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Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 15. Dezember 2012, 11.05 – 12.00 Uhr KW 50 Das Leben ist ein Fado – Die Portugiesen und ihre musikalische Visitenkarte Mit Reportagen von Jochen Faget Redakteur am Mikrophon: Henning von Löwis Musikauswahl und Regie: Babette Michel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar –

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Deutschlandfunk

GESICHTER EUROPAS

Samstag, 15. Dezember 2012, 11.05 – 12.00 Uhr

KW 50

Das Leben ist ein Fado –

Die Portugiesen und ihre musikalische Visitenkarte

Mit Reportagen von Jochen Faget Redakteur am Mikrophon: Henning von Löwis

Musikauswahl und Regie: Babette Michel

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar –

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GSE INTRO MUSIK O-TON

„Im Grunde kann der Fado jede Botschaft übermitteln , an der

uns Portugiesen etwas liegt. Gesungen wird von Lieb e und Leid,

auch von aktuellen sozialen Problemen. Der Fado ist die Kunst,

Geschichten zu erzählen, die uns Portugiesen wichti g sind.“ MODERATION

Die Direktorin des Fado-Museums in Lissabon. Und de r Wirt

einer Fado-Kneipe im Bairro Alto:

O-TON

„Am wichtigsten ist, dass der Fado nicht stirbt. Un d mit all

den jungen Menschen, die jetzt singen, wird er nie sterben. Es

können Jahrzehnte vergehen und hier wird weiter Fad o gesungen

werden. Der Fado stirbt einfach nicht.“ MUSIK

MODERATION

Gesichter Europas. Heute: Das Leben ist ein Fado. D ie

Portugiesen und ihre musikalische Visitenkarte. Ein e Sendung

mit Reportagen von Jochen Faget. Am Mikrofon: Henni ng von

Löwis.

MUSIK

MODERATION

Praca de Espanha – eine gute Adresse in Lissabon. H ier

residiert eine Stiftung, die seit Jahrzehnten das k ulturelle

3

Leben in Portugal entscheidend prägt und – vor alle m –

finanziert: die Fundacao Calouste Gulbenkian.

Im Kriegsjahr 1942 wurde Portugal zur zweiten Heima t des

steinreichen britischen Ölforschers, Geschäftsmanns und

Kunstsammlers armenischer Herkunft Calouste Gulbenk ian.

Rui Vieira Nery ist in der Gulbenkian-Stiftung Dire ktor des

Programms für portugiesische Sprache und Kultur. Wi e kaum ein

anderer kennt er sich aus in Portugals Musikszene. Seinen

Doktor der Musikwissenschaft machte an der Universi tät von

Texas in Austin. Heute hält er Vorlesungen über den Fado an

der Universidade Nova. In punkto Fado kann man ihm nichts

vormachen.

Rein äußerlich sieht man ihm den Professor nicht un bedingt an.

Drei-Tage-Bart, teurer lässiger Anzug, politisch is t er eher

links.

In seinem riesigen Büro kocht Rui Vieira Nery gern mal einen

Espresso und doziert mit sichtlichemVergnügen über sein

Lieblingskind – den Fado und die Königin des Fado A mália

Rodrigues.

Musik 1: Amalia “Tudo isto é Fado”

Von armen Seelen singt sie, von verlorenen Nächten und

geheimnisvollen Schatten. Amália Rodrigues, die 199 9

verstorbene Königin des Fado. Von Liebe und Eifersu cht, von

Rui Vieira Nery

4

Schmerz und Sünde. Doch all das gibt es, schluchzt sie mit den

Gitarren um die Wette, all das ist Fado.

Klagen und leiden im Vier-Viertel-Takt. Amália Rodr igues habe

die Nationalmusik der Portugiesen nicht nur weltwei t bekannt

gemacht, sondern auch nachhaltig geprägt, stellt de r

Musikologe Rui Vieira Nery mit wissenschaftlicher N üchternheit

fest:

O-Ton 1: Rui Vieira Nery

„Das Fadobild im Ausland ist stark davon beeinflußt , wie

Amália Rodrigues diese Musik vorgetragen hat. Sie w ar die

erste große Fado-Sängerin, die internationalen Erfo lg hatte.

