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37 DAS MAGAZIN VON BERLINDRUCK awareness digital

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Kundenmagazin der Druckerei BerlinDruck aus 28832 Achim bei Bremen Digital awareness

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37DAS MAGAZIN VON BERLINDRUCK

awarenessdigital

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Unsere drei größten Ängste?

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BERLIN Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

hat Sie auch schon manchmal das Gefühl beschlichen, von Ihren elektro-nischen Geräten beherrscht zu werden, nicht mehr im eigenen Rhyth-mus zu arbeiten, sondern in dem Takt, der durch die Eingangsfrequenz von E-Mails, SMS, Facebook-Einträgen und Twitter-Meldungen vorgege-ben wird, ständig abgelenkt durch aufpoppende Werbebotschaften und Links zu angesagten YouTube-Videos, brandaktuellen Nachrichten oder einfach nur skurrilen und peinlichen Vorfällen? Und hat Edward Snowden auch bei Ihnen die Frage aufgeworfen, was alles mit der Un-menge persönlicher Daten passiert, die Sie im Netz hinterlassen?

Dann nutzen Sie die Gelegenheit, mit der Lektüre unseres neuen Heftes Ihre »Di-gital Awareness« zu schärfen. Wir fragen Experten, wie wir uns im Zeitalter von Big Data vor Manipulation, Datenklau und Identitätsdiebstahl schützen können. Aber wir nehmen auch das Gefühl der Überforderung ernst und stellen Ihnen Me-thoden und Strategien zur »digitalen Entgiftung« vor, um abseits des Informati-onsrauschens wieder Ihre innere Stimme zu hören und im wahrsten Sinne des Wortes zu Sinnen zu kommen.

Obwohl das digitale Zeitalter Papier und Handschrift zunehmend verdrängt und die Kommunikation verändert, macht es die alten Materialien und Techniken nicht überflüssig – im Gegenteil: Durch sie wird Gedrucktes besonders, als etwas Bleibendes und Beständiges wächst ihm ein neuer Wert zu. So besichtigen und feiern wir die analogen Nischen und haben diesen Teil auf einem speziellen Papier gedruckt, um die auratische Wirkung noch zu unterstreichen. Dass man »Digital Awareness« auch gänzlich ohne Worte vermitteln kann, zeigen die groß-artigen Netzkunstwerke von Peter Kogler ebenso wie die beeindruckenden Foto-grafien von Olaf Unverzart und Martin Schlüter, die wir Ihnen in diesem Heft prä-sentieren. Denn wie immer sind wir bestrebt, all Ihre Sinne anzusprechen.

In der Hoffnung, dass Sie sich von uns auf die alte, analoge Art verführen lassen, grüße ich Sie sehr herzlich,

Ihr

Reinhard Berlin

Kommen Sie noch runter?

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BERLIN Inhalt

Rubrik

CoverstoryPerspektiveEinblickPerspektiveMethodeMethodeMethodeMethodeMethodeUmschauBibliothekEinblickEinblick HandwerkHandwerkHandwerk BibliothekPerspektiveKolumneAusdruckPerspektive

Thema

Editorial Mein Kopf kommt nicht mehr mit Faszinierende Irritation Die Macht der Datensammler Nachts schlafen die Spione Mehr Schutz vor Cyberkriminalität Achtgeben, nicht aufgeben Europe-v-Facebook.org Mobile Marketing Appsolut entspannt! Dies und das Lesestoff Unplug & Recharge Mehr Zeit fürs Wesentliche Drucken à la Gutenberg Schönschreiben Die Liebe zum Papier Von Lumpen und Holzfl ößern ALP Werʼs glaubt … BerlinDruck Bitte mal hersehen! Impressum

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BERLIN Inhalt

Seite

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1216202223242526283032343638414244454648

über

Frank Schirrmacher über unsere digitale ÜberforderungPeter Koglers hyperkomplexe WirklichkeitenBERLIN-Gespräch mit dem Datenanalysten Markus MorgenrothEinzigartige Innenansichten des BND von Martin SchlüterDie Gratisangebote des Hasso-Plattner-Instituts für Sicherheit im NetzMehr Transparenz in Sachen Datenschutz Eine Sammelklage gegen Facebook wird zu Europas größtem Datenklau-ProzessDas Smartphone als Einkaufsberater, Buchungstool und InformationsmanagerDiese Anwendungen helfen beim stressfreien LebenProdukte, die unser physisches und digitales Selbst aussöhnen und verwöhnenBuchempfehlungen der RedaktionEnergie tanken im Offl ine-CampWie lebt es sich zwischen Gucci und Gummistiefeln?BERLIN-Gespräch mit dem Typografen Erik Spiekermann über eine analoge NischeDie „Manufaktur für handgeschriebene Kommunikation“ stellt sich vorBERLIN-Gespräch mit Buchbinderin Katja Lindemann über ihre große LeidenschaftErik Orsennas Kulturgeschichte des PapiersErhabene Bergwelten von Olaf UnverzartReinhard Berlin über die Macht der ZahlenNewsBerlinDruck im Selfi e-Wahn

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BERLIN Coverstory

Was mich angeht, so muss ich bekennen, dass ich den geistigen Anforderungen unserer Zeit nicht mehr ge-wachsen bin. Ich dirigiere meinen Datenverkehr, meine SMS, E-Mails, Feeds, Tweets, Nachrichtensites, Handy-anrufe und Newsaggregatoren wie ein Fluglotse den Luftverkehr: immer bemüht, einen Zusammenstoß zu vermeiden, und immer in Sorge, das Entscheidende übersehen zu haben. Ohne Google wäre ich aufge-schmissen und nicht mehr imstande, einen Handwerker zu bestellen oder zu recherchieren.

Würde ich morgen vom Internet oder Computer ge-schieden werden, wäre das nicht eine Trennung von dem Provider, sondern es wäre das Ende einer sozialen Bezie-hung und würde mich tief verstören.

Ich will sagen: Weder bin ich der Amish des Internet-Zeitalters noch ein technologischer Einsiedler. Aber et-was stimmt nicht mehr. Mein Kopf kommt nicht mehr mit. Zwar bilde ich mir ein, dass ich meinen Gesprächspart-nern ebenbürtig bin, und ich habe nicht den Eindruck, dass ich heute weniger von der Welt verstehe als früher.

Das Problem ist meine Mensch-Computer-Schnitt-stelle. »Das Hirn ist nichts anderes als eine Fleisch-Ma-schine«, hat leicht verächtlich Marvin Minsky, einer der Begründer der Informatik, schon vor Jahrzehnten ge-sagt. Und meine »Fleisch-Maschine« ist offenbar nicht mehr besonders gut.

Es ist, als laufe mein Web-Browser mittlerweile auf zwei verschiedenen Plattformen, eine auf meinem Com-puter und eine sehr viel langsamere Version in meinem Kopf. Damit ein leistungsschwaches Handy eine mit technischen Spielereien vollgepackte Website trotzdem darstellen kann, haben die Programmierer eine Methode erfunden, die sich »graceful degradation« nennt, auf Deutsch: »würdevolle Herabstufung«. Die Website gibt sich gewissermaßen bescheiden, um das Handy, das in diesem Fall zu den armen Verwandten zählt, nicht in sei-nem Stolz zu verletzen.

Das Verhältnis meines Gehirns zur Informationsflut ist das der permanenten würdelosen Herabstufung. Ich spüre, dass mein biologisches Endgerät im Kopf nur über

eingeschränkte Funktionen verfügt und in seiner Konfu-sion beginnt, eine Menge falscher Dinge zu lernen.

Aber ich habe auch meinen Stolz. Ich schließe von meinem Kopf auf viele Köpfe, und dass es mir wie vie-len geht: Ich glaube, es hat, um ein Lieblingswort der Informatiker zu zitieren, eine Rückkoppelung stattge-funden, die jenen Teil der Aufmerksamkeit, den wir früher uns selbst widmeten, abzapft, auffrisst und als leere Hülle zurücklässt. Man nennt das feed-back, wörtlich: eine Rück-Ernährung. Aber wer ernährt sich von unserer Aufmerksamkeit?

Keine SMS, kein Blog, keine E-Mail wird in den Wind gesendet. Keine Suchanfrage, kein Tweet, kein Klick geht verloren. Nichts verschwindet und alles speist Da-tenbanken. Wir füttern mit unseren Gedanken, Worten und E-Mails das Wachstum eines gewaltigen syntheti-schen Hirns. Das ist keine Vermenschlichung eines tech-nischen Vorgangs. Genau das geschieht.

Ich bin noch nicht bereit, den Bankrott zu erklären. Aber ich bin unkonzentriert, vergesslich und mein Hirn gibt jeder Ablenkung nach. Ich lebe ständig mit dem Gefühl, eine Information zu versäumen oder zu ver-gessen, und es gibt kein Risiko-Management, das mir hilft. Und das Schlimmste: Ich weiß noch nicht einmal, ob das, was ich weiß, wichtig ist, oder das, was ich ver-gessen habe, unwichtig.

Kurzum: Ich werde aufgefressen.Das ist eine so bittere wie peinliche Erkenntnis. Man

kann ihr auch nicht entrinnen, wenn man den Bildschirm abschaltet. Ständig begegnet man Menschen, die in je-der Situation per Handy texten, E-Mails abrufen, gleich mit ihrem ganzen Laptop anrücken, und immer häufiger höre ich bei Telefonaten dieses insektenhafte Klicken, weil mein Gesprächspartner tippt, während er telefo-niert. Jede Sekunde dringen Tausende Informationen in die Welt, die nicht mehr Resultate melden, sondern Gleichzeitigkeiten.

Die neue Gleichzeitigkeit von Informationen hat eine Zwillingsschwester, die wir »Multitasking« ge-tauft haben.

Mein Kopf kommt nicht mehr mit

Kaum einer in Deutschland hat die digitale Revolution von Anfang an so kritisch und leiden-schaftlich begleitet wie Frank Schirrmacher, der 2014 viel zu früh verstorbene Mitheraus-geber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Um an ihn zu erinnern und weil wir meinen, dass seine hellsichtigen Analysen auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben, drucken wir als Titelgeschichte dieser Ausgabe einen Text aus Frank Schirrmachers Buch »Payback« ab*, der die Überforderung angesichts von Informationsflut und Multitasking zum Thema hat, aber zuletzt auch einen Ausweg aufzeigt.

* Mit freundlicher Genehmigung des Pantheon Verlags

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BERLIN Coverstory

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BERLIN Coverstory

Wir alle, die wir auf die gläsernen Bildschirme star-ren, sind Menschen bei der Fütterung; wie die stolzen Besitzer von Terrarien, die Nahrungswolken auf die un-sichtbaren Tiere in ihren Glaskästen herabregnen lassen. Es ist eine Eile dabei, als könnte etwas verhungern. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die ich kenne, im-mer schneller erzählen, gerade so, als könnten sie nicht damit rechnen, dass genug Zeit bleibt, ihnen zuzuhören, weil die Informationskonkurrenz so gewaltig ist.

Dass es anderen auch so geht wie mir, ist beruhi-gend. Und sehr beunruhigend zugleich.

Es ist ein Prozess ohne Beispiel. Und es ist ein Pro-zess, in dem nicht Dummheiten, sondern Intelligenzen miteinander konkurrieren. Wer über das digitale Zeital-ter redet, redet nicht nur über ein Medium. Er redet über eine Fabrik der Gedanken. Im Internet mag es viele Dummheiten geben, aber es wetteifern dort auch au-ßerordentliche Intelligenzen miteinander – nicht nur in

Texten, sondern vor allem und in erster Linie in den un-sichtbaren Computercodes, die uns leiten. Hinter ihnen stecken die wahren Programmdirektoren unseres Le-bens. Darunter sind ein paar der klügsten Menschen der Welt.

Kein Mensch kann mehr daran zweifeln, dass wir in eine neue Ära eingetreten sind, aber die Zweifel, wohin sie uns führt, wachsen täglich.

Das Gefühl von Vergesslichkeit und Vergeblichkeit steht nicht im Widerspruch zu den gigantischen Daten-mengen, die täglich gespeichert werden, sondern ist deren Resultat. Nichts mehr, das verweht, und keine Frage, die nicht ohne Antwort bliebe. Nach einer Be-rechnung der Universität Berkeley wurden im Jahre 2003 auf allen bekannten Datenträgern, von Print bis In-ternet, 5 Exabyte neuer Informationen gespeichert. Die unvorstellbare Zahl entspricht allen jemals von Men-schen auf der Erde gesprochenen Worten. Die jüngste

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BERLIN Coverstory

Gekürzter Abdruck des ersten Kapitels aus: Payback Warum wir im Informationszeit-alter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen Frank Schirrmacher Pantheon Verlag 2011 ISBN: 978-3-570-55142-4 248 Seiten, mit Abb., (D) 12,99 €

Studie wird eine weitere Informationsexplo-sion verzeichnen. »Es gibt nicht mehr genü-gend Hirne, die die Bevölkerungsexplosion der Ideen beherbergen könnte«, schreibt resigniert der Philosoph Daniel Dennett.

Informationen fressen Aufmerksamkeit, sie ist ihre Nahrung. Aber es gibt nicht genü-gend Aufmerksamkeit für alle die neuen In-formationen, nicht einmal mehr in unserem eigenen persönlichen Leben. Unsere Köpfe sind die Plattformen eines Überlebenskamp-fes von Informationen, Ideen und Gedanken geworden, und je stärker wir unsere eigenen Gedanken in das Netz einspeisen, desto stär-ker werden wir selbst in diesen Kampf mit einbezogen. Er hat jetzt erst Verlage und Zeitungen, das Fernsehen und die Musikin-dustrie getroffen.

Aber man mache sich nichts vor. Der dar-winistische Überlebenskampf ist im Begriff, auf das Leben des Einzelnen überzugreifen, auf seine Kommunikation mit anderen, sein Erinnerungsvermögen, das der größte Feind neuer Informationen ist, auf sein soziales Leben, auf seine Berufs- und Lebenskarrie-re, die längst Bestandteil des digitalen Uni-versums geworden ist.

Die drei Ideologien, die das Leben der Menschen in den letzten zwei Jahrhunder-ten bis heute am nachhaltigsten verändert haben, waren Taylorismus – also die »Arbeitsoptimierung« gesteuert durch die Stoppuhr und den Zwang zur äußersten Effizienz –, Marxismus und Darwinismus. Alle drei Weltbilder finden im digitalen Zeit-alter in einer »personalisierten« Form, nicht als Ideologie, sondern als Lebens-praxis, zusammen. Der Taylorismus in Ge-stalt des Multitaskings, der Marxismus in Gestalt kostenloser Informationen, aber auch selbstausbeutender Mikroarbeit im Internet, die vor allem Google zugute kommt, und der Darwinismus in Gestalt des Vorteils für denjenigen, der als Erster die entscheidende Information hat.

FRANK SCHIRRMACHER

Der promovierte Germanist Frank Schirrmacher (1959–2014) wurde nach einer Blitzkarriere im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« im Jahr 1994 einer ihrer Herausgeber und blieb dies bis zu seinem Tod. In dieser Zeitung, aber auch mit seinen Büchern stieß er immer wieder wichtige Debatten an. Für sein publizistisches Schaffen wurde der herausra-gende Intellektuelle vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem CORINE-Sachbuch preis, dem Jacob-Grimm-Preis und dem Ludwig-Börne-Preis.

