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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1638
Herzog Henry de Rohan
Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1638 Herzog Henry de Rohan Ernst Riedi Bündner Kalender 1989. Seite 87-90
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Zu Beginn Dezember 1631 kam Herzog Rohan von Venedig nach Chur, wo er
in Frankreichs Auftrag verweilte, um mit französischen und Bündner Truppen
im Pariser Sold den habsburgischen Mächten den Durchpass durch Rätien zu
sperren. Rohan war den Bündnern kein Unbekannter, war er doch
Generaloberst aller eidgenössischen und Bündner Regimenter in französischen
Diensten, zudem besass er den Ruf des tapfern Hugenottenführers. Das
Vertrauen von Bündens Obrigkeit in Rohan war derart, dass ihm ohne
Bedenken der Oberbefehl über die einheimischen Truppen übertragen wurde.
Herzog Rohan, ein Bretone, wurde 1579 mitten in den Hugenottenkriegen
geboren. Als anerkannter Führer an der Spitze der Calvinisten unterlagen er
und die Hugenotten schliesslich nach jahrzehntelangem Widerstand dem
absolutistischen Königtum. 1628 fiel ihr letzter Stützpunkt La Rochelle. Ende
Februar 1638 wurde Rohan bei einem nächtlichen Angriff auf das
habsburgische Rheinfelden schwer verwundet und starb wenig später in
Königsfelden. Seine letzte Ruhestätte gaben ihm die Genfer in ihrer Kathedrale
St.-Pierre, wo noch heute eine Grabplatte sein Andenken bewahrt. Rohan war
von kleinem Wuchs, das tut aber seiner bedeutenden Persönlichkeit keinen
Abbruch, auch Alexander der Grosse, Napoleon und Gottfried Keller waren
klein.
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Alt Fry Rätien vor dem Abgrund
Der rätische Freistaat war damals tragischer Spielball ausländischer Mächte.
Eigenes Unvermögen und innere Zerstrittenheit - man ist versucht, etwas
angepasst, mit Gotthelf zu sagen: «Es waren in jenen Tagen die Bündner mit
heilloser Blindheit geschlagen» - aber auch eine unglückliche militär-
geographische Lage waren die Ursachen. Durch Graubünden führten die
kürzesten Verkehrswege zwischen den Verbündeten Mächten Habsburg-
Österreich und Habsburg-Spanien-Mailand. Im Südosten verbot die Terra
ferma der Republik Venedig den Durchpass und im Nordwesten die neutrale
Eidgenossenschaft. So erlitt das schwächste nicht kriegführende Glied
zahlreiche Fremdbesetzungen und wurde missbraucht für die Interessen der
Grossmächte im Dreissigjährigen Krieg. Dreimal vergewaltigten die
Habsburger die rätische Passrepublik (1621, 1622, 1629 -1631), dazwischen
von 1624-1627 und ab 1631 Frankreich, allerdings im Einverständnis mit den
Bündnern und unter Teilnahme von Bündner Truppen. Schon 1620 ging das
Veltlin verloren. Dass Alt Fry Rätien in den Wirren damaliger Zeit nicht
auseinanderfiel, war ganz oder doch fast ein Wunder, und es erlebte
schmerzvoll die historische Wahrheit, wer keine eigene Armee hat, bekommt
fremde.
Von Anbeginn der Wirren wurden die politischen Weichen falsch gestellt. Der
rätische Bundestag schloss 1602/03 Bündnisse mit dem eher schwachen
Venedig und dem fernen Frankreich und forderte damit Habsburg heraus.
Spanien-Mailand ergriff das recht wirksame Mittel der Kornsperre, und der
spanische Statthalter Graf Fuentes errichtete die Chiavenna und das Veltlin
bedrohende Festung seines Namens. Auf dem Felskopf Montecchio in den
Fiebersümpfen der Adda-Mündung brachte sie aber auch den Erbauern
dauernde Schwierigkeiten. Sie waren gezwungen, die Besatzungen wegen
Seuchen in kurzen Abständen auszuwechseln. Es ging der bezeichnende
Spruch über die Feste Fuentes um: «Der Bündner Not und der Spanier Tod.»