Und Amália war eben diese dunkelhäutige, schwarzhaa rige Dame,

ganz in schwarz gekleidet, die traurige Lieder mit vielen

‚ays’ sang. Da musste ja dieses Klischee einer trag ischen,

fatalistischen Musik entstehen.“

Auch wenn das gar nicht stimmt, doziert der Profess or weiter

und kann ein verschmitztes Lächeln nicht unterdrück en. Denn

Fado, so Lektion Nummer eins, ist immer anders, als man denkt:

O-Ton 2: Rui Vieira Nery

„Es gibt viele fröhliche Fados. Und energische oder

gefühlvolle. Und sehr lebhafte. Aber da ist eben au ch dieses

leicht melancholische Element des Fado, das uns Por tugiesen

anhaftet.“

Womit Amália Rodrigues dann doch wieder Recht hätte : All das

gibt es, all das ist traurig, all das ist Fado.

Rui Vieira Nery hat mehrere Bücher über den Fado ge schrieben,

ist eine Kapazität. Er hat die Spreu vom Weizen get rennt, die

Legenden von den Tatsachen. Das ist beim Fado nicht leicht, zu

5

eng ist seine Geschichte mit der Portugals verquick t, zu oft

wurde sie geschönt. Also weg mit dem Mythos, der Fa do sei

uralt:

O-Ton 3: Rui Vieira Nery

„Fado ist portugiesische urbane Musik, die in Lissa bon um

1820, 1830 entsteht. Er ist die Fusion afro-brasili anischer

Tänze, zu denen auch gesungen wurde. Die kamen aus Brasilien,

als das Land eine portugiesische Kolonie war und ha ben sich

mit portugiesischen Elementen vermischt. Portugal l itt damals

unter den französischen Invasionen. Lissabon war vo ller

Flüchtlinge aus dem ganzen Land und in diesem Schme lztiegel

entsteht eine neue populäre Kultur.“

Populär heiße ganz nah am Volk, betont der 55jährig e

Musikologe:

O-Ton 4: Rui Vieira Nery

„Fado ist das Lied der Tavernen, der Bordelle, der armen

Viertel Lissabons, vor allem unten am Hafen. Später erreicht

der Fado dann auch andere soziale Schichten der Sta dt.“

In Portugal herrscht damals Bürgerkrieg, es geht dr unter und

drüber. Das Ende der Monarchie zeichnet sich ab, re volutionäre

Ideen machen die Runde. Irgendwann kommt der Fado z war auch in

den Häusern der feinen Bürger an. Doch zunächst ist er

rebellisch, gehört den Arbeitern:

O-Ton 5: Rui Vieira Nery

„Der Fado war mit der Arbeiterbewegung eng verbunde n. Ebenso

mit den Republikanern und den Anarchisten. Es gibt hunderte

von klassenkämpferischen Fados über Marx, die russi schen

Anarchisten oder die portugiesischen Sozialisten. S ie

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kritisieren Privatbesitz, die herrschende Unmoral u nd sogar

die Kirche.“

Anfang des 20. Jahrhunderts setzt eine Militärdikta tur dem

anarchistischen Chaos in Portugal ein Ende, aus ihr entsteht

der ‚Estado Novo’, der ‚neue Staat’ António Oliveir a Salazars,

der mit Demokratie ebenfalls nicht viel am Hut hat. Und

anfangs auch nicht mit dem Fado:

O-Ton 6: Rui Vieira Nery

„Als die Militärdiktatur zu einem faschistischen Re gime wird,

steht dieses dem Fado sehr misstrauisch gegenüber u nd zensiert

ihn sehr stark. Nach dem 2. Weltkrieg jedoch missbr aucht das

Regime den Fado als Propagandamittel.“

Musik 2: Abandono

Radio und Fernsehen haben ihren Siegeszug durch Por tugal

angetreten. Und die senden, da wenig anderes erlaub t ist,

traurige Fados, erklärt Rui Vieira Nery. Denn die

entschärften, fatalistischen Texte passen gut ins S ystem und

eben auch zur Denkungsart der Portugiesen:

O-Ton 7: Rui Vieira Nery

„Diese Idee eines unvermeidbaren Schicksals, das un s

beherrscht, diese Idee persönlicher Machtlosigkeit, die Idee,

dass das Schicksal böse ist, steckt in unserer Kult ur.“

Dennoch lässt der Fado sich nicht besiegen, er leis tet

Widerstand. Natürlich sei es Amália Rodrigues, die

Fadokönigin, die auch regimekritische Lieder singt, erklärt

der Musikwissenschaftler. Als Beispiel nennt er ‚Ab andono’,

‚Verlassenheit’, einen Fado, der vordergründig das Schicksal

eines Seefahrers beschreibt.

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In Wahrheit jedoch handelte das Lied vom Schicksal der

Kommunistenchefs Álvaro Cunhal, der jahrelang in ei ner

Marinefestung eingesperrt gewesen sei, stellt Vieir a Nery

richtig und zitiert sogar den Text:

O-Ton 8: Rui Vieira Nery

„Wegen deines freien Denkens haben sie dich weit we g gebracht

und eingesperrt. Aber wenigstens hörst du den Wind, hörst du

das Meer.“

O-Ton 9: Rui Vieira Nery

Fado sei eine höchstemotionale Musik, betont der

Musikwissenschaftler, weltweit verständlich und doc h

urportugiesisch. Darum habe er nicht nur bis heute überlebt,

sondern sei nach wie vor äußerst beliebt. Das bewei se auch die

neue Generation junger Fadosänger, die im In- und A usland

große Erfolge feierten.

Musik 1: Amalia – “Tudo isto é Fado”

Obwohl der Fado schon mehrmals tot gesagt worden se i, gehe es

ihm jetzt besser, als zuvor. Weil er sich den neuen Zeiten

angepasst habe, und doch der Alte geblieben sei. We il er die

Welt nicht nur schwarz-weiß, sondern in allen Farbe n male.

Weil er ‚world music’ geworden und doch so portugiesisch

geblieben sei:

O-Ton 10: Rui Vieira Nery

„Er gehört einfach zu Portugal. Portugal wäre nicht Portugal

ohne den Fado. Natürlich ist Portugal mehr als Fado , aber er

ist ein gutes Beispiel dafür, was es heißt, Portugi ese zu

sein. “

8

Und dazu gehören eben auch ein bisschen Weltschmerz und

Melancholie. Dazu gehören auch verlorene Seelen, Sc hmerz und

Sünde. All das gibt es, all das jedoch ist nicht nu r traurig,

aber all das ist Fado.

MUSIK

MODERATION

Der Fado – das ist in Portugal ein Stück urbaner Fo lklore, im

wesentlichen beschränkt auf zwei Orte: die Universi tätsstadt

Coimbra und Lissabon. Auf dem flachen Land – zwisch en Minho

und Algarve – klingt Portugal ganz anders, oft viel

fröhlicher. Lissabon ist die Hauptstadt Portugals – und

zugleich die Haupt -Stadt des Fado. Lissabon zu entdecken – das

heißt auch und nicht zuletzt auf den Spuren des Fad o zu

wandeln. Aber erst einmal muss man ankommen in Liss abon.

In seinem Buch „Seefahrer, Sehnsüchte und Saudade –

Lissabonner Perspektiven“ beschreibt der Schriftsteller Rolf

Osang seine Rückkehr in eine faszinierende Metropol e am Rande

Europas.

MUSIK

LITERATUR 1

Das Flugzeug glitt absinkend Lissabon entgegen. Den Rio Tejo

überflog es bei Belém, dann kam die Brücke des Süde ns in

Sicht, majestätisch wirkte sie, auch wenn die manns dicken

Hängeseile wie zierliche Girlanden schienen. Über d en

ausgebreiteten Armen des die Brücke und Lissabon

beschützenden, in Beton gegossenen Cristo Rei legte sich der

Airbus in die Kurve, und in Nahaufnahme zogen knapp unter ihm

nun die Bilder jener auf sieben Hügeln ausgebreitet en Stadt

vorbei, die er zehn Jahre lang nicht mehr gesehen h atte. Die

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Bilder hatten sich verändert. Lissabon hatte sich v erändert,

das wurde aus der Luft schon deutlich. Er war gespa nnt.