»Payback« will zeigen, wie die Informa-tionsexplosion unser Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und unsere geistigen Fä-higkeiten verändert, wie unser Gehirn phy-sisch verändert wird, vergleichbar nur den Muskel- und Körperveränderungen der Menschen im Zeitalter der industriellen Re-volution. Kein Mensch kann sich diesem Wandel entziehen.

Die digitale Gesellschaft ist im Begriff, ihr Innenleben umzuprogrammieren. »Auf der ganzen Welt haben Computer damit be-gonnen, ihre Intelligenz zusammenzulegen und ihre inneren Zustände auszutau-schen« (George Dyson); und seit ein paar Jahren sind die Menschen ihnen auf diesem Weg gefolgt. Solange sie sich von den Ma-schinen treiben lassen, werden sie hoff-nungslos unterlegen sein. Wir werden auf-gefressen werden von der Angst, etwas zu verpassen, und von dem Zwang, jede Infor-mation zu konsumieren. Wir werden das selbstständige Denken verlernen, weil wir nicht mehr wissen, was wichtig ist und was nicht. Und wir werden uns in fast allen Be-reichen der autoritären Herrschaft der Ma-schinen unterwerfen. Denn das Denken wandert buchstäblich nach außen; es ver-lässt unser Inneres und spielt sich auf digi-talen Platt formen ab. Das Gefühl, dass das Leben mathematisch vorbestimmt ist und sich am eigenen Schicksal nichts mehr än-dern wird, ist einer der dokumentierten Ef-fekte der Informationsüberflutung.

Aber im Internet und den digitalen Tech-nologien steckt auch eine gewaltige Chan-ce. Denn es gibt einen Ausweg, der selten so gangbar schien wie heute: Die Perfektion der entstehenden Systeme hilft uns nur, wenn wir uns erlauben, weniger perfekt zu sein, ja aus unserem Mangel und unserer Unvollständigkeit etwas zu stärken, was Computer nicht haben und worum sie uns beneiden müssten: Kreativität, Toleranz und Geistesgegenwart.

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BERLIN Perspektive

Faszinierende IrritationPETER KOGLERS HYPERKOMPLEXE WIRKLICHKEITEN

Der österreichische Multimediakünstler Peter Kogler war einer der ersten, der computergenerierte Projektionen für Innen- und Außenräume schuf. Ihre repetitiven Muster sind Sinnbilder der virtuellen Welten und visualisieren die Informationsflüsse und Datenströme, in die wir ein-gebettet sind. Neben digitalen und neuronalen Netzen lässt sich Kogler dabei immer wieder von Filmarchitektur, industriellen Röhrensystemen, dem Gehirn und unserem Globus inspirieren. Werkprägend wurden zudem die Ameisen oder Mäuse, die seine labyrinthischen Welten bevölkern. Sie sind komplexe Metaphern, die Fragen nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, Eigen- und Fremdbestimmtheit, Anarchie und Ordnung, Realem und Virtuellem unter den Bedingungen der Me-diatisierung aufwerfen. Die Mäuse können aber auch als Zitat unserer bevorzugten Navigationsart in der digita-len Welt gelesen werden, die Ameisen als Chiffre für die Macht der Algorithmen. So wie eine Google-Suche im-mer die meistgefragten Websites als Erstes aufführt, su-chen sich auch Ameisen immer die Wege, die andere

Ameisen vor ihnen bereits beschritten und markiert haben – was abseits der ausgetre-tenen Pfade liegt, verschwindet so zuneh-mend aus unserem Bewusstsein. Das Ein-tauchen in Peter Koglers Matrix ist hingegen eine eher destabilisierende, auf jeden Fall aber bewusstseinserweiternde Erfahrung.

Internationale Anerkennung erfuhr Peter Kogler mit seinen Arbeiten auf der Biennale von Venedig (1986), der documenta IX (1992) und der documenta X (1997), unzählige wei-tere Ausstellungen und Großprojekte im In- und Ausland sowie Lehraufträge und Profes-suren an diversen Kunstakademien folgten.

Noch bis zum 20. Februar 2015 sind Peter Koglers aktuelle Arbeiten im Museum für zeit-genössische Kunst MSU in Zagreb zu sehen.

www.msu.hr/#/en/20236www.kogler.net

mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. 2008

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BERLIN Perspektive

Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. 2010© alle Fotos: Atelier Kogler

SCHAUWERK Sindelfingen. 2010

Openairs, Liège. 2012

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Dirimart Gallery, Istanbul. 2011© Atelier Kogler

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BERLIN Einblick

Datenspionage gegen Angestellte ist tägliche Praxis in deut-schen Unternehmen. Illegale, aber dreist praktizierte Back-groundchecks bestimmen heute über Wohnung, Kredit, Job, Liebe. Selbst die paranoidesten Szenarien sind bereits Reali-tät. Der deutsche Datenanalyst Markus Morgenroth hat ein Buch geschrieben, in dem er das ganze Ausmaß der Überwa-chung und des Datenmissbrauchs aufdeckt.

Herr Morgenroth, Sie haben für das amerikanische Unterneh-men Cataphora gearbeitet, das mit dem Slogan »Wir geben Big Data ein Gesicht« wirbt. Was hat man sich darunter vorzu-stellen? Welche Dienstleistungen bietet Cataphora an?Das hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ich bin relativ am Anfang zu der Firma gekommen. Und damals, vor rund zehn Jahren, ging es dar-um, für Gerichtsprozesse Daten auszuwerten – bei großen Fällen ger-ne mal zig Millionen E-Mails, elektronische Dokumente, PowerPoint- und Excel-Dateien –, um dort nach Beweisen oder Gegenbeweisen zu suchen. Cataphora entwickelt Algorithmen, um diese Datenmengen zu analysieren und verborgene Zusammenhänge zu finden.

Können Sie erklären, wie diese Algorithmen funktionieren?Algorithmen kann man sich wie Kochrezepte vorstellen. Sie beschrei-ben Schritt für Schritt, was der Computer mit den Daten tun soll. Auf der einfachsten Ebene funktioniert das ganz ähnlich wie eine Google-Suche. Das heißt, man packt alle Daten in eine Datenbank hinein, kann dann in diesen Daten nach irgendwelchen Begriffen – Name, Projektname, Firmenname – suchen und bekommt alle Treffer ange-zeigt. Das ist natürlich nur der erste Schritt, denn so eine Stichwort-suche ist extrem trivial und führt oft nicht zu den gewünschten Er-gebnissen. Wenn Mitarbeiter etwa Codewörter benutzen oder sich beim Schreiben vertippen, fördert diese einfache Suche nichts zuta-ge. Außerdem können so auch die Zusammenhänge nicht gefunden werden. Wenn ich beispielsweise in einer E-Mail schreibe: »Ja, so ma-chen wir es«, dann hat diese E-Mail für sich genommen keine Aussa-gekraft. Weil man ja nicht weiß, worauf sie sich bezieht. Erst wenn man alle Informationsschnipsel zusammenfügt und miteinander in Beziehung setzt, kann man intelligente Auswertungen damit machen.

Und das kann ein Algorithmus? Da geht es doch jetzt um kon-krete Inhalte. Die kann ein Algorithmus herausfinden?Ja, wenn er entsprechend programmiert ist. Da ist ganz viel Linguistik im Spiel. Wir hatten bei Cataphora viele Sprachwissenschaftler, die sich auch mit den Kunden unterhalten haben, um herauszufinden, nach was denn jetzt genau gesucht werden soll.

Das heißt, die Algorithmen wurden wirklich speziell für den jeweiligen Fall, den es aufzuklären galt, entwickelt?Genau. Natürlich gibt es ein Grundgerüst, das man immer wieder

verwenden kann. Aber die Parameter, mit denen die Algorithmen ge-füttert werden, sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Nur wenn ich etwas Allgemeines in diesen Daten finden möchte, zum Beispiel Emotionen, kann ich die gleichen Algorithmen verwenden. Einer unserer Algorithmen erkannte, ob jemand »two faced« ist, also zwei Gesichter hat. Mit der einen Gruppe redet so jemand sehr positiv, mit der anderen Gruppe eher negativ über ein bestimmtes The-ma. Unsere Algorithmen konnten auch feststellen, wenn jemand sehr negativ über bestimmte Personen redet. Oder wenn jemand in bestimmten Ab-ständen Dinge macht und diese Abstände sich dann auf einmal än-dern. Wenn sich etwa die Frequenz von Mee-tings oder Status-berichten ändert. Im Laufe der Jahre haben wir unzählige Algorith-men entwickelt, deren Ergebnisse dann von Analysten in mühevoller Kleinarbeit zusammen-gesetzt werden. So kann man Zusammenhänge kon-struieren und vorher verbor-gene Fakten aufdecken, die für Anwälte interessant sind. Darum ging es anfangs bei Cataphora.

Sie haben angedeutet, dass sich Cata-phoras Geschäftsmodell im Laufe der Zeit geändert hat. Inwiefern?Irgendwann fiel die strategische Entscheidung, diesen Ge-schäftsbereich an Ernst & Young zu verkaufen. Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Firma darauf konzentriert, die Algorithmen im Unterneh-mensumfeld einzusetzen, um beispielsweise die Performance von Mitarbeitern oder die internen Kommunikationsströme zu analysie-ren oder auch die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern zu evaluieren. Das Ziel war immer eine Optimierung von Prozessen. Bei der Fusion zweier Technologieunternehmen etwa sollten in einer großen Abtei-lung, die auf drei Kontinente verteilt war, rund 30 Prozent der Mitar-beiter entlassen werden. Von Cataphora erhoffte sich das Manage-ment eine objektive Entscheidungsgrundlage. Wir haben uns dann

Die Macht der DatensammlerBERLIN-GESPRÄCH MIT DEM

DATENANALYSTEN MARKUS MORGENROTH

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BERLIN Einblick

die relevanten Daten vorgenommen und ausgewertet, insbesondere den E-Mail-Verkehr und die Code-Repositories, das sind Datenban-ken, wo die Mitarbeiter den von ihnen geschriebenen Programmier-

code abgespeichert haben. Das Unternehmen war anfangs der Meinung, es könne am ehesten auf diejenigen

verzichten, die am wenigsten Code geschrie-ben hatten. Wir hielten das für eine sehr

einseitige Sichtweise, weil natürlich nicht nur entscheidend ist, wie viel

Code jemand schreibt, sondern vor allem, wie hochwertig der

Code ist, wie häufig er ver-wendet wird. Aber da habe

ich gemerkt, dass auf Kun-denseite oft eine sehr starke Zahlengläubig-keit vorherrscht. Zah-len lügen nicht, hieß es immer wieder. Wenn jemand viel schreibt, dann muss er doch auch gut sein – andere Faktoren interessieren eher nicht.

Ist es Ihnen gelungen, den Kunden von Ihrer

Sicht zu überzeugen? Unsere Analyse ergab, dass

einige Mitarbeiter, die auf der Abschussliste standen, sehr

wertvolle Arbeit geleistet hatten, weil sie zwar wenig, aber dafür sehr

wichtigen Code geschrieben haben. Oder sie haben vorhandenen Code leicht

abgeändert und so überhaupt erst sinnvoll nutzbar gemacht. Letztendlich ist die Firma unserer

Einschätzung gefolgt, sodass diese Mitarbeiter dann eben nicht wie ursprünglich geplant entlassen wurden.

Das ist doch eigentlich ein schöner Erfolg und sicherlich nicht der Grund dafür, dass Sie Cataphora verlassen haben, oder? Es gibt tatsächlich viele gute Anwendungsfelder, wo die Auswertung von Big Data sinnvoll ist und uns entscheidend weiterbringt – etwa in der Medizin, in der Forschung, im Verkehrswesen und in der Logistik. Aber Menschen auf diese Weise zu bewerten, ist heikel, weil solche Analysen nie 100-prozentig sichere Ergebnisse bringen, sondern mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten, was einen gewissen Fehlerprozent-

satz einschließt. Wenn es ums Wetter oder um Warenströme geht, dann sind Fehler, die durch die Analysen passieren, meistens nicht so tragisch. Aber wenn Menschen betroffen sind, dann stehen oft Schicksale dahinter. Leider habe ich wiederholt die Erfahrung ge-macht, dass die Unternehmen Zahlen und Statistiken in zu hohem Maße vertrauen und selten fragen, was dahinter steht. Und das woll-te ich nicht weiter mitmachen. Aus diesem Grund habe ich mich dann auch entschlossen, das Buch zu schreiben und über die negativen Seiten der Branche und ihrer Technologien aufzuklären.

Vorher aber haben Sie jahrelang die europäische Niederlas-sung von Cataphora geleitet. Konnten Sie da genauso agie-ren wie in den USA? Oder hat Ihnen der europäische Daten-schutz Hindernisse in den Weg gelegt? Der ist auf jeden Fall strenger und das ist meiner Meinung nach auch gut so. Meine Aufgabe war es, deutsche Firmen bei Gerichts-verfahren in den USA zu unterstützen. Wenn die amerikanischen Gerichte die Firmen offiziell um elektronische Daten ihrer Ange-stellten ersuchen, dann dürfen die Firmen diese Daten in Deutsch-land nicht ohne die Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter her-ausgeben. Von daher ist dieses Vorgehen nicht ganz so problematisch. Viel problematischer sind die Fälle, wo solche Daten für andere Zwecke genutzt werden, nämlich für die Überwachung und Evaluierung der Mitarbeiter. Viele Unternehmen, auch in Deutschland, speichern in großem Maßstab die Performance- Daten ihrer Angestellten, also beispielsweise wie schnell sie sich im Wa-renlager bewegen, wie lange sie auf der Toilette brauchen, wie oft sie Rauchpausen machen, wie hoch das Stresslevel ist, wie sie mit-einander kommunizieren und solche Dinge.

Und das alles geschieht ohne Einwilligung der Mitarbeiter? Natürlich sichern sich die Unternehmen ab und lassen ihre Mitar-beiter eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeich-nen. Viele Mitarbeiter denken darüber gar nicht weiter nach, ande-re stimmen dem Ganzen zu, weil sie den Job nicht verlieren wollen. Aber darüber hinaus habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass viele Chefs bewusst über Gesetze und Vorgaben hinwegsehen. Sie wollen einfach wissen, was im Unternehmen abläuft. Ich hatte vie-le Anfragen von verschiedensten Unternehmen, wo mir jemand gesagt hat: »Ich traue meinen Mitarbeitern nicht, und ich möchte sie irgendwie überwachen.« Oder es gab einen konkreten Ver-dacht, dass irgendetwas schiefläuft – weshalb man uns mit der Ausspähung der Mitarbeiter beauftragen wollte. Denen musste ich dann erklären, dass das deutsche Gesetz es verbietet, solche Da-ten ohne Einverständnis der Mitarbeiter zu erheben oder in deren E-Mails herumzuschnüffeln. Die Praxis sieht leider oft anders aus, einfach weil es relativ leicht ist, so etwas ohne das Wissen der Mit-arbeiter durchzuführen.