Weitsicht aber hätte schon damals geboten, mit Habsburg ins Reine zu
kommen, wie es dann 1639 mit dem Mailänder Kapitulat doch geschah, aber
unter viel ungünstigeren Umständen.
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Das mächtige Habsburg war Nachbar im Norden und Süden, besass im
Zehngerichtebund, im Unterengadin und Münstertal beachtliche überkommene
Rechte, während das ferne Frankreich an der Passrepublik nur soweit
interessiert war, solange sie Bedeutung besass in der antihabsburgischen
Politik und den dynastischen Ansprüchen in Mailand und Mantova. Obwohl
mit einigen Orten der Eidgenossenschaft seit dem Schwabenkrieg in einem
losen zugewandten Bündnis, erhielt Rätien nur von Zürich und Bern
Unterstützung.
Rohans meisterlich geführte Feldzüge
Es ist hier nicht der Ort, Rohans Feldzüge im Veltlin vom Jahre 1635, die auch
heute noch als Beispiele für gewandte Gebirgskriegsführung gelten, näher zu
beschreiben. Da sie aber Ausdruck seiner Persönlichkeit sind, sollen sie kurze
Erwähnung finden. Nachdem Frankreich 1631 die Habsburger aus Graubünden
vertrieben hatte, standen französische und Bündner Truppen im französischen
Sold unter Rohans Oberbefehl in Graubünden, nicht aber im Veltlin. 1635
erhielt der Herzog von Paris den Auftrag, ein französisches Korps im Elsass zu
sammeln und die Spanier aus dem Veltlin zu vertreiben. Rohan handelte rasch.
Seinen Stellvertreter in Graubünden wies er an, Ende März unverzüglich das
Veltlin zu besetzen und die Eingangspforten nach Graubünden zu sperren,
nämlich die Luzisteig, die Klus, das Unterengadin, Bormio und Riva am Lago
di Mezzola. Er selbst musste versuchen, möglichst geheim, rasch und ohne
Kämpfe durch die neutrale Eidgenossenschaft nach Chur zu gelangen.
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Er streute falsche Nachrichten über seine Absichten aus, verbreitete Gerüchte,
sein Korps sei doppelt so stark wie seine an sich bescheidenen 4000
Infanteristen und 700 Reiter. Dann schickte er Abgesandte zu den betroffenen
eidgenössischen Ständen und bat um Durchmarschbewilligung, marschierte
aber vor erhaltenem Entscheid und entschuldigte sich nachher wegen seiner
Eile. So betrat sein Korps am 28. März 1635 bei Basel eidgenössischen Boden,
überquerte den Aargauer Jura, ging bei Stilli über die Aare, dann durchs
Zürcher Unterland, am äbtischen Wil vorbei, über die Appenzeller Pässe ins
Rheintal und erreichte am 12. April wohlbehalten Chur.
Im Veltlin bedrängten ihn gleich zwei Gegner. Im Vintschgau lauerte Freiherr
von Fernamont mit seinem Korps von 6000 Mann und am Comersee stand das
ebenso zahlreiche Heer des spanischen Grafen Serbelloni.
Der beiden Ziel war, in einer Zangenbewegung Rohan zu erdrücken. In
Anbetracht dieser Bedrohung behielt er das Gros seines Korps, das mit
mehreren Bündner und je einem Zürcher und Berner Regiment verstärkt, auf
etwa 8000 Mann kam, im mittleren Veltlin zusammen, um sich mit raschen
Schlägen auf den einen oder andern Gegner zu werfen.
Ende Juni schlug er im Livigno Fernamont, am 3. Juli bei Mazzo ein zweites
Mal und drängte dann den zögernden Serbelloni, der bei Cedrasco
übervorsichtig eine Sperre bezogen hatte, aus dem Veltlin. Am 31. Oktober
kesselte er bei San Giacomo di Fraele Fernamonts Heer beinahe ein. Es gelang
nicht ganz, weil der französische Oberst du Lande aus dem Unterengadin zu
spät kam, und schliesslich schlug er am 9. November in einer blutigen Schlacht
die Spanier bei Morbegno und warf sie endgültig hinter den Comersee zurück.