Diese Stadt hatte ihm einmal sehr viel bedeutet. In ihr, so

schien es vor zehn Jahren, ticken Uhren anders, lan gsamer, man

wurde nicht vorwärts gepeitscht von hechelnder Hekt ik wie zu

Hause in Europa. Hier in Portugal war er in einer a nderen Welt

gewesen.

MUSIK

MODERATION

Largo do Chafariz de Dentro – ein Platz, in dem das alte

Lissabon noch lebendig ist. Von hier führen enge Ga ssen steil

hinauf in die Alfama, Wäsche hängt vor den Fenstern , jeder

kennt jeden. An den Türen mancher Kneipen Plakate m it der

Ankündigung: ‚Hoje há Fado’ , heute gibt’s Fado.

Der Fado – das musikalische Aushängeschild Lissabon s ist hier

nicht nur zu Hause, seit 1998 hat er sogar ein eige nes Haus,

das ihm allein gewidmet ist.

Es trägt den Namen „Casa do Fado e da Guitarra Portuguesa“.

2008 wurde das Fado-Museum umgebaut und völlig neu gestaltet.

Haus-Herrin Sara Pereira ist von der ersten Stunde des Museums

mit von der Partie, sie hat es mit aufgebaut und wu rde dann

Direktorin. Sie gehörte zu den Hauptakteuren bei de r

Kandidatur des Fado zum UNESCO-Weltkulturerbe, die schließlich

im November 2011 zum Erfolg führte.

Sara Pereira

10

Atmo 1: Visita cantada Mouraria

Fado in einem Hinterhof im Lissabonner Stadtteil Mo uraria. Der

Sänger in Hemdsärmeln, die Sängerin mit einer roten Schürze.

Das Publikum lacht und klatscht, während die beiden

Geschichten aus dem Viertel improvisieren. Fado wie er leibt

und lebt – ein Bombenerfolg und eine Idee von Sara Pereira,

der Direktorin des Fado-Museums.

O-Ton 1: Sara Pereira

„In diesem Jahr haben wir mit den ‚gesungenen Besuc hen’ in den

historischen Fado-Vierteln Lissabons angefangen. Da sind

Stadtteilvereine und Amateursänger beteiligt. Die z eigen den

Besuchern ihr Viertel bei einem musikalischen Rundg ang. Zuerst

in der Mouraria und nächstes Jahr auch hier in der Alfama und

anderen Stadtteilen.“

Sara Pereira sitzt an ihrem Schreibtisch im Fado-Mu seum, legt

eine Broschüre beiseite. Das rosarote Gebäude am Ch afariz-de-

Dentro-Platz war früher eine Pumpstation der Lissab onner

Wasserwerke und liegt am unteren Rand der Alfama, e ines der

Viertel, in dem der Fado wahrscheinlich das Licht d er Welt

erblickte:

O-Ton 2: Sara Pereira

„Der Fado entstand im zweiten Viertel des 19. Jahrh underts in

den Altstadtvierteln von Lissabon. Die ersten Refer enzen

verbinden ihn mit Maria Severa Onofriana, einer Sch auspielerin

die sehr jung starb und die in allen Texten mit dem Beginn des

Fados als die Musik Lissabons in Verbindung gebrach t wird.“

Musik 1: A Severa Musik

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‚A Severa’ aus dem Jahr 1931 war auch der erste in Portugal

produzierte Tonfilm, erfahren die Besucher des Fado -Museums.

Eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen einem A deligen und

einer Lebedame, die so schaurig-schön den damals ve rruchten

Fado schluchzt. - Jaja, ganz am Anfang war Fado una nständig,

das niedrigste Volk sang ihn, rauchte und trank bil ligen

Rotwein dabei. Es heißt sogar, die Severa sei eine Nutte

gewesen. Aber das hat der Film natürlich geschönt.