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BERLIN Einblick

Wollen Sie damit sagen, dass sich trotz unserer Datenschutzbestimmungen nie-mand entspannt zurücklehnen kann? Genau. Ebenso wie Ihnen im Privaten niemand garantieren kann, dass sich nicht ein Hacker auf Ihrem Computer eingenistet hat und fröh-lich Ihre E-Mails mitliest, gibt es eine solche Versicherung auch nicht für die Arbeitswelt.

Vielen Leuten ist das egal, sie sagen sich: »Ich google, telefoniere und maile nicht privat am Arbeitsplatz, ich bin nicht auf Facebook, ich mache kein On-line-Banking, ich twittere nicht, ich be-nutze diese ganzen Dienste nicht, stelle meine Fotos nicht ins Netz, poste nichts Persönliches, also betriff t mich das al-les gar nicht.« Würden Sie dem zustim-men? Kann man sich quasi durch digita-le Abstinenz schützen?Das glaube ich nicht. Denn auch unter Ver-zicht auf die von Ihnen genannten Dienste und Aktivitäten im Netz hinterlässt jeder von uns immer noch wahnsinnig viele Daten. Schon das Smartphone und selbst jedes ur-alte Handy erzeugt eine Unmenge Daten. Auch geht ein jeder von uns zum Arzt, da fal-len Daten an, jeder von uns ist beim Einwoh-nermeldeamt und beim Finanzamt gemel-det, hat Versicherungen und Bankkonten, vielleicht auch Kredite und diverse Kunden-karten. Es gibt einige große, weltweit agie-rende Firmen in Deutschland, die mehr oder weniger über jeden Bundesbürger Daten sammeln und verkaufen. Sie wissen, ob ich verheiratet bin und Kinder habe, wie hoch meine Miete ist, ob ich luxusaffi n lebe oder eher preisbewusst, welche Bücher ich lese, wo ich gerne Urlaub mache, was ich im Fern-sehen gucke, welches meine Hobbys sind, ja selbst sensible Informationen, etwa, ob ich rauche oder trinke, an welchen Krankheiten ich leide, wie hoch ich verschuldet bin oder ob ich Interesse an außerehelichen Verhält-nissen habe, sind hier abrufb ar.

Wer sind denn die Big Player im Bereich des Datenhandels? Eines der ganz großen Unternehmen in die-sem Bereich ist Acxiom. Laut eigenen Anga-ben verfügt es über detaillierte Profi le von über 50 Millionen Bundesbürgern. Pro Haus-halt gibt es durchschnittlich 1.500 Daten-punkte. Die Firma arbeitet zum Beispiel mit eBay zusammen; wenn Sie auf eBay mal et-was kaufen oder verkaufen, dann gehen die-se Daten also an Acxiom, wo sie mit Ihrem Profi l verknüpft werden. Man könnte jetzt

meinen, das sei gar nicht so schlimm, aber es gibt unzählige Studien, die zeigen, was man alles aus diesen wenigen Daten her-auslesen kann. Nämlich wie Sie kaufen, ob Sie sehr schnell kaufen, egal zu welchem Preis, oder ob Sie eher preisbewusst sind und erst mal ganz viele Auktionen beobach-ten, bevor Sie zugreifen. Und natürlich auch, was Sie kaufen. Das sagt sehr viel über Hobbys, Einstellung und den Charakter einer Person aus. Selbst wenn Sie Whats-App oder irgendwelche Chatprogramme nur benutzen, um sich mit Freunden über Re-zepte auszutauschen, dann verraten schon diese wenigen Daten sehr viel über Ihre In-tellektualität oder Intelligenz.

Wie hat man sich das vorzustellen?Analysieren Sie einfach mal die Nachrichten mehrerer Personen über einen Monat hin-weg. Einige benutzen vielleicht nur 200 ver-schiedene Wörter, ihre Sätze sind alle recht einfach und kurz, die Rechtschreibung stimmt oft nicht, während andere Personen im gleichen Zeitraum 2.000 verschiedene Wörter benutzen und sehr komplexe, gram-matikalisch korrekte Sätze schreiben. Auf dieser Basis kann man ganz leicht zu einem starken Urteil über die Intellektualität, die Intelligenz und den Wissensstand einer Per-son gelangen. Und genauso verhält es sich mit den ganzen Daten, die wir überall außer-halb des Internets hinterlassen, auch diese Daten werden natürlich gespeichert und können ausgewertet und für die verschie-densten Zwecke nutzbar gemacht werden.

Aber können alle diese Daten auch zu mir zurückverfolgt werden? Ich dachte, sensible Daten – wie etwa medizinische Diagnosen – dürften nur anonymisiert gespeichert werden.Klar, sehr viele Daten werden anonymisiert gespeichert, aber unter Datenschützern ist ein großer Streit darüber entbrannt, was ge-nau »anonymisieren« heißt. Hier gibt es nämlich keine klare Defi nition. Vor einigen Monaten gab es eine gerichtliche Auseinan-dersetzung darüber, ob ein Apotheken- Re-chenzentrum, das Rezeptdaten aufb ereitet und an Pharmakonzerne, Forschungsinstitu-te und andere Unternehmen weiterverkauft, die Daten hinreichend anonymisiert hat. Nach Ansicht vieler Datenschützer kann man mit den noch vorhandenen Angaben in den ano-nymisierten Daten oft auf die Person rück-schließen, zu der ein bestimmter Datensatz gehört. Auch viele Studien belegen, dass die

MARKUS MORGENROTH

Der Informatiker Markus Morgenroth (* 1977) arbeitete ab 2005 für ein führendes US-Unternehmen im Bereich der verhaltensbasierten Daten -analyse, zuerst als Software Engineer, ab 2007 als Managing Director of European Operations. Seit seinem Ausstieg 2013 ist er als Consultant tätig und berät Firmen zu Fragen rund um den Datenschutz sowie die Chancen und Risiken von Big Data.

AchtungEs wurden 24 indexierte Begriff e gefunden.Weitere Beobachtung empfohlen!

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BERLIN Einblick

Wollen Sie damit sagen, dass beim The-ma »Datenschutz und Datensicherheit« der Gesetzgeber gefordert ist?Ganz klar. Leider hinkt die Politik der Ent-wicklung hinterher. Bestehende Gesetze müssten vernünftiger ausgelegt und die Strafen für Datenmissbrauch erhöht wer-den, die sind momentan lächerlich gering. In diesem Bereich bewegt sich zum Glück ge-rade etwas. Und es müsste dringend in die Sicherheit investiert werden – und Daten-schützer brauchen schlicht mehr Ressour-cen, mehr Geld, mehr Personal. Das allein wird aber nicht reichen. Nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft muss umdenken. Schon unsere Kinder müssen in den Schulen einen aufgeklärten Umgang mit der digita-len Welt und ihren persönlichen Daten erler-nen. Keiner darf in Zukunft mehr glauben: »Ich habe nichts zu verbergen; was ich hier online mache, das ist doch alles unwichtig und interessiert eh keinen.« Darüber hinaus müsste es meines Erachtens eine Art Daten-schutz-Führerschein geben, um Menschen für ein verantwortungsbewusstes Leben in der digitalen Welt zu befähigen. Langfristig müssten also verschiedene Dinge passie-ren, um das Bewusstsein des Einzelnen und der Gesellschaft für einen verantwortungs-vollen Umgang mit den eigenen Daten und der Welt der Datenhändler zu schärfen und sicherzustellen, dass unsere Grundwerte und Grundrechte auch im digitalen Zeitalter bewahrt werden.

Mit Ihrem Buch haben Sie dazu auf je-den Fall einen wichtigen Beitrag geleis-tet – herzlichen Dank.

Sie kennen dich!Sie haben dich!Sie steuern dich!Die wahre Macht der Datensammler

Markus MorgenrothDroemer Verlag 2014ISBN: 978-3-426-27646-4272 Seiten, (D) 19,99 €

De-Anonymisierung von Daten möglich ist, wenn man nur genug Daten hat. Das Verspre-chen der Anonymisierung ist also tatsächlich mit sehr großer Vorsicht zu genießen.

Wir können uns also nicht darauf verlas-sen, dass sensible Daten über uns ano-nym bleiben?Nein, leider nicht. Nehmen wir beispiels-weise Fitness-Tracker, Schrittzähler und die Gesundheitsarmbänder. Eigentlich eine gute Sache, weil sie einem dabei helfen, gesünder zu leben. Problematisch ist je-doch, dass die erhobenen Daten oft bei kleinen Firmen landen, wo man als Kunde überhaupt nicht sicher sein kann, ob sie gut geschützt sind und was mit ihnen passiert. In meinem Buch erwähne ich eine Studie, die 20 verschiedene Gesundheitsapps un-tersuchte und herausfand, dass diese 20 Apps die Daten an 70 verschiedene Dienst-leister weiterverkaufen. Und ein anderer Aspekt bei dem Ganzen ist der Diebstahl von Daten, der mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen hat. Immer wieder werden Millionen von Datensätzen mit teils sehr sensiblen Daten geklaut.

Können sensible Informationen über meinen Gesundheitszustand auf die-sem Weg auch an Versicherungen und Arbeitgeber gelangen?Ein ganz kritischer Punkt. In den USA ge-schieht das bereits. Und auch in Deutsch-land haben mir Angestellte einiger Kranken-kassen hinter vorgehaltener Hand bestätigt, dass es ein großes Interesse daran gibt, sich die vermeintlich gesunden Kunden heraus-zupicken und die kranken Kunden nicht zu versichern, weil das ein höheres fi nanzielles Risiko beinhaltet. Wenn sich also hierzulan-de die Gesetze ein bisschen ändern und mehr im Sinne der Unternehmen ausgelegt werden, dann wird es für viele Menschen schwieriger und teurer werden, eine Versi-cherung zu fi nden.

Sie berichten ja in Ihrem Buch von un-zähligen Datenmissbrauchs-, Daten-spionage- und Datenmanipulationsfäl-len in Deutschland, die zum Teil eindeutig kriminell sind. Und zeigen auch immer wieder mit Blick auf die USA, wohin das alles führen kann. Se-hen wir dort in unsere Zukunft oder glauben Sie, dass man diese Entwick-lung noch au alten bzw. im Sinne der Bürger, der Transparenz, des Schutzes

der Privatsphäre steuern kann?

Ich glaube, dass es höchste Zeit ist, zu han-

deln. Jeder Einzelne sollte sich mehr mit dem

Thema auseinandersetzen, sich informieren

und sein Verhalten in der digitalen Welt

überdenken. Nur leider wird das nicht rei-

chen, denn wir alleine werden die Probleme

so nicht lösen können.

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BERLIN Perspektive

rechts:Neuer Geländeteil, MitarbeiterbüroIn manchen Räumen haben BND-Mitarbeiter versucht, die triste Büroatmosphäre durch persönliche Dinge aufzulockern.

unten:Neuer Geländeteil, IT-ZentrumMit modernster Technik ausgestattet ist das neue IT-Zentrum. Es wird auch nach Umzug des BND nach Berlin in Pullach verbleiben.

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BERLIN Perspektive

Nachts schlafen die SpioneDer Fotograf Martin Schlüter durfte das Areal des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach bei München vor dessen Umzug nach Berlin umfassend dokumen-tieren. Entstanden sind beeindruckende Bilder, die ein Porträt der Behörde schaf-fen, das unter die Haut geht.

Mit Martin Schlüter wird der Betrachter zum Spion in einer ansonsten hermetisch abgeriegel-ten Welt. Wie ein Eindringling erkundet er leere Besprechungszimmer, verwaiste Büros, Werk-stätten, Archive, Labore, Bunker und Trainingsräume. In ihrer Normalität wirken diese gehei-men Orte geradezu unwirklich, einige bergen skurrile Szenarien, von anderen geht eine beklemmend-klaustrophobische Wirkung aus. Der Betrachter kann sich einer gewissen Para-noia nicht erwehren: Er sieht die gigantischen Apparaturen und Serverräume, die Karteien und Akten, aber die Informationen in ihnen bleiben ihm verborgen. – Ein seltener und faszinieren-der Einblick in das Innere einer Behörde, die für Auslandsaufklärung, Spionage, Fehlinformation und absolute Verschwiegenheit steht.

Nominiert für den Deutschen Fotobuchpreis 2015.

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BERLIN Perspektive

oben links:Neuer Geländeteil, ChemielaboreBüro eines Naturwissenschaftlers. Ein belegtes Brötchen halb links zeigt, dass hier soeben noch gearbeitet wurde.

oben rechts:Neuer GeländeteilDienstplan der Wachhunde

unten:Geheimer Standort außerhalb PullachsEin »Signal Intelligence«-(SIGINT-)Kontrollraum. Licht an.

alle Fotografien: Martin Schlüter. Nachts schlafen die Spione. Letzte Ansichten des BND in Pullach. © Sieveking Verlag, Martin Schlüter, 2014

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BERLIN Perspektive

Nachts schlafen die Spione Letzte Ansichten des BND in Pullach Martin Schlüter Mit Beiträgen von Klaus Honnef und Niklas Maak Sieveking Verlag 2014 ISBN: 978-3-944874-03-6 160 Seiten, mit 120 Farbabb., (D) 59,90 €

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BERLIN Methode

Natürlich gibt es im Netz keine absolu-te Datensicherheit. Deshalb aber fata-listisch die Hände in den Schoß zu le-gen und das Problem gar nicht erst anzugehen, ist auch keine Lösung. Wer die Haustür sperrangelweit offen lässt, darf sich nicht wundern, wenn Fremde ungebeten hereinkommen. Sollten wir nicht wenigstens die Tür schließen und an den Einbau eines einfachen Schlos-ses denken, um besser vor ungebete-nem Besuch und Diebstahl geschützt zu sein?

Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Uni-versität Potsdam hat einen Forschungs-schwerpunkt im Bereich Internetsicherheit und sieht es als seine Aufgabe an, die Bevöl-kerung für den Umgang mit Daten im Netz zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck stellt das HPI sogar kostenlos Onlinedienste für alle Bürger bereit. Jeder, der lernen will, wie er seine Netzidentität bzw. seinen Compu-ter schützen kann, ist hier willkommen.

HASSO-PLATTNER- INSTITUT

Das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystem-technik GmbH (HPI) an der Uni - versität Potsdam ist Deutsch-lands universitäres Exzellenz-zentrum für IT-Systems Engineering und wird vollständig von seinem Stifter, dem SAP- Mitbegründer und -Aufsichts-ratsvorsitzenden Professor Hasso Plattner, finanziert. Schwerpunkt der HPI-Lehre und -Forschung sind die Grundlagen und Anwendungen großer, hochkomplexer und vernetzter IT-Systeme. Hinzu kommt das Entwickeln und Erforschen nutzerorientierter Innovationen für alle Lebensbereiche.

www.hpi.dewww.open.hpi.de

OPENHPI – FÜR ALLE ZUGÄNGLICHE KOSTENLOSE ONLINEKURSE

Zum Thema »Internetsicherheit« hat das HPI auf seiner weltweit einzigartigen Bil-dungsplattform www.open.hpi.de einen On-linekurs konzipiert, der über sichere Pass-wörter, Schadsoftware und den Schutz vor Angreifern und Ausspähern mittels Firewalls und Verschlüsselungssoftware aufklärt. Im Herbst 2014 verzeichnete man mit mehr als 10.000 registrierten Teilnehmern einen re-gelrechten Run auf dieses Angebot.

