξ* < 0,5
Zl = 1,7 µmZQ = –72,9 µmZΦ = –19,3 µm
= 0,320ξ*
<
10.3 Hartfräsen
224
werden, wobei wegen unvermeidbarem Härteverzug teilweise erhebliche Werk-stückvolumina abgespant werden müssen. Hier liegt ein weiteres Anwendungsfeld für das Hartfräsen [HER91, FAL98]. Abbildung 10.13 zeigt den Einsatz unter-schiedlicher Schneidstoffe an einen Warmarbeitsstahl, wie er für Schmiedegesenke und Druckgusswerkzeuge Verwendung findet.
10.4 Werkstoffe
Tribologisch beanspruchte Bauteile können durch Kontaktdeformation (plastische Verformung oberflächennaher Schichten), durch Reibung und Verschleiß Schädi-gungen erfahren. Wo hohe Energiedichte oder Massen- bzw. Volumenverringerun-gen höhere flächenbezogene Beanspruchungen hervorrufen, sind ausreichende Fes-tigkeiten und Härten erforderlich, um Schädigungen zu vermeiden. Aufbringen von Verschleißschutzschichten oder – bei Eisenwerkstoffen – Härtungen sind häufige Maßnahmen, um das tribologische Verhalten zu verbessern. Soweit dicke Schichten (Panzerungen) aus Hartlegierungen wie z. B. Stellite aufgebracht werden, müssen die Flächen feinbearbeitet werden. Das gilt ebenfalls für Funktionsflächen aus ge-härteten Bauteilen, denn in der Regel geht mit der Wärmebehandlung die notwen-dige Maß- oder Formgenauigkeit und die Oberflächengüte verloren. Je stärker die Verzugsgefahr bei einer Beschichtung oder Wärmebehandlung ist, desto größeres Aufmaß muss auf den zu bearbeitenden Flächen vorgehalten werden, damit sie voll-ständig „sauber“ werden.
Stähle und andere Eisenwerkstoffe lassen sich durch Umwandlung in der Mar-tensitstufe und durch Einlagern von Karbiden auf höhere Härten bringen. Dahl unterscheidet die Auf- und Einhärtbarkeit [DAH93]. Die Aufhärtbarkeit bestimmt
Abb. 10.13 Standzeit für unterschiedliche Werkzeuge beim Hartdrehen von AISI H13
PCBN3/85/3/TiNPCBN9/50/1.5/TiCAl2O3-TiC Keramik
300
cm3
200
100
0
150
50
0 100 150 m/min 250Schnittgeschwindigkeit vc
Zer
span
volu
men
V
Werkstück:H13 (51HRC)Rm = 1820 N/mm2
Schnittbedingungen:
Trocken
Werkzeuggeometrie
Verschleißkriterium:VBBmax = 200 µm
α γ γeff λs
5° –5° –25° –5°
f = 0,06 mmap = 0,5 mm
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
225
die höchste erreichbare Härte, die durch den Kohlenstoffgehalt gegeben ist. Die Einhärtbarkeit kennzeichnet die Einhärtungstiefe. Sie wird vor allem durch die Legierungselemente bestimmt. Folgende Wärmebehandlungsverfahren werden zur Erhöhung der Härte eingesetzt: Einsatzhärten, Vergüten, Nitrieren und Rand-schichthärten. In Abhängigkeit vom Einsatzbereich unterscheiden die Normen die folgenden Werkstoffgruppen: Werkzeugstähle, Wälzlagerstähle, Kohlenstoffstähle und Einsatzstähle. Zu den Werkzeugstählen gehören Schnellarbeitsstähle, Warm-arbeitsstähle und Kaltarbeitsstähle. Abbildung 10.14 gibt eine Übersicht der Werk-stoffgruppen nach der Härtbarkeit [TÖA00]. Für die Werkstoffgruppen sind die in der Praxis üblichen Härtebereiche angegeben. Zu unterscheiden ist dabei der zu-grunde liegende Härtemechanismus nämlich durch Martensitbildung oder durch die Bildung und Einlagerung harter Karbide, die aus der Verbindung des Kohlenstoffs mit Legierungselementen im Stahl entstehen.
10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur
Wie in Kap. 2 ausgeführt wurde, treten beim Spanen hohe plastische Formänderun-gen auf. Bei der Hartbearbeitung erhebt sich also die Frage, ob die Hartstoffe oder die gehärteten Werkstoffe derartig hohe Formänderungen ertragen können oder ob die Gefahr besteht, dass wegen zu geringen Formänderungsvermögens Risse in der neu entstehenden Oberfläche auftreten. Die Theorie des hydrostatischen Druckes gibt eine Erklärung für einen rissfreien Spanbildungsvorgang [TÖN93]. Durch die geringen Spanungsdicken bei gleichzeitig stark negativen effektiven Spanungs-winkeln treten in der Spanbildungszone große Druckspannungen mit einem hohen
Abb. 10.14 Härtbarkeit von Stählen
Wer
ksto
ffM
arte
nsita
ntei
le
Kar
bida
ntei
le
Hartbearbeitung
Warm- und Kaltarbeitsstähle
Wälzlagerstähle
Kohlenstoffstähle
Einsatzstähle
Härte durchKarbidanteile
Härte durchMartensitanteile
40 50 55 60 70HRCHärte
SS Stähle
25 µm
25 µm
10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur
226
hydrostatischen Druckanteil auf. Durch den dreiachsigen Druckspannungszustand wird die kritische Schubspannung erreicht, ohne dass eine Trennung des Materials eintritt. Mit diesen Überlegungen werden die bereits von v. Kármán gewonnenen Erkenntnisse, dass unter dem Einfluss von hohen Druckspannungen selbst spröde Werkstoffe wie Marmor plastisch verformbar sind, auf die Vorgänge beim Feindre-hen gehärteter Werkstoffe übertragen.
Vereinfacht lässt sich der Mechanismus am Mohr’schen Spannungskreis für den zweidimensionalen Fall darstellen. Unter Anwendung der erweiterten Schubspan-nungshypothese nach Mohr ergeben sich verschiedene Grenzspannungszustände, deren Überschreiten entweder zum Trennbruch, Gleitbruch oder zu plastischer Ver-formung führt (Abb. 10.15).
Während das Auftreten eines Trennbruchs durch die Zugfestigkeit bestimmt wird (Kreis Nr. 1), versagt der Werkstoff bei Erreichen der Schubbruchgrenze durch Gleitbruch (Kreis Nr. 2). Die hierfür notwendige Schubspannung ist geringer, falls gleichzeitig Zugbelastung vorliegt. Wenn dagegen die Druckspannung einen werk-stoffabhängigen Grenzwert überschreitet, wird eine weitere Spannungserhöhung nicht durch Bruch, sondern durch plastisches Fließen verhindert.
Als Folge der geringen Spanungsdicken findet die Spanbildung vollständig im Bereich der Spanflächenfase bzw. der Schneidkantenverrundung statt. Dies führt zu den bereits beschriebenen stark negativen Spanwinkeln. Deshalb wird im Hartdreh-prozess die Passivkraft Fp zur dominierenden Kraftkomponente. Weiterhin bedingt die Verwendung von Werkzeugen mit großem Schneideckenradius eine große Kon-taktlänge, was ebenfalls zu hohen Passivkräften beiträgt. Es zeigt sich zudem, dass die Zerspankraftkomponenten sehr stark vom Werkzeugverschleiß abhängen, der nahezu linear mit der Schnittzeit ansteigt (Abb. 10.16). Dies führt zu extrem hohen Pressungen im Kontaktbereich zwischen Werkstück und Werkzeugfreifläche mit
Abb. 10.15 Randbedingungen für plastisches Fließen beim Hartdrehen
τ
Spanungsgeometriebeim Hartdrehen
Grenzfestigkeitnach Mohr
Kreis 1 : zweiachsiger ZugKreis 2 : einachsiger DruckKreis 3 : zweiachsiger Druck
Gleitbruch
Trenn-bruch
123
Zug-festigkeit
Schubbruch-grenze
plastisches Flie en
VB
Fc
Fp
Vc
Schubflie -grenze
σσmax
τ
σ
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
227
der Folge einer hohen mechanischen und thermischen Belastung der Werkstück-randzone.
Die Härte des Werkstoffs wirkt sich stark auf die Kraftkomponente bzw. die spezifischen Kräfte aus (Abb. 10.17). Auch hier ist die Passivkraft besonders stark betroffen, wie Versuche beim Hartfräsen zeigen [BUS91].
Abb. 10.16 Zusammenhang zwischen Schnittzeit, Werkzeugverschleiß und Kraftkomponenten
Werkstoff : 16 MnCrS 5 60 ... 62 HRC
Werkzeug : Al2O3/Tic, CM 1 SNGN 12 04 16
vc = 145 m/minap = 0,2 mm
f = 0,1 mmTrockenschnitt
Ver
schl
eim
arke
nbre
ite V
Bc
Kra
ft F
Schnittzeit tc
500
N
300
200
100
00 10 20 30 40 min 60
250
120
80
60
0
VBc
Fc
Ff
Fp
µm
Abb. 10.17 Einfluss der Härte auf die spezifischen Zerspankraftkomponenten
Vickershärte HV0 200 400 600 1000HV0,2
bez.
Zer
span
kraf
tkom
pone
nte
Ki
kc
kp
kcN
35
25
20
15
10
5
0
kN
mm2
Schnittbedingungen:
Werkzeugschneide:
RNMN 090300T - BNVB ≈ 120 µm
vc = 225 m/minfz = 0,18 mmap = 0,2 mm
γp γf αp
–7°
16,7° 4,76 mm 0,2×20°
–8° 9,3° 30,1°
Faserεκr
αf
Prozess:StirnplanfräsenWerkstückstoff: Cf53 - 900 HV 30
10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur
228
Ein Vergleich der Kraftwirkung beim Spanen weicher und gehärteter Stähle zeigt, dass die globalen Lasten beim Hartbearbeiten nicht besonders hoch sind; denn die Spanungsquerschnitte sind vergleichsweise gering. Anders dagegen ver-hält es sich bei den Kontaktlängen FZ/lk oder kontaktflächenbezogenen Kräften FZ/AC, wie Tab. 10.2 zeigt.
Mit einigen Annahmen lässt sich aus der starken Abhängigkeit der Kräfte vom Verschleiß (Abb. 10.16) auf die Kraftverteilung am Schneidkeil schließen. Voraus-gesetzt wird, dass sich die Energieumsetzung und die Kraftwirkung aus zwei Ef-fekten zusammensetzen, aus der Umformung in der primären Scherzone und der Reibung und daraus folgender plastischer Verformung in begrenzter Tiefe vor der Spanfläche und der Freifläche der Haupt- und Nebenschneide. Diese Annahmen geben die realen Verhältnisse in guter Näherung wieder.
Weiterhin wird vorausgesetzt, dass nur der Verschleiß auf der Freifläche zu berücksichtigen ist und dass sich dieser auf das Verformungsgeschehen in der primären Scherzone und vor der Spanfläche nicht auswirkt. Es wird also ange-nommen, dass die Wirkung des Freiflächenverschleißes allein die Kraftanteile vor den Freiflächen betrifft. Diese Voraussetzung ist weniger gesichert; denn durch starke Reibwirkungen an den Freiflächen kann sich auch der Spannungs- und Formänderungszustand in der primären Scherzone verändern. Jedoch scheint eine ausreichende Näherung gegeben. Schließlich wird vorausgesetzt, dass sich die Reibung an den Freiflächen nach dem Coulomb’schen Gesetz beschreiben lässt und dass sich mit dem fortschreitenden Verschleiß der Reibwert nicht än-dert. Dann lässt sich die Bilanz der zugeführten zur umgesetzten Leistung wie folgt beschreiben.
(10.4)
In Gl. 10.4 wurden die Leistungsanteile Pφγ und Pγ zu Pφγ zusammengefasst. Hierbei sind voraussetzungsgemäß Pφ und Pγ vom Verschleiß unabhängig. Auf die Freiflä-che wirkt dabei die Drangkraft Fd
(10.5)
Pc = Pφ + Pγ + Pα = Pφγ + Pα
Fd =√
Fp2 + Ff
2
Tab. 10.2 Kraftwirkung beim Drehen weicher und gehärteter Stähle
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
229
Im unverschlissenen, d.h. scharfen Zustand, also bei tc≈ 0, wirkt Fd0. Mit fortschrei-tendem Verschleiß wächst Fd mit der Rate fd, wie die Versuche gezeigt haben (Abb. 10.16).
(10.6)
Die Parameter Fd0 und fd werden aus Versuchen mit Hilfe der linearen Regression bestimmt.
Mit einem Ansatz für die Leistung ergibt sich
(10.7)
In Pc0 sind Pφγ und der zeitunabhängige Anteil von Pα enthalten. Die Parameter wer-den aus Versuchsergebnissen bestimmt. Mit dem Reibgesetz gilt dann
(10.8)
oder
(10.9)
Aus Versuchsdaten bestimmte Wobker [WOB96] für praxisübliche Bedingungen nach der beschriebenen Methode einen Reibwert von
Hiermit lässt sich die auf der Freifläche umgesetzte Leistung bestimmen.Die Schnittkraft Fc kann man sich ebenfalls aus einem aus der Umformung fol-
genden Anteil Fφγ und der Reibung an der Freifläche zusammengesetzt denken.
Im Folgenden wird weiter angenommen, dass die gleichen Reibverhältnisse auf der Spanfläche und Freifläche vorliegen, d.h. dort wirkt der gleiche Reibwert. Dann können die Drang- und die Schnittkraft aus Normal- und Tangentialanteilen, letzte-re über den Reibwert aus der Normalkraft folgend, angeschrieben werden:
(10.10)
(10.11)
Nach Umformung ergibt sich
Daraus lassen sich nach Umformung die Kraftwirkungen auf Span- und Freifläche angeben als
Fd = Fd0 + fd · tc
Pc = Pc0 + pc · tc.
pc = µ · fd · vc
µ =pc
fd · vc.
µ = 0,26.
Fc = µ · Fd + Fφγ
Fd = FNα + µFNγ
Fc = FNγ + µFNα
µFd = µ2FNγ + µFNα
Fc = FNγ + µFNα
Fc − µFd = FNγ
(1 − µ2
)
10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur
230
(10.12)
(10.13)
Wie vorn erläutert wurde, wird die dem Zerspanprozess zugeführte Leistung weit überwiegend in Wärme umgesetzt. Mittels thermografischer Messung können für die Drehbearbeitung die während der Bearbeitung an der Werkstückoberfläche auf-tretenden Temperaturen erfasst werden. Es zeigt sich, dass die kontaktbestimmenden Parameter Schneideckenradius und Spanflächenfase größeren Einfluss auf die Werk-stücktemperatur ausüben als die leistungsführenden Parameter Schnittgeschwindig-keit und Vorschub. Der Verlauf der Werkstücktemperatur zeigt eine gute Korrelation mit dem Verlauf der kontaktlängenbezogenen Reibleistung P′α an der Freifläche.
Die kontaktlängenbezogene Reibleistung P′α an der Freifläche ergibt sich zu:
(10.14)
Für die Gleitreibungskoeffizienten können Werte von µ = 0,25–0,28 angesetzt wer-den [WOB96]. Die kontaktlängenbezogene Reibleitung P′α wurde als Kenngröße beim Drehen gehärteter Stähle abgeleitet, um mechanische und thermische Wirkun-gen quantifizieren zu können. Sie wird wesentlich durch die Schneidkantengestalt und den Verschleißzustand des Werkzeugs beeinflusst. Abbildung 10.18 stellt die maximalen Oberflächentemperaturen beim Hartdrehen dar [SCH99].
FNγ =1
1 − µ2(Fc − µFd)
FNα =1
1 − µ2(Fd − µFc)
P′α =
Pα
lk=
µ · vc ·√
F2p + F2
f
lk
Abb. 10.18 Bezogene Leistung an der Freifläche und Werkstücktemperatur
rε = 0,8 mmFase 0,15mm × 25°
rε = 0,8 mmungefast
rε = 1,6 mmFase 0,15mm × 25°
Werkstoff:25 MoCr 4,60-62 HRC
Schneidstoff:PKB, BN 3rβ = 5 µm
α γ0 ε λ
6° –6°90°–6°/–31°
Parameter:ap = 0,1 mmTrockenschnitt
175
125
100
75
50
25
0
700
500
400
300
200
100
180 240 240 240 240 240 240180 180 180 180 180
0,04 0,04 0,04 0,04 0,04 0,040,08 0,08 0,08 0,080,08 0,08
max
. Obe
rflä
chen
tem
pera
tur
ϑ c
bez.
Lei
stun
g an
der
Fre
ifläc
he P
'
Vc [m/min]
f [mm]
°C W/mm
ϑc
P'
α
α
0
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
231
10.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß
Während der Hartzerspanung wird das Werkzeug hohen Beanspruchungen aus-gesetzt, die Abrasiv- und Adhäsionsverschleiß bewirken. Das Werkstoffgefüge ist dabei von großer Bedeutung. So führen z. B. eingelagerte harte Karbide, wie sie typisch in Kaltarbeitsstählen vorliegen, zu vermehrtem abrasivem Verschleiß. Die Schneidstoffe müssen aufgrund dieser Beanspruchungen eine hohe Warmhärte be-sitzen. Schnellarbeitstähle und konventionelle Hartmetalle scheiden für die Hart-bearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide aus. Geeignet sind dagegen Fein- und Feinstkornhartmetalle sowie Mischkeramik und polykristallines Borni-trid (PKB) [TÖN93].
Das Hartdrehen erfolgt vorwiegend mit Mischkeramiken des Typs Al2O3/TiC und mit PKB. Im kontinuierlichen Schnitt sind beide Schneidstoffe einsetzbar. Wenn da-gegen unterbrochene Schnitte größere Anforderungen an die Bruchzähigkeit des Schneidstoffes stellen, muss PKB verwendet werden. Für das Hartbohren besitzen besonders mit Titannitrid beschichtete Feinstkornhartmetalle Bedeutung, da hierfür PKB- oder Keramikwerkzeuge nicht verfügbar oder zu teuer sind [TÖN93]. Die Hartfräsbearbeitung kann mit Feinkornhartmetallen und PKB durchgeführt werden.
Dominierende Verschleißformen an PKB und Keramikschneidstoffen beim Hartdrehen sind Freiflächen- und Kolkverschleiß. Abbildung 10.19 zeigt raster-elektronenmikroskopische Aufnahmen von verschlissenen Werkzeugen aus PKB, die unterschiedliche Ausgangsschneidkantenradien aufwiesen.
Die Bildung des markanten Kolkverschleißes wird primär durch Abrasion be-stimmt. Standzeitbestimmendes Kriterium ist der Verschleiß an der Freifläche VBc bzw. an der Nebenfreifläche VBN.
10.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß
Abb. 10.19 Typische Verschleißbilder beim Hartdrehen
rβ = 130 µm, tc = 40 min rβ = 35 µm, tc = 60 min
100 µm 100 µm
Werkstoff: 16 MnCr5, 60 - 62 HRCSchneidstoff: PKB, BN 4
Geometrie: CNMA 120408α γ0 κ0 ε7° –7° 95° 80°
Schnittbedingungen:Vc = 150 m/minf = 0,05 mmap = 0,05 mm
232
Fragen
1. Welche (eingeschränkte) Bedeutung hat die Hartbearbeitung durch Entwick-lungen der Schneidstoffe erhalten?
2. Welche Werkstoffe in welchem Zustand werden in diesem Sinne hartbearbeitet? 3. Welche Schneidstoffe werden zum Hartbearbeiten eingesetzt? 4. Wie wirkt sich die Härte eines Stahles auf die Standzeit der Schneidsoffe ten-
denziell aus? 5. Welchen Hinweis entnehmen Sie dem Kurvenverlauf der Standzeit-Schnittge-
schwindigkeits-Funktion im Taylor-Diagramm? 6. Welche Werte nehmen der effektive Einstellwinkel und der effektive Spanwin-
kel typischerweise bei der Hartbearbeitung an? 7. Geben Sie typische Kennzahlen an, die die Produktivität des Schleifens gegen-
über dem Hartdrehen abgrenzen. Können Sie daraus Vorzugsgeometrien für Werkstücke ableiten?
8. Häufig ist weniger das Zeitspanvolumen oder die Zeitspanfläche für die Subs-titution des Schleifens durch Hartdrehen maßgebend, sondern?
9. Welche typischen Eigenschaften sind für Drehmaschinen zum Hartdrehen wichtig?
10. Hartbohren folgt häufig zwangsläufig aus dem Hartdrehen, warum?11. Warum sind das Hartdrehen und Hartbohren bei einsatzgehärteten Bauteilen
besonders interessant?12. Warum werden Vollhartmetallbohrer mit einer Verjüngung ausgeführt?13. Wie erklären Sie sich, dass beim Hartfräsen erheblich höhere Schnittgeschwin-
digkeiten als beim Hartdrehen gewählt werden?14. Was ist eine Schleppschneide? Warum wird sie beim Führungsbahnfräsen
eingesetzt?15. Welche systematischen Ursachen sehen Sie für den Verzug beim Fräsen von
Führungsbahnleisten?16. Welche Einsatzgebiete sehen Sie für das Hartfräsen?17. Welche Schneidstoffe werden zum Hartfräsen eingesetzt?18. Welche Härtesteigerungsmechanismen kennen Sie?19. Vergleichen Sie das Formänderungsvermögen von gehärteten Stählen mit
Formänderungen wie sie beim Spanen auftreten.20. Wie ist zu erklären, dass die Oberfläche nach dem Hartspanen keine Risse auf-
weist, sondern allein durch plastische Formänderung entsteht?21. Wie verhalten sich die Zerspankraftkomponenten mit längerem Einsatz eines
Werkzeuges?22. Unter welchen Voraussetzungen lässt sich eine Aufteilung der Leistungsumset-
zung durch Umformung und Reibung an der Freifläche vornehmen?23. Nennen Sie die wichtigsten Einflussgrößen auf die Reibleistung an der
Freifläche.24. Welches sind die typischen Verschleißformen an Werkzeugen zur
Hartbearbeitung?25. Vergleichen Sie das Hartdrehen mit dem Einstechschleifen gehärteter Bauteile.
Wo liegen Vor-, wo Nachteile?
10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung
233
Literatur
[BRA95] Brandt, D.: Randzonenbeeinflussung beim Hartdrehen. Dr.-Ing. Diss. Universität Han-nover
[BUS91] Bussmann, W.: Formfehleranalyse beim Planfräsen gehärteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 1991
[DAH93] Dahl, W.: Eigenschaften und Anwendungen von Stählen. Band 1 und 2. Aachen 1993[FAL98] Fallböhmer, P.: Advanced Cutting Tools for the Finishing of Dies and Molds. Dr.-Ing.
Diss. Univ. Hannover 1998.[HER91] Hernandes-Camacho, J.: Frästechnologie für Funktionsflächen im Formenbau. Dr.-Ing.
Diss. Universität Hannover, 1991[KAN04] Kanfir, H.: Industrial Performances in Gear Hard Turning at Renault. Presentation of
Advanced Ma chining Processes, Power Train Department., Renaultin [KLB05][KLB05] Klocke, F.; Brinksmeier; E., Weinert, K.: Capability Profile of Hard Cutting and Grin-
ding Processes. Anals of the CIRP 54 (2005), 2, p. 557-580[KOC96] Koch, K.-F.: Technologie des Hochpräzisions-Hartdrehens. Dr.-Ing. Diss. RWTH
Aachen 1996[SCH99] Schmidt, J.: Mechanische und thermische Wirkungen beim Drehen gehärteter Stähle.
Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 1999[SPI95] Spintig, W.: Werkstoffbeeinflussung und Prozessführung beim Hartbohren. Dr.-Ing. Diss.
Universität Hannover, 1995[TÖA00] Toenshoff, H.K.; Arendt, C.; Ben Amor, R.: Cutting of hardened steel. Annals of the
CIRP, 49 (2000) 2, p. 547-566[TÖN81] Tönshoff, H.K.; Chryssolouris, G:: Einsatz kubischen Bornitrids (CBN) beim Drehen
gehärteter Stähle. Werkstatt und Betrieb 114 (1981) 1, S. 45-49[TÖN86] Tönshoff, H.K.; Bußmann, W.; Stanske, C.: Hartbearbeitung durch Drehen und Fräsen.
tz für Metallbearbeitung 80 (1986) 12, S. 35-40[TÖN93] Tönshoff, H.K.; Spintig, W.: Prozesssicheres Bohren gehärteter Stähle. Werkstatt und
Betrieb 7 (1993), S. 390-392[WIN96] Winands, N.: Hartdrehen aus der Umformwärme gehärteter Wälzlagerringe. Dr.-Ing.
Diss. RWTH Aachen, 1996[WOB96] Wobker, H.-G.: Hartbearbeitung. Habilitationsschrift Universität Hannover, 1996
Literatur
235
Von wesentlicher Bedeutung für den Einsatz von Bauteilen unter tribologischer, korrosiver oder dynamischer Betriebsbeanspruchung sind die Eigenschaften ihrer Oberflächen und Randzonen. Das sind die Bereiche des Werkstücks, in denen Än-derungen der Eigenschaften durch die Einwirkung eines Fertigungsverfahrens ent-stehen. Dies betrifft sowohl die geometrische als auch die physikalisch-stoffliche Beschaffenheit. Werden für die Beschreibung der geometrischen Oberflächeneigen-schaften im wesentlichen Oberflächentopographie und Rauheit herangezogen, so werden die physikalischen Eigenschaften anhand der Merkmale Eigenspannungen, Gefügeausbildung und Härte beschrieben. Folglich wird die Bauteilqualität durch die Hartbearbeitung verändert. Es wird unterschieden zwischen Veränderungen der
• Makrogeometrie,• Mikrogeometrie und der• physikalischen Randzoneneigenschaften.
11.1 Makrogeometrische Abweichungen
Bei Verwendung konventioneller Drehmaschinen können Maßgenauigkeiten der ISO-Qualitäten IT6 bis IT7 erzielt werden. Die Rundheitsabweichungen bei wel-lenförmigen Bauteilen betragen weniger als 2,5 µm. Die Zylindrizitäten erreichen Werte kleiner 2 µm [WEL98]. Die gemittelten Rautiefen liegen in einem Bereich von Rz = 2 bis 6 µm.
Die Hartdrehbearbeitung auf speziell ausgelegten Präzisionsdrehmaschinen er-möglicht Maßgenauigkeiten im Bereich der ISO-Qualitäten IT5-IT6. Es können Rundheiten von 0,2 µm und Zylindrizitäten kleiner 1,0 µm erzielt werden. Die ge-mittelte Rautiefe Rz der hartgedrehten Oberflächen beträgt ca. 0,5 µm.
Einflüsse auf die makrogeometrischen Abweichungen, das sind Abweichungen der Form, des Maßes und der Lage (siehe Abschn. 15), also Bauteilveränderun-gen, die in der Regel unerwünscht sind, lassen sich auf alle am Prozess beteiligten Teilsysteme zurückführen. Den Teilsystemen Werkstück, Werkzeug, Maschine und Umgebung sind folgende Ursachen für Veränderungen zuordenbar:
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 11Hartbearbeitung, Bauteilqualität
236
Werkstück
• Maß-, Form- oder Lageabweichungen der Vorform (des Rohteils),• Festigkeitsunterschiede der abzuspanenden Teile,• Auslösen und/oder Einbringen von Eigenspannungen,• örtlich und zeitlich veränderliche Temperaturfelder.
Werkzeug
• Nachgiebigkeit des Werkzeugs/Werkzeughalters,• Verschleiß des Werkzeugs,• Lageabweichungen beim Werkzeugwechsel.
Maschine
• geometrische Abweichungen,• kinematische Abweichungen (Vorschub, Steuerung),• Nachgiebigkeit der Maschine im Kraftfluss,• thermisch bedingte Verformungen,• Laständerungen während der Bearbeitung.
Umgebung
• Externe Wärmequellen (Strahlung),• Änderung der Umgebungstemperatur (Konvektion)• Veränderung der Kühlschmierung.
Zwischen den Einflüssen bestehen teilweise Wechselwirkungen. So wirkt sich die Steigerung der Zerspankraft als Folge von Abweichungen der Werkstofffestig-keit umso stärker aus, je größer die Nachgiebigkeit der Maschine ist. Werkzeug-verschleiß verändert die Lage der Schneide und kann damit direkt zu Maß- und Formabweichungen führen; der Verschleiß führt aber auch in der Regel zu größe-ren Zerspankräften und damit über die Nachgiebigkeit der Maschine zu Maß- und Formabweichungen.
Wesentlichen Einfluss auf die Form- und Maßgenauigkeit üben die im Prozess wirkenden Kräfte sowie die damit verbundenen Erwärmungen von Werkzeug und Werkstück aus. Einen dominanten Einfluss hat in diesem Zusammenhang der Werk-zeugverschleiß, der annähernd linear mit der Schnittzeit steigt, wie Abb. 10.14 zeigt. Alle drei Zerspankraftkomponenten nehmen gleichmäßig zu, wobei die Passivkraft deutlich höhere Werte annimmt als die Schnitt- und Vorschubkraft. Da das System Werkstück-Werkzeug-Maschine nur eine endliche Steifigkeit besitzt, die zudem je nach Werkstück entlang des Vorschubweges differiert (entsprechend einem Balken auf 2 Stützen), kommt es durch die Passivkraft zu Relativverschiebungen zwischen Schneide und Werkstück, die sich unmittelbar auf die Maß- und Formgenauigkeit auswirken. In Abb. 11.1, linker Bildteil ist die Maßabweichung δx in Durchmes-serrichtung bei unterschiedlichen Systemsteifigkeiten cx und Passivkräften Fp dar-gestellt. Daneben führt auch der mit steigendem Werkzeugverschleiß zunehmende Schneidenversatz zu einem Maßfehler.
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
237
Während die Zerspankraftkomponenten, insbesondere die hohe Passivkraft, vor allem zu Maßabweichungen führen, werden durch die Wärmeeinbringung in das Werkstück Formfehler hervorgerufen. Ursachen für den Formfehler sind die Tem-peraturerhöhungen im Werkstück, die bei üblicher Trockenbearbeitung auftreten. In zylindrischen Werkstücken entsteht ein Formfehler über die axiale Länge. Dieser Formfehler ist auf eine inhomogene elastische Werkstückerwärmung zurückzufüh-ren. Die mit dem Vorschubweg zunehmende radiale Dehnung bewirkt bei idealer Werkzeugbewegung einen erhöhten Materialabtrag, so dass nach dem Abkühlen ein verbleibender Formfehler vorliegt (Abb. 11.1, rechter Bildteil).
Bezogen auf den Solldurchmesser führt eine Erwärmung bei Außenflächen (Wellen) zu einer Durchmesserreduzierung und bei Innenflächen (Bohrungen) zu einer Durchmesseraufweitung. Das Maß der Formabweichung ist dabei vor allem verschleißabhängig und kann bei einer Verschleißmarkenbreite von VBc = 200 µm auf das drei- bis fünffache des Ausgangswertes ansteigen.
Wenn auch aus ökologischen Gründen vielfach eine Trockenbearbeitung ange-strebt wird, so kann durch den Einsatz von Kühlschmierstoff der durch die Werk-stückerwärmung hervorgerufene Formfehler ausgeglichen werden. Aber auch durch Luftkühlung ist noch eine erhebliche Verbesserung gegenüber der Trockenbearbei-tung möglich [BOR01]. Liegen beim Hartdrehen Toleranzen in der Größenordnung von 0,01 mm vor und soll auf den Einsatz von Kühlschmierstoff verzichtet werden, ist zu empfehlen, zuerst die engtolerierten Funktionsflächen zu bearbeiten, um die Wärmeeinbringung in das Werkstück klein zu halten. Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung von Formfehlern besteht in einer Kompensation durch die Steuerung der Werkzeugmaschine. Dazu muss die durch die Werkstückerwärmung entstehen-de Formabweichung mit den Stützpunkten für die Verfahrbewegungen der Achsen in der Steuerung der Werkzeugmaschine verrechnet werden.
11.1 Makrogeometrische Abweichungen
Abb. 11.1 Maß- und Formfehler beim Hartdrehen
Passivkraftbedingte Maßabweichung Thermische FormfehlerM
aßab
wei
chun
g δ x
Ver
schl
eiß
-m
arke
nbre
ite V
BC
Passivkraft Fp
Modellvorstellung-Wärmequelle-
Wärmestauim Bereich derEinspannung
Wärmedehnungwährend derBearbeitung
ResultierenderFormfehler
Vorschubrichtung
1,2
0,8
0,6
0,4
0,2
0
cx = 300 N/ m
cx
m
x
zδx Fp
500
m
300
200
250 350N
100
150500
0
vf
vf
da
da
de
vc⊗
QWst
D
cx = 500 N/ m
cx = 700 N/ m
238
Besonders kritisch ist der Einfluss der Erwärmung bei Bauteilen, die asymme-trisch bearbeitet werden, z. B. bei flachen prismatischen Werkstücken wie Füh-rungsleisten. Das Abtragen von Härteeigenspannungen, die thermische Dehnung während des Prozesses, das Einbringen von Eigenspannungen durch die plastischen Verformungen unter der bearbeiteten Oberfläche, der Schneidkantenversatz und die Passivkrafterhöhung als Folge von Verschleiß wirken zusammen. Formmessungen des bearbeiteten Werkstücks können nach [BUS91] einer Formfehleranalyse die-nen, mit denen versucht wird, die einzelnen Ursachen zu separieren. Ein ähnliches Verfahren für die spanende Bearbeitung dünner, gehärteter Ringe wird in [SÖL10] entwickelt.1
11.2 Mikrogeometrische Eigenschaften
Die Oberflächenrauheit nach dem Hartdrehen wird wesentlich von der Wahl des Schneideckenradius, der Schnittgeschwindigkeit und des Vorschubs beeinflusst (dazu auch Abschn. 15). Abbildung 11.2 zeigt den Einfluss der Stellgrößen
Vorschub und Schnittgeschwindigkeit auf die gemittelte Rautiefe Rz bei ge-gebenem Schneideckenradius rε. Dass mit geringerer Schnittgeschwindigkeit die Rauheit steigt, überrascht zunächst, denn die dynamischen Wirkungen z. B. durch Unwuchtanregung sinken. Die Erklärung ist, dass es bei niedrigen Geschwindig-
1 Die Arbeit entstand als zentrales Projekt im Sonderforschungsbereich 570 „Distortion Enginee-ring“ der Universität Bremen, in dem weitere Verzugsprobleme behandelt werden.
Abb. 11.2 Oberflächengüte als Funktion von Schnittgeschwindigkeit und Vorschub
gem
ittel
te R
auht
iefe
Rz
gem
ittel
te R
auht
iefe
Rz
5
3
2
m
1
00 50 100 150 250m/min
Schnittgeschwindigkeit vc
f = 0,05 mm
Max.
Min.
Rth
Rth
Rth : theoretische
5
m
3
2
1
00 0,05 0,10 0,15mm
Vorschub f
WerkstoffSchneidstoff
SchnitttiefeTrockenschnitt
PKB, BN4, rβ = 30 µm:
:
16 MnCr 5 (60–62 HRC):
VBc < 65 µmap = 0,05 mm
Geometrie: CNMA 120408
α γ0 κ0 ε7° –7° 95° 80°
Rauhtiefenach Bauer
Mittelwert
vc = 150 m/min
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
239
keiten zunehmend zur ungleichmäßigen Scherspanbildung und damit zu größeren Rauheiten kommt.
Der im rechten Bildteil von Abb. 11.2 dargestellte Verlauf der gemittelten Rau-tiefe Rz zeigt bei einer Variation des Vorschubs f, dass es aus Gründen der Oberflä-chenqualität nicht sinnvoll ist, den Vorschub kleiner als f = 0,05 mm einzustellen. In diesem Bereich beschreibt die theoretische Rauheit Rth die Verhältnisse nur unzu-reichend. Dies ist auf ein Unterschreiten der Mindestspanungsdicke vor dem Kon-taktbogen entlang der Schneidkante zurückzuführen, was insbesondere bei kleinen Vorschüben auftritt. Beim Unterschreiten der Mindestspanungsdicke kommt es zu Quetschungen und Stauchungen auf der neu entstandenen Oberfläche, was zu einem Anstieg der gemittelten Rautiefe Rz führt.
In Abb. 11.3 sind Gewichtungen der Einflüsse Vorschub, Schneideckenradius, Maschine und Werkzeugverschleiß auf Grund von Versuchen eingetragen. Wenn diese Darstellung auch keine Allgemeingültigkeit hat, können ihr doch Tendenzen entnommen werden [KLB05].
11.3 Physikalische Beeinflussung
Neben der geometrischen Ausprägung technischer Oberflächen sind die physika-lischen Eigenschaften der Randzone wichtig für das Funktionsverhalten der Bau-teile. Metallographische und röntgenographische Untersuchungen an hartgedrehten Werkstücken belegen, dass beim Hartdrehen erhebliche Randzonenbeeinflussungen auftreten können. Diese zeigen sich in veränderten Eigenspannungszuständen, in der Bildung von Neuhärtungszonen sowie in Bereichen angelassenen Gefüges.
Abb. 11.3 Einflüsse auf die Rauheit beim Hartdrehen (nach Jochmann)
Rau
tiefe
Rz
6
4
3
2
1
00
m
0,05 0,1 mm 0,2
Rt.A
Rt.A
Rt.th
Rt.th
Rt.s
Rt.s
Vorschub
Vorschub
Ant
eil d
er R
auhe
it 100
60
40
20
%
00,005
0,050,07
0,090,11
0,10,15
0,010,03
mm
11.3 Physikalische Beeinflussung
240
Ursache für dieses Verhalten sind die bei der Zerspanung auftretenden hohen Spanungen und Temperaturen sowie die großen Spannungs- und Temperaturgra-dienten, durch die die äußere Randzone erheblichen plastischen Verformungen, Ge-fügeänderungen und anderen thermischen Einwirkungen ausgesetzt ist.
Maßgeblichen Einfluss auf die Randzoneneigenschaften hat der Werkzeug-verschleiß an der Freifläche. Mit zunehmendem Werkzeugverschleiß steigen die thermomechanischen Beanspruchungen der Werkstückrandzone. Es bildet sich eine geschlossene Neuhärtungsschicht, die im Schliffbild weiß erscheint und ein darunter befindlicher im Schliffbild dunkler Anlassbereich, Abb. 11.4. Das Maß der Gefügebeeinflussung ist dabei vom eingesetzten Schneidstoff bei gleicher geo-metrischer Ausbildung des Werkzeugs unabhängig. Die Neuhärtungsschicht, in der Härtewerte bis zu 1000 HV (0,025) gemessen werden, erscheint weiß, weil sie bei der metallographischen Präparation nur schlecht anätzbar ist. Sie wird deshalb auch häufig als „weiße Schicht“ bezeichnet. Im Grundgefüge liegen Härten von ca. 800 HV (0,025) vor. Die angelassenen Bereiche weisen geringere Härten von ca. 600 HV (0,025) auf.
Als Folge der thermischen Beeinflussung kommt es zu Zugeigenspannungen an der Oberfläche. Mit zunehmendem Werkzeugverschleiß steigen diese weiter an. Die auftretenden Randzonenbeeinflussungen korrelieren dabei mit einem Anstieg der Passivkräfte.
Diese Wirkung des Prozesses lässt sich mit folgendem Modell erklären: Die hohen Passivkräfte und die mit ihnen einhergehende Reibleistung führt zu einer starker Aufheizung der Randschicht. Das Material dehnt sich aus; es kommt zu hohen Druckspannungen und plastischem Fließen. Die Wärmequelle, nämlich der Freiflächenkontakt, verlässt den betrachteten Ort rasch mit Schnittgeschwindig-keit. Das Material wird durch Selbstabschreckung schnell abgekühlt. Die vorher
Abb. 11.4 Randzonenzustand in Abhängigkeit vom Werkzeugverschleiß
Werkstoff: Werkzeug : CBN, BN 3
16 MnCr 560 ... 62 HRC
εα γeff κeff rε6° –26° 90° 15° 1,6 mm
vc = 145 m/minap = 0,2 mmf = 0,1 mm
Gef
üge
Eig
ensp
annu
ng σ
II
an d
er O
berf
läch
e 750
450
300
150
150 20010050
MPa
0µm
Verschleißmarkenbreite VBc
300200100
500
N
0
Pas
sivk
raft
Fp
σII Fp
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
241
gestauchten Randschichten werden gedehnt; es entstehen Zugeigenspannungen mit steilen Gradienten. Der Effekt ist um so ausgeprägter je stärker die Reibung, d.h. die Verschleißmarkenbreite und damit die Passivkräfte sind (Abb. 11.5). Die Span-nungen können durch überlagerte umwandlungsbedingte Eigenspannungen noch verstärkt oder abgeschwächt werden, wenn während des Bearbeitungsvorgangs mit Volumenänderungen verknüpfte Phasenumwandlungen auftreten.
Abbildung 11.6 gibt eine Abschätzung des Energieeintrags in die Oberfläche eines Bauteils und damit der thermischen Belastung für einen Hartdreh- und einen
Abb. 11.5 Eigenspannungsverlauf unterhalb der Werkstückoberfläche
PKB, BN 3Al2O3/TiC, CM 1
γeff α ε κeff rε– 26° 6° 90° 15° 1,6 mm
vc = 220 m/min; f = 0,1 mm; ap = 0,2 mm
Werkstück: 16 MnCr 5 Härte: 60 ... 62 HRC
Werkzeuggeometrie:
100Tiefe
20 30
– 200
0
200
400
600
MPa
800
– 40040 50 60 70 m 90
VBc = 200 µm
VBc = 50 µm
Eig
ensp
annu
ng σ
II
11.3 Physikalische Beeinflussung
Abb. 11.6 Abschätzung der Energieaufteilung beim Hartdrehen und Schleifen [TÖK97]
Einstellung
Leistung
Leistungsaufteilung
Kräfte
spez. Leistung
spez. Wärmestrom
spez. Streckenenergie
Kontaktzeit
Hartdrehen Schleifen
vc = 35 m/s, ap = 2,5 mm
Fc = 300 N
Ic = 0,8 mm, VB = 0,2 mm
Pc = Fc·vc = 750 W Pc = Ft vc = 2.450 W
Pc" = Pc / (ap Ic) = 4.688 W/mm2
Pc" = Pc / (ap Ic) = 1.633 W/mm2
R = 0,15 R = 0,35
qw" = R Pc" = 703 W/mm2 qw" = R Pc" = 572 W/mm2
tc = VB/vc = 0,08 ms tc = Ig vc = 28,8 ms
ec = qw" tc = 0,056 J/mm2
ec = qw" tc = 16,5 J/mm2
Ig = 0,6 mm
Ft = 70 N
vc = 150 m/min
242
Schleifprozess wieder, die auf gemessenen Kräften und Werkzeugverschleiß beruht [TÖK97].
11.4 Wälzfestigkeit
Gefügeveränderungen, Eigenspannungsverteilungen und Härteänderungen können sich je nach Betriebsbelastung auf das Bauteilverhalten auswirken. Eine Vielzahl von gehärteten Oberflächen unterliegt im praktischen Einsatz Wälzbeanspruchun-gen. Ob für diesen Einsatzfall hartgedrehte Oberflächen günstig oder ungünstig sind, hängt von der Wälzfestigkeit ab. Einflussfaktoren sind Rauheit, Eigenspan-nungszustand nach dem Hartdrehen und nach der Wälzbeanspruchung, die Ober-flächengüte und das Gefügebild. Die unter üblichen Mischreibungsbedingungen im Wälzkontakt auftretende plastische Verformung der Oberfläche führt dazu, dass die nach dem Hartdrehen an der Werkstückoberfläche vorliegenden Zugeigenspannun-gen abgebaut werden wie in Versuchen festgestellt werden konnte [BOR01, LIE98]. Diese haben somit keinen negativen Einfluss auf die Wälzfestigkeit. Das Gefüge-bild bleibt im Wesentlichen nach der Wälzbeanspruchung erhalten, wenn auch bei sehr hohen Lastspielzahlen ein Abtrag der weißen Schicht festzustellen ist, was aber als normaler Verschleiß und nicht als ein Versagen angesehen wird. Maßgeblich für einen Schadensverlauf ist vor allem die Oberflächenqualität. Insbesondere unter Schlupf ist eine niedrigere Rauheit gegenüber den schlupffreien Bedingungen er-forderlich, um eine Pittingbildung zu vermeiden. Unter Pittingbildung versteht man eine Ermüdung des Materials im Wälzkontakt, der mit einem progressiven Scha-densverlauf mit muschelförmigen Abplatzungen des Werkstoffs einhergeht.
Lebensdaueruntersuchungen hartgedrehter Innenringe von Zylinderrollenlagern zeigen, dass hartgedrehte Lager eine vergleichbare Lebensdauer bei ähnlichem Mit-tenrauwert Ra wie geschliffene und gehonte Lager erreichen. Auch wenn Randzo-nenschädigungen in Form weißer Schichten in der Randzone auftreten, werden die rechnerisch ermittelten Lebensdauern der Wälzlager auf dem Prüfstand bestätigt.
11.5 Schwingfestigkeit
Eine weitere entscheidende Bauteileigenschaft, insbesondere für gehärtete Werk-stücke, ist die Schwingfestigkeit. Diese reagiert außerordentlich empfindlich auf Veränderungen der Randzone, da in der Regel Ermüdungsrisse von der Oberfläche ausgehen [SIG93].
Die Schwingfestigkeit ist vor allem für Bauteile mit stark ausgeprägten konst-ruktiven Kerben von besonderer Bedeutung. Große Querschnittsübergänge, Nuten, Frei- und Einstiche, die als Formelemente beispielsweise an Getriebewellen, Kur-belwelle oder Achsschenkeln zu finden sind, stellen konstruktive Kerben dar. Aus der geometrischen Kerbwirkung resultiert eine Spannungsüberhöhung im Kerb-
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
243
grund, die zu einer Schwächung des Bauteils führen kann. Daneben ergibt sich ein mikrogeometrischer Kerbeinfluss durch die Rauheit der Oberfläche.
Im Gegensatz zur Wälzbeanspruchung tritt bei Torsions- und Biegebeanspru-chungen die maximale Spannung direkt an der Oberfläche auf, wo auch durch das Hartdrehen die kritischen Veränderungen des Randzonenzustandes entstanden sind.
Zur Untersuchung der Dauerfestigkeit von Bauteilen werden üblicherweise Wöhlerversuche unter schwingender Beanspruchung durchgeführt. Eine zur An-wendung statistischer Methoden genügende Anzahl von Proben durchläuft für unterschiedliche Amplituden der Biegespannung einen Prüfzyklus bis zum Bruch. Wie in Abb. 11.7 oben rechts schematisch dargestellt, wird die ertragene Anzahl von Lastwechseln logarithmisch über der Amplitude der Biegespannung aufgetra-gen. Es ergibt sich eine Gerade mit negativer Steigung, die bei einem bestimmten Spannungswert und einer bestimmten Anzahl von Lastwechseln abknickt und einen horizontalen Verlauf annimmt. Unterhalb dieser Waagerechten gelten die Bauteile als dauerfest.
Bei einer Beanspruchung hartgedrehter Bauteile durch Wechselbiegung unter Lasten, die deutlich kleiner als die Zugfestigkeit des Werkstoffs sind, hat der Eigen-spannungszustand nach dem Hartdrehen einen entscheidenden Einfluss auf die Dauerfestigkeit. Abbildung 11.7 zeigt die Dauerfestigkeit hartgedrehter Bauteile im Vergleich zu einem geschliffenen Referenzbauteil. Liegen nach dem Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen (VBc = 100 µm) mittelhohe Zugeigenspannungen im Bereich von ca. 150–350 MPa vor, kommt es zu einem merklichen Abfall der Dau-erfestigkeit verglichen mit den Bauteilen, die mit arbeitsscharfer Schneide bearbei-tet werden. Hartgedrehte und geschliffene (druckeigenspannungsbehaftete) Ober-flächen erreichen bei vergleichbarer gemittelter Rautiefe Rz ≈ 3 µm nahezu gleiche
11.5 Schwingfestigkeit
Abb. 11.7 Dauerfestigkeit hartgedrehter Bauteile unter Biegewechselbeanspruchung
Dau
erfe
stig
keit
σ aD
400
600
300
200
100
MPa
0
20 µm
20 µm
136 %
100 % 100 %92 %
134 %
σ ES =
–26
0 M
Pa
σ ES =
–63
0 M
Pa
σ ES =
+27
0 M
Pa
σ ES =
+59
0 M
Pa
σ ES =
–25
0 M
Pa
f = 0
,18
mm
Wöhler - EinstufenversuchR = –1
σu
Am
plitu
de σ
a(lo
g)
Wöhlerlinie
σaD
t
Schwingspielzahl N (log)
HartdrehenWerkzeug:PKB, DNMA 150608vc = 150 m/minap = 0,2 mmf = 0,1 mm
SchleifenWerkzeug:SG 60 K5 VCSSvc = 40 m/sQ'w,Schr.= 7 mm3/mmsQ'w,Schl.= 1 mm3/mms
Werkstoff:16 MnCr 5, 60.. 62 HRC
arbeitsscharfeSchneide
VBC ≈ 100 µm VBC ≈ 200 µm geschliffen(Referenz)
σo
244
Dauerfestigkeiten. Bei sehr hohen Zugeigenspannungen nach dem Hartdrehen mit noch stärker verschlissenen Werkzeugen (VBc = 200 µm) ist ein Dauerfestigkeits-abfall von ca. 8 % gegenüber der geschliffenen Referenz festzustellen. Die höchs-ten Dauerfestigkeiten erreichen die hartgedrehten Proben, die mit arbeitsscharfer Schneide bearbeitet wurden. Eine Steigerung des Vorschubs von f = 0,1 mm auf f = 0,18 mm führt zu einer höheren mechanischen Belastung in der Randzone des Werkstücks. Dies bewirkt höhere Druckeigenspannungen von –630 MPa an der Werkstückoberfläche. Verglichen mit dem kleineren Vorschub f = 0,1 mm, der Druckeigenspannungen von –260 MPa aufweist, zeigt sich allerdings kein deut-licher Unterschied in der erreichbaren Dauerfestigkeit [BOR01].
11.6 Dichtfähigkeit
Für die Dichtfunktion eines Radialwellendichtrings ist die Qualität der Wellenober-fläche von ausschlaggebender Bedeutung. Der Einsatz von Radialwellendichtrin-gen als dynamisches Dichtelement an einer Vielzahl antriebstechnischer Bauteile erfordert für eine sichere Dichtfunktion bestimmte Rauheitswerte. Die entsprechen-den Normen sehen gemittelte Rautiefen in einem Bereich Rz = 1 bis 4 µm und maximale Rautiefen Rmax = 6,3 µm vor (vgl. DIN 3761). Neben der Anforderung an die Oberflächengüte wird eine absolute Drallfreiheit der Schleifstruktur der Gegen-fläche verlangt. Die Schleifstruktur muss daher in Umfangsrichtung liegen und darf keine überlagerten periodischen und regelmäßigen Welligkeitsanteile besitzen.
Drall entsteht beim Schleifen über den Abrichtvorgang der Schleifscheibe oder über Parallelitätsabweichungen zwischen Schleifscheiben- und Werkstücksachse. Der Abricht- und der Nulldrall sind bezüglich ihrer Ausprägung der Welligkeit zuzuordnen und der Schleifstruktur überlagert. Der Gang eines Dralls läuft über den Umfang kontinuierlich um. Die Durchgängigkeit ist solange gegeben, wie der Welligkeitsanteil des Dralls noch mindestens gleich groß ausgeprägt ist wie der Rauheitsanteil der Schleifstruktur. Eine Drallausprägung beeinträchtigt die Dicht-funktion der Fläche um so mehr, je größer der Drallwinkel ist, und je größer der Flächenquerschnitt eines oder mehrerer Gänge ist [KER92].
Die Gegenlaufflächen für Radialwellendichtringe werden konventionell durch Einstechschleifen hergestellt. Nach dem jetzigen Kenntnisstand ist das Schleifen im Einstich das unproblematischste Verfahren. Verfahrensbedingt entsteht beim Längsdrehen, also auch beim Längsdrehen gehärteter Funktionsflächen, eine Drall-struktur. Durch die Vorschubbewegung des Werkzeugs entsteht eine schraubenför-mige Drallstruktur, die praktisch einen Gang auf der Wellenoberfläche aufweist. Daher wurde das Längsdrehen als Bearbeitungsverfahren für Dichtsitze lange Zeit als ungeeignet betrachtet.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass sich Verfahren wie das Hartdrehen und das Hartdrehen mit anschließendem Hartglattwalzen grundsätzlich für die Bearbeitung von Gegenlaufflächen für Dichtsitze eignen [RAA99]. Eingesetzt werden die hart-gedrehten Wellen vorteilhaft in Aggregaten, die vorwiegend nur in einer Richtung
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
245
betrieben werden, z. B. Motor, Getriebeeingang, mit Einschränkung Getriebeaus-gang, Achseingang.
Allerdings fehlen für eine problemlose Anwendung noch Erfahrungen über die Einflüsse von Fertigungsparametern. So zeigen neuere Untersuchungen, dass die sich durch unterschiedliche Vorschübe einstellenden unterschiedlichen Steigungen der schraubenförmigen Drallstruktur keinen Einfluss auf die Förderwerte haben. Der Förderwert eines Dichtsystems ist dabei eine charakteristische Größe zur Be-schreibung der Leckageneigung des Systems Radialwellendichtring-Gegenlauff-läche. Höhere Förderwerte deuten auf mögliche Leckagen hin. Die Förderwerte hartgedrehter Dichtsitze steigen zwar mit zunehmendem Werkzeugverschleiß an, aber dennoch werden durch Drehen mit dem Schleifen vergleichbare Förderwerte erreicht bzw. nicht überschritten.
11.7 Nachbehandlungsverfahren
Eine Möglichkeit, auf die sich nach der Hartbearbeitung einstellende Werkstück-randzone Einfluss zu nehmen, besteht in der Nachbehandlung durch spanende, umformende oder andere eigenschaftsändernde Verfahren. Die Anwendung eines zusätzlichen Verfahrens muss dabei unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit nicht zwangsläufig negativ bewertet werden. So existiert mittlerweile eine Fülle indus-trieller Anwendungen, für die sich Verfahrenskombinationen aufgrund des günsti-geren Bauteilverhaltens etabliert haben, wie beispielsweise Schleifen/Honen von Lagerlaufbahnen [SCH76], Schleifen/Festwalzen von Kurbelwellen oder Schleifen/Kugelstrahlen von Verzahnungen. Weitere Verbreitung haben bei der Nachbehand-lung hartgedrehter Werkstücke insbesondere die Verfahren hydrostatisches Fest-walzen oder Wasserstrahlen.
11.7.1 Hartglattwalzen
Durch Verwendung speziell an die Anforderungen des Glattwalzens hochfester Werkstoffe angepasster Werkzeuge ist die Bearbeitung gehärteter Stähle mit Härten bis zu 62 HRC möglich. In diesem Zusammenhang spricht man vom Hartglattwal-zen. Typische Anwendungen für das Glattwalzen sind die Nachbehandlungen von gleitenden Bauteilen, wie Lagerzapfen, Ventilschäften, Wellendichtsitzen, Gleitfüh-rungen und Bremszylindern. Wirtschaftliche Vorteile für das Hartglattwalzen erge-ben sich aus kurzen, mit dem Drehen vergleichbaren Hauptzeiten, einem geringen Schmierstoffbedarf, langen Werkzeugstandzeiten und der Möglichkeit der Bearbei-tung in einer Aufspannung [ECO99]. Das Hartglattwalzwerkzeug kann sowohl in konventionellen als auch in CNC-gesteuerten Drehmaschinen eingesetzt werden, wobei das Werkzeug mittels Spannleiste in Standard-Klemmhaltern gespannt wer-den kann.
11.7 Nachbehandlungsverfahren
246
Die Wirkungsweise des Hartglattwalzwerkzeugs beruht auf dem hydrostatischen Prinzip. Eine keramische Hartwalzkugel wird durch ein Druckmedium gegen die Werkstückoberfläche gedrückt. Dabei werden Walzdrücke von bis zu 50 MPa er-reicht. Die Kugel schwimmt auf einem Druckpolster und ist somit reibungsarm gelagert. Wie im linken Bildteil von Abb. 11.8 gezeigt, ist die Kinematik des Hart-glattwalzens analog zum Drehen durch eine rotatorische Bewegung des Werkstücks (Walzgeschwindigkeit vw) und eine Vorschubbewegung des Werkzeugs entlang der Werkstücklängsachse (Walzvorschub fw) gekennzeichnet.
Beim Hartglattwalzen kommt es aufgrund des geringen Durchmessers der Kera-mikkugel bereits bei vergleichsweise geringen Kräften zu hohen Hertz’schen Pres-sungen, die zum Überschreiten der Fließgrenze und einer Einebnung von Rauheits-spitzen führen. Bei einem Walzdruck von 30 MPa wird beispielsweise eine maxi-male Hertz’sche Pressung von ca. 7500 N/mm2 erreicht. Dabei wirkt eine Walzkraft von etwa Fw = 850 N über die Walzkugel auf die Werkstückoberfläche.
Durch plastische Verformungen in der Randzone werden Zugspannungen nach dem Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen in den Druckspannungsbereich überführt. Rautiefenschwankungen bzw. der durch den Werkzeugverschleiß resul-tierende Anstieg der Rautiefe kann durch das Hartglattwalzen reduziert werden.
Der in der rechten oberen Bildhälfte von Abb. 11.8 dargestellte Vergleich des Rauheitsprofils nach dem Hartdrehen und anschießenden Glattwalzen zeigt eine deutliche Einebnung der Rauheitsspitzen durch das Glattwalzen. Das charakteristi-sche Profil einer gedrehten Oberfläche bleibt erhalten.
Die rechte untere Bildhälfte von Abb. 11.8 verdeutlicht die Abhängigkeit der erzielbaren Oberflächengüte nach dem Glattwalzen von dem Niveau der Ausgangs-rauheit nach dem Hartdrehen. Hierzu wurden in Abhängigkeit vom Vorschub und Werkzeugverschleiß unterschiedliche Ausgangsrauheiten eingestellt.