Musik 2: A Severa Lied

Weine nicht, sing, sagt ein Mann zur traurigen Seve ra. Singen

vertreibt das Leid. Und Severa singt. Was für ein F ado!

Viel Multimedia führt den Besucher durch das Museum , Sara

Pereira und ihre Kollegen haben den Trip zu den wic htigsten

Stationen der Fado-Geschichte sehr interessant gema cht. Auch

die Versuche, den Fado an die Kandare zu nehmen, fe hlen nicht.

Während der Salazar-Diktatur, die in den 1930er Jah ren begann,

war Sozialkritik durch aufmüpfige Fado-Sänger verbo ten.

Reproduktionen zensierter Liedtexte belegen das. Di e

Museumsmitarbeiterin Rita Oliveira erklärt:

O-Ton 3: Rita Oliveira

„Das Zensurgesetz hat auch alle künstlerischen Akti vitäten

reglementiert. Alle Veröffentlichungen wurden zensi ert, auch

die Fados mussten zuerst den Zensoren vorgelegt wer den.“

Atmo 2: Schritte Museum

Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit einem Jahr gehö rt der Fado

jetzt zum Weltkulturerbe der UNESCO, Unter anderem auch das

Verdienst der dynamischen Museumsdirektorin Ende 30 , die stolz

12

durch die Ausstellungsräume geht. Gerade wegen der

Auszeichnung gebe es viel zu tun:

O-Ton 4: Sara Pereira

„Auch ein lebendiges Weltkulturerbe wie der Fado mu ss

geschützt werden. Er wird zwar ständig gesungen, is t sogar

sehr dynamisch. Es gibt eine neue Generation sehr t alentierter

Interpreten und all das. Aber seine Geschichte, die Dokumente

über ihn, all das, was diese Geschichte belegt, mus s erhalten,

studiert und verbreitet werden.“

In modernen Zeiten auch mit modernen Mitteln. Darum lässt Sara

Pereira gerade den Internetauftritt des Fado-Museum s

überarbeiten:

O-Ton 5: Sara Pereira

„Bis zum Jahresschluss wird es möglich sein, einen virtuellen

Museumsrundgang zu machen und die Amália-Rodrigues- Stiftung zu

besuchen. Auch ein Fado-Lokal und eine Fadogruppe m it großer

Tradition. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Versi on für

tablet-Computer und smartphones, die Anfang nächste n Jahres

fertig sein wird.“

Natürlich werde jedoch auch die alte Tradition des Fado nicht

vergessen, versichert Rita Oliveira, die Mitarbeite rin der

Museumsdirektorin:

O-Ton 6: Rita Oliveira

„Hier haben wir ein typisches Fado-Lokal und sein A mbiente

nachempfunden. Die Besucher können hier Filme aus L okalen mit

Fado-Interpreten aus verschiedenen Epochen sehen.“

Atmo 3: Gitarrenmusik Museum

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Sara Pereira erzählt derweil die Erfolgsstory des F ado: Vom

Revue-Theater führt ihn sein Siegeszug Anfang des 2 0.

Jahrhunderts zum Radio, dann ins Fernsehen. Mitte d er 1970er

Jahre der große Rückschlag – nach der Nelkenrevolut ion war der

Fado eine Zeit lang als reaktionär verrufen. Dann k am der

weltweite Durchbruch:

O-Ton 7: Sara Pereira

„In den 80er Jahren wurde der Fado eine Art Markenz eichen für

Portugal. In der sogenannten world-music behauptet er einen

herausragenden Platz.“

Fado sei inzwischen sogar zu einem richtigen Geschä ft für das

dauerkrisengeschüttelte Portugal geworden:

O-Ton 8: Sara Pereira

„Der Fado ist, wenn man das so sagen will, ein wich tiges

kulturelles Produkt im Exportbereich. Ein rettender Strohhalm

für die Musikindustrie. Wegen der Krise bricht der Binnenmarkt

weg, in den vergangenen zwei Jahren wurden 40 Proze nt weniger

verkauft. Fado macht bereits 60 Prozent unserer Mus ikexporte

aus, wird also immer wichtiger.“

Musik: Fado

Übrigens auch für die Portugiesen, selbst wenn die immer

weniger CDs kaufen, meint Sara Pereira. Denn natürl ich sei

Fado ein Mittel, Gefühle zu kanalisieren. Wenn nöti g, ein

Ventil für Leid und Frust und an beidem fehle es ge rade nicht.