»Internetnutzer haben bislang eher die vielfältigen Möglichkeiten des Netzes im Blick als seine potenziellen Gefahren. Daher wollen wir den Kursteilnehmern die am häu-figsten von Angreifern genutzten Schwach-stellen des Internets vor Augen führen und zeigen, wie man sich wirksam schützen kann«, erklärt der Informatikprofessor Dr. Christoph Meinel, wissenschaftlicher Direk-tor und Geschäftsführer des HPI und Leiter des Fachgebiets »Internet-Technologien und -Systeme«.

Im Unterschied zu »traditionellen« Vor-lesungsportalen folgen die Kurse bei open-HPI einem festen sechswöchigen Zeitplan. Neben Lehrvideos und Texten beinhalten sie Selbsttests, regelmäßige Hausaufga-ben und Prüfungsaufgaben, um den Teil-nehmern ein zeitnahes Feedback zu ihrem Lernerfolg zu geben. Das Kursmaterial wird jeweils zu Wochenbeginn freigeschaltet. Auf diese Weise »synchronisiert«, entsteht eine virtuelle Lerngemeinschaft, in der sich die Teilnehmer mit den Kursbetreuern und anderen Teilnehmern austauschen, Fragen klären und weiterführende Themen disku-tieren können. Die Kurse lassen sich auch im Selbststudium absolvieren, dann allerdings ohne Prüfung und Zertifikat.

DIE GRATISANGEBOTE DES HASSO-PLATTNER-

INSTITUTS FÜR SICHERHEIT IM NETZ

Mehr Schutz vor Cyberkriminalität

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BERLIN Methode

Mehr Schutz vor Cyberkriminalität

SCHON 1,55 MILLIONEN KOSTENLOSE IDENTITÄTSDIEBSTAHLCHECKS

Ein weiterer kostenloser HPI-Service ist der »Identity Leak Checker« (www.sec.hpi.de), der seit Mai 2014 das Netz nach frei zugäng-lichen Identitätsdaten wie Namen, Passwör-tern, Kontoangaben oder anderen persönli-chen Informationen durchsucht – wenn die Internetnutzer auf dieser Plattform ihre E-Mail-Adressen eingegeben haben. Manch einer erlebt hier eine böse Überraschung: So haben bislang die Nutzer von fast 150.000 E-Mail-Adressen auf diese Weise erfahren, dass sie offensichtlich Opfer eines Identi-tätsdiebstahls geworden sind – bei 1,55 Mil-lionen Onlinechecks insgesamt trifft es also beinahe jeden Zehnten.

Darüber hinaus hat das HPI auch eine Datenbank für IT-Angriffsanalysen (www.hpi-vdb.de) aufgebaut. Sie integriert und kombiniert viele im Internet frei verfügbare Angaben über Software-Sicherheitslücken und -Probleme. Mit ihrer Hilfe können Inter-netnutzer ihren Rechner kostenlos auf er-kennbare Schwachstellen überprüfen lassen, die Cyberkriminelle oft geschickt für Angriffe missbrauchen. Das System erkennt die ver-wendete Browserversion – einschließlich gängiger Plug-ins – und zeigt eine Liste der bekannten Sicherheitslücken an. Eine Erwei-terung der Selbstdiagnose auf sonstige ins-tallierte Software ist geplant.

INTERNETSICHERHEIT ALS FORSCHUNGSSCHWERPUNKT

Das Institut kümmert sich – wie beispielsweise beim neuen Internetstandard IPv6 – auch um den Schutz der Privatsphäre bei neuen Tech-nologien. Es lehrt darüber hinaus in einem Tele-Lab den Schutz vor Attacken auf den ei-genen Rechner und stellt komplette Internet-sicherheits-Vorlesungen kostenfrei und offen für jeden ins Netz (siehe www.tele-task.de). Mit dem »Lock-Keeper« hat das HPI schon vor Jahren eine Hochsicherheitsschleuse gegen das Online-Hacken im Internet entwickelt (www.lock-keeper.org).

Und auch in der Forschung zur Internet-sicherheit tut sich einiges am HPI. Zu nennen wäre hier etwa das Real-time Event Analytics and Monitoring System (REAMS), das es er-laubt, komplexe Cyberangriffe in Echtzeit aus-zuwerten und auch neuartige Angriffe zu er-kennen, die in herkömmlichen Lösungen unentdeckt bleiben. Oder das Projekt Cloud-RAID, das Möglichkeiten der verschlüsselten Datenspeicherung auf Netzservern unter-sucht, die ein Mitlesen der Daten zuverlässig verhindern.

Dies alles zeigt: Es gibt viele einfache Mög-lichkeiten, seine Daten und Ressourcen im Netz besser zu schützen – das Hasso-Plattner-Institut bietet jedem das nötige Rüstzeug dafür gratis an. Wer kein Opfer von Datenmissbrauch werden möchte, sollte zugreifen!

GRUNDREGELN FÜR SICHERE PASSWÖRTER

TIPPPasswort aus einfachem Merksatz ableiten: Aus Mein zweites Auto war ein Golf! wird M2.AweVWG!

NIEMALS> Nutzernamen, echten Namen,

Geburtsdatum oder personen- und kontenbezogene Informa- tionen einbeziehen

> dasselbe Passwort für alle Konten verwenden

VERMEIDEN> Begriffe aus dem Wörterbuch

MINDESTENS> acht Zeichen Länge> vier Arten von Schreibweisen

kombinieren: 1. Großschreibung, 2. Buchstaben, 3. Zahlen, 4. Sonderzeichen wie !@#§%.*

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Das Thema »Datenschutz« bereitet uns im-mer mehr Kopfzerbrechen. Zwischen NSA-Affäre, De-Mail, unsicheren Clouds und ab-gelaufenen SSL-Zertifikaten bleibt wenig Zeit zum Durchatmen. In hübsche Werbe-sprüche verpackte Produkte entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als leere Verspre-chungen. Technik, auf die wir uns gestern noch verlassen haben, wird als wahre Daten-schleuder enttarnt.

Was tun? »Datensparsamkeit« lautet das oberste Gebot. Was man gar nicht erst (preisgegeben) hat, kann weder verloren, gestohlen noch weitergegeben werden. Denn Fakt ist: Wer Daten hat, hat Macht. Wer viele Daten hat, hat viel Macht. Mangelnder Datenschutz gefährdet die Demokratie. Ge-heimdienste beispielsweise sammeln derart viele Daten, dass sie sie nicht einmal mehr auswerten können. Die oft beschworenen Terroristen gehen sowieso auf versteckten Pfaden ihren Machenschaften nach und fei-xen darüber, wie viel Mittel für mehr Über-wachung an Stellen eingesetzt werden, die für sie gänzlich ohne Belang sind. Das ist ge-fährlich, denn ein solches Vorgehen kostet nicht nur enorm viel Geld, sondern auch das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz derer, die uns eigentlich vor dem Übel be-wahren sollen.

Immerhin haben die Geheimdienst-skandale zu einer interessanten Entwick-lung geführt: Mittlerweile machen sich In-dustrie und Politik flächendeckend für einen hohen Datenschutzstandard stark und ver-suchen, diesen als Werbeargument beruhi-gend bis umsatzsteigernd einzusetzen. Mit teilweise bedenklichen bis haarsträuben-den Auswirkungen. So werben Anbieter der durch fundierte Lobbyarbeit um eine bereits eingebaute Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebrachten De-Mail damit, dass die Kommu-nikation darüber »sicher« sei – sicher ist hier jedoch nur, dass der Absender eindeutig per eID identifiziert wird! Wirklich schön ist auch, dass die teilnehmenden Unternehmen der Initiative »E-Mail made in Germany« seit Ap-ril 2014 eine große Kampagne zum Thema

nicht aufgebenMEHR TRANSPARENZ IN SACHEN DATENSCHUTZ

BRITTA GÖRTZ

Britta Görtz (* 1977) besitzt langjährige Agenturerfahrung im Marketing und Key Account Management. Seit März 2014 arbeitet sie für die praemanda-tum GmbH, die in Sachen Daten- schutz seit 2008 eine absolute Vorreiterrolle einnimmt, indem sie bei der Datenvermeidung ansetzt. praemandatum verfügt über das nötige interdis ziplinäre Wissen aus den Bereichen IT, Technik, Ethik, Recht und Marketing, um diesen Anspruch erfolgreich umzusetzen. www.praemandatum.de

»Datenschutz« gestartet haben. Tatsäch-lich haben diese Provider aber lediglich eine Technik eingeführt, die seit Jahrzehnten Standard ist: Sie benutzen nun auch unterei-nander SSL! Es ist zutiefst schockierend, dass sie das jahrelang nicht getan haben, und geradezu hanebüchen, wenn sie ihr Ver-säumnis auch noch als großartiges Feature, ja sogar als Schutz vor NSA-Ausspähung be-werben. SSL ist eine reine Transportver-schlüsselung, die E-Mails liegen also allesamt unverschlüsselt auf den Zwischen servern bzw. in den Rechenzentren aller beteiligten Anbieter – und dort kann die NSA ungehin-dert mitlesen.

Die Kunden bzw. Bürger in falscher Si-cherheit zu wiegen, rächt sich jedoch immer. Früher oder später kommt es heraus und solch ein PR-GAU ist häufig fatal. Langfristig gefährdet er die Glaubwürdigkeit der Unter-nehmen. Und dort sind wir mittlerweile angekommen.

Der Weg der Wahl ist Transparenz. Der Kunde muss ernst genommen und die tat-sächlichen Fähigkeiten – oder eben Grenzen – von Systemen müssen benannt werden. Auch muss der Kunde die Möglichkeit haben, das zu prüfen. Ein Siegel, auf dem »Alles ist gut. Schöne Grüße, Ihr TÜV« steht, kann nicht mehr länger die Antwort auf dieses global drängende Problem sein.

Man sollte vor allem in Europa aber auch die Chancen sehen. Was wir im IT-Bereich de-finitiv besser können als die US-Amerikaner oder die Chinesen, ist genau das: Daten-schutz. Lassen Sie uns diesen Vorteil nutzen, ihn als USP verwenden und den Vorsprung ausbauen!

Achtgeben,

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BERLIN Methode

Anfang August 2014 hat der österreichische Jurist Max Schrems in Wien eine umfangreiche Zivilklage gegen die irische Tochter des bör-sennotierten US-Unternehmens Facebook eingebracht und Betrof-fene weltweit dazu aufgerufen, sich der Initiative im Rahmen einer »Sammelklage österreichischer Prägung« anzuschließen. Denn au-ßerhalb der USA und Kanadas hat jeder Facebook-Nutzer einen Ver-trag mit Facebook Ireland. Im Kern geht es darum, Facebook die Aus-spähung und Weitergabe der Nutzerdaten zu untersagen. »Unser Ziel ist es, zu erreichen, dass Facebook im Bereich Datenschutz end-lich rechtskonform agiert«, sagt Schrems.

Die Resonanz übertraf alle seine Erwartungen: Die Bereitschaft zum Mitmachen war so groß, dass die Teilnehmerzahl vorerst auf 25.000 begrenzt werden musste. Dennoch haben sich Zehntausen-de weitere Nutzer als Unterstützer auf www.fbclaim.com registrie-ren lassen. Auf diese Weise ist Europe-v-Facebook über Nacht zur größten Datenschutzklage Europas geworden.

Europe-v-Facebook.orgEINE SAMMELKLAGE GEGEN FACEBOOK

WIRD ZU EUROPAS GRÖSSTEM DATENKLAU-PROZESS

Auch eine Schadenersatzforderung wird geltend gemacht, die-se wurde aber bewusst gering mit symbolischen 500 Euro pro Nut-zer angesetzt. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl lässt sich damit dennoch eine Summe erreichen, die Facebook spürt. Da die Klage nicht auf Profit ausgerichtet ist, werden alle erlangten Ansprüche, abzüglich Kosten und Prozessfinanziereranteil, an die Teilnehmer ausgeschüttet.

»Wir beschweren uns in Europa gerne lautstark über Daten-schutzprobleme, nun wird es aber auch mal Zeit, seine Rechte durch-zusetzen. Im Rahmen dieser Sammelklage kann auch der Einzelne einen Beitrag dazu leisten«, so Schrems abschließend.

Aktuelle Informationen und alle Dokumente zur Klage sind unter www.europe-v-facebook.org abrufbar; unter der Rubrik »Datenbe-stand« erfährt man hier auch, welche Nutzerdaten Facebook spei-chert. Wer die Initiative mit einer Spende unterstützen möchte, kann dies unter www.crowd4privacy.org tun.

nicht aufgeben

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Mobile Marketing

Ein hoher Anteil der Smartphone-Nutzer hat eine enge Beziehung zu seinem mobilen Endgerät und lebt in ständiger Interaktion mit ihm. Daher scheint es auch für Unterneh-men sinnvoll, Angebote zu schaff en, um sich über die Smartphones ihrer Kunden mit die-sen zu vernetzen. Doch bislang haben die wenigsten entsprechend agiert: Nur etwa 15 bis 20 Prozent der Unternehmen in Deutsch-land haben eine auf die Nutzung mobiler Endgeräte ausgerichtete Website, bei fi rme-neigenen Apps ist der Anteil noch geringer.

DAS MARKETINGPOTENZIAL VON APPS UND QR-CODES

Dabei bieten Apps Firmen die Chance, ihr Angebot direkt zu ihren Kunden zu bringen und jederzeit mit ihnen persönlich in Kon-takt zu treten. So können die Unternehmen sie über Neuigkeiten und Sonderaktionen informieren, sie mittels Feedback-Funktion nach ihrer Meinung fragen oder ihnen Gut-scheine und Coupons direkt auf den Bild-schirm schicken. Die Integration einer App in die vorhandene Unternehmensstrategie bietet auch den Kunden zahlreiche neue und attraktive Möglichkeiten: So können sie etwa von jedem Ort aus die Produktdaten ansehen und vergleichen, Antworten auf ihre Fragen bekommen, die Bewertungen anderer Kunden lesen, erfahren, welche Händler die Ware führen, oder gleich online eine Bestellung tätigen.

Eine fi rmeneigene App greift idealer-weise das auf, was in der persönlichen Kom-munikation schon seit jeher stattfi ndet: Wichtige Informationen werden themati-siert, strukturiert und im Kundeninteresse weiterentwickelt. Um das Potenzial der

SIMONA ASAM

Simona Asam ist Content-Marketing- und PR-Managerin bei AppYourself, einem Berliner Start-up-Unternehmen, das ein modulares App-Baukasten-system zum Selbermachen anbietet. Zuvor war die studierte Germanistin in einer Münchner PR-Agentur und bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) tätig.

www.appyourself.net

DAS SMARTPHONE ALS EINKAUFSBERATER,

BUCHUNGSTOOL UND INFORMATIONSMANAGER

Smart phones für ihr Marketing voll auszu-schöpfen, sollten Unternehmen darüber hin-aus ihre klassischen analogen Werbeträger – also Flyer, Aufsteller, Plakate und Anzeigen – mit fürs Smartphone lesbaren Etiketten ausstatten, den sogenannten QR-Codes. 38 Prozent der Smartphone-Besitzer nutzen diese bereits, um Informationen über Pro-dukte einzuholen.