Abb. 11.8 Oberflächengüte nach dem Hartdrehen und Hartglattwalzen
Hydraulik-anschluss
fw
pw
Spannleiste
Werkstück
Werkstoff:100Cr660 - 62 HRC
Hartdrehen
vc = 150 m/minap = 0,2 mmf = 0,18 mm
Schneidstoff: PKBGeometrieDNMA 150616VBc = 220 µm
Hartglattwalzen
Kugel d = 6 mmvw = 150 m/min
fw = 0,08 mmpw = 30 MPa
hartgedreht hartgedreht + glattgewalzt
Rauheitsprofil
Rz = 5,2 µm
VBc = 0,05 mm
VBc = 0,22 mm
Rz = 3,2 µm
2,5 µm250 µm
gem
ittel
te R
auht
iefe
Rz
4
3
2
1
µm
6
00,08 0,12 0,140,06 0,1 mm
Vorschub Hartdrehen f
hartgedreht
hartgedreht + glattgewalzt
0,18
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
247
Liegen die Ausgangsrauheiten über einer gemittelten Rautiefe von Rz = 2 µm, kann eine Verbesserung der Oberflächengüte im Bereich von 40 % bis nahezu 50 % erzielt werden. Bei einer Ausgangsrauheit unterhalb von Rz = 2 µm, ist noch eine Verringerung des Rauheitswertes bis um 30 % möglich, was darauf zurückgeführt werden kann, dass mit zunehmender Profiltiefe ein erhöhtes Materialvolumen vor-liegt, das plastisch verformt werden muss. Wie gezeigt, können somit auch beim Glattwalzen Oberflächengüten im Bereich von Rz = 1 bis 2 µm erzielt werden.
Neben einer Veränderung der Oberflächenqualität führt die mechanische Bean-spruchung beim Glattwalzen zu einer Modifizierung des Eigenspannungszustan-des. Die nach dem Hartdrehen an der Werkstückoberfläche vorliegenden sehr ho-hen Zugeigenspannungen können durch das Glattwalzen bei einem Walzdruck von pgl = 20 MPa nahezu abgebaut werden. Bei einem Walzdruck von pgl = 30 MPa wird eine vollständige Verlagerung des Oberflächeneigenspannungszustandes in den Druckbereich erreicht. Mit zunehmender Werkstücktiefe werden durch das Glatt-walzen sehr hohe und ausgeprägte Druckeigenspannungen induziert, die Maximal-werte von –900 MPa in tangentialer Richtung annehmen. Nach dem Hartdrehen entstandene Gefügeumwandlungen in Form weißer Schichten werden durch das Hartglattwalzen nicht beeinflusst.
11.7.2 Wasserstrahlen
Das Hochdruck-Wasserstrahlen ist als trennendes Verfahren seit langer Zeit be-kannt. Wassertropfen können aber auch die Festigkeit von Stahlwerkstoffen stei-gern, wenn sie mit entsprechend hoher kinetischer Energie auf die Oberfläche auf-treffen. Auf Basis dieser Kenntnis hat sich das Wasserstrahlen in den letzten Jahren auch zu einem Verfahren der Oberflächenbehandlung entwickelt [KRO95]. Ein we-sentlicher Vorteil liegt dabei gegenüber dem Kugelstrahlen in der Anwendbarkeit für ein breites Spektrum an Bauteilgeometrien. Die festigkeitssteigernde Wirkung des Wasserstrahlens beruht auf dem gezielten Einbringen von Druckeigenspannun-gen sowie auf der Erhöhung der Härte.
Ursache für die Entstehung randnaher Druckeigenspannungen durch das Was-serstrahlen ist das Auftreffen von Flüssigkeitspartikeln auf die feste Werkstoff-oberfläche mit hohen lokalen Druckspitzen. Es kommt zu einer plastischen Ver-formung der randnahen Werkstoffbereiche mit gleichzeitiger Kaltverfestigung. Die Werkstückoberflächen bleiben nach der Behandlung durch Wasserstrahlen frei von Spuren sichtbarer plastischer Verformung. Oberflächentopographie und Rautiefe werden dabei im Gegensatz zu den Verfahren Festwalzen und Kugelstrahlen nicht verändert [KRO95]. Voraussetzung für den Einsatz des Wasserstrahlens als rand-schichtverfestigendes Verfahren sind ausreichend hohe Strahldrücke und geeigne-te Düsengeometrien. Beim Wasserstrahlen einsatzgehärteter Werkstoffe, die durch Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen bearbeitet werden, wird der typische Eigenspannungstiefenverlauf mit Zugeigenspannungen im oberflächennahen Be-reich durch das Wasserstrahlen deutlich in den Druckspannungsbereich verlagert
11.7 Nachbehandlungsverfahren
248
(Abb. 11.9). Die Einwirkdauer beim Wasserstrahlen beträgt für gehärtete Werk-stoffe ts = 15 s bei einem Strahldruck von ps = 100 MPa. Die Wirkung der Strahl-behandlung ist direkt an der Oberfläche am größten und nimmt kontinuierlich mit wachsendem Abstand vom Rand ab. In einer Tiefe von etwa 15 bis 20 µm liegt keine Beeinflussung des Spannungsverlaufs mehr vor. Die grundsätzlich geringere Eindringtiefe verglichen mit dem Kugelstrahlen stellt daher bei der Anwendung des Hochdruck-Wasserstrahlens in der Verfahrensfolge Hartdrehen/Wasserstrahlen keinen Nachteil dar, da die kritischen Wirkungen des Hartdrehens im Allgemeinen nicht in größere Tiefen reichen.
Für einsatzgehärtete, geschliffene Umlaufbiegeproben zeigt sich eine deutliche Biegewechselfestigkeitssteigerung von ca. 30 % nach dem Hochdruck-Wasser-strahlen. Bei hartgedrehten Proben, die mit verschlissenem Werkzeug bearbeitet wurden, kann der Schwingfestigkeitsabfall durch Hochdruck-Wasserstrahlen wie-der kompensiert werden [BRA95].
Als weitere Vorteile des Verfahrens sind minimale Kosten für Bereitstellung und Aufbereitung des Strahlmittels, flexible Anwendbarkeit auf eine große Vielfalt von Werkstückgeometrien und eine einfache Qualitätssicherung durch leicht zu über-wachende Verfahrensparameter zu nennen.
Fragen
1. Wodurch entstehen Formfehler beim Hartdrehen oder Hartfräsen?2. Wodurch ist die „Theoretische Rauheit“ beim Drehen definiert, welches sind die
Einflussgrößen?
Abb. 11.9 Druckeigenspannungen in hartgedrehten Werkstücken durch Wasserstrahlen
hartgedreht
wassergestrahlt
600
MPa MPa
200 200
0 0
– 200 – 200
– 400 – 400
– 600 – 600
– 800 – 800
0 10 20 30 40 µm 60
Abstand vom Rand
Eig
ensp
annu
ngen
σII
ESP-Messung: τmax ≈ 6µm
0° 15° 30° 45° 60° 75° 90°Messrichtung
hartgedreht
wassergestrahlt(ps = 100 MPa, ts = 15 s)
wassergestrahlt(ps = 100 MPa, ts = 15 s)
600
Werkstoff: 16MnCrS560 ...62 HRC
Werkzeug: PKB, BN 3SNGN 120416
f = 0,1 mmap = 0,2 mm
vc = 145 m/minVBc = 150 m
(σII)E
igen
span
nung
en σ
(σ⊥)
11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität
249
3. Wie ist erklärbar, dass beim Hartdrehen die tatsächliche Rauheit im niedrigerem Schnittgeschwindigkeitsbereich stärker von der theoretischen abweicht?
4. Was sind die typischen Randzonenveränderungen, die durch Hartbearbeitung entstehen?
5. Wie erklärt sich die Entstehung von Zugeigenspannungen in der Oberfläche, wie wirkt sich ein höherer Werkzeugverschleiß aus?
6. Nennen Sie Oberflächen- und Randzoneneigenschaften, die das Betriebsverhal-ten von Bauteilen beeinflussen können.
7. Welche Wirkungen wurden als Folge der Oberflächen- und Randzonenbeein-flussungen festgestellt?
8. Welche Nachbehandlungsverfahren sind Ihnen bekannt? Was bewirken sie?
Literatur
[BOR01] Borbe, C.: Bauteilverhalten hartgedrehter Funktionsflächen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 2001.
[BUS91] Bußmann, W.: Formfehleranalyse beim Planfräsen gehärteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover, 1991
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Antriebstechnik, Band 38 (1999) Heft 4, Seite 133-135[SCH76] Schreiber, E.: Die Werkstoffbeeinflussung weicher und gehärteter Oberflächenschichten
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maschinen, VDI-Seminar „Rationalisierungspotentiale in der spanenden Bearbeitung“, 5.-6. März, 1998
Literatur
251
Das Räumen ist ein produktives spanendes Verfahren der Serienfertigung. Funk-tionsflächen hoher Oberflächengüte bei hoher Maß- und Formgenauigkeit können durch einen einzigen Werkzeughub erzeugt werden. Das Verfahren zeichnet sich durch hohe Zerspanleistung aus.
Ein Räumwerkzeug, das eine geradlinige Schnittbewegung ausführt, ist aus mehreren/vielen gestaffelt angeordneten Schneiden aufgebaut (Abb. 12.1). Spe-zielle Varianten (Drehräumen, Wälzschaben von Evolventenflächen) spanen mit rotierenden Schnittbewegungen. Das Räumen ist das einzige spanende Verfahren, das ohne Vorschubbewegung arbeitet; denn der Eingriff von Schneide zu Schneide wird durch deren Staffelung erreicht. Die Spanungsdicke ist also durch das Werk-zeug vorgegeben.
Es ist zwischen dem Innen- und Außenräumen zu unterscheiden. Beim Innenräu-men wird ein Werkzeug durch eine vorgearbeitete Bohrung gezogen oder gedrückt.
Typische Anwendungen des Innenräumens sind die Herstellung von profilierten Bohrungen wie Vierkanten, Mehrkanten, Vielkeilprofile, Innenverzahnungen und Nuten (Abb. 12.2). Da die profilgebundenen und wegen der Staffelung (Spanungs-dicke) meist auch werkstoffgebundenen Werkzeuge durch ihren komplexen Aufbau aufwendig sind, wird das Innenräumen entweder nur in der Serienfertigung einge-setzt oder für die Herstellung von genormten oder sonstigen standardisierten Pro-filen, wenn ein aufwendiges Werkzeug über eine größere Zahl von Aufträgen oder unterschiedlichen Einsätzen amortisiert werden kann (Beispiel: genormte Vielkeil-profile). Das Außenräumen dient der Herstellung von ebenen oder profilierten Flä-chen. Es ist häufig die produktivere Alternative zum Fräsen. Allerdings ist auch hier ausreichende Seriengröße vorauszusetzen (Abb. 12.2).
Während eines Werkzeughubes werden im Allgemeinen Schrupp-, Schlicht-, Feinschlicht- und Kalibriervorgänge ausgeführt. Durch Variation der Staffelung lassen sich die Spanungsdicken entsprechend anpassen. Die höchsten Kräfte treten in der Schruppphase auf.
Durch Räumen lassen sich hohe Maß- und Formgenauigkeiten bis IT 7 (normal IT 8) erreichen. Auch hohe Oberflächengüten Rz bis 5 µm (normal Rz = 6,3 µm bis 25 µm, mit besonderem Aufwand bis 1 µm) können erzeugt werden. Die Lage-genauigkeit kann beim Innenräumen allerdings kritisch sein; denn die Werkstücke
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 12Räumen
252
werden meist schwimmend aufgelegt und die schlanken Werkzeuge besitzen nur eine geringe Quersteifigkeit.
Räumwerkzeuge werden meist aus Schnellarbeitsstahl gefertigt. Üblich sind die Schneidstoffe HS 6-5-2, HS 6.-5-2-5 oder HS 2-9-2 mit Härten von 64 HRC bis 66 HRC. Wegen der stoßartigen Belastung der Schneiden muss der Schneidstoff
Abb. 12.1 Innenräumwerkzeug mit Staffelung
Spannschaft
Kalibrieren
Schlichten
Schruppen
Spannschaft
Nachschliff
Spanraum
Teilung Is
h
Staffelung,Vorschub je ZahnSpanungsdicke
Abb. 12.2 Innen- und außengeräumte Profile
Innenprofile
Außenprofile
12 Räumen
253
ausreichend zäh sein. Die Räumwerkzeuge können zur Erhöhung des Standweges mit Titannitrid (TiN) oder Titancarbonitrid (TiCN) beschichtet werden. Wegen des gehärteten Schnellarbeitsstahles können nur Beschichtungsverfahren mit Arbeits-temperaturen unterhalb der Anlasstemperatur eingesetzt werden. Das sind PVD-Verfahren bei 480 °C bis 500 °C. Wegen ihres hohen Wertes werden Räumwerk-zeuge mehrfach nachgeschliffen. Dies erfolgt an der Spanfläche, wobei die Erst-beschichtung dort verloren geht. Gleichwohl hat die Beschichtung auf der Freiflä-che eine Stützwirkung und verzögert den Verschleiß. Um die Nachschliffstärke in Grenzen zu halten, wird vorteilhafterweise nur bis zu einer Verschleißmarkenbreite von 0,2 mm gearbeitet. Für Großserien werden in einigen Fällen auch Räumwerk-zeuge mit Hartmetalleinsätzen verwendet. Die Wirtschaftlichkeit für die Wahl des Schneidstoffes ist dabei zu prüfen.
Werkstoffe mit Festigkeiten in einem weiten Bereich von 400 N/mm² bis 1000 N/mm² lassen sich räumen. Es hat sich allerdings bewährt, Stahlwerkstücke in Festigkeiten von 500 bis 900 N/mm² zu halten, um die Schneiden nicht zu über-lasten (hohe Festigkeit) oder um Schmieren und ungünstige lange Späne (geringe Festigkeit) zu vermeiden.
An jeder Schneide greift eine linienförmig verteilte, räumlich geneigte Zer-spankraft an. Sie lässt sich zu einer diskreten Kraft Fz zusammenfassen und in drei Komponenten zerlegen: in die Schnittkraft Fc in Schnittrichtung, senkrecht dazu und normal zur erzeugten Oberfläche die Schnittnormalkraft FcN und senkrecht auf beiden Komponenten die Passivkraft Fp (Abb. 12.3).
Abb. 12.3 Kräfte an der Schneide
Werkstück
FcNFcN
Fc
FzFc Fp
Fp
Fc
Vc
dw
Span
h
Schneide
Vc
IsIw
λ
Tö/35866
Räumwerkzeug
Räumen
254
Die Passivkraft Fp verschwindet nur dann nicht, wenn die Schneiden gegen die Schnittrichtung geneigt sind (λ ≠ 0). Die Schnittkraft lässt sich – wie vorn ausge-führt – mit dem Ansatz von Kienzle über die spezifische Schnittkraft kc ermitteln:
(12.1)
und die Schnittkraft ist dann
(12.2)
In Gl. 12.2 ist die Spanungsbreite bj durch die Länge der im Eingriff befindlichen j-ten Schneide gegeben. Wird z. B. eine kreisförmige Bohrung geräumt, ist das der Kreisumfang. Die Spanungsdicke hj ergibt sich aus der Staffelung und z ist die Anzahl der Schneiden. Der Faktor gj berücksichtigt ob die jeweilige Schneide im Eingriff ist oder nicht und ist demnach entweder 1 oder 0. Die Werkzeugteilung ls bestimmt über die Staffelung die Länge des Räumwerkzeugs, die durch den maxi-malen Hub der Räummaschine begrenzt ist. Die minimale Teilung ls,min folgt aus dem notwendigen Spanraum, der zwischen den einzelnen Schneiden zur Verfügung gestellt werden muss, einem Zuschlag für den Nachschliff an der Spanfläche der Schneiden und einer Restdicke des Schneidkeils (s. Abb. 12.1). Eine übliche Er-fahrungsformel ist [SCH80]
(12.3)
mit der Spanungsdicke h, dem Schnittweg lw und dem Spanraumfaktor c. Der Span-raumfaktor wird in Abhängigkeit des Werkstoffes angesetzt (Tab. 12.1).
Die Anordnung der Schneiden wird meist so gewählt, dass eine Tiefenstaffelung entsteht. Das bedeutet, dass die Schneiden parallel zur Endkontur liegen. Bei einer Seitenstaffelung wird das Material quer zur Endkontur geräumt (Abb. 12.4). Seiten-staffelung wird eingesetzt, um überhöhten Verschleiß bei Guss- oder Schmiedehaut eines Werkstücks zu umgehen. Die Spanungsdicken sind durch die Staffelung des Räumwerkzeugs festgelegt. Tabelle 12.1 gibt einige Anhaltswerte, wobei zwischen dem Schruppen und Schlichten unterschieden werden muss.
Durch den periodischen Schneideneingriff kommt es zu Kraftschwankungen und damit zur Schwingungsanregung der Maschine. Abbildung 12.5 zeigt den Kraft-Zeitverlauf für ein gerade genutetes (λ = 0) und ein schräg genutetes (λ ≠ 0) Werk-
kc =Pc
Qw= kc1.1(h/ho)
−mc
Fc = kc
z∑
j=1
bj hj gj
ls = 2,5√
h · lw · c
12 Räumen
Tab. 12.1 Spa-nungsdicken, Spanraumzahlen und Schnittgeschwindig-keiten
255
zeug. Für das Innenräumen werden im Allgemeinen gerade genutete Werkzeuge verwendet; denn schräge Nuten sind aufwendiger herzustellen. Beim Außenräumen dagegen sorgt ein endlicher Neigungswinkel für einen sanfteren Kraftanstieg und damit kommt es zu erheblich geringerer dynamischer Belastung des Systems Ma-schine-Werkzeug-Werkstück. Eine Fourierzerlegung des trapezförmigen Kraftver-laufs ergibt
(12.4)
mit der Zeit t und
FcTR =4 Fc
πα
[1
12sin α sin +
1
32sin 3α sin 3 t +
1
52sin 5α sin 5 ...
]
α =2 π
lwa ; =
2 π
lsvc ; a = dw tan λ
Abb. 12.4 Staffelung von Räumwerkzeugen
Werkstück
Werkzeug
Tiefenstaffelung Seitenstaffelung
Abb. 12.5 Schnittkraftzeitverlauf
Sch
nittk
raft
Fc
Sch
nittk
raft
Fc
Iw Iw
Is
Is Is
Is
a a
FcTR FcRE
λ ≠ 0 λ = 0
RäumhubRäumhub
Räumen
256
Für den Fall λ = 0 ist die Funktion nach Gl. 12.4 nicht erklärt, da Zähler und Nenner gleichzeitig verschwinden. Mit der Regel von L’Hospital lässt sich ein Grenzwert für den rechteckigen Kraftverlauf FcRE angeben
(12.5)
Man entnimmt Gl. 12.4, dass die Anregung mit der Grundfrequenz f = ½ πΩ = vc/ls do-minant ist. Anders liegen die Verhältnisse bei steiler Eingriffsflanke FcRE (s. Gl. 12.5). Zum einen ist das Amplitudenverhältnis (nur über das erste Glied gerechnet) um den Faktor
(12.6)
größer, zum anderen sind bei steiler Flanke die Folgeglieder der Reihe erheblich größer. Das bedeutet, dass die Anregung bei λ = 0 um ein Mehrfaches stärker ist und auch höhere Eigenfrequenzen wesentlich stärker angeregt werden. In diesem Fall – also insbesondere beim Innenräumen – ist das dynamische Verhalten der Maschine und des Räumwerkzeugs mit seiner Einspannung besonders kritisch.
Die meisten Innenräummaschinen arbeiten mit gezogenen Werkzeugen. Dann ist gerade in der Anfangs- oder Schruppphase der unbelastete Teil des Räumwerkzeugs lang und neigt zu erheblichen Biegeschwingungen. Einige Innenräummaschinen arbeiten daher mit drückendem Werkzeug. Diese Anordnung hat zwar den Vorteil, dass das Werkzeug mit seiner Einspannung gut geführt ist, weist aber den Nachteil auf, dass die Werkzeuge auf Knicken beansprucht werden, was kritisch sein kann.
Eine in diesem Zusammenhang interessante Anordnung bietet eine Zug-Druck-Räummaschine. Das Werkzeug wird an beiden Enden fest eingespannt; durch eine Druckstange werden beide Spannbrücken fest miteinander gekoppelt und gemein-sam angetrieben. Das Prinzip und ein Federersatzbild zeigen Abb. 12.6 und 12.7.
Je nach Ausführung des Räumwerkzeugs kann dies das nachgiebigste Element im Kraftfluss sein. Man kann im mechanischen Sinne die kraftdurchflossenen Kom-ponenten einer Räummaschine von der Wirkstelle, wo Werkzeug und Werkstück im Kontakt sind, über das Räumwerkzeug, den oder die Räumschlitten, das Gestell der Maschine bis zur Werkstückbrücke als eine Kette von in Reihe geschalteten Federn auffassen. Die Gesamtsteifigkeit kges ergibt sich zu
(12.7)
Das heißt, dass die Gesamtsteifigkeit immer geringer ist als die geringste Steifigkeit einer der Komponenten.
Wie in Abb. 12.6 zu erkennen ist, wird das Räumwerkzeug zwischen einer obe-ren und unteren Brücke eingespannt, nachdem es in das Werkstück eingeführt ist. Die beiden Brücken werden gleichlaufend vorgeschoben.
FcRE = limλ→0
FcTR =4 Fc
π
[sin t +
1
3sin 3 t +
1
5sin 5 + ...
]
FcRE/FcTR = α/ sin α
1
kges≥
n∑
i=1
1
ki
12 Räumen
257
Abb. 12.6 Zug-Druck-Innenräummaschine (Bauart LLR, Balve)
AntriebÖffnungs-zylinder
Spannzange
Druckbrücke
Druckstange
Räumwerkzeug
Kugelroll-spindeln
Werkstück
Spannzange
Zugbrücke
Abb. 12.7 Kräftegleichgewicht
F F
FFks
ko
ku
Fu
Fu
Fu
Fo
Fo
Fu
Druckstange
Räumwerkzeug
Werkstück
Maschine
Mechanisches Ersatzbild Freikörperbild
Räumen
258
Zwischen Werkzeug und Werkstück wirkt die Räumkraft F. Diese Kraft ist durch den Zerspanprozess bestimmt. Die Räumkraft wird einerseits von der Werkstück-brücke aufgenommen und andererseits von den beweglichen Schlitten, also der Druck- und Zugbrücke, in das Gestell der Maschine eingeleitet. Das System ist symmetrisch aufgebaut. Es treten folglich auch keine Kipp- oder Biegemomente auf, die bei einer unsymmetrischen Anordnung entstehen und dann durch die Füh-rungen des Räumschlittens gegenüber dem Maschinengestell aufgenommen wer-den müssen.
Wie die Räumkraft über den beweglichen Teil in die angetriebene Druckbrücke eingeleitet wird, d.h. welche Zug- und Druckkräfte im Räumwerkzeug entstehen, hängt von den Steifigkeiten der Übertragungselemente ab. Um die Kraftaufteilung zu bestimmen, wird das in Abb. 12.7 dargestellte Ersatzfederbild genutzt. Die Fe-derung der Druck- und Zugbrücke (Biegung) und der Kugelrollspindel sowie der Verbindungsstangen (Druck) wird durch die Federzahl ks wiedergegeben. Die Fede-rung des oberen und unteren Teils des Räumwerkzeugs wird durch die Federzahlen ko (oberer Teil) und ku (unterer Teil) beschrieben.
Auf das Federsystem wirken demnach von außen nur die Kräfte F und -F ein. Im Innern des Systems wirken im Räumwerkzeug unten (unterer Teil) Fu und oben Fo. Über die Kugelrollspindeln werden die Kräfte Fu auf die Druckbrücke (oben) übertragen. Folglich gilt:
(12.8)
Unter dem Einfluss dieser Kräfte verschieben sich deren Angriffspunkte um die kleinen Wege x1 am Angriffspunkt der Räumkraft und xu an der Zugbrücke (unten).
Daher gilt:
(12.9)
und
(12.10)
Da Fu außer in der Druckstange auch im unteren Teil des Räumwerkzeugs wirkt, gilt außerdem
(12.11)
Die Federzahlen ks, ku und ko lassen sich aus den Abmessungen und den elastischen Eigenschaften der kraftdurchflossenen Komponenten errechnen. Es gilt dann nach einer Kraftbilanz:
(12.12)
Um den Rechengang zu vereinfachen, wird nun angenommen, dass ks sehr viel größer ist als ko und ku
Dann werden die Gln. 12.12 zu
F − Fo − Fu = 0
F − Fu = ko · x1
Fu = ks · xu
Fu = ku · (x1 − xu)
Fo =ko · (ku + ks)
koku + koks + kuks· F Fu =
ku · (ku + ks)
koku + koks + kuks· F
ks > > ko, ku
12 Räumen
259
(12.13)
Diese Vereinfachung ist für den Rechengang nicht prinzipiell erforderlich.Das Räumwerkzeug wird für eine elastische Rechnung als zylindrischer Stab
aufgefasst. Weiterhin wird angenommen, dass die Steifigkeiten der Druck- und Zugbrücke unabhängig von der Antriebsart für einen Vergleich nicht relevant sind. Gleichwohl sind sie auf Biegung beansprucht und tragen daher durchaus zur Ge-samtnachgiebigkeit bei.
Mit dem E-Modul E, dem Querschnitt A und der Länge des Stabes l sind die Federzahlen ko und ku über dem Weg x variabel. Es gilt damit
(12.14)
Mit Gl. 12.7 folgt dann
(12.15)
Der Kraftverlauf ist in Abb. 12.8 dargestellt.Man erkennt also, dass die Druckkraft im Räumwerkzeug gering ist, wenn die
freie Knicklänge groß ist und umgekehrt. Das hat zur Folge, dass trotz der anteili-gen Druckbeaufschlagung des Werkzeugs die Knickgefahr entscheidend gemildert wird. Andererseits wird aber das Werkzeug an beiden Enden aktiv geführt. Praxis-versuche haben gezeigt, dass die Standmengen beim Innenräumen auf Maschinen nach dem Zug-Druck-Prinzip wesentlich erhöht werden können verglichen mit kon-ventionellen Maschinen [TÖN03].
Kenngrößen für Räummaschinen sind die maximale Räumkraft und die maxi-male Räumlänge. Angeboten werden Innen- und Außenräummaschinen mit Räum-kräften bis 1200 kN und Räumhüben bis 3000 mm. Die Antriebe können elekt-romechanisch oder hydraulisch ausgeführt sein. Das Räumen ist ein schwieriges spanendes Verfahren, das hohe technologische Anforderungen stellt. Beim Innen-räumen müssen die Vorbohrungen in engen Toleranzen liegen, die geringer als die
Fo =ko
ko + ku· F Fo =
ku
ko + ku· F
ku =E · A
xko =
E · A
l − x
Fo =x
l· F Fu =
l − x
l· F
Abb. 12.8 Kräfte und Steifigkeiten
Krä
fte
Schlittenhub x Schlittenhub x
N
O OI I
Fu Ku
KoFo
Ste
ifigk
eit
K
Räumen
260
maximale Spanungsdicke sein müssen. Zu kleine Vorbohrungen machen Räumen unmöglich. Wenn die Vorbohrungen zu groß sind, ist mit Verlaufen und großen La-geabweichungen zu rechnen. Dieser Fehler kann auch zum Verhaken und Abreißen des Werkzeugs führen. Auch muss die Auflagefläche des Werkstücks rechtwinklig zur Vorbohrung sein. Wenn besondere Lage- oder Winkligkeitstoleranzen vorge-geben sind, sollte wegen dieser beim Innenräumen nicht ohne weiteres einzuhal-tenden Toleranzen zunächst die Innenräumoperation durchgeführt werden und erst danach die Außenbearbeitung vorgenommen werden, wobei dann in den geräumten Flächen aufgenommen wird. Auch gehärtete Werkstücke lassen sich räumen. Als Schneidstoff werden dann in der Regel Hartmetall oder kubisches kristallines Bor-nitrid (PCBN) verwendet. Maschinen und Werkzeuge müssen für das Harträumen ausgelegt sein. Wegen der technologischen Schwierigkeiten des Verfahrens Räu-men müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, dass es nicht zum Abreißen oder groben Beschädigungen der aufwendigen Werkzeuge kommt.
Fragen
1. Welche Bewegung führt ein Räumwerkzeug aus? 2. Wodurch ergibt sich die Spanungsdicke? 3. Nennen Sie typische Anwendungen des Räumverfahrens. 4. Wozu wird Seitenstaffelung eingesetzt? 5. Woraus ergibt sich die Teilung eines Räumwerkzeugs? 6. Warum ist für eine gegebene Räummaschine die Werkstückhöhe begrenzt? 7. Nennen Sie Größenordnungen für Spanungsdicken beim Räumen, Welche
Unterscheidung ist vorzunehmen? 8. Skizzieren Sie den dynamischen Schnittkraftverlauf beim Räumen für λ = 0
und λ ≠ 0. 9. Warum wird beim Innenräumen meist mit λ = 0 gearbeitet?10. Wie lassen sich aus dem Zeitverlauf die Schnittkraft die Anregungsfrequenzen
ermitteln?11. Welche Vor- und Nachteile haben Innenräummaschinen mit gedrückten
Werkzeugen?12. Wie ist der Kraftverlauf bei Zug-Druck-Anordnung einer Innenräummaschine?
Literatur
[DIN 8589-5] DIN 8589-5: Fertigungsverfahren Spanen, Teil 5: Räumen, Einordnung, Untertei-lung, Begriffe
[SCH80] Schweitzer, K.: Räumen. In G. Spur, Th. Stöferle (Hrsg.): Handbuch der Fertigungstech-nik (Band 3/2), Hanser-Verlag 1980
[TÖN03] Tönshoff, H.K.; Lübbers, E.: Produktivitätssprünge beim Räumen. ZWF 7/8 (2003)
12 Räumen
261
13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden
Die Verfahren der Gruppe „Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden“ glie-dern sich nach DIN 8589-0 in die Verfahren Schleifen mit rotierendem Werkzeug, Bandschleifen, Hubschleifen, Honen, Läppen, Gleit- und Strahlspanen (Abb. 13.1). Es können Verfahren mit gebundenem und ungebundenem losem Korn unterschie-den werden. Diese Verfahren zählen zu den Feinbearbeitungsverfahren. Die Ent-wicklung von Hochleistungsschleifverfahren ermöglicht heute die wirtschaftliche Realisierung hoher Zeitspanvolumina, so dass die Einsatzgebiete der Verfahren mit geometrisch unbestimmter Schneide nicht mehr nur auf die Endbearbeitung be-schränkt sind.
Die Materialtrennung erfolgt weggebunden (Schleifen, Honen), kraftgebunden (Läppen) oder energiegebunden (Strahlspanen). Die Schneiden der Körner werden dabei tangential (z. B. beim Schleifen) oder normal (z. B. beim Läppen) zur entste-henden Oberfläche bewegt (Abb. 13.2). Diese Wirkbewegung bestimmt den Wirk-mechanismus: Beim normalen Eindringen der einzelnen Schneiden wird Werkstoff verdrängt und als Folge dieser keilartigen, plastischen Formänderung auch tangen-tial verschoben. Mehrere oder viele derartige Verdrängungsvorgänge [SIM88] an einer Stelle z. B. beim Läppen führen zur Zerrüttung und zum Trennen von Werk-stoffteilen. Die Körner rollen durch die Läppscheibe angetrieben gegenüber dem Werkstück ab und werden dabei ständig normal in die Werkstückoberfläche ein-gedrückt.
Beim tangentialen Eindringen der einzelnen Schneiden z. B. beim Schleifen gleicht der Vorgang grundsätzlich dem Spanen mit geometrisch bestimmter Schnei-de. Prinzipiell laufen bei den Verfahren beider Gruppen die gleichen Trennmecha-nismen ab (Abb. 13.3). Die Schneiden werden beim Schleifen allerdings durch Hartstoffkörner gebildet, wobei ein Korn mehrere aktive Schneiden haben kann. Im Regelfall sind die Größenordnungen der beteiligten Elemente erheblich gerin-ger als beim Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden. Spanen mit gebun-denem Korn geschieht in der Regel mit stark negativem Spanwinkel. Die Bahnen der Schneiden entsprechen beim Schleifen mit rotierendem Werkzeug Epizykloiden (durch Schnitt- und Vorschubbewegung). Die Form der Schneidkeile und damit die
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 13Schleifen
262
Spanwinkel, die an der einzelnen Schneide auftretende Spanungsdicke und auch die am Einzelkorn wirksamen Prozessgrößen, wie Kräfte und Temperaturen, sind nur statistisch beschreibbar, z. B. durch Mittelwerte, Varianzen und Verteilungen.
Die Spanungsdicken beim Schleifen sind so gering, dass elastische Anteile an den Formänderungen des Werkstoffs nicht vernachlässigbar sind. Abbildung 13.4 zeigt die unterschiedlichen Phasen bei der Spanbildung. Beim Schneideneingriff kommt es nach einer rein elastischen Verformung (1) zum plastischen Fließen des Materials (2). Die eigentliche Spanbildung erfolgt nach einem weiteren Eindringen der Schneide in den Werkstoff (3). Neben der Scherung des Spans (7) ist dieser Be-reich sowohl durch elastische als auch plastische Formänderungen charakterisiert.
Abb. 13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden (nach DIN 8589-0)
Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden
mit gebundenem Korn
Schleifen mitrotierendem Werkzeug
Bandschleifen
Hubschleifen
Honen
mit losem Korn
Läppen
Strahlspanen
Gleitspanen
Abb. 13.2 Wirkprinzipien und -mechanismen beim Läppen und Schleifen
Kühlschmierstoff
Span
gebundeneSchleifkörner
Läppen
Läppscheibe
WerkstückLäppmedium
lose Läppkörner
eingelagertesLäppkorn
Wirkbewegung
Relativgeschwindigkeit
Schleifen
Schleifscheibe
13 Schleifen
263
Dem gegenüber liegen unmittelbar vor dem Austritt des Korns aus dem Werkstoff nur noch elastische Formänderungen und die Scherung des Spans vor (4). Trotz der Ähnlichkeit des Schleifens mit den Verfahren des Spanens mit geometrisch be-stimmter Schneide bestehen einige grundsätzliche Unterschiede: Beim Schleifen kommt es vor der Schneide zu seitlichem Stofffluss, der Formänderungszustand ist dreiachsig im Gegensatz zu überwiegend zweiachsigem Fließen beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide [HAH63].
Abb. 13.3 Spanbildung
1 primäre Scherzone2 sekundäre Scherzone an der Spanfläche
3 sekundäre Scherzone an der Stau- u. Trennzone4 sekundäre Scherzone an der Freifläche5 Verformungsvorlaufzone
Drehen, Fräsen ca. 100 µm ca. 10 µm
Span
Span
SchneidkeilBindung
Werkstück
Schleifen
Schleif-korn vc
vc
1
1
2
23
34
4
5
5
Abb. 13.4 Phasen der Spanbildung beim Schleifen
1
1
2
2 33
4
4
5
56
6
7
7
elastische Formänderung
elastische Formänderungund Scherung des Spans
elastische und plastischeFormänderung
elastische und plastischeFormänderung (Pflügen)und Scherung des Spans
Zone elastischer Form-änderung
Zone plastischer Form-änderung
Span
vc
13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden
264
13.2 Schleifstoffe
Die zum Schleifen gebräuchlichen Hartstoffe sind Aluminiumoxid, Siliziumkarbid, kubisch kristallines Bornitrid und Diamant. Diese Hartstoffe für Schleifzwecke werden heute ausschließlich synthetisch hergestellt, weil so günstige Stoffeigen-schaften in engen Grenzen erreicht werden können. Die Schleifstoffe unterscheiden sich in ihrer Härte und damit in ihrer Verschleißfestigkeit erheblich (Abb. 13.5). Aber auch in den übrigen physikalischen Kennwerten bestehen große Unterschiede (Tab. 13.1) [DOW72]. Die Härte von Diamant ist hierbei in Knoop- bzw. Vickers-
Tab. 13.1. Physikalische Eigenschaften verschiedener Schleifstoffe.
Abb. 13.5 Härte von Schleif- und Werkstoffen
Diamant
Kubisch Krist. Bornitrid
Borkarbid
Siliziumkarbid
Korund
Hartmetalle
Stahl, gehärtet
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000Knoop Härte HK 0,1
740
1400-1800
1850-2000
2450-3000
2800
4500-5000
5000-7000
13 Schleifen
265
härte umgerechnet. Eine direkte Härtemessung mit diesen Verfahren ist nicht mög-lich, vielmehr wird die Härte indirekt über den E-Modul ermittelt.
Neben der Härte wird mit Rücksicht auf das Verschleißverhalten die Brüchigkeit von Schleifstoffen betrachtet. Die Brüchigkeit (friability) wird in einem technolo-gischen – nicht standardisierten – Verfahren dadurch ermittelt, dass grobes Schleif-korn (Korngröße 12 US mesh) unter festgelegten Bedingungen (Kugelmasse, Mahl-zeit u. a.) kugelgemahlen wird. Das Verfahren geht auf den von Fa. DeBeers ent-wickelten „Friatester“ zurück [ANSB7418]. Der Friability Index (Bruchindex) des Schleifstoffs ist durch den Anteil der Körnung bestimmt, der durch ein Sieb der Korngröße 16 US mesh hindurch fällt. Da das Verfahren durch Sieben nur eine Maschenweite nutzt, kann über die Größenverteilung und damit über die Feinbrü-chigkeit, die für das Absplittern interessant ist, kaum eine Aussage gemacht werden.
Auch sind die Indexzahlen für unterschiedliche Korngrößen nicht vergleichbar; denn geringe Korngrößen ergeben im Allgemeinen eine geringere Indexzahl. Bei-spielhaft sind Friability Indices für Aluminiumoxid verschiedener Härtegrade in Abb. 13.6 eingetragen.
13.2.1 Korund
Korund ist ein kristallines Aluminiumoxid (Al2O3). Die mechanischen Eigenschaf-ten werden in starkem Maße durch den Reinheitsgrad bestimmt. Es wird zwischen Normal-, Halbedel- und Edelkorund unterschieden.
Bei der Herstellung von Korund dient Bauxit als Rohstoff für alle Qualitäten, ein Gemisch verschiedener Aluminiumoxidhydrate, das mit Eisenhydroxiden, Silika-
Abb. 13.6 Friability Index und Härte, nach Malkin [MAG08]
70
60
50
40
30
20
10
01000 1500 2000 2500 3000
Härte
Fria
bilit
y In
dex
mit 3% Cr
weiß
monokristallin
regulär (braun)
gesintert mikrokristallin
13.2 Schleifstoffe
266
ten und Titanverbindungen verunreinigt ist [SAL82]. Bei dem am häufigsten ver-wendeten Bayer-Verfahren wird gemahlenes Bauxit mit einem Al2O3-Gehalt von 55–60 % bei ca. 250 °C unter einem Druck von 4 MPa mit Natronlauge behandelt. Die Aluminiumoxidhydrate gehen als Natriumaluminat in Lösung, die Verunreini-gungen werden als sog. Rotschlamm abgetrennt. Die Natriumaluminatlauge wird mit feinverteiltem Aluminiumhydroxid versetzt, das als Kristallisationskeim zu einem Heranwachsen von Al(OH)3-Kristallen führt. Durch Kalzination des Alumi-niumhydroxids in Wirbelschichtöfen bei 1.200 bis 1.300 °C wird Al2O3 (Tonerde) gebildet [SAL82].
Durch Aufschmelzen der Tonerde im Elektroofen bei Temperaturen von ca. 2.000 °C wird der Korund (Al2O3) erzeugt. Mit diesem Verfahren lässt sich ein hoher Reinheitsgrad erzielen. Durch Zerkleinern in Brechanlagen werden die für die Schleifmittel notwendigen Korngrößen erzeugt. Chemische Nachbehandlungs-verfahren durch Rösten und Waschen in Laugen oder Säuren führen zu verbesserten Oberflächenbeschaffenheiten der Körner und zielen auf eine Erhöhung ihrer Haft-festigkeit in der Bindung ab.
Ein sehr feines Ausgangskorn erhält man durch den Sol-Gel-Prozess, bei dem von einer flüssigen oder leicht lösbaren Verbindung ausgegangen wird. Nach dem Sol-Gel-Verfahren lassen sich Keramiken und Glaszusammensetzungen bei niedrigen Temperaturen herstellen. Gekennzeichnet ist der Prozess durch den Übergang einer flüssigen oder kolloiden Lösung (kleinste Partikel der Größen-ordnung 103 bis 104 Atome, mit Molekülen des Lösungsmittels vermischt) in ein festes Gel.
Zur Herstellung von Al2O3 nach dem Sol-Gel-Verfahren wird eine Lösung aus Aluminium und einem organischen Ester (Al(OC3H7)3) mit H2O hydrolysiert und anschließend unter Wasserabspaltung kondensiert, wodurch ein sehr feines Gel ent-steht, das sich gut zum Sintern eignet.
Eine Leistungssteigerung von Korundschleifstoffen kann durch Verändern von Kornaufbau und Kornform erreicht werden (Abb. 13.7). Während des Schleifens lässt sich die Zahl der arbeitsscharfen Schneiden je Schleifkorn erhöhen, womit gegenüber unbehandeltem Schmelzkorund die Standzeit und die Leistungsumset-zung verbessert werden kann. Durch Erhöhung der Scheibenporosität bei unver-änderter Scheibenfestigkeit lassen sich andererseits Schleifspäne aus der Wirkstelle leichter entfernen. Auch kann bei erhöhter Scheibenporosität der Kühlschmierstoff der Kontaktzone besser zugeführt werden.
Während des Schleifprozesses können geeignet ausgelegte Schleifkörner so ver-schleißen, dass weitgehend arbeitsscharfe Schneiden entstehen. Diese Selbstschär-fung lässt sich durch Kompaktkörner oder Körner mit mikrokristallinem Aufbau erreichen. Die Kompaktkörner bestehen aus einer Vielzahl von kleinen Schleifkör-nern, die durch eine Bindung zu einem großen Schleifkorn verbacken worden ist. Durch den prozessbedingten Verschleiß an den einzelnen kleinen Schleifkörnern, kommt es zu einer lokalen Erhöhung der spezifischen Schleifkraft an dem verschlis-senen Korn. Beim Überschreiten der Bindungskräfte löst sich das abgestumpfte Korn aus dem Verband des Kompaktkornes und legt ein darunter befindliches neues
13 Schleifen
267
scharfes Korn frei. Diese Art des Selbstschärfungsprozesses von Schleifkörnern fin-det bevorzugt seine Anwendung bei Schleifmittel auf Unterlagen, wie z. B. Band-schleifprozessen [ARG00].
Durch die Herstellung von mikrokristallinem Al2O3 nach dem Sol-Gel-Verfahren ist die Selbstschärfung auch auf das einzelne Korn übertragbar. Hierbei können sich im Schleifprozess sehr kleine Ausbrüche und somit scharfe Schneidkanten bilden. Dieser Mechanismus führt im Gegensatz zu den grobkristallinen Schmelzkorunden zu einem deutlich reduzierten Verschleiß bei gleichzeitig reduzierter Schleifkraft und Temperatur. Das führt zu höheren Standmengen, längeren Abrichtintervallen und lässt eine Steigerung des Zeitspanvolumens zu [UHL87, BRU98, MÜL01]. Dabei unterscheiden sich verschiedene mikrokristalline Korunde erheblich in der Höhe der für eine Selbstschärfung erforderlichen Initialkraft [STA02].
Bei Schleifverfahren mit großen Zeitspanvolumen werden Schleifscheiben mit hohen Porenanteilen eingesetzt. Die maximale Porosität beträgt ohne weiteres etwa 50 %. Eine weitere Steigerung führt zu geringerer Festigkeit, die die maximale Schnittgeschwindigkeit begrenzt und die Verschleißrate erhöht. Durch das Einbrin-gen von Hohlkugelkorund, einem hohlen Korundkorn, in die Schleifscheibenstruk-tur lässt sich die Porosität auf 60 % steigern [MAH00]. Durch spezielle Herstel-lungsverfahren können Schleifkörner mit großem Längen-Durchmesserverhältnis (Streckungsgrad) bis zu 8 gewonnen werden. Das Normalkorundkorn dagegen hat einen Streckungsgrad von 1. Ein Vorteil der elongierten Schleifkörner ist die Er-weiterung und Verbesserung der natürlichen Packungsporosität des Korns. Damit lassen sich Schleifscheiben mit bis 80 % Porosität ohne künstliche Porenbildner herstellen.
Abb. 13.7 Möglichkeiten der Leistungssteigerung bei Einsatz von Aluminiumoxid
Normalkorund KompaktkornK
orna
ufba
uK
ornf
orm
Normalkorund Hohlkugelkorund Stäbchenkorund
Zunahme der Porosität der Schleifwerkzeuge
Zunahme der scharfen Schneiden je schneidkorn
mikrokristallinerKorund
13.2 Schleifstoffe
268
13.2.2 Siliziumkarbid
Siliziumkarbid gehört zu den wichtigen keramischen Werkstoffen. Es wird auch als Schleifstoff eingesetzt. Die technische Herstellung von SiC erfolgt nach dem Ache-son-Verfahren aus Quarzsand (SiO2) und Petrolkoks bei Temperaturen von 2.000 bis 2.300 °C nach der stöchiometrischen Reaktion
(13.1)
Die Reaktionen laufen dabei auch über Zwischenreaktionen infolge der Anwesen-heit von gasförmigen Silizium- und Kohlenstoffverbindungen ab. Das nach dem Acheson-Verfahren gewonnene Siliziumkarbid fällt in einer Reinheit von 98 bis 99 % an. Die Verunreinigungen (Fe, Mg, Ca) sind an den Korngrenzen oder in Poren angereichert. Das Material wird zerkleinert, gereinigt und durch Sieben nach Korngrößen getrennt. Durch einen mehrstufigen Waschprozess lässt sich eine Rei-nigung des SiC erzielen. Eine Säurebehandlung löst vorhandene Eisenrückstände. Mit Natronlauge werden freies Silizium und Siliziumverbindungen und mit Wasser Graphit abgetrennt.
Anhand der Farbe lässt sich SiC in zwei Qualitäten, die durch ihre chemische Zusammensetzung gekennzeichnet sind, unterscheiden. Schwarzes SiC (≈ 98 %) weist im Gegensatz zu grünem SiC (≈ 99,5 %) größere Verunreinigungen von freiem Kohlenstoff und Elementen wie Fe, Al, Ca, Mg und freiem Silizium auf. Einen Einfluss auf die Härte zeigen die Verunreinigungen nicht. Die Zähigkeit von schwarzem SiC ist jedoch größer als die von grünem SiC.
13.2.3 Kubisch kristallines Bornitrid und Diamant
Bei Schleifmitteln aus kubisch kristallinem Bornitrid, auch CBN (Cubic Boron Nitride) genannt, und Diamant handelt es sich um hochharte Schleifmittel, die im englischen Sprachgebrauch unter dem Begriff „Superabrasives“ zusammenge-fasst sind. Der Aufbau und der Herstellprozess ist in Kap. 8 dargestellt [BUN55, HAL60]. Während die Herstellung von CBN nur synthetisch erfolgt, kann zwi-schen natürlichem und synthetischem Diamant unterschieden werden. Für den Einsatz als Schleifmittel in Schleifscheiben wird heutzutage ausschließlich synthe-tischer Diamant eingesetzt. CBN besitzt ein kubisch-hex’tetraedisches Atomgitter aus Stickstoff- und Boratomen, Diamant ein kubisch flächenzentriertes Gitter mit vier zusätzlichen Kohlenstoffatomen [KEL80]. Durch die verschiedenen Gleitebe-nen können unterschiedliche Kristallformen auftreten (Abb. 13.8). Diese erstre-cken sich beim synthetischen Diamant vom Oktaeder (111-Ebene) bis zum Würfel (100-Ebene). Der Diamant ist anisotrop, so ist z. B. die Härte in der 111-Ebene höher als die der 100-Ebene [RAM78]. Durch die etwas unterschiedliche Atom-struktur können CBN-Kristalle weitere Formen vom Oktaeder bis zum Tetraeder einnehmen.
SiO2 + 3C → SiC + 2CO.
13 Schleifen
269
Aufgrund ihrer Kristallstruktur enthalten die Schleifkörner Spaltebenen, entlang denen sie bevorzugt splittern. Während der Schleifbearbeitung stumpfen die Kör-ner ab. Sie werden stärker belastet und splittern. Dadurch werden neue Schneiden generiert, man spricht von einer Selbstschärfung. Je nach Art und Anzahl der Spalt-ebenen lassen sich mono-, makro- oder mikrokristalline Strukturen unterscheiden.
Diamant ist der härteste bekannte Stoff. In Verbindung mit seiner hohen Ver-schleißfestigkeit ist er prädestiniert für den Einsatz als Schneidstoff zur Bearbeitung harter Materialien wie z. B. für Glas, Hartmetall und Keramik. Diamant wandelt sich allerdings bei Temperaturen oberhalb 650 °C an Luft in die energetisch güns-tigere Modifikation des Graphits um, wobei Eisen und Nickel als Katalysatoren wirken und den Umwandlungspunkt zu niedrigeren Temperaturen verschieben [MAR01]. Auch weist Kohlenstoff eine hohe Affinität zum Eisen auf, so dass es bei höheren Temperaturen – also bei höheren Schnittgeschwindigkeiten – zu che-mischem Verschleiß kommt. Beide Effekte, die Graphitisierung und der chemische Verschleiß führen dazu, dass Diamant nicht als Schleifstoff für die Bearbeitung von Stahlwerkstoffen eingesetzt wird. Dem gegenüber weist CBN keine Reaktion dieser Art auf und ist bei atmosphärischem Druck bis 1.400 °C stabil und somit für die Bearbeitung eisenhaltiger Werkstücke geeignet.
Eine anerkannte Methode zur Festigkeitsbestimmung von Diamanten ist der Friability-Test. Dieser beruht auf der Messung der Schlagfestigkeit einer definierten Menge von Diamanten bestimmter Korngröße. Die Anzahl an Diamanten, die dem „Zertrümmerungsversuch“ widerstehen, ist ein Maß für die Festigkeit des unter-suchten Diamanttyps (TI) (siehe auch vorn). Zur Bestimmung der thermischen Sta-bilität werden Diamanten unter Schutzgas bei 1.100 °C 20 min. thermisch belastet und anschließend erneut einem Friability-Test unterzogen (TTI). Der Unterschied zwischen der Festigkeit vor und nach der thermischen Belastung ist ein Maß für die
Abb. 13.8 Mögliche Kristallformen von CBN und Diamant (Quelle: Element Six)
CBN / DiamantOktaeder Würfel
Oktaeder TetraederCBN
Z
Y
X
Index 111
Index 100
Z
Y
X
13.2 Schleifstoffe
270
thermische Stabilität des Materials. Diese thermische Stabilität ist für den Einsatz des Werkzeuges aber auch bei der Herstellung einer Schleifscheibe durch Sintern wichtig [VOL00].
13.2.4 Korngrößen von Schleifstoffen
Schleifkörner sind außer durch physikalische Eigenschaften wie Härte, E-Modul, Dichte, Wärmeleitfähigkeit und Wärmekapazität durch geometrische Merkmale wie Korngröße und Kornform gekennzeichnet. Die Korngröße bei Schleifmitteln aus Aluminiumoxid und Siliziumkarbid bis zur Körnung 220, was einem mittle-ren Korndurchmesser von etwa 58 µm entspricht, ergibt sich durch Siebung. Dazu werden standardisierte Drahtsiebe [DIN ISO 8486-1] verwendet. Da wegen der un-einheitlichen Kornform eine statistische Verteilung der Korndurchmesser nach dem Sieben vorliegt, wurde eine Klassifizierung der zulässigen Abweichungen vorge-nommen. Diese Klassifizierung ist durch die FEPA1 genormt. Ein z. B. durch Bre-chen und Mahlen erzeugtes Korngemisch wird über Siebe mit zunehmend engeren Öffnungen geleitet. Bei Aluminiumoxid und Siliziumkarbid wird die Korngröße durch die Maschenanzahl je Zoll des Siebgewebes bei festgelegtem Drahtdurch-messer definiert. Eine Körnung 60 wird mit einem Sieb von 60 Maschen je Zoll, dass entspricht einer Siebteilung von 0,42 mm, aus dem Korngemisch abgezogen. Korngrößen feiner als 220 werden durch optische Sedimentation aus einer Suspen-sion bestimmt. Die Siebanalyse bringt mit sich, dass die Schleifkörner in Fraktionen mit typischen Verteilungen, die auch von der Kornform abhängen, vorliegen.
Die hochharten Schleifstoffe Diamant und CBN werden nach der lichten Ma-schenweite der Siebe gekennzeichnet, d. h. die Kennzahl korreliert direkt mit dem Korndurchmesser. In Abb. 13.9 ist das in Europa verwendete Klassifizierungssys-tem dem U.S.-System (mesh) gegenübergestellt. Zur Ausweitung des Toleranzfel-des kann zwischen einem engen (1) und weiten Streubereich (2) unterschieden wer-den. Beide Systeme sind nur bis zu einem mittleren Korndurchmesser von dg = 46 µm definiert. Kleinere Korngrößen werden von den Schleifmittelherstellern selbst definiert.
13.3 Bindung
Die Schleifkörner werden durch Bindestoffe oder Bindungen im Schleifwerkzeug gehalten. Die wichtigsten Bindungen sind keramische Bindungen, Kunstharzbin-dungen und metallische Bindungen.
1 FEPA: Federation Europeene des Fabricants de Produits Abrasifs – Vereinigung Europäischer Schleifmittelhersteller
13 Schleifen
271
Keramische Bindungen bestehen aus Kaolin, Ton, Quarz, Feldspat und Fluss-mittel [KLO86, PAD93, COL81]. Als Flussmittel werden Magnesiumoxid oder Borsilikat haltige Gläser eingesetzt, um die Brenntemperatur herabzusetzen. Die Einsatzstoffe werden zusammen mit den Schleifkörnern zum Schleifwerkzeug gebrannt bei Temperaturen von maximal 1.100 bis 1.400 °C für Korund- und Siliziumkarbid-scheiben, für Bornitrid unterhalb 1.000 °C und für Diamant unterhalb 700 °C. Durch die Wahl der Einsatzstoffe lassen sich Schmelzen mit unterschiedlicher Viskosität und Oberflächenspannung erreichen, wodurch die Struktur bzw. die Porosität der keramisch gebundenen Schleifkörper eingestellt werden kann.
Kunstharzbindungen bestehen überwiegend aus Duroplasten, und zwar aus Phe-nolharzen oder Mischungen von Phenolharzen mit anderen Harzen. Sie werden durch Heißpressen zusammen mit den Schleifkörnern zu Schleifwerkzeugen ver-arbeitet. Die Presstemperaturen liegen zwischen 150 °C und 170 °C.
Metallische Bindungen werden durch Pressen und Sintern von Bronze-, Stahl- oder Hartmetallpulvern hergestellt oder durch galvanische Beschichtung mit Nickel oder Nickelverbindungen aufgebracht. Auf der Basis von Metallpulver erzeugte Bindungen werden bei Temperaturen von 700 bis 900 °C unter Druck gesintert. Me-tallische Bindungen werden für hochharte Schleifstoffe eingesetzt. Sie bieten eine
Abb. 13.9 Klassifizierungssystem für Korngrößen hochharter Schleifmittel (nach FEPA)
Siebkorngrößen
1180 - 1000
1000 - 850
710 - 600
600 - 500500 - 425425 - 355
300 - 250250 - 212
212 - 180
180 - 150150 - 125
125 - 106
106 - 9090 - 75
75 - 63
63 - 5353 - 45
45 - 38
355 - 300
850 - 710
1181
1001851
711
601501
426
356
301251
213
181151
126
10791
76
6454
46
1182
852
602
427
252
-
- -- -- -
- -
- -
- -- -
- -
- -
16 / 1816 / 20
20 / 30
30 / 40
40 / 50
60 / 80
18 / 20
20 / 2525 / 3030 / 3535 / 4040 / 4545 / 50
50 / 6060 / 70
70 / 8080 / 100
100 / 120
120 / 140140 / 170
200 / 230
230 / 270270 / 325325 / 400
170 / 200
-
Europa (metrisch) USA(mesh)(1) (2) (1) (2)
Siebmaschenweitein µm
13.3 Bindung
272
gute Wärmeabfuhr aus dem aktiven Schleifbelag, haben eine gute Formstabilität und weisen eine große Haftung zu den Schleifkörnern auf. Sie werden häufig zum Profilschleifen eingesetzt. Galvanisch gebundene Schleifscheiben weisen meist nur eine Kornlage auf und werden im Allgemeinen nicht abgerichtet (s. Abschn. 13.5). Durch Einlagerung von spröden Füllstoffen wurden durch Crushieren (Drücken) abrichtbare metallische Bindungen entwickelt.
Für spezielle Zwecke werden weitere Bindungsstoffe eingesetzt, wie minerali-sche Bindungen (Silikat-, Magnesitbindungen) Leim- oder Gummibindungen. Die Gummibindung auf der Basis von synthetischem Kautschuk wird beispielsweise für besonders temperaturempfindliche Bearbeitungsaufgaben (Messerschliff) ein-gesetzt.
Eine wichtige Eigenschaft eines Schleifwerkzeugs ist seine Härte, die als der Widerstand verstanden wird, den die Bindung dem Herausbrechen von Körnern entgegensetzt. Die Härte einer Schleifscheibe ist damit grundsätzlich anders defi-niert als üblich, wo in der Regel die Eindringhärte bestimmt wird. Die Scheiben- oder Bindungshärte ist für den Schleifprozess von großer Bedeutung. Sie bestimmt, wie lange ein verschlissenes Korn im Bindungsverband gehalten wird. Eine weiche Bindung entlässt Körner früh; die Schleifscheibe bleibt schärfer im Gegensatz zu einer Scheibe mit harter Bindung. Daraus folgt die Praxisregel, weiche, weniger verschleißende Werkstoffe mit harten Scheiben und harte Werkstoffe mit weichen Scheiben zu bearbeiten. Härtere Scheiben werden auch für geringe Spanungsdi-cken, d. h. bei kurzen Kontaktlängen oder geringen Geschwindigkeitsverhältnissen empfohlen.