Am Fado könne man sich festhalten, wenn das sein mu ss:

O-Ton 9: Sara Pereira

„Im Grunde kann der Fado jede Botschaft übermitteln , an der

uns Portugiesen etwas liegt. Gesungen wird von Lieb e und Leid,

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auch von aktuellen sozialen Problemen. Der Fado ist die Kuns t,

Geschichten zu erzählen, die uns Portugiesen wichti g sind.“

Darauf, dass ihr und ihren Kollegen das im Lissabon ner Fado-

Museum immer wieder gelingt, kann Sara Pereira stol z sein.

MUSIK

LITERATUR

Den Lissabonner Geist wollte er neu entdecken. In e ine seiner

ehemaligen Stammkneipen ging er ein Bier trinken. H ochbetrieb

schon auf der Straße, Menschentrauben davor, Musik quoll mit

dem Rauch zahlloser Zigaretten heraus. Eine Fado- Kneipe. Eine

echte, kein für Touristen auf »typisch« getrimmtes, lausig

teures Fado -Lokal. Jeder, der will, kann hier singen. Er

zwängte sich hinein. Zehn Jahre? Er sah alte Gesich ter. Die

Frau hinter dem Tresen, Dona Maria de Lourdes, erka nnte ihn,

nickte kurz, aber kein Wort fiel; denn beim Fado herrscht

eisernes Schweigen, nur Schluchzen und Mitsingen is t erlaubt.

Mehr Touristen gab es jetzt auch hier. Nichts blieb denen

verborgen. In einer anderen Kneipe saß er in der Ec ke und

lauschte den Mitternachtsgesprächen. Er hörte Worte , die ihm

vertraut waren: Neue Menschheitsmodelle. Aber jetzt mit

Cyberspace und Gigaspeed. Hatte er gehofft, Europas

Südwestkante bliebe- verschont, würde in alten Mode llen

steckenbleiben? Nun war er beruhigt. Lissabon hatte sich

gemausert, war modern geworden, war nicht mehr bett elarm - und

das war auch gut so.

MUSIK

MODERATION

Als kleinen Jungen hat es ihn aus der tiefsten

nordportugiesischen Provinz nach Lissabon gezogen, weil er die

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Welt kennenlernen wollte. Die Welt des Fado, die ih n immer

fasziniert hat. Also wurde er Tellerwäscher in eine m Fado-

Lokal, diente sich hoch und hat sich zuletzt den Tr aum seines

Lebens erfüllt und eine Fado-Kneipe eröffnet. In de r

altehrwürdigen Rua do Diário de Notícias in seinem geliebten

Viertel, wo er auch immer gewohnt hat, dem Bairro A lto.

Allerdings genau zu dem Zeitpunkt, als im Bairro A lto die

letzten alten Kneipen, in denen Rotwein getrunken u nd Fado

gesungen wurde, gerade geschlossen hatten. Denn ‚Ch ico’ ist

ein Dickschädel. Er wollte einfach nicht glauben, w as alle

damals sagten: dass der Fado stürbe, niemand mehr d iese Musik

hören wolle, es mit der alten Kneipen-Herrlichkeit vorbei sei

und die Zukunft modernen Bars mit lauter Musik gehö re. Der

Erfolg gab ihm Recht, der Fado feierte seine

Wiederauferstehung und ist groß in Mode. Und Chico’ s Tasca ist

ein beliebter Treffpunkt vor allem junger Fado-Fans geworden,

eine typische alte Kneipe zwischen vielen lauten, m odernen

Bars.