MOBILE MARKETING: INFORMATION UND INTERAKTION ÜBERALL UND ZU JEDER ZEIT

Wenn Werbung heute Interesse wecken soll, muss sie den Kunden Interaktionsangebote machen. Aus diesem Grund und weil immer weniger Leute dazu bereit sind, mühsam Webadressen einzutippen oder Kataloge zu wälzen, sondern erwarten, die volle Informa-tion sofort digital verfügbar zu haben, sind Vernetzungsangebote für Smartphones via Apps und QR-Codes inzwischen ein unver-zichtbares Marketingtool, wenn es darum geht, bestehende Kunden zu binden und neue zu werben. Mobile Marketing wird der heutigen Erwartungshaltung der Kunden gerecht und sollte daher zwingend auf der Agenda eines jeden Unternehmens stehen.

50 % der Deutschen nutzen

ein Smartphone

70 % der 14- bis 49-Jährigen nutzen ein Smartphone

63 % von ihnen nutzen es täglich

Quellen: BITKOM, AppYourself

1 Stunde lang werden dabei

täglich Apps genutzt

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Appsolut entspannt!

1. Stress Baal heißt eine kostenlose App zum Abreagieren für gestresste Smartphone-Nutzer. Baal ist ein kleiner Teufel, der unter-schiedliche Gestalten annehmen kann. Und weil er so fies und gemein ist, darf jeder Smartphone-Nutzer ohne schlechtes Gewis-sen auf Baal einschlagen (bzw. das Display mit dem Finger traktieren) – er hat es nicht besser verdient. Die App ist so erfolgreich, dass sie es in die Charts geschafft hat. Von Double Flawless, über den App Store oder Google Play.

2. Kalter Entzug: Die kostenlose App Digital Detox legt Ihr Android-Smartphone für eine bestimmte, selbst gewählte Zeitdauer unwi-derruflich völlig lahm – die Hardcore-Variante für akut Suchtgefährdete, inspiriert von Ad-busters Digital Detox Week.Von Charlie DeTar, über Google Play.

3. RescueTime hilft Ihnen, Ihr Zeitmanage-ment und damit Ihre Work-Life-Balance zu verbessern. Das Programm läuft auf Ihrem Computer oder Ihren mobilen Endgeräten und zeichnet auf, wie viele Minuten Sie am Tag mit Ihren diversen Aktivitäten verbrin-gen, also mit Arbeit, Nachrichten & Meinun-gen, Unterhaltung oder in Sozialen Netzwer-ken. Genau zu wissen, wie lange Sie mit E-mailen, Chatten, Posten und Twittern be-schäftigt sind, wie viele Stunden in Meetings draufgehen und wofür Sie sonst Ihre wert-volle Zeit verschwenden, hilft Ihnen, Priori-täten zu setzen und Ihren Tag sinnvoller zu strukturieren!

RescueTime Lite gibt es gratis, die wesent-lich komplexere RescueTime-Premiumvari-ante kostet um die 60 Euro pro Jahr, kann aber 14 Tage lang kostenlos ausprobiert werden, siehe www.rescuetime.com

4. Die nervige Schlüsselsucherei gehört ab sofort der Vergangenheit an: Der Schlüssel-anhänger BiiSafe Buddy kommuniziert via Bluetooth mit Ihrem Smartphone – so kön-nen Sie auf der entsprechenden App sehen, wo sich Ihr Schlüssel gerade befindet. Umge-kehrt entlockt ein fester Druck auf den Buddy Ihrem Smartphone – selbst im Laut-losmodus – einen Ton, der Ihnen seinen Ab-lageort verrät.

Der mit dem Red Dot Product Design Award 2014 ausgezeichnete BiiSafe Buddy funkti-oniert batteriebetrieben in einem Umkreis von zehn bis 30 Metern, ist kälteunempfind-lich, wasser- und stoßfest und kann mit je-dem Gegenstand verbunden werden, den Sie nicht verlieren wollen. Er kostet 39 Euro (zzgl. Versandkosten), die App gibt es gratis dazu, und zwar bei www.biisafe.com

DIESE ANWENDUNGEN HELFEN BEIM STRESSFREIEN LEBEN

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BERLIN Umschau

Dies und das

SCHLAFLABOR @ HOME!

Wer unter Schlafproblemen leidet, kann ihnen mithilfe eines neuen Schlafanalysesets zu Hause auf den Grund gehen: Das System »Withings Aura« misst den Schlaf mittels eines berührungslosen, unter der Matratze lie-genden Sensors und kontrolliert dabei die Schlafumge-bung über einen Lichtwecker. Die Schlafdaten (Dauer von Wachphasen sowie Leicht-, Tiefschlaf- und REM-Phasen, Atemzyklus, Herzfrequenz) sowie Informationen über störende Einfl üsse (Licht, Geräusche, Temperatur-schwankungen) werden als Grafi ken aufb ereitet und an eine dazugehörige App geschickt.

Das Schlafanalyseset »Withings Aura« für 299,95 € gibt es bislang nur für iOS, erhältlich über www.withings.com

KILL YOUR PHONE!

Dieses schlichte Täschchen aus Abschirmvlies schützt Sie eff ektiv vor Dauer-erreichbarkeit oder Smartphonesucht – hineingesteckt hat Ihr Handy nämlich garantiert keinen Empfang! Wer das Täschchen des Berliner Medienkünstlers Aram Bartholl haben will, muss selbst zu Nadel und Faden greifen. In einem off e-nen Workshop zeigt der Künstler, wie’s geht. Indem Sie Bartholls Idee adaptieren und verbreiten, werden Sie Teil des Kunstprojektes. www.killyourphone.com/de

Mehr über Aram Bartholl fi nden Sie unter datenform.de

Courtesy: DAM Gallery Berlin

© flynixie.comPRODUKTE, DIE UNSER PHYSISCHES

UND DIGITALES SELBST

AUSSÖHNEN UND VERWÖHNEN

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BERLIN Umschau

SELFIE-DROHNE FÜR ABENTEURER!

Die erste autonome Selfi e-Drohne »Nixie« wird am Arm getragen und fl iegt auf Befehl los, um mit der eingebauten Kamera automatisch ein Bild des Besitzers aufzunehmen. Unverzichtbar für die waghalsigen Selfi e-Momente des Lebens: an überhängenden Felswänden, beim Fallschirmspringen oder auf Wildwasser-raftingtrips. Allerdings befi ndet sich »Nixie«, Gewinnerin des Intel-»Make it Wearable«-Wettbewerbs 2014, noch in der Entwicklung.

Weitere Informationen und Neuigkeiten zu »Nixie« fi nden Sie auf der offi ziellen Website fl ynixie.com

GRAMMOPHON RELOADED

Über den Originalsound kann man geteilter Meinung sein, aber eines ist sicher: Das Grammophon hatte Klasse. Jetzt wird es für stilbewusste Nostalgiker mit Anspruch an beste MP3-Klangqualität recycelt: ReAcoustic montiert alte Grammophontrich-ter auf hochwertige Holzkästen, in die ein Bluetooth-Lautsprecher eingebaut ist, dessen Schall durch den Trichter megaphongleich verstärkt wird.

Der Bluetooth Wireless Speaker von ReAcoustic, ca. 300 bis 800 €, kann auch mit nicht Bluetooth-kompatiblen Abspielgeräten betrieben werden; nur aus den USA zu beziehen über: www.etsy.com/de/shop/ReAcoustic

IN THE MOOD OF TETRIS

Tetris-Fans können ihren Spieltrieb nun auch offl ine ausleben – mit der »Tetris Lampe« von Paladone. Sie besteht aus sieben verschie-denfarbigen Elementen, den Tetriminos, die immer wieder neu kombiniert und zusam-mengesetzt werden können. Die Leuchte ist auch ausgeschaltet noch sehr dekorativ und wird nicht nur Tetris-Junkies begeistern.

Nintendo-lizenzierte »Tetris Lampe« von Paladone, ca. 30 x 20 x 7 cm (als Rechteck), gesehen für 28,95 € (zzgl. Versandkosten) bei www.geheimshop.de

KUSCHELN OHNE AUSSPÄHGEFAHR

Bei diesen handgemachten »Social Media Kissen« aus weichem Fleece dürfen Sie jede Vorsicht ablegen und einmal vorbehaltlos die Nähe der sozialen Medien suchen.

30 x 30 cm, 15 € (zzgl. Versandkosten), erhält-lich bei Socialmediakissen über: de.dawanda.com/shop/Socialmediakissen

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BERLIN Bibliothek

Der Circle

Der Circle

Dave EggersÜbersetzt von Ulrike Wasel und Klaus TimmermannVerlag Kiepenheuer & Witsch 2014ISBN: 978-3-462-04675-5560 Seiten, (D) 22,99 €

SCHON JETZT DAS KULTBUCH DES INTERNETZEITALTERS

Die 24-jährige Mae Holland bekommt die

Chance ihres Lebens: einen Job beim »Cir-cle«, der angesagtesten und einfl ussreichsten Firma

der Welt mit Sitz in Kalifornien, die die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook, YouTube, WhatsApp und Twitter ge-

schluckt hat und ihre Kunden mit einer einzigen Netzidentität ausstat-tet. Alle Mitglieder des Circle sind aufgefordert, jeden Moment ihres Lebens

mit der Gemeinschaft zu teilen und all ihre Transaktionen online über den Circle abzuwickeln. Damit es keine weiße Flecken mehr auf dem Globus gibt, werden zu-

dem überall auf der Welt vom Unternehmen entwickelte Minikameras installiert und de-ren Aufnahmen in den Circle eingespeist. Glaubt man den »drei Weisen«, die den Konzern

leiten, wird die totale Vernetzung und Transparenz die Welt effi zienter, moderner und hu-maner machen und insbesondere Korruption und Kriminalität den Boden entziehen. Auf dem

weitläufi gen, sonnendurchfl uteten Firmencampus hat diese wunderbare Zukunft bereits begonnen – alle Mitarbeiter kommen in den Genuss gesunden Essens, zahlreicher Sportan-gebote, einer Rundum-Krankenversicherung, kostenloser Konzerte und Vorträge, stylisher Wohngelegenheiten und nächtelanger Partys. Mae wird zur glühenden Anhängerin des Cir-cle und stellt sich schließlich an die Spitze der Transparenz-Bewegung. Doch dann fordert ein mysteriöser Kollege sie auf, die Schließung bzw. Vollendung des Circle zu verhindern ...In seinem adrenalingetriebenen Roman dekliniert Dave Eggers durch, wie sich der digita-

le Idealismus in sein Gegenteil verkehrt: Die totale Vernetzung und Gleichschaltung der Welt schafft einen sektenähnlichen Überwachungsstaat. In diesem führt die Vision

von Transparenz, Demokratie und globalem Teilen zu Zwangskollektivismus und einem Ende jeder Privatheit. Der Glaube an die Weisheit der Masse gerät zur

Herrschaft des Mobs, die Privilegierung der Schwarmintelligenz dient der Herabwürdigung des Individuums. Und dazu muss Eggers die Schraube

dessen, was bereits heute gesellschaftlich angelegt und tech-nisch möglich ist, nur ein kleines Bisschen weiterdrehen.

Nach der aufrüttelnden Lektüre werden Sie die schöne neue Welt des Internets garantiert

mit anderen Augen sehen!

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BERLIN Bibliothek

»WEM GEHÖRT DIE ZUKUNFT?«Jaron Lanier

Der Netzpionier und Cyberguru Jaron Lanier versucht heute die Geister, die auch er selbst einst gerufen hat, wieder zu bannen. An vor-derster Front kritisiert er die neue Gesell-schaftsordnung, in der die Nähe oder Ferne zu den sogenannten Sirenenservern – riesi-gen, enorm leistungsstarken und schnellen Rechnern, die einen Informationsvorsprung verschaff en – über Reichtum oder Armut, Er-folg oder Scheitern entscheidet. Macht und Geld konzentrieren sich immer stärker auf-seiten der wenigen, die mithilfe von Algo-rithmen die Big Data auswerten. Die vielen

Datenlieferanten (alle Daten sind von Men-schen erzeugt!) gehen dabei leer aus bzw. lassen sich mit »Gratisangeboten« und »Schnäppchen« abspeisen, die auf lange Sicht ihre wirtschaftliche Existenzgrund-lage zerstören. Um dieser fatalen Entwick-lung Einhalt zu gebieten, plädiert Lanier für eine neue, nachhaltigere und gerechtere In-formationsökonomie. In seinem fundierten und kenntnisreichen Buch erklärt er, wie diese beschaff en sein könnte – unverzicht-bare Staatsbürgerkunde für das digitale Zeitalter!

Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne. Du bist ihr Produkt

Jaron LanierÜbersetzt von Dagmar Mallett u. Heike SchlattererHoff mann und Campe Verlag 2014ISBN: 978-3-455-50318-0480 Seiten, (D) 24,99 €

»BLACKOUT. MORGEN IST ES ZU SPÄT«Marc Elsberg

Mit »Blackout« ist Marc Elsberg ein packender Kriminalroman gelungen, der die dramati-schen Folgen eines europaweiten Stromaus-falls infolge eines Cyberangriff s sehr realis-tisch durchdekliniert. Mit Schrecken wird einem bewusst, wie gesteuert und abhängig unsere Gesellschaft von chipbasierter Elekt-ronik und netzwerkgestützter Information ist. Kein Lebensbereich bleibt davon unberührt. Europa stürzt ins Chaos, und schon nach weni-gen Tagen drohen Anarchie und Barbarei.

Elsbergs atemberaubendes Debut, von »Bild der Wissenschaft« zum spannendsten Wis-sensbuch des Jahres 2012 gekürt, rüttelte auch die deutschen Energieunternehmen auf. Sie gaben es ihren Mitarbeitern zu lesen mit der Bitte um Prüfung, ob ein solches Sze-nario vorstellbar wäre. Dabei wurden nicht wenige Sicherheitslücken entdeckt ... Und wenn Sie nach der Lektüre einen Notvorrat an Wasser und Lebensmittel anlegten, wä-ren Sie nicht allein.

Blackout. Morgen ist es zu spät

Marc ElsbergBlanvalet Verlag 2012ISBN: 978-3-7645-0445-8800 Seiten, (D) 19,99 €

»DIE GLOBALE ÜBERWACHUNG«Glenn Greenwald

lm Juni 2013 veröff entlichte Glenn Greenwald die ersten NSA-Dokumente aus dem Archiv des Whistleblowers Edward Snowden. Seit-dem werden immer bedrohlichere Details des globalen Spionagesystems der US-amerika-nischen Geheimdienste aufgedeckt. Nun bringt Greenwald anhand einer Fülle exklusi-ver, nie zuvor publizierter Geheimdokumente das ganze Ausmaß der Massenüberwachung

ans Licht. Alles und jeder wird ausgespäht, die Bevölkerung steht unter Kollektivver-dacht. Meinungsfreiheit wird im Namen der Sicherheit unterdrückt und es gibt keine Pri-vatsphäre mehr – nirgends.

Für seine mutigen Recherchen wurde Greenwald mit dem Pulitzer-Preis, dem Ge-schwister-Scholl-Preis und der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.