Rohan hatte sich gegen doppelte Übermacht glänzend gehalten. Sein Rezept
war, Konzentration auf das Wesentliche, sorgfältige Aufklärung der
gegnerischen Bewegungen, entschlossenes, blitzschnelles Handeln und auch
genaue Kenntnis seiner beiden Gegner. Fernamont war ein eher unbedachter
Draufgänger, der Spanier Serbelloni ein vorsichtiger Zögerer. Zudem wusste
er, dass sich die beiden nicht sehr zugetan waren. Freiherr v. Fernamont soll
den spanischen Grafen mit einer gezielt falschen Anrede in einem Brief -
Illustrissimo statt Exzellenz - tief beleidigt haben.
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Im «Parfait Capitaine», einer Felddienstanleitung, die in mehreren Sprachen
und Auflagen erschien und seinen Geist bis in die Ära Napoleons trug, legte
Rohan seine Führungsgrundsätze fest.
Undank ist der Welt Lohn
Dem kriegerischen Jahr 1635 folgten friedlichere Zeiten, die militärischen
Operationen entfernten sich von Graubünden. Immer mehr griff in Bündens
Volk und Behörden die Enttäuschung Platz, dass Frankreich ihnen den
Wiederbesitz des Veltlins vorenthielt. Obwohl Herzog Rohan in Paris
andauernd für baldige Rückgabe vorstellig wurde, hielt ihn der französische
Ministerpräsident Richelieu mit Versprechen hin, für ihn war das Veltlin
wertvolles Faustpfand für kommende Friedensverhandlungen. Entfacht durch
steigenden Unmut braute sich in Graubünden eine Verschwörung gegen die
Franzosen zusammen. Im «Kettenbund›› nahmen die Häupter der
Verschwörung, allen voran Jenatsch, geheime Verhandlungen mit den
bisherigen Feinden, den Habsburgern, in Innsbruck und Mailand auf. Rohan
schien ahnungslos. So wurde er überrascht und im März 1637 von 3000
Bündnern in der Rheinschanze bei Landquart eingeschlossen.
Die militärische Lage war für die Franzosen aussichtslos. Ihr Führer mit 200
Franzosen und dem Zürcher Regiment Schmid in «seiner Rohanschanze»
eingeschlossen, ohne Verbindung zu seinem Korps im Veltlin, und an den
Nord- und Südtoren standen kaiserliche und spanische Truppen zum
Einmarsch bereit. So blieb nur die Kapitulation, welche am 26. März erfolgte.
Am 5. Mai 1637 verliess der «gute Herzog» mit seinen letzten Truppen und
begleitet von der Zuneigung des Volkes Graubünden für immer. Die
Verschwörerpolitik brachte den Bündnern nur geringen Lohn. Es war unklug,
die Franzosen zum Abzug zu zwingen, bevor ein Vertrag mit Habsburg
schriftlich fixiert war. Sie beraubten sich des wichtigsten Druckmittels in den
Verhandlungen mit der habsburgischen Diplomatie.
Das ausgehandelte «Mailänderkapitulat» wurde am 3. September 1639 von den
Gerichtsgemeinden mit schwacher Mehrheit und wenig Begeisterung
genehmigt. Es gab den Bündnern wieder eine eingeschränkte
Herrschaftsstellung im Veltlin, aber unter Oberaufsicht der Habsburger von
Mailand.
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Herzog Rohan im Urteil seiner Zeitgenossen und der
Geschichtsschreibung.
Das Werturteil über Rohan ist widersprüchlich, je nach bündnerischen oder
französischen Quellen. In Rätien war und bleibt er der «gute Herzog», in
Frankreich ist er an erster Stelle hugenottischer Rebell. Das Rohanbild
hierzulande wurde vor allem geprägt durch die Bewunderung über den tapfern
Kämpfer für Frankreichs Calvinisten, seine glänzenden Siege gegen die
habsburgischen Feinde, seine Leutseligkeit und menschliche Grösse auch in
der Niederlage und nicht zuletzt durch sein tragisches Ende. Alle, auch seine
Gegner, rühmten ihn als Volksfreund und hoben besonders seine Toleranz
hervor, eine in damaliger Zeit wohl rare Eigenschaft.