Musik 1: A tasca do Chico

‚Chico’s Kneipe im Bairro Alto ist die beste’, sing t einer der

Gäste und Chico, der Besitzer sitzt fast verschämt auf einem

Hocker neben dem Holztresen. Er hält ein Glas Rotwe in in der

Hand, raucht eine Zigarette. Irgendwie ist ihm die Lobhudelei

Francisco Gonçalves

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in Fado-Form peinlich und irgendwie macht es ihm au ch

fürchterlich Spaß. Chico, eigentlich Francisco Gonç alves, hat

sich den Traum seines Lebens erfüllt:

O-Ton 1: Francisco Gonçalves

„Ich wollte immer eine Fado-Kneipe haben. 1996 habe ich sie

dann endlich eröffnet. Ich habe alles so gelassen, wie es

früher war. Jetzt kann hier jeder Fado singen, der will. Alte

und junge Leute. Ich habe etwas aufgebaut, das mir gefällt und

wichtiger noch, auch den Gästen.“

Atmo 1: Tasca do Chico

Schwarzes Hand, schwarze Hose, graue Haare, fast im mer eine

Zigarette in der Hand. Der 55jährige Chico mit sein em Drei-

Tage-Bart sieht eigentlich aus wie ein Bilderbuch- Fadosänger,

ein echter Fadista. Doch singen sei nichts für ihn, meint er

ganz bescheiden:

O-Ton 2: Francisco Gonçalves

„Aus Respekt vor dem Fado singe ich nicht. Ich habe eine

fürchterliche Stimme. Dabei kenne ich die Lieder un d die

Texte, die die Leute hier singen, alle. Ausnahmslos alle. Und

oft fragen mich die Gäste, warum ich eigentlich nic ht singe.

Aus Respekt, sage ich dann, aus Respekt vor dem Fad o.“

Also ist Chico statt Sänger Wirt geworden. Er hat s einen Beruf

von der Pieke auf gelernt. Und dabei seine Liebe zu m Fado

entdeckt:

O-Ton 3: Francisco Gonçalves

„Als kleiner Junge habe ich in einem Fadolokal als

Tellerwäscher angefangen und mich hoch gearbeitet. Dabei hatte

ich die Ehre, alle großen Fadosänger kennenzulernen , unter

ihnen auch Amália Rodrigues. Das war ein großes Glü ck und hat

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meine Liebe zum Fado noch vertieft. Sie waren alle sehr gute

Menschen und sie haben alle in den Fadolokalen des Bairro Alto

gesungen.“

In den 1980er Jahren jedoch ging es dann bergab mit dem Bairro

Alto, Lissabons altem Bohéme-Viertel. In die altehr würdigen

Fadolokale kamen bestenfalls noch Busladungen japan ischer und

koreanischer Touristen. Die traditionellen Weinknei pen, die

‚Tascas’, schlossen; es war die Zeit, in der alle s agten, das

Ende des Fado sei gekommen:

O-Ton 4: Francisco Gonçalves

„Dabei war das so schön: Man rauchte, einer spielte Gitarre,

einer anderer sang und los ging’s mit dem Fado. All es

Amateure, aber man traf sich gern. Die einen sangen gut, die

anderen weniger gut, aber es machte allen Spaß. Und damit

sollte es vorbei sein.“

Unmöglich, sagte sich Chico. Und während überall im Bairro

Alto moderne Bars aufmachten, schwamm Chico gegen d em Strom,

eröffnete seine ‚Tasca’. Trotz großer Probleme:

O-Ton 5: Francisco Gonçalves

„Ich kochte Schnitzel und Grünkohlsuppe, wie das fr üher üblich

war. Da kam eine Inspekteurin von der Stadt und sag te, das sei

verboten. Auch meine guten Stockfischküchlein musst en weg.“

Musik 1

Jetzt gibt es all das wieder, Chico hat lange genug

durchgehalten. Als der Fado in den 1990ern wieder i n Mode kam,

durfte er nicht nur seine typisch Lissabonner Snack s wieder

verkaufen, seine Kneipe wurde sogar zur absoluten A ttraktion.