Die globale ÜberwachungDer Fall Snowden, die amerikanischen Geheim-dienste und die Folgen

Glenn GreenwaldÜbersetzt von Gabriele Gockel u. a.Droemer Verlag 2014 ISBN: 978-3-426-27635-8368 Seiten, mit 89 S/W-Abb., (D) 19,99 €

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BERLIN Einblick

ENERGIE TANKEN IM OFFLINE-CAMP

Unplug & Recharge

ULRIKE STÖCKLE

Ulrike Stöckle, die Initiatorin des ersten deutschen »Digital Detox Camp«, betreibt seit 2009 eine »Agentur für nachhaltige Kommunikation«. An vier Standorten bietet sie Unterneh-mens- und Strategieberatung für die Bereiche Presse- und Öff entlichkeitsarbeit, Kommuni-kation, Social Media und Events sowie Inhouseseminare und Workshops in Unternehmen an.

www.nachhaltig-kommunizieren.com

»Digital Detox« – digitale Entgiftung – heißt der Trend, der aus Kalifornien und New York kommend nun auch Europa und Deutschland erreicht hat. Der Begriff steht für einen be-wussteren Umgang mit Smartphones, Tab-lets und anderen mit dem Internet verbun-denen Geräten und markiert den Anfang der Abkehr von »always on«, der permanenten Verfügbarkeit. Davon profi tiert nicht nur der Einzelne, sondern auch der Arbeitgeber. Denn wer nicht mehr abschalten kann, wird auf Dauer unproduktiv. Genau aus diesem Grund gewinnt »Digital Detox« für die Wirt-schaft an Bedeutung. Unternehmen realisie-ren mittlerweile, dass der digitale Dauer-stress ökonomische Verluste beschert, weil viele Mitarbeiter nicht mehr, sondern weni-ger arbeiten. Die Firmen haben ein großes Interesse daran, das Problem zu lösen, und ihre Bemühungen um betriebliche Vorsorge nutzen der ganzen Volkswirtschaft.

Bislang schalten nur wenige Firmen am Wochenende ihre E-Mail-Server ab. Es ist also die Disziplin des Einzelnen gefordert, sich nicht in der Freizeit verführen zu lassen. »Nicht die Technologie ist das Problem,

sondern unser Umgang mit ihr. Wir sind nicht mehr Herren unserer Geräte. Wer die Kont-rolle zurückgewinnen will, muss hart mit sich selbst sein«, erklärt Ulrike Stöckle, Betriebs-wirtin und Journalistin, die eine Agentur für Unternehmenskommunikation in Karlsruhe leitet.

Ulrike Stöckle spricht aus Erfahrung. Frü-her war sie immer erreichbar – rund um die Uhr, auch im Urlaub. An manchen Tagen be-antwortete sie bis zu 300 E-Mails, ihr Smart-phone nahm sie mit ins Bett: »Ich war nie off -line.« Sie hatte verlernt runterzufahren und musste sich irgendwann die Frage stellen, wie sie wieder eine gesunde Balance zwi-schen Arbeit und Erholung fi nden und ihre Leistungsfähigkeit stärken könnte. Sie hat für sich und ihre Mitarbeiter E-Mail-Öff nungs-zeiten eingerichtet, Meetings fi nden ohne Smartphone statt und für Kreativarbeiten schaff t sich Stöckle eine internetfreie Zone. Wenn sie in den Urlaub fährt, schaltet sie ebenfalls ab und am Wochenende gibt es ei-nen Digital-Detox-Tag. Das ist ihr anfangs gar nicht leichtgefallen, aber jetzt arbeitet sie produktiver als je zuvor.

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BERLIN Einblick

Für Unternehmen bietet die Agentur Seminare und Workshops an, die auch inhouse durchgeführt werden können.

Von Mai bis September 2015 finden einmal monatlich zwei - tägige »Digital Detox Camps« im Augustinerkloster Haftelhof in Schweighofen/Pfalz statt.

29. April bis 2. Mai 20154-Tages-Camp »Detox & Wandern«, Refugi Son Amer, Mallorca. Geführte Wanderungen im Tramuntana-Gebirge.

21. bis 28. Mai 2015»Genuss & Detox«-Camp, Drôme Provençale, Frankreich. Schwerpunkt: Olivenöle, Lavendel und provenzalische Küche.

www.thedigitaldetox.de

Die Kommunikationsexpertin hat mittler-weile aus ihrem Lebenswandel eine Geschäftsidee entwickelt: Inspiriert von der Digital-Detox-Bewegung in den USA ver-anstaltet sie Offline-Camps für digitale Viel-nutzer. Sie berät zudem IT-Unternehmen, wie Mitarbeiter produktiver arbeiten, wenn ihre Erreichbarkeit genau geregelt ist. »In unseren Camps und Seminaren vermitteln wir Strategien, wie jeder Einzelne seine digi-tale Kommunikation nachhaltig gestalten kann«, erklärt Ulrike Stöckle.

Ziel ist es, bewusst zu machen, welche negativen Auswirkungen schon der als ganz normal empfundene Umgang mit digitalen Geräten auf die Konzentration und Schaf-fenskraft hat. Danach werden clevere

Strategien erarbeitet, die wieder mehr Flow, Zufriedenheit und Produktivität ins Leben und Arbeiten bringen und das Bewusstsein für eine nachhaltige Kommunikation schär-fen. Um zu sich selbst zurückzufinden, darf man sich zunächst im Weglassen üben. So sind in den mehrtägigen »Digital Detox Camps«, die in stimmungsvollen Landschaf-ten und an ausgewählten Orten stattfinden, keine elektronischen Geräte wie Smartpho-ne, Tablet oder Laptop erlaubt, die den Zu-gang zum Internet ermöglichen. Im Camp wird »Digital Detox« als Lifestyle in einen größeren Zusammenhang gestellt. So gehen die sinnvolle Nutzung digitaler Geräte, be-wusstere Ernährung und Entspannung Hand in Hand. Tolle Erfahrungen für die Teilneh-mer der ersten »Digital Detox Camps« – und die richtigen Impulse für mehr Achtsamkeit und Happiness.

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BERLIN Einblick

MAREILE BRAUN

Mareile Braun hat in den vergangenen zwanzig Jahren als Redakteurin für zahlreiche Magazine gearbeitet, u. a. »stern«, »SZ-Magazin«, »Welt am Sonntag« und Frauenzeit-schriften. Seit 2010 entwickelt sie als Selbstständige neue Magazinformate, Konzepte für Corporate-Publishing-Produkte sowie Online- und Social-Media-Strategien. Seit 2014 ist sie Redaktionsleiterin von »emotion SLOW«. Als Trainerin gibt sie Workshops und Semi nare zum Thema »Stressmanage-ment und Entschleunigung«.

»Warum habt ihr euch einen Esel ge-kauft?!«, fragten unsere Freunde halb

belustigt, halb bewundernd, als wir vor einiger Zeit Pepe in die Familie aufnah-

men. »Aus Liebe«, antworteten wir. Et-was Besseres fiel uns nicht ein. Im Übri-gen ist es die Wahrheit. Mein Mann liebäugelt mit einem Esel, so lange ich

ihn kenne, und meine Töchter und ich wünschen uns ein Langohr, seitdem wir

gemeinsam »Der kleine Esel Benjamin« gelesen haben. Pepe kam, sah und ver-zauberte auch die letzten Zweifler auf Bauer Wilhelms Biohof mit seinem

Charme. »Aber was genau macht man mit einem Esel?«, fragten die Freunde

weiter. Objektiv betrachtet ist so ein Zwerg ja zu wenig nütze. Zum Reiten ist er zu klein. Spazieren gehen tut er nur, wann und mit wem ER will. Und wenn er seine irren fünf Minuten hat, tritt er mit seinen kleinen, ge-meinen Eselhufen aus. Pepe lässt sich eben nicht herumdirigieren. Er hat sein eigenes Tempo. Und er lehrt uns jeden Tag, was es heißt, ganz bei sich zu sein. Vermutlich macht er uns deshalb so glücklich. Er ist un-ser Sinnbild für eine auf die elementaren Dinge reduzierte Existenz. Mit unserem Um-zug aufs Dorf sind wir diesem Lebensmodell ein Stückchen näher gekommen. Zugegebe-nermaßen noch in einer »Light«-Version, denn wir sind weder Selbstversorger gewor-den, noch haben wir unsere Jobs an den Na-gel gehängt. Aber wir spüren, dass es unge-heuer guttut, der Hektik des Alltags ein wenig Langsamkeit entgegenzusetzen.

Wenn ich morgens in Gummistiefeln gen Pferdestall schlurfe und mir Pepe freudig entgegenquietscht (er übt das Wiehern noch), fühle ich ein tiefes, stilles Glück. Und freue mich im selben Moment schon auf mein »anderes Leben« in Guccis, das mich mal zu Modenschauen, mal zu Interviews und regelmäßig in Redaktionen führt. Ich ge-nieße meine Ausflüge in die Welt der High Fashion mit neuer innerer Balance. Auch oder gerade wenn meine beiden Paralleluni-versen auf kuriose Weise aufeinandertref-fen. So wie neulich, als ich in einem VIP-Shuttle in Paris einen Anruf von Bauer Wilhelm erhielt: Unser Pepe habe nun doch diese besonders gefährlichen Esel-Band-würmer, man habe sie in seinen Ausschei-dungen eindeutig wimmeln sehen. Die expli-ziten Anweisungen, die ich per Handy in Sachen Kotproben, Darmwaschungen und Quarantänemaßnahmen geben musste, führten dazu, dass es für den Rest der Fahrt sehr still im Wagen war. Aber was soll’s. That’s country life, und genau für diese un-gekünstelte Ehrlichkeit liebe ich es!

»Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.« Dieses Zitat stammt von Max Frisch und in gewisser Weise ist das mein Leitmotiv geworden. Das richtige Leben? Ist das, was ich dazu mache. Wie empfindet man Glück? Indem man es zulässt. Meine Kinder schwär-men unseren Freunden inzwischen von der »guten Landluft« vor und können die Eier glücklicher Biohühner tatsächlich am Ge-schmack erkennen. Sie lieben die Beschau-lichkeit unseres Dorfs inmitten der Überan-gebote ihres Lebens. Mir geht es genauso.

WIE LEBT ES SICH ZWISCHEN GUCCI UND GUMMISTIEFELN?

Mehr Zeit fürs Wesentliche

»Sein Leben komplett zu entschleunigen – das gelingt nur wenigen Menschen. Aber wir alle können intensiver leben, indem wir uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren«, sagt Mareile Braun, Redaktionsleiterin des neu gegründeten Ma-gazins »emotion SLOW«. Immer getreu dem Motto »Man braucht gar nicht viel, aber das Richtige« widmet sich »emotion SLOW« einem ebenso nachhaltigen wie genussvollen Lebensstil. Ein Ansatz, den Mareile Braun auch privat verfolgt: Mit Mann und Kindern ist sie aufs Land gezogen und hat sich einen Esel angeschafft. Hier berichtet sie von ihrem neuen Leben zwischen Gucci und Gummistiefeln.

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Nr. 02 / 2014

JETZT

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Glück,hier und jetzt

+ WOHNEN MIT MEHR NACHHALTIGKEIT + DIGITAL DETOX + BITTE EIN CRAFT BEER!

KURZ MAL RAUS Kleine Fluchten mit großer WirkungGRÜNER LUXUS Eco-Couture von morgen

ARBEIT NEU DENKEN Die Mompreneurs zeigen, wie’s geht

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BERLIN Einblick

Das neu gegründete Magazin »emotion SLOW« greift unsere Sehnsucht nach ei-nem Leben mit mehr Muße und Genuss in einer sich immer schneller drehenden durchdigitalisierten Welt auf. Mit sinnlicher Optik, off enporigem, dezent abgetöntem Papier, einer opulenten Bebilderung und anspruchsvollen Texten will es zur Ent-schleunigung verführen und nach eigener Aussage »mehr Zeit fürs Wesentliche« schenken. Damit entspreche man auch den Wünschen vieler Leserinnen, die das Be-dürfnis hätten, Auszeiten und Ruheinseln

emotion SLOWHeft 2 / 2014

Emotion Verlag GmbH116 Seiten, (D) 6,90 €www.emotion-slow.de

in ihrem Alltag zu schaff en, ohne gleich aus-steigen zu müssen.

Der Start im Mai und die Fortsetzung im Oktober 2014 waren so vielversprechend – ohne Werbekampagne wurden von der Nr. 1 aus dem Stand heraus 27.000 Exemplare verkauft –, dass »emotion SLOW« womög-lich in diesem Jahr schon auf einen viertel-jährlichen Erscheinungsrhythmus umstellen wird. Denn man ist davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht um einen kurzlebigen Trend handelt, sondern der Markt für dieses Format noch weiter wachsen wird.

ZEIT ZUM LESEN – DAS NEUE MAGAZIN »EMOTION SLOW«

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BERLIN Handwerk

Drucken à la Gutenberg

Herr Professor Spiekermann, was hat Sie dazu bewogen, nach 30 Jahren Ar-beit am und mit dem Computer nun eine Werkstatt einzurichten und zu betrei-ben, in der auf ganz alte Weise mit be-weglichen Lettern gedruckt wird?Ich hatte immer eine große Nähe zur Produk-tion, zum Herstellungsprozess, war immer derjenige, der zu den Druckereien ging. Ich mag es einfach, Dinge anzufassen. Und ge-nau darum geht es hier: Nichts geschieht per Tastaturbefehl oder Mausklick, man muss al-les berühren. Man muss die Lettern auswäh-len, auch die Leerräume dazwischen konzi-pieren, alles anordnen, in die Maschine einlegen und nach dem Druck säubern und in die Schubladen oder Regale zurückpacken.

ERIK SPIEKERMANN

Erik Spiekermann (* 1947) Setzer, Drucker, Kunsthistoriker, Informationsdesigner, Schrift-entwerfer und Fachautor, Professor & Dr. h. c., Gründer von MetaDesign ’79 und FontShop ’89 – erhielt 2011 den Design-preis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebens-werk. Sein Designbüro Edenspiekermann ist in Berlin, Amsterdam, San Francisco, Stuttgart und London vertreten. Ende 2013 kam seine Buch-druckwerkstatt »Galerie P98a« in Berlin dazu. Umfassenden Einblick in Leben, Werk und Haltung Spiekermanns gibt Johannes Erlers Werkbiographie »Hallo, ich bin Erik«.

www.p98a.comwww.spiekermann.comwww.edenspiekermann.com

ÜBER DIE RENAISSANCE EINER ALTEN TECHNIK

Sie wollten sich die Hände schmutzig machen?Der Dreck interessiert mich dabei nicht so sehr. Es geht mir vor allem um die sinnliche Erfahrung und um die Frage, wie man sich das Material aneignet. Selber eine Druckvor-lage erstellen und am Ende des Tages etwas Schwarz-auf-weiß-Gedrucktes mit nach Hause nehmen zu können, ist ein Erlebnis, das vergleichbar mit Musizieren oder Kochen ist. Wer einmal Pizza selber gemacht, die Zu-taten ausgewählt und den Teig geknetet hat, wird nie wieder eine Tiefkühlpizza es-sen wollen.