Bei keramisch gebundenen Schleifscheiben wird die Härte im Wesentlichen durch die Korngröße und Dicke der Bindungsstege bestimmt (Abb. 13.10). Stärke-re Bindungstege halten die Schleifkörner stärker im Gefüge und sorgen somit für eine größere Härte der Schleifscheibe. In Abb. 13.11 sind für Schleifscheiben die Bereiche üblicher Zusammensetzungen dargestellt.
Abb. 13.10 Aufbau einer keramischen Schleifscheibe (Quelle: „Saint Gobain Abrasives“)
weiche Schleifscheibe harte Schleifscheibe
Bindemittel-StegeSchleifkorn Poren
Bindemittel-StegeSchleifkorm Poren
13 Schleifen
273
13.4 Schleifscheiben
Die werkstoffseitige Klassifizierung konventioneller Schleifscheiben erfolgt nach der [DIN ISO 525] (Abb. 13.12). Sie umfasst acht Kurzzeichen, wobei zwei Kurz-zeichen freigestellt sind, das heißt sie können vom Hersteller frei gewählt werden.
Abb. 13.11 Volumenanteile keramischer Schleifscheiben
0 100
%
80
60
40
20
0
20
40
60
80
%
1000 20 40 60 80 % 100
bez. Schleifkornvolumen
bez.
Bin
dung
svol
umen
bez. Porenvolumen
bez. Schleifkornvolumen
bez. Bindungsvolumen
bez. Porenvolumen=
100 %
+
+
konventionelleSchleifscheibe
CBN-Schleifscheibe(kaltgepresst)
Abb. 13.12 Klassifizierung von Korund- und Siliziumkarbid-schleifscheiben (nach DIN ISO 525:2000-08)
grob
MakrokörnungenF4 bis F220
nach ISO 8486-1
mittel fein
wei
ch
mitt
el
hart
sehr
wei
ch
äuß
erst
wei
ch
01
15
.
A
C
Edelkorund
Siliziumcarbid
offe
nes
Gef
üge V
R
RF
B
BF
E
MG
M
keramische Bindung
Gummibindung
Gummibindungfaserstoffverstärkt
Kunstharzbindung
Kunstharzbindungfaserstoffverstärkt
Schellackbindung
Magnesitbindung
Metallische Bindung30
.
.
.
.
.
.
äuß
erst
har
t
sehr
har
t
< 16, 16....140, 160 m/s
QB U Y
K O S
E H L P
G N RJ
D W
A T X
F I M
C V Z
Z Zirkonkorund
Arbeits-höchst-geschw.
Schleif-mittel
Schleif-mittel
Körnung Härtegrad Gefüge Bindung Bindung
A 60 L 5 B 63XXa XXa
aKurzeichen vom Her-steller frei wählbar
4 30 705 36 80
8 46 10010 54 12012 60 150
24 220
40 90...
180...
13.4 Schleifscheiben
274
Die Härte einer Schleifscheibe ist nach der Norton-Skala mit Kennbuchstaben von A (äußerst weich) bis Z (äußerst hart) klassifiziert. Praktisch genutzt wird der Bereich von E bis G (sehr weich) und von P bis S (hart).
Die manuelle Ritzprüfung mit einem Stichel und der Vergleich mit bekannten Scheiben ist subjektiv und gibt keine absoluten Daten. Eine für Forschungszwecke entwickelte Variante dieser manuellen Prüfung ist die Ritzprüfung nach Peklenik [PEK57], bei der ein Ritzwerkzeug unter definierter Normallast über die aktive Schleifscheibenoberfläche gezogen wird und dabei Körner oder Teile von Kör-nern ausbrechen. Die auftretenden Tangentialkräfte sind ein Maß für die Härte der Scheibe. Diese Prüfung kommt der Härtedefinition zwar am nächsten, ist jedoch als Werkstattprüfverfahren weniger geeignet.
Die Härteprüfung von Schleifscheiben durch das Sandstrahlverfahren nach C. Zeiss und M. Mackensen (Prüfgerät Fa. Mengringhausen, Iserlohn) ist in der Richtlinie 102 des Deutschen Schleifscheibenausschusses festgelegt. Bei diesem Verfahren wird ein definiertes Volumen einer bestimmten Körnung mit Druckluft bei festgelegtem statischen Druck und definiertem Düsenquerschnitt auf die Schleif-scheibenoberfläche geblasen. Abbildung 13.13 zeigt den Aufbau eines Strahlprüf-gerätes. Die Tiefe der entstehenden Kalotte, die sog. Blastiefe, wird als Maß für die Härte der Schleifscheibe herangezogen. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es nicht zerstörungsfrei arbeitet und dass die Art der Beanspruchung der Körner und der Bindung nicht identisch ist mit der Härtedefinition.
Von der Beanspruchung her ähnlich ist das Einrollverfahren (Abb. 13.14). Hierbei wird eine Stahlscheibe mit definierter Pressung gegen die zu prüfende Schleifscheibe gedrückt. Schleifscheibe und Rolle wälzen gegeneinander ab. Die nach einer bestimmten Zahl von Umdrehungen erreichte Einrolltiefe wird mit der Scheibenhärte korreliert. Mit dem Einrollverfahren vergleichbar aus der Sicht der Korn- und Bindungsbeanspruchung ist die Härteprüfung B nach Rockwell (Kugel-eindruckprüfung), mit dem vornehmlich sehr feinkörnige Schleifwerkzeuge geprüft werden (Hon- und Abziehwerkzeuge).
Abb. 13.13 Härteprüfung von Schleifscheiben durch Bestimmung der Blastiefe
Manometer
Druckluftzufuhr
Luft- undStrahlmittel-auslass
Schleif-scheibe
Kalotte Blastiefe
DistanzstifteDichtung
Hartmetall-düse
Schleifscheibe Kalotte
Bla
stie
fe
Messstift
Strahlmittel-vorratsbehälterStrahlmittel füreine Prüfung
DSA - Richtlinie 102 :Strahlmittel : NormalkorundKörnung : F 30Strahlmittelvolumen : 48 cm3
Luftdruck : 120 ± 20 kPa
13 Schleifen
275
Ein Prüfverfahren, das einen physikalischen Wert liefert, ist die Eigenfrequenz-messung (Grindo-Sonic-Verfahren) nach R. Snoeys [PET68]. Dabei wird die erste Eigenfrequenz der Schleifscheibe durch Anschlagen im Ausschwingversuch be-stimmt (Abb. 13.15). Die Eigenfrequenz ist der Wurzel des scheinbaren E Moduls der Schleifscheibe proportional. Mit dem Durchmesser der Scheibe di und der Bohrung da, der Scheibendicke bs, der mittleren (scheinbaren) Dichte s und der
Abb. 13.14 Schleifscheibenhärteprüfung nach dem Einrollverfahren (Quelle: Opitz)
a
Schleifscheibe
Wasser
F = const.
Art der Prüfung :Einrollen mit einerStahlscheibe
Prüfwert :Einrolltiefe (a) nachx Umdrehungen
Härte H = f (a)
Stahlscheibe
Abb. 13.15 Schleifscheibenhärte und E-Modul
13.4 Schleifscheiben
276
Querkontraktionszahl gilt für die Eigenfrequenz f der Eigenschwingung mit drei Knotendurchmessern unter der Bedingung di/da < 0,25 [PET68]:
(13.2)
Bei dem aus mehreren Komponenten bestehenden Prüfkörper kann man nur von einem scheinbaren E-Modul sprechen. Er ist um so größer, je dicker die Bindungs-stege sind. Dadurch ist eine Korrelation zwischen dem so ermittelten E-Modul und der Härte der Scheibe gegeben.
Die Prüfverfahren konventioneller Schleifscheiben sind nur bedingt auf hoch-harte Schleifscheiben übertragbar. Es existieren erste Methodenansätze, die das Bruchverhalten (Bindung, Schleifkorn) bzw. die Nachgiebigkeit hochharter kera-misch gebundener Schleifscheiben bestimmen. Sie bringen Prüflasten auf einzelnen Schleifkörner [KLO02] oder Gruppen von Körnern mit einem definierten Prüfkör-per auf [DEN03].
13.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben
Schleifscheiben laufen mit hohen Umfangsgeschwindigkeiten. Als Folge werden sie hohen Radialbeschleunigungen unterworfen, die wiederum hohe Spannungen durch die Zentrifugalwirkung auslösen. Diese Spannungen können zur Zerstörung von Schleifscheiben führen, was sicher vermeiden werden muss. Daher sind die Beanspruchungen als Folge der Fliehkräfte und ihre Einflussgrößen zu bestimmen.
Abbildung 13.16 zeigt Spannungen und Dehnungen an einem Volumenelement einer Scheiben. Wegen ihrer geringen Ausdehnung senkrecht zur Zeichenebene
f =bs
da·(
1 − (da/di)2
1,07(1 − v2) · ρsE
)1/2
Abb. 13.16 Spannungen und Dehnungen am Volumenelement
Scheibendicke 1
dϕ
dϕ/2
dϕ
dr
dr
rira
σt
σt
rdϕ
rr +dr
u(r + dr)
u(r)
σr+dσr
σr
ϕ.ω2.r(r+u)dϕ
13 Schleifen
277
kann zweiachsiger Spannungszustand unterstellt werden. Aus dem Gleichgewicht der Kräfte in radialer Richtung lässt sich anschreiben
(13.3)
Im Grenzübergang gilt zudem sin dϕ
2 = dϕ
2Damit kann zusammenfassend angeschrieben werden
(13.4)
Eine Verknüpfung zwischen r und t wird unter Nutzung des Stoffgesetzes für elastisches Verhalten, also das Hookesche Gesetz erreicht. Die Dehnungen ergeben sich, wie Abb. 13.16 zeigt, aus den Verschiebungen u in radialer Richtung.
(13.5)
und
(13.6)
Das Hookesche Gesetz für den ebenen Spannungszustand ergibt:
(13.7)
woraus schließlich die Differentialgleichung folgt, die sich durch zweifache Integ-ration lösen lässt:
(13.8)
Mit den Randbedingungen für die Kraft freien Ränder und die (zur dimensions-freien Darstellung) auf den Außenradius bezogenen Radien Q = r/ra und Qi = ri/ra er-geben sich folgende Lösungen
(13.9)
(13.10)
(σr +
∂σr
∂rdr
)· (r + dr)dϕ · 1 − σr · r · dϕ · 1 − 2 · σt · dr · "1"
· sindϕ
2+ ρ · r2 · ω2 · dr · dϕ = 0
∂(σr · r)
∂r· dr · dϕ − σt · dr · dϕ + ρ · r2ω2 · dr · dϕ = 0
εr = limr→0ur+r − ur
r=
∂u
∂r
εt = limr→02π · (r + u)
2πr=
u
r
εr =1
E[στ − v · σt ] und εt =
1
E[σt − v · σr ]
d
dr
[1
r·
d
dr(u · r)
]= −
ρ · (1 − v2)
E· r · ω2
σr
ρ · ra2ω2
=3 + v
8
(1 + Qi
2 −Q2
i
Q2− Q2
)
σt
ρ · ra2ω2
=3 + v
8
(1 + Qi
2 +Q2
i
Q2−
1 + 3v
3 + vQ2
)
13.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben
278
Abbildung 13.17 zeigt, dass die maximale Beanspruchung einer Schleifscheibe als Folge von Fliehkräften am Innenrand auftritt. Tatsächlich zerlegen sich Scheiben, die über ihre Sprengdrehzahl betrieben werden in Segmente mit radialen Bruch-flächen.
Für eine Vollscheibe, die dann z. B. an einem Halteflansch [GRE58] gehalten werden müssen, ergibt sich theoretisch (Lochlosigkeit) ein gänzlich anderer Span-nungsverlauf. In Gl. 13.9 und 13.10 ist folgender Grenzwert nach der Regel von de L’Hospital zu bilden:
(13.11)
Damit werden die Spannungen im Scheibenmittelpunkt Q = Qi = 0
(13.12)
In Abb. 13.17 ist der Spannungsverlauf einer Vollscheibe gestrichelt eingetragen. Man sieht, dass sich in der Mitte die Tangential- und Radialspannungen gegenüber der gelochten Scheibe unstetig verändern. Sie sind gleich, die Tangentialspannung mindert sich auf den halben Wert einer gelochten Scheibe. Allerdings bleibt frag-lich, ob bei einer porösen Scheibe wie bei einer keramisch gebundenen, wirklich “Lochlosigkeit” angenommen werden kann.
Gerade bei keramisch gebundenen Scheiben ist die Sprengsicherheit kritisch. Dem läuft der Trend entgegen, die Schleifgeschwindigkeit zu erhöhen (s. Hochge-schwindigkeitsschleifen). Um die Sprengdrehzahl einer Schleifscheibe zu steigern, bieten sich folgende Maßnahmen an:
lim Q→0Qi
2
Q2= 0
σr
ρ · ra2ω2
=σt
ρ · ra2ω2
=3 + v
8
Abb. 13.17 Radial- und Tangentialspannungen durch Fliehkräfte
1,0
0,6
σt
σr
σr
σt
ν = 0,2Qi = 0,2
0,4
0,2
0,2 0,4 0,6 1,00
0bez. Radius
σρ
. ra
. ω2
-
-
13 Schleifen
279
• Einbau von Verstärkungen in den hochbelasteten Zonen (festere Bindung, Faser-verstärkung).
• Einsatz eines Stahlringes in die Scheibenbohrung und zugbelastbare Verbindung schaffen z. B. durch Kleben.
• Scheibe in Segmente auflösen, die keine Tangentialspannungen übertragen; das setzt allerdings sichere radiale Halterung der Segmente voraus.
• Doppelkegelförmige Ausführung der Scheibe, so dass gegen den Innenrand eine Spannungsminderung erfolgt.
Wegen des großen Energieinhaltes den Schleifscheiben oder deren Bruchstücke bei den hohen Schleifgeschwindigkeiten (die Drehzahl geht im Quadrat ein) müssen besondere Sicherheitsanforderungen beachtet werden. In Schleifmaschinen (orts-gebundene Maschinen) dürfen nur nach DIN ISO 12413 für konventionelle Schleif-scheiben und nach DIN ISO 13236 zugelassene Schleifscheiben betrieben werden. Durch Aufschrift und farbliche Kennzeichnung sind die zulässigen Arbeitshöchst-geschwindigkeiten angegeben. Diese Höchstgeschwindigkeit vs liegt je nach Si-cherheitsfaktor Sbr erheblich unter der im Experiment ermittelten Bruchgeschwin-digkeit vbr. Es gilt wegen des quadratischen Zusammenhangs mit der Drehenergie folgende Beziehung
(13.13)
Für maschinengeführtes Schleifen mit geschlossenem Arbeitsbereich (sichere Ab-deckung des Arbeitsraumes) ist Sbr = 1.75, ohne Abdeckung muss Sbr = 3 eingehalten werden. Wenn eine Scheibe neu in eine Halterung (meist Spannflansche) aufge-nommen wird, sind folgende Prüfungen durch Fachpersonal vorzunehmen:
• Sichtprüfung auf Risse, Ausbrüche oder andere Beschädigungen• Klangprobe (nur sinnvoll bei keramisch gebundenen Scheiben) auf hellen Klang
(i. O.) oder Scheppern bzw. dumpfen Klang (nicht i. O.).• Aufnahme in speziellen Spannflanschen.• Probelauf in der Maschine mit der Höchstdrehzahl der Schleifspindel, maximal
Höchstdrehzahl der Scheibe, über 1 Minute.
Für den Betrieb muss beachtet werden, dass poröse Schleifscheiben wegen der Un-wuchtgefahr nicht im Stillstand von Kühlschmierstoff überflutet werden dürfen.
13.6 Schleifprozesse
Der Schleifprozess lässt sich in systemtechnischer Sicht durch Eingangs-, Pro-zess-, und Ausgangsgrößen beschreiben (s. a. Abschn. 1.3). Die Eingangsgrößen unterteilen sich in die System- und Stellgrößen (Abb. 13.18). Die Systemgrößen werden durch das Werkstück (physikalische, chemische Eigenschaften, Roh- und
Sbr =(
vbr
vs
)2
13.6 Schleifprozesse
280
Fertigteilform und –abmessungen), die Schleifscheibenspezifikation, die Ma-schine (Art, statische und dynamische Eigenschaften), das Abrichtwerkzeug und das Kühlschmiersystem beschrieben. Stellgrößen sind Schnittgeschwindigkeit, Zustellung, Vorschub und Abrichtergebnis sowie der eingestellte Druck und der Volumenstrom der Kühlschmierung. Im Gegensatz zu den Systemgrößen können die Stellgrößen schnell an den Prozess angepasst werden. Die Bewertung des Schleifprozesses erfolgt durch Prozessgrößen, anhand der Zerspankräfte, leis-tungen, energien, Temperaturen, Schwingungen sowie der Schleifzeit. Zur Be-schreibung der Ausgangsgrößen dienen werkstückspezifische Größen wie Form- und Maßgenauigkeit, Oberflächenqualität sowie Randzoneneigenschaften, die erheblichen Einfluss auf die Funktionserfüllung des Bauteils besitzen. Weitere Ausgangsgrößen sind der Verschleiß, die Mikrotopographie und die Zusetzungen der Schleifscheibe sowie die Verschmutzung und Zustandsänderung des Kühl-schmierstoffes.
13.6.1 Eingangsgrößen
Die Produktivität und Mengenleistung beim Schleifen wird durch das Zeitspan-volumen Qw (Volumenstrom, der vom Werkstück getrennt wird) beschrieben [SAL91]. In Abb. 13.19 sind die für das Längsumfangs-Plan- und das Längsseiten-Planschleifen notwendigen Größen zur Berechnung des Zeitspanvolumens angege-ben. Es folgt zu
(13.14)Qw = ae · ap · vft
Abb. 13.18 Kenngrößen des Schleifprozesses
WerkstückSchleifscheibeMaschineAbrichtwerkzeugKühlschmierung
Form-, Maß-genauigkeit,Oberflächen-qualität,Randzone
ZustellungSchnittgeschwin-digkeitVorschübeAbrichtergebnisKühlschmierstoff-druck und-volumen
VerschmutzungZustands-änderung
Sys
tem
größ
en
Wer
kstü
ck
Ste
llgrö
ßen
Küh
lsch
mie
r-st
off
Sch
leif-
sche
ibe
Eingangsgrößen
VerschleißMikrotopo-graphieZusetzung
Prozessgrößen
SchleifkraftSchleifleistungSchleifenergieTemperatur
SchleifzeitSchwingungen
Ausgangsgrößen
13 Schleifen
281
aus dem Arbeitseingriff ae und dem Schnitteingriff ap, die zusammen den Eingriffs-querschnitt Aw = ae ⋅ ap ergeben und aus der Tangentialvorschubgeschwindigkeit vft, auf der der Eingriffsquerschnitt senkrecht steht. Der Arbeitseingriff ae wird in der Arbeitsebene (zwischen Vorschub- und Schnittgeschwindigkeitsvektor auf-gespannt), der Schnitteingriff ap wird senkrecht zur Arbeitsebene gemessen. Ab-bildung 13.20 enthält Angaben zu Zeitspanvolumina für andere Schleifverfahren
Abb. 13.19 Kenngrößen des Schleifprozesses
vc ap
ap
ae = fr
ae
Aw
vft
vft
lglg
ap : Schnitteingriffae : Arbeitseingrifffr : radialer Vorschub
lg : geom. KontaktlängenAk : KontaktflächeAw : Eingriffsquerschnitt
Längs-Umfangs Planschleifen Längs-Seiten Planschleifen
vc
AK AK
13.6 Schleifprozesse
Abb. 13.20 Wichtige Schleifverfahren (nach DIN 8589)
Umfangs- Seiten-
Längs- Quer- Längs-
Läng
s-A
ußen
-P
rofil
Läng
s-A
ußen
-W
älz
Quer-
Pla
n-R
und-
Inne
n-A
ußen
-
ae
vc bs
vc
ae
apap
vft
vftae
ap
vc vc
vfa ap
vft
Qw = ae · ap · vft Qw = ae · ap · vft Qw = ae · ap · vfaQw = ae · ap · vft
= ae · ap · dw · π.nw
Qw = ae · dw · π · vfaQw = bs · dw · π · vfr
bw
ae
vw, nw
vfa vcbs
nw
ap
vv a
vfr
ap
vcvw
vfa
apvw
Qw = ae · dw · π · vfa Qw = bs · dw · π · vfr
282
als das Längsumfangs-Plan- und das Längsseiten-Planschleifen. Allgemein gilt für andere Planschleifprozesse
(13.15)
worin Aw2 der Eingriffsquerschnitt normal zur Hauptvorschub-geschwindigkeit vf
ist.Für die Spanbildung in der Wirkzone sind die geometrischen und kinematischen
Eingriffsbedingungen von Bedeutung. In Abb. 13.19 ist die geometrische Kontakt-länge lg eingetragen. Zusammen mit dem Schnitteingriff ergibt sich daraus die geo-metrische Kontaktfläche Ak = ap ⋅ lg. Die geometrische Kontaktlänge lässt sich aus dem Schleifscheibenradius rs und dem Arbeitseingriff ae bestimmen zu
(13.16)
oder für rs >> ae
(13.17)
Um Kontaktlänge und Kontaktfläche unabhängig von Werkzeug- und Werkstück-maßen und außerdem verfahrensunabhängig bestimmen zu können, wird der äqui-valente (äquivalent zum Planschleifen) Radius req bzw. Durchmesser deq definiert. Es gilt
(13.18)
wobei die Addition im Nenner für das Außenrundschleifen, die Subtraktion für das Innenrundschleifen steht. Abbildung 13.21 gibt die Planfigur zur Ermittlung von req wieder und zeigt einen Vergleich für das Außen- und Innenrundschleifen bei ver-schiedenen Radiusverhältnissen.
Die geometrische Kontaktlänge ist eine Rechengröße, die als Näherung ver-schiedene Vereinfachungen enthält. Sie berücksichtigt nicht
• die vollständige Kinematik der Wirkpartner, d. h. die zykloidischen Schneiden-bahnen des Werkzeugs gegen das Werkstück,
• die elastische Verformung der beteiligten Körper als Folge der Schleifkräfte,• die Tatsache, dass die im Kontakt stehenden Oberflächen von Schleifscheibe und
Werkstück nicht geometrisch glatt, sondern tatsächlich höchst rau sind und• dass die wirkliche Kontaktfläche wegen der Berührung von nur einzelnen Kör-
nern der Schleifscheibe gegenüber der ganzen im Eingriff befindlichen Fläche des Werkstücks nur ein Bruchteil (in der Größenordnung von 1 %) darstellt.
2 Aw bezeichnet hier den Eingriffsquerschnitt und ist nicht zu verwechseln mit der Zeitspanfläche
Qw = Aw · vf ,
lg = rs · arccos
(rs − ae
rs
)
lg =√
2rs · ae.
req =rw · rs
rw ± rs,
13 Schleifen
283
Die kinematische Kontaktlänge lk berücksichtigt die Vorschub- und Schnittge-schwindigkeit und geht von glatten Wirkpartnern aus. Sie ist in guter Näherung
(13.19)
wobei q das Geschwindigkeitsverhältnis ist (Abb. 13.22). Dabei steht die Addition für das Gegenlaufschleifen, die Subtraktion für das Gleichlaufschleifen. Bei üb-lichen Schleifprozessen mit q = 60 weichen lk und lg also um 1,6 % voneinander ab. Beim Tiefschleifen (vft <<vc) ist der Unterschied noch weit geringer. Nur beim
lk = lg
(1 ±
1
q
), (+ : Gleichlaufschleifen, − : Gegenlaufschleifen)
Abb. 13.22 Kinematische Kontaktlänge
lk
vft
rs
vft vc
lg
13.6 Schleifprozesse
lg = 2fr • req
Planschleifen
Außenrundschleifen
Auß
enru
ndsc
hlei
fen
ae = frreq = rs
lg
d w
f r
rs
rs
rw
f r
lg
a e
ae < fr
req = rw + rs
rs • rw
Innenrundschleifen
Inne
nrun
dsch
leife
n
rw = 25 mm
rw = 25 mm
rw = 25 mm
rw = 25 mm
rw = 25 mm
rw = 25 mm
ae > fr
req =f r
a elg
rs
rw
rw – rs
rs • rw
Werkzeug - undWerkstückgeometrie
äquivalenter Schleif-scheibenradius
rsrw
6
12
24
0,5
0,9
0,96
req = 21.43 mm
req = 23,08 mm
req = 24 mm
req = 25 mm
req = 225 mm
req = 600 mm
rs = 150 mm
rs = 300 mm
rs = 600 mm
rs = 12,5 mm
rs = 22,5 mm
rs = 24 mm
ds
Abb. 13.21 Beschreibung des äquivalenten Radius
284
Schnellhubschleifen (speed stroke grinding) können nennenswerte Differenzen auf-treten.
Bisher wurde noch nicht berücksichtigt, dass der tatsächliche Kontakt zwischen Schleifscheibe und Werkstück nur über die aktiven Schleifkörner stattfindet. Die wirkliche Kontaktfläche ist also weit geringer als die bisher ermittelte. Eine grobe Einschätzung des Verhältnisses der wirklichen zur bisher rechnerisch ermittelten Kontaktfläche Ae/Ac ist über die Berücksichtigung der Fließgrenze des Werkstoffs möglich [ROW93]. Wenn die mittlere Pressung unter den Schleifkörnern, die bis zum Fließen ertragen werden kann, pmax ist, gilt
(13.20)
und es folgt
(13.21)
Versuche zeigen eine Größenordnung von Ae/Ac < 0,01.Da die Schleifbreite oder der Arbeitseingriff im Allgemeinen groß gegenüber
den Vorgängen am Einzelkorn ist, kann man mit ausreichender Näherung anneh-men, dass entlang des Schnitteingriffs gleiche Spanbildungsverhältnisse herrschen. Daher werden Einstell- und Prozessgrößen sinnvollerweise auf den Schnitteingriff bezogen, wie z. B. das bezogene Zeitspanvolumen
(13.22)
Auch Kräfte, Energien oder Leistungen, wie auch Verschleißvolumina werden zweckmäßigerweise durch den Schnitteingriff dividiert, um sie technologisch ver-gleichbar zu machen.
Das Zeitspanvolumen wird durch Größen gebildet, die von außen vorgegeben sind. Daher wird Qw auch als äußeres Zeitspanvolumen Qwa bezeichnet. Dieses äu-ßere Zeitspanvolumen muss identisch sein mit dem Volumen, das je Zeiteinheit durch die Schnittbewegung – gekennzeichnet durch die Schnittgeschwindigkeit vc – und den Eingriff der einzelnen Schneiden abgespant wird. Der mit der Schnittbe-wegung erzeugte Volumenstrom wird als inneres Zeitspanvolumen Qwi bezeichnet. Wenn man nach Kurrein [KUR27] annimmt, dass ein „Stoffband“ der Dicke heq mit der Schnittgeschwindigkeit vom Werkstück getrennt wird, ergibt sich (Abb. 13.23).
(13.23)
Aus der genannten Identität
(13.24)
folgt die äquivalente Spanungsdicke zu
(13.25)
Fn = Ae · pmax,
Ae
Ac=
F′n
pmax · lc.
Q′w =
Qw
ap
Qwi = heq · ap · vc.
Qwa = Qwi
heq = fr ·vft
vc
13 Schleifen
285
oder mit dem Geschwindigkeitsverhältnis q = vc/vft
(13.26)
heq ist eine Rechengröße, die nicht die tatsächliche Spanungsdicke angibt, sondern eine weit geringere, da tatsächlich nicht ein kontinuierliches Band vom Werkstück abgespant wird, sondern nur einzelne Körner oder Schneiden wirken.
Nach M.C. Shaw [REI56] lässt sich die mittlere Spanungsdicke am Korn bzw. an der Schneide hc aus der Korn- bzw. Schneidenzahl NA je Flächeneinheit der aktiven Schleiffläche ermitteln. Wenn NA durch Auszählen der Körner in der Draufsicht der Schleifscheibe ermittelt wird, werden folgende Annahmen getroffen:
• jedes Korn nimmt am Spanen teil,• jedes Korn liegt in der äußeren Umfläche auf gleicher Höhe,• jedes Korn trennt das überdeckende Volumen ab, das es am Werkstück durch-
dringt. Elastische Verformungen und plastisches Verdrängen (Pflügen) oder Ab-splittern von Werkstoff finden nicht statt,
• jedes Korn hat eine freie Kontaktlänge lε, ohne dass es zu Schnittüberdeckungen mit vor- oder nachlaufenden Körnern kommt (keine Bahnüberdeckungen).
Nach Abb. 13.24 ist der wirksame mittlere Querschnitt eines Kornes
(13.27)
und mit dem Formfaktor
(13.28)
heq =fr
q
Ag = bg · hc
λ =bg
hc
Abb. 13.23 Äquivalente Spanungsdicke heq
ap
Qwi
heq
vftQwa
vc
fr
heq = frvftvc
13.6 Schleifprozesse
286
ist die Summe des mit Schnittgeschwindigkeit abgespanten Querschnitts Ac
(13.29)
worin Ak die Kontaktfläche mit Ak = lg ⋅ ap ist. Daraus folgt durch Gleichsetzen des inneren und äußeren Zeitspanvolumens Qwi = Qwa:
(13.30)
die mittlere Spanungsdicke
(13.31)
Offensichtlich ist die Annahme, dass alle Körner am Schleifprozess in gleicher Wei-se, d. h. mit gleichem Spanungsquerschnitt Ag teilnehmen, tatsächlich nicht erfüllt; denn im Allgemeinen sind die Schleifkörner regellos in der Bindung angeordnet (außer bei galvanischer Bindung). Eine weitergehende Theorie berücksichtigt daher die Verteilung der Körner normal zur aktiven Schleiffläche. Büttner und Triemel er-mittelten die Kornverteilung aus der Konzentration des Schleifstoffes im Volumen der Schleifscheibe [BÜT68, TRI76].
Für das Scheibenvolumen Vs gilt
(13.32)
mit dem Schleifstoffvolumen Vg, dem Bindungsvolumen Vb und dem Porenraum Vp. Die Zusammensetzung ist durch eine archimedische Wägung oder aus der Her-stellerspezifikation (Querverweis zu Schleifscheiben) zu ermitteln.
Ac =∑
Ag = Ag · NA · Ak = λ · hc2 · NA · ap ·
(2 · fr · req
)1/2
Ac · vc = fr · ap · vft
hc =(
vft
vc·
1
NA · λ·
frlg
)1/2
mit lg =√
2 · fr · req.
Vs = Vg + Vb + Vp
13 Schleifen
Abb. 13.24 Kornform und Korndichte
287
Die Anzahl der Körner je Volumeneinheit NV kann mit Hilfe des mittleren Vo-lumens eines Kornes Vge oder aus der Kornkonzentration C und der Dichte des Schleifstoffs g bestimmt werden zu
(13.33)
Für das Volumen eines Kornes, mit dem Formfaktor qe, der für die Kugelform zu qe = 1 wird, gilt:
(13.34)
Nach Abb. 13.25 oberes Teilbild wird eine gedachte Fläche der Größe "1" im Ab-stand z ≥ dg von der Schleifscheibenumfläche von einer Kornanzahl NA0 durchsto-ßen. Es gilt
(13.35)
(13.36)
Dabei ist vorausgesetzt, dass die volumenbezogene Korndichte Nv unabhängig von z konstant ist. Dies gilt für z < dg nicht. Vielmehr nimmt die flächenbezoge-ne Kornzahl NA mit z linear zu. Der Grenzwert NA0 wird zudem durch Einflüsse des freien Randes bereits bei geringer Eindringtiefe z in den Schleifbelag erreicht. Abbildung 13.25 unteres Teilbild zeigt den Gradienten der Kornzahl je Flächenein-heit über z
(13.37)
NV =Vg
Vge · Vs=
C
ρg · Vge.
Vge = qe1
6π d3
g.
dg · Nv · "1" = NA0 · "1"
NA0 = dg · Nv.
c0 =dNA
dz= tan α =
NA0
dg
Abb. 13.25 Kornverteilung und Korndichte µm z
α
NA
NAO
mm–2
NAOtan α = c =
z
Schnittfläche Adg
dg
dg
dg
13.6 Schleifprozesse
288
(13.38)
Mit einer thermoelektrischen Methode konnte die Korndichte messtechnisch ermit-telt werden [KAI75]. Danach lässt sich tatsächlich eine konstante Korndichte co im aktiven Schneidenraum annehmen (Abb. 13.26), die bis zu einer Schneidenraum-tiefe z ≈ 0,3 dg reicht. Mit zunehmender Schneidendichte, also höherer Kornkon-zentration, feineren Körnen und höherem Kornhaltevermögen der Bindung nimmt die Schneidenraumtiefe ab.
Die Ermittlung der Korndichte bzw. Kornzahl je Flächeneinheit aus der Schleif-stoffkonzentration unterstellt, dass jedes Korn nur eine Schneide hat. Abhängig vom Abrichtprozess und von der Art der Bindung und des Schleifstoffs kann ein Korn mehrere Schneiden bilden [WER71, LOR75]. Aber auch dann kann mit aus-reichender Näherung angenommen werden, dass die Schneidendichte konstant ist, d. h. die Schneidenzahl je Flächeneinheit nimmt mit der Eindringtiefe in den Schneidenraum linear zu. Mit der Korn- bzw. Schneidenverteilung lässt sich dann die Spanungsdicke hc ermitteln.
Mit dieser Kenntnis der Schneiden- bzw. Kornverteilung über der Eindringtiefe in den aktiven Schleifraum lässt sich ein erweitertes Spanungsdickenmodell ent-wickeln, das auf Überlegungen von Büttner [BÜT68], Triemel [TRI76], Kassens [KAS69] und Lortz [LOR75] beruht.
Das innere Zeitspanvolumen ergibt sich aus der Zahl der momentan im Eingriff befindlichen Körner N und dem mittleren Spanungsquerschnitt je Korn Ag
(13.39)
c0 = NV.
Qwi = N · Ag · vc.
Abb. 13.26 Summenhäufigkeit von Schneiden in Diamantschleifbelägen
D91 M 115D91 M 100
D91 M 75
D110 M 100
D110 K 100
40
30
20
10
0
mm–2
0 10 20 30 40µm
Hüllflächenabstand z
stat
. Sch
neid
enza
hl N
A
Diamant-Schleifscheiben1A1-200-5
c0 = 430 mm–3c0 = 520 mm–3
D64 M 100
c0 = 1050 mm–3
c0 = 830 mm–3
Abrichten :SiC Rollenabrichterbremsgesteuert
a = 0,01 mm/EHvs = 6 mm/svw = 3 mm/s
Abziehen :Korundstab
c0 = 1860 mm–3
c0 = 980 mm–3
13 Schleifen
289
Für den mittleren Kornquerschnitt wird eine durchschnittliche Kornform mit stumpfwinkligem Querschnitt (Dreieck) angenommen (Abb. 13.27)
(13.40)
worin c1 eben diese Kornform beschreibt. Prinzipiell ließe sich für Ag auch eine an-dere Funktion, z. B. eine Exponentialfunktion wie in [WER71] anschreiben. Da die Bestimmung der mittleren Kornform jedoch ohnehin nur mit begrenzter Genauig-keit möglich ist, wird dadurch kein Vorteil erreicht. Die Zahl der Körner im Eingriff ergibt sich aus der Kornverteilung mit
(13.41)
worin zp die Eindringtiefe eines Korns in den Werkstoff ist (Abb. 13.27). An einer beliebigen Stelle des Eingriffsbogens ist wegen der konstanten Korndichte über z die mittlere Kornzahl je Fläche
(13.42)
Über einem Bogeninkrement der Länge rs ⋅ d und der Breite "1" sind dN Körner aktiv.
(13.43)
Ag = c1 · zk2
NA = c0 · zp
NA =1
zp
·zp∫
0
c0 · z · dz =1
2c0 · zp.
dN = NA · "1" · rs dϕ
Abb. 13.27 Kornform, Kornverteilung und Kinematik zum Spanungsdickenmodell
21
zpzp z
NA
NA (zp)
NA
zp
z
Umfläche
Ag
zk
aers
zmaxvft
zp(ϕ)
''1''
ϕe
ϕ
13.6 Schleifprozesse
290
Der mittlere Kornquerschnitt an einer Stelle ist wegen der konstanten Korndichte
(13.44)
Über dem gesamten Eingriffsbogen ergibt sich damit die Summe der Kornquer-schnitte
(13.45)
Für die Kinematik des Umfangsschleifens gilt
(13.46)
und mit
(13.47)
ist dann die Summe der Kornquerschnitte über den gesamten Eingriffsbogen rs ⋅ e
(13.48)
Aus Qwi = Qwa folgt
(13.49)
und damit schließlich für die maximale Korneindringtiefe
(13.50)
Eine vereinfachte Darstellung der Zusammenhänge zwischen der Korneindringtiefe und den Stellgrößen des Schleifprozesses verdeutlicht die Möglichkeiten der Ein-flussnahme auf die Spanungsdicke beim Schleifen
(13.51)
Auf der Basis dieses Spanungsdickenmodells lassen sich weitere Modelle zu Schleifkräften, Rauheiten und Schleifenergien aufbauen [WOB91, TÖN92, PAU94, FRI02].
Ag(ϕ) =1
zp·
zp∫
0
c1 · (zp − z) dz =1
3c1 · zp
2.
∑Ag =
ϕe∫
0
Ag(ϕ) dN =1
6c0 · c1 · "1" · rs ·
ϕe∫
0
zp3 dϕ.
ϕ
ϕe=
zp
zmax
ϕe ≈ 2 ·(
fr
2rs
)1/2
∑Ag =
1
12· c0 · c1 · "1" · rs · zmax
3
(fr
ds
)1/2
.
fr · "1" · vft =∑
Ag · vc
zmax =(
24 ·vft
vc·
1
c0 · c1
)1/3
·(
fr
ds
)1/6
=(
24 ·1
c0 · c1·
Q′w
vc · lg
)1/3
.
zmax ≈1
dg
(Q′
w
c1 · vc · lg
)1/3
.
13 Schleifen
291
13.6.2 Prozessgrößen
Die mechanische Energie, die während der Schleifbearbeitung aufgewendet wird, wird nahezu vollständig in thermische Energie umgewandelt. Diese Wärmemenge kann geometrische Abweichungen am Werkstück hervorrufen, seine Randzone ver-ändern und den Verschleiß des Werkzeuges beschleunigen. Die Kontaktzonentem-peratur stellt somit eine wichtige Prozessgröße dar. Sie ist allerdings schwierig zu messen aufgrund der schnellen Temperaturänderungen und der daraus resultieren-den steilen Temperaturgradienten. Hinzu kommt, dass die Kontaktzone nicht ohne weiteres zugänglich und meist von Kühlschmierstoff umgeben ist. Prinzipiell lassen sich die Temperaturmessverfahren nach Wärmeleitung und Wärmestrahlung unter-scheiden. Die gebräuchlichsten Verfahren sind in Abb. 13.28 dargestellt [KAR01].
Aufgrund der Notwendigkeit, so nah wie möglich an der Kontaktstelle zu mes-sen, muss für alle Methoden, die die Wärmeleitung nutzen und für das Pyrometer-messverfahren, das Werkstück oder die Schleifscheibe präpariert werden. Daher werden die aufgeführten Messmethoden nur im Bereich der Forschung eingesetzt. Eine direkte Temperaturmessmethode, die sich in der Praxis zur Prozessüberwa-chung einsetzen ließe, existiert bisher nicht. Indirekt kann jedoch auf Randzonenbe-einflussung im Werkstück geschlossen werden, wie im Kap. 15 erläutert wird. Die in Abb. 13.29 wiedergegebenen Temperaturen werden beim Außenrundschleifen mit einer Minimalmengenschmierung (MMS) und ohne jegliche Kühlschmierung mit einem Thermographiesystem in 30 mm Abstand von der Kontaktzone aufge-nommen. Die Versuche umfassen verschiedene Kombinationen aus Schnitt-, Vor-schubgeschwindigkeit und Zeitspanvolumen beim Schleifen von Wälzlagerstahl 100Cr6 mit mikrokristallinen Al2O3- und CBN-Schleifscheiben.
Abb. 13.28 Temperaturmessverfahren bei der geometrisch bestimmten Zerspanung (nach Karpuschewski)
Eindrahtmethode
offener Messkreis geschl. MesskreisWarmlöt-stelle
IsolierungThermo-draht
Werkstück
Pyrometer
Thermo-draht
zvarIsolierung
zvar
Schutz-mantel Thermo-
elementDünnschicht-Thermoelement
Video Thermographie
Thermokamera
Werkstück
SchleifscheibeInfrarotMessdiode
FokussieroptikGlasfaser-kabel
Werkstück
Schleifscheibe
Wär
mes
trah
lung
Wär
mes
leitu
ng
KornSchleif-scheibe
Thermofolie Warmlöt-stelle
Schleif-scheibe
Werk-stück
ZweidrahtmethodeSchleif-scheibe
geteiltesWerkstück
Ni NiCr
13.6 Schleifprozesse
292
In Abb. 13.29 sind die röntgenografisch gemessenen Werkstückeigenspannun-gen über den gemessenen Temperaturen JM aufgetragen. Es ergibt sich eine ein-heitliche Übertragungsfunktion für unterschiedliche Werkzeuge und Einstellbedin-gungen. Den Temperaturen können Werkstückeigenspannungen im Bereich von –400 bis 500 MPa zugeordnet werden. Ein Anstieg der Temperaturen und damit der Eigenspannungen ist bei Steigerung des Zeitspanvolumens bei jedem Schleif-stoff und jeder Kühlschmierstoffbedingung feststellbar. Mit zunehmender Schnitt-geschwindigkeit ist bei Verwendung der mikrokristallinen Al2O3-Schleifscheibe ein Anstieg der gemessenen Temperaturen zu verzeichnen. Beim CBN-Schleifen hat die Variation der Schnittgeschwindigkeit keinen Einfluss auf die Temperatur. Eine Verringerung der Werkstücktemperatur ist durch eine Steigerung der Werk-stückgeschwindigkeit erreichbar. Die Unterschiede zwischen den beiden Kornarten sind durch die unterschiedlichen Eigenschaften zu begründen. CBN-Körner weisen eine größere Verschleißfestigkeit und Wärmeleitfähigkeit auf. Dementsprechend geringer ist die Wärmemenge, die in das Werkstück gelangt, was sich in geringeren Werkstücktemperaturen niederschlägt [BRU98].
Dem Schleifprozess wird die mechanische Leistung Pc zugeführt.
(13.52)
Da im Allgemeinen vc >> vft ist, kann angesetzt werden:
(13.53)
Bis auf einen vernachlässigbaren Rest von (1 – k1) < 0,03, der in Versetzungsener-gien und Gitterstörungen d. h. Eigenspannungen umgesetzt wird, wird diese Leis-
Pc = Ft · (vc ± vft)(+ : Gegenlauf - - : Gleichlaufschleifen)
Pc = Ft · vc
Abb. 13.29 Werkstückeigenspannungen in Abhängigkeit der Werkstücktemperatur
600
MPa
200
0
–200
–4000 30 60 90 °C 150
Werkstücktemperatur am Messfleck M
trocken:
MK-Al2O3CBN
MMS:
MK-Al2O3
CBN
Verfahren:Außenrund-Umfangs-Querschleifen
Schleifscheibe:MK-Al2O3: 3CB3 80 16CBN: B126 C125, 10B181 C150ds = 150 mmvc = 30 - 60 m/s
Werkstück:100 Cr 6, 62 HRC, dw = 80 mmQ´w = 0,5 - 1,5 mm3/mmsvft = 0,25 - 1,5 m/s
Abrichten:Topfscheibe D301MK-Al2O3: Ud= 10, qd = –0,6CBN : . Ud = 4, qd = +0,6aed = 3 µm, apd = 1 mm
KSS:trockenMMS, QKSS=18 ml/h
Wer
kstü
ckei
gens
pann
unge
n σ l
l
13 Schleifen
293
tung in Wärme gewandelt. Der Wärmestrom ist L = k1 Pc. Dieser Wärmestrom fließt ab über das Werkzeug Ls, das Werkstück Lw, die Späne Lch, den Kühlschmierstoff L1 und die Umgebung Lr. Den Hauptanteil nehmen Werkzeug und Werkstück auf [CHO86].
(13.54)
(13.55)
Zur Erklärung unterschiedlicher thermischer Randzonenbeeinflussung bei konven-tionellen Schleifstoffen und Bornitrid ist eine vereinfachte Betrachtung der beiden Anteile von Nutzen (Abb. 13.30). Vorausgesetzt wird hier eindimensionale, statio-näre Wärmeleitung und, dass in einem Abstand s = w = von der Kontaktfläche die gleiche Temperatur ϑ1 in den beteiligten Medien herrscht. Es gilt dann
(13.56)
mit den Wärmeleitungskoeffizienten s,w. Aus k2 ⋅ L = Ls + Lw ergibt sich
(13.57)
(13.58)
Ls + Lw = k2 · L,
k2 ≈ 0,8 ÷ 0,9.
Ls,w = λs,w · Akgϑ0 − ϑ1
δ
Ls =k2 L
1 + λw/λs
Lw =k2 L
1 + λs/ λw
Abb. 13.30 Energiebilanz am Schleifkorn
Schleifkorn
Werkstück
Wärmequelle
:
:
Grenzflächentemperatur
Kontaktfläche
0 zs,wδ
ϑ0
ϑ0
ϑ1
ϑ
Akg
δ
ϑ0 ϑ1Ls,w λs,w Akg–
=
zs
zw
LwLs
Lw
13.6 Schleifprozesse
294
Für Schleifstoffe mit unterschiedlichen Wärmeleitungen wie Korund mit sk und Bornitrid mit sb folgt dann für die Wärmeströme LWk, LWb
(13.59)
Für die Medien Stahl ( w = 50 W/mK), Korund ( sk = 29 W/mK) und Bornitrid ( sb = 1.300 W/mK) ist damit
(13.60)
Das bedeutet, dass beim Schleifen mit Korund die 17fache Wärmemenge ins Werk-stück fließt verglichen mit Bornitrid. Die Schleifscheibe auf Bornitridbasis wirkt gleichsam wie ein Schöpfrad für die Wärmeenergie wegen der guten Wärmeleitung.
13.6.3 Ausgangsgrößen
Schleifscheiben verschleißen. Es tritt Korn- und Bindungsverschleiß auf. Beim Kornverschleiß lassen sich folgende Verschleißarten unterscheiden:
Druckerweichen: Dieses Phänomen kann bei Korund auftreten, das zwar einen Schmelzpunkt von 2.050 hat, dessen Festigkeit aber bereits bei 1.200 °C auf ein Sechstel seiner Druckfestigkeit bei Raumtemperatur absinkt [STA62]. Als Folge der Druckerweichung treten hohe Reibkräfte und verrundete Schneidkanten auf, was die Spanbildungstemperaturen zusätzlich erhöht. Es kann sich ein instabiler Zustand einstellen, der zum Erliegen der Schleifscheibe führt. Der Volumen- oder Radiusverschleiß ist gering.
Abrasion: Als Folge der Reibung zwischen Korn und Werkstoff kommt es zu mechanischem Abrieb (Abb. 13.31). Das Korn wird kontinuierlich abgetragen und bildet auch hier unerwünschte, da Reib- und Scherkraft steigernde, verrundete Schneidkanten. Der Volumen- oder Radiusverschleiß ist gering.
Absplittern: Durch thermische Beanspruchung und anschließendes schnelles Abkühlen, aber auch durch mechanische Belastung bei ausreichender Splitterfähig-keit des Schleifkorns splittern Teile der Körner ab und bilden so neue Schneidkan-ten. Diese Verschleißart ist daher günstig, da der Volumen- und Radiusverschleiß zwar gegenüber der Druckerweichung und dem abrasiven Verschleiß größer ist, jedoch noch ausreichend gering ist und dennoch scharfe Schneiden entstehen. Die Fähigkeit zu splittern kann mit dem Friability Test gekennzeichnet werden (s. Abschn. 13.2).
Ausbrechen: Bei dieser Verschleißart brechen ganze Körner aus dem Bindungs-verband aus. Die Haltekräfte der Bindung reichen nicht aus, die Bindung ist zu weich. Es kommt zu starkem Volumen- und Radiusverschleiß. Die Schleifscheibe behält allerdings ihre Schleiffähigkeit.
Lwk
Lwb=
λw + λsb
λw + λsk.
Lwk
Lwb= 17.
13 Schleifen
295
Der Verschleiß einer Schleifscheibe wird zahlenmäßig durch den Volumenver-schleiß Vs oder den Radiusverschleiß ∆rs erfasst. Der Volumenverschleiß geht di-rekt in das Schleifverhältnis oder den Gütefaktor (grinding ratio) ein:
(13.61)
Das G-Verhältnis hängt u. a. vom Werkstoff, vom Schleifwerkzeug, von den Einstellgrößen, vom Konditionieren und von der Kühlschmierung ab. Folglich schwankt es in weiten Grenzen. Beim Schleifen mit Korund an gehärtetem Stahl 100Cr6 unter mittleren Bedingungen und Emulsion als Kühlschmierstoff kann mit einem G-Wert von 80 gerechnet werden. Bei Einsatz von CBN und unter Mineralöl lässt sich der G-Wert auf 3.000 und mehr steigern [GRA87].
Für maß- und formgenaues Schleifen ist meist der Radiusverschleiß bedeutsa-mer. Das ist der lokale Abtrag der Schleifscheibe nach einer bestimmten Schleifauf-gabe oder Schleifzeit. Die mittlere Radiusverschleißgeschwindigkeit hängt mit dem Schleifverhältnis zusammen, was sich aus einer Volumenbilanz ergibt:
(13.62)
Feinbearbeitungsverfahren wie das Schleifen erzeugen meist Oberflächen in ihrem End- und Gebrauchszustand. Wie in Kap. 16 Oberflächeneigenschaften ausgeführt
G =Vw
Vs=
Qw
Qs.
rs
t=
1
G
fr · vft
2π rs.
Abb. 13.31 Arten des Verschleißes und der Schärfung beim Schleifen
Abstumpfen
Fy
Fst v
BindungPore
Korn Absplittern
Ausbrechendurch Freilegungneuer Kornverbände
ScharfeSchleifscheibe
Verschleißarten Schärfung
duch Bildung neuerSchneidkanten
durch Abrichten
13.6 Schleifprozesse
296
wird, werden die Funktionseigenschaften von Bauteilen wesentlich durch die geo-metrischen und physikalischen Eigenschaften ihrer Oberflächen bestimmt. Zu fra-gen ist hier, wie diese Eigenschaften durch den Schleifprozess und seine Eingangs-größen erreicht werden können.
Die mikrogeometrische Oberflächenausbildung lässt sich durch verschiedene Kenngrößen wie die gemittelte Rautiefe, den Mittenrauwert, den Traganteilkenn-wert und weitere beschreiben (s. Kap. 16) je nachdem welche Funktion der Oberflä-che wesentlich ist. Häufig wird die gemittelte Rautiefe Rz angegeben. In Abb. 13.32 sind qualitativ die Einflüsse einiger Eingangsgrößen auf die Oberflächengüte an-geschrieben. Grundsätzlich ist die durch Schleifen erzeugte Oberfläche mit Mik-rotopographie der Schleifscheibe und den kinematischen Bedingungen, mit denen die Schneiden gegenüber dem Werkstück bewegt werden, verbunden. Eine erste Näherung als Maß für die Oberflächenausbildung ist die Spanungsdicke bzw. die Eindringtiefe der Schneiden, wie sie in Abschn. 13.7.1 modelliert wurden.
Mit Rücksicht auf das Verschleißverhalten ist in Abb. 13.32 zwischen konven-tionellen und hochharten Schleifstoffen unterschieden, wobei für beide die gleichen Trends festzustellen sind, bei CBN sind die Veränderungen der Rauheitswerte zeitlich erheblich gestreckt [HEU92]. Aus den schematischen Darstellungen ist zu entnehmen, dass die Rauheit mit zunehmender Vorschubgeschwindigkeit zunimmt, was sich auf die Steigerung der Spanungsdicke zurückführen lässt. Entsprechendes für den Ein-fluss der Schnittgeschwindigkeit, mit deren Steigerung die Spanungsdicke abnimmt. Die Schleifzeit bzw. das Zerspanvolumen V’w wirkt sich, wie Weinert zeigen konn-te [WEI76], ambivalent aus je nach der anfänglichen Mikrotopographie der Schleif-scheibe (s. a. Abschn. 13.7.2). Bei rauer Scheibe tritt nach anfänglich größerer Rauheit ein Glättungseffekt auf. Umgekehrt wird bei sehr glatter Scheibe durch Verschleiß-effekte eine Aufrauung und damit eine Steigerung der Rautiefe am Werkstück ein.
Abb. 13.32 Einfluss der Stellgrößen auf die Werkstückrauheit
konventionell
CBN
Rz
Rz
vf
vf vc
vc V’w
V’w
13 Schleifen
297
Neben diesem kinematischen Ansatz ist das Stoffverhalten zu berücksichtigen, nämlich ob der Werkstoff unter den gegebenen Prozessbedingungen (Spanungsdi-cke, Temperaturverteilung) zu duktilem oder sprödem Formänderungs- und Trenn-verhalten neigt. Untersuchungen zum Einkornritzen an sprödharten Werkstoffen haben gezeigt, dass es unterhalb einer bestimmten Ritznormalkraft zu beliebig lan-gen, rissfreien, plastisch verformten Ritzspuren am Bauteil kommt. Bei höheren Ritznormalkräften bzw. Spanunugsdicken brechen direkt nach dem Ritzvorgang im Bereich hinter der Schneide durch Zugeigenspannungen Entlastungsrisse auf und führen vermehrt zur spröden Materialtrennung (Abb. 13.33). Diese Erkenntnisse lassen sich prinzipiell auf den Schleifprozess übertragen, bei dem eine Vielzahl von Schleifkörnern zum Eingriff kommt [ROT94]. Dabei besitzt die Größe der mittleren Einzelkornspanungsdicke des Schleifprozesses einen entscheidenden Einfluss auf die auftretenden Materialtrennung. Geringere Einzelkornspanungsdicken –- z. B. hervorgerufen durch die Verwendung feinkörniger Schleifscheiben – bewirken eine eher duktile Materialtrennung, wohingegen der Einsatz grobkörniger Schleifschei-ben zu vermehrt spröder Materialtrennung führt [LIE98].
Die Qualität geschliffener Bauteile ist nicht nur vom Einhalten der Maß- und Formtoleranzen und einer geforderten Oberflächengüte abhängig, sondern auch von den physikalischen Eigenschaften der Werkstückrandzone. Unter den physika-lischen Randzoneneigenschaften versteht man den Gefügezustand und die Eigen-spannungen in den oberflächennahen Randschichten des bearbeiteten Werkstücks [BRI82]. Härteveränderungen können ebenfalls Aufschlüsse über die Randzo-nenbeschaffenheit geben. Hohe thermische Einwirkungen können zu einem Här-teverlust oder – unter extremen Bedingungen – sogar zu Neuhärtungszonen mit darunterliegender Weichhaut führen. Solche Gefügeveränderungen verschlechtern die Gebrauchseigenschaften der Bauteile signifikant, darüber hinaus können steile
Abb. 13.33 Materialtrennmechanismen an sprödharten Werkstoffen (nach Lawn und Marshall)
spröde Materialtrennung duktile Materialtrennung
lateralerRissaxialer
Riss
radialer Riss
hcu hcu
FnG FnG
FtG FtG
vc vcDiamant-schneide
Spanspur
plastischeVerformung
Werkstoff
13.6 Schleifprozesse
298
Härtegradienten in Verbindung mit Oberflächeneigenspannungen Risse im Bauteil hervorrufen [BRI91] (s. Kap. 16).
Das Überlagern von thermischen und mechanischen Wirkungen auf das Entste-hen von Eigenspannungen erläutert Brinksmeier, indem er Eigenspannungen über der kontaktflächenbezogenen Schleifleistung P''c aufträgt [BRI91]. Die Leistung ergibt sich aus dem Produkt der Relativgeschwindigkeit zwischen Werkstück und Schleifscheibe und der Tangentialkraft Ft. Sie wird auf die durch Eingriffsbreite ap und geometrische Kontaktlänge lg gebildete Kontaktfläche bezogen.
(13.63)
Wenn die Werkstückgeschwindigkeit deutlich geringer als die Schleifscheibenge-schwindigkeit ist, kann die bezogene Schleifleistung in guter Näherung wie folgt berechnet werden:
(13.64)
Bei sehr niedrigen Schleifleistungen sind zunächst nur thermisch bedingte Eigen-spannungen durch äußere Reibung zu erwarten. Plastische Verformungen bedingt durch mechanische Belastung führen zum Ausbilden von Druckeigenspannungen. Die mit zunehmender Schleifleistung ansteigenden Temperaturen verringern die durch mechanische Wirkung maximal induzierten Druckeigenspannungen und führen gleichzeitig zu einer sich stetig vergrößernden Dominanz der thermisch be-dingten Zugeigenspannungen. Die thermischen und mechanischen Einflüsse über-lagern sich in hochgradig nichtlinearer Weise, so dass eine einfache Superposition unzulässig ist und die Darstellung lediglich schematisch erfolgen kann. Eine ge-ringere thermische Beanspruchung des Bauteils zu einem günstigeren Verlauf der resultierenden Eigenspannungen führt. Dieser Effekt kann durch einen Wechsel des Schleif- oder Kühlschmierstoffs oder Verringern der Schnittgeschwindigkeit oder des Zeitspanvolumens erreicht werden [BRI91].
Heuer [HEU92] zeigt die Grenzen dieser Modellvorstellung auf. Ein Erhöhen der tangentialen Vorschubgeschwindigkeit bei konstanter Schnittgeschwindigkeit kann zu höheren kontaktflächenbezogenen Schleifleistungen bei gleichzeitig nied-rigerem Eigenspannungsniveau führen. Karpuschewski berücksichtigt daher die Wärmeeinwirkzeit und definiert eine Streckenenergie als die auf eine Spanvolu-meneinheit bezogene Wirkung und beschreibt den resultierenden Eigenspannungs-zustand wie folgt [KAR95]:
(13.65)
Einen weiteren Ansatz zum Beschreiben der beim Schleifen umgesetzten Energien und deren Wirkungen auf die im Bauteil verbleibenden Eigenspannungen schlägt Lierse [LIE98] vor. Er wendet Erkenntnisse aus der Schweiß- und Lasertechnik an, bei der zum Berechnen einer kontaktflächenbezogenen Energie die Kontaktzeit auf die Oberfläche direkt berücksichtigt wird und verwendet die Größe
P′′c =
Ft · (vs ± vft)
ap · lg[W/mm2] + Gleichlauf − Gegenlauf
P′′c =
Ft · vc
ap · lg
[W/mm2
]
σ|| = k ·ec · ae
le[MPa]
13 Schleifen
299
(13.66)
bei seinen Untersuchungen über mechanische und thermische Wirkungen beim Schleifen von technischer Keramik.
Die thermische Werkstückschädigung bei der Schleifbearbeitung wird durch die Einstellungen der Stell- und Systemgrößen beeinflusst. Nicht nur die primären Prozessgrößen üben einen Einfluss auf die thermophysikalischen Vorgänge beim Schleifen aus. Auch Größen, die die Schleifscheibentopographie maßgeblich und deshalb auch die beschriebenen Elementarprozesse bei der Spanbildung beein-flussen, wirken auf das Entstehen thermischer Schädigungen [BRI91]. Dieses ist auch für die verwendeten Kühlschmiermittel und deren Stellgrößen festzustellen [GRA87, HEU92].
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sich jede Änderung in der Kontaktzone zwischen Schleifscheibe und Werkstück auf die entstehende Randzonenbeeinflus-sung auswirkt. Jeder dieser Faktoren beeinflusst entweder die bei der Zerspanung erzeugte Wärme oder die auftretenden Kräfte bzw. die Wärmeaufteilung und ver-ursacht somit eine unterschiedliche Beeinflussung, die sich durch die entstehenden Eigenspannungen bestimmen lässt [BRI91]. Für die Auslegung eines Schleifpro-zesses müssen Zugeigenspannungen vermieden werden, um das Funktionsverhal-ten der Bauteile nicht negativ zu beeinflussen (s. Kap. 16).
Im Nachfolgenden wird der Einfluss wichtiger Stellgrößen des Schleifprozesses auf die Eigenspannungsausbildung im bearbeiteten Werkstück beschrieben. Hierbei werden ausschließlich Eigenspannungen parallel zur Schleifrichtung herangezo-gen, da diese in den meisten Fällen größere Beträge in Richtung Zugeigenspan-nungen aufweisen und somit für das Bauteilverhalten kritischer einzustufen sind [HAU80]. In Abb. 13.34 sind die Eigenspannungen an der Werkstückoberfläche für verschiedene bezogene Zeitspanvolumina über die Schnittgeschwindigkeit und die Eigenspannungstiefenverläufe für verschiedene Geschwindigkeitsverhältnisse dargestellt. Eine Steigerung der Schnittgeschwindigkeit führt bei den beiden dar-gestellten großen bezogenen Zeitspanvolumen zu einem Abfall der gemessenen Eigenspannungen. Für das geringe eingestellte Zeitspanvolumen liegen für alle Be-dingungen Druckeigenspannungen vor. Das bereits diskutierte Verringern der Spa-nungsdicke und damit der Schleifkräfte beim Erhöhen der Schnittgeschwindigkeit führt für hohe bezogene Zeitspanvolumina zu einem Reduzieren der an der Werk-stückoberfläche verbleibenden Eigenspannungen. Obwohl die für die Zerspanung erforderliche Schnittleistung dem Erhöhen der Schnittgeschwindigkeit ebenfalls zunimmt, wirkt sich die größere thermische Leistung offenbar in dem betrachteten Bereich nicht auf die Eigenspannungen aus.
Die thermische und mechanische Beeinflussung auf den Werkstoff des Bauteils durch die Schleifbearbeitung ist nicht nur auf die unmittelbare Oberfläche begrenzt. Sie hat je nach der Art und Größe der Belastung eine unterschiedliche Tiefenwir-kung [TÖN65]. Für die Beurteilung eines Schleifprozesses ist eine Analyse dieser Wirkung von besonderem Interesse, da unter der Oberfläche höhere Eigenspan-nungen vorliegen können, was eine starke Schädigung des Bauteils bedeutet. Für
E′′c = P′′
c · tk = P′′c ·
lgvft
=Ft · vc
ap · vft[J/mm2]
13.6 Schleifprozesse
300
die Auslegung von Schleifprozessen ist die Kenntnis der Tiefenwirkung der Stell-größen notwendig. Der Einfluss unterschiedlicher Geschwindigkeitsverhältnisse bei konstantem Zeitspanvolumen ist im rechten Teil der Abb. 13.34 zu entnehmen. Ein höheres Geschwindigkeitsverhältnis wird bei gleicher Schnittgeschwindigkeit durch Verringern der Werkstückdrehzahl erreicht. Dies hat zur Folge, dass die Ein-wirkzeit der von der Zerspanung hervorgerufenen Wärme größer ist als bei kleinen Geschwindigkeitsverhältnissen. Die Auswirkung ist klar in dem Bild zu erkennen. Die größere Wärmeeinwirkdauer führt zu höheren Zugeigenspannungen mit größe-rer Tiefenwirkung im Werkstück [CZE99].
Die Eigenspannungstiefenverläufe von verschiedenen bezogenen Zeitspanvo-lumina sind in Abb. 13.35 dargestellt. Bei einem geringen Zeitspanvolumen von Q'w = 2 mm3/mms treten Druckeigenspannungen an der Oberfläche auf. Die Tiefen-wirkungen dieser vornehmlich mechanisch bedingten Eigenspannungen sind nur sehr gering und betragen ca. 15 µm. Der Spannungsverlauf weist bis zum Verlassen der druckspannungsbeeinflussten Randzone einen hohen Gradienten auf und nimmt dann die Eigenspannungswerte des Grundgefüges an. Der Härtetiefenverlauf und das Schliffbild dieser Probe entsprechen ebenfalls dem des nicht geschädigten Grundgefüges.
Bei Steigerung des bezogenen Zeitspanvolumens auf Q'w = 10 mm3/mms über-wiegt der Einfluss der thermischen Belastung gegenüber der mechanischen Be-lastungskomponente. Es werden nur Zugeigenspannungen im Material gemessen. Der Eigenspannungsverlauf sinkt von etwa 200 MPa Zugeigenspannungen an der Oberfläche etwa linear auf den Zustand des Grundgefüges ab. Die höhere in das Werkstück eingebrachte Temperatur bei diesem Zeitspanvolumen führt zu Zug-
Abb. 13.34 Einfluss der Schnitt- und Werkstückgeschwindigkeit auf die Werkstückeigenspan-nungen gehärteter Bauteile
Schnittgeschwindigkeit vc
–400
0
400
1200
0 40 60 100m/s
MPa
Eig
ensp
annu
ngen
σ||
300
400
600
MPa
–10060 100µm
0
100
200
0 20 40
20
10
2
Abstand von der Oberfläche z
Diffraktometer XRD 3000 PTSStrahlung CrKαEindringtiefe τ = 4,1 - 6,1 µm
röntgenographischeEigenspannungsanalyse
VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen
CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 Nvc = 100 m/s, Q‘w = 10 mm³/mms
CBN-SchleifscheibeM 126 VR 100 Nvc=100 m/s; q = –100
VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen
q = –80
q = –150
Q‘w inmm³/mms
13 Schleifen
301
eigenspannungen an der Werkstückoberfläche mit einer Tiefenwirkung von 20µm. Im Gefügebild ist etwas Anlassgefüge am Werkstückrand erkennbar und die ge-messenen Härtewerte im Randbereich sind niedriger als das des ungeschädigten Ausgangsgefüges.
Durch eine nochmalige Steigerung der im Schleifprozess erzeugten Wärme durch ein Zeitspanvolumen von Q'w = 20 mm3/mms vergrößern sich die Einwir-kungstiefen und die Maximalwerte der Zugeigenspannungen erheblich. Analog zur Wärmeentwicklung steigt die radiale Ausbreitung des Anlassgefüges. Durch die Temperatureinwirkung findet ein Anlassen des gehärteten Gefüges statt, das durch die temperaturbedingte Gefügeumwandlung an Härte verliert. Die durch den Schleifprozess erzeugte Temperatur erreicht Werte, die zum Ausbilden von Neuhär-tungszonen führen. Ein Anstieg der Härte durch die Neuhärtung ist im Härteverlauf nicht feststellbar, da sich diese Zone auf wenige µm Tiefe beschränkt. Eine Mes-sung der Materialhärte in diesem kleinen Bereich ist nicht durchführbar.
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
13.7.1 Grundlagen
Verschleiß durch Absplittern oder Ausbruch von Körnern oder durch Bindungsero-sion verursachter Verschleiß führt zur Selbstschärfung von Schleifwerkzeugen. Für
Abb. 13.35 Einfluss des bezogenen Zeitspanvolumens auf die Werkstückeigenspannungen
VerfahrenAußenrund- Umfangs-Querschleifen
CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 NVc = 100 m/s; q = –80
AbrichtbedingungenFormrolle U 75 B; Ud = 15qd = 0,8; aed = 0,5 µm
Werkstück100 Cr 6, 63 HRC
KühlungMineralöl, Tangentialdüse26 l/min; 8,5 bar
röntgenographischeEigenspannungsanalyseDiffraktometerXRD 3000 PS
StrahlungBragg-Winkel 2θ = 156,44°Eindringtiefe τ = 4,1–6,1 µm
CrKα
–400
0
800
0 20 40 60 µm
Eig
ensp
annu
ngen
σ||
MPa
100
220 10
bez. Zeitspanvolumen Q‘win mm3/mms
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
302
das Schruppschleifen kann dieser Effekt erwünscht sein, um eine Konditionierung des Werkzeugs zu vermeiden. Beim Schlichten und Feinschleifen kann jedoch in der Regel auf das Konditionieren nicht verzichtet werden (E. Saljé: Wer nicht Kon-ditionieren kann, braucht gar nicht erst anzufangen, zu schleifen). Das Konditionie-ren kann drei Zwecken dienen (Abb. 13.36) [SPU89].
Profilieren: Dabei geht es um die Wiederherstellung oder Neuerstellung einer Schleifscheibenkontur. Wenn durch Verschleiß einer Schleifscheibe die Zylindrizi-tät oder der Rundlauf verloren geht oder sich Wellen auf der aktiven Schleiffläche bilden, muss profiliert werden, d. h. in diesem Fall wird eine zylindrische Fläche erzeugt. Durch Profilieren können auch nicht zylindrische Formen des Werkzeugs zum Quer-Profilschleifen generiert werden. Profilieren wirkt makrogeometrisch.
Schärfen: Wenn Schleifwerkzeuge nicht mehr schleiffähig sind, durch Verrun-dung der Schneidkanten oder durch Aufladung (Zusetzen der Spanräume), kann durch Schärfen eine neue Lage von Körnern oder Schneidkanten erzeugt werden. Schärfen wirkt mikrogeometrisch.
Reinigen: Durch Reinigen werden Rückstände, die aus Werkstoff, aus Werk-zeugstoff oder auch aus Ablagerungen des Kühlschmierstoffs bestehen, entfernt. Reinigen verändert die Topographie des Schleifwerkzeugs nicht; weder die Körner noch die Bindung werden entfernt.
Das Profilieren (truing) und Schärfen (dressing) zusammen wird auch als Ab-richten bezeichnet. Da beim Schlicht- oder Feinschleifen die Spanbildung und alle daraus folgenden Wirkgrößen entscheidend vom Abrichten, d. h. der Art und den Einstellparametern dieses Vorgangs abhängen, kann ein Schleifprozess nie allein gesehen werden, sondern muss immer als eine Kombination aus Konditionieren/Abrichten und Schleifen betrachtet werden.
In Abb. 13.37 sind nach ihrer Kinematik bzw. Formerzeugung unterscheidbare Abrichtverfahren dargestellt [KAI09].
Schleifscheiben können mit rotierenden oder nicht-rotierenden, stehenden Werk-zeugen abgerichtet werden (Abb. 13.37). Ein zweiter Ordnungsgesichtspunkt ist die Art der Formerzeugung. Unterschieden werden das Formabrichten, also das gesteu-
Abb. 13.36 Konditionieren von Schleifscheiben (nach G. Spur)
Konditionieren
Abrichten
Reinigen
Reinigen
SchärfenProfilieren
Form erzeugenRundlaufZylindrizitätProfil durchKorn- undBindungs-angriff
Mikrostrukturerzeugen
durch Korn-angriffdurch Rück-setzen vonBindungen
Aufladungenbeseitigendurch Entfernenvon Spänen,Schleifartikelnund KSS-Resten
13 Schleifen
303
erte Führen des Abrichtwerkzeugs, und das Profilabrichten, bei dem das Abricht-werkzeug die Kontur des zu erzeugenden Profils enthält.
Abrichtwerkzeuge lassen sich ein- oder mehrschneidig (aus einem oder mehre-ren Körnern bestehend) ausführen (Abb. 13.38). Die Abbildung zeigt die typische Anwendung des Diaform- Verfahrens, bei der das Profil der Schleifscheibe durch gesteuertes Abrichten mit Einzeldiamanten erzeugt wird.
Abb. 13.37 Abrichtverfahren (nach Dr. Kaiser)
Abrichtwerkzeug
Überdeckungsgrad UdGeometrie des Abrichters R
Diamantierung
Schleifscheibe
Block
Profilrolle
Form-Abrichten Profil-AbrichtenS
tehe
nde
Abr
iche
rR
otie
rend
e A
bric
hter
Ges
chw
indi
gkei
ts-
Ver
hältn
is q
d
ns
ns
nd
ns
nd
ns
fad
Formrolle
R
Abb. 13.38 Einkornabrich-ter (Werkphoto Dr. Kaiser GmbH, Celle)
Anwendung
Abrichten von Profilen mit höchsterGenauigkeit (Korund, SiC)
•
Schrägstellung um < 5° verhindertAbnutzung der unteren Seite, dadurch
•
2-fach nutzbar•
Radiusgenauigkeit: +/–0,02mm•
Diamantqualitäten
PKD Diamant (ohne Bedeutung)•
CVD-Diamant•
Nahtsteine (Sporndiamant, Drilling)•
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
304
Die Schneidelemente bestehen aus künstlichen oder natürlichen Diamanten und sind in einer Metallmatrix eingefasst. Diese Diamanten können ungeschliffen, formgeschliffen oder in einem anderen geometrisch definierten Zustand vorliegen. Sie können in einer stochastischen Verteilung oder nach einem definierten Setzmus-ter auf zylinder-, platten- oder scheibenförmigen Trägern angeordnet sein.
Formrollen sind rotierende Abrichter, die am Umfang mit Diamanten besetzt sind (Abb. 13.39). Sie werden 2- oder 3-achsig gesteuert, um das Scheibenprofil zu erzeugen. Wegen ihrer Vielfachbesetzung mit Diamanten haben sie eine erheblich längere Standzeit als Einzeldiamanten und zusätzlich den Vorteil, weitgehend un-abhängig vom zu erzeugenden Profil zu sein. Sie eignen sich daher für kleine und mittlere Serien. Für Großserien werden rotierende Profilwerkzeuge, Diamantprofil-rollen eingesetzt (Abb. 13.40). Sie tragen die Kontur des Scheibenprofils. Wegen der meist erforderlichen, hochgenauen Fertigung solcher Profilrollen und wegen der ganzumfänglichen Diamantierung sind sie aufwendig, haben aber lange Stand-zeiten und erlauben kurze Abrichtzeiten, da nur eine kurze radiale Zustellung er-forderlich ist.
Weitere Unterscheidungsmerkmale für Abrichtwerkzeuge sind die eingesetzten Bindungssysteme (Galvanik- oder Sinterbindungen), die Möglichkeiten der Dia-mantierung (stochastische Verteilung durch Streuen, regelmäßige Verteilung durch Handsetzen und ein- oder mehrschichtige aufgebaute Werkzeuge) und die durch die Belagdichte angegebene Anzahl der Diamanten auf dem Abrichter in Karat pro Ku-bikmillimeter. Die Eigenschaften von Abrichtwerkzeugen, die Einflüsse der Stell-
Abb. 13.39 Formrollen mit gesetzten Natur- und polykristallinen Diamanten (Werkphoto Dr. Kai-ser GmbH, Celle)
Naturdiamant Polykristalliner Diamant
Diamant-Nadeln Matrix
Stahlgrundkörper
CVD-Diamant-Stäbchen/Formplatten
Erster AnschliffErster Anschliff
Nachschliff
R R
R
1. Nachschliff...
10. Nachschliff
R R
13 Schleifen
305
größen beim Abrichten und praktische Einsatzempfehlungen werden von Minke übersichtlich zusammengestellt [MIN99].
Grundsätzlich entspricht das Abrichten dem Drehen (Abb. 13.41). Mit dem Ab-richtvorschub fad und der Eingriffsbreite apd lässt sich ein Überdeckungsgrad Ud definieren zu
(13.67)
Die Eingriffsbreite folgt aus
(13.68)
Ud =apd
fad.
apd = 2 ·(2 · rd · aed − aed
2)
1/2
Abb. 13.40 Profilrolle mit Werkstück (Werkphoto Dr. Kaiser GmbH, Celle)
Abb. 13.41 Abrichten mit Einzeldiamant
SchleifscheibeAbrichtdiamant
Rzw
2 8 Ud Ud2 8
Fn,t
Mikroprofil derSchleifscheibe
Kontur desAbrichtdiamanten
ns
fad
rd
vs
apd
a ed
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
306
und der Abrichtvorschub mit der Schleifscheibendrehfrequenz ns zu
(13.69)
Übliche Einstellungen beim Abrichten von keramisch gebundenen Schleifscheiben sind [MAG08]:
(13.70)
Mit dem Überdeckungsgrad lassen sich die Wirkgrößen in weiten Bereichen beein-flussen, da die wirksame Rautiefe der aktiven Schleiffläche und damit die Zahl der aktiven Schneiden des Schleifwerkzeugs stark verändert werden. Zur Beschreibung der Schneidenraumtopographie einer Schleifscheibe wird die Wirkrautiefe Rts ver-wendet. Zur Bestimmung dieser Größe wird mit der Schleifscheibe ein Testwerk-stück mit festgelegten Parametern bearbeitet. Die auf dem Werkstück gemessenen maximalen Rautiefenwerte ergeben die Wirkrautiefe der Schleifscheibe [SCH68]. Die Wirkrautiefe Rts der Schleifscheibe ist
(13.71)
Ein größerer Überdeckungsgrad erzeugt mehr aktive Schneiden mit geringeren Rautiefen am Werkstück. Die Kräfte und die erforderliche Leistung steigen.
13.7.2 Konditionieren von konventionellen Schleifwerkzeugen
Konventionelle Schleifwerkzeuge lassen sich im Allgemeinen durch die in Abb. 13.37 dargestellten Abrichtwerkzeuge gleichzeitig profilieren und schärfen. Der Einfluss der Stellgrößen beim Abrichten geht mit zunehmender Schleifdau-er verloren. Der Schneidenraum der Schleifscheibe verändert sich durch den auf-tretenden Verschleiß. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Wirkrautiefe der Schleifscheibe bei unterschiedlichen bezogenen Zeitspanvolumina und Ab-richtbedingungen für einen stehenden Abrichter sind in Abb. 13.42 dargestellt. In Abhängigkeit von der durch das Abrichten erzeugten Anfangswirkrautiefe Rt,s0 der Schleifscheibe strebt diese mit zunehmender Schleifzeit einer von den Ab-richtbedingungen unabhängigen stationären Rautiefe zu. Im oberen Bildteil ist zu erkennen, dass bei gleicher Rauheit der Schleifscheibe mit der Einsatzzeit durch verschleißbedingte Änderung des Schneidenraums unterschiedliche Endrauheiten entstehen. Umgekehrt ist im unteren Bildteil zu sehen, dass mit der Einsatzzeit die Anfangsrauheit verändert wird und einem stationären Wert zustrebt. Der Schnei-denraum der Schleifscheibe verliert gleichsam sein Gedächtnis [WEI76]. Für die praktische Nutzung in der Serienfertigung ist interessant, dass durch die Abricht-strategie ein gleichmäßiges Schleifergebnis erzielt werden kann, indem durch das Abrichten bereits der stationäre Schneidenraum getroffen wird. Andererseits kön-
fad =vfad
ns.
fad ≤ 0,2 mm, aed = 10 µm ÷ 30 µm.
Rts =f 2ad
8 · rd
13 Schleifen
307
nen in der Einzelfertigung mit der gleichen Scheibe (Korngröße) durch das Abrich-ten sehr unterschiedliche Rauheiten erzielt werden [VER79].
Das Abrichten von konventionellen Schleifscheiben mit rotierenden Werkzeu-gen wird häufig genutzt, um Profilscheiben zu konditionieren. Dabei kann analog zum Abrichten mit dem Einzelkorndiamanten mit einer Diamantformschleifschei-be gearbeitet werden, wobei die Scheibe in wenigstens zwei Achsen bahngesteuert wird oder das zu erzeugende Profil in einer Diamantprofilrolle enthalten ist. Letzte-res Verfahren wird wegen der hohen Kosten für die Profilrolle i. Allg. in der Serien-fertigung eingesetzt. Abbildung 13.43 zeigt die Abhängigkeit der beim Abrichten mit Profilrollen erzielbaren Anfangswirkrautiefen Rt,s0 des Schleifscheibenprofils in Abhängigkeit der beiden Einstellgrößen Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis und radialer Abrichtvorschub pro Umdrehung der Schleifscheibe.
Die Diamanten der Rolle bewegen sich beim Abrichtvorgang relativ zur Schleif-scheibe auf zykloidischen Bahnen. Die Form der Kurven ist dabei abhängig vom Geschwindigkeitsverhältnis. Tauchen die Diamantkörner steiler in die Schleifschei-be ein, erhöht sich die Rautiefe der Schleifscheibe. Im Gleichlauf (qd > 0) entstehen im Bereich der Kontaktstelle stark gekrümmte, im Gegenlauf (qd < 0) dagegen lang-gestreckte Bahnen. Analog zu diesen Kurven stellen sich im Gegenlauf größere Wirkrautiefen als im Gegenlauf ein [SCH68]. Mit steigenden Werten für den radia-len Abrichtvorschub nimmt auch die Anfangswirkrautiefe zu, wobei der Rauheits-verlauf über dem Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis seine grundsätzliche Tendenz beibehält. Beim Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis qd = 1 findet ein Abrollen (Cru-shieren) zwischen der Schleifscheibe und der Diamantrolle statt. Dabei werden die
Abb. 13.42 Wirkrautiefe in Abhängigkeit vom bezogenem Spanungsvolumen für verschiedene Einstellgrößen (nach K. Weinert)
15
µm
5
0
15
µm
5
00
200 400 mm3/mm 800
bez. Spanungsvolumen V´w
Wirk
raut
iefe
Rts
Wirk
raut
iefe
Rts
Q´w = 3 mm3/mm*s
Q´w = 1 mm3/mm*s
Q´w = 0,2 mm3/mm*s
Q´w = 1 mm3/mm*sfad = 0,4 mm
fad = 0,3 mm
fad = 0,2 mmfad = 0,1 mm
fad = 0,2 mmVerfahren:Außenrund-Umfangs-Querschleifen
Schleifscheibe:EK 60 L 7 ke
Werkstück:100Cr6, 63 HRCdw = 82 mm
Abrichtbedingungen:AbrichtflieseFB/P 180NDUd = var.aed = 35 µm
Schleifen:100Cr6, 63 HRCvc = 29 m/sq = 90Q´w = var.
Kühlschmierung:Emulsion 2%QKSS = 50 l/min
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
308
Schleifkörner und die Bindung am Umfang der Schleifscheibe zerdrückt und die Anfangsrautiefe erreicht einen maximalen Wert. Bei dem Verhältnis qd = 0 dagegen werden von den Diamanten der Rolle ausgeprägte Riefen erzeugt, die sich gegen-seitig in axialer Richtung nur gering überdecken. In axialer Richtung entsteht eine hohe Welligkeit, die die Ursache für den Rautiefenanstieg ist [SCH73].
13.7.3 Konditionieren von hochharten Schleifscheiben
Während bei konventionellen Schleifstoffen das Profilieren und Schärfen in einem einzigen Arbeitsgang durchgeführt wird, erfordern hochharte Schleifscheiben häu-fig nacheinander geschaltete Prozesse, da durch den Profilierprozess in der Regel ein ausreichender Überstand der Schleifkörner in Bezug auf das Bindungsniveau der Schleifscheibe nicht erreicht werden kann [TÖN79].
Eine Unterteilung der Verfahren zum Profilieren erfolgt in Profilierwerkzeuge, die entweder diamanthaltig oder diamantlos sein können (Abb. 13.44) [FRI99]. Zum Profilieren geradliniger Belagprofile ist das Profilieren mit Siliziumkarbid (SiC)-Rolle ein gängiges und wirtschaftliches Verfahren. Durch die Relativge-schwindigkeit zwischen Profilierrolle und Schleifscheibe wird ein mechanischer Abtrag bewirkt. Der Antrieb der SiC-Rolle erfolgt dabei entweder durch Reibung der Wirkpartner und wird mittels einer Fliehkraftbremse verzögert oder die Pro-filiereinheit besitzt einen eigenen Antrieb. Beim Crushieren wird eine profilierte Stahl- oder Hartmetallrollen als Form- oder Profilwerkzeug eingesetzt. Die Cru-shierrolle wird dabei achsparallel gegen die Schleifscheibe gedrückt und durch
Abb. 13.43 Einfluss der Abrichtbedingungen auf die Anfangswirkrautiefe bei Diamantprofilrol-len (nach Schmitt)
Abrichtbedingungen:ProfilrolleD 700 / 7,5vc = 29 m/s
Schleifscheibe:EK 60 L 7 ke
15
µm
5
0
Anf
angs
wirk
raut
iefe
Rt,
s0
Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis qd
Abrichtgeschwindigkeits-verhältnis1 0,5 0 –0,5 –1
Gleichlauf Gegenlauf
radialer Abrichtvorschub
vfrd
Diamantprofilrolle
Schleifscheibe
nr
nsd
frd = 0,73 µm
frd = 0,18 µm
frd = vfrd
nsd
vr
vsdqd =
13 Schleifen
309
Reibung mitgenommen, wobei keine Relativgeschwindigkeit vrel zwischen den Wirkpartnern auftreten sollte. Für dieses Verfahren sind keramische oder speziell crushierbare (ausreichend spröde) metallische Bindung erforderlich. Der Einsatz diamanthaltiger Werkzeuge ermöglicht sowohl ein profilabbildendes (Diamantpro-filrolle) als auch ein bahngesteuertes (Diamantformrolle) Profilieren. Da der Kon-takt mit der Schleifscheibenbindung die Standzeit von Diamantabrichtwerkzeugen herabsetzt, empfiehlt sich grundsätzlich ein gleichzeitiges Schärfen des Schleifbe-lags [TÖN75]. Ein Verfahren, das auf den Eingriffsbedingungen des Abrichtens mit Formrolle und den Wirkmechanismen des Crushierens basiert, ist das Punktcrushie-ren. Dabei wird der abrasive Verschleiß am Abrichtwerkzeug dadurch reduziert, dass die Relativgeschwindigkeit zwischen den Wirkpartnern zu Null oder doch zu einem Minimum geführt wird. Rotierende Diamantabrichtwerkzeuge werden heu-te zunehmend zum Profilieren von Schleifscheiben mit keramischer Bindung ein-gesetzt. Der Einsatz von stehenden Profilierwerkzeugen ist für hochharte Schleif-scheiben (speziell Diamant) aufgrund des hohen Verschleißes unbedeutend.
Die Schärfverfahren für hochharte Schleifscheiben können in abrasive Verfahren und Verfahren, die auf der Wirkung des elektrischen Stroms basieren, unterschieden werden (Abb. 13.44).
Das Funktionsprinzip beim Schärfen mit einem Schärfblock, auch Blockschärfen genannt, basiert auf dem Einsatz eines stabförmigen Schärfwerkzeugs aus Korund oder Siliziumkarbid in Keramik- oder Kunstharzbindung. Dabei kommt es durch die abrasive Wirkung des Schärfmittels zum Zurücksetzen des Bindungsmaterials und somit zum Freilegen der äußersten Schleifkörner.
Beim sogenannten Strahlschärfen wird ein aus losem Korund- oder Silizium-karbidkorn bestehendes Strahlmittel mit einer Trägerflüssigkeit (in der Regel Kühl-schmierstoff) auf die Schleifbelagoberfläche gestrahlt. Die gezielte Einstellung des
Abb. 13.44 Profilier- und Schärfverfahren für hochharte Schleifscheiben
diamantloses Profilierwerkzeug
diamanthaltiges Profilierwerkzeug
Diamantprofilrolle
CrushierenProfilierrolle
vcdp
vfrdp
fadpH
vcdp
vfadp vD Diamant-profilrolle
Diamant-schleif-scheibe vcdp
vfrdpvfadpvD Diamant-
formrolle
Diamant-schleif-scheibe
vcdp
vfrdp
vrel =0
Crushier-rolle
Diamant-schleif-scheibe
Profilierverfahren
abrasive Schärfverfahren
Schärfen mit elektrischem Strom
elektrolytisch kontakterosiv
ungebundengebunden
gebundenesSchärfmittel
Uds
Ids
vfrds
vc
KSS(Elektrolyt)
vcds
Austritt desungebundenenSchärfmittels
αD
Qdsvsds vcds
Schärfverfahren
Diamantformrolle
vfads
vcds
Abricht-rolle vR
13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen
310
Kornüberstands erfolgt dabei über die Schärfmittelart und -menge sowie durch den Wirkwinkel des Schärfstrahls [UHL93].
Neben abrasiven Verfahren erlangt beim Schärfen sehr feinkörniger Diamant-schleifscheiben das Schärfen mit Elektrolyt zunehmend an Bedeutung. Es wird beim In-Prozess-Schärfen ELID-Schleifen genannt [TIO90, OHM95]. Das Grundprinzip basiert auf dem anodischen Abtrag von Bindungsmaterial in einer elektrolytischen Reaktion. Die Schleifscheibe, die über ein Bürstensystem mit einer Gleichspannung beaufschlagt wird, stellt die Anode in diesem Prozess dar. Der Spalt zwischen Ano-de und Kathode wird mit einer elektrolytischen Flüssigkeit gefüllt und durch den angelegten hochfrequent gepulsten Arbeitsstrom kommt es zum elektrochemischen Abtrag des Bindungsmaterials im Schleifbelag.
Ein weiteres auf der Wirkung des elektrischen Stroms basierendes Verfahren ist die Kontakterosion oder Elektroerosion. Die Grundvoraussetzung für den Einsatz der Schärftechnologie ist ein elektrisch leitfähiges Bindungsmaterial. Dem Schleif-belag wird eine Elektrode aus leitfähigem Material zugeführt, die durch die einge-betteten Körner zerspant wird. Aufgrund der angelegten Spannung bildet sich ein elektrisches Feld zwischen der Elektrode und dem Schleifbelag aus. [FAL98] wobei sich durch die abgespanten Elektrodenpartikel Feldverzerrungen ergeben. Es ent-stehen Feldüberhöhungen, die eine Funkenentladung zwischen der Elektrode und dem Bindungsmaterial der Schleifscheiben ermöglichen und dabei ein thermisches Abtragen des Bindungsmaterials bewirken [FRI99].
Unter Berücksichtigung der zeitlichen Reihenfolge kann zwischen Vor- und In-Prozess-Schärfen, d. h. das Schärfen erfolgt zeitgleich zum Schleifprozess, unter-schieden werden. Die Wirkungen des In-Prozess-Schärfens mittels Schärfblock bei der Bearbeitung von Keramik sind in Abb. 13.45 dargestellt. Der Schleifprozess
Abb. 13.45 Einfluss des Blockschärfzeitspanvolumens QdsB auf den Prozessverlauf
50
Nmm
30
20
10
00 200 400 600 mm3/mm 1000
bez. Zerspanvolumen V´w
bez.
Nor
mal
kraf
t F
´ n
Q´dsB = 0,1 mm3/mms
Q´dsB = 0 mm3/mms
0,04
Verfahren:Querseiten-Planschleifenvc = 25 m/svfa = 4 mm/min
Werkzeug:D25 C100 A06
Werkstoff:Al2O3 + Ti(C,N), CM1
Abrichten:SiC-Scheibe
Schärfen:In-Prozeß-SchärfenQ´dsB = 0 - 0,1 mm3/mms
Kühlung:Emulsion 3%
13 Schleifen
311
ohne Einsatz der In-Prozess-Schärftechnologie ist durch steigende Schleifkräfte ge-kennzeichnet, die auf die wirkenden Verschleißmechanismen wie Zusetzungen und Kornabstumpfung zurückzuführen sind.
Durch die Verwendung des In-Prozess-Blockschärfens können die Einflüsse der Verschleißmechanismen minimiert werden. In Abhängigkeit des gewählten Blockschärfzeitspanvolumens QdsB, kommt es nach einer Einlaufphase zu stationä-ren Schleifkraftverläufen. Eine Steigerung von QdsB und damit eine Steigerung der Schärfintensität, führt zu einer Verringerung des Schleifkraftniveaus.
13.8 Schleifkosten
Schleifen ist ein „Doppelprozess“, d. h. neben dem eigentlichen Schleifvorgang muss auch das Abrichten in einer Kostenbetrachtung berücksichtigt werden.
Die Schleifkosten je Einheit sind dann
(13.72)
mit
Kmasch: Maschinenkosten einschl. Lohn (Platzkosten)KWZ: Kosten des Schleifwerkzeugs je StückKd: Kosten für das Abrichten auf das Stück bezogen
Die Maschinenkosten ergeben sich aus dem Maschinenzeitsatz zuzüglich Lohn-kosten [TÖN95] (Platzkosten je Zeiteinheit kpl) und der Gesamtzeit tges. = th+ tn aus Hauptzeit und Nebenzeit [DEN10]
(13.73)
Die Hauptzeit th lässt sich über die radiale Vorschubgeschwindigkeit (beim Ein-stechschleifen) und das Aufmaß oder aus dem abzuschleifenden Volumen Vw und dem Zeitspanvolumen Qw ermitteln. Daraus wiederum ergibt sich das beim Schlei-fen verbrauchte Scheibenvolumen Vs über das oben definierte Schleifverhältnis G = Vw/Vs.
(13.74)
mit den Scheibenkosten je Volumeneinheit ks. Hinzu kommen dann die Abricht-kosten Kd. Diese sind
(13.75)
mit der gesamten Abrichtzeit tges,d, dem durch Abrichten verloren gegangenen Scheibenvolumen Vs,d, und dem durch Abrichten verbrauchten Abrichtermaterial KWZ,d. Um den auf ein Teil entfallenden Anteil zu erfassen, ist durch die Stand-menge n zu dividieren, also durch die Anzahl der Teile bis zum nächsten Abricht-zyklus.
KF = Kmasch + KWZ + Kd
Kmasch = kpl × (th + tn)
KWZ = Vs × ks
Kd = (kpl × tges,d + Vs,d × kd )/n + KWZ,d/n
13.8 Schleifkosten
312
Beispiel: Einstechschleifen einer Welle aus Vergütungsstahl 42CrMoV4 mit Durchmesser d = 30 mm, Schleifbreite ap = 20 mm und Schleifaufmaß w = 0.25 mm bei einer Toleranzbreite von 10 µm. Geschliffen wird mit Korund (ks = Euro 100 10−6/mm3, G = 40) und wegen der geforder-ten Genauigkeit in einem zweistufigen Arbeitsgang (Schruppen mit vfr = 1.5 mm/min, Schlichten mit vfr = 0.25 mm/min) Die Standmenge der Scheibe bis zum Abrichten sei 15.
Mit Praxisdaten ergeben sich folgende Kosten je Werkstück:
KF = 4.10 € mit den Anteilen: Kmasch/KF = 0.90, KWZ/KF = 0.08, Kd/KF = 0.02
Wird die gleiche Aufgabe mit einer hochharten Schleifscheibe auf CBN-Basis bearbeitet, steigt der Ansatz für das Werkzeug auf ca. 15 %, die Schleifzeit und damit die Maschinen abhängigen Kosten Kmasch wer-den geringer, möglicherweise überproportional geringer.
Fragen
1. Nennen Sie Verfahren, die mit unbestimmten Schneiden spanen. 2. Gliedern Sie die Verfahren nach den Trennmechanismen und der Wirkbewegung. 3. Sehen Sie Einschränkungen für die Wegbindung beim Schleifen? Wie erklären
Sie die Energiebindung beim Strahlspanen? 4. Welche Schleifverfahren sind Ihnen bekannt? Geben Sie dazu die Bewegungen
von Werkzeug und Werkstück an. 5. Leiten Sie die äquivalente Spanungsdicke heq aus der Kontinuitätsbedingung
ab. 6. Geben Sie äquivalente Durchmesser für verschiedene Schleifverfahren an. 7. Aus welchen Komponenten ist eine Schleifscheibe aufgebaut? Welche Aufga-
ben haben sie? 8. Welche Schleifstoffe sind Ihnen bekannt? Gliedern Sie sie nach der Härte. 9. Welche Einsatzbereiche ordnen Sie den Schleifstoffen zu?10. Was bedeutet der Friability-Index? Welche Stoffeigenschaft charakterisiert er?11. Wie wird der Friability-Index ermittelt?12. Welche Arten von Korundschleifmitteln sind Ihnen bekannt? Wie sind sie auf-
gebaut und welche Wirkung lässt sich mit ihnen erzielen?13. Kennzeichnen Sie mögliche Kristallformen der hochharten Schleifmittel. Was
bedeutet der Index 111, was 100?14. Wie wird die Korngröße eines Schleifstoffes angegeben, wie wird sie bestimmt?15. Was versteht man unter der Härte einer Schleifscheibe? Wie lässt sie sich
beeinflussen?16. Wie kann man die Härte einer Schleifscheibe bestimmen?17. Welche Bindungsarten sind Ihnen bekannt?18. Wie kann der Verschleiß einer Schleifscheibe bestimmt werden?
13 Schleifen
313
19. Wie kann die mittlere Radiusverschleiß einer Scheibe aus dem G-Wert (Schleif-verhältnis) errechnet werden?
20. Welche Beanspruchungen sind dominant bei schnelllaufenden Schleifschei-ben? Wo ist die maximale Beanspruchung?
21. Welche Grundgleichungen benötigt man, um die dominante Beanspruchung eine Schleifscheibe rechnerisch zu bestimmen?
22. Wie hängen die Bruchgeschwindigkeit (Sprenggeschwindigkeit) und die zuläs-sige Arbeitsgeschwindigkeit zusammen?
23. Welche Möglichkeiten der Steigerung der Bruchgeschwindigkeit bzw. der zulässigen Arbeitsgeschwindigkeit sehen Sie?
24. Welchen Vorteil hat (theoretisch) eine Loch lose Schleifscheibe?25. Welche Verschleißarten treten an einer Schleifscheibe auf?26. Kennzeichnen Sie den Schleifprozess im Sinne der Systemtechnik (black-box).27. Nennen Sie Kenngrößen, mit denen sich Schleifprozesse beschreiben lassen.28. Wozu dient der äquivalente Radius?29. Was berücksichtigt die Näherungsrechnung für die geometrische Kontaktlänge
nicht?30. Wie unterscheiden sich kinematische und geometrische Kontaktlänge?31. Wie lässt sich die mittlere Spanungsdicke beim Schleifen unter Berücksichti-
gung der Mikrotopographie der Schleifscheibe ableiten?32. Geben Sie in eine Abschätzung an, wie sich die Energieabfuhr aus der Schleif-
zone bei unterschiedlichen Schleifstoffen einstellt.33. Welche Methoden zur Temperaturmessung beim Schleifen kennen Sie?34. Was beinhaltet der Begriff Konditionieren von Schleifscheiben? Benennen Sie
die Aufgaben der einzelnen Prozessschritte.35. Unterteilen Sie die Profilierverfahren und benennen Sie typische
Profilierwerkzeuge.36. Welche Abrichtverfahren wählen Sie für kleine, für mittlere und für Großserien?37. Welchen Effekt erreicht man durch gleich- oder gegenläufiges Abrichten?38. Wie ist der Überdeckungsgrad beim Abrichten definiert; wie und wann wirkt er
sich auf die Rauheit am Werkstück und die Kräfte beim Schleifen aus?39. Nennen Sie Schärfverfahren und untergliedern Sie diese nach ihrem
Wirkprinzip.40. Geben Sie die wichtigsten Terme zur Kostenrechnung beim Schleifen an.
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317
14.1 Einleitung
Als ein Beispiel für die Feinbearbeitung hochbeanspruchter, komplexer Flächen wird hier die Hartfeinbearbeitung von Verzahnungen mit Evolventenflächen be-handelt. Zahnräder gehören zu den wichtigsten Maschinenelementen im Maschi-nen- und Fahrzeugbau. Sie werden in mehreren Schritten hergestellt. Nach einer Weichbearbeitung, die Dreh-, Wälzfräs- oder Wälzstoßprozesse umfasst, folgt eine Wärmebehandlung, denn die spezifischen Belastungen der Getriebe werden aus Gründen der Raum- und Masseverringerung erhöht und die Härte und Festigkeit der Funktionsflächen muss somit gesteigert werden. Die aus der Wärmebehandlung resultierenden Härteverzüge sowie die geforderten Randzonen- und Oberflächen-eigenschaften führen dazu, dass sich an den Härteprozess eine Hartfeinbearbeitung zumeist durch Schleifverfahren anschließt (Abb. 14.1).
Die Qualität eines Zahnrads wird im Wesentlichen durch die Erzeugung der Evolventenfläche bestimmt. In der Serienfertigung nehmen Hartfeinbearbeitungs-verfahren für die Endfertigung der Verzahnung an Bedeutung erheblich zu. Gründe dafür sind
• neben der höheren spezifischen Belastung und den gesteigerten Ansprüchen an die Festigkeit,
• die zunehmende Bedeutung einer reduzierten Geräuschentwicklung durch die Getriebe sowie
• das Vordringen von Near-Net-Shape-Techniken durch Um- und Urformprozesse [BEH97].
Zu den häufigen Schadensformen an Zahnrädern gehören unter anderem Ober-flächenschäden der Zahnflanke, wie z. B. Graufleckigkeit oder Grübchenbildung. Diese entwickeln sich über längere Zeit und sind im Allgemeinen auf Ermüdung des Werkstoffes zurückzuführen. Dabei brechen aus der Zahnflanke Materialteil-chen aus. Mit voranschreitender Schädigung der Oberfläche kann es zu Rissbildung kommen, die in einem Zahnbruch resultiert. Der sogenannte Dauerbruch entsteht als Folge sich wiederholender wechselnder Belastungen. Dabei entsteht ein Anriss an der Stelle höchster Beanspruchung (meistens am Zahnfuß), der bei weiterer Be-
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 14Verzahnungsschleifen
318
anspruchung solange wächst bis der verbleibende Restquerschnitt nicht mehr in der Lage ist die Belastung zu übertragen [DIN3979]. Zahnbrüche führen oft zu einem Totalausfall des Getriebes und sind mit enormen Kosten verbunden.
Die beschriebenen Schadensentwicklungen können durch Schleifverfahren ge-zielt beeinflusst werden. Untersuchungen zeigen, dass hohe Druckeigenspannungen und niedrige Rauheitswerte in der gesamten Zahnlücke sowie große Krümmungs-radien im Zahnfußbereich positive Wirkung auf die Lebensdauer der Zahnräder haben. Produktionsbedingte thermische Schädigung der Verzahnung, die oft mit Zugeigenspannungen und Rissbildung in der Randzone der Zahnlücke einhergeht, ist durch sorgfältige Prozessauslegung zu vermeiden [STE04, SCH07, HER08, BRE08, KAG02].
Bei der Auslegung des Schleifprozesses sind somit Orte der maximalen Zeit-spanvolumina zu beachten. Denn auch beim Verzahnungsschleifen wirkt sich das Zeitspanvolumen unmittelbar auf wichtige Ausgangsgrößen des Prozesses aus. Mit steigendem Zeitspanvolumen nimmt die gemittelte Rautiefe Rz ab. Das ist auf er-höhten Verschleiß und ein Abstumpfen der Schleifkörner zurückzuführen. Entspre-chend nimmt dabei auch die Schleifleistung zu. Mit der Glättung der Mikrotopo-grafie der Schleifscheibe steigt die umgesetzte Energie je abgetragenem Volumen und somit die Temperatur in der Randzone der Zahnflanke. Die Folge ist im Allge-meinen ein Abbau von Druckeigenspannungen wie es in Abb. 14.2 für das diskon-tinuierliche Profilschleifen exemplarisch dargestellt ist. Bei weiterer Steigerung des Zeitspanvolumens kommt es zum Splittern und Ausbrechen der Körner und hiermit wieder zu einer Vergrößerung der Rauheit. Dies geht wiederum mit der Verände-rung des Schleifscheibenprofils einher und führt zu geometrischen Abweichungen am Werkstück.
Abb. 14.1 Fertigungsfolgen zur Verzahnungsherstellung in der Großserienfertigung (nach Bausch)
Verzahnungs-schleifen
Schaben
Verzahnungshonen Verzahnungshonen
HartschälenHartwälzfräsen
(Schabwälzfräsen)
Verzahnen (Wälzfräsen, Wälzstoßen)
Härten
< 1% 75% 4% 3% 15% < 1% < 1% < 1%
(Anteile geschätzt) Getriebemontage
14 Verzahnungsschleifen
319
Nachdem es gelingt, durch primäre und sekundäre Geräuschminderungsmaß-nahmen Motorgeräusche in einem Fahrzeug deutlich zu reduzieren, treten Getrie-begeräusche in den Vordergrund. Kundenforderungen an den Komfort zwingen die Zahnradhersteller, die Verzahnungsqualität weiter zu steigern. Dies ist mit Schleifverfahren zu erreichen (Abb. 14.3) [SCH94]. Neben der Reduzierung von Abweichungen und Welligkeiten entlang der Evolvente, kommt dabei der geziel-ten Erzeugung von Zahnflankenmodifikationen eine besondere Bedeutung zu. Zu den gängigen Korrekturen gehören Balligkeiten in Höhen- und Breitenrichtung der Zahnflanke sowie Kopfkantenbruch und Zahnfußfreischnitt. Sie werden über ge-zielte Änderungen des Werkzeugprofils sowie der Bearbeitungskinematik erzeugt.
In dem Zusammenhang mit der Geräuschentwicklung wird der Mikrostruktur der Zahnflanken ebenfalls hohe Bedeutung beigemessen. Während die Oberflä-chenrauheit primär durch die Spezifikation der Schleifscheibe (Korn, Bindung) beeinflusst wird, ist die Ausrichtung der Schleifriefen auf die verfahrenseigene Kinematik zurückzuführen. So wird z. B. dem beim Wälzschraubschleifen typi-schen Schleifriefenprofil ein besonders günstiges Geräuschverhalten zugeschrie-ben. In der industrielen Praxis wurden Strategien entwickelt, um die durchgehenden Schleifriefen beim Wälzschleifen zu unterbrechen und somit eine Reduzierung der Laufgeräusche zu erreichen.
Durch Genauschmieden (Präzisionsschmieden) lassen sich Zahnradrohteile her-stellen, die keine Weichbearbeitung der Verzahnung mehr erfordern, da die Zahnlü-cken bereits mit ausreichender Genauigkeit vorgebildet sind. Sie werden wärmebe-handelt und anschließend unmittelbar hartbearbeitet [DEN03]. Auf die Auslegung der Prozesskette für die Zahnradfertigung sowie Vorteile des Genauschmiedens wird in Abschn. 15 ausführlich eingegangen.
Abb. 14.2 Einfluss des bezogenen Zeitspanvolumens auf die Rauheiten und Eigenspannungen beim diskontinuierlichen Profilschleifen
5,0
µm
3,0
2,0
1,0
0,0
0
–200
–400
–600
MPa
–1000
0,5
Rz Ra
bez. Zeitspanvolumen Q'w
Streuung Spindelleistung Pc
Spi
ndel
leis
tung
Pc
1,51 20,0
Messrichtung
0,6
1,2
Skt
2,0
mm3/mms
Mitt
enra
uwer
t Ra
gem
ittel
te R
autie
fe R
zE
igen
span
nung
σ⊥
σ⊥
Schleifscheibe:
Abrichten:
Prozess:
Werkstück:
Strahlung: Cr Kα156,4°5,76 T /Pa5 µm
Bragg-Winkel 2θ:REK:Eindringtiefe:
röntgen. Spannungsanalyse:
mn = 4,5 mm z = 16αn = 20°β = 0°
diskont. Profilschleifen
16 MnCr 5; 60 HRC; Eht: 1,0 mm
vc = 35 m/sae = 0,1 mmKSS: Mineralöl
vcd = 35 m/sard = 5 µmid = 10Ud = 2qd = 0.8 (Gleichlauf)
ds = 280 mm93A60 H15VPMF601
14.1 Einleitung
320
Die Verfahren für die Hartfeinbearbeitung von Verzahnungen lassen sich in Profil- und Wälzschleifverfahren einteilen. Bei Profilschleifverfahren wird die gewünschte Verzahnungsgeometrie durch Abbildung des Werkzeugprofils erzielt, während bei den Wälzschleifverfahren durch eine kinematische Kopplung von Werkzeug- und Werkstückbewegung die Sollgeometrie erzeugt wird [TÜR02, NEW91]. Jede dieser Verfahrensgruppen untergliedert sich wiederum in kontinu-ierliche und diskontinuierliche Verfahren. Auf der Seite des Wälzschleifens stehen das diskontinuierliche Wälzschleifen mit Tellerschleifscheiben, das kontinuierliche Wälzschleifen mit zylindrischen Schleifschnecken sowie das Verzahnungshonen. Auf der Seite des Profilschleifens stehen das sehr weit verbreitete diskontinuier-liche Profilschleifen und das kontinuierliche Wälzschleifen mit globoidischen Schleifschnecken. Abbildung 14.4 zeigt die Einordnung der Hartfeinbearbeitungs-verfahren für Zahnräder nach DIN8589.
Dieses Kapitel konzentriert sich auf das diskontinuierliche Profilschleifen, das kontinuierliche Wälzschleifen mit zylindrischen Schleifschnecken sowie das kon-tinuierliche Wälzschraubschleifen mit Schleifringen aufgrund der breiten Anwen-dung dieser Prozesse in der industriellen Praxis. Am Ende dieses Kapitels werden hierfür wesentliche Verfahrensmerkmale gegenübergestellt (Abb. 14.18).
Zunächst sind jedoch einige grundlegende Zusammenhänge von Evolventenver-zahnungen zu klären. Die Evolvente eines geradverzahnten Rades entsteht durch Abwälzen einer Tangentialgeraden am Grundkreis der Verzahnung. Durch eine Parallelverschiebung der Evolvente in z-Richtung entsteht eine Evolventenfläche (Abb. 14.5).
Diese Fläche ist mit Hilfe des Laufparameters τ in z-Richtung zu beschreiben durch
(14.1)E(ξ , τ ) = rb ·
sin(ξ + η) − ξ · cos(ξ + η)cos(ξ + η) + ξ · sin(ξ + η)
τ
.
Abb. 14.3 Fertigungsauf-wand und Geräuschaufkom-men [SCH94]
4. 5.
2x
Lp
15 dB
Fräsen
Schleifen
6. 7. 8. 9. 10. QualitätDIN 3962ISO 1328
4 6,3 1610 63 µm25Einzelteilungsfehler
Kraftwirkungen.
geom. Abweichungen
40
Sch
alld
ruck
Lp
Fer
tigun
gsau
fwan
d €
€
€
14 Verzahnungsschleifen
321
Abb. 14.4 Einordnung der Zahnflankenschleifverfahren nach DIN8589
Verzahnungs - Schleifverfahren
Wälzschleifen Profilschleifen
diskontinuierlich kontinuierlich diskontinuierlich kontinuierlich
Teller-schleif-
scheiben
Schleif-schnecke
(zylindrisch)
Schleifring(innenverzahnt)
Profil-schleif-scheibe
Schleif-schnecke
(globoidisch)
Abb. 14.5 Grundzylinder mit Evolventenfläche und Erzeugender (nach DIN3960)
Startwinkel
Grundkreis-radius
Kopfkreis-zylinder
Grundzylinder
Mantellinie
Bereich derZahnflanke
Evolvente imStirnschnitt
Evolventen-fläche
erzeugendeGerade
abwälzendeTangentialebene
abwälzendeGerade
Evolventenpunkt
Wälzwinkel
Wälzlänge L
zW
ξη
x
P0P
g
yrb
14.1 Einleitung
322
Der für eine Zahnflanke genutzte Bereich wird durch den Fuß- und den Kopfform-kreiszylinder begrenzt. Damit gilt
(14.2)
mit
rFf: FußformkreishalbmesserrFa: Kopfformkreishalbmesserrb: Grundkreishalbmesserb: Zahnradbreite.
Entsprechende Beziehungen lassen sich für schrägverzahnte Räder geben, wenn be-rücksichtigt wird, dass eine erzeugende Gerade auf der Tangentialebene nicht paral-lel zur Radachse, sondern um den Schrägungswinkel β geneigt ist und dadurch die Zahnflanken durch Evolventenschraubflächen gebildet werden [LOO59, TÜR02].
Bei der Auslegung der Getriebe sind Übersetzungszahl, Kraft- und Momentüber-tragung sowie Laufruhe von zentraler Bedeutung. Die Konstruktion der Zahnräder erfolgt somit in erster Linie über die Festlegung der Zähnezahl z, des Normalmo-duls mn, des Normaleingriffswinkels αn sowie des Schrägungswinkels β. Diese Grö-ßen sind genormt und bilden den Kern der Zahnradberechnung, die hier nicht näher erläutert wird [DIN3960].
Bei der Erzeugung von Schrägverzahnungen mit abbildenden Verfahren ist zu beachten, dass sowohl der Mittenkreisdurchmesser als auch der Grundkreisdurch-messer in mathematischen Beziehungen mit den oben aufgeführten Grunddaten stehen. So führt z. B. die Änderung des Mittenkreisdurchmessers bei konstant blei-benden Zähnezahl und Normalmodul zu einer Veränderung des Schrägungswinkels. Die Krümmungsverhältnisse entlang der Zahnflanke hängen unmittelbar von dem Grundkreisradius ab, welcher seinerseits z. B. durch eine Änderung der Zähnezahl der Verzahnung beeinflusst werden kann [DIN3960, DIN8000]. Hierauf ist zurück-zuführen, dass die Evolvente eines Zahnrades mit wenigen Zähnen stark gekrümmt ist, während die eines Zahnrades mit vielen Zähnen, bei sonst gleichbleibenden Verzahnungsgrunddaten nahezu geradlinig erscheint. Zu den Schrägverzahnungen gehören neben Stirnrädern unter anderem auch Schnecken- und Hohlräder. Die Konsequenzen aus den obigen Beobachtungen für die jeweiligen Hartfeinbearbei-tungsverfahren werden in den folgenden Abschnitten mit erläutert.
14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen
Beim diskontinuierlichen Profilschleifen werden mit entsprechend profilierten Werkzeugen, meist beide Flanken simultan bearbeitet. Dazu werden keramisch ge-bundene Schleifkörper aus Schmelz- oder Sinterkorund, Bornitrid sowie galvanisch belegte Bornitrid-Schleifscheiben eingesetzt.
√(rFf
rb
)2
− 1 ≤ ξ ≤
√(rFa
rb
)2
− 1; 0 ≤ τ ≤(
b
rb
)
14 Verzahnungsschleifen
323
Die Schleifscheibe wird in dem Schrägungswinkel β entsprechend zur Werkrad-achse angestellt. Die Zustellung erfolgt zunächst radial, dann axial um die Zahn-flanken über der Radbreite zu schleifen (Abb. 14.6).
Bei Schrägverzahnung müssen dazu die Axialbewegung entlang zw und die Drehbewegung des Rades um zw kinematisch gekoppelt sein. Bei Ein- und Auslauf des Werkzeugs aus der Zahnlücke, zum Teilen des Werkrades in die nächste Lücke und für den Rücklauf in die Ausgangsposition fallen Nebenzeiten an. Deshalb ist das Verfahren gegenüber kontinuierlichen Verfahren zeitaufwändig. Es ergibt sich somit eine geringere Produktivität für das Profilschleifen. Andererseits lassen sich bei genauer Auslegung des Scheibenprofils [TÜR02] hohe Verzahnungsqualitäten bis zur Qualität 1 nach [DIN3961, DIN3962, ISO1328] erreichen [WOB95]. Der Zahnfuß kann mit diesem Verfahren prozesssicher bearbeitet werden, was die Dau-erfestigkeit eines Rades positiv beeinflusst [KLK00, KÖN94].
Das bezogene Zeitspanvolumen Q’w berechnet sich aus der Differenz des wirk-samen Scheibenprofils und des Rohteilprofils. Daraus ergibt sich ein Mittelwert über der Evolvente zu
(14.3)
Tatsächlich kann Q’w je nach Aufmaß ae über dem Profil erheblich vom Mittelwert abweichen (Abb. 14.7). gibt für normal und radial äquidistante Aufmaße ∆s und ae die schwankenden bezogenen Zeitspanvolumina Q’w wieder. Man erkennt, dass sich bei einem normal äquidistanten Aufmaß besonders im Bereich des Zahnfußes hohe Zustellwerte ergeben, die über Gl. (14.3) zu hohen Zeitspanvolumina führen. Dies ist beim Profilschleifen der durch das Wälzfräsen vorverzahnter Zahnräder zu beachten.
Eine Besonderheit des Profilschleifens ist die durchgehende Bearbeitung einer Zahnlücke bei, im Vergleich zu den generierenden Verfahren, relativ großen Kon-
Q′w = ae · vf .
Abb. 14.6 Profilschleifen von Verzahnungen
Schleifscheibendurchmesser : ds
ds
ns
vc
vf
b
: ns
: vc
: vf
: b
: ∆s
∆s
ae
: ae
∆sae
ap/2
AD/2
A
: ap
: AD
: α
α
Schleifscheibendrehzahl
Profilwinkel
Schnittgeschwindigkeit
Vorschubgeschwindigkeit
Zahnradbreite
Zahnflankenaufmaß
ZustellungDetail A
Eingriffsbreite
zerspante Stirnfläche
yw
Xw
Zw
14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen
324
taktlängen. Dieser Umstand begünstigt die Wärmeausbreitung im Werkstück und macht das Verfahren anfällig für Schleifbrandeffekte.
Wie im vorstehenden Kapitel ausgeführt, ist das Schleifen ein kombinierter Pro-zess, der sich aus dem Konditionieren und dem eigentlichen Schleifprozess zusam-mensetzt. Zur Einsatzvorbereitung werden auch Profilschleifscheiben abgerichtet. Dazu ist das Werkzeug so zu profilieren, dass die durch Gl. 14.1 bestimmte Fläche entsteht. Für Schrägverzahnungen ist zu berücksichtigen, dass der Schrägungswin-kel β und der räumliche Eingriff des Werkzeugs eine Profilverzerrung hervorrufen, die beim Abrichten vorgehalten werden muss [TÜR02]. Das Schleifscheibenprofil ist von den Verzahnungsdaten unmittelbar abhängig. Werkstücke mit unterschied-lichen Zähnezahlen oder Schrägunswinkeln können somit nur unter Qualitätsein-bußen mit dem gleichen Werkzeugprofil hergestellt werden. Bei der Herstellung von Zahnrädern hoher Qualität werden somit unterschiedlich profilierte Werkzeuge benötigt. Hinsichtlich der Werkzeugbeschaffungs- und Lagerungskosten ist es bei galvanisch belegten Schleifscheiben von Nachteil. Die durch das Zeilenabrichten beliebig profilierbaren Korundschleifscheiben erweisen sich hingegen als sehr fle-xibel.
Abbildung 14.8 zeigt die Kinematik des bahngesteuerten Abrichtens einer Pro-filschleifscheibe. Die rechte und linke Profilhälfte der Lücke werden vorteilhafter-weise in zwei Konturzügen profiliert. Dadurch lassen sich beide Teile gleichsinnig entweder ziehend oder drückend abfahren, was unterschiedliche Kräfte zwischen den Wirkpartnern vermeidet. Der ziehende Schnitt ist vorzuziehen [TÜR02]. Dabei wird mit einem rotierenden Abrichtwerkzeug konditioniert, das mit einer speziellen Diamantierung an den umlaufenden Außenkanten versehen ist [LIE02].
Neben der makrogeometrischen Profilerzeugung der Schleifscheibe ist es Ziel des Abrichtprozesses, die Mikrotopographie dem Einsatzfall anzupassen. Das Ab-
Abb. 14.7 Bezogenes Zeitspanvolumen Q'w für unterschiedliche Aufmaß-verteilungen
radial äquidistantes Aufmaß
∆s ≠ const.
ae = 0,5 mm
40
mm
38
36
34
30
–12
Zus
tellu
ng a
eA
ufm
aß ∆
s
–14 –10 –8 –6 –4 –2 02,5
mm
2,0
1,5
1,0
0
ae
∆s
2 4 6 8 10 mm 14
AD
ae
ap
∆s
ap = 6,7 mmmmminvf = 120
AD = 3,35 mm2
Qw = 6,7 mm3/s
Qw = AD · vfQ'w = Qw / ap
Q'w = ae · vf
Verzahnungsdatenmn = 4,5 z = 16
β = 0°b = 15
αn = 20°x = 0,16
Qw = 12,08 mm3/s
Q'wm = 1,8 mm3/mms
Q'wmin = 1,0 mm3/mms
Q'wmax = 4,8 mm3/mms
Q'w = 1,0 mm3/mms
normal äquidistantes Aufmaß
∆s = 0,5 mm
ae ≠ const.
ap = 6,7 mmmmmin
vf = 120
AD = 6,04 mm2
14 Verzahnungsschleifen
325
richtergebnis mit einer angetriebenen Formrolle wird neben der Rollengeometrie, der Diamantart sowie deren Belegung maßgeblich durch die Stellgrößen Über-deckungsgrad Ud, effektive Abrichtzustellung aed und Geschwindigkeitsverhält-nis qd bestimmt. Die Bedeutung dieser Größen beim Abrichten von Profilen ist in Abb. 14.9 dargestellt.
Wie bereits vorn erläutert, ist der Überdeckungsgrad das Verhältnis der Ein-griffsbreite des Abrichters apd zum Abrichtvorschub fd. Diese dimensionslose Größe
Abb. 14.8 Bahngesteuertes Abrichten von Profilschleifscheiben
zM
yM
linkeProfilhälfte
bs
ds
rechteProfilhälfte
ReferenzpunktSchleifscheibe
ReferenzpunktAbrichter
Detail A
rPRFr bRF rPRFI
rPRFI
rPRFr
dRFr dRFI
dRFI
dRFr
Diamantierung
: Schleifscheibendurchmesser: Schleifscheibenbreite: Maschinen-Koordinatensystem: Kantenradius linke Profilhälfte: Abrichterdurchmesser links
: Abrichterdurchmesser rechts: Kantenradius rechte Profilhälfte
progr.Vorschub
Eilgang
dsbsyM/zM
14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen
Abb. 14.9 Abrichten von Profilen
SchleifscheibendurchmesserDetail Ans
Schleif-scheibe
ds
ArPRF
dRF
aed
ard
vfd
rPRF
apd
fd
α
nRF
Abricht-formrolle
yM
xMzM
Profilwinkel
Formrollendurchmesser
Kantenradius der Formrolle
Schleifscheibendrehzahl
Formrollendrehzahl
Vorschubgeschwindigkeit
radiale Zustellung
Eingriffsbreite
Abrichtzustellung
Abrichtvorschub
Überdeckungsgrad
Schleifscheibengeschw.
Formrollengeschwindigkeit
Geschwindigkeitsverhältnis
: ds
: α = f(y,z)
: dRF
: rPRF
: ns
: nRF
: vfd
: ard
: apd
: aed
: fd
: Ud
: vd
: vc
: qd
326
ist ein Maß dafür, wie dicht die einzelnen Spuren der beim Abrichten entstehenden Vorschubspirale aneinander liegen. Folglich bildet sich bei einem hohen Überde-ckungsgrad eine glattere Scheibenoberfläche aus als bei einem geringen. Während beim Abrichten geradliniger Profile der Überdeckungsgrad und die normal zur Oberfläche wirkende effektive Zustellung aed konstant bleiben, ändern sich beim Abrichten gekrümmter Profile diese Größen in Abhängigkeit des Profilwinkels α. Mit den in Abb. 14.9 definierten Größen ergibt sich der Überdeckungsgrad zu
(14.4)
Den Verlauf des Überdeckungsgrades Ud und der effektiven Zustellung aed über das Schleifscheibenprofil stellt Abb. 14.10 exemplarisch dar. Aus den genannten Gründen verringert sich die gemittelte Rautiefe am Werkrad mit steigendem Über-deckungsgrad, während sich die Schleifleistung deutlich erhöht.
14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken
Beim kontinuierlichen Wälzschleifen wird mit einer zylinderförmigen Schleifschne-cke gearbeitet, die in ihrem Normalschnitt durch ein Zahnstangenprofil angenähert werden kann. Die Schnecke ist vom Modul m und Eingriffswinkel α des Werkrades abhängig. Sie ist daher für Räder gleichen Moduls und Eingriffswinkels unabhängig vom Schrägungswinkel einsetzbar. Verwendet werden Schnecken in keramischer Bindung mit Schmelzkorund, Sinterkorund oder CBN als Schleifstoff sowie in gal-
Ud =vc ·
√2 · ard · rPRF · sin α − ard
2 · sin2α
vfd · π · ds+
1
2.
Abb. 14.10 Einfluss des Überdeckungsgrades und der Abrichtzustellung auf die Rauheit
Rz = 3,31µm
2,5
–2,5
µm0
05
mmµm
3
2
1
00 0,5 1 1,5 2,5 3,52 mm
0,8 1,6 2,4 mm 4,0
Z1 = 2,46 Z2 = 2,66 Z3 = 3,08 Z4 = 3,65 Z5 = 4,70
Zahnfuß-bereich
Zahnkopf-bereich
Evolventen-bereich
Mes
sber
eich
Profil
aed
Ud
Ud mittel
Schleifscheibe:
Abrichten:
Prozess:
Werkstück:
93A60 H15VPMF601ds = 280 mm
vcd = 35 m/sard = 5 µmid = 10Ud = 2
disk. Profilschleifenvc = 35 m/sae = 0,1 mmQ'w = 0,5 mm3/mmsKSS: Mineralöl
mn = 4,5 mmz = 16αn = 20°β = 0°16 MnCr 560 HRC; Eht: 1,0 mm
Übe
rdec
kung
sgra
d U
d A
bric
htzu
stel
lung
aed
Zi = Einzelmessstrecke
14 Verzahnungsschleifen
327
vanischer Bindung mit CBN-Belegung. Um hohe Abtragsleistungen und zugleich hohe Oberflächengüten zu erreichen, werden als galvanisch belegte Schleifschne-cken häufig Schneckensätze aus Schrupp- und Schlichtschnecke verwendet. Beim kontinuierlichen Wälzschleifen lassen sich hohe Verzahnungsqualitäten erzielen. Wegen des kontinuierlichen Ablaufs sind Teilungs- und Rundlauffehler sehr gering ausgeprägt. Das kontinuierliche Wälzschleifen wird in der Serienfertigung mittlerer und großer Lose von Werkrädern bis zum Modul 5 mm bevorzugt. Die Bearbeitung von Verzahnungen bis zum Modul 10 mm ist derzeit jedoch schon realisierbar.
Bei der Bearbeitung des Werkrades wird die Schleifschnecke gegenüber der Werkstückachse um den Winkel φ = β – γ0 ( γ0: Steigungswinkel der Wälzschne-cke) geschwenkt (Abb. 14.11). Die Werkzeug- und Werkstückachsen werden mit einander gekoppelt, so dass das Zahnrad und die Schnecke in einem konstanten Drehzahlverhältnis rotieren. Durch eine radiale Zustellung wird das Flankenaufmaß abgetragen. Um die Zahnradbreite zu bearbeiten, führt die Schleifschnecke oder das Werkrad eine axiale (Differentialverfahren, Pfauter-Verfahren) oder eine Vorschub-bewegung in Richtung der Zahnschrägung (Grantverfahren) aus.
Aufgrund der Abwälzkinematik wird beim Wälzschleifen das Zahnflankenauf-maß auf den rechten und linken Zahnflanken unterschiedlich abgeschliffen. Eine Flanke wird mit einer vom Zahnkopf zum Zahnfuß abwälzenden Schneckenflanke bearbeitet. Das Aufmaß auf der gegenüber liegende Flanke wird hingegen simultan vom Zahnfuß zum Zahnkopf abgetragen. Aufgrund des kontinuierlichen Ablaufs entfallen Anstellbewegungen und Nebenzeiten. Pro Werkstückumdrehung wird das Aufmaß in schmalen Streifen abgenommen. Dies führt zu der verfahrenstypischen Welligkeit entlang der Flankenlinie. Der resultierende Wälzvorschub erfolgt somit entlang der Profillinie und nicht in Richtung der Zahnradbreite. Während der Werk-stückzahn außer Eingriff ist und umläuft findet kein Materialabtrag statt. Die hier-
Abb. 14.11 Kinematik des Wälzschleifens (Differentialverfahren)
γ0
γ0
xw
yw
ysxs
zs
zw
StirnschnittZahnrad
AchsschnittWälzschnecke
gemeinsamerNormalschnitt(Arbeitsebene)
Achsab-stand A
vc
vfnw
ha0
hf0
Wälzlinie
d0
df0
da0
pn0 = mn0 · π · z0
2 · αn0
Normalschnitt Schnecke
d db df
da
ß
ß
14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken
328
aus resultierende unterbrochene Lückenbearbeitung ermöglicht eine bessere Küh-lung des Werkstücks gegenüber dem diskontinuierlichen Profilschleifen.
Beim kontinuierlichen Wälzschleifen befinden sich stets mehrere rechte und lin-ke Zahnflanken im Eingriff. Hierbei kommt es zu wechselnden Eingriffsbedingun-gen und einer unterschiedlichen Anzahl von Eingriffen auf den rechten und linken Zahnflanken. Die Folge sind periodische Kraftschwankungen zwischen Werkzeug und Werkrad. Abbildung 14.11 zeigt die Kinematik und die geometrischen Kontakt-verhältnisse zwischen Wälzschnecke und Werkrad.
Das mittlere bezogene Zeitspanvolumen lässt sich aus den geometrischen Grö-ßen und der Vorschubgeschwindigkeit errechnen. Es ist
(14.5)
mit
vf: Vorschubgeschwindigkeitz: Zähnezahl des Zahnradsae: Arbeitseingriffαn: Normaleingriffswinkelβ: Schrägungswinkel der Verzahnungda: KopfkreisdurchmesserdFf: Fußformkreisdurchmesserdb: GrundkreisdurchmesserlP: Profilausbildungslängeγ0: Steigungswinkel der Wälzschnecke.
Die Profilausbildungslänge lP ergibt sich aus dem Abstand der Eingriffspunkte im Normalschnitt der Wälzschnecke [TÜR02]. Dabei handelt es sich hier nur um ein über den gesamten Schleifvorgang gemittelten Wert, also das summierte Zeitspan-volumen aller Eingriffspunkte. Das lokale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl, welches das vorliegende Zeitspanvolumen an einem Ort der Zahnflanke betrachtet, weicht davon erheblich ab. Es berechnet sich zu
(14.6)
mit
∆s: Zahnflankenaufmassdy: Durchmesser des Berührungspunktesd0: Teilkreisdurchmesser der Wälzschnecke.
Hierbei ist die Laufvariable über der radialen Erstreckung der Flanke durch den Durchmesser des Berührungspunktes dy gegeben. Abbildung 14.12 zeigt beispiel-haft den Verlauf mittlerer und lokaler bezogener Zeitspanvolumina. Aus den Ver-
Q′wm =
vf · z · ae · sin αn · cos β ·(da
2 − dFf2)
2 · db · lP · cos γ0
Q′wl =
2 · sin αn · s · vf · π ·√
dy2 − db
2
d0 ·√
1 − (2 · s · sin αn − d0)2
d02
14 Verzahnungsschleifen
329
läufen von Q'wl wird deutlich, dass bei der Erhöhung des mittleren Zeitspanvolu-mens Q'wm über die Steigerung der Zustellung ∆s das jeweilige maximale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl deutlich schwächer ansteigt als bei der Steigerung der Vor-schubgeschwindigkeit vf. Ferner erkennt man den Unterschied zwischen den beiden Größen. So kann das lokale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl am Zahnkopf um den Faktor 2,5 höher sein als das mittlere bezogene Zeitspanvolumen Q'wm.
Ein höheres Zeitspanvolumen im Werkstückkopfbereich führt bei größeren Zerspanvolumina zu Abweichungen im Werkstückprofil und kann als Indiz für einen stärkeren Profilverlust insbesondere im Fußbereich der Wälzschnecke ge-deutet werden. Untersuchungen zum Einfluss der Gangzahl auf Werkzeugver-schleiß und Eigenspannungen im Werkstück zeigen, dass der Profilverlust ins-besondere bei mehrgängigen Schnecken zu beobachten ist. Gleichzeitig sind bei mehrgängigen Werkzeugen bessere Eigenspannungszustände beobachtet worden [STI09].
Technologische Kenngrößen, wie die geometrische Kontaktlänge oder die Ein-zelkornspanungsdicke, haben sich bereits für andere Hartfeinbearbeitungsverfah-ren, wie etwa das Plan- oder Außenrundschleifen, bei der Prozessauslegung etab-liert. Eine Beschreibung dieser Größen für das kontinuierliche Wälzschleifen er-folgt bei [STI09] auf Basis empirisch ermittelter Daten. So wird die geometrische, maximale Kontaktlänge mit
(14.7)lg.max = 4√
s ·(√
f + 0,4 · 4√
da0 + 0,2 ·√
mn − 0,0025 · (β + 2)2)
Abb. 14.12 Mittleres und lokales bezogenes Zeitspanvolumen beim Wälzschleifen
mm3
mms4
6
2
1
0
3
mm3
mms
4
6
2
1
0
3
d0 = 180 mmvf = 55 mm/min
d0 = 180 mm∆s = 0,1 mm
∆s = 0,1 mm
∆s = 0,3 mm
∆s = 0,2 mm
∆s = 01 mm
da
da
dad
d
ddb = dFf
db = dFf
db = dFf
Q'wm
Q'wm
Q'wm
Q'wl Q'wl
Q'wl v f = 165 mm/min
vf = 110 mm/min
vf = 55 mm/min
64 66 68 70 72 74 76 78 80 mm 84
64 66 68 70 72 74 76 78 80 mm 84
vf = 110 mm/min
dm = 110 mm
dm = 180 mm
dm = 250 mm
Berührpunktdurchmesser dy
Schneckendatend0 = var.β0 = f(d0)
eP0 = 7,068 mm
z0 = 1αn0 = 20°
mn0 = 4,5 mm
β = 0°
Verzahnungsdaten
mn = 4,5 mmz = 16x = 0,16
αn = 20°
bez.
Zei
tspa
nvol
umen
Q' w
bez.
Zei
tspa
nvol
umen
Q' w
14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken
330
und die Einzelkornspanungsdicke mit
(14.8)
angegeben. Der Index 0 kennzeichnet hierbei eine dem Werkzeug zugehörige Grö-ße, während f für den Vorschub pro Werkstückumdrehung steht.
Zum Abrichten von Wälzschnecken werden hauptsächlich abbildende Verfah-ren genutzt. Dazu wird das Werkzeugprofil einer Diamantprofilrolle aus der Wälz-schneckengeometrie abgeleitet. Das Abrichtwerkzeug wird unter einem Steigungs-winkel angestellt und an der Schnecke entlang geführt, während sich diese dreht. Dieser Vorgang entspricht einem Gewindeschleifprozess. In Abb. 14.13 sind die geometrischen Verhältnisse vereinfacht dargestellt.
Zu beachten ist hierbei, dass das Profil des rotierenden Abrichtwerkzeugs nicht dem Lückenprofil im Normalschnitt der Schnecke entspricht. Vielmehr muss be-rücksichtigt werden, dass die Berührlinie zwischen Abrichtwerkzeug und Schleif-schnecke nicht in einer Ebene darstellbar ist. Ähnlich dem Schleifen von Zahnrä-dern mit Profilschleifscheiben führt auch hier eine Änderung der Schneckendaten zu Änderungen des benötigten Abrichtwerkzeugprofils. Diese Änderungen können sich bei der Prozessumstellung auf eine andere Gangzahl sowie in Folge der ab-richtbedingten Durchmesseränderung der Schleifscheibe ergeben. In der industriel-len Praxis werden die Flanken der Abrichtwerkzeuge mit einem Radius hergestellt, sodass beim Abrichten einer Evolventenfläche angenäherte Schneckenflanken er-zeugt werden. Eine mathematische Darstellung des Abrichtprofils, auch unter Be-rücksichtigung möglicher Maschinenachsen, wurde von [TÜR02] erarbeitet. Mehr Flexibilität in der Profilerzeugung bieten Zeilenabrichtstrategien. Aufgrund des nur punktuellen Kontakts bringen sie jedoch längere Abrichtzyklen mit sich und sind daher aus wirtschaftlicher Sicht weniger attraktiv.
hcu.max = 0,14 · f 0,25 · s0,15 · z0,50 · d−0,5
a0 · m0,25n · z−0,25
Abb. 14.13 Abrichten einer Wälzschnecke
AchsschnittAbrichtrolle(Arbeitsebene)
Achsab-stand A
AchsschnittWälzschnecke
Normalschnitt Schnecke
Profilbezugslinie pn0 = mn0 · π · z0
ard
aed
SRPapd
dRP
αRP
SP0 eP0
df0
d0
da0
hf0
ha0
2 · αn0
bRP
vfd
zs
xs
ys
nsxR
zR
yR
90°– ϕ
90°– ϕ
nRP
14 Verzahnungsschleifen
331
14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen
Beim kontinuierlichen Wälzschraubschleifen werden die Wirkpartner nach Art eines Schraubgetriebes mit gekreuzten (windschiefen) Achsen angeordnet. Das Verfahren hat mathematische Ähnlichkeit mit dem Zahnradschaben (Abb. 14.14) [BAU94]. Allerdings wird hier mit Schleifwerkzeugen gearbeitet. Dabei wird aus Gründen günstiger Kontaktverhältnisse das Werkzeug meist als Innenzahnring ausgeführt. Das Verfahren wird in der Praxis als Verzahnungshonen, Wälzhonen, Schabschleifen oder auch Coronieren (Markenname der Fa. KAPP) bezeichnet. Es handelt sich jedoch nicht um ein Honverfahren im Sinne der DIN8589. Vielmehr ist der Prozess ein Schleifverfahren; innerhalb der Verzahnungsschleifverfahren ist es dem kontinuierlichen Wälzschleifen zuzuordnen (s. Abb. 14.14) [SCH99].
Werkzeug und Werkrad wälzen an den Wälzzylindern ab. Durch den Achskreu-zungswinkel kommt es zu einer axialen Bewegung des Schleifrades gegenüber dem Werkrad; dies ergibt eine spanende Bewegung auf dem Wälzkreis. Oberhalb und unterhalb des Wälzkreises findet bekanntlich bei jeder Zahnradpaarung, so auch hier, eine „gleitende“, d.h. hier spanende Bewegung statt, die sich abhängig vom Kontaktpunkt und davon, ob es sich um eine auflaufende oder ablaufende Flanke handelt, der axialen Bewegung als resultierende Schnittgeschwindigkeit überlagert (Abb. 14.15). Hierbei ist die axiale Schnittgeschwindigkeitskomponente vax mit dem Achskreuzungswinkel δ (Abb. 14.15 unten)
(14.9)
Aus Abb. 14.15 (oben) lässt sich ableiten, dass die radiale Geschwindigkeit über den Abstand vom Wälzkreis hr, die Winkelgeschwindigkeit des Werkrades ωw und das Zähnezahlverhältnis zs/zw bestimmbar ist.
(14.10)
vax =sinδ
cosβvs.
vgr = ± hr · ωw
(1 +
1
zs/zw
)
Abb. 14.14 Prinzip des Wälzschraubschleifens (Quelle: Kapp GmbH)
14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen
332
Somit ergeben sich die in Abb. 14.16 dargestellten resultierenden Schnittge-schwindigkeiten über der Evolvente des Werkrades, und zwar unterschiedlich nach auf- und ablaufender Flanke. Es folgt auch ein typisches Schleifriefenprofil für diese Art der Feinbearbeitung. Dieser Oberflächenstruktur wird von verschiedenen Quellen [KOC83, BAU93, STA96, WRI97, AMI99] ein besonders günstiges Ge-räuschverhalten zugeschrieben. Aufgrund der erheblichen Bemühungen zur Redu-zierung der Laufgeräusche hat daher das Wälzschraubschleifen in der neueren Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen.
Die Schnittgeschwindigkeiten liegen weit unter denen, die beim Schleifen üb-lich sind. Die aus der Kinematik des Schraubwälzgetriebes resultierende Bewegung
Abb. 14.15 Geschwindigkeitspläne beim Wälzschraubschleifen
Geschwindigkeitsplanentlang dem Profil
Geschwindigkeitenam Wälzkreis Werkrad vs
vs
vax
vaxvw
vwδ
Schleifring
v's = vw
–vgr
hr
nw
+vgr
ns
row
ros
Abb. 14.16 Schnittgeschwindigkeiten und Schleifriefen beim Wälzschraubschleifen
AblaufendeFlanke
AuflaufendeFlanke
vax
row
vaxvgr
vc
auflaufende Flanke
3 mm
Zahnkopf
Zahnfuß
Schraubwälzkreis
14 Verzahnungsschleifen
333
wird in vielen Fällen durch eine zweite Bewegung in Form einer linearen Oszilla-tion in Richtung der Werkstückachse überlagert. Sie dient dazu, die Zahnflanken-rauheit weiter zu senken. Der durch Wälzschraubschleifen mögliche Zahnflanken-abtrag wird von den führenden Maschinen- und Werkzeugherstellern aktuell mit bis zu 0,1 mm angegeben. Die Steigerung der Abtragwerte ist auf neue Antriebs- und Maschinenkonzepte zurückzuführen, die höhere Drehzahlen und somit höhere Schnittgeschwindigkeiten ermöglichen.
Die Werkzeuge sind innenverzahnte Ringe aus unterschiedlichen Schleifstoffen. Diamantringe müssen nicht abgerichtet werden und können insbesondere in Groß-serienfertigung wirtschaftlich eingesetzt werden. Überwiegend kommen jedoch ab-richtbare Ringe aus Edelkorund für Werkstückhärten kleiner HRC 63, Siliziumcar-bid für Werkstückhärten oberhalb HRC 63 oder mikrokristallines Aluminiumoxid in üblichen Korngrößen von 80 bis 100 µm zum Einsatz. Übliche Bindungsarten sind Kunstharzbindungen und keramische Bindungen, wobei keramische Bindungen eine höhere Steifigkeit aufweisen, jedoch eher zu Werkzeugbruch neigen. Um die positiven Eigenschaften der beiden Bindungsarten zu vereinen, wurden Kunstharz-Keramik-Mischbindungen entwickelt. Zum Abrichten der Schleifringe werden Dia-mantabrichtzahnräder mit der, den zu bearbeitenden Zahnrädern identischen, Geo-metrie eingesetzt. Die Abrichtzahnräder stellen Stahlgrundkörper dar, die mit einer Einzelschicht aus Diamantkorn galvanisch belegt sind. Der Achsabstand zwischen Werkzeug und Werkstück wird in Folge des Schleifringverschleißes nach jedem Abrichtvorgang vergrößert. Der Achskreuzungswinkel ist dabei nachzuführen, um die Änderung des Mittenkreisdurchmessers zu kompensieren. Nach dem aktuellen Stand der Technik sind Abrichtintervalle von bis zu 400 Werkstücken und Gesamt-standmengen der Werkzeuge von 60.000 Zahnrädern realisierbar.
Interessant ist, dass bei diesem Verfahren auch Werkräder aus Stahl mit Dia-mantschleifscheiben bearbeitet werden können. Das Verfahren ist unter dem Mar-kennamen „Coronieren“ [NN00] bekannt. Diese Möglichkeit ergibt sich daraus, dass tatsächlich nur eine sehr geringe Schleifgeschwindigkeit zwischen Werkzeug und Werkstück entsteht. Ein starker chemischer Verschleiß aufgrund der Affinität zwischen Diamant und Stahl stellt sich erst bei höherem Temperaturniveau ein. Da-her ist hier die hohe Härte des Diamanten bei geringen Prozesstemperaturen günstig einzusetzen.
Die typische mechanische und sehr geringe thermische Beanspruchung der Werkradoberfläche im Prozess führt dazu, dass ein besonders günstiger Eigenspan-nungszustand in den randnahen Schichten der Zahnflanken erreicht wird, während tieferliegende Schichten kaum beeinflusst werden. Dieses ist anhand einiger Eigen-spannungs- Tiefenverläufe in der Abb. 14.17 veranschaulicht.
Für die Bauteillebensdauer ebenfalls von Bedeutung ist die Oberflächenrauheit der Zahnflanken nach dem Schleifen. Deshalb wurden in Untersuchungen die Sys-tem- und Stellgrößen des Prozesses derart variiert, dass unterschiedliche Bauteilto-pografien resultieren. Die Prüfverzahnungen der Serie HD1 zeigten die geringsten gemittelten Rautiefen mit Werten um Rz = 2 µm. Die geringe Flankenrauheit wurde durch Verwendung einer feinen Schleifkörnung erzielt, weiterhin wurde dem Be-arbeitungsprozess eine oszillierende Werkzeugbewegung überlagert. Die höchsten
14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen
334
Flankenrauheiten bis zu Rz = 4,1 µm stellen sich bei der Serie HD3 ein. Hierbei wurde mit einer gröberen Körnung sowie ohne Oszillationsbewegung gearbeitet [MAR01].
In Abb. 14.18 sind zur besseren Übersicht die wesentlichen Merkmale der in diesem Kapitel vorgestellten Verfahren gegenübergestellt.
Fragen
1. Nennen Sie einige Prozessketten beim Verzahnen. 2. Welche Hartfeinbearbeitungsverfahren für Evolventenflächen sind Ihnen
bekannt? 3. Welche Bewegungen müssen beim Profilschleifen von Verzahnungen kinema-
tisch gekoppelt sein (Geradverzahnung, Schrägverzahnung)? 4. Wie groß ist das mittlere bezogene Zeitspanvolumen beim Profilschleifen?
Worüber wird gemittelt? 5. Welche Bewegungen müssen beim bahngesteuerten Abrichten koordiniert
werden? 6. Welche technologische Bedeutung hat der Überdeckungsgrad beim Abrichten? 7. Welche Bewegungen müssen beim kontinuierlichen Wälzschleifen gekoppelt
werden (Geradverzahnung, Schrägverzahnung)? 8. Welche Bedeutung haben das mittlere und das lokale bezogene Zeitspanvolu-
men beim Wälzschleifen? Worüber wird gemittelt? 9. Wie können Wälzschnecken abgerichtet werden?10. Was ist das Wälzschraubschleifen? Warum ist der Begriff „Verzahnungshonen“
unzutreffend?
Abb. 14.17 Eigenspannungs-Tiefenverläufe beim Wälzschraubschleifen
–200
00
Abstand von der Oberfläche2010 30 40 50 70
–400
–600
Eig
ensp
annu
ng σ
–800
HD3
HD2
röntgenografische Spannungsanalyse:
Bragg-Winkel 2θNetzebeneREKEindringtiefe
Strahlung Cr Kα156,438°(211)5,76 TPa–1
5 µm
HD1
–1000
–1400
–MPa
µm
:::::
PrüfritzelWerkstoff
gehontHD1
gehontHD2
gehontHD3
σtangentialσaxial
σaxial
σaxial
σtangential
σtangential
::mn = 4,5 mm; z = 1616 MnCr 5E
14 Verzahnungsschleifen
335
11. Aus welchen Geschwindigkeitskomponenten setzt sich die (lokale) Schnittge-schwindigkeit zusammen?
12. Wo ist die radiale Geschwindigkeit positiv, wo negativ (Vorzeichenwahl mit dem Radius)?
Literatur
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[BAU93] Bausch, T.: Honen (Schabschleifen) von Verzahnungen. In: Salje, E., Westkämpfer, E (Hrsg.): Jahrbuch Schleifen, Honen, Läppen und Polieren, 57. Ausgabe, Vulkan-Verlag, Essen 1993, S. 228-248
[BAU94] Bausch, T.: Verfahren und Maschinen zum Wälzhonen (Schabschleifen). In: Moderne Zahnradfertigung, 2. Auflage, expert Verlag, Renningen-Malmsheim, 1994, S. 514-563
Abb. 14.18 Gegenüberstellung der vorgestellten Hartfeinbearbeitungsverfahren
Diskontinuierliches
Profilschleifen
Kontinuierliches
Wälzschleifen
Kontinuierliches
Wälzschraubschleifen
abbildend generierend
Kontakt gesamte Lücke konvex-konvex konvex-konkav
Kontaktzeiten lang kurz kurz
Kinematik Axialvorschub,
wenige Hübe,
diskont. Zustellung,
Positionierung
Wälzvorschub,
kont. Lückenwechsel,
diskont. Zustellung,
wenige Hübe
radial-axialeGleitbewegung,
kont. Lückenwechsel,
kont. Zustellung,
viele Wälzungen
Schleifgeschwindigkeit
hoch hoch niedrig
Schleifbrand gefährdet weniger gefährdet nicht gefährdet
Eigen-spannungen
prozessabhängig prozessabhängig generell Druck
Topographie(Anregung)
weniger günstig mittel besonders günstig
Produktivität eher gering hoch mittel
Flexibilität hoch eingeschränkt eingeschränkt
Vorteile bei größerenWerkstücken,
kleiner Zähnezahl,
Innenverzahnung,
geom. Modifikationen
kleinerenWerkstücken,
großer Zähnezahl,
Serienfertigung
kleinerenWerkstücken,
kleinemAuslaufbereich,
Serienfertigung
Literatur
336
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[DIN3961] N.N.: DIN3961 Toleranzen für Stirnradverzahnungen, Grundlagen. Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1978
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[DIN3979] N.N.: DIN3979 Zahnschäden an Zahnradgetrieben, Bezeichnung, Merkmale, Ursa-chen. Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1979
[DIN8000] N.N.: DIN8000 Bestimmungsgrößen und Fehler an Wälzfräsern für Stirnräder mit Evolventenverzahnung, Grundbegriffe. Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1962
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14 Verzahnungsschleifen
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Literatur
339
Ein Prozess, wie beispielsweise das Fertigen eines Bauteils durch spanende Be-arbeitung, ist systemtechnisch definiert als die Transformation von Eingangsgrößen eines Systems in entsprechende Ausgangsgrößen. Hierbei stellt die Transformation eine Entwicklung relativ zum Bezugskriterium ‚Zeit‘ dar. In Abschn. 1.4 wird der Zerspanprozess bereits als System beschrieben.
In diesem Kapitel werden zunächst Definitionen und Zusammenhänge um den Begriff ‚Prozessketten‘ erläutert. Darauf aufbauend werden die theoretischen Grundlagen der Prozess- und Prozesskettenauslegung anhand einfacher Beispiele beschrieben. Im Abschn. 15.5 „Prozessüberwachung“ werden Wege zur Überwa-chung der Prozessqualität und zur Einflussnahme auf den Bearbeitungsprozess auf-gezeigt.
15.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung
Zum Verständnis der Vorgehensweise bei der Prozesskettenauslegung ist zunächst eine inhaltliche Abgrenzung der Begriffe ‚Prozess‘, ‚Prozesskettenelement‘ und ‚Prozesskette‘ erforderlich. Das in Abb. 15.1 aufgeführte PEK-Modell gibt eine Übersicht über die im Folgenden verwendeten Begriffe.
Das PEK-Modell gliedert sich in drei Ebenen. Der Prozess (P) stellt hierbei die kleinste und damit unteilbare Einheit einer Prozesskette dar. Zu einem Prozess ge-hören Eingangs- und Ausgangsgrößen. Als Prozess wird beispielsweise eine Ferti-gungsoperation, wie das Erzeugen einer Bohrung mit einem Werkzeug, bezeichnet.
Das Prozesskettenelement (E) ist definiert als sequenzielle Aneinanderreihung einzelner Prozesse. Eine parallele Anordnung von Prozessen zu einem Prozessket-tenelement ist nicht zulässig. Synonym für den Begriff Prozesskettenelement wird auch der Begriff Prozesselement verwendet. Ein Prozesselement stellt beispiels-weise die Werkstückbearbeitung auf einer Maschine, wie das Schleifen aller Haupt- und Hublager einer Kurbelwelle, dar.
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 15Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
340
Ist zur Herstellung eines Produktes mehr als ein Prozesselement notwendig, wird deren Aneinanderreihen als Prozesskette (K) bezeichnet. Die einzelnen Prozessele-mente werden entweder sequenziell, parallel oder in einer Mischform angeordnet. Somit lässt sich eine Prozesskette als eine geordnete Abfolge von Prozesselementen definieren, die das Ziel verfolgt, bestimmte Transformationsobjekte von einem Ein-gangszustand in einen entsprechenden Ausgangszustand zu überführen. Im Sinne der Fertigungstechnik sind Transformationsobjekte Roh- und Halbfertigteile, all-gemein können es aber auch andere materielle und immaterielle Objekte wie Ener-gien, Informationen oder Dienstleistungen sein.
Technologische Schnittstellen Für das Auslegen einer Prozesskette ist die Kennt-nis der Übergabegrößen zwischen den Prozesselementen von Bedeutung. Die Über-gabegrößen stellen gleichzeitig Ausgangs- und Eingangsgrößen zweier aufeinander folgender Prozesselemente (n) und (n + 1) dar. Beispiele für Übergabegrößen ferti-gungstechnischer Prozesse sind:
• Abmessungen und Aufmaß,• Oberflächenbeschaffenheit oder• Temperatur eines Bauteiles.
Die Gesamtheit der Übergabegrößen zwischen zwei Prozesselementen ist der Über-gabezustand. In fertigungstechnischen Systemen wird dieser Zustand als techno-logische Schnittstelle bezeichnet. In Abb. 15.2 sind technologische Schnittstellen zwischen Prozesselement (n – 1) und Prozesselement (n) sowie zwischen Prozess-element (n) und Prozesselement (n + 1) dargestellt.
Abb. 15.1 Definition des Prozessbegriffes anhand des PEK-Modells
Eingangsgrößen Prozess Ausgangsgrößen P
E
Prozesskettenelement
Prozesskette
K
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
341
Prozesselemente werden im zeitlichen Zusammenhang abgebildet. Je Prozess-element fällt die Prozesszeit tn an. Technologische Schnittstellen dagegen können lediglich einem Zeitpunkt zugewiesen werden. Ein entsprechendes Zeitintervall existiert nicht. Die Summe aller sequenziellen Prozesse einer Prozesskette ergibt die Gesamtzeit tges.
Prozesskettenauslegung Verbesserte Schneidstoffe, leistungsfähigere und genau-ere Maschinen sowie erhöhte Anforderungen an eine kostengünstige, schnelle und umweltgerechte Fertigung tragen dazu bei, dass sich spanende Bearbeitungsprozes-se in hohem Maße weiterentwickelt haben. Besonders die Verfahren der Hartfein-bearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide sind hier als vielversprechende Technologien zu nennen. Sie können einen erheblichen Beitrag zur Verkürzung von Prozessketten und damit zur Verkürzung von Durchlaufzeiten und zur Senkung von Fertigungskosten liefern.
Um existente Prozessketten durch das Nutzen neuer Technologien zu optimie-ren oder neue Prozessketten optimal aufzubauen, wird eine Prozesskettenauslegung durchgeführt. Die dafür zu durchlaufenden Tätigkeiten untergliedern sich in zwei aufeinander aufbauende Schritte [BRA08]. Zu Beginn der Prozesskettenauslegung sind die Prozesse zu identifizieren, die in ihrer festzulegenden Abfolge die Produkt-erstellung ermöglichen. Dieser Schritt wird als Prozesskettengestaltung bezeich-net. Aufbauend darauf ist es möglich, die Prozessparameter und technologischen Schnittstellen auszulegen.
Die Prozesskettengestaltung hat zum Ziel, geeignete Prozesse zu identifizieren, um so eine möglichst effiziente Fertigung zu ermöglichen. Bewertungsmaßstab sind dabei z. B. ökonomisch-logistische Zielgrößen, wie Durchlaufzeiten, Taktzei-ten und Bearbeitungskosten. Komplexe Prozessketten lassen den Fertigungsplaner auf Grund der hohen Anzahl an Gestaltungsvarianten jedoch schnell an seine Gren-zen stoßen. Dieser Problematik kann durch den Einsatz der Prozesskettensimulation begegnet werden. Technologische Basis einer Prozesskettensimulation sind lokal
15.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung
technologische Schnittstellen:beschreiben den Übergabezustand zwischen Prozesselementen technischer Systeme
tn–1 tn tn+1
tges
Prozesselementn–1
Prozesselementn
Prozesselementn+1
Abb. 15.2 Technologische Schnittstellen innerhalb einer Prozesskette
342
optimierte Einzelprozesse, wie Sägen, Drehen/Fräsen, Härten oder Feinbearbeiten. Das Ergebnis eines Simulationslaufes gibt einen Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit der untersuchten Prozesskette. Durch ein Umgestalten lässt sich Rationalisierungs-potenzial für die Prozesskette ausnutzen.
Die Entwicklung neuer Prozessketten als Mittel zur Verbesserung der Wirt-schaftlichkeit und Qualität darf nicht nur an einzelnen Arbeitsvorgängen oder Ferti-gungsstufen ansetzen, sondern muss auf ein Gesamtoptimum zielen [TÖN07]. Die in Abb. 15.3 dargestellte ASI-Methode unterstützt bei der Umsetzung einer ganz-heitlichen Prozesskettenauslegung. Grundlage ist die Umgestaltung fertigungstech-nischer Prozessketten durch Adaption, Substitution und/oder Integration einzelner Fertigungsschritte.
Als Adaption bezeichnet man die Abstimmung aufeinander folgender Pro-zesse, wie z. B. die Rohteilherstellung durch Schmieden und die anschließende spanende Bearbeitung. In der Darstellung wird der Prozess B an die Prozesse A und C angepasst. Bei der Entwicklung von Werkzeugen und Werkzeugmaschinen oder als Reaktion auf geänderte Kostenstrukturen kann die Substitution eines Fer-tigungsverfahrens sinnvoll sein. Ein Beispiel für eine solche Substitution ist das Ersetzen eines Schleifprozesses durch das Hartdrehen. In Abb. 15.3 wird der Pro-zess B durch den weiterentwickelten Prozess D substituiert. Die Integration von Fertigungsstufen verkürzt die Arbeitsvorgangsfolge. Dies ist häufig mit direkten prozessbedingten Kosteneinsparungen oder indirekten, auf verkürzten Durch-laufzeiten und verringertem Steuerungsaufwand beruhenden Kosteneinsparun-gen verbunden. Ein aktuelles Beispiel hierzu stellt die Komplettbearbeitung von Bauteilen durch eine Integration unterschiedlicher Fertigungsverfahren auf einer mehrachsigen Drehmaschine oder einem Bearbeitungszentrum dar. In der Dar-stellung wird der Prozess B in den Ablauf des Fertigungsschrittes A integriert.
Abb. 15.3 ASI-Methode zur Prozesskettengestaltung
Prozess -Adaption
vorher: nachher:
Prozess -Substitution
Prozess -Integration
Prozess
AProzess
BProzess
CProzess
AProzess
BProzess
C
Prozess
AProzess
BProzess
CProzess
AProzess
Prozess B
Prozess Prozess A
Prozess B
Prozess
DProzess
C
A B
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
343
15.2 Prozessmodellbildung
In der Technik bezeichnet der Begriff Modell ein Abbild der Realität. Die VDI-Richtlinie 3633 definiert Modell als eine vereinfachte Nachbildung eines Systems [VDI3633]. Vereinfachte Nachbildung bedeutet in diesem Kontext die Reduktion auf lediglich für das Modellierungsziel relevante Eigenschaften. Unter Modellbil-dung seien hier alle zur Erstellung eines Modells notwendigen Schritte verstanden.
Die Untersuchung komplexer technischer Prozesse, wie beispielsweise von Zer-spanungsprozessen, erfordert die Aufstellung von Prozessmodellen. Dafür wer-den alle einzelnen Prozessschritte zunächst abstrahiert, um so eine Reduktion der Komplexität und eine Konzentration auf die wesentlichen Merkmale zu erreichen. Tönshoff definiert den Begriff „Prozessmodell“ als eine abstrakte Darstellung eines Prozesses, die dazu dient, die Ursachen und Wirkungen miteinander zu verknüpfen [TÖP92]. Ziel der Prozessmodellbildung ist, die Zusammenhänge und Wechsel-wirkungen innerhalb eines Prozesses besser zu verstehen sowie zukünftige Pro-zessergebnisse prognostizieren bzw. optimieren zu können. Die Anwendung von Prozessmodellen wird häufig auch als „Simulation“ bezeichnet.
Das Prozessmodell bilden die Zusammenhänge zwischen Ein- und Ausgangs-größen eines Prozesses ab. Es beschreibt damit das statische und dynamische Ver-halten eines Prozesses. In Abb. 15.4 werden die Wechselwirkungen zwischen rea-lem Prozess und Prozessmodell deutlich. Bei der Modellbildung findet zunächst eine Abstraktion der Eingangsfragestellung statt. Diese wird dem Prozessmodell zugeführt. Die Anwendung des Modells liefert eine Prognose über das Verhalten des realen Systems. Vor Anwendung des Prozessmodells muss seine Funktionswei-se anhand bekannter Ein- und Ausgangsgrößen verifiziert werden.
Abb. 15.4 Modellbildung zur Vorhersage des Verhaltens eines realen Systems
Frage
Frage Prozessmodell Ergebnis
Simulation
Verhalten desrealen Systems
Antwort
Verifikation durch:Versuch/Test
Abstraktion durch:Modellbildung
Ausschnittdes realenSystems
15.2 Prozessmodellbildung
344
Die Erstellung von Prozessmodellen kann je nach Einsatzzweck und zur Verfü-gung stehenden Informationen unterschiedlich erfolgen. Tönshoff und Paul unter-scheiden drei Arten von Prozessmodellen:
• Heuristische Modelle, welche durch die anspruchsvolle Beschreibung von Er-fahrungswissen gewonnen werden,
• Physikalisch/empirische Modelle, welche auf physikalisch, mathematischen Grundlagen beruhen und
• Informationstechnische Datenmodelle [PAU94].
In Abb. 15.5 sind die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Modellarten dargestellt.
Heuristische Modelle bilden Erfahrungswissen, etwa das Prozessverständnis eines Maschinenbedieners in der Fertigung, ab. So ist der erfahrene Bediener einer CNC-Drehmaschine häufig in der Lage, anhand von Prozessgeräuschen oder der Form der entstehenden Späne Rückschlüsse für die Auslegung des Bearbeitungs-prozesses zu ziehen. Dieses Wissen geht jedoch mit einem Arbeitsplatzwechsel häufig verloren. Die Archivierung und die Gewährleistung einer permanenten Ver-fügbarkeit des Erfahrungswissens, z. B. aus dem Bereich der Fertigung, sind ande-rerseits für den Erfolg eines Betriebes von großer Bedeutung. Die Bereitstellung und Pflege solchen Wissens wird Wissensmanagement genannt. Die Modellierung von Erfahrungswissen erfolgt durch einfache Produktionsregeln (wenn/dann-Be-ziehungen), Klassen- und Objektstrukturen (ER- oder UML-Diagramme) [OES98] oder durch unscharfe Mengen (Fuzzy Logic) [PAU94].
Technologische Abhängigkeiten, wie sie bspw. zwischen der Schnittkraft Fc und der Schnittleistung Pc bestehen (Abschn. 5.1), lassen sich in mathematischen Algorithmen darstellen. Die so entstehenden Prozessmodelle werden nach der Art ihrer Gewinnung als physikalische oder empirische Modelle bezeichnet [PRO77].
Abb. 15.5 Ebenen der Prozessmodellbildung
Modellierung vonErfahrungswissen:
heuristische Modelle
• Produktionsregeln• Klassen- und Objektstrukturen• unscharfe Mengen
• Haupteinflussgrößen• Wertebereiche• Gültigkeitsbereiche
• UML - Diagramme• Datenklassifikation• Tabellen
Verifizierung
Verifizierung
Verifizierung
Erarbeitung von Basismodellen:
physikalisch / empirische Modelle
Entwicklung von Datenstrukturen:
Datenmodelle
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
345
Während physikalische Prozessmodelle auf physikalischen Gesetzen basieren, wer-den empirische Prozessmodelle aus Messungen am Prozess experimentell ermittelt (Abb. 15.6).
Zur Bildung physikalischer Prozessmodelle werden ausgehend von der Zielset-zung des Prozesses relevante physikalische Vorgänge selektiert und in ein qualita-tives Modell überführt. Auf der Basis von physikalischen Gesetzmäßigkeiten wird die mathematische Formulierung des Modells – das physikalische Prozessmodell – ermittelt. Dies stellt die quantitativen Abhängigkeiten zwischen technologischen Eingangs- und Ausgangsgrößen, beispielsweise den Zusammenhang zwischen Stellgrößen und Arbeitsergebnis, dar. Empirische Prozessmodelle werden wie er-wähnt aus Messungen am Prozess experimentell bestimmt. In der Zerspanungs-technik beispielsweise werden Schleifversuche durchgeführt, wobei relevante Ein-gangs- und Ausgangsgrößen aufzunehmen sind. Die Versuchsergebnisse werden ausgewertet, eine Modellart (Korrelationsfunktion) ausgewählt, die Koeffizienten bestimmt und das empirische Prozessmodell mit weiteren Versuchen verifiziert. Der Nutzen physikalischer Prozessmodelle liegt in einem verfahrensunabhängigen Prozessverständnis und der damit verbundenen einfachen Übertragbarkeit auf ver-änderte Bearbeitungsbedingungen. Für Zerspanprozesse ist jedoch eine rein physi-kalische Modellbildung unrealistisch, da die vorhandenen physikalischen Gesetz-mäßigkeiten nicht ausreichen und daher in der Regel durch experimentelle Unter-suchungen empirisch vervollständigt werden müssen.
Neben den heuristischen und physikalisch/empirischen Modellen werden in Abb. 15.5 Datenmodelle als dritte Ebene der Prozessmodellbildung dargestellt. In Datenmodellen werden Datenstrukturen festgelegt, um eine ganzheitliche Beschrei-bung aller relevanten fertigungstechnischen Informationen zu gewährleisten. Die Datenmodellierung umfasst die Erarbeitung eines objektorientierten Beziehungs-Modells in Form von Klassendiagrammen. Diese können zur weiteren Verwen-
Abb. 15.6 Physikalische und empirische Prozessmodellbildung
physikalische Modellbildung
PhysikalischeGesetze
physikalischesProzessmodell
mathematischeFormulierung
Selektion relevanterphysikalischer Vorgänge
aus Untersuchungen
Untersuchungen mit festgelegtenRandbedingungen und Erfassung von
Eingangs- und Ausgangsgrößen
Wahl desModelltyps
Untersuchungs-ergebnisse
empirische Modellbildung
empirischesProzessmodell
experim
entelle V
erifizierun
g
Zielsetzung
Zielsetzung
15.2 Prozessmodellbildung
346
dung auch als Sequenz-, Zustands- oder Aktivitätsdiagramme dargestellt werden [OES98]. Abgelegt, d. h. gespeichert werden Datenmodellen in relationalen, objekt-relationalen oder rein objektorientierten Datenbanken.
15.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“
Das Ergebnis eines Zerspanprozesses wird bestimmt durch die Eingangs-, Prozess- und Ausgangsgrößen. Die Einstellung dieser Größen unter Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeiten wird Prozessauslegung genannt. Ausgangspunkt einer Prozessauslegung ist das Festlegen von Zielgrößen. Diese Zielgrößen stel-len Vorgaben für die durch den Bearbeitungsprozess erzeugten Ergebnisgrößen dar. Allgemein wird unterschieden zwischen qualitätsrelevanten, ökonomischen und ökologischen Zielen eines Bearbeitungsprozesses.
Die Qualität eines Zerspanprozesses wird anhand der resultierenden Bauteil-qualität beurteilt. Merkmale hierfür sind die Makrogeometrie, Mikrogeometrie und Randzonenbeeinflussung. In Abb. 15.7 sind beispielhaft die Qualitätsmerkmale eines Außenrundschleifprozesses dargestellt. Analog werden für die ökonomischen und ökologischen Ziele relevante Merkmale zugeordnet. Für die einzelnen Merk-male eines Prozesses werden in der Konstruktion oder Fertigungsplanung bauteil-spezifische Sollwerte oder Sollintervalle ermittelt. Für einen Außenrund-Umfangs-schleifprozess sind diese Ziele in Abb. 15.8 beispielhaft dargestellt.
Anhand des oben beschriebenen Außenrundschleifprozesses wird die Vorge-hensweise bei der Auslegung von Bearbeitungsprozessen im Folgenden erläutert.
Abb. 15.7 Qualitätsmerkmale beim Außenrundschleifen
Makrogeometrie
Ovalität
Exzentrizität
Konizität
Mikrogeometrie Randzone
Bearbeitungs-richtung
• Mittenrauhwert Ra
• Red. Spitzenhöhe RPK
• Red. Riefentiefe RVK
• Kernrauhtiefe RK
• .....
Bauteilqualität / Funktionseigenschaften
bearbeitete Oberfläche
II
• Gemittelte Rauhtiefe Rz
HV
Textur
Härte Risse
Gefüge
Eigen-spannungen
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
347
Die Schwierigkeit einer Prozessauslegung liegt in der Gewichtung der Zielgrößen zueinander. Welche Bedeutung haben beispielsweise die ökologischen, welche die qualitätsbestimmenden Ziele der Bearbeitung? Eine bewährte Methode zur Bestim-mung dieser Gewichte ist das Zielbaumverfahren. In der Konstruktionsmethodik wird es eingesetzt, um eine Bewertung unterschiedlicher Konzeptvarianten vorzu-nehmen [ZAN70]. Zur Auslegung des Beispiel-Schleifprozesses wird es verwen-det, um aus den Gewichtungen der einzelnen Zielgrößen zueinander entsprechende Prioritäten zu berechnen.
Die Abb. 15.9 zeigt einen Zielbaum für die oben genannten Zielgrößen. Dieser ist in vier Ebenen unterteilt. In der ersten Ebene ist die zu bestimmende Zielfunk-tion angeordnet. Die zweite Ebene unterteilt die Zielgrößen in die Gruppen Quali-tät, Ökonomie und Ökologie. Eine Detaillierung in Teilgruppen ist in der dritten Ebene und die Zielgrößen selbst sind in der vierten Ebene dargestellt. Jedem Zweig des Zielbaumes sind Gewichtungen zugeordnet. Das Gewicht der Gruppe Quali-tät beträgt hier bspw. 3, die Gruppe Ökonomie ist mit dem Wert 2 und die Gruppe Ökologie mit dem Wert 1 gewichtet. Dies bedeutet in der Praxis, dass für den hier auszulegenden Schleifprozess die Qualität der erzeugten Bauteile genau 3-mal so wichtig ist, wie die ökologischen Zielgrößen. Auf die gleiche Weise werden die Ge-wichtungen in den darunter liegenden Ebenen vorgenommen.
Aus den Gewichtungsfaktoren werden Prioritätsfaktoren für jedes einzelne Ele-ment des Zielbaumes bestimmt. Dazu werden zunächst die Gewichtungsfaktoren einer Ebene addiert. Für die zweite Ebene ergibt dies 3 + 2 + 1 = 6. Ein Prioritäts-faktor wird als gebrochen rationale Zahl dargestellt. Im Nenner dieses Bruches steht die Summe der Prioritäten, im Zähler die Priorität des betreffenden Elementes. Der Prioritätsfaktor für die Qualität beträgt demnach 3/6 gleich 1/2. In den darunter lie-
Abb. 15.8 Exemplarische Zielgrößen für das Außenrundschleifen
Merkmal Ausprägung/Zielgröße Sollwert (Beispiel)
Makrogeometrie
Maktrogeometrie
Randzonenbeeinflussung
Zeiten
Kosten
Umweltverträglichkeit
EnergiebedarfÖko
log
ieÖ
kon
om
ieQ
ual
ität
Durchmesser dw
Werkstückbriete bw
Mittenrauwert Ra
Rautiefe Rz
Eigenspannungszustand σII
Werkstückhärte (Rockwell)
Schnittzeit tc
Werkstückzeit te
Schleifkosten pro Werkstück Ke
Kühlschmierstoffdurchlass Qdcc
Kühlschmierstoffart
Schleifleistung Pc
40 ±
20 ±
0,5 m
6,3 m
0 Mpa
60 HRC
10 s
30 s
10 I/min
10 kW
natives ÖI
5
0,0100,000
0,0150,000
mm
mm
15.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“
348
genden Ebenen werden die Prioritäten auf ähnliche Weise bestimmt. Jedoch müssen die ermittelten Einzelprioritäten der dritten und vierten Ebene zusätzlich mit der Priorität der darüber liegenden Gruppe multipliziert werden. Als Probe wird die Summe der Prioritäten einer Ebene gebildet. Diese sollte immer den Wert 1 an-nehmen.
Nachdem die Prioritäten aller Zielgrößen bestimmt sind, wird die Zielfunktion für die Auslegung des Bearbeitungsprozesses aufgestellt (Gl. 15.1). In die Zielfunk-tion Z gehen neben den Prioritätsfaktoren pxi die normierten Werte für die Zielgröße xi ein.
(15.1)
Die Normierung ist notwendig, um die Zielgrößen unabhängig von ihren unter-schiedlichen Beträgen und Dimensionen miteinander vergleichen zu können. Als Normierungsintervall wird der Wertebereich (0,1 bis 0,9) gewählt. Die Vorgehens-weise bei der Normierung wird an dem in Abb. 15.10 dargestellten Beispiel deut-lich:
Nachdem die Normierung aller Zielgrößen erfolgt ist, können diese entweder positiv (x > 0) oder negativ (x < 0) sein. Eine einheitliche Orientierung der Grö-ßen ist jedoch notwendig, um die Vergleichbarkeit sicher zu stellen. Daher wird in Gl. 15.1 der Betrag der normierten Größen gebildet.
Bei der Gl. 15.1 ist darüber hinaus zu beachten, welche Werte der normierten Zielgrößen xi zu einer Verbesserung der Zielfunktion Z führen. Werden Bewer-tungskriterien wie überwiegend im Beispiel aus Abb. 15.8 genutzt, die sich bei
Z =n∑
i=1
(1 − pxi · |xi |
)
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
Abb. 15.9 Festlegung von Prioritätsfaktoren nach dem Zielbaumverfahren
Prioritätsfaktor Zielfunktion „Z“
Qualität Ökonomie Ökologie
Gewichtungsfaktor
1/61/31/2
3 2 1
2 1 1 1 1 12
Makro-geometrie
Mikro-geometrie
Randzonen-beeinflussung
Zeiten Kosten Stoffe Energie
1/4 1/8 1/8 1/9 2/9 1/12 1/12
3 1 1 1 2 1 1 1 1 12
dw bw Ra Rz II H tc te3/16 1/16 1/16 1/16 1/12 1/24 1/27 2/27 2/9 1/12 1/12
pdw0,19
pbw0,06
pRa0,06
pRz0,06
p II0,08
pH0,04
ptc0,04
pte0,04
pKe0,22
pQdcc0,08
pPc0,08
Ke Qdcc Pc
349
kleineren Beträgen vorteilhaft auswirken (Bsp. Rautiefe oder Kosten), sind die nor-mierten und gewichteten Zielgrößen von 1 zu subtrahieren. Werden hingegen Be-wertungskriterien betrachtet, die bei hohen Beträgen vorteilig sind (Bsp. Wirkungs-grad), ist der Term pxi|xi |aus Gl. 15.1 nicht von 1 zu subtrahieren. Das Ergebnis der Zielfunktion wird Bewertungskennzahl Z genannt. Das Bearbeitungsergebnis fällt umso besser aus, je größer Z ist.
In die so gebildete Zielfunktion werden technologische Modelle (sogenannte Ba-sismodelle) zur Beschreibung der Zielgrößen eingesetzt. Für die in Abb. 15.10 dar-gestellte Rautiefe Rz wird beispielsweise das folgende Modell verwendet [CZE00]:
(15.2)
Die zur Bestimmung der Rautiefe Rz notwendigen Konstanten und Exponenten c0 bis c3 sind modellspezifische Werte und können mit je nach Kombination aus Werk-stück, Werkzeug und Maschine unterschiedliche Größen annehmen.
15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“
Spanende Bearbeitungsprozesse können in der Praxis nicht allein betrachtet werden. Üblicherweise erfolgt die Bearbeitung in mehreren, aufeinander folgenden Teilschrit-ten als sogenannte mehrstufige Prozessführung. Diese mehrstufige Prozessführung (Bsp. Schruppen und Schlichten einer Funktionsfläche) stellt nach dem PEK-Modell die Auslegung eines Prozesskettenelementes dar. Die Auslegung verschiedener Pro-zesskettenelemente zueinander heißt Prozesskettenauslegung. Ziel einer mehrstufi-gen Prozessführung ist eine möglichst hohe Korrelation des Bearbeitungsergebnisses
Rz = c0 · vf tc1 · fr
c2 · vcc3 [µm]
Abb. 15.10 Normierung der Zielfunktion für die Rautiefe Rz
Referenzprozess:Referenzzielgröße:Randbedingung:
Methode:Intervall:
AußenrundschleifenRz (Rautiefe)Rz,min = 0,5 mRz,max = 24 mLinearinterpolation 0,1 ... 0,9
Rz[-]
0,9
Rz,a
0,1
Rz,min Rz,max Rz [µm]Rz,a
( 0,9 - 0,1 )( 0,9 - Rz,a )
( Rz,max - Rz,a )
( Rz,max - Rz,min )
Herleitung: normierte Rautiefe Rz,a
=y – ymin x – xmin
ymax – ymin xmax – xmin
y – yminx – xmin
x – xmin
x – Rz,min
x – Rz,min
ymax – ymin
y = (ymax – ymin) .
xmax – xmin
xmax – xmin
Rz,max – Rz,min
Rz,max – Rz,min
+ ymin
Rz,a = (0,9 – 0,1) .
Rz,a = 0,8 . ⇒
+ 0,1
+ 0,1
=
15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“
350
mit vorab festgelegten Zielgrößen. So ist beispielsweise durch ein hohes Zeitspan-volumen beim Schruppen ein schneller Materialabtrag möglich. Hohe Oberflächen-güten sowie Maß- und Formgenauigkeiten werden dagegen mit einem geringeren Zeitspanvolumen und folglich geringeren Kräften beim Schlichten erreicht.
Im folgenden Beispiel (Abb. 15.11) werden Auswirkungen einer zweistufigen Schleifbearbeitung auf die Werkstückrandzone dargestellt. Allgemein wird die Randzonenbeschaffenheit durch Eigenspannungsverlauf, Härte und Gefügezu-stand beschrieben. Sie ist für hochbeanspruchte Bauteile von großer Bedeutung. Nur durch das Erreichen bestimmter Qualitätsziele kann ein einwandfreies Funk-tionsverhalten der Bauteile gewährleistet werden. Besonders wichtig ist hierbei die Vermeidung von Zugeigenspannungen in der Randzone des fertigen Bauteiles, um unter anderen einer Rissbildung entgegenzuwirken. In Abb. 15.11 wird für einen Außenrund-Umfangs-Querschleifprozess dargestellt, wie durch eine mehrstufige Bearbeitung kritische Zugeigenspannungen, hervorgerufen durch das Schleifen, vermieden werden können.
Das hohe Zeitspanvolumen der Schruppbearbeitung ruft in der Werkstückrandzo-ne eine relativ hohe thermische Beeinflussung hervor. Die resultierenden Zugeigen-spannungen können durch eine Anpassung des Aufmaßes in der Schlichtbearbeitung entfernt werden. Darüber hinaus erfolgt durch das geringe Zeitspanvolumen beim Schlichten eine vorwiegend mechanische Beeinflussung der Werkstückoberflä-che. Hierdurch werden Druckeigenspannungen erzeugt, welche die in den tieferen Schichten der Werkstückoberfläche verbliebenen Zugeigenspannungen weitestge-hend ausgleichen und sich häufig positiv auf die Bauteillebensdauer auswirken.
Komplexe technische Bauteile, z. B. Zahnräder, werden durch verschiedene Fer-tigungsverfahren erzeugt. Diese bilden komplexe Prozessketten, bestehend aus ver-schiedenen Prozesskettenelementen, wie dem Umformen, Zerspanen und Härten. Um ein optimales Ergebnis solcher Prozessketten zu erhalten, wird eine Prozess-
Abb. 15.11 Eigenspannungsverlauf bei mehrstufiger Prozessführung
800
MPa
Eigenspannungsverlauf (Schruppen)Q'w = 10 mm3/mms
Verfahren
CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 Nvc = 100 m/s
Abrichtbedingungen
Werkstück100 Cr 6; 63 HRCKühlungMineralöl, Tangentialdüse26 I/min; 8,5 bar
Formrolle U 75 BUd = 15; qd = 0,8aed = 0,5 µm
Außenrund-Umfangs-Querschleifen
Eigenspannungsverlauf (Schruppen + Schlichten)Q'w = 10 mm3/mms mit anschließendemSchlichten Q'w = 1 mm3/mms, zw = 20 µm
400
200
–200
–400
0
0 20 40 60 80 µm 120Abstand von der Oberfläche z
Eig
ensp
annu
ngen
σII
Sch
licht
aufm
aß 2
0 µm
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
351
kettenauslegung durchgeführt. Im folgenden Abschnitt wird für das Beispiel der Zahnradherstellung das dazu notwendige Vorgehen exemplarisch erläutert.
In Abb. 15.12 ist oben eine konventionelle Prozesskette zur Herstellung von Zahnrädern für Automobilgetriebe dargestellt. Die einzelnen Prozesskettenelemente sind lokal zeit- und kostenoptimiert. Die Schnittstellen der Prozesselemente sind un-durchlässig für einen iterativen Informationsfluss zur Auslegung der Prozesskette.
Der untere Teil der Abb. 15.12 zeigt eine weiterentwickelte Prozesskette, in der Rohteilerzeugung, spanende Weichbearbeitung und Wärmebehandlung durch ein Präzisionsschmieden mit integrierter Wärmebehandlung substituiert sind. Hinter-grund der Substitution ist die Absicht, die bei großen Losgrößen auftretenden öko-nomischen Vorteile des Schmiedens auszunutzen. Darüber hinaus wird durch die integrierte Wärmebehandlung das wiederholte Aufheizen vor dem Härten überflüs-sig, wodurch sich der Energiebedarf der Prozesskette deutlich reduziert. Die Pro-zesskettenauslegung und -optimierung erfolgt unter Berücksichtigung ökonomisch-logistischer Ziele und technologischer Wechselwirkungen zwischen den Prozess-kettenelementen. Vorgegangen wird dabei nach der „Methode zur Positionierung technologischer Schnittstellen“ (eng. design of technological interfaces – DTI-Me-thode) [BRA08, DEB03].
Während der Prozesskettenauslegung sind grundsätzlich zwei Fragen zu beant-worten:
1. Wo in der Prozesskette treten technologische Schnittstellen auf?2. Auf welches Niveau werden technologische Übergabegrößen ausgelegt?
Die Beantwortung der ersten Fragestellung erfolgt während der Prozesskettengestal-tung. Als Werkzeuge hierzu werden in Abschn. 15.1 eine Prozesskettensimulation mit anschließender Anwendung der ASI-Methode beschrieben. Im Zusammenhang mit der DTI-Methode wird diese erste Phase der Prozesskettenoptimierung „Qualitative
Abb. 15.12 Prozesskettengestaltung durch Substitution und Integration einzelner Prozesse
Konventionelle Prozesskette:
Umformungspanende
Weichbearbeitungspanende
HartbearbeitungWärme-
behandlung
Zeit- undKostenoptimiert
Zeit- undKostenoptimiert
Zeit- undKostenoptimiert
Zeit- undKostenoptimiert
Substituierte Prozesskette:
Präzisionsumformung mitintegrierter Wärmebehandlung
Hartfeinbearbeitung
Schnittstellen sind undurchlässig für lterationen technologischer Informationen
Übergreifende Bewertung berücksichtigt vor- und nachgeschaltete Verfahren
15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“
352
Positionierung“ (s.u.) genannt. Die Problematik der zweiten Fragestellung lässt sich für die Beispielprozesskette zur Herstellung von Zahnrädern wie folgt darstellen:
• Erzeugung einer hohen Bauteilqualität durch das Präzisionsschmieden und ein resultierender geringerer Aufwand für die Hartfeinbearbeitung oder
• Fertigung einer geringeren Bauteilqualität durch das Präzisionsschmieden bei einem gesteigerten Aufwand in der Hartfeinbearbeitung.
Ziel ist es, ein Optimum zwischen diesen beiden Auslegungsvarianten zu ermitteln. Dazu müssen die technologischen Übergabegrößen an den Schnittstellen der Pro-zesskette analysiert und quantitativ ausgelegt werden. Die DTI-Methode beschreibt diese Phase als „Quantitative Positionierung“. Das dazu notwendige Vorgehen wird unten erklärt. In Abb. 15.13 ist eine schematische Darstellung für das Vorgehen bei der Positionierung technologischer Schnittstellen abgebildet.
Ziel der qualitativen Positionierung technologischer Schnittstellen ist die Pro-zesskettengestaltung unter Verwendung geeigneter Fertigungstechnologien. Dabei wird stets eine Erhöhung der Produktivität und Wirtschaftlichkeit angestrebt. Er-reicht wird dieses z. B. durch eine Reduzierung der Fertigungsschritte und der tech-nologischen Schnittstellen innerhalb der Prozesskette. Die Verringerung der Anzahl Fertigungsschritte zielt auf einer Verkürzung der Durchlaufzeit und damit der Fer-tigungskosten ab. Darüber hinaus wird durch eine Reduzierung der Schnittstellen der Rechenaufwand für die Auslegung der Übergabegrößen an den technologischen Schnittstellen verringert.
Zur Durchführung der qualitativen Positionierung wird eine Analyse der zur Fer-tigung notwendigen Fertigungsschritte und -folgen durchgeführt. Darauf aufbauend werden Fertigungsprozesse identifiziert, die eine möglichst effiziente Bauteilferti-gung ermöglichen. Eine Bewertung der einzelnen Fertigungsprozesse richtet sich beispielsweise nach dem Wertschöpfungsgrad des jeweiligen Prozesses. Während
Abb. 15.13 Qualitative und quantitative Positionierung technologischer Schnittstellen
# C
# A # 2# 1# 4
# 3
# 2
# 1 # B
# A
QuantitativeAuslegung
QualitativePositionierung
1 2 3
Energiebedarf beim Umformen
Optimierungsaufgabe Werkstückaufmaß
Energiebedarf beim Schleifen
1
3
2
Übergabegrößen (Beispiel):
[#1 bis #4] Prozesselemente einer Prozesskette
[#A bis #C] Schnittstellen einer Prozesskette
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
353
der Prozesskettengestaltung ist somit u. a. darauf zu achten, Prozesse mit geringem Wertschöpfungsgrad mit solchen zu kombinieren, die den Wert des Werkstückes erheblich steigern (→Prozessintegration). Als Werkzeuge zur anschließenden Pro-zesskettengestaltung werden die ASI-Methode (s.o.) oder die von König empfoh-lenen Methoden der Verfahrenssubstitution, Verfahrenskombination, Verfahrenseli-mination und der Verfahrensvertauschung [KÖN87] verwendet. Ergebnis sind ver-schiedene, auf alternativen Fertigungsverfahren basierende Prozesskettenvarianten.
In Abb. 15.14 werden verschiedene technologische Varianten für die Gestaltung der Prozesskette zur Fertigung von Zahnrädern mit hohen Genauigkeitsanforderun-gen dargestellt. Eingangsmaterial ist in allen drei dargestellten Varianten ein stan-genförmiges Halbzeug.
Die quantitative Auslegung technologischer Schnittstellen beschreibt die Dimen-sionierung der technologischen Übergabegrößen zwischen den einzelnen Prozess-schritten. Auf der Grundlage physikalischer und empirischer Modelle (s.o.) werden Prozessmodelle für alle Prozesselemente bestimmt. Es schließt sich die Festlegung der im jeweiligen Fertigungsprozess vorherrschenden Randbedingungen an. Die entstehenden Funktionen (spezifische Prozessmodelle) werden zu Zielfunktionen für die Auslegung einzelner technologischer Größen zusammengeführt. Die Be-stimmung der Zielfunktionen und die Ermittlung von Gewichtungen für jede ein-zelne Zielgröße erfolgt nach dem Zielbaumverfahren (Abschn. 15.3).
Die ermittelten Zielfunktionen für die einzelnen Fertigungsschritte werden zu-einander gewichtet und in einer Gesamtzielfunktion zusammengeführt. Die Be-rechnung der Zielfunktion ergibt den Auslegungsgrad der Prozesskette unter den gegebenen Randbedingungen. Durch Variation der Randbedingungen für die Pro-zesskette (z. B. Taktzeit) oder für Einzelprozesse (z. B. Kühlschmierstoffmenge) kann das Auslegungsergebnis der Prozesskette sowohl positiv, als auch negativ be-
Abb. 15.14 Alternative Prozessketten zur Herstellung von Zahnradherstellung
Halbzeugbe-arbeitung
Vorformer-zeugung(inkl. Zahn-geometrie)
Wärmebe-handlung
Hartbearbeitung
Scheren
SpanendeWeichbearbeitung(Qualität 7)
Aufheißen
Aufkohlung
Härten (Ölbad)
Hartdrehen
Wälzschleifen Profilschleifen
Innenrundschleifen
Härten aus derSchmiedewärme(Ölbad)
Aufheizen
Sägen
Umformung(Qualität 11)
Drehen
Präzisionsumformung(Qualität 7)
Gesteuertes Härten ausder Schmiedewärme(Spraykühlung)
Honen
Konventionelle Prozesskette Prozesskette „Schmieden“ Prozesskette „Präz.-Schm.“
Fokus: Fokus: Fokus:Spanende Bearbeitung Hohes Aufmaß Minimales Aufmaß
15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“
354
einflusst werden. Die Festlegung der Randbedingungen und der Gewichte der Ziel-größen hängt maßgeblich vom Erfahrungswissen des Planers ab.
Prozessketten, die aus wenigen aufeinanderfolgenden Prozessschritten bestehen, können den Planer jedoch schnell an seine Grenzen bringen, wenn die Prozesskette ganzheitlich optimal ausgelegt werden soll. Nicht nur die vielen Prozessparame-ter aller Fertigungsprozesse, auch die gegenseitigen Wechselwirkungen lassen eine Auslegung durch kognitive Tätigkeiten des Planers unmöglich erscheinen. Die Ver-knüpfung der einzelnen Prozessmodelle der gesamten Prozesskette zur optimalen Schnittstellenbestimmung lässt eine deterministische Lösungsfindung selbst mit modernen Rechensystemen nicht in akzeptabler Zeit zu. Daher muss auf heuristi-sche Lösungsmethoden (z. B. Genetische Algorithmen) oder Methoden wie „De-sign of Experiments“ DoE zurückgegriffen werden [DEH09]. Die Nutzung von Si-mulationssystemen ermöglicht hier, Versuchspläne automatisiert anzuwenden und unter stochastischen Bedingungen eine hinreichend gute Lösung für die optimale Dimensionierung der technologischen Schnittstellen zu finden.
Im Folgenden wird ein Beispiel zur Auslegung einer technologischen Schnitt-stelle erläutert. Hierzu wird die Prozesskette zur Herstellung von hochbeanspruch-ten Zahnrädern für Automobilgetriebe durch Präzisionsschmieden herangezogen [DER07]. In diesem neuen Prozess findet keine Weichbearbeitung der Verzahnung mehr statt. Zwischen den Prozesselementen Präzisionsumformung und Hartbearbei-tung hat sich in der Forschung das Werkstückaufmaß und dessen Veränderung in der Serienproduktion als wesentliche Übergabegröße zwischen den Prozessschrit-ten herausgestellt. Es hat entscheidenden Einfluss auf die ökonomischen Ziele, d. h. die Fertigungskosten der Zahnräder. Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge ist in Abb. 15.15 das unterschiedliche Verschleißverhalten des Schmiedegesenkes und der Schleifscheibe dargestellt.
Abb. 15.15 Verschleißwirkung bei der Umformung und in der Schleifbearbeitung
Schmiede-gesenk
Werkstück
Wirkprinzip
Kräfte
Verschleiß
Schleifscheibe
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
355
Im linken Teil der Darstellung wird ein Schmiedeprozess gezeigt. Mit jedem Pressenhub weitet sich das Gesenk durch Verschleiß auf, die erzeugten Bauteile werden über der Zeit größer. Bei Festlegung einer engen Durchmessertoleranz des Schmiedeteils (Aufmaßtoleranz) können nur wenige Bauteile mit einem Gesenk hergestellt werden. Im rechten Bildausschnitt ist ein Schleifprozess dargestellt. Während der Schleifbearbeitung verschleißt das eingesetzte Schleifwerkzeug. Je größer dabei das absolute Schmiedeaufmaß (vorgesehenes Bearbeitungsaufmaß plus Aufmaßtoleranz des Schmiedeprozesses) gesetzt wird, desto größer wird der Schleifscheibenverschleiß pro erzeugtem Bauteil sein. Dies liegt an dem vergrö-ßerten Werkstückvolumen, das bei verschlissenem Gesenk schleiftechnisch abzu-tragen ist. Es wird deutlich, dass das Schleifaufmaß selbst wenig Auswirkungen auf die Auslegung des Schmiedeprozesses hat, vielmehr wirkt sich die durch den Verschleiß der Schmiedegesenke hervorgerufene Aufmaßzunahme der erzeugten Halbfertigteile negativ auf die nachfolgenden Fertigungsschritte aus.
In Abb. 15.16 werden die qualitativen Verläufe der Prozesskosten in Abhängig-keit von der Aufmaßzunahme für einen Präzisionsumformungsprozess und einen mehrstufigen Hartfeinbearbeitungsprozess gezeigt. Ziel des Vergleiches der beiden Kurvenverläufe ist die Bestimmung eines Wertes für die optimale Aufmaßzunahme ∆aopt.
Die Standzeit eines Umformwerkzeuges kann durch eine große Aufmaßtoleranz verlängert werden. Wird dagegen nur eine sehr geringe Aufmaßtoleranz zugelas-sen, steigen die Prozesskosten für die Präzisionsumformung bedingt durch gerin-gere Werkzeugstandzeiten an. Für die Hartfeinbearbeitung ergibt sich dagegen ein Anstieg der Prozesskosten durch eine Zunahme des Werkstückaufmaßes nach dem Schmieden, da mit einem größeren ∆a auch ein steigendes Aufmaß a einhergeht und sich die Prozesszeit sowie der Werkzeugverschleiß erhöht. Der in Abb. 15.16
Abb. 15.16 Technologische Wechselwirkungen zwischen Umformung und Hart-bearbeitung
Hartbearbeitung(einstufig)
(zweistufig)(dreistufig)
Präzisionsumformung
Zunahme Werkstückaufmaß [mm]
resultierende Funktionenschar
Pro
zess
kost
en [
]amax
aopt
amin∆a
mit: a ≥ amin
a:
∆a:
∆aopt:
aopt
Werkstück-aufmaß
ZunahmeWerkstück-aufmaß
optimalezunahmeWerkstück-aufmaß
15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“
356
gezeigte unstetige Verlauf der Kostenfunktion ergibt sich aus einer Mehrstufigkeit (Schruppen/Schlichten) des Schleifprozesses.
15.5 Prozessüberwachung
Die Prozessüberwachung stellt eine wichtige Tätigkeit im Rahmen der Fertigung dar, um die in der Prozess- und Prozesskettenauslegung festgelegten Zielgrößen zu erreichen. In ihr werden Eingangs-, Prozess- und Ergebnisgrößen analysiert und miteinander verglichen. So entsteht zum einen die Basis für ein aktives Eingreifen in den Prozess über Regelungs- und Steuerungsmechanismen und zum anderen die Grundlage zur Bildung, Evaluation oder Verifikation empirischer Prozessmodelle (Abschn. 15.2). Die Prozessüberwachung stellt das Prüfen definierter Prozessmerk-male und -parameter dar. In Abb. 15.17 werden qualitative Prüfung ( Wahrnehmung) und quantitative Prüfung ( Messung) unterschieden.
Eine direkte Wahrnehmung ist beispielsweise der Geschmack eines Mediums. Das Aussehen dagegen wird über reflektiertes Licht nur indirekt wahrgenommen. Die Beurteilung dieser Wahrnehmungen basiert auf implizitem, d. h. unstrukturier-tem Erfahrungswissen. Eine Messung dagegen folgt explizitem, d. h. strukturiertem und dokumentiertem Wissen, den Fakten. Hierbei stellt die Erfassung einer Länge anhand eines Vergleichsnormales eine direkte Messung dar. Temperaturen werden (z. B. in einem Thermometer) aus der Längendehnung eines Vergleichsnormales abgeleitet. Es handelt sich somit um eine indirekte Messung.
In der Fertigungstechnik, speziell in der Zerspanung, werden die messbaren Grö-ßen nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung unterschieden. Größen, die während eines Prozesses auftreten, heißen Prozessgrößen; Größen, die am Ende des Prozesses als permanentes Ergebnis vorliegen, werden Ergebnisgrößen genannt (Abb. 15.18).
Abb. 15.17 Prüfen als Grundlage der Prozessüberwachung
Prüfen
Wahrnehmung(qualitativ)
Messung(quantitativ)
indirekt
Temperatur
Kraft
Länge
Gewicht
basiert auf:basiert auf:
Fakten(explizites Wissen)
Erfahrung(implizites Wissen)
direktindirektdirekt
Geschmack
Form
Aussehen
Geräusch
•
•
•
•
•
•
•
•
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
357
Weiterführende Informationen hierzu liefern Tönshoff [TÖI01] und Karpuschewski [KAR01].
Ein Vergleich der gemessenen Prozess- und Ergebnisgrößen mit den entspre-chenden Zielgrößen liefert in der Regel Abweichungen von den Vorgabewerten. Es wirken somit Störeinflüsse auf den Prozess. Je nach dem, ob sich die aus den Stör-einflüssen resultierenden Abweichungen im Rahmen einer festgelegten Toleranz be-finden, wird ein regelungstechnischer Eingriff in den Prozess erforderlich. Ursachen eines solchen Eingriffes können stochastischen Ursprungs sein, wie beispielsweise Temperaturveränderungen, aber auch systematische Veränderungen der Randbedin-gungen, wie z. B. Schleifscheibenverschleiß während des Schleifprozesses.
In Abb. 15.19 werden unterschiedliche Qualitätsregelkreise vorgestellt. Ziel der Qualitätsregelung ist die Verringerung des beschriebenen Störgrößeneinflusses auf
Abb. 15.18 Signale und Größen zur Prozessüberwachung bei der Zerspanung
messbare Signale
Prozessgrößen
Kräfte/Momente
Schleifleistung
Oberflächentemperatur
Körperschall
Schwingung
Ergebnisgrößen
Abmessung und Form des Bauteiles
Mikrogeometrie
Randzonenzustand
Verschleiß der Schleifscheibe
Kühlschmierstoffeigenschaften
15.5 Prozessüberwachung
Abb. 15.19 Qualitätsregelkreise für Schleifprozesse
Informationssystem Feinbearbeitung
Prozessaus-legung &
Optimierung
ModellbildungSchleifdaten
Flexible Meßzelle
Arbeitsergebnis-größenProzessgrößen
IntegrierteSignalbe-wertung
inpr
ozes
s
proz
essn
ah
proz
essn
ah
Modell-adaption
übergeordnet
übergeordnet
F
AE
t
t
358
die resultierende Bauteilqualität. Die Regelkreise werden unterschieden nach der Art der zugrundeliegenden Messgrößen (Prozessgrößen oder Ergebnisgrößen) und der zeitlichen Verzögerung des Eingriffs in In-Prozess-, prozessnahe und überge-ordnete Regelung. Zur Durchführung der Qualitätsregelung findet zunächst eine Prozessauslegung statt. Dazu müssen die primären (z. B. Schnittgeschwindigkeit), und sekundären Stellgrößen (z. B. Schnittkraft) bestimmt werden. Als Eingangs-informationen hierzu werden vorhandene Prozessmodelle und Prozessdaten, wie sie beispielsweise in einem Qualitätsinformationssystem [TÖC96] enthalten sind, verwendet.
Während eines Bearbeitungsprozesses können Prozesssignale, wie Kräfte, Leis-tungen oder Schallemission, messtechnisch erfasst werden. Aus diesen Prozesssig-nalen werden durch Datenreduktion und Kennwertbildung Prozessgrößen gewon-nen. Diese lassen sich für eine In-Prozess-Regelung einsetzen. Als ein Beispiel sei hier das Adaptive Control (AC) für den Schleifprozess genannt [TÖF02].
Die In-Prozess-Qualitätsregelung erfolgt auf Basis von Prozessgrößen. In der prozessnahen und übergeordneten Qualitätsregelung werden darüber hinaus auch Arbeitsergebnisgrößen berücksichtigt. Die prozessnahe Qualitätsregelung hat das Ziel, möglichst schnell eine mangelnde Prozessqualität auszugleichen. Hier kann günstigstenfalls von Bauteil zu Bauteil geregelt werden. Eine übergeordnete Quali-tätsregelung wirkt über den kompletten Fertigungszeitraum eines Bauteils. Diese Art der Regelung wird beispielsweise realisiert, indem Prozessdaten über verschie-dene Bauteile und Fertigungslose gesammelt werden. Mit diesen Daten werden die zugrundeliegenden Prozessmodelle aktualisiert und es findet eine erneute Prozess-auslegung und -optimierung statt. Ein Beispiel hierfür stellt die statistische Prozess-kontrolle (eng. statistical process control SPC) dar.
Systematische Störgrößen (z. B. Schleifscheibenverschleiß) werden durch Re-gelkreise, wie in der Abb. 15.20 dargestellt, detektiert und ausgeglichen.
Abb. 15.20 Regelkreis zur prozessnahen Regelung für das Außenrundschleifen
Störgrößen Z(Temperatur,Verschleiß)
geschliffenesBauteil
Ist-Wert Y
prozessnahe Messung
Soll-Wert W(z.B. Ra, Rz, σll)
Regler (P)
Kv
Einstellgröße X(z.B.: vc,vft, fr)
Schleifprozess
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
359
Kernelement des dargestellten Regelkreises ist die prozessnahe Qualitätsüber-prüfung, beispielsweise in einer flexiblen Messzelle unmittelbar nach der Bearbei-tung. Zielgrößen der Bearbeitung, wie Rauheit oder Eigenspannungszustand des Bauteiles, stellen die Sollgrößen in dem dargestellten Regelkreis dar. Diese werden mit den in der Messzelle detektierten Arbeitsergebnisgrößen (Ist-Werte) verglichen. Über die ermittelte Regelabweichung wird für das nächste Bauteil eine veränderte Stellgröße bestimmt [CZE00]. Im Rahmen einer prozessnahen Regelung besteht darüber hinaus die Möglichkeit, eine bauteilindividuelle Optimierung der Prozess-kette der nachfolgenden Bearbeitungsschritte durchzuführen. Basierend auf den Prozessmodellen, welche bereits für die Prozesskettenauslegung eingesetzt worden sind, lassen sich die technologischen Schnittstellen der Folgeprozesse unter Berück-sichtigung von Wechselwirkungen erneut optimal auslegen. Dies ist notwendig, da Störgrößen nach jedem Bearbeitungsprozess zu bauteilindividuellen Ergebnisgrö-ßen führen können, die vom zuvor als optimalen Wert für die gesamte Prozesskette bestimmten Wert abweichen. Hier ist jedoch sicherzustellen, dass eine Auslegung aller technologischen Schnittstellen individuell für jedes Bauteil ausgelegt werden kann, ohne eine Verzögerung der Bauteilfertigung hervorzurufen. Aktuelle Metho-den erlauben dies noch unzureichend.
In der dargestellten flexiblen Messzelle (Abb. 15.21) werden Mikromagnetik-, Laser- und Streulichtsensoren eingesetzt. Der Mikromagnetiksensor analysiert be-arbeitungsbedingte Veränderungen in der Bauteilrandzone. Diese werden ermittelt über das sogenannte Barkhausenrauschen (sprunghafte Veränderung der Magneti-sierung), die Überlagerungspermeabilität (reversible Veränderung der Magnetisie-rung) und die Oberwellenanalyse (Fourier-Analyse des Magnetfeldes) [KAR01]. Darüber hinaus sind in die Messzelle ein Laserscanner zur Erfassung makrosko-pischer Qualitätsmerkmale (Bauteilgeometrie, Rundlauf) und ein Streulichtsen-sor zur berührungslosen Erfassung der Mikrogeometrien (Rauheit) integriert. Die
Abb. 15.21 Aufbau einer flexiblen Messzelle zur prozessnahen Messung
Aufbau einer flexiblenMesszelle:
MikromagnetischeMessgrößen:
Mikromagnetiksensor
Barhausenrauschen
Werkstück / Bauteil
Laserscanner
Streulichtsensor
Überlagerungspermeabilität
Oberwellenanalyse
A
A
B
C
B
C
DD
1
1
2
2
3
3
15.5 Prozessüberwachung
360
Ergebnisse der Bauteiluntersuchung in einer flexiblen Messzelle stellen Arbeits-ergebnisgrößen dar, die in der prozessnahen oder übergeordneten Qualitätsregelung (Abb. 15.19) zum Einsatz kommen.
Zusammenfassend lässt sich der prinzipielle Ablauf einer Prozessüberwachung wie folgt beschreiben. Ausgehend von einem funktionsfähigen Prozess, erfasst und formuliert eine Instanz (Detektor) alle auftretenden Probleme. Je nach dem, ob es sich bei der zugrundeliegenden Datenbasis um explizites Wissen (Fakten) oder im-plizites Wissen (Erfahrung) handelt, kommen unterschiedliche Analyseverfahren (Messung oder Wahrnehmung) zum Einsatz. Ist das Problem formuliert, werden in Abhängigkeit der zugrundeliegenden Datenbasis (explizit/implizit) verschiedene Strategien zur Problemlösung bzw. zur Optimierung eingesetzt. Ziel der Prozess-überwachung ist, den aufgrund einer Fehlfunktion problembehafteten Prozess wie-der zu beherrschen. Gelingt dies dauerhaft, muss darüber nachgedacht werden, die Prozessgrenzen enger zu fassen. Dies bedeutet eine permanente Verbesserung der Qualität (Verringerung der Standardabweichung σ) des Prozesses.
Fragen
1. Erläutern Sie den Begriff Prozesskettenelement anhand des PEK-Modells. 2. Nennen Sie die Umwandlungsgrößen bezogen auf die Funktionsstruktur eines
technischen Produktes. 3. Was versteht man unter einer technologischen Schnittstelle? 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen einem realen Prozess (System) und
einem Prozessmodell? 5. Nennen Sie drei typische Modellbildungsebenen. 6. Worin unterscheiden sich physikalische und empirische Prozessmodelle? 7. Grenzen Sie die Eingangs-, Prozess- und Ausgangsgrößen eines Zerspanpro-
zesses gegeneinander ab. 8. Was versteht man unter den Qualitätskriterien eines Zerspanungsprozesses? 9. Unter welchen drei Gesichtspunkten lassen sich Zerspanungsprozesse auslegen
bzw. bewerten?10. Nennen Sie eine einfache Methode zur Bestimmung der Zielfunktion eines
Schleifbearbeitungsprozesses.11. Worin besteht die Schwierigkeit bei der Ermittlung der Prioritätskennzahlen
einer Zielfunktion?12. Zeichen Sie den radialen Spannungsverlauf einer Welle unter Biegung und
erläutern Sie, warum sich Zugeigenspannungen in der Randzone negativ aus-wirken können.
13. Auf welchen prozesskettengestaltenden Maßnahmen beruht die ASI-Methode?14. Worin unterscheiden sich konventionelle und prozessübergreifende
Prozesskettenauslegung?15. Die Prozesskettenauslegung lässt sich nach der hier vorgestellten Methode in
zwei Abschnitte einteilen. Worum handelt es sich dabei?
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
361
16. Was verstehen Sie unter qualitativer Positionierung technologischer Schnittstellen?
17. Warum ist nach der Prozesskettengestaltung noch eine quantitative Auslegung der technologischen Schnittstellen erforderlich?
18. Prüfen als Grundlage der Prozessüberwachung erfolgt nach zwei unterschied-lichen Methoden. Nennen Sie diese.
19. Stellt der Randzonenzustand eines Bauteiles eine Prozess- oder Ergebnisgröße dar?
20. Unterscheiden Sie stochastische und systematische Fehler eines Schleifprozesses.21. Worin besteht der Unterschied zwischen In-Prozess-Regelung und prozessna-
her Qualitätsregelung?
Literatur
[BRA08] Brandes, A.: Positionierung technologischer Schnittstellen – Beitrag zur ganzheitlichen Auslegung fertigungstechnischer Prozessketten. Dr.-Ing. Diss. Leibniz Universität Hannover. PZH Verlag 2008
[CZE00] Czenkusch, C.: Technologische Untersuchungen und Prozessmodelle zum Rundschlei-fen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover. Fortschrittsbericht VDI Reihe 2 Nr. 530. VDI-Verlag 2000
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[DER07] Denkena, B., Rabinovitch. A., Henning, H.: Holistic Optimisation of Manufacturing Pro-cess Chains based on Dimensioning Technological Interfaces. 4rd International Conference on Digital Enterprise Technology (DET 2007), Bath September 19th-21th 2007, p. 322-330
[KAR01] Karpuschewski, B.: Sensoren zur Prozessüberwachung beim Spanen. Habilitations-schrift Universität Hannover. Fortschrittsbericht VDI Reihe 2 Nr. 581. VDI-Verlag, 2001
[KÖN87] König, W.: Strategien zur Optimierung der Fertigungsfolgen. Tagungsband "Harte Werkstoffe richtig bearbeiten", VDI-Tagung, Stuttgart Februar 1987
[OES98] Oestereich, B.: Objektorientierte Softwareentwicklung - Analyse und Design mit der Unified Modelling Language. 4. Aktualisierte Auflage, ISBN 3-486-24787-5, Oldenbourg-Verlag 1998
[PAU94] Paul, T.: Konzept für ein Schleiftechnologisches Informationssystem. Dr.-Ing. Diss. Uni-versität Hannover. Fortschritts Bericht VDI Reihe 2 Nr. 313. VDI-Verlag 1994
[PRO77] Profos, P.: Modellbildung und ihre Bedeutung in der Regelungstechnik. VDI Berichte 276 (1977), p. 5-12
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Literatur
362
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[VDI3633] N.N.: VDI3633 Blatt 1 Simulation von Logistik-, Materialfluß- und Produktionssyste-men. Verein deutscher Ingenieure. Beuth Verlag 2000
[ZAN70] Zangenmeister, C.: Nutzwertanalyse in der Systemtechnik. Wittmansche Buchhandlung 1970
15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette
363
Spanende Verfahren dienen dazu, funktionsfähige Bauteile zu erzeugen. Über Funktionsfähigkeit und Lebensdauer entscheiden letztendlich die Oberflächen- und Randzoneneigenschaften der Bauteile. Eine scharfe Grenze zwischen Oberfläche und Randzone ist nicht immer zu ziehen, wie die Definition der Begriffe zeigt. Die Oberfläche beschreibt im allgemeinen Sinne die äußere Begrenzung eines Körpers. In der Mathematik bezeichnet die Oberfläche die Menge aller Randpunkte eines Körpers. In den Naturwissenschaften ist die Oberfläche die Grenze zwischen zwei Medien. Eine weitere Präzisierung des Begriffs ist in der Fertigungstechnik erfor-derlich. Die [DIN 4760] unterscheidet verschiedene Definitionen:
1. Wirkliche Oberfläche: Oberfläche, die den Gegenstand von dem ihn umgeben-den Medium trennt (Ausnahme: die innere Oberfläche von porigen Stoffen)
2. Istoberfläche: messtechnisch erfasstes, angenähertes Abbild der wirklichen Oberfläche eines Formelements. Verschiedene Messverfahren können verschie-dene Istoberflächen ergeben
3. Geometrische Oberfläche: ideale Oberfläche, deren Nennform durch die Zeichnung und/oder andere technische Unterlagen definiert wird
Bei der Analytik von Oberflächen ist es allerdings nicht immer sinnvoll, von einer Dicke von Null auszugehen. Bei der Charakterisierung bestimmter Oberflächen-eigenschaften werden Dicken von ca. 1 nm bis ca. 10 µm (10−9 bis 10−5 m) be-trachtet. Das bedeutet, dass eine Oberfläche aus einer einzigen Atomlage (Mono-lage) oder aber aus 10.000 Monolagen bestehen kann. Hinzu kommt, dass innerhalb dieser Dicke die Oberfläche nicht unbedingt homogen ist. Chemische Zusammen-setzung und Gefüge sowie physikalische Eigenschaften weisen oft Unterschiede auf. Für den Analytiker muss die Oberfläche immer der Bereich sein, der für die geforderte Eigenschaft maßgeblich ist.
Als Randzone wird der Volumenbereich des Werkstoffs bezeichnet, dessen Eigenschaften durch den Bearbeitungsprozess verändert wurden. Die Anwendung dieser Definition hat zur Folge, dass Aussagen über „Oberflächeneigenspannun-gen“ oder „Oberflächenhärte“ streng genommen gar nicht möglich sind, denn zur Ermittlung dieser Größen werden immer Informationen auch aus der oberflächen-nahen Randzone benötigt. Oberflächeneigenschaften können nach den hier gege-
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 16Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
364
benen Definitionen nur geometrische Eigenschaften sein. Wie allerdings aus der Definition der Oberfläche zu sehen ist, gehen Oberfläche und Randzone oft nahtlos ineinander über [BRE].
Längst sind noch nicht alle Zusammenhänge spanender Verfahren mit den Funk-tionseigenschaften eines Bauteils bekannt. Es hat sich aber bewährt, zwischen Oberflächen- und Randzoneneigenschaften eines Bauteils zu unterscheiden. Diese Eigenschaften lassen sich durch Größen beschreiben und messen. Der Konstruk-teur eines Bauteils kann solche Größen vorschreiben. Der Fertigungstechniker muss wissen, durch welche Verfahren und welche Eingangsgrößen des Prozesses die ge-forderten Oberflächen- und Randzoneneigenschaften erreicht werden.
16.1 Oberflächeneigenschaften
Die Oberfläche eines Bauteils ist derjenige Teil, der mit dem es umgebenden Me-dium, mit einem weiteren Bauteil oder mit dem Blick eines Betrachters in Kontakt kommt. Nicht nur die Anforderungen an technische Bauteile sind vielfältig, auch an einem einzigen Bauteil können bestimmte Teile der Oberfläche unterschiedli-che Aufgaben erfüllen. Unterschieden werden können hier beispielsweise Flächen ohne technische Funktion, wie Sicht- oder Kehrflächen (Innenseiten), Flächen mit technischer Funktion zum Dichten, Haften oder Fügen, oder Flächen mit unter-schiedlichen technischen Funktionen, bei denen Reibung auftritt. Auf der Basis der Beanspruchungen werden in der [DIN 4764] technische Oberflächen im Maschi-nenbau und in der Feinwerktechnik in drei Gruppen eingeteilt, wobei lediglich die mechanische Beanspruchung zugrunde gelegt wird:
1. Mechanisch nicht oder nur gering beanspruchte Oberflächen
2. Spannungsbeanspruchte Oberflächen meist ohne Relativbewegung zur Ge - genfläche
3. Reibungsbeanspruchte Oberflächen mit Relativbewegung zur Gegenfläche
Für das Verhalten des Bauteils bei mechanischen Beanspruchungen unterschied-lichster Art ist in erster Linie die Mikrogeometrie der Oberfläche verantwortlich. Der Fertigungsprozess einer bestimmten Bauteiloberfläche muss also gewährleis-ten, dass eine bestimmte Mikrogeometrie, in Form von Rauheit, nicht über- oder unterschritten wird. Funktionsflächen wie Sicht-, Dicht-, Haft- oder Glättflächen beispielsweise müssen möglichst geringe Rauheiten aufweisen. Schichtgrundflä-chen dagegen benötigen eine verfahrensabhängige Mindestrauheit, um die Schicht-haftung zu ermöglichen.
Anforderungen an die Oberflächenrauheit müssen von geeigneten spanenden Fertigungsprozessen erfüllt werden. Nicht immer kann ein einzelner Prozess die Oberflächen in der notwendigen Qualität erzeugen. Oft müssen, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen, zwei Prozesse desselben spanenden Fertigungsver-fahrens nacheinander durchgeführt werden (Schruppen, Schlichten). In einigen Fällen ist mit dem spanenden Fertigungsverfahren allein die geforderte Oberflä-
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
365
chenqualität nicht zu erreichen, so dass ein zweiter, anders gearteter Prozess nach-geschaltet werden muss (z. B. Bohren und Reiben, Fräsen und Glattwalzen).
Werden Zerspanprozesse geplant, um die an das Bauteil gegebenen Rauheitsan-forderungen zu erfüllen, muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Istoberflä-che sich in der Praxis von der geometrischen Oberfläche durch Gestaltabweichun-gen unterschiedlicher Ordnungen unterscheidet. Diese werden in der [DIN 4760] definiert und mit Beispielen belegt (Abb. 16.1) [BRE].
Durch spanende Verfahren, die eine ausgeprägte Schnittrichtung aufweisen, ent-stehen durchweg gerichtete, rillige Oberflächen. Nichtrillige Oberflächen werden erzeugt z. B. durch Funkenerodieren, Druckstrahlen, Umformen oder Urformen. Gerichtete Oberflächen weisen in der Regel quer zur Schnittrichtung größere Rau-heiten als in Schnittrichtung auf.
16.1.1 Bestimmung von Oberflächeneigenschaften
Die im Bereich Zerspantechnik am häufigsten anzutreffenden Rauheitskenngrößen sind der arithmetische Mittenrauwert Ra, die gemittelte Rautiefe Rz und die maxi-male Rautiefe Rmax. Der arithmetische Mittenrauwert Ra kann allmähliche Verände-rungen der Oberfläche, wie sie durch Werkzeugverschleiß auftreten, quantifizieren. Spitzen und Riefen können allerdings nicht unterschieden werden, ebenso wenig wie unterschiedliche Profilformen. Verwendet man Ra als Oberflächenkenngröße, sollte der Charakter der Rauheit aus anderen Untersuchungen bereits bekannt sein. Ra wird als robuster Kennwert angesehen, da er nur schwach auf einzelne Störun-gen reagiert. Ra lässt sich prinzipiell mit allen Tastschnittgeräten bestimmen. Die Ergebnisse einzelner Messstellen streuen relativ gering, da der Bestimmung von Ra
Abb. 16.1 Ordnung, Beispiele und Entstehungsursachen für Gestaltabweichungen [DIN 4760]
Gestaltabweichung(als Profilschnitt überhöht dargestellt)
1. Ordnung: Formabweichungen
3. Ordnung: Rauheit
4. Ordnung: Rauheit
5. Ordnung: Rauheit
Anmerkung: nicht mehr in einfacher
Anmerkung: nicht mehr in einfacher
Weise bildlich darstellbar
Weise bildlich darstellbar
6. Ordnung:
Die dargestellten Gestaltaweichungen 1. bis 4. Ordnungüberlagern sich in der Regel zu der Istoberfläche
Beispiele für dieArt der Abweichung
Beispiele für die Entstehungsursache
Geradheits-, Eben-heits-, Rundheits-,Abweichung u.a.
Wellen(siehe DIN 4761)
Rillen(siehe DIN4761)
RiefenSchuppenKuppen
(siehe DIN4761)
2. Ordnung: Welligkeit
Gefügestruktur
Gitteraufbaudes Werkstoffes
Fehler in der Führungen der Werkzeugmaschine. Durch-biegung der Maschine oder des Werkstückes, falscheEinspannung des Werkstückes, Härteverzug, Verschleiß
ausßermittige Einspannung, Form- oder Laufab-weichungen eines Fräsers, Schwingungen der Werk-zeugmaschine oder des Werkzeuges
Form der Werzeugschneide,Vorschub oder Zustellung des Werkzeuges
Vorgang der Spanbildung (Reißspan,Scherspan,Aufbauschneide),Werkstoffverformung beim Strahlen,Knospenbildung bei galvanischer Behandlung
Kristallisationsvorgänge, Veränderung der Oberflächedurch chemische Einwirkung (z.B. Beizen), Korrosions-Vorgänge
Beispiel:
16.1 Oberflächeneigenschaften
366
eine starke Mittelwertbildung zu Grunde liegt [VOL05]. Ra beschreibt die mittlere Abweichung des Profils von der mittleren Linie (Abb. 16.2). Die rechnerische Be-stimmung erfolgt nach [DIN 4768]:
(16.1)
mit: ln = ausgewerteter Teil der Messstreckez = Abstand des Rauheitsprofils von der mittleren Linie innerhalb der Mess-
strecke
Die beiden Oberflächenkenngrößen gemittelte Rautiefe Rz und maximale Rautiefe Rmax werden häufig zusammen verwendet. In dieser Kombination lassen sich ein-zelne Ausreißer aufspüren: ist Rmax deutlich größer als Rz, bedeutet dies, dass der gemessene Tastschnitt eine einzelne besonders hohe Spitze enthält. Eine Messung an einer anderen Stelle auf der Probe kann klären, ob es sich tatsächlich um einen einzelnen Ausreißer handelt.
Zur Ermittlung von Rz und Rmax wird das gemessene Oberflächenprofil mit der gewählten Grenzwellenlänge λc, welche Rauheit und Welligkeit voneinander ab-grenzt, gefiltert. Die Messstrecke ln wird üblicherweise so gewählt, dass sie in fünf gleiche Abschnitte lr mit jeweils der Länge der Grenzwellenlänge λc unterteilt wer-den kann. Aus jedem Teilstück wird der maximale Höhenwert zi genommen, daraus wird das arithmetische Mittel gebildet (Abb. 16.2). Rz ergibt sich damit nach:
Ra =1
ln
ln∫
0
|z(x)| dx
Abb. 16.2 Einige wichtige Rauheitskenngrößen [VOL05]
Mittellinie
arithmetischer Mittenrauwert Ra
z(x)
Ra z
x
In
In
Ir
Ir1
Rz
maximale Rautiefe Rmax
Rmax
Rmax = größte Einzelrautiefe innerhalb von In
Ir2 Ir3 Ir4 Ir5λc
gemittelte Rautiefe Rz
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
367
(16.2)
Rmax ist der größte Abstand von der höchsten Spitze bis zur tiefsten Riefe innerhalb eines Messsegments. Der größte Rauheitswert innerhalb der Messsegmente 1–5 wird als Rmax definiert (Abb. 16.2) [VOL05].
Die Messverfahren für mikrogeometrische Kennwerte einer Oberfläche können berührend oder berührungsfrei arbeiten. Grundsätzlich wird zwischen drei Mess-prinzipien unterschieden:
• taktile Verfahren• optische Verfahren• rastersondenmikroskopische Verfahren
Die klassischen Messverfahren legen alle einen Profilschnitt in die Oberfläche, sind also zweidimensionale Verfahren. Durch Abrastern der Oberfläche mit einem Punkt-sensor oder auch durch Verwendung von Flächensensoren ist es heute möglich, Rau-heiten von Flächen in vertretbaren Zeiten zu bestimmen. Daher ist es notwendig, auch zwischen zwei- und dreidimensionalen Verfahren zu unterscheiden [BRE]. Die meisten Rauheitsprofile werden auch heute noch mit mechanischen Tastern auf-genommen, in elektrische Signale umgesetzt, vorverarbeitet (gefiltert) und in den definierten Messgrößen oder als Profildiagramm ausgegeben. Die Profildiagramme sind aus Darstellungsgründen meist stark überhöht (z. B. im Verhältnis 100 : 1) auf-gezeichnet. Sie können damit Grund für Missdeutungen sein. Abbildung 16.3 zeigt
Rz =1
5
5∑
i=1
zi
16.1 Oberflächeneigenschaften
Abb. 16.3 Werkstückprofildiagramme für das Drehen und Schleifen
50 µ
m
10 µ
m
10 µm50 µm
f
200 µm
20 µ
m
1 µm
100 µm
f
Profildiagramme Schleifen:
vc = 30 m/minQ’w = 4 mm/mmsq = 80Ra = 0,27 µmRz = 2,1 µm
Profildiagramme Drehen:
vc = 250 m/min rε = 1,2 mmap = 2 mmf = 0,25 mmRa = 3,27 µmRz = 17,2 µm
368
typische Profildiagramme für das Drehen und Schleifen in überhöhter und entzerrter Darstellung.
Die Mikrogeometrie der durch den Zerspanprozess neu entstehenden Oberfläche wird zum einen bestimmt durch die Schneidengeometrie, zum anderen kann sie maßgeblich durch die Variation von Prozessstellgrößen beeinflusst werden. Beim Drehen beispielsweise bildet sich die Form des Werkzeugs in der Oberfläche ab, so dass als rauheitsbestimmende Stellgröße in erster Linie der Vorschub von Bedeu-tung ist. So lässt sich bei Kenntnis des Schneideckenradius rε und des Vorschubs f diejenige Rautiefe Rth ermitteln, die der Drehprozess auf der Oberfläche eines sich nicht verformenden Werkstoffs durch Bearbeitung auf einer ideal steifen Werkzeug-maschine erzeugen würde gemäß:
(16.3)
Für Anwendungen in der Praxis wurde der Ausdruck vereinfacht zu:
(16.4)
mit: Rth = theoretische Rautieferε = Schneideckenradiusf = Vorschub
Die so bestimmte theoretische Rautiefe Rth nimmt also quadratisch mit dem Vor-schub zu und linear mit einer Vergrößerung des Schneideckenradius ab [PAU08, BAU34]. Der Effekt der elastischen Werkstoffverformung, der sich unter anderem in der systemabhängigen Mindestspanungsdicke hmin äußert, und der mit abneh-mendem Vorschub an Einfluss gewinnt, wird in einer erweiterten Rautiefenformel berücksichtigt [BRA61, BRE].
(16.5)
Die theoretische Rautiefe kann als untere Schranke für Rz angesehen werden, denn durch Schwingungen zwischen Werkzeug und Werkstück, durch Aufbauschneiden-bildung und durch verschleißbedingte Veränderung der Schneidkante ergeben sich zusätzliche Rauheitsanteile, die sich Rth überlagern. Für die beim Schlichten inter-essante Zeitspanfläche Aw (erzeugte Fläche je Zeiteinheit) gilt:
(16.6)
(16.7)
Bei vorgeschriebener Rautiefe ist die Zeitspanfläche folglich von der Schnittge-schwindigkeit und dem Eckenradius abhängig. Die Schnittgeschwindigkeit ist durch den Verschleiß begrenzt (s. Kap. 8). Auch der Eckenradius kann nicht be-
Rth = rε −√
rε2 −
f 2
4
Rth ≈f 2
8rε
Rth =f 2
8rε
+hmin
2·[
1 +rε · hmin
f 2
]
Aw = f · vc
Aw = vc ·√
8 · rε · Rth
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
369
liebig vergrößert werden, da mit rε die Reibung zwischen den Wirkpartnern und da-mit ebenfalls der Verschleiß zunimmt und da mit einer größeren Länge der Neben-schneide Ratterschwingungen auftreten und der Prozess instabil wird [NED75]. Hier liegen auch die Grenzen für das Breitschlichtdrehen, wo mit hohem Vorschub und geringem Einstellwinkel der Haupt- oder der Nebenschneide hohe Zeitspan-flächen erreicht werden, vorausgesetzt dass die Systemsteifigkeit groß genug ist (Abb. 16.4).
Hohe Aktualität besitzen diese Fragestellungen bei der Entwicklung spezieller Breitschlichtdreh- oder –fräswerkzeuge, die mit Breitschlicht- oder Schleppschnei-den, auch Wiper genannt, ausgestattet sind.
16.2 Randzoneneigenschaften
Nicht nur die Oberfläche sondern auch die Randzone ist im Bauteileinsatz vielfäl-tigen Belastungen ausgesetzt. Am offensichtlichsten sind hierbei die mechanischen Belastungen. Eine Überlastung des Bauteils kann das Ende seiner Lebenszeit oder die Herabsetzung der Lebensdauer bedeuten. Neben den mechanischen spielen auch thermische Belastungen eine bedeutende Rolle für die Bauteillebensdauer. Viele Bauteile sind im Einsatz starken Reibungen ausgesetzt, die zu ihrer Erwärmung führen. Dabei können sehr hohe Temperaturen erreicht werden (z. B. bei Zerspan-werkzeugen), so dass das Bauteil im Einsatz völlig andere Eigenschaften besitzt als bei Raumtemperatur.
Abb. 16.4 Gestaltabweichungen beim Drehen und Breitschlichtdrehen
Rth
f f
rεrε
WthκN
Werkzeug
Drehen
100 µm
10 µmW+Rt
f
2,5 µm 250 µm
Werkstoffseite
ap · f = 0,3·0,08 mm2
rε = 0,8 mmRY = 13,0 µm
ap · f = 0,06 · 3 mm2
rε = 0,8 mm, κN = 4'W = 5,0 µm
Rth = rε– –rε2 f2
4f2
8 rεfür Rth << re
Wth = κN . (f-rε); κN << 0,1°
Profilschnitt ohne elektr. Filter
Rth =
Breitschlichten
16.2 Randzoneneigenschaften
370
Neben den mechanischen und thermischen Belastungen sind viele Bauteile auch chemischen Angriffen ausgesetzt. Hierbei kann es unter anderem zur Korrosion oder zur Diffusion aufgrund der Werkstoffpaarungen der Bauteile im Einsatz kom-men, die zur Veränderung von Bauteileigenschaften führt. Die Eigenschaften der Randzone dürfen sich über der angestrebten Lebensdauer durch die Belastungen nur soweit verändern, dass die Funktionsfähigkeit des Bauteils sichergestellt ist [BRE].
Bei spanend bearbeiteten Bauteilen lassen sich die folgenden in Abb. 16.5 dar-gestellten Randzoneneigenschaften messen oder feststellen:
• Gefügeänderungen• Plastische Verformungen• Härteänderungen• Eigenspannungen• Texturen• Risse
16.2.1 Bestimmung von Randzoneneigenschaften
Gefügeänderungen lassen sich durch metallographische Schliffe nachweisen. Schleifen, Polieren und geeignete Ätzungen zeigen den Feinaufbau der Rand-schichten und lassen Umwandlungen der Kristallite erkennen. Die Methode ist auch geeignet, plastische Verformungen als Folge einer spanenden Bearbeitung zu be-stimmen. Als Indikator dient die Formänderung der Kristalle (Abb. 16.12). Wegen deren ungleichmäßiger Form ist das Auflösungsvermögen des Grades der plasti-schen Verformungen und ihrer Eindringtiefe allerdings gering. Es hat sich daher das Linienverfahren bewährt, bei dem ein Probekörper geteilt wird und auf seiner
Abb. 16.5 Randzoneneigenschaften nach der spanenden Bearbeitung [BRI91]
σII
σ⊥
RisseHärte
Gefüge
TexturEigen-spannungen
HV
bearbeitete OberflächeBearbeitungs-richtung
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
371
Teilebene Linienstrukturen aufgebracht werden. Aus der Krümmung dieser Linien nach Bearbeitung lässt sich die Verformung quantitativ bestimmen.
Härteänderungen durch Spanen treten nur in dünnen, wenige 1/100 mm dicken Schichten auf. Auch können die Härtegradienten sehr steil sein. Diese Randzonenver-änderungen lassen sich daher nur durch Mikro- oder Kleinlast-Härteprüfungen nach-weisen [TÖN80]. Prinzipiell kann normal zur bearbeiteten Oberfläche oder in einer Schnittebene senkrecht zu dieser geprüft werden. In jedem Fall muss die Prüffläche durch Elektropolieren behandelt werden, um Einflüsse der Präparation zu eliminieren.
Um einen Verlauf der Härteänderungen über der Eindringtiefe aufzunehmen, wurde das Böschungsverfahren entwickelt (Abb. 16.6). Dabei wird die durch Spa-nen erzeugte Oberfläche in einer sanften (1:200) Böschung angeschnitten. Auf ihr wird die Härte gemessen. Der Einfluss tieferliegender unterschiedlich harter Schichten lässt sich korrigieren.
Für spezielle Untersuchungen, beispielsweise Härteverläufe in Segmenten von Scherspänen [TÖN05], werden Ultramikrohärtebestimmungen mit sehr geringen Prüflasten (z. B. F = 0,016 N) durchgeführt. Durch die hierbei entstehenden kleinen Eindrücke lässt sich eine hohe Ortsauflösung bei der Härtebestimmung erreichen.
Eigenspannungen lassen sich nach der indirekten oder direkten Methode bestim-men. In beiden Fällen werden Dehnungen gemessen und aus diesen Spannungen errechnet. Die indirekte Methode, auch Rückfederungsmethode genannt, trennt kleine Teile oder Schichten vom spannungsbehafteten Probekörper ab und misst die Verformung des Restkörpers durch Dehnungsmessstreifen oder über optische Inter-ferenz (Abb. 16.7) [TÖN65]. Mit Algorithmen der Elastomechanik wird dann auf die Oberflächenkräfte bzw. Spannungen zurückgerechnet, die in dem abgetrennten Teil oder in der Schicht geherrscht haben müssen und deren Freisetzung die ge-messene Verformung des Restkörpers verursacht hat. Wegen des „Umwegs“ über
16.2 Randzoneneigenschaften
Abb. 16.6 Messung von Härteverläufen am Schrägabtrag
Eindring-körper
Eindruckmessung
Fokussierung
Härte
Eindringtiefe
Prüffläche
Werkstück
Induktiver
polierteBöschung 1:200
Aufnehmer
372
die Rückfederung des Restkörpers wird das Verfahren als indirekte Methode be-zeichnet. Es können nur Eigenspannungen mit makroskopischer Verteilung (Eigen-spannungen 1. Art) ermittelt werden.
Bei der direkten Methode wird unmittelbar die durch Eigenspannungen ver-ursachte Gitterdehnung in den Kristalliten eines Werkstoffs bestimmt. Dazu kann Röntgenstrahlung genutzt werden. Andere Verfahren verwenden elektromagne-tische Effekte oder Ultraschall. Das Röntgenverfahren setzt ein Diffraktometer ein, mit dem die Intensitätsverteilung des gebeugten Strahls aufgenommen wird (Abb. 16.8).
Abb. 16.7 Indirekte Spannungsanalyse nach dem Rückfederungsverfahren
Pumpe Heizung/Kühlung
RegelungSignal-
verarbeitungAus-
wertung
Abtrags-strom
Elektrolyt-temperatur
Strömungsge-schwindigk.des
Elektrolyten A
D
DMS
Probe
Kathode Elektrolyt
εa, εb, εc
ε1, ε2, α
σ1, σ2, α
ε
– +
Abb. 16.8 Röntgenbeugung
Intensitätsprofile
Beugungswinkel 2θB Bragg: n λ = 2dhkl sin θB
dhkl
θ0
θB θB∆θverspanntes Gitter
dhkl sin θB dhkl sin θB
Beugung
d0
θ0
θ0
θ0
einfallenderRöntgenstrahl
reflektierte,interferierendeRöntgenstrahlen
unverspanntesGitter
d0 sin θ0d0 sin θ0
F F
0
50
75
100
150
25
30 60 90 120 150
cps
Grad
Material : TiAl6V4Strahlung : CuKα
λ
α-Ti 101
α-Ti 114
α-Ti 103 α-Ti 203
α-Ti 103Inte
nsitä
t
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
373
Um Spannungen in der interessierenden Richtung parallel zur Probenoberfläche bestimmen zu können, müssen die Gitterdehnungen in Abhängigkeit vom Neigungs-winkel ψ der Gitterebenen zur Oberflächennormalen ermittelt werden (Abb. 16.9). Aus einer röntgenographischen Elastizitätskonstanten ½s2 (REK) (½s2 = (1 + ν)/E; mit ν = Querkontraktionszahl, E = Elastizitätsmodul), die materialabhängig ist, und der Steigung einer vermittelnden Geraden ε( φ,ψ) über sin2ψ ergibt sich die Spannung in Richtung φ zu
(16.8)
Bei den nicht zerstörungsfrei arbeitenden Verfahren zur Eigenspannungsbestim-mung nimmt die Bohrlochmethode einen führenden Platz ein. Anwender sprechen hierbei oft von einem „teilzerstörenden“ Verfahren, da die relativ kleine Bohrung die Eigenschaften mancher Bauteile nicht negativ beeinflussen soll. Fakt ist jedoch, dass das Verfahren nicht zerstörungsfrei arbeitet.
Die Bohrlochmethode wird seit den 1930er Jahren angewendet [MAT33]. Das Prinzip dieses Verfahrens beruht auf der Messung von eigenspannungsbedingten Verformungen in der Umgebung eines eingebrachten Sacklochs. Es handelt sich damit um ein indirektes Messverfahren. Üblicherweise erfolgt die Messung der Verformungen mithilfe eigens für dieses Verfahren entwickelter Dehnungsmess-streifen. Diese auch DMS-Rosetten genannten Messstreifen bestehen aus drei um 45° zueinander verdrehten, radial zur Bohrung angeordneten Dehnungsmessstrei-fen, die zentrisch zum so genannten Bohrkreis angeordnet sind.
Beim schrittweisen Einbringen der Bohrung stellt sich nach jedem Schritt ein neues Eigenspannungsgleichgewicht ein, so dass es bei Anwendung geeigneter Aus-
σϕ =1
1/2s2·
dε
d(sin2ψ)
16.2 Randzoneneigenschaften
GitterdehnungenlageabhängigerNetzebenen
D0 : Netzebenenabstand des unverspannten Gitters
D0
Dψ
Dmax
Dmin
D0 D0
Spannungsfreier Vielkristall
ψ
ψ
ψ
σ σ
Vielkristall unter Zugspannung
Koordinaten-system
Dehnungs-verteilung
ε3,σ3 = 0
ε2,σ2
ε1,σ1
εϕ,ψ,σϕ,ψ
εϕ,σϕ
εϕ, ψ =
ϕ
Ebener Spannungszustand :D-D0
D0
= 12
s2 σϕ sin2 ψ + s1(σ1+σ2)
elastische Konstanten
ϕ = const.
ε ϕ,ψ
s1(σ1+σ2)
12 s2 σϕ
sin2 ψ
Abb. 16.9 Prinzipdarstellung der röntgenographischen Spannungsanalyse
374
werteverfahren möglich ist, Eigenspannungstiefenverläufe zu bestimmen. Da beim Bohren nach Möglichkeit keine neuen Eigenspannungen in das Werkstück einge-bracht werden sollen, außerdem das Bohrloch ideal zylindrische Form haben soll, wurden unterschiedliche Verfahren zum Erzeugen von Sacklöchern untersucht. Das als am besten geeignete und daher heute am weitesten verbreitete Bohrverfahren ist die so genannte High-Speed-Drilling-Technik. Hierbei erfolgt der Materialabtrag durch einen Hartmetallstirnfräser, der über eine Druckluftturbine mit bis zu 300.000 Umdrehungen pro Minute angetrieben wird. Dies soll zu einer vernachlässigbaren Einbringung neuer Eigenspannungen durch den Bohrvorgang führen [SCH96].
Die Textur ist eine Eigenschaft polykristalliner Stoffe und damit der meisten metallischen Werkstoffe, vieler Kunststoffe, keramischer Werkstoffe und der Ge-steine. Die Textur (kristallographische Textur) beschreibt die Anordnung der ein-zelnen Kristallite zueinander und zu einem Werkstückkoordinatensystem, welches sich meistens an der Oberfläche oder einer ausgezeichneten Richtung des Werk-stücks orientiert. Beim Vorliegen regelloser Texturen verhalten sich die Werkstoff-eigenschaften quasi-isotrop, während geregelte Texturen ein anisotropes Werk-stoffverhalten zur Folge haben. In Abb. 16.10 ist im oberen Teil schematisch eine regellose Textur, im unteren Teil eine geregelte Textur mit einer Vorzugsrichtung dargestellt. Solche Vorzugsrichtungen werden als Orientierungen g oder Textur-komponenten bezeichnet, und sie werden mit den Indizes (hkl)[uvw] beschrieben. (hkl) bezeichnet dabei die kristallographische Fläche, die parallel zur Probenober-fläche ausgerichtet ist, [uvw] die kristallographische Richtung, die parallel zu einer ausgezeichneten Richtung, wie z. B. der Walzrichtung bei Blechen, ausgerichtet ist. Beim Außenlängsdrehen von Stahl wurden gewisse Analogien zu einer Walztextur festgestellt [PLÖ02].
Abb. 16.10 Schematische Darstellung von regelloser (oben) und Würfeltextur (unten) [BUN69]
regellose Texturquasi-isotropes Materialverhalten
zy
x Querrichtung
ausgeprägte Texturanisotropes Materialverhalten
Walz-richtung
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
375
Die Bestimmung von Texturen erfolgt in der Regel durch Beugungsexperimente mithilfe von Elektronen-, Neutronen- oder Röntgenstrahlen. An niedrig indizierten Beugungsreflexen werden Intensitätsmessungen bei unterschiedlichen Azimut- und Poldistanzwinkeln durchgeführt. Die gemessenen Intensitäten werden anschließend durch eine stereographische Projektion in die Äquatorebene projiziert, wo sie beim Vorliegen einer geregelten Textur bestimmte Intensitätsmuster zeigen. Diese Art der Abbildung wird Polfigur genannt. Aus den gemessenen Polfiguren kann durch umfangreiche Rechenoperationen die Orientierungsverteilungsfunktion OVF (auch ODF, Orientation Distribution Function) bestimmt werden. Eine weitere Möglich-keit zum Bestimmen kristallographischer Texturen ist die Auswertung der Informa-tion aus Beugungsexperimenten mit rückgestreuten Elektronen (EBSD). Im Ver-gleich zur röntgenographischen Texturbestimmung handelt es sich hierbei um eine relativ neue Technik. Ein Vorteil der Elektronenbeugungsexperimente gegenüber der Röntgendiffraktometrie liegt in der hohen lokalen Auflösung.
Risse lassen sich mit unterschiedlichen Verfahren nachweisen, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz vorgestellt werden. Die Nachweismöglichkeit ist für jedes Verfahren beschränkt. Lage, Geometrie und Orientierung der Risse müssen bei der Wahl des geeigneten Verfahrens berücksichtigt werden.
Die Farbeindringprüfung ist, wie die licht- und rasterelektronenmikroskopischen Verfahren, auf solche Risse beschränkt, die eine Verbindung zur Oberfläche be-sitzen. Das Verfahren basiert auf der Kapillarwirkung gegenüber Flüssigkeiten. Die in die Risse eingedrungene farbige oder mit fluorezierenden Stoffen versehene Flüssigkeit wird durch ein Kontrastmittel beschleunigt wieder herausgezogen und macht auf diese Weise die Risse sichtbar.
Die Rissprüfung mit dem Magnetpulververfahren ist ausschließlich bei ferro-magnetischen Werkstücken anwendbar, denn es muss eine Magnetisierung des Prüflings stattfinden. Die Basis dieses Verfahrens bildet die magnetische Streu-flussmessung. Das Werkstück wird so magnetisiert, dass die magnetischen Feld-linien parallel zur Oberfläche verlaufen. An einem magnetisch schlecht leitenden Bereich, z. B. einem Riss, teilen sich die Feldlinien auf in jene, die in das Material hinein abgeleitet werden, sowie jene, die die Materialtrennung durchströmen und schließlich solche, die aus der Oberfläche herausgedrängt werden und die Fehlstel-le an der Luft überbrücken. Letztere werden als magnetischer Streufluss bezeich-net [BRI91]. An dieser Stelle lagern sich verstärkt Partikel magnetischen Pulvers an, welches zur Detektion von Rissen auf den Prüfling aufgebracht wird [TÖN87] (Abb. 16.11).
Die zur Werkstückprüfung eingesetzten Ultraschallverfahren basieren auf Wech-selwirkungen des Werkstoffs mit eingestrahlten akustischen Wellen [BRI91]. Es wurden verschiedene Prüfverfahren entwickelt, von denen das Impuls-Echo-Ver-fahren das wichtigste ist [SCH92]. Mit ihm lassen sich Risse auch tief unter der Oberfläche nachweisen. Für die Untersuchung von Metallen wird überwiegend mit Prüffrequenzen zwischen 0,5 und 10 MHz gearbeitet, da sich solche höheren Frequenzen leichter bündeln und richten lassen und mit ihnen kleinere Fehler bes-ser detektiert werden können. Das Impuls-Echo-Verfahren nutzt die Reflexion der Schallwellen an Grenzflächen, wie sie beispielsweise bei Rissen vorliegen.
16.2 Randzoneneigenschaften
376
Auch Wirbelstromverfahren werden eingesetzt zur Fehlerdetektion (Risse, Lunker, Poren). Eine von hochfrequentem Wechselstrom durchflossene Spule erzeugt im elektrisch leitenden Prüfgegenstand Wirbelströme. Durch Fehler im Werkstück verändert sich die Wirbelstromverteilung und damit das Magnetfeld der Wirbelströme, welches sich dem erzeugenden Spulenfeld überlagert. Das re-sultierende Magnetfeld wird gemessen, es enthält Information über Werkstofffeh-ler [ROO05].
Seit einigen Jahren werden erfolgreich induktions- und konduktionsthermogra-phische Verfahren eingesetzt, die in der Lage sind, auch verdeckte Risse aufzuzeu-gen. Über eine elektromagnetische Anregung wird das Bauteil gezielt erwärmt. Stö-rungen der elektrischen Leitfähigkeit, wie sie durch Risse hervorgerufen werden, verändern das Wärmebild lokal. Dieser Zustand wird durch eine hochauflösende Thermographiekamera dokumentiert [VRA08, KRE05].
16.2.2 Wirkung spanender Verfahren
Randzonenbeeinflussungen können mechanische oder thermische Ursachen haben, häufig eine Kombination von beiden. Mechanische Einwirkungen ergeben sich durch Eindringen eines oder mehrerer Schneidkeile und die damit verbundenen plastischen Verformungen in den Randzonen des Werkstücks. Wie in Kap. 2 für das Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide erläutert wurde, dringen die Ver-formungsvorlaufzone und die sekundäre Scherzone vor der Freifläche in die Zonen unterhalb der neu entstehenden Oberfläche eines Bauteils ein und führen dort zu bleibenden Formänderungen. Durchaus ähnliche Vorgänge treten beim Schleifen auf (Kap. 13), lediglich die Dimensionen der mechanisch beeinflussten Bereiche sind geringer.
Abb. 16.11 Magnetpulver-verfahren zur Rissprüfung, a Rissorientierung, b Riss-lage [BRI91]
austretendemagnetischeFeldlinien
eintretende magnetischeFeldlinien
keine Anzeige
a
b
Anzeige möglich
magnetischer Streufluss
Oberflächenriss Riss unter der Oberfläche
wird angezeigt
wird sicher angezeigt
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
377
Die plastischen Verformungen der Randzonen entstehen im Wesentlichen durch Schubverformung als Folge der dem Schneidkeil vorlaufenden Scherung und der Reibung zwischen der Freifläche und dem Werkstoff. Diese Formänderungen kön-nen bei kristallin aufgebauten Werkstoffen deutlich an den Kornverformungen er-kannt werden (Abb. 16.12).
Die Änderungen von Kornform und –orientierung können auch durch Messen von Polfiguren zur Texturbestimmung sichtbar gemacht werden. Beim Außenlängs-drehen von C45E konnte gezeigt werden, dass sich durch die spanende Bearbeitung eine der Walztextur ähnliche aber zur Oberfläche verkippte Orientierung der Kris-tallite einstellt [PLÖ02] (Abb. 16.13).
Mit dem Linienverfahren lassen sich die Verformungen quantitativ erfassen (Abb. 16.14). Die Einwirktiefe liegt bei 40 μm bis 80 μm. Die Verformung ist rich-tungsabhängig und wird durch die Schnittrichtung bestimmt. Der Werkstoff wird als Folge der mechanischen Einwirkung stark gestreckt.
Mit der plastischen Verformung geht auch eine Kaltverfestigung einher. Die-se bewirkt einen Härteanstieg allein als Folge mechanischer Einwirkung. Da beim Spanen in aller Regel mechanische und thermische Einflüsse gleichzeitig wirken, lässt sich diese Kaltverfestigung hier nicht isoliert nachweisen. Anders ist das beim
Abb. 16.12 Gefüge nach der Schleifbearbeitung
40 µm
Werkstoff
Bearbeitung
Werkzeug
: X 10 Cr Ni Nb 18 9
: Flachschleifenvc = 35 m/sQ'w = 6 mm3/mm·s
: A46 J 7 V
16.2 Randzoneneigenschaften
378
Druckwasserstrahlen. Der in Abb. 16.15 dargestellte Härteanstieg an einem ein-satzgehärteten Werkstoff bestehend aus den Gefügebestandteilen Martensit und Restaustenit ist daher allein auf die mechanische Wirkung zurückzuführen. Hier tritt keine nennenswerte Erwärmung neben der mechanischen Einwirkung auf. Ein
Abb. 16.13 Änderung der Textur durch spanende Bearbeitung
DruckVerformung
20°
Polfigur Fe 110
vor
undnach
spanenderBearbeitung
Verfahren:AußenlängsdrehenMaterial: C45E
ap = 0,5 mm
vc = 150 m/min
Schneidstoff:MischkeramikSchneiden-geometric:
α γ λ6°
90° 45° 1,2 mm
–6° –6°ε κ rε
Fase: T02020Kühlschmierung:ohneStrahlung: Cr KαPolfigur: 110
Abb. 16.14 Verformung der Randschicht durch Drehen (Linienverfahren)
100
µm
Ver
form
ungs
grad
[-]
WerkstoffWerkzeugDrehbedingungen :
: C45: Hartmetall, κ = 53°, rε = 0,8 mmγ = –16°, λ = 5°, vc = 90 m/minf = 0,36 mm, ae = 1,0 mm
Drehen
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
00 50 150 250 350µm
Eindringtiefe
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
379
Härteanstieg infolge Kaltverfestigung und spannungsinduzierter Umwandlung des Restaustenits in Martensit in der Randzone wurde nachgewiesen [TÖN95].
Durch die Randzonenverformung werden Eigenspannungsquellen [TÖN65] in den oberflächennahen Schichten eines Bauteils induziert, die aus Gleichgewichts-gründen Eigenspannungen im gesamten Bauteil erzeugen. In der Oberfläche selbst kann nur ein zweiachsiger Spannungszustand auftreten. Normal- und Schubspan-nungen normal zur Oberfläche müssen verschwinden. Die Hauptspannungsrichtun-gen sind von der Schnittrichtung abhängig. Beim Umfangsschleifen müssen sie aus Symmetriegründen mit der Schleifrichtung übereinstimmen. Gleiches gilt auch für das orthogonale oder quasiorthogonale Spanen. Im Allgemeinen fallen jedoch die Hauptspannungsrichtungen nicht mit der Schnittrichtung zusammen.
Durch mechanische Einwirkung kommt es zu Druckeigenspannungen in Schnittrichtung als Folge der plastischen Dehnungen in den oberflächennahen Schichten. Abbildung 16.16 zeigt ein Modell für den Entstehungsmechanismus. Eingezeichnet sind schematisch der Verlauf der elastischen und plastischen Deh-nungen und der Spannungen in Schnittrichtung. Mit dem Vordringen des Schneid-keils kommt es zunächst zu elastischen, dann plastischen Stauchungen. Unmittel-bar hinter dem Werkzeugkontakt entstehen elastische und plastische Dehnungen, die teilweise zurückfedern. Der Spannungsverlauf zeigt zunächst Druck- dann Zugspannungen unter Last. Sie steigen an bis zur Fließgrenze. Nach Entlastung bleiben Druckeigenspannungen zurück. Die bleibend gedehnten Schichten sind gleichsam zu lang und müssen durch die Eigenspannungen gestaucht werden, um den Körperzusammenhalt zu bilden.
Abb. 16.15 Härteanstieg in der Randzone durch das Wasserstrahlen
Abstand von der Oberfläche
850
HV1
800
750
650
600
0
700
0 20 40 µm 60
wassergestrahlt
Ausgangszustand
Werkstoff : 16 MnCr 5 E
StrahlparameterStrahldruckEinwirkzeitStrahlabstandDüse αD : 20°
Einwirkzeit : ts = a / vf
Här
te
s
b
a
vf
αD
αs
D ps
D : 1,5 mm
ps : 1000 barts : 15 ss : 45 mm
16.2 Randzoneneigenschaften
380
Thermische Einwirkungen folgen aus der Leistungsumsetzung in Wärme (Kap. 5). Die Werkstückrandzonen werden kurzzeitig hoch erhitzt. Durch Selbst-abschreckung des Werkstoffs und durch Wärmeentzug über Kühlschmierstoff tritt danach eine rasche Abkühlung ein. Mit diesem Temperaturverlauf können Gefü-geänderungen, Härteerhöhungen durch Sekundärabschreckung und auch Anlassef-fekte, d. h. Härteminderungen verbunden sein. Abbildung 16.17 zeigt einen Härte-verlauf eines durch Schleifen bearbeiteten Wälzlagerstahles 100Cr6. Man erkennt die beeinflusste Zone. Am Härteverlauf wird auch die Neuhärtungszone deutlich.
Abb. 16.16 Eigenspannungs-entstehung durch mechani-sche Einwirkung
Schneidkeil
Dehnung
Spannung
Eigenspannung
bleibende Dehnung
Fließgrenze
Fließgrenze
+
–
–
+
0
0
Abb. 16.17 Härteverände-rungen durch Schleifen
0 10 20 30 40 µm 50
Schrägabtrag, HV 0,05
Querschliff, HK 0,05
1100
900
700
500
0
Här
te H
V 0
,05,
HK
0,0
5
Tiefe z
WerkstoffHärteFlachschleifenvcvftae
: 100 Cr 6: 62 HRC: A46 J 8V35: 30 m/s: 400 mm/s: 7,5 µm
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
381
Die Härteverläufe, wie sie in Abb. 16.17 dargestellt sind, wurden nach zwei ver-schiedenen Analyseverfahren aufgenommen: einmal nach dem vorn erläuterten Böschungsverfahren (mit Schrägabtrag gekennzeichnet) und einmal durch Härte-eindrücke auf einer Fläche normal zur durch Schleifen bearbeiteten Oberfläche (mit Querschliff gekennzeichnet). Nach dem Böschungsverfahren kann bis in die Ober-fläche hinein gemessen werden.
Durch die thermische Wirkung des Spanens entstehen ebenfalls typische Eigenspannungen. Mit der Temperaturerhöhung dehnen sich die Randschich-ten. Es entstehen thermische Druckspannungen, unter deren Wirkung sich die Randschichten bei herabgesetzter Fließgrenze plastisch verformen. Sie werden gestaucht. Nach Abkühlung auf Raumtemperatur sind die verkürzten Rand-schichten gleichsam zu kurz und müssen durch Zugeigenspannungen gelängt werden, um in den Körperzusammenhang zu passen (Abb. 16.18). Dieser Effekt des thermischen Fließens kann von einem entgegengesetzten Vorgang überlagert werden, wenn Werkstoffe mit niedrigen Umwandlungstemperaturen und einer Volumenvergößerung beim Übergang von hohen zu niedrigen Temperaturen be-arbeitet werden. Kohlenstoffstahl mit 12 % Nickel wandelt z. B. vom Austenit zum Ferrit (A3-Punkt) bei 330 °C um. Als Folge der raschen Selbstabschreckung entstehen Druckeigenspannungen, die als Umwandlungseigenspannungen be-zeichnet werden.
Abb. 16.18 Eigenspannungs-entstehung durch thermisches Fließen
Schneidkeil
Temperatur
Dehnung
Spannung
Eigenspannung
Fließgrenze
Fließgrenze
16.2 Randzoneneigenschaften
382
Da beim Spanen mechanische und thermische Einflüsse gleichzeitig wirken, überlagern sie sich in hochgradig nichtlinearer Weise. Eine einfache Superposition ist unzulässig. Dennoch kann eine formale Überlagerung Hinweise auf die ther-mischen und mechanischen Verhältnisse in der Spanbildungszone geben. Abbil-dung 16.19 zeigt Eigenspannungsverläufe in Bauteilen, die durch Planschleifen mit Korund- und CBN-Scheiben bearbeitet wurden. Die starken Abweichungen sind auf den unterschiedlichen Wärmeeintrag zurückzuführen, auf den in Kap. 13 ein-gegangen wurde.
CBN ist wegen seiner hohen Wärmeleitfähigkeit in der Lage, wesentliche Teile der in Wärme umgesetzten Energie über die Schleifscheibe abzuführen; wogegen beim Schleifen mit Al2O3, das eine vielfach geringere Wärmeleitfähigkeit besitzt als CBN, erheblich größere Teile der umgesetzten Energie in das Bauteil eintreten und höhere Temperaturen erzeugen (vgl. Kap. 13).
Aus Abb. 16.20 wird deutlich, dass das Niveau der oberflächennahen Eigenspan-nungen stark vom Zeitspanvolumen (Volumenrate) und damit von der insgesamt zugeführten Schleifleistung abhängt. Bei Schlichtbedingungen entstehen Druck-eigenspannungen oder nur geringe Zugeigenspannungen. Bei hohem Zeitspanvolu-men nimmt das Zugspannungsniveau zu, bis es zu Überhitzungen der Bauteilober-fläche kommt, wo Risse oder Gefügeumwandlungen und dadurch wieder geringere Spannungen auftreten.
Durch Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden entstehen in der Regel un-symmetrische Eigenspannungszustände, das heißt, die Hauptspannungsrichtungen entsprechen nicht mehr den Bewegungsrichtungen des Spanens. Eigenspannungen, die beispielsweise durch einen Härteprozess erzeugt wurden, werden durch einen spanenden Bearbeitungsprozess, wie z. B. Fräsen, dominant überdeckt.
Abb. 16.19 Eigenspannungen und Schleifstoff
800
0
CBNWerkstoff:Planschleifen:
vc = 30 m/svft = 400 mm/sae = 7 µm
100Cr6, 62 HRCB 64 V 180
–400
–8000 40 80
Abstand zur Oberfläche
Spa
nnun
g σ
120 200µm
MPa
σ⊥σII
σIIKorund
A 46 Jot 8 V 35
σ⊥
16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
383
Abbildung 16.21 zeigt Eigenspannungen in durch Drehen bearbeiteten gehär-teten Werkstücken aus Einsatzstahl 16MnCr5. Nach der Bearbeitung mit neuen Schneiden liegen an der Oberfläche des Werkstücks geringe Druckeigenspannun-gen vor. Darunter bildet sich ein Druckspannungsmaximum aus. Mit größerem Vor-
Abb. 16.20 Eigenspannungen in Abhängigkeit von Schnittgeschwindigkeit und bezogenem Zeit-spanvolumen beim Schleifen
600
Schleifen von Einsatzstahl mit Korundschleifscheibe
vc = 30–45 m/s
vc = 30; 38; 45 m/s
ds = 600 mm
dw = 50 mm
q
KSS: Emulsion 3,5 %Durchflussmenge: 800 l/hWerkstück: 16MnCr5 einsatzgehärtet
= 80= 100 mm3/mm
MPa
200
–2001 2 4
bez. Zeitspanvolumen Q′W
Eig
ensp
annu
ng σ
II
8mm3/mm s
0
V′W
Abb. 16.21 Eigenspannungstiefenverlauf nach dem Drehen
0
0
MPa
–400
–600
–800100 µm 300
Abstand von der Werkstückoberfläche
Eig
ensp
annu
ngen
σII f = 0,25 mm
f = 0,1 mm
neue Schneide
WerkstoffHärteSchneidstoffSchnittgeschw.Schnittiefe
: 16MnCrS5: 60 HRC: Al2O3 /TiC-Keramik: vc = 63 m/min: ap = 0,5 mm
Schneidengeometrie
γ α λ ε κeff rε Fase–6° –6°6° 90° 26° 1,2 mm 0,2 × 20°
16.2 Randzoneneigenschaften
384
schub und den damit verbundenen größeren mechanischen Belastungen nehmen die Druckeigenspannungen erheblich zu, und das Maximum verschiebt sich in größere Tiefen.
Fragen
1. Erläutern Sie die wichtigsten Rauheitsmaße nach DIN EN ISO 4287 2. Warum ist Ra dem Wert nach geringer als Rz? 3. Welche Oberflächenkenngröße berücksichtigt „horizontale“ Merkmale? 4. Worin liegen die Grenzen beim Breitschlichtdrehen? 5. Geben Sie den Zusammenhang von theoretischer Rautiefe und Vorschub beim
Drehen an. 6. Welche physikalischen Randzonenveränderungen sind Ihnen bekannt? 7. Wie lassen sich die Randzonenveränderungen messen? 8. Wo sehen Sie Beschränkungen der direkten und indirekten Verfahren zur
Eigenspannungsmessung? 9. Wozu dient das sin2ψ-Verfahren?10. Geben Sie Modelle für die Entstehung von Eigenspannungen an
(Fallunterscheidung).
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16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften
385
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Literatur
387
Werkzeuge verschleißen als Folge mechanischer, thermischer und chemischer Be-anspruchungen. Durch Zuführen geeigneter Kühlschmierstoffe lassen sich diese Beanspruchungen mindern. Dies kann sich Verschleiß verringernd auswirken. Die Wärmeabfuhr aus der Spanbildungszone kann zudem den physikalischen Randzo-nenzustand eines Werkstücks günstig beeinflussen. Kraft- und Leistungsbedarf für den Zerspanprozess lassen sich mindern, und durch Reduktion von Reibung und Klebneigung zwischen Werkzeug und Werkstück lassen sich bessere Werkstück-oberflächen erzielen [BRI04a, BRI95]. Dies sind günstige Effekte unter allen vier Kriterien des Zerspanprozesses. Andererseits verursachen Kühlschmiersysteme er-hebliche Kosten, wobei zunehmend Entsorgungskosten ins Gewicht fallen. Kühl-schmieren muss auch kritisch unter Arbeitsplatz- und Umweltaspekten betrachtet werden. Die richtige Wahl und Auslegung von Kühlschmierverfahren und -syste-men ist daher ein erstrangiges fertigungstechnisches Problem.
17.1 Anforderungen
Die Anforderungen an Kühlschmiersysteme lassen sich nach Haupt- und Zusatz-funktionen gliedern [BAR78, ZWI79]. Hauptfunktionen sind:
• Kühlen: Wärmeabfuhr aus dem Werkzeug, dem Werkstück und der Maschine• Schmieren: Verringern der Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff und Min-
derung der erforderlichen Kräfte und Leistungen, Verringerung der Klebneigung zwischen Schneid- und Werkstoff.
Die Anforderungen an die beiden Hauptfunktionen sind im großen Maß von den spanenden Bearbeitungsverfahren abhängig. Abbildung 17.1 gibt eine schemati-sche Übersicht, wobei im Einzelfall weitere Kriterien wichtig sein können.
Zwischen den beiden Hauptfunktionen bestehen durchaus Wechselwirkungen: Die Minderung der in Wärme umgesetzten Leistung durch gute Schmierung wirkt sich unmittelbar auf die Kühlfunktion aus, es braucht weniger Wärme abgeführt zu werden. Umgekehrt kann eine stärkere Kühlung der Spanbildungszone zu einem
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 17Kühlschmierung
388
Anstieg der Formänderungsfestigkeit des Werkstoffs und damit zur Zunahme des Kraft- und Leistungsbedarfs führen.
Daneben können Kühlschmierstoffe verschiedene Zusatzfunktionen überneh-men, woraus weitere Anforderungen folgen. Zusatzfunktionen und die erforderli-chen Eigenschaften sind:
• Transport der Späne und Bindung von Zerspanpartikeln: Bei einigen Verfahren wie beim Bohren und Tiefbohren müssen Späne unmittel-
bar von der Wirkstelle wegtransportiert werden, wobei man auf flüssige Trans-portmedien häufig nicht verzichten kann. Auch zur Abfuhr von Spänen und Zer-spanpartikeln aus dem Arbeitsraum einer Maschine werden Kühlschmierstoffe häufig verwendet. Durch Hochdruckspülen mit Drücken oberhalb von 10 bar lassen sich Schleifscheiben reinigen.
• Oberflächenschutz der Werkstücke: Durch Spanen entstehen neue Oberflächen am Werkstück, die zunächst in statu
nascendi noch keine passivierenden Schutzschichten besitzen. Derartige Ober-flächen sind chemisch hoch aktiv und können je nach angreifendem Medium unerwünscht reagieren. Flüssige Kühlschmierstoffe müssen dazu ausreichend basisch (pH-Wert > 7, möglichst pH = 8 bis 9,5) sein, um Korrosion zu vermei-den.
• Humanverträglichkeit: Im Allgemeinen ist Hautkontakt des Maschinenbedieners mit dem Kühlschmier-
stoff unvermeidbar, selbst wenn der Arbeitsraum der Maschine gut gekapselt ist. Die Medien müssen darum hautverträglich sein. Die Alkalität soll den Wert pH = 9,5 nicht überschreiten. Dämpfe und Gase, die aus dem Arbeitsraum ent-weichen, müssen auf Schädlichkeit überprüft und sicher abgesaugt werden.
Abb. 17.1 Abhängigkeit der Anforderungen vom Bearbeitungsprozess an Kühlschmierstoffe
erfo
rd. K
ühlw
irkun
g
erfo
rd. S
chm
ierw
irkun
g
Rei
bung
Tem
pera
tur
Sch
nittg
esch
win
digk
eit
Gewinden
Reiben
Räumen
Honen
Verzahnen
Tieflochbohren
Bohren
Fräsen
Drehen
Schleifen
17 Kühlschmierung
389
• Schutz der Maschinenteile: Es muss gewährleistet sein, dass flüssige Kühlschmierstoffe keine Maschinen-
komponenten wie Anstriche, Dichtungen, Abstreifer oder Kunststoffabdeckun-gen angreifen.
• Alterungsbeständigkeit: Flüssige Kühlschmierstoffe sollen chemisch und physikalisch stabil sein und
sich durch Umwelteinflüsse nicht verändern. Sie sollen langlebig sein. Diese Eigenschaft steht in unmittelbarer Konkurrenz zur biologischen Abbaubarkeit.
• Biologische Abbaubarkeit: Die Entsorgung von kohlenwasserstoffhaltigen Kühlschmierstoffen, zudem
noch mit unterschiedlichen Additivierungen, ist schwierig. Angestrebt werden daher biologisch abbaubare Medien. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass Schmiermittel (Schmieröle oder -fette) an den Werkzeugmaschinen aus-treten und damit die flüssigen Medien belasten [HOW91].
17.2 Kühlschmierstoffe
Nach dem Aggregatzustand lassen sich Medien, die kühlende, schmierende oder kombinierte Wirkungen haben, unterscheiden in:
• Einphasige Medien wie Gase und Flüssigkeiten und• Zweiphasige Medien wie Festkörper-Suspensionen und Flüssigkeits-Gas-Gemi-
sche.
Die größere praktische Bedeutung haben flüssige Kühlschmierstoffe. Sie lassen sich einteilen in nichtwassermischbare (Mineralöle) und wassermischbare Kühl-schmierstoffe (Abb. 17.2). Die Bedeutung der Kennbuchstaben ist in der Tab. 17.1 entschlüsselt. Die DIN 51385 nimmt eine Einteilung in drei Gruppen vor, wobei sie zusätzlich die wassergemischten Kühlschmierstoffe SEW als eigene Gruppe an-sieht. Diese Einteilung ist allerdings technologisch nicht sinnvoll sondern orientiert sich eher am Kühlschmierstoffhandel. Für die Praxis ist es vernünftig, die beiden Gruppen SN und SE, wie in der Abb. 17.2, zu unterscheiden.
17.2.1 Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe
Beim Spanen kann es wegen der hohen Pressungen zwischen Werkstoff und Werk-zeug nicht zu hydrodynamischer Schmierwirkung kommen. Daher werden zur Ver-ringerung der Reibung Trennfilme genutzt.
Als Grundöle für nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe dienen vorwiegend Mineralöle. Der Einsatz von Ölen ist jedoch mit besonderem Aufwand verbunden:
• Die Maschinen müssen gegen den Austritt von Öl, Ölnebel und Öldämpfen ge-kapselt werden
17.2 Kühlschmierstoffe
390
Abb. 17.2 Kühlschmierstoffe für die Zerspanung
Kühlschmierstoffe S
nicht-wassermischbare
Kühlschmierstoffe SN
wassermischbareKühlschmierstoffe SE
Kühlschmieremulsionen
Kühlschmierlösungen
unlegierte Mineralöle
niedriglegierte (gefettete)Mineralöle
E.P.- legierteMineralöle
Tab. 17.1 Bedeutung der Kennbuchstaben bei Kühlschmierstoffen [DIN 51385 und DIN 51520]Kenn- buchstabe
Bedeutung Definition
S Kühlschmierstoff Stoff, der beim Trennen und teilweise beim Umformen von Werkstoffen zum Küh-len und Schmieren eingesetzt wird
SN Nicht-wassermischbarerKühlschmierstoff
Kühlschmierstoff, der für die Anwendung nicht mit Wasser gemischt wird
SNO Ohne reibungsmindernde und/oder EP-Zusätze
SNP Mit reibungsmindernden ZusätzenSNPA Mit EP-Zusätzen, chemisch inaktivSNPB Mit EP-Zusätzen, chemisch aktivSNPC Mit reibungsmindernden und EP-
Zusätzen, chemisch inaktivSNPD Mit reibungsmindernden und EP-
Zusätzen, chemisch aktivSE Wassermischbarer Kühlschmierstoff Kühlschmierstoff, der vor seiner Anwen-
dung mit Wasser gemischt wirdSEM Emulgierbarer Kühlschmierstoff Wassermischbarer Kühlschmierstoff, der
die diskontinuierliche Phase einer Emulsion Öl-in-Wasser bilden kann
SES Wasserlöslicher Kühlschmierstoff Kühlschmierstoff, der mit Wasser gemischt Lösungen ergibt
SEW Wassergemischter Kühlschmierstoff Mit Wasser gemischter KühlschmierstoffSEMW Kühlschmier-Emulsion Mit Wasser gemischter emulgierbarer
KühlschmierstoffSESW Kühlschmier-Lösung Mit Wasser gemischter wasser-löslicher
Kühlschmierstoff
17 Kühlschmierung
391
• Die Maschinen müssen mit einer Absauganlage zum Entfernen von Ölnebel aus-gestattet werden
• Werkstücke sind nach der Bearbeitung in der Regel zu entfetten
Es werden grundsätzlich Mineralöle mit und ohne reibungsmindernde und/oder EP (Extreme Pressure)-Zusätze unterschieden, wobei noch differenziert wird nach che-misch aktiven und inaktiven Zusätzen (vgl. Tab. 17.1).
Mineralöle weisen grundsätzlich eine hohe Schmier- und Korrosionsschutzwir-kung aber eine relativ geringe Kühlwirkung auf. Die Abhängigkeit der Eigenschaf-ten von Mineralöltypen wird in Tab. 17.2 dargestellt. Da Mineralöle keimfrei sind, kommen sie in der Regel ohne Korrosionsinhibitoren und Konservierungsstoffe aus. Nachteilig wirkt sich allerdings das Schaumverhalten aus, so dass überwiegend Schauminhibitoren zugesetzt werden.
Die optimale Viskosität der Kühlschmierstoffe wird durch gegenläufige Wirkun-gen bestimmt: Sie soll groß genug sein, um eine gute Haftung und niedrige Ölnebel-bildung zu gewährleisten, sie soll aber im Hinblick auf eine bessere Kühlwirkung gering gehalten werden, denn dünnere Öle strömen der Wirkstelle leichter zu. Bei gleicher Pumpleistung wird eine größere Ölmenge zugeführt, und das Eindringen in Kapillaren wird erleichtert. Die Lebensdauer von nichtwassermischbaren Kühl-schmierstoffen ist im Allgemeinen hoch. Sie hängt stark von der Wartung der Um-laufsysteme und der Reinigung der Öle ab. Voraussetzung ist, dass kein Fremdöl z. B. aus Schmier- und Hydraulikölkreisläufen eindringt. Da solche Lecköle völlig
Tab. 17.2 Eigenschaften von Mineralöltypen
17.2 Kühlschmierstoffe
392
mit den Kühlschmierstoffen mischbar sind, lassen sie sich aus den Kühlschmier-flüssigkeiten in den Umlaufanlagen nicht wieder entfernen. Aus diesem Grund müssen die Umlaufanlagen vor solchen Leckölen geschützt werden.
In Tab. 17.3 sind wärmephysikalische Kennwerte von einem in der spanenden Fertigung verwendeten Mineralöl gegenüber Wasser dargestellt.
17.2.2 Wassermischbare Kühlschmierstoffe
Wassermischbare Kühlschmierstoffe weisen wegen ihrer höheren Wärmekapazität, ihrer Wärmeleitfähigkeit und ihrer Verdampfungswärme bessere Kühlwirkungen auf als Mineralöle. Wassermischbare Kühlschmierstoffe können für fast alle Be-arbeitungen an Stahl, Gusseisen und Aluminiumlegierungen eingesetzt werden. Ca. 90 % der Fertigungsanlagen werden mit wassergemischten Kühlschmierstoffen be-trieben [ZWI79].
Es wird unterschieden zwischen emulgierbaren und wasserlöslichen Kühl-schmierstoffen.
17.2.2.1 Emulgierbare Kühlschmierstoffe
Diese Gruppe bezeichnet wassermischbare Kühlschmierstoffe, die die diskonti-nuierliche Phase einer Öl-in-Wasser-Emulsion bilden können. In Emulsionen ist eine Flüssigkeit (hier Mineralöl oder Ester als Schmierungsträger) in einer anderen (hier Wasser) dispers, d. h. tropfenförmig verteilt. Im thermodynamischen Sinne ist eine Kühlschmieremulsion ein metastabiles System, das schon bei schwachen Störungen in einen Zustand geringerer Energie zurückkehrt. Um also Öl in Was-ser zu dispergieren, muss Energie zugeführt werden, die der Oberflächenenergie der zu bildenden Tröpfchen entspricht [GOT53]. Dies kann durch starkes Rühren geschehen, womit allerdings nur ein instabiles System erzeugt wird. Durch Zuset-zen von oberflächenaktiven Stoffen (Emulgatoren) kann man stabile Emulsionen herstellen. Emulgatoren setzen die Oberflächenspannung stark herab. Sie reichern sich vorwiegend an den Grenzflächen an und bilden so gleichsam einen Film um die Öltröpfchen, womit ihr Zusammenwachsen verhindert wird. Art und Menge
Mineralöl WasserKinematische Viskosität
[mm2/s]9,5 0,66
Dichte [g/cm3] 0,85 0,99Wärmeleitfähigkeit [W/mK] 0,13 0,63Verdampfungswärme [J/g] 200a 2250Spezifische Wärmekapazität
[J/gK]1,95 4,2
a abhängig von Destillationsfraktion
Tab. 17.3 Wärmephysika-lische Werte: Öl-Wasser (40 °C , 1,013 bar)
17 Kühlschmierung
393
der Emulgatoren bestimmen die Größe der Öltröpfchen. Man unterscheidet grob- (geringer Emulgatorgehalt) und feindisperse Emulsionen. In der Praxis werden die Kühlschmieremulsionen zum Teil noch unzutreffend als „Bohröle“ bezeichnet.
Grobdisperse Emulsionen haben eine Tröpfchengröße von ca. 9 µm, feindisperse von 5 µm und geringer. Letztere haben ein opalisierendes bis noch durchscheinen-des Aussehen. Sie sind wegen ihres hohen Dispersionsgrades (kleine Tröpfchen, große Oberflächenspannung) gegenüber Werkstücken weniger benetzungsfähig als grobdisperse Emulsionen. Andererseits sind sie im Allgemeinen stabiler. Sie wer-den daher dort verwendet, wo lange Lebensdauern erforderlich sind. Voraussetzung für eine lange Nutzung dieses Emulsionstyps ist allerdings, dass die Kühlschmier-stoffe auch bei längerer Betriebszeit durch wirkungsvolle Filteranlagen bzw. Sepa-ratoren sauber gehalten werden [ZWI73].
Feindisperse Emulsionen neigen stärker zum Schäumen als grobdisperse. Letz-tere können wegen der größeren Tröpfchen Luft besser und schneller abscheiden. Auch ist ihre Kühl- und Schmierwirkung stärker als die feindisperser Emulsionen [ROE95].
Die Schmierwirkung von Emulsionen wird im Wesentlichen durch den Ölanteil bestimmt. Dieser ist auch für den Korrosionsschutz der Werkstücke, der Werkzeu-ge und der Werkzeugmaschine entscheidend. Die Mindestkonzentration liegt daher bei 2 %. Mit steigendem Ölanteil werden Rostschutz und Schmieranteil verbessert. Bei der optimalen Einstellung des Ölgehalts muss folgendes berücksichtigt werden [ZWI79, JAC88]:
• Der Ölgehalt muss hoch genug sein, um ausreichende Schmierung zu gewähr-leisten
• Die Emulsion soll einen hohen Wasseranteil haben, um gut zu kühlen• Mit höherem Ölgehalt steigen die Kosten der Emulsion
Die Lebensdauer von Kühlschmieremulsionen hängt auch von der Härte des ver-wendeten Wassers ab. Bei hohem Gehalt an Härtebildnern kann es zu Reaktionen mit den anionischen Emulgatoren kommen. Dabei werden die wasserlöslichen Kal-zium- und Magnesiumverbindungen der Härtebildner in unlösliche Verbindungen übergeführt. Sie fallen als Kalkseifen aus. Die Folge ist eine Verarmung an Emul-gatoren, und damit verbunden sind Ölabscheidungen und eine Destabilisierung der Emulsion [LIN86, GÜN84].
Emulsionen sind empfindlich gegen Befall durch Mikroorganismen, das sind z. B. aerobe und anaerobe Bakterien und Pilze. Von ihnen sind besonders die an-aeroben Bakterien störend, denn sie arbeiten unter Luftabschluss und erzeugen Schwefelwasserstoffe und damit den sogenannten „Montagmorgengeruch“. Durch Mikroorganismen werden zudem Emulgatoren abgebaut. Die Folge sind Ölabschei-dungen, Absinken des pH-Werts und Nachlassen des Rostschutzes. Wirksame Mit-tel gegen Befall durch Mikroorganismen sind Bakterizide und Fungizide, die häufig bereits im Konzentrat enthalten sind. Zu hohe Konzentrationen können allerdings zu Hauterkrankungen führen.
Während des Einsatzes kann sich, aufgrund der Ausschleppungen von Öl und Emulgatoren durch die Späne, die Konzentration und die Tröpfchengröße von
17.2 Kühlschmierstoffe
394
Emulsionen verändern. Sie sollen daher laufend überwacht werden. Eine Änderung der Konzentration kann optisch über die Messung des Brechungsindex in einem Refraktometer bestimmt werden. Der Brechungsindex hängt gleichsinnig von der Dichte der Mischung und der Tröpfchengröße ab. In vielen Fällen ist aufgrund der steigenden Tröpfchengröße eine genauere Bestimmung der Konzentration mittels des Titrationsverfahrens erforderlich. Die Lebensdauer von Emulsionen kann durch Additivierung mit Bioziden, Netzmitteln und Stabilisatoren und durch gezielte Kontroll- und Pflegemaßnahmen verlängert werden [KNO86].
Die Entsorgung von Emulsionen ist aufwendig. Aus Gründen des Umweltschut-zes müssen bei der Entsorgung Öl und Wasser getrennt werden.
17.2.2.2 Wasserlösliche Kühlschmierstoffe
Kühlschmierstoffe, die mit Wasser gemischt Lösungen ergeben, werden als Kühl-schmierlösungen bezeichnet. Die Inhaltsstoffe sind im Wasser gelöst oder noch fei-ner verteilt als bei feindispersen Emulsionen. Diese Kühlschmierstoffe sind daher im Allgemeinen stabiler. Sie enthalten nur geringe (oder keine) Mengen an Mine-ralöl. Ihre Vorteile liegen in der starken Spül- und Kühlwirkung sowie in der guten Stabilität und Transparenz. Wässrige Lösungen sind in der Regel Salzlösungen. Ihnen werden u. a. organische Korrosionsschutzmittel gegen Rostbefall der Ma-schinenteile und Werkstücke und Netzmittel zugesetzt, um die Benetzungsfähigkeit zu verbessern. Weiter können Kühlschmierlösungen oberflächenaktive Substanzen (EP-Additive) enthalten [BAR81]. Als organische Inhaltsstoffe werden Polymere (z. B. auf Basis mehrwertiger Alkohole und Polyglykole), Ester und ähnliche Stof-fe verwendet. Mit höherem Gehalt an diesen Stoffen werden Schmierwirkung und Druckstabilität verbessert. Wegen der synthetischen Herstellung werden diese Lö-sungen auch als synthetische Kühlschmierstoffe bezeichnet.
17.2.3 Additivierung von Kühlschmierstoffen
Durch Zugabe von Additiven lassen sich die Eigenschaften von Kühlschmierstof-fen wesentlich verändern. Additive sind synthetische Verbindungen oder deren Mi-schungen. Letztere erlauben als „multi purpose additives“ Eigenschaftskombinatio-nen [VAM84, ROE95].
Zur Erhöhung der Schmierwirkung von Kühlschmierstoffen werden ihnen Zu-sätze zugegeben, die Adsorptions- und Reaktionsschichten ausbilden können. EP-Zusätze sollen unter hohen Drücken und Temperaturen das Verschweißen und Fres-sen verhindern. Meistens handelt es sich hierbei um Fettsäuren oder Chlor-, Schwe-fel- und Phosphorverbindungen, die auf Metalloberflächen Reaktionsschichten aus Metallseifen bzw. -chloriden, -sulfiden und -phosphiden bilden. Diese chemisch aktiven Stoffe bewirken bei niedrigen Temperaturen einen Anstieg des Reibwerts, da die Reaktionsschichten noch fest sind. Oberhalb einer bestimmten Tempera-
17 Kühlschmierung
395
tur weichen die Schichten auf und senken dadurch den Reibwert. Die Schicht der Metallseifen bzw. -salze bricht nach Überschreiten des Schmelzpunkts zusammen [BAR81, LAN73]. In Abb. 17.3 werden die Wirkbereiche der einzelnen Reaktions-produkte gezeigt.
Die EP-Additive enthalten im Allgemeinen nicht nur ein aktives Element. Häu-fig werden Kombinationen von mehreren Wirkstoffen verwendet. Bei der Auswahl der Zusätze muss berücksichtigt werden, dass sich diese in ihrer Wirkung auch gegenseitig beeinflussen können. Ob und welche Zusätze verwendet werden, hängt von der Art der Beanspruchung ab. Je schwieriger die Schnittbedingungen sind, desto höher legierte Kühlschmierstoffe werden eingesetzt.
Die Konzentration der EP-Additve ist kritisch. Zu geringer Gehalt mindert die trennende Wirkung, zu hoher Gehalt steigert den Verschleiß der Werkzeuge (Ver-schleißschmierung) [ROE95]. Durch Reagieren der Additive mit der Metallober-fläche verbrauchen sie sich. Ihre Konzentration im Basisöl nimmt ab.
Chlorhaltige Additive (z. B. Chlorparaffine) haben geringere Reaktionstempera-turen, hohe Druckbeständigkeit und sind nahezu universell einsetzbar. Sie wurden in der Vergangenheit daher häufig eingesetzt. Umweltanforderungen und damit ver-bundene Entsorgungsschwierigkeiten haben jedoch dazu geführt, dass inzwischen chlorhaltige Kühlschmierstoffe kaum noch angewendet werden. Gechlorte Flüssig-keiten werden als Sondermüll behandelt [HÖR87]. Inzwischen werden Kombina-tionen von anderen Additiven mit vergleichbarem Ergebnis eingesetzt.
Öl-in-Wasser-Emulsionen werden durch Zusetzen von Emulgatoren stabilisiert. Emulgatoren setzen die Grenzflächenspannung des Wassers herab. Sie bestimmen damit die Verteilung und Größe der Öltropfen im Wasser und ihre Haltbarkeit. Die Wirkung beruht darauf, dass die Öltropfen mit einem Seifenmantel umhüllt werden (Abb. 17.4). Dadurch wird eine Stabilisierung und eine Klebwirkung (polare Orientie-rung) an den Wirkpartnern erreicht [ROE95]. Es wird zwischen anion- und kation-ak-tiven sowie nichtionogenen Emulgatoren unterschieden [ZWI79, BAR81, MÜL87].
Abb. 17.3 Wirkbereiche der Reaktionsprodukte von Kühlschmierstoffzusätzen
Metallseifen
Metallchloride
Metallphosphide
Metallsulfide
0 200 400 600 800 1000°CTemperatur ϑ
17.2 Kühlschmierstoffe
396
Zur Verbesserung des Korrosionsschutzes der bearbeiteten Werkstücke werden Korrosionsinhibitoren eingesetzt. Sie dienen der Ausbildung von Deckschichten gegen den Durchlass von Wasser und Luft [BAR81]. Hierfür werden Aminsalze, Sulfonate und Benzotriazole verwendet.
Die Schmierwirkung von Ölen wird durch eine Schaumbildung negativ beein-flusst. Zudem wird ihre Oxidation aufgrund einer intensiveren Durchmischung mit Luft gefördert. Der Schaumvorbeugung dienen Schauminhibitoren oder Anti-schaummittel. Dies sind höhere Fettalkohole und Siliconöle. Siliconöle sind aller-dings schwer abzuwaschen, so dass sie sich störend auf die Endbehandlung der Fertigteile (z. B. Lackieren, Emaillieren) auswirken können [ZWI79].
Haftmittel dienen der Verbesserung des Haftvermögens von Kühlschmierstoffen an Werkstücken. Sie wirken sich durch eine Erhöhung der Viskosität der Kühl-schmierstoffe an der Grenzschicht zum Werkstoff positiv auf die Kühlschmierung aus [ZWI79]. Als Haftmittel werden polymere Kohlenwasserstoffe, wie Polymetha-crylate und Polysubutylene, eingesetzt.
Konservierungsmittel sind Biozide. Sie sollen den Kühlschmierstoff vor dem Befall von Mikroorganismen schützen. Bakterien, Pilze und Hefen können wasser-gemischte Kühlschmierstoffe als Nährboden nutzen und durch ihren Stoffwechsel die Inhaltsstoffe des Kühlschmierstoffs biochemisch abbauen. Dadurch wirken sie
Abb. 17.4 Aufbau einer Emulsion
Wasser
Öl–
–
––
– – ––
–
–
–
–
––
–––+
+ +
+–
–
–
Emulsionaufbau(schematisch)
hydrophober Teildes Emulgators
hydrophiler Teildes Emulgators
Emulsionaufbau(mikroskopische Aufnahme)
17 Kühlschmierung
397
sich nachteilig auf die Kühlschmiereigenschaften und den Hygienestatus des Kühl-schmierstoffs aus (als Stoffwechselprodukte können Toxine entstehen). Als geeig-nete Konservierungsmittel können formaldehydabgebende Stoffe oder Quecksil-berverbindungen zugesetzt werden [BAR81]. Um Hautschäden und Abwasserprob-lemen vorzubeugen, müssen solche Emulsionen kontinuierlich kontrolliert werden.
17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden
Kühlschmierstoffe verursachen zusätzliche Kosten und können Bediener, Umwelt und Teile der Maschine belasten [SCH04]. Auf Grund der Kosten und Entsorgungs-probleme müssen KSS ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden, da sie für eine Reihe von Prozessen unverzichtbar sind. In zunehmendem Maße wird an der Wiederaufbereitung verbrauchter KSS gearbeitet [ÖST03]. Die Kosten- und Umweltsituation führte zur Entwicklung der Minimalmengenschmierung (MMS), wodurch der Verbrauch an KSS reduziert werden konnte [WEI99]. Bei der MMS wird grundsätzlich unterschieden zwischen äußerer Kühlschmierstoff-Zufuhr über Sprühdüsen (Erzeugung von Aerosolen) und innerer Zufuhr über in das Werkzeug eingebrachte Kanäle [AUR06, STÄ04, LOI04]. Abbildung 17.5 zeigt die Austritts-öffnungen der Kühlkanäle bei einem Spiralbohrer. Die Minimalmengenschmierung MMS stellt gegenüber der Trockenbearbeitung einen Kompromiss zwischen Öko-logie, Arbeitshygiene, Betriebswirtschaft sowie Bearbeitungsqualität, Produktivi-tät und Effektivität dar. Da diese Schmiermittel aufgrund ihrer großen Oberfläche
17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden
Abb. 17.5 REM-Aufnahme der Austrittsöffnungen der Kühlkanäle eines Spiral-bohrers, Werkzeugdurchmes-ser = 8 mm
398
schneller verdampfen, ist es zudem wichtig, gesundheitlich unbedenkliche Substan-zen anzuwenden.
Um in der Fertigung auf umweltbelastende Kühlschmierungssysteme zu ver-zichten, wird die Verwendung biologisch abbaubarer Schmierstoffe, wie syntheti-sche Ester, erforscht. Bei der Verwendung von synthetischem Ester bei Außenlängs-drehprozessen führt das Fehlen von Additiven zu einer anderen Gewichtung der Verschleißmechanismen. Um dieses zu kompensieren und dennoch eine optimale Trennung der Wirkpartner im tribologischen Kontakt zu erzielen, werden neuarti-ge PVD-Beschichtungen entwickelt. Beim Drehen der Werkstoffe X5CrNi18-10 und 42CrMo4V mit mehrlagigen Schutzschichten des Typs TiAlN/γ-Al2O3 werden Standzeitgewinne und Verbesserungen des Werkzeugverschleißbilds ermöglicht. Bei dem Werkstoff 42CrMo4V kann sogar der Verzicht auf Kühlschmierung in Fra-ge kommen [KLO04]. Bei dem Werkstoff Inconel 718 wurden Bohrprozesse mit mehrlagigen TiAlN-Schichten, TiN/TiAlN-Schichten in Nanokompositausführung sowie TiAlN mit einer WC/C-Deckschicht der Werkzeuge durchgeführt. Gegen-über der Verwendung von Kühlschmieremulsion (6 %) wurde mit synthetischem Ester ein signifikanter Standzeitgewinn der Werkzeuge erzielt [KLO06a].
Beim Mikrofräsen zeigen ölbasierte Kühlschmiermittel gegenüber wasserbasier-ten bessere Ergebnisse. Auch durch Minimalmengenschmierung kann die Spanab-fuhr von der Wirkstelle sichergestellt werden. Die Viskosität des KSS muss niedrig genug sein, um die Wirkstelle zu erreichen. Sie darf jedoch nicht zu niedrig sein, damit sich ein Schmierfilm ausbilden kann. Dies zeigt, dass die Kühlschmierbedin-gungen für eine optimale Wirkung in Zerspanprozessen immer prozessspezifisch auszulegen sind [KLO06b].
Beim Bohren des Stahls C45E lässt sich beispielsweise trotz der Reduzierung des Kühlschmierstoffeinsatzes eine annähernd gleich bleibende Bohrungsqualität erzielen [WEI97]. Besonders bei der Minimalmengenkühlschmierung sind deutlich reduzierte Bohrmoment- und Vorschubkraftwerte möglich. Dies unterstreicht die Bedeutung des gezielten und an den Prozess angepassten Kühlschmierstoffeinsat-zes. Die Verwendung von Emulsion vermindert gegenüber anderen Kühlschmier-stoffkonzepten die Durchmesserabweichungen. Hinsichtlich der Rundheitsabwei-chungen und der Oberflächenrauheit ist die Minimalmengenkühlschmierung eine sehr gute Alternative. Die Bearbeitung von Bohrungen mit einem L/D-Verhältnis von über 2 bei reduziertem Kühlschmierstoffeinsatz ist nur mit Unterstützung der Spanabfuhr, z. B. durch Druckluftzufuhr, möglich, da ansonsten plastische Verfor-mungen der Bohrungswand in Folge von Wechselwirkungen mit dem Span auf-treten können.
Neue Erkenntnisse für die Stahlbearbeitung, die inzwischen bereits industriell angewendet werden, ergaben sich z. B. durch die Beeinflussung der Spanform beim Drehen durch Ultrahochdruckkühlung [DAH05]. Das Mischen eines 2-Komponen-ten-Kühlschmierstoffs direkt an der Werkzeugmaschine wurde erfolgreich durch den Einsatz eines Kühlschmierstoffs mit Schwefel-Additiv substituiert [BAU05]. Untersuchungen bei der spanenden Bearbeitung von Edelstahl zeigten, dass eine genaue Anpassung der Bearbeitungsparameter und der Einsatz einer MMS zu bes-seren Bearbeitungsresultaten führen [DEV05]. Eine günstige schmierende Wir-
17 Kühlschmierung
399
kung von Silber-Nanopartikeln in einer PVD-Werkzeugbeschichtung wurde ebenso nachgewiesen [ALB07].
Methoden zum Einsatz von Feststoff-Schmiermitteln wurden erfolgreich er-probt. Beim Drehen von gehärtetem Stahl wurden Werkzeuge eingesetzt, die mittels erodierter Kavitäten in der Span- bzw. Freifläche (Durchmesser D ≈ 200 µm) mit Molybdändisulfid MoS2 versehen wurden [JIA09]. Hierüber wird der Schmierstoff direkt in die Prozesszone eingebracht. Durch den Einsatz dieser Werkzeuge werden die Prozesskräfte und der Werkzeugverschleiß deutlich beeinflusst. Eine Schmier-kavität an der Freifläche bewirkt geringeren Freiflächenverschleiß des Werkzeugs gegenüber der nicht präparierten Schneidkante. Eine Kavität an der Spanfläche führt zu einer signifikanten Verringerung der Prozesskräfte und des Reibkoeffizien-ten. Ursache hierfür ist die Ausbildung eines MoS2-Schmierfilms zwischen Werk-zeug und Werkstück bzw. Span. Dieses unterstreicht, dass die gezielte Zuführung von Kühl- und Schmierstoffen eine signifikante Verbesserung des Werkzeugein-satzverhaltens bewirken kann.
Hochdruck-Kühlschmiersysteme wurden auf ihre Wirksamkeit hin analysiert [SHA09]. Bei solchen Systemen wird das Kühlschmiermedium gezielt in die Kon-taktzone zwischen Werkstück und Werkzeug zugeführt, so dass ein Fluiddruck zwischen den Reibpartnern entsteht. Experimentelle Zerspanuntersuchungen beim Drehen des schwer zerspanbaren Werkstoffs TiAl6V4 zeigen, dass hierdurch eine bessere Kühl- und Schmierwirkung erzielt wird. Dies bewirkt eine signifikante Re-duzierung der Aufbauschneidenbildung und des Diffusionsverschleißes des Werk-zeugs sowie eine Verbesserung der Oberflächenrauheit und des Spanbruchs und letztlich eine Verlängerung der Werkzeugstandzeit. Ähnliche signifikante Effekte werden mit MMS-Schmierung bzw. Ölnebel mit Drucklufteinsatz beim Drehen er-zielt. Hierbei wird die Prozesstemperatur gesenkt, wodurch wiederum die Schnitt-geschwindigkeit erhöht werden kann. Dominante Einstellgrößen hierbei sind die Art der Ölnebelerzeugung sowie die Orientierung der Zuführdüsen [TAK06].
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
Kühlschmieren ist für das Schleifen von besonderer Bedeutung. Durch die ver-gleichsweise große Kontaktfläche zwischen Schleifscheibe und Werkstück wird die Kühlschmierstoffzufuhr in den Schleifspalt erschwert. Die spezifische Energie beim Schleifen – das ist die je abgespantes Volumen notwendige Energie – ist ver-gleichsweise hoch (vergl. Kap. 4). Das ist bedingt durch große Reibanteile und sehr geringe Spanungsdicken beim Schleifen. Die zugeführte Energie wird auch hier na-hezu vollständig in Wärme umgesetzt. Im Schleifspalt entstehen hohe Temperatu-ren, die die Randzone des Werkstücks schädigen (Kap. 13), die erhöhten Verschleiß der Schleifwerkzeuge und die eine Zusetzung des aktiven Schleifraums bewirken können.
Die Kühlschmierstoffart und – zusammensetzung sowie die Reinigung und Aufbereitung des Kühlschmierstoffs haben Einfluss auf die Kühl- und Schmier-
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
400
wirkung in der Kontaktzone. Die Kühlschmierstoffzuführung mit Freiheitsgraden wie Düsengestaltung, Düsenposition, Größe des zugeführten Volumenstroms und Kühlschmierstoffdruck bilden die Randbedingungen dafür, ob und wie viel Kühl-schmierstoff in die Kontaktzone gelangen kann.
Um eine hohe Wirkung zu erzeugen, wurden unterschiedliche Düsen für ver-schiedene Schleifaufgaben entwickelt. In der Praxis am Weitesten verbreitet sind die Überflutungsdüsen. Hierbei wird unterschieden zwischen Freistrahldüsen und Düsen ohne Freistrahl. Bei den Freistrahldüsen gibt es starre Rohrsysteme und seg-mentierte Schlauchsysteme. Die Vorteile der Freistrahldüsen liegen in ihrer ein-fachen Installation und Handhabung. Sie sind darüber hinaus relativ preisgünstig. Nachteilig ist, dass mit diesen Düsen das Luftpolster um die Schleifscheibe her-um meist nicht überwunden werden kann. Um die Benetzung der Schleifscheibe mit Kühlschmierstoff sicherzustellen, können Luftpolsterabweiser eingesetzt wer-den, die die Wandströmung der Luft, den sogenannten Luftmantel, abschwächen [BRÜ96]. Der Nutzen von Luftpolsterabweisern wird besonders beim Hochge-schwindigkeitsschleifen gesehen [OKU93, INA98]. Abbildung 17.6 zeigt deutlich, dass sich ein Luftmantel vor der Wirkstelle aufbaut.
Der recht hohe Kühlschmierstoff-Volumenstrom erreicht meist nicht die opti-male Reinigungswirkung. Hinzu kommt, dass bei Verwendung von segmentierten Schlauchsystemen die Position der Düse oft nicht reproduzierbar einzustellen ist.
Vorteile bieten Düsen ohne Freistrahl, so genannte Schuhdüsen. Sie sind in der Lage, das Luftpolster zu durchbrechen. Durch ihre bessere Kühlwirkung kommt es zu geringerer Randzonenschädigung des Bauteils. Kühlschmierstoffstrom und – druck sind geringer als bei den Freistrahldüsen, die Effektivität kann durch Leitele-mente noch erhöht werden. Die Installation der Schuhdüsen ist allerdings deutlich aufwändiger als die der Freistrahldüsen. Bei stark verschleißenden Schleifscheiben
Abb. 17.6 Einfluss des Luftpolsters auf die Kühlschmierstoffbenetzung der Schleifscheibe [EBB00]
vc = 33,5 m/s
Abstand Schleifscheibe / Werkstück: 80 µm
Kühlschmierstoff
LuftpolsterSchleifscheibe
Vc
Werkstück
17 Kühlschmierung
401
oder bei komplexen Schleifscheibengeometrien sollten Schuhdüsen nicht einge-setzt werden.
Wesentlich weniger Kühlschmierstoff benötigen nicht überflutende Düsen, zu denen Punkt- und Nadelstrahldüsen sowie Sprühdüsen zählen. Punkt- und Nadel-strahldüsen lassen sich individuell an das Profil der Schleifscheibe anpassen. Sie liefern dann einen gleichmäßigen gerichteten Strahl mit geringem Verlustvolumen-strom. Allerdings ist eine höhere Pumpenleistung erforderlich, und die Einrich-tung ist an das Profil der Schleifscheibe gebunden. Die Sprühdüsen, die den Kühl-schmierstoff fein zerstäubt der Wirkstelle zuführen, benötigen sehr wenig Kühl-schmierstoff, da sie durch ein Aerosol aus Kühlschmierstoff und Luft schmieren (MMS). Probleme durch das mitrotierende Luftpolster und die geringe Spanabfuhr sind zu beachten. Sprühdüsen sind für Schleifprozesse nur bedingt einsetzbar, da die Kühlwirkung oft nicht ausreichend ist.
Weitere Lösungen, wie z. B. Innenkühlung, bei der der Kühlschmierstoff durch die Scheibe nach außen strömt, oder segmentierte Schleifscheiben, stellen bisher noch Ausnahmen dar.
Die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kühlschmierstoff-Zufuhrdüsen sind in der Tab. 17.4 als Übersicht zusammengestellt.
Der Versuch, den Kühl- und Schmierstoffbedarf durch ein Überangebot an Kühl-schmierstoff vor der Eingriffszone zu decken, ist untauglich. Der maximale Volu-menstrom, der durch einen Schleifspalt fließt, ist geometrisch begrenzt. Überschüs-sige Mengen werden von der Schleifscheibe zurückgeschleudert [MAL92].
Höhere Kühlschmierstoffvolumenströme haben weitere Nachteile. Steigende Kräfte zwischen Werkzeug und Werkstück und eine Erhöhung der notwendigen Spindelleistung sind Folgen eines gesteigerten Kühlschmierstoffangebots [BRI93, TRE95, BRÜ96]. Hier wirken sich druckaufbauende, hydrodynamische Effekte vor und in der Kontaktzone aus. In Abb. 17.7 ist die Wirkung des Kühlschmier-stoffvolumenstroms auf die Normalkraft, die sich aufgrund des Flüssigkeitsdrucks
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
Tab. 17.4 Kühlschmierstoff-Zufuhrsysteme im Vergleich
402
aufbaut, für verschiedene Schnittgeschwindigkeiten beim Außenrundschleifen dar-gestellt. Die Kräfte wurden beim Ausfunken gemessen, d. h. eine radiale Vorschub-bewegung fand nicht statt. Es ist zu erkennen, dass unabhängig von der Schnitt-geschwindigkeit stationäre Werte für die Flüssigkeitsdruckkräfte erreicht werden. Die Flüssigkeitsdruckkraft steigt mit dem Kühlschmierstoffvolumenstrom stark an. Die daraus resultierende Normalkraft addiert sich zu der vom Prozess herrührenden Kraft. Gerade beim Hochgeschwindigkeitsschleifen kann somit eine Schleifkraftre-duzierung nicht erreicht werden [TRE95]. Durch diese starke Kraftwirkung können Verformungen im Werkstück auftreten und sich negative Einflüsse auf die Maß- und Formgenauigkeit der geschliffenen Werkstücke zeigen.
Auch die notwendige Spindelleistung wird mit erhöhtem Volumenstrom stark vergrößert. Dabei wirkt sich der Schleppeffekt von Flüssigkeit durch die Schleif-scheibenrotation aus. Die dadurch bedingte Verlustleistung kann bis zu 80 % der Gesamtleistung betragen [BRI93, KLO97, TAW90] (Abb. 17.8).
17.4.1 Methoden zur Bestimmung der Kühlschmierstoffwirkung beim Schleifen
Um die Wirkung der Kühlschmierung beim Schleifen zu analysieren, wurden von Brinksmeier und Mitarbeitern verschiedene Labormethoden entwickelt (Abb. 17.9). Dazu wird der Druck im Schleifspalt, die Menge des durch die Kontaktzone geför-derten Kühlschmierstoffs und die Kühlwirkung gemessen. Die Strömung innerhalb von Kühlschmierstoffdüsen wird in geeigneter Weise sichtbar gemacht.
Abb. 17.7 Auswirkung des Kühlschmierstoffvolumenstroms in Abhängigkeit der Schnittge-schwindigkeit auf die Flüssigkeitsdruckkraft [TRE95]
bez.
Flü
ssig
keits
druc
kkra
ft F
’ n K
SS
bez. Kühlschmierstoffvolumenstrom Q’KSS
Schleifscheibe : B126 GYB 200Kühlschmierstoff : Öl (υ = 25 mm2/s)Zustellung : ae = 0 µm
Schuhdüse
VcVw
Fn KSS
VC = 180 m/s
VC = 120 m/s
VC = 90 m/s
VC = 60 m/s
15
9
6
3
00 0,5 1,0 1,5 2,0
Nmm
I / (min mm) 3,0
17 Kühlschmierung
403
Zur Druckmessung wird ein Sensor in einer oder mehreren Messbohrungen im Werkstück montiert. Durch den Einsatz mehrerer Sensoren entlang der Mantel-linie der Schleifscheibe lassen sich Druckprofile aufnehmen. Beim Überschlei-fen der Sensorreihe ist das zeitliche oder örtliche Profil erkennbar (s. Abb. 17.9, oben links). Eine Integration des Drucks über der Kontaktfläche gestattet die Bestimmung der Normalkraft, die durch den Flüssigkeitsdruck verursacht wird [HEI99].
Die rechte obere Darstellung in Abb. 17.9 zeigt den Messaufbau, mit dem Kühl-schmierstoff hinter dem Schleifspalt beim Planschleifen aufgefangen werden kann. Mit einer sehr sinnreichen Methode (Abb. 17.9, links unten) wird die Kühlwir-kung bestimmt. Mit der Schleifscheibe wird in das Werkstück eingeschliffen. Das Werkstück wird von einer konstanten Wärmequelle aufgeheizt und die Temperatur im Werkstück über Thermoelemente gemessen. Diese Thermoelemente zeigen die Kühlwirkung bei unterschiedlicher Kühlschmierstoffzufuhr an [BRI04b].
Abbildung 17.9, rechts unten, zeigt die Möglichkeit der Strömungsvisualisie-rung mit Hilfe eines Lichtschnittverfahrens. Durch eingelagerte Tracerpartikel kann die Strömungsverteilung verfolgt werden. So lassen sich Rückströmungen oder Strömungsablösungen in der Düse, die die Wirksamkeit der Kühlschmierstoffzu-führung beeinträchtigen, feststellen. Auch der Grenzbereich zwischen Schleifschei-be und Düse kann so näher untersucht werden. Durch die rotierende Schleifscheibe eingebrachte Luftbläschen, die die Kühlwirkung in der Kontaktzone herabsetzen, sind so zu beobachten [HEI99].
Abb. 17.8 Einfluss der Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit und des Kühlschmiermittelvolu-menstroms auf die Verlustleistung [BRI93]
0,6
kWmm
0,4
0,3
0,2
0,1
00 20 40 60 80 100 120 140 160 180 m/s 220
Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit vc
bez.
Ver
lust
leis
tung
P' v
130 l/min
100 l/min
80 l/min
KSS-Volumen-strom QKSS
50 l/min
30 l/min
Schleifscheibe : B151 G
: ds = 400 mm: ae = 0 um
: vft = 10 m/min
: Mineralöl
Scheibendurchmesser
Zustellung
WerkstückgeschwindigkeitKühlschmierstoff
Schleif-scheibe Vc
Vft
Werkstück
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
404
17.4.2 Anwendungen und Wirkungen
Zum Schleifen werden üblicherweise flüssige Kühlschmierstoffe verwendet, um Randzonenschäden am Werkstück zu vermeiden (s. Kap. 13). Es werden Mine-ralöle, Emulsionen und Lösungen eingesetzt. Sie unterscheiden sich in ihrer Wir-kung erheblich. In Abb. 17.10 ist der Einfluss von unlegiertem Mineralöl und von
Abb. 17.9 Labormethoden zur Untersuchung der Kühlschmierstoffwirkung beim Schleifen [HEI99, BRI01, BRI04b]
Druckmessung
Drucksensor
Durchflussmessung
Schleif-scheibe
KontaktzoneSchleifscheibe
Schleif-scheibe
KSS-Auffangvorrichtung
KSS-Sammel-behälterWerkstück
Werk-stück
Zeit
QKSS vc
vc
vft = 0
Messung der Kühlwirkung Stömungsvisualisierung
Schuhdüse mitLeitelementen
Schleifscheibe
Thermoelemente
Werkstück
WerkstückHeizplatte
Lichtschnitt
KS
S-D
ruck
50
bar
25
00 2 s 6
vc
vc
vft
vft
vfr
vcQKSS
QKSS
QKSS
vfr = 0
Abb. 17.10 Einfluss der Kühlschmierstoffarten auf den Schleifprozess [HEU92]
12
µm
8
6
4
2
00 4000 8000 12000 mm3/mm 20000
0
40
80
120
160
µm
240
Rad
ialv
ersc
hlei
ß ∆
r s
Ra Emulsion
∆rs Öl
Ra Öl
bez. Zerspanvolumen V'w
gem
ittel
te R
autie
fe R
a
∆rs Emulsion
Verfahren :Außenrund-einstechschleifen
Schleifscheibe:B64 VSS 2804 GA V360ds = 50 mmvc = 60 m/s
Werkstück :100Cr6, 62 HRCdw = 60 mmvft = 1 m/s
Abrichten :Topfscheibe D 301aed = 2 µm; Ud = 25qd = –0,7
Kühlung :Emulsion 5 %EP-ZusätzeMineralöl unlegiertQKSS = 45 l/min
17 Kühlschmierung
405
5 % iger Emulsion auf den Radialverschleiß beim Außenrundquerschleifen wie-dergegeben. Die Untersuchungen wurden mit CBN-Schleifscheiben durchgeführt. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch mit Korundschleifscheiben. Die Annahme, CBN-Schleifmittel verschlissen aufgrund hydrolytischer Vorgänge, erscheint nicht haltbar. Vielmehr ist der überwiegende Einfluss aus einem starken Bindungsver-schleiß zu erklären, der bei wassergemischten Kühlschmierstoffen wegen stärkerer Reibung zwischen Span und Bindung auftritt und der zu einem vorzeitigen Freiset-zen der Hartstoffkörner führt. Dies wird auch durch die im Bild dargestellte Rauheit bestätigt. Unter Emulsionen treten erheblich größere Rauheiten auf, weil ständig Körner ausbrechen und dadurch geringere Kornzahlen zu höheren mittleren Spa-nungsdicken je Schneide führen [HEU92].
Die gegenüber Emulsionen deutlich verbesserte Schmierwirkung von Öl zeigt sich auch in der Höhe der Schleifkräfte (Abb. 17.11). Die Reibung wird herab-gesetzt, gleichzeitig ist aber die Zahl der aktiven Schneiden größer. Aus diesen gegenläufigen Einflüssen folgt der typische Kraftverlauf. Die in der Anfangspha-se des Schleifprozesses auftretenden erhöhten Kräfte sind mit einem Zurückset-zen des Bindungsniveaus und einem Ausbruch gelockerter Schleif- und Füllkörner verbunden. Dies führt dazu, dass vor allem bei Emulsionskühlung die Anzahl der aktiven Körner stark abnimmt. Infolgedessen sinken die Schleifkräfte insbesondere am Anfang deutlich ab. Durch den starken Bindungsverschleiß bei der Emulsions-kühlung stellt sich ein stationärer Zustand ein, bei dem eine weitaus geringere Zahl von aktiven Körnern vorliegt als bei der Ölkühlung. Dadurch stellen sich geringere Normalkräfte als bei Verwendung von Öl ein. Die besseren Schmiereigenschaften des Öls führen allerdings zu einer geringeren Reibverhältnis µ, so dass bei Öl trotz
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
Abb. 17.11 Einfluss der Kühlschmierstoffarten auf die Schleifprozesskräfte [HEU92]
Verfahren :Außenrund-einstechschleifen
Schleifscheibe:B64 VSS 2804 GA V360ds = 50 mm; vc = 60 m/s
Werkstück :100 Cr 6, 62 HRCdw = 60 mm; vft = 1 m/s
Abrichten :Topfscheibe D 301aed = 2 µm; Ud = 25qd = –0,7
Kühlung :Emulsion 5 %, EP-ZusätzeMineralöl unlegiertQKSS = 45 l/min
10
20
10
5
0
bez.
Sch
leif-
norm
alkr
aft F
' n
bez.
Sch
leif-
tang
entia
lkra
ft F
' t
5
2,5
0
Nmm
Nmm
bez. Zerspanvolumen V'W
0 5000 10000 20000mm3/mm
Emulsion 5 %
Emulsion 5 %
Mineralöl unlegiert
Mineralöl unlegiert
Q'W = 2 mm3/mms
Q'W = 12 mm3/mms
Q'W = 12 mm3/mms
Q'W = 2 mm3/mms
406
einer höheren Zahl aktiver Schneiden geringere Tangentialkräfte als bei Emulsion auftreten [HEU92].
Der Einfluss unterschiedlicher Düsengeometrien wird im Folgenden durch Ver-suche zum CBN-Außenrundschleifen mit drei Tangentialdüsen mit einem Austritts-querschnitt von 30, 45 und 60 mm² dargestellt. Um die Kühlwirkung zu beurteilen, werden Oberflächeneigenspannungen in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge Q′KSS gemessen (Abb. 17.12). Bei gegebenem Düsenquerschnitt vergrößert sich die Strahlgeschwindigkeit mit der Durchflussmenge. Größere Strahlgeschwindigkeiten verbessern offenbar die Haftung des Kühlschmierstoffs an der Schleifscheibe, und das umgebende Luftpolster wird leichter überwunden. Größere Anteile der insge-samt zugeführten Kühlschmierstoffmenge gelangen in die Kontaktzone [CZE99], es kommt zu einer geringeren thermischen Belastung des Werkstücks. Damit ein-her geht die Reduzierung von Zugeigenspannungen, die – wie in Kap. 13 erläutert wurde – typisch für thermische Beeinflussung sind.
Einen Vergleich des Einflusses von Tangential- und Schuhdüsen auf die Eigen-spannungsverteilung in der Werkstückoberfläche zeigt Abb. 17.13. Offenbar gelingt es mit Schuhdüsen, den Kühlschmierstoff wirkungsvoller in die Kontaktzone zwi-schen Schleifscheibe und Werkstück einzuführen und damit Kühl- und Schmierwir-kung zu verbessern. Unter sonst gleichen Einstellbedingungen kann mit der Schuh-düse ein thermischer Einfluss nahezu vollständig unterdrückt werden. Es entstehen Druckeigenspannungen, die auf dominante, mechanische Randzonenbeeinflussung hindeuten.
Durch Minimalmengenschmierung (MMS) oder reine Trockenbearbeitung lässt sich die Kühlschmierstoffmenge beim Schleifen drastisch verringern oder es kann gänzlich auf Kühlschmierstoff verzichtet werden. Um den Einfluss der MMS und Trockenbearbeitung beim Innenrundschleifen mit mikrokristallinem Aluminioxid
Abb. 17.12 Eigenspannungen an der Werkstückoberfläche für unterschiedliche Düsenquer-schnitte und Durchflussmengen [CZE99]
VerfahrenAußenrund-Umfangs-QuerschleifenCBN-Schleifscheibe
M 151 VR 150 N
AbrichtbedingungenFormrolle U 75 B; Ud = 15,qd = 0,8; aed = 0,5 µm; id = 3
SchleifenVc = 100 m/s; q = -150Q‘w = 10 mm3/mm*s
Werstück100 Cr 6 gehärtet; 63 HRC
röntgenographischeEigenspannungsanalyse
Strahlung CrKαWellenlänge λ = 0,2291 nmBragg−Winkel 2θ = 156,44°Netzebene 211Eindringtiefe τ = 4,1 − 6,1 µm
Kühlung:
Mineralöl
800
MPa
600
500
00
1 2 3 4 5 7l/min*mm
bez. Kühlschmierstoffdurchflussmenge Q’KSS
30
45
60
Düsenaustritts-querschnitt AKSS in mm2
Eig
ensp
annu
ngen
σ
=
17 Kühlschmierung
407
zu untersuchen, wurden diese Bedingungen mit konventioneller Überflutungs-kühlschmierung verglichen. Durch MMS wurde die Kühlschmierstoffmenge von QKSS = 11 l/min auf QKSS = 0,4 l/min reduziert. Für MMS wurde ein synthetischer Ester eingesetzt, bei der konventionellen Überflutung ein unlegiertes Mineralöl.
Die Trockenbearbeitung führt mit zunehmender Schleifzeit bzw. zunehmendem Zerspanvolumen zu einem starken Anstieg der Prozesskräfte (Abb. 17.14). Bereits
Abb. 17.13 Einfluss von Kühlschmierstoff und Düsenart auf den Eigenspannungstiefenverlauf [CZE99]
0
800
MPa
400
200
–200
–4000 20 40 60 80 µm 120
MineralölEmulsion
Tangentialdüse
Abstand von der Oberfläche z
VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen
CBN-SchleifscheibeM 126 VR 100 N
Schleifen
Q‘w = 10 mm3/mm*sVc = 100 m/s; q = –150
Werkstück100 Cr 6 gehärtet63 HRC
Kühlung30 l/min; 9 bar
röntgenographischeEigenspannungsanalyse
Strahlung CrKαWellenlänge λ = 156,44°Netzebene 211Eindringtiefe τ = 4,1 - 6,1 µm
Eig
ensp
annu
ngen
σII
Schuhdüse
17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen
Abb. 17.14 Schleifkräfte in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge [BRU98]
12
Nmm
mm3/mm
4
0
00
6
mmN
2
100 200 400
bez.
Nor
mal
kraf
t F’ n
bez.
Tan
gent
ialk
raft
F’ t
bez. Zerspanvolumen V’w
trocken
trocken
Zusetzung
Zusetzung
Überflutungskühlschmierung
Überflutungskühlschmierung
MMS
MMS
Verfahren:Innenrund-Umfangs-Querschleifen
Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40 m/s
Werkstück:16 MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s
Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6aed = 3 µm; apd = 1 mm
Überflutungskühlung:Mineralöl; QKSS = 11 l/minMMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min
408
nach einem bezogenen Zerspanvolumen von V’w = 160 mm3/mm, das entspricht einer Schleifzeit von weniger als 3 min, musste der Versuch wegen Zusetzens des aktiven Schleifraumes abgebrochen werden. Bei Überflutungskühlschmierung stei-gen die Kräfte zunächst an, bleiben dann aber konstant. Interessant ist, dass das Kraftniveau bei MMS grundsätzlich minimal ist. Gründe dafür sind das Fehlen einer hydrodynamischen Kraftwirkung und die im Vergleich zum Mineralöl bessere Schmierwirkung des eingesetzten Esters [BRU98].
Der Schleifscheibenverschleiß bei MMS liegt zwischen dem der Überflutungs-kühlschmierung und der Trockenbearbeitung (Abb. 17.15). Dies ist auf die redu-zierte bzw. fehlende Kühlwirkung zurückzuführen. Durch erhöhte thermische Be-lastung von Schleifkorn und Bindung stellt sich ein größerer Verschleiß ein. Die mit MMS erzielbaren Werkstückrauheiten liegen nur geringfügig über denen nach dem Schleifen mit Überflutungskühlschmierung. Die Rauheitswerte nach dem Trocken-schleifen sind wesentlich größer.
Neben der mikrogeometrischen Ausbildung der Oberfläche wurde der Einfluss der MMS und Trockenbearbeitung auf die Werkstückrandzone analysiert und mit konventioneller Kühlschmierung verglichen. Abbildung 17.16 zeigt Gefüge-schliffbilder der Werkstückrandzone quer zur Bearbeitungsrichtung und Oberflä-cheneinspannungen parallel zur Schleifrichtung in Abhängigkeit vom Zerspan-volumen bzw. von der Schleifzeit. Bei der Trockenbearbeitung traten thermische Schädigungen in Form von Anlass- und Neuhärtungszonen auf (Bildung weißer Schichten). Eigenspannungsmessungen zeigten, dass die Oberflächenwerte für die Trockenbearbeitung im Vergleich zu den beiden anderen Bedingungen um
Abb. 17.15 Radialverschleiß und Werkstückrauheit in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge [BRU98]
Zusetzung
trocken
MMS
Überflutungskühlschmierung
Überflutungskühlschmierung
Zusetzung
trocken MMS
20
10
5
0
20
µm
µm
12
8
4
00 100 200 400mm3/mm
bez. Zerspanvolumen V’w
gem
ittel
te R
autie
fe R
ZR
adia
lver
schl
eiß
r s Verfahren:
Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40 m/s
Werkstück:16MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s
Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6
MMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min
aed = 3 µm; apd = 1 mm
Überflutungskühlschmierung:Mineralöl; QKSS = 11 l/min
lnnenrund-Umfangs-Querschleifen
17 Kühlschmierung
409
mehr als 100 MPa in Richtung Zugeigenspannungen verschoben sind. Die Ober-flächeneigenspannungswerte bei MMS und Überflutungskühlschmierung sind nicht signifikant voneinander unterscheidbar. Auch Untersuchungen bei erhöh-tem Zeitspanvolumen von Q'w = 2,5 mm3/mms zeigten keine Schädigungen des Werkstückgefüges.
Es lässt sich also feststellen, dass sich durch den Einsatz einer Minimalmen-genschmierung geringere Prozesskräfte verglichen mit einer konventionellen Über-flutungskühlschmierung erreichen lassen. Der Schleifscheibenverschleiß und die Werkstückrauheit liegen geringfügig über den Vergleichswerten. Die Randzonen-beeinflussung entspricht der Überflutungskühlschmierung. Beim Innenrundschlei-fen ohne flüssigen Kühlschmierstoff konnte nur mit kleinen Zeitspanvolumina über begrenzte Schleifzeit- bzw. Zerspanvolumen gearbeitet werden. Trockenschleifen ist aber wirtschaftlich möglich in einer Verfahrenskombination von Hartdrehen und Schleifen (s. Kap. 11).
Fragen
1. Welche Hauptanforderungen an Kühlschmierstoffe sind Ihnen bekannt? Nen-nen und erläutern Sie diese.
2. Was sind die Zusatzfunktionen von Kühlschmierstoffen? 3. Welche Kühlschmierstoffmedien sind Ihnen im Hinblick auf ihren Aggregat-
zustand bekannt? 4. Geben Sie eine Einteilung der flüssigen Kühlschmierstoffe an.
Abb. 17.16 Gefüge und Eigenspannungen der Werkstückrandzone [BRU98]
300
100
–100
–200
0
0 50 100 mm3/mm 200
Eig
ensp
annu
ngen
σII
bez. Zerspanvolumen V’w
Trocken
Überflutungs-kühlschmierung
MMS
MMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min
Überflutungskühlschmierung:Mineralöl; QKSS = 11 l/min
Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6aed = 3 µm; apd = 1 mm
Werkstück:16 MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s
Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40m/s
VerfahrenInnenrund-Umfangs-Querschleifen
25 µm
MPa
Fragen
410
5. Welche Vorteile bietet die Anwendung von Emulsionen gegenüber nichtwas-sergemischten Kühlschmierstoffen?
6. Warum ist bei der Verwendung von Kühlschmieremulsionen die Messung des Refraktometerwertes notwendig, und was versteht man darunter?
7. Der Einsatz von Ölen ist in der Industrie mit erheblichem Aufwand verbunden. Nennen Sie Faktoren, die bei der Verwendung von Ölen zu beachten sind.
8. In welche Untergruppen werden die nichtwassergemischten Kühlschmierstoffe in der DIN 51520 eingeteilt?
9. Was versteht man unter EP-Additiven?10. Welche Aufgaben haben Konservierungsmittel als Additive für Kühlschmier-
stoffe, und was ist bei ihrer Zusetzung zu beachten?11. Warum trifft die in der Praxis oft zu beobachtende Kühlschmierstoffzuführung
nach der Maxime „viel hilft viel“ nicht zu?12. Welche Methoden zur Optimierung von Kühlschmierstoffzuführungen beim
Schleifen sind Ihnen bekannt?13. Nennen Sie Möglichkeiten zur Reduzierung des Kühlschmiermitteleinsatzes
und bewerten Sie diese im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Produktivität beim Schleifen.
14. Unter welchen Randbedingungen scheint eine Trockenbearbeitung beim Innen-rundschleifen möglich zu sein?
Literatur
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17 Kühlschmierung
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17 Kühlschmierung
413
Lösung der Aufgabe zu Kap. 3, Frage 9:a. Der Krümmungsradius des Spans beträgt:
Die Dehnung εr des gebogenen Spans ergibt sich zu
wobei die Spandicke h' = 0,158 mm aus der Spandickenstauchung
λh = h′
h mit den Beziehungen hh0
= sin φ und h′
h0= cos (φ − γ )berechnet
wird. Da die Bruchdehnung des Spans εb = 7,1 % beträgt, bricht der Span bei den ge-gebenen Bedingungen nicht.
b. Die Dehnung im Span muss größer als die Bruchdehnung sein. Dies ist durch die Vergrößerung der Spanungsdicke bzw. des Vorschubs zu erreichen.
Lösung der Aufgabe zu Kap. 4, Frage 26:Für die Lösung werden die Gl. 4.44, 4.49, 4.53, 4.54 und 4.55 benötigt.
Aus Abb. 4.14 folgt ρ = arctan µ = 11,3 und mit Gl. 4.44 φ = 36,4.Aus Gl. 4.49 und 4.53 folgt die Tangentialkraft ⇒ FTφ = 260,9 N.
Die Zerspankraft bestimmt mit Gl. 4.54 ⇒ Fz = 440,7 N.Die Schnittkraft ergibt sich aus Gl. 4.55 mit φ und Fz ⇒ Fc = 421,0 N.
εr =l
1=
h′ϕ
2(R0 − h′) · ϕ= 0, 05 = 5 %
h ≥2εb · R0
λh · (2εb + 1)= 0,143 mm
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
Kapitel 18Anhang
414
Lösung der Aufgabe zu Kap. 5, Frage 17:a) Aus dem Geschwindigkeitsplan (Abb. 2.12) des Scherebenenmodells folgt Gl.
2.10. Mit dem Additionstheorem ergibt sich λh zu
λh =cos γ
tan φ+ sin γ , daraus folgt: φ = arctan
[cos γ
λh − sin γ
]
Mit Gl. 5.12 lässt sich das Verhältnis kM ,HSC
kM ,konv.= 9,5 bestimmen.
b) Geschwindigkeitseinfluss: vc,HSC2
vc,konv.2 = 11,1
Scherwinkeleinfluss: cos2 (φkonv. − γ )
cos2 (φHSC − γ )= 0,85
Daraus lässt sich ableiten, dass der Einfluss des Scherwinkels gering gegenüber der Schnittgeschwindigkeitssteigerung ist.
c) Nach dem Fließkriterium von Tresca (Gl. 4.49) folgt:
Mit Gl. 5.3 lässt sich die spezifische Stoffumformenergie und mit Gl. 5.12 die spezifische Stoffumlenkungsenergie bestimmen. Daraus ergeben sich die folgen-den Verhältnisse:
d.h. der Anteil der Stoffumlenkungsenergie entspricht 5,5 % der Stoffumforme-nergie.
d.h. durch die HSC-Bearbeitung steigt der Anteil der Stoffumlenkungsenergie in Relation zur Stoffumformenergie auf 29,5 % an.
Lösung der Aufgabe zu Kap. 7, Aufg. 24:Die Taylorgleichung lautet: C = vc · T−(1/k)
Durch eine Optimierung der Stückzeit hinsichtlich einer zeitlich optimalen Standzeit ergibt sich die Gleichung:
⇒ φkonv. = 35,1
⇒ φHSC = 16,5.
τmax, konv. = 77,5 MPa und τmax, HSC = 73,5 MPa
kM ,konv.
kφ,konv.= 0,055;
kM ,HSC
kφ,HSC
= 0,295;
vcTopt = C · [twz (−k − 1)]1/k.
18 Anhang
415
Die Bestimmung von k und C für VB = 0,2 mm (siehe Aufgabenstellung) ergibt:
Der Taylorexponent k ergibt sich aus der Steigung der Taylor-Geraden:
Aus der Taylorgleichung errechnet sich die Minutenschnittgeschwindigkeit:
Die zeitoptimale Schnittgeschwindigkeit ergibt sich somit zu:
vc1 = 14 m/min T14 = 110 min
vc2 = 35 m/min T35 = 11 min
k =log 110 − log 11
log 14 − log 35= −2,513.
C = vc1 · T−(1/k)
14 = 14m/min ·110−(1/−2,513) = 90,9 m/min
vcTopt = 90,9 m/min ·[6 · (2,513 − 1)]1/−2,513 = 37,8 m/min.
Anhang
417
Allgemeine Literatur
Über die Technologie der spanenden Fertigungsverfahren gibt es ein breites Schrifttum. Einige umfassende Darstellungen, welche die zu diesem Buch gehörende Vorlesung begleiten können, sind hier aufgeführt. Spezielles Schrifttum zu einzelnen Abschnitten oder Quellennachweise sind jedem Kapitel angefügt.
[ALT00] Altintas, Y.: Manufacturing Automation. Metal Cutting Mechanics, Machine Tool Vibrat-ions, and CNC Design. Cambridge: Cambridge University Press, 2000.
[ARM69] Armarego, E. J. A.; Brown, R. H.: The Machining of metals. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall, 1969.
[DEG09] Degner, W.; Lutze, H.; Smejkal, E.: Spanende Formung. Theorie, Berechnung, Richt-werte. 16. Aufl., München: Hanser Verlag, 2009
[KLO05] Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren. Bd. 2: Schleifen, Honen, Läppen. 4. Aufl., Berlin: Springer Verlag, 2005
[KLO08] Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren. Bd. 1: Drehen, Fräsen, Bohren. 8. Aufl., Berlin: Springer Verlag, 2008
[SHA05] Shaw, M. C.: Metal cutting principles. 2nd Edition, Oxford: Oxford University Press, 2005
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
419419
Sachverzeichnis
B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
BBahngeschwindigkeiten, 51Bahnsteuerung, 15Bainit, 161Bandschleifen, 261Bandspäne, 38Bankarbeit, 208Beim Spanen mit geometrisch bestimmten
Schneiden, 3Beschichtung, 176
CVD, 178PVD, 178
Beschleunigungsvermögen, 209Betriebsbeanspruchung, 235Bezugsgröße, 56Bindung, 270Bindungshärte, 272Bindungstege, 272Bindungsverschleiß, 294Blei, 44Bohren, 9, 74
Aufbohren, 10ins Volle, 10Senken, 10
Bohrlochmethode, 373Bohrmoment, 77Bornitrid, 231, 264, 268
kubisches, 193Bremszeiten, 206Bröckelspäne, 38Brüchigkeit, 265Bruchindex, 265Bruchzähigkeit, 231BY-Behandlung, 161
CCa-behandelter Stahl, 159CBN, 268
AAbrasion, 144, 294Abrichten, 302, 324Abrichtkosten, 311Abrichtzahnrad, 333Abrieb, 144Abschieferung, 138Absplittern, 294Abweichung,
stochastisch, 357systematisch, 357
Achskreuzungswinkel, 331Adaption, 342Additive, 394Adhäsion, 146adiabater Abfall, 204Aktivkraft, 52Aluminiumoxid, 158, 186, 264Anfangswirkrautiefe, 306Anfasen, 162Anlassgefüge, 301anodischen Abtrag, 310Anschliff, 12Anstiegswert, 56äquivalenter Radius, 282Arbeitsebene, 5, 281Arbeitseingriff, 281arithmetischer Mittenrauwert, 365ASI-Methode, 342Aufbauschneide, 24Aufbohren, 14Aufmaß, 224Ausbrechen, 294Ausfeuern, 218Ausgangsgrößen, 279, 294Ausgangsoperanden, 8Ausspitzen, 13
420420
El-Magd, 72Emissionszahl, 98Entspänen, 9Ermüdungsrisse, 242Ernst und Merchant, 66Euler-Formulierung, 127Evolventenverzahnungen, 320
FFarbeindringprüfung, 375Federenergie, 89Feinbearbeitungsverfahren, 261Feinkornhartmetalle, 221Feinstkornhartmetalle, 231Ferrit, 156, 161Fertigungsverfahren, 1Festkörperkonvektion, 91Festwalzen, 245Finite Elemente (FEM), 125Finite-Elemente-Methode, 51, 110Flächenrate, 16Flachwendelspäne, 38Flexibilität, 2Fliehkräfte, 276Fließspanbildung, 21Fließspannung, 72Formabrichten, 302Formänderung,
bezogene, 31logarithmische, 31
Formänderungszustand, 263Formen, 1Formenvielfalt, 1Formflexibilität, 218Formfräsen, 15Formgebungsprinzipien, 2Fräsen, 15Freiflächenverschleiß, 135Freiwinkel, 6, 13friability, 265Fünf-Achsen-Fräsen, 16Funktionsverhalten, 239
GGefügeänderungen, 370Gefügeausbildung, 235Gefügeumwandlungen, 93Gegenlauf, 307Gegenlauffräsen, 17Gegenlaufschleifen, 283gemittelte Rautiefe, 296, 365Genetischer Algorithmus, 354Geräuschentwicklung, 319
Sachverzeichnis
Cermets, 183Chemische Stabilität, 171Computer Aided Design, 110Computer Aided Manufacturing, 109Constructive Solid Geometry, 118Crushieren, 307
DDauerfestigkeit, 243Dehnung, 31Dehnungen, 51Design of Experiments, 354Desoxidationsmittel, 158Dexel, 115Diaform, 303Diamant, 190, 264, 268
monokristallin, 191polyristallin, 191
Diamantprofilrolle, 330Diamantprofilrollen, 304Dichtfunktion, 244Diffusion, 146DIN 3761, 244DIN 8589, 4Diskretisierung,
Zeit, 110Drall, 244Drallwinkel, 11, 244Drangkraft, 62Druckeigenspannungen, 318Druckerweichen, 294
EEBSD-Verfahren, 375Eckenradius, 6Eigenfrequenzmessung, 275Eigenspannungen, 87, 93, 235, 371, 382Eigenspannungstiefenverlauf, 383Eigenspannungstiefenverläufe, 300Eindringtiefe, 289Eingangsoperanden, 8Eingriffsgröße, 6Eingriffsquerschnitt, 281Eingriffswinkel, 16Einmeißel-Verfahren, 96Einsatzhärten, 225Einstechverfahren, 218Einstellwinkel, 216Einstellwinkels, 54Einzahnfräser, 82Einzelkornspanungsdicke, 329Elektroerosion, 310ELID-Schleifen, 310
421421
Geschwindigkeitsverhältnis, 283Gestaltenergieänderungshypothese, 71Gewichtungsfaktor, 347Gewindebohren, 15Gitterstörungen, 292Gleichlauf, 307Gleichlauffräsen, 17Gleichlaufschleifen, 283Gleitspanen, 261Gliederung, 3Graphitisierung, 269Grenzgeschwindigkeit, 201Grindo-Sonic, 275Grundgleichung der Leistungsbestimmung, 56Gummibindung, 272Gütefaktor, 295G-Verhältnis, 295
HHartbearbeitung, 213Hartbohren, 213, 221Hartdrehen, 213Härte, 167, 235Härteänderungen, 371Härteeigenspannungen, 238Härtemechanismus, 225Härteveränderungen, 93Hartfeinbearbeitung, 317Hartfräsen, 213, 222Hartglattwalzen, 245Hartmetalle, 175Harträumen, 213Hartreiben, 213Hartschaben, 213Hauptgruppe, 1Hauptgruppe der Fertigungsverfahren, 1Hauptschneide, 11, 74Haupttechnologie, 9Hauptwert, 56Hauptzeit, 311Heißbruch, 157Herstellkosten, 3Herstellkostenstruktur, 3Heuristische Lösungsmethode, 354Hochgeschwindigkeitsspanen, 201Hochlaufzeiten, 206Hochleistungsbohren, 209Hochleistungsspanen, 201Hochleistungszerspanung, 208Hohlkugelkorund, 267Hohlschaftkegel, 207Honen, 261HSC, 201
Hubschleifen, 261Hucks, 67hydrostatischer Druck, 74, 225
IInfrarotthermographie, 99Innenkühlschmierung, 9Integration, 342ISO 3002, 7ISO-Qualitäten, 235
JJohnson/Cook, 71
KKaltverfestigung, 377Kaltverschweißungen, 146Kammrisse, 147Kantenfestigkeit, 161Kantenradius, 6Katalysator, 269Kegelmantelschliff, 13Keilmessebene, 6, 21Keilwinkel, 6keramische Bindungen, 270Kerbverschleiß, 135Kernbohren, 14Kinematik, 66Kinetik, 66Klangprobe, 279Klassifizierung, 270Kohlenstoff, 43, 156Kolkmittenabstand, 138Kolktiefe, 138, 149Kolkverhältnis, 138, 149Kolkverschleiß, 138Kompensation, 237Komplettbearbeitung, 218Komplexitätskosten, 218Konditionieren, 301, 324
hochharter Schleifscheiben, 308Konservierungsmittel, 396Kontaktfläche, 228Kontaktlänge, 329
geometrische, 282kinematische, 283
Kontaktzonentemperatur, 291Konzentration, 286Koordinatensystem,
Werkzeug-, 111Kordinatensystem,
Werkzeug-, 111Korneindringtiefe, 290
Sachverzeichnis
422422
Kornform, 270Korngröße, 270Kornverschleiß, 294Kornverteilung, 286Korund, 265Kräfte, 51Kräfte beim Fräsen, 79Kreuzanschliff, 14Kristallstruktur, 269Kriterien des Prozesses, 9Kühlen, 387Kühlschmierstoff, 387Kühlschmierstoffdüsen, 399Kühlschmierstoffe,
einphasige, 389emulgierbare, 392Hauptfunktionen, 387nichtwassermischbare, 389wasserlösliche, 394wassermischbare, 389Zusatzfunktionen, 388zweiphasige, 389
Kunstharzbindungen, 270
LLagrange’schen Formulierung, 126Lamellenspanbildung, 21Läppen, 261Leckageneigung, 245Leistung, 207Leistungen, 51Leistungen beim Fräsen, 79Leistungsverluste, 208Linienverfahren, 377
MMagnetpulververfahren, 375Mangansulfide, 157Martensit, 161Maschenanzahl, 270Maschinenkosten, 311maximale Rautiefe, 365mechanische Beanspruchung, 138Mengenleistung, 1, 9mesh, 270Messen, 356metallische Bindungen, 270Mikrokinematographie, 25mikrokristallinem Aufbau, 266Mikrotopographie, 280Mindestspanungsdicke, 218, 239Mineralöle, 391Minimalmengenschmierung, 397
Mischbindung, 333Mittenrauwert, 296Mittenspandicke, 16mittleren Spanungsdicke, 79Modell,
Constructive Solid Geometry, 118Dexel, 115Grenzflächen-, 112heuristisch, 344Höhenlinien-, 119informationstechnisches Daten-, 344, 345physikalisch/empirisch, 344Polyeder-, 116Prozess-, 343Verknüpfungs-, 112volumetrisch, 112Voxel, 114Werkstück, 112Werkzeug-, 120
Modelle, analytische, 51empirische, 51
Mohr´scher Spannungskreis, 226Molecular Dynamics, 110Molekulardynamische Modellierung, 129
NNachbehandlungsverfahren, 245Nachhaltigkeit, 1Neigungswinkel, 6Neuhärtungszonen, 297Nitrieren, 225Normalglühen, 46Normalverteilung,
logarithmische, 155
OOberfläche, 363, 364Oberflächen,
technische, 364Oberflächenausbildung, 9Oberflächenenergie, 88Oberflächengüten, 208Oberflächenkräfte, 63Oberflächenrauheit, 238Oberflächentopographie, 235Optimierungskriterien, 152Oxidation, 146Oxley, 73
PPassivkraft, 52, 62, 253PEK-Modell, 339, 349
Sachverzeichnis
423423
Perlit, 156, 161Phosphor, 44, 158physikalischen Eigenschaften, 239Pittingbildung, 242Polfigur, 375Porenanteile, 267Präzisionsdrehmaschinen, 220, 235Pressschweißungen, 146Prioritätsfaktor, 347Probelauf, 279Produktivität, 1Profilabrichten, 303Profilfräsen, 15Profilieren, 302Profilrollen, 304Profilschleifen, 318, 322Profilschleifscheibe, 324Profilschleifverfahren, 320Profilschnitt, 367Prozess,
auslegung, 346führung, mehrstufig, 349kosten, 355überwachung, 356
Prozessgröße, 8Prozessgrößen, 279Prozesskette, 339Prozessketten,
auslegung, 339, 341gestaltung, 341, 351simulation, 341
Prozesssicherheit, 153PVD-Beschichtungen, 398
QQualität, 1Qualitative Positionierung, 352Qualitätsregelung, 357
in-Prozess, 358prozessnah, 358übergeordnet, 358
Quantitative Auslegung, 353Querschneide, 11, 74Querschneiden, 75Querschnittsfläche,
äquivalente, 125Quick-Stopp, 26
RRadialwellendichtring, 244Radiusverschleiß, 295Randeinflüsse, 54Randschichthärten, 225
Randzone, 363, 369Randzonenbeeinflussung, 25, 93, 239, 291Randzoneneigenschaften, 370Rauheit, 235
Messverfahren, 367Rauheitskenngrößen, 365Räumen, 251
Außen-, 251Innen-, 251
Räummaschine, Innen-, 256Zug-Druck-, 256
Raumwinkel, 106Rautiefe, 296Realzeit, 109Recycling, 219Regelkreis, 359Reibanteil, 88Reiben, 15Reibleistung,
kontaktflächenbezogene, 230Reibung, 58, 87Reibwert, 228Reinheitsgrad, 266Reinigen, 302Reißspanbildung, 21Rissbildung, 138, 147Risse, 375Röntgenverfahren, 372Rotbruch, 157Ruck, 209Rückwärtssimulation, 73
SSauerstoff, 157Schädigung, 318Schärfblock, 309Schärfen, 302Schärfstrahl, 310Schauminhibitoren, 396Scheibenkosten, 311Scherbändern, 204Scherebene, 66Scherebenenmodell, 29Scherleistung, 87Scherlokalisierungen, 204Scherspanbildung, 21Scherung, 31, 87Scherverformung, 33Scherwinkel, 34Scherwinkelbeziehung, 67Scherwinkels, 204Schleifbrand, 324
Sachverzeichnis
424424
Schleifen, Werkzeug-, 124
Schleifkosten, 311Schleifschnecke, 326Schleifstoffe, 264Schleifverhältnis, 295Schleppschneiden, 222Schmelzenführung, 156Schmieren, 387Schmierwirkung, 157Schneideckenradius, 238Schneidengeometrie, 161Schneidengestalt, 161Schneidenpräparation, 162Schneidenraumtopographie, 306Schneidenverhältniss, 78Schneidkeil, 4Schneidkeramik, 185Schneidstoffe, 167, 231
Anforderungen, 167Schnellarbeitsstähle, 171Schnellhubschleifen, 284Schnittbewegung, 4Schnitteingriff, 281Schnittenergie,
spezifische, 254Schnittgeschwindigkeit, 5, 46, 57, 150, 332Schnittgrößen, 54Schnittkraft, 52, 253Schnittnormalkraft, 253Schnittstelle, technologische, 340Schnitttiefe, 46Schnittunterbrechung, 25Schrägverzahnungen, 322Schraubfräsen, 15Schubspannungshypothese, 70Schutzwirkung, 157Schwefel, 44, 157Schwingfestigkeit, 242Sedimentation, 270Seebeck-Effekt, 95Segmentierung, 204Seitenstaffelung, 254Selbstschärfung, 266, 301Senken, 14Sicherheitsanforderungen, 279Sicherheitseinrichtungen, 206Sichtprüfung, 279Silikateinschlüsse, 157Silizium, 157Siliziumkarbid, 264, 268Siliziumnitrid, 188Siliziumoxid, 158
Simulation, 109kinematische, 109Zerspankräfte, 123
Simulationszeit, 109Sol-Gel-Prozess, 266Sonderanschliff, 13Spanbildungszone, 8Spandickenstauchung, 31Spanen mit geometrisch unbestimmten
Schneiden, 4Spanentstehung, 24Spanflächentemperatur, 105Spanform, 9, 37Spanformklassen, 38Spanformung, 38Spanleitstufe, 40Spanleitung, 39Spanntechnik, 206Spannungen, 51Spannuten, 11Spanraumfaktor, 254Spanraumzahl, 37Spanstauchung, 31Spanungsbreite, 54, 254Spanungsdick, 262Spanungsdicke, 54, 254, 290
äquivalente, 285mittlere, 285
Spanungsgröße, 7Spanungsgrößen, 54Spanungsquerschnitt, 6, 53Spanwinkel, 6, 47, 57, 216Spanwurzel, 25spezifische Schnittkraft, 53Spindelhochlaufzeit, 209Spiralbohrer, 10, 74Spiralspanstücke, 38Spitzenwinkel, 11Sprengdrehzahl, 278Sprengsicherheit, 276Standzeit, 148Standzeitkriterien, 148Standzeitschwankungen, 154Standzeitstreuung, 153Standzeitzuverlässigkeit, 150Stauchung, 31Stellgröße, 8Stellgrößen, 8, 279Stellite, 174Stirnfräsen, 15Stoffgesetz, 70Stoffgesetze, 71Stoffkreislauf, 219
Sachverzeichnis
425425
Stofftrennung, 87, 88Stoffumlenkung, 87, 88Stoffumwandlung, 97Strahlspanen, 261Streckenenergie, 298Streckungsgrad, 267Streuband, 150Substitution, 342Sulfide, 157Systemgröße, 8Systemgrößen, 279
TTaylor- Geraden, 150Temperaturen, 51, 207Temperaturfeld, 102Temperaturleitfähigkeit, 144Temperaturmessverfahren, 93Temperaturverteilung, 100Textur, 374theoretische Rautiefe, 368thermische Beanspruchung, 141thermischen Stabilität, 269Thermistoren, 94Thermoelemente, 95Thermospannung, 97Tiefenstaffelung, 254Tiefschleifen, 283Titancarbonitrid, 253Titannitrid, 253Traganteilkennwert, 296Trennkriterium, 127Tribochemischer Verschleiß, 146Trockenbearbeitung, 237
UÜberdeckungsgrad, 305, 325Übergabegröße, 340Ultraschallverfahren, 375Umfangsfräsen, 15Umfangs-Stirnfräsen, 15Umformung, 87, 156Ungleichförmigkeit, 80
VVerfahrensgrenzen, 208Verformung, 24
plastische, 377Verformungswinkel, 33Vergleichsformänderung, 35Vergüten, 46, 225Verrunden, 162Verschiebungen, 51
Verschleiß, 9, 135Verschleißarten, 135Verschleißformen, 135Verschleißmarkenbreite, 135Verschleißursachen, 135Versetzungsenergien, 292Verzahnungshonen, 331Verzahnungsschleifen, 318Verzugsgefahr, 224Vollhartmetallbohrer, 221Volumenkonstanz, 30Volumenmodell, 112Volumenrate, 6, 16Vorschub, 46Vorschub je Schneide, 10Vorschubbewegung, 4Vorschubgeschwindigkeit, 5Vorschubkraft, 52, 61, 78Vorschubrichtungswinkel, 5Voxel, 114
WWälzfestigkeit, 242Wälzfräsen, 15Wälzkontakt, 242Wälzschleifen, 326Wälzschleifverfahren, 320Wandreibung, 222Wärmebehandlung, 44, 156, 161Wärmeeindringkoeffizienten, 105Wärmeeinwirkzeit, 298Wärmekapazität, 144Wärmeleitfähigkeit, 91, 144Wärmeleitung, 93Wärmequelle, 91Wärmespannungen, 147Wärmestrahlung, 93Wärmestrom, 293Wärmestromaufteilung, 91Wärmestromdichte, 105Warmhärte, 167Wasserstrahlen, 245, 247Wechselbiegung, 243Weichglühen, 46Weichhaut, 297weiße Schicht, 242Wendelspanstücke, 38Werkstoffe,
kurzspanende, 43langspanende, 43
Werkstoffzusammensetzung, 156Werkstückerwärmung, 237Werkstückschädigung, 299
Sachverzeichnis
426426
Werkzeugstähle, 171Werkzeugteilung, 254Werkzeugverschleiß, 240Widerstandsmessung, 93Wien’sches Gesetz, 98Wirbelstromverfahren, 376Wirkgeschwindigkeit, 5Wirkgröße, 8Wirkpartner, 4Wirkrautiefe, 306Wirkrichtung, 5Wirkrichtungswinkel, 5wirksamer Radius, 77Wirrspäne, 38
ZZähigkeit, 168Zahnrad, 317Zeitspanfläche, 16
Zeitspanvolumen, 6, 16, 206, 280, 323, 328äußeres, 284bezogenes, 284inneres, 284
Zementit, 156, 161Zentrierbohren, 14Zerpankraft,
Komponenten, 253Zerspanbarkeit, 156Zerspankraft, 9, 52, 253Zerspankraftkomponenten, 207Zielbaumverfahren, 347Zielfunktion, 347Zielgröße, 346Zirkonoxid, 186Zirkularfräsen, 208Zugfestigkeit, 203Zusetzungen, 280Zweimeißel-Verfahren, 97
Sachverzeichnis
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