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Zehn Holztische stehen in der engen ‚Tasca do Chico ’, an den

Wänden hängen Fotos alter Fadostars. Die Zeiten mög en sich

ändern, der Fado und seine Interpreten seien sich j edoch immer

treu geblieben, stellt Chico fest und zählt die gro ßen Namen

auf. Die Damen ehrfurchtsvoll mit dem Titel ‚Dona’, auf

Deutsch ‚Gnädige Frau’:

O-Ton 6: Francisco Gonçalves

Die Sängerinnen der neuen Generation nennt Chico li ebevoll

kleine Mädchen, ‚miudas’. Denn er kennt auch sie al le

persönlich. Viele von ihnen haben in seiner Tasca g esungen,

bevor sie Karriere machten:

O-Ton 7: Francisco Gonçalves

„Inzwischen gibt es wieder so viele gute Sängerinne n. Carminho

zum Beispiel, die hat schon als Kind hier gesungen. Nun ist

sie berühmt, aber ihre ersten Schritte als Fadosäng erin hat

sie hier in meiner tasca gemacht.“

Jetzt strahlt Chico übers ganze Gesicht. Die Kneipe ist voll,

junge Portugiesen sind hier, aber auch viele Auslän der.

Touristen und Fado-Liebhaber aus aller Welt. Die ei nen hören

nur zu, die anderen wollen auch singen. Einen hat C hico bis

heute nicht vergessen:

O-Ton 8: Fancisco Gonçalves

„Vor vier, fünf Jahren kam ein Japaner, Tako hieß e r. Zuerst

stand er ein paar Tage hinten am Fenster und hat di e Musik

aufgenommen. Dann kam er zu mir und sagte, er wolle einen Fado

singen.“

Tako habe sogar gut gesungen, schmunzelt Chico sich tlich

zufrieden. Denn der ach so typisch portugiesische F ado gehe

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eben jedem ans Herz. Auch den Ausländern. Am wichti gsten

jedoch sei, dass die ‚Tasca do Chico’ jungen Mensch en die

Chance biete, vor Publikum zu singen:

O-Ton 9: Francisco Gonçalves

„Die Tasca ist gut für Anfänger. Schließlich beginn t niemand

seine Karriere gleich auf einer großen Bühne, wird niemand als

Star geboren. Und hier können die Jugendlichen auft reten und

lernen. Es müsste viel mehr solcher Kneipen geben, damit neue

Talente sich entwickeln können.“

Neue, junge Talente gibt es derweil immer mehr. Fad o ist groß

in Mode, nicht zuletzt dank Chico und seiner Tasca. Er sei

schon zufrieden, wenn er nur ein kleines bisschen z um

Überleben seiner Lieblingsmusik beigetragen habe, v ersichert

der Fado-Wirt bescheiden wie immer und freut sich:

O-Ton 10: Francisco Gonçalves

„Am wichtigsten ist, dass der Fado nicht stirbt. Un d mit all

den jungen Menschen, die jetzt singen, wird er nie sterben. Es

können Jahrzehnte vergehen und hier wird weiter Fad o gesungen

werden. Der Fado stirbt einfach nicht.“

Dann dreht Chico sich um, drängt sich durch die Gäs te zum

Eingang. Carminho, die Fadista ist gerade gekommen und begrüßt

den Wirt mit Umarmung und Küsschen. Singen wird sie heute

Abend wohl nicht, sondern nur ein bisschen abhängen unter

Freunden in der ‚Tasca do Chico’. Dort, wo die eine n rauchen

und trinken, die anderen Gitarre spielen. Und wer L ust hat

singt. Beim Fado eben.

MUSIK

20

LITERATUR

Die Burg Sao Jorge hebt sich mit ihrem Zinnenkranz markant vom

stahlblauen Nachthimmel ab. Am stimmungsvollen Plat z Pátio de

Dom Fradique steht ein Fadosänger unter einem Torbo gen, er ist

jung, aber des Lebens Weisheit und der Schmerz ist ihm in die

leidenden Züge geschrieben. Hinter ihm sitzt ein

Gitarrespieler am Boden, ein zweiter lehnt an der b röckelnden

Wand. Es klingen des Sängers Töne suchend durch die Nacht und

erinnern an arabische Klänge mit fremden Harmonien. Sie singen

über