Ändert sich Ihre Arbeitsweise durch die Umstellung von digital auf analog auch konzeptionell?Man muss vorausschauender planen, weil es nun mal keine Löschtaste gibt, um das Getane wieder rückgängig zu machen. Und es existieren gewisse Beschränkungen. Man kann nicht alles machen, sondern muss im Rahmen dessen bleiben, was das Materi-al einem erlaubt. Auch die Größe der Druck-maschine spielt ebenso eine Rolle wie die Ortsgebundenheit: Ich kann die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. All das formt mei-ne Gedanken – das ist der philosophische Aspekt dabei.

Die Arbeit mit einem modularen System, das immer die gleichen Buchstaben ver-wendet, legt einem eine Disziplin auf, die wir vom Computer her nicht mehr gewohnt sind: Mit Photoshop kann ich Bilder kreieren, die es noch nicht gibt, kann Schriften wie Bilder aussehen lassen bzw. umgekehrt Bil-der kreieren, die an Schriften erinnern. All das kann ich hier nicht. Ich blicke in meine Schubladen, sehe, welches Papier, welche Drucktypen, welche Farbe ich habe, und überlege, welche Möglichkeiten mir das er-öffnet. Nach 30 Jahren Arbeit am Bildschirm finde ich diese Form der Beschränkung sehr interessant, es ist eine Herausforderung, die eine eigene Ästhetik und Qualität in meine Arbeit bringt.

Wir haben mit Erik Spiekermann darü-ber gesprochen, warum der weltbe-kannte Typograf und Gestalter, der vie-le berühmte Schriften entworfen und u. a. das grafische Erscheinungsbild der Stadt Berlin, das Leitsystem des Düs-seldorfer Flughafens oder das Corpo-rate Design von VW und Audi geprägt hat, nach 30 Jahren Arbeit mit dem Com-puter zum traditionellen Handwerk zu-rückgekehrt ist.

© aller Bilder: Max Zerrahn

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BERLIN Handwerk

Hallo, ich bin Erik Erik Spiekermann: Schrift- gestalter, Designer, Unternehmer Johannes Erler Gestalten Verlag 2014 ISBN: 978-3-89955-527-1 320 Seiten, vollfarbig, (D) 45,00 €

Sie erleben diese Limitierung also nicht als Zwang, sondern als eine Form der Freiheit?Ja. Weniger entscheiden zu müssen, empfin-de ich als Erleichterung. Ich und viele meiner Kollegen leiden darunter, ständig Entschei-dungen treffen zu müssen.

Ganz allgemein erfährt das Drucken mit beweglichen Lettern wie zu Gutenbergs Zeiten ja eine gewisse Renaissance. Wie erklären Sie sich das?Neben einer Nostalgie für eine aussterben-de Technik ist da auch der sinnliche Aspekt: Man kann sehen, wenn auf traditionelle Weise gedruckt wurde. Als Drucker und Ty-pograf habe ich gelernt, dass die Lettern das Papier küssen müssen, eine sanfte Berüh-rung, die nur eine minimale Prägung hinter-lässt und einen weichen, pelzartigen Rand schafft, der so angenehm für das Auge ist. Wärme und Lebendigkeit werden auch durch den Farbauftrag vermittelt, der nicht immer ganz gleichmäßig gelingt. Was wir im Ver-gleich dazu auf dem Bildschirm sehen, ist unglaublich hart.

Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Ich gehöre zur letzten Generation, die in di-rekten Kontakt mit der Gutenberg’schen Drucktechnik gekommen ist, weil ich das als Sechzehnjähriger gelernt habe. Das ganze

Equipment gibt es zwar noch, weil die Lettern und Ma-schinen nicht kaputtgehen, aber die Tätigkeit stirbt aus. Es kommen keine Leute mehr nach, die über das entspre-chende Know-how zu ihrer Bedienung verfügen. Wenn wir unser Wissen also nicht weitergeben und die Traditi-on nicht fortführen, ist diese großartige Technik des Drucks mit beweglichen Lettern, die sich in den 500 Jah-ren seit ihrer Erfindung kaum verändert hat, zum Aus-sterben verdammt.

Mit Ihrem Engagement wollen Sie die Technik der Hochdruckschrift also retten? Ich will zumindest versuchen, ihr wieder Leben einzu-hauchen, indem ich die Gutenberg’sche Tradition mit den neuen Techniken der digitalen Welt verbinde. Beispiels-weise wäre denkbar, unsere Lettern fräsen oder lasern zu lassen, aus Kunstharz auszuschneiden oder mittels eines 3-D-Printers auszudrucken. Das hat noch keiner gemacht.

Herr Professor Spiekermann, wie sieht Ihrer Mei-nung nach die Zukunft der Hochdrucktechnik aus? Ich bin fest davon überzeugt, dass sie in der Nische über-leben wird, aber ob als künstlerisches Ausdrucksmittel, Freizeitbeschäftigung, Auseinandersetzung mit der Ver-gangenheit oder als eine Art »grounding«, um in der vir-tuellen Welt wieder Boden unter die Füße zu bekommen, ist völlig offen. Was die Hochdrucktechnik uns heute noch zu bieten hat, das gilt es ja gerade zu erforschen.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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Frau Lindemann, vor 16 Jahren haben Sie sich bei BerlinDruck mit dem bemerkenswerten Satz be-worben: »Aus Liebe zum Papier bin ich Buchbinde-rin geworden.« Wann haben Sie sich verliebt?Ich glaube, dass jedes Kind ganz bestimmte Vorlieben entwickelt. Bei vielen Mädchen sind das Pferde oder Tie-re im Allgemeinen. Jungen fixieren sich eher auf Pferde-stärken, also Autos oder technische Dinge. Bei mir war es von Anfang an das Papier: als Buch, zum Bemalen, zum Schreiben – und ganz besonders zum Anfassen.

Mit Papier kommen ja die meisten Menschen täg-lich vielfach in Berührung. Vom Kassenbon über die Zeitung bis zum Packpapier. Wie kann man zu so einem Massenprodukt »Liebe« empfinden?Papier hat so unendlich viele Facetten – es ist Wissens-träger, Kulturgut, Kommunikationsmittel. Bei mir war es aber ganz besonders die Haptik. Ich fasse Papier gerne an. Natürlich am liebsten ungestrichenes Naturpapier, zum Beispiel so etwas Wundervolles wie Gmund Kasch-mir oder Conqueror von Arjowiggins.

Aber bei der Arbeit in einer Offsetdruckerei haben Sie nun mehr mit gestrichenen Papieren, matt oder glänzend, zu tun. Da ist die Oberfläche doch eher unspektakulär.Ja, aber was viele gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen: Papier ist und bleibt ein 100-prozentiges Naturprodukt, das gerne Feuchtigkeit aus der Luft aufnimmt und sich damit verzieht. Oder das, bedingt durch die Faserrich-tung des Zellstoffs, je nach Falzrichtung unterschiedlich reagiert. Alles Dinge, die man mit bloßer Technik nie in den Griff bekommt.

Das müssen Sie uns erklären. Druckweiterverar-beitung ist doch eigentlich Industriearbeit, die si-cher nicht als »unbeherrschbar« bezeichnet wer-den kann.So ist das auch nicht gemeint. Aber wir haben in Deutsch-land etwa 6.000 verschiedene Papiere im Angebot. Und in der Verarbeitung muss man natürlich immer die Be-sonderheiten beachten. Wir sprechen da in der maschi-nellen Verarbeitung von »Laufeigenschaften«. Wäh-rend beim Drucken das Papier nur eine einzige Phase durchläuft – das Drucken –, sind bei der Weiterverarbei-tung in der Regel mehrere Schritte zu berücksichtigen:

Die Liebe zum Papier

KATJA LINDEMANN

Katja Lindemann entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für Papier. Deshalb entschied sie sich für eine Lehre in der Handbuchbinderei von Manfred Urban in Hagen, die vor allem für die Universitätsbibliotheken Hagen, Dortmund und Bochum arbeitete. 1998 zog sie nach Bremen und landete bei BerlinDruck, wo sie heute die Buchbinderei leitet.

www.berlindruck.de

Schneiden, Falzen, Heften, Leimen – um nur einige zu nennen. Beim Schneiden interes-siert die Glätte des Papiers, beim Falzen eher die Laufrichtung und beim Leimen die Hyg-roskopie, die Aufnahmefähigkeit für Feuch-tigkeit. Und da geht’s los. Jeder weiß, dass sich Papier bei Feuchtigkeit dehnt. Aber kaum einer weiß, dass es sich bei Trocken-heit nicht wieder entsprechend »zurück-zieht«. Dazu kommt ein Phänomen, das si-cherlich viele Leute schon »am eigenen Leib« erlebt haben: die elektrostatische Auf-ladung von Papier. Da »klebt« plötzlich ein Kassenbon am Unterarm.

Und wo klebt der Druckbogen?In der Falzmaschine. Es gibt tausend Tricks, um so etwas zu vermeiden. Aber viel mehr als die verarbeitungstechnischen Details ha-ben mich immer die Möglichkeiten des Pa-piers selbst interessiert. Oder besser gesagt die Frage, welches Papier für welchen Zweck geeignet ist. Niemand schreibt gerne mit Ku-gelschreiber auf matt gestrichenes Papier. Eine Prägung gehört nicht auf ein HighGloss-Produkt. Und wer möchte schon einen Ro-man auf einem Papier lesen, das das Licht unangenehm reflektiert?

Haben Sie denn bei der täglichen Arbeit auf solche Dinge Einfluss?Begrenzt. Aber: Ich werde gefragt. Meine Kollegen aus dem Verkauf kommen nicht selten zu mir und holen sich einen Rat. Besonders bei komplizierten Falzproduk-ten. Fast täglich »basteln« wir ein Weiß-muster, ein sogenanntes Dummy. Und da weise ich immer auf die Besonderheiten hin. Vielfach sind daraufhin das Material oder komplizierte Seitenüberläufe mit zu engen Textstellungen verändert worden. Aber natürlich bemerkt man auch mal zu spät, dass im Dreiklang Druckvorstufe – Druck – Buchbinderei der letzte Schritt schon in der Anlage des Produkts hätte ver-bessert werden können.

BERLIN-GESPRÄCH MIT KATJA LINDEMANN,

LEITERIN DER BUCHBINDEREI VON BERLINDRUCK,

ÜBER IHRE GROSSE LEIDENSCHAFT.

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BERLIN Handwerk

Und dann?Dann heißt es für mich ganz persönlich: Back to the roots. Jetzt hilft oft nur noch feinste Handarbeit. Und bei dunklen, unlackierten Flächen nicht selten sogar mit Leinenhand-schuhen, um Fingerabdrücke zu vermeiden.

Da wären wir bei einem ganz besonde-ren Thema: Lack auf Papier.Ein unendliches Thema – auf der einen Seite der Wunsch nach der unverfälschten Haptik des Papiers, auf der anderen Seite der Schutzlack gegen den Abrieb der Farbe. Lack kommt ja immer auch dann zum Einsatz, wenn nach dem Druck sofort verarbeitet werden muss und die Farbe keine ausrei-chende Zeit zur Trocknung bekommt.

Sie mögen also keinen Lack?Oh doch. Der minimiert ja immer auch Proble-me. Und wer mag schon Probleme? Der Schritt weg vom ölhaltigen Drucklack zum wasserbasierten Dispersionslack war be-reits riesig. Und jetzt gibt es sogar Lacke, die nur den Farbabrieb schützen und auf nicht bedruckten Papierflächen praktisch unsicht-bar sind. Aber trotzdem würde ich dem Pa-pier gerne mehr Zeit zur Trocknung geben. Freitag drucken, ein entspanntes Wochen-ende und am Montag dann in unsere Buch-binderhände. Wenigstens für Naturpapier wäre das perfekt.

Wie stehen Sie zum neuesten Trend, dem UV-Druck, bei dem die Farbe schon absolut trocken aus der Druckmaschine kommt?Ich habe ja bereits gesagt, dass ich den Na-turcharakter des Papiers liebe. Und der wird durch den speckigen Kunststoffauftrag beim UV-Druck zerstört. Ich lege mir doch zu Hau-se auch keinen Parkettboden, den ich dann mit Acryllack anstreiche, oder?

Danke für diese klaren Antworten, Frau Lindemann.

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BERLIN Bibliothek

Dieser Kupferstich von 1623 zeigt die Arbeit in einer Papiermühle, die von einem Wasserrad angetrieben wird. © SLUB / Deutsche Fotothek

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BERLIN Bibliothek

Von Lumpen und Holzflößern

Sollten Sie es auf Ihrer nächsten Reise bis nach Umbrien schaffen, wagen Sie einen Abstecher ins gebirgige Fabriano. Dort be-treibt Familie Monteverde in der Via Balbo 31 im ehemaligen Palazzo Montini aus dem 12. Jahrhundert das »Regalo Bello«, ein Re-staurant und Laden mit seltenen Papierwa-ren. – Dieser Tipp stammt nicht aus dem Rei-seführer, sondern aus einem Liebesroman. Oder genauer: aus einer Liebeserklärung an das Papier.

Der französische Schriftsteller und Öko-nom Erik Orsenna führt uns in seinem Buch »Auf der Spur des Papiers« an viele interes-sante Orte. Er reist mit uns vom alten China über die Seidenstraße und den Nahen Osten bis nach Europa und auf dieser Route erfah-ren wir Faszinierendes über alte Papiermüh-len, Bibliotheken, Lumpensammler und Pio-niere der Papierkultur. Mit Orsenna entdecken wir den 2.000 Jahre alten Werkstoff in China und kommen auf keiner einzigen Seite dieses wunderbaren Buches auf die Idee, dass es sich hier um ein Sachbuch handeln könnte. Es sind die kleinen Geschichten am Rande, die uns an der Liebe zu dem Werkstoff teilhaben lassen. Orsenna erzählt von Kindern im indi-schen Rajasthan, die Geschenkschachteln für

Auf der Spur des Papiers Eine Liebeserklärung Erik Orsenna Übersetzt von Caroline Vollmann C. H. Beck Verlag 2014 ISBN: 978-3-406-66093-1 336 Seiten, (D) 19,95 €

New Yorker Kaufhäuser fertigen, von kana-dischen Flößern, die mit ihren mächtigen Baumstämmen am Anfang der Produktions-kette stehen, und von der Wiege der europäi-schen Papierherstellung, dem bereits er-wähnten Fabriano, in dem sich einst bis zu 60 Papiermühlen drehten. Die heutige globale Ökonomie des Papiers beschreibt der Autor anhand seiner Reise zu einer riesigen Papier-fabrik auf Sumatra.

»Was ist Papier letzten Endes?«, fragt Orsenna. »Eine Suppe. Eine Fasersuppe, die man flach verteilt und dann entwässert.« Und tritt mit seinem Buch gleichzeitig den schönsten Gegenbeweis an, eröffnet er uns hierin doch ein ganzes Universum. Nach der Lektüre seiner poetischen Kulturgeschichte hat man ein anderes Verhältnis zu dem Stoff, den man bislang vielleicht nur als Datenträ-ger wahrgenommen hat. Fast möchte man das Papier streicheln, auf dem dieses Werk gedruckt ist. Orsenna lässt uns mitlieben. Sein schön gestaltetes Buch ist nicht nur eine verführerische Reise für alle Papierliebhaber, sondern für jeden Menschen, der beim Lesen auf die sinnliche Ausstrahlung eines ge-druckten Buches nicht verzichten möchte. Unvorstellbar, es als E-Book zu konsumieren.