Fortunat Sprecher von Bernegg (1585-1642):
Er war Rohan persönlich sehr verbunden und verdammte den Verrat durch den
Kettenbund. Er lobt bei Rohan Sittenstrenge und edelmännische Haltung, aber
kritisiert seine Leichtgläubigkeit, seinen freundschaftlichen Umgang mit
Jenatsch, den er nicht durchschaut, seinen Glauben an die Ehrlichkeit des
französischen Hofes.
Ulysses Salis 1/. Marschlins (1594-1674): Er kritisiert Rohans Kontakte mit
den Obersten Jenatsch, Guler, Brügger, vor allem wegen deren niederer
Herkunft. Er ist der Meinung, dass Rohan weniger aus militärischen, denn aus
humanitären Gründen, um dem Bündner Volk weitere Leiden und Bürgerkrieg
zu ersparen, kapitulierte, und prägt das Wort vom «guten Herzog».
Vulpius in Chronica retica: «Jener Herzog war von kleinem Wuchs, aber gross
in seinen Entschlüssen und Tapferkeit.»
Wie tief der Verrat an Rohan die Bündnerseelen aufwühlte, mag der Hinweis
auf Pfarrer Saluz zeigen. Er legte seiner Predigt am 19. März 1637 in Chur den
«Verrat des Judas Ischarioth» zu Grunde. Wohl endgültig zementiert wurde der
Mythos um Rohan durch C. F. Meyer in seinem Jenatsch-Roman, wirken doch
die Worte des Dichters im Volk tiefer als noch so gescheite historische
Abhandlungen.
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Schliesslich sei noch Alexander Pfister (Jenatsch Biographie 1938) erwähnt:
«Den Bündnern schien der ruhmbedeckte, vom Schicksal schwer geprüfte
Feldherr in seiner edlen Verhaltenheit als die verkörperte Würde, und es
bestand ein tiefes Vertrauen zu ihm.»
In Frankreich stützte man sich auf die Aussagen von Kardinal Richelieu, der
seinem ehemaligen zähen Widersacher nie verzieh. Für ihn war die
schliessliche Erfolglosigkeit Rohans in Graubünden ein Versagen des
Calvinisten, der sich nicht restlos für Frankreichs Sache einsetzte, und den er
gar geheimer Verbindungen mit dem Erzfeind Habsburg-Spanien verdächtigte.
Einen Rapport zugunsten der Bündner von Rohan an den Ministerpräsidenten
spielte dieser dem Nuntius zu, welcher in seiner Antwort spottete: «E un
trattato d'un eretico in favore dei eretici» (Ein Traktat eines Ketzers für
Ketzer).
Auch spätere französische Historiker können sich vom ursprünglichen
Negativ-Bild über Rohan nicht lösen. Der eingefleischte Sinn der Franzosen
für den katholischen Einheitsstaat war dominierend, und Rohan blieb deshalb
als aufständischer Calvinist ein Rebell. Auf einfachen Nenner gebracht hiess es
in Frankreich, und dies gilt wohl heute noch: «Il était plus Protestant que
Français» (Er war mehr Protestant als Franzose).
Bei alldem darf nicht vergessen werden, dass für Frankreich die Episode
Graubünden eine eher unbedeutende Randerscheinung war im grossen Kampf
um die europäische Vorherrschaft während des Dreissigjährigen Krieges.
Zum Schluss sei noch an zwei Erbstücke aus der Zeit des «guten Herzogs»
erinnert. Das eine sind die Reste der Rohanschanze bei Landquart, die ab 1631
im Auftrag des Herzogs nach den Plänen des Davoser Festungsbauers in
zürcherischen Diensten, Johann Ardüser, errichtet wurde, das andere die
umstrittene Herkunft des «Blauburgunders» in der Herrschaft.
Viele glauben, dass Rohan Urheber dieser Weinveredlung war. Die Historiker
kennen weder ein sicheres Ja noch ein Nein. Erwiesen ist, dass der
«Blauburgunder» während Rohans Aufenthalt nach Graubünden kam, und dass
dieser Weingüter in Burgund sein eigen nannte.
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(Wer mehr über Rohan erfahren will, dem sei die interessante
historiographische Analyse von Hansmartin Schmid (1966) «Das Bild Herzog
H. Rohans in der bündnerischen und französischen Geschichtsschreibung»
empfohlen. Einige Angaben im vorstehenden Text stammen ebenfalls aus
dieser Schrift.)
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 12/2013
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