Eine andere Welt beginnt.Nach dem Buch, so spricht François Bon von dieser neuen Welt.Aber bevor ein Buch ein Träger ist (Holz, Pergament, Stein, Sand

oder ... Papier), ist es vor allem eine Wahl. Die Wahl, einen bestimmten Inhalt unter allen möglichen Inhalten festzuhalten.

Also ist nach dem Buch immer noch eine Bücherwelt. Es sei denn, man lässt sich von der ständigen Lawine ununterscheidbarer Daten überrollen, die einem aus dem Internet entgegenkommen.

Und wer Wahl sagt, setzt jemanden voraus, der wählt. Je mehr Texte es geben wird, desto mehr glaube ich an die Unerlässlichkeit von Verlegern.

Je virtueller und unkörperlicher unsere Begegnungen werden, desto mehr glaube ich an die Notwendigkeit wirklicher Kontakte: Die (guten) Buchhandlungen werden für die Bücher das sein, was das lebendige Schauspiel für die DVDs ist.

Auch im Hinblick auf das Papier bin ich zuversichtlich. Jeder von uns trägt das Verlangen nach Langsamkeit, Stille, Einkehr in sich. Ich glaube, diesem Verlangen kann nur das Papier antworten.

Vielleicht, weil es in erster Linie aus Wasser gemacht ist?Wie wir.

AU S : E R I K O R S E N N A : AU F D E R S P U R D E S PA P I E R S, C . H . B E C K V E R L A G 2014, S E I T E 322

EINE KLEINE KULTURGESCHICHTE DES PAPIERS

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ALPAlpine Landscape Pictures Olaf Unverzart Mit Texten von Tom Dauer und Sophia Greiff Prestel Verlag 2014 ISBN: 978-3-7913-4995-4 192 Seiten, mit 90 Farbabb., (D) 45,00 €

diese Seiteoben: Mittelbergfernerunten: Brenvagletscher

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BERLIN Perspektive

»sie sind unbestechlich und zeitlos. sie fordern und belohnen. sie werfen einen auf sich unddas existenzielle zurück. ich denke, es sind diese dinge, die mich so zu ihnen hinziehen.«

O L A F U N V E R Z A R T Ü B E R D I E B E R G E

Seit über zwölf Jahren schleppt der vielfach ausgezeich-nete Münchner Fotograf Olaf Unverzart seine schwere analoge Großformatkamera ins Gebirge, um die zeitlose Erhabenheit der alpinen Bergwelt und die Spuren und Eingriffe des Menschen darin festzuhalten. Jedes Foto gleicht einem Gemälde, das von der fragilen Balance zwi-schen Natur und Zivilisation erzählt und von der Sehn-sucht nach Stille, Einsamkeit, Konzentration und sinnli-cher Überwältigung im digitalen Zeitalter.

Nominiert für den Deutschen Fotobuchpreis 2015.

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BERLIN Kolumne

Wer’s glaubt …

Reinhard Berlin

Ist doch komisch. In der Fußballbundesliga werden die Laufwege der Akteure genau ge-messen. Wenn Spieler X in der 84. Minute ausgewechselt wird, war er mit 12.741 Metern fleißig oder mit 9.308 Metern mäßig aktiv. Es wird eine Software geben, die das inzwi-schen millimetergenau misst.

Ganz anders zum Beispiel bei Demonstrationen: Da zählt die Polizei 4.000 Teilnehmer, während die Veranstalter von 25.000 Personen sprechen. Hatten beide Seiten beim Schätzen noch Tränengas in den Augen oder haben sie plötzlich das kleine Einmaleins verlernt?

Noch toller: Findet man irgendwo Drogen, dann stets im Wert von mindestens 25 Millio-nen Euro, gerne auch mehr. Angegeben wird der »Straßenverkaufswert«. Wie hoch oder niedrig der Kurs gerade sein mag? Reines Kokain, verschnitten oder was auch immer – Hauptsache, die Zahl ist atemberaubend.

Weiteres Beispiel gefällig? Angeblich gehen der deutschen Wirtschaft jedes Jahr 54 Milli-arden Euro durch privates Surfen am Arbeitsplatz verloren. Ob brutto, netto, vor oder nach Steuern, sagt der Bonner Informationsdienst »Neues Arbeitsrecht für Vorgesetz-te« in seiner Pressemitteilung leider nicht. Diese Nachricht wird dann medial verbreitet, bis sich die Balken biegen. »Bild« addiert zur Sicherheit noch die Mehrwertsteuer. Je schwieriger die Überprüfung ist, desto mehr wird »gelogen« oder – diplomatischer aus-gedrückt – »die Realität korrigiert«.

Hinter solchen Zahlen verbergen sich natürlich Interessen, womöglich auch Wunschden-ken. Der Informationsdienst schreibt das ja nicht in eine Pressemitteilung, weil einer der Autoren nachts zufällig nicht schlafen kann. Genauso aussagekräftig wie eine Zahl selbst ist deshalb oft das, was sie verschweigt.

Ich habe mal ganz genau nachgerechnet und herausgefunden, dass die deutsche Wirt-schaft wirklich jährlich 54.731.612.413,52 Euro durch Surfen am Arbeitsplatz verliert. Al-lerdings – und jetzt wird’s spannend – gewinnt die deutsche Wirtschaft durch den Bil-dungszuwachs der Mitarbeiter beim Surfen am Arbeitsplatz genau 54.732.897.421,66 Euro*. Bleibt also ein sattes Plus von 1.285.008,14 Euro – und die Frage, was mit diesem Geld passieren soll. Ich hätte da ein oder zwei Ideen. Eine Zählsoftware für Demobilder oder eine Studie zur Berechnung des Marktwertes von Kokain unter Berücksichtigung der Verknappungstheorie nach Heinrich Müller-Waffenschmidt. Aber ich glaube, ich schreibe jetzt erst einmal eine Pressemitteilung.

*Zahlen selbstverständlich um den Facebookfaktor bereinigt

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BERLIN Ausdruck

v. l.: Ole Brüns, Dirk Lellinger, Tessa Warnecke, Stephan Harms, Ronald Michalak

KURZ VORGESTELLT:UNSERE FÜNF NEUEN »BERLINER«Die »echten« Berliner haben ja so ihre Probleme mit »Zugezogenen«. Der Begriff »Schwabenhass« hat es sogar zu einem eigenen Eintrag in Wikipedia geschaff t. Das ist bei den fl eißigen Berlinern vom Bremer Kreuz ganz anders. Dort werden »Zugezogene« herzlich begrüßt und sofort in die Gemeinschaft aufgenommen. Gleich fünf neue Mitarbeiter lernen gerade hier vor Ort, dass man in Achim zu Schrippen gerne auch Brötchen, Rund-stück oder Semmeln sagen darf, ohne schief angesehen zu werden. Das sind: Dirk Lellinger, Leiter der Druckvor-stufe – Ole Brüns, Mediengestalter – Tessa Warnecke, Auszubildende Mediengestaltung – Stephan Harms, Buch binder – und Ronald Michalak, Buchdrucker.

HURRAH, DIE POST IST DA! Bei diesen Briefumschlägen freut man sich sogar, wenn man darin „nur“ eine Rechnung fi ndet. Der hochwertige Briefumschlag mit persönlicher Gestaltung und individueller Briefmarke sorgt für große Aufmerksamkeit bei den Empfängern. Die außergewöhnliche Optik steigert die positive Wahr-nehmung der Sendung. PLUSBRIEF INDIVIDUELL heißt das Produkt der Deutschen Post AG. Wenn auch Sie Ihrer Ausgangspost diesen besonderen „Kick“ mit auf den Weg geben wollen, gibt es hier alle Infos: www.post-individuell.de. PLUSBRIEF INDIVIDUELL ist für die normale Tagespost und Werbeaussendungen als Infopost verfügbar.

WAREN SIE ZUFRIEDEN MIT UNS? MIT DIESER APP WOLLEN WIR ES WISSEN!Der Weg von der Idee zum fertigen Printprodukt ist lang und umfasst unzählige Abstimmungsschritte. Wenn dann das erste Druckmuster auf dem Tisch liegt, ist das nicht nur für die Gestalter und Kunden ein ganz besonderer Moment. Auch wir als Drucker möchten wissen, wie unser Beitrag zum Produkt bei Ihnen ankommt. Deshalb hat das Bremer Start-up-Unternehmen smart insights GmbH eine App für uns entwickelt, über die Sie uns mitteilen können, wie zufrieden Sie mit unserer Zusammenarbeit sind. Dafür müssen Sie nur fünf kurze Fragen beantworten. So können wir unsere Services gezielt verbessern und sicherstellen, dass Sie auch in Zukunft bestens von uns betreut werden. Mehr dazu unter: smart-insights.de

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BERLIN Perspektive

Für die einen ist es pure Egomanie, für andere ein großer Spaß und Teil der täg-lichen Kommunikation: das Selfie. Doch was ist der Grund für den grassierenden Selbstinszenierungsdrang? Bruce Chat-win schrieb in seinem Buch »Traumpfa-de« den großen Satz »Existieren be-deutet, wahrgenommen zu werden« – liegt hierin die Antwort auf ein menschliches Bedürfnis, das sich in der Selfie-Manie von heute manifestiert?

Denn offenbar immer mehr Menschen haben in jeder Minute ihres Lebens ihre Handyka-mera parat. Egal ob sie betrunken sind, nicht wissen, was sie anziehen sollen, ihre Pickel ausdrücken, vor Denkmälern posieren, selt-same Kopfbedeckungen tragen, Grimassen schneiden, heulen oder mit Freunden feiern – ein jeder Moment scheint es wert zu sein, als Selfie im Netz verewigt zu werden. Kein noch so banaler Aspekt des Alltags bleibt undokumentiert.

Das hat Folgen: Als Schwangere keine Bauchselfies zu schießen, erfüllt heute schon fast den Tatbestand der Misshand-lung des ungeborenen Kindes. Und wer sei-ne nackten Beine nicht am Strand vor dem blauen Meer ablichtet und diesen Anblick mit aller Welt teilt, war womöglich gar nicht im Urlaub. Selbst Promis posten jetzt

unbearbeitete Schnappschüsse von sich, um »authentisch« und irgendwie normal rüber-zukommen. Mittlerweile hat der Trend sogar die ersten Todesopfer gefordert: Ein polni-sches Ehepaar ist im August 2014 beim Selfie- Knipsen an einer Klippe in Portugal vor den Augen seiner beiden Kinder in den Abgrund gestürzt.

Exklusiv für unser Magazin haben auch die BerlinDruck-Mitarbeiter zur Handykamera gegriffen – glücklicherweise ohne tragische Folgen! Entstanden ist dabei ein wunderba-res Panoptikum. Aber ob sich diese analog – und nicht im Netz – veröffentlichten Selfies überhaupt als echte Selfies qualifizieren?

1 Touri-Selfie von Anke Holste 2 Typo-Selfie von Dirk Lellinger 3 Pärchen-Selfie von Alexandra & Mike Reimers 4 Drucker-Selfie von Thomas Vierke 5 Spiegel-Selfie von Dietmar Kollosché 6 Schatten-Selfie von Reinhard Berlin 7 Mucki-Selfie von Chevy Orlando Fritsch 8 Selfie mit Pirat von Dietmar Kollosché 9 Ansteh-Selfie von Rolf Mammen10 Lolli-Selfie von Hedda Berlin11 Vater-Sohn-Selfie von Reinhard & Monty Berlin12 BerlinDruck-Selfie von Tobias Nowacki13 Bügel-Selfie von Hedda Berlin14 Seifenblasen-Selfie von Chevy Orlando Fritsch15 Kollegen-Selfie von Denny Quednau & Marcus Lattermann16 Duckface-Selfie von Thomas Vierke17 Fuß-Selfie von Marvin Rönisch18 Bremen-Selfie von Ole Brüns19 Best-Friends-Selfie von Ilka König & ihrem Hund20 Buskellen-Selfie von André Appel

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Bitte

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IMPRESSUM

HerausgeberReinhard Berlin BerlinDruck GmbH & Co KG Oskar-Schulze-Straße 1228832 Achim

Telefon: 0421 / 438 71 - 0Telefax: 0421 / 438 71 - 33E-Mail: [email protected]

ISSN 2199-1561

Konzept/Redaktion/Gestaltungwww.kleinerundbold.com

Redaktionsanschrift:kleiner und bold GmbHLeuschnerdamm 1310999 Berlin

Telefon: 030 / 616 51 61 - 0E-Mail: [email protected]

TitelmotivHaiiro Sushi 16, © SIT – sitnie.com

Chefredakteur und verantwortlich im Sinne des PresserechtsTammo F. Bruns

RedaktionsleitungJulia Kühn

TextchefinSelina von Holleben KorrektoratDr. Markus Weber

AutorenSimona AsamMareile BraunBritta GörtzHasso-Plattner-Institut Katja LindemannMarkus MorgenrothThorsten PetzoldDr. Frank SchirrmacherProf. Dr. h. c. Erik SpiekermannUlrike Stöckle

Autoren der RedaktionReinhard BerlinSelina von HollebenJulia Kühn

GestaltungAnnika BesteJenny KucharczykMichaela PatznerTselmuun Bolor

Umsetzungwww.berlindruck.de

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MAKING OF

Wir betreiben aktiven Klimaschutz durch klimaneutrale Produktion unseres Magazins:

In unserem Prinergy Evo Workflow konnten wir die Seiten dieses Heftes auf einem farbverbindlichen 26 Zoll Quato Panorama-Bildschirm betrachten. Die Kodak-Druckplatten wurden auf unserer CtP-Anlage Magnus 800 Quantum belichtet. Gedruckt wurde auf Profibulk mit 1,1fachem Volumen, einem Produkt der IGEPAgroup (www.igepagroup.com). Es ist ein naturmatt gestrichenes, holz-frei weißes Bilderdruckpapier mit natürlicher Anmutung und außergewöhnlicher Haptik. Für den Umschlag kam 250 g/m², für den Inhalt 150 g/m² zum Einsatz. Acht Inhaltsseiten haben wir auf dem neuen Feinstpapier WILD von Römerturm (www.roemerturm.de) gedruckt. Es ist ein außergewöhnlich natürlicher Karton mit einer samtig-weichen Oberflächenstruktur. Auf unserer Heidelberger Speedmaster XL 105+L erfolgte der Offsetdruck mit den Skalenfarben High Speed von Epple Druckfarben (www.epple-druckfarben.de). Das Logo des Magazines auf dem Titel wurde mit UV-Lack und anschließender Hochprägung bei der Firma Gräfe Druck & Veredelung GmbH in Bielefeld (www.graefe-druck.de) veredelt. Die gleichbleibende Qualität nach DIN ISO 12647 (Prozess Standard Offset) haben wir mit Image Control geprüft und dokumentiert. Die buchbinderische Verarbeitung unseres Magazins erfolgte im Hause Print Medien Verarbeitung Runge GmbH (www.pmv-runge.de) auf dem Klebebinder Müller-Martini Bolero.

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w.b

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dru

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www.kleinerundbold.com ISSN 2199-1561

»Es gibt in Deutschland nur zwei Arten von Menschen, die, deren Leben das Internet verändert hat, und die, die nicht wissen, dass das Internet ihr Leben verändert hat.«

Sascha Lobo faz.net, 11. Januar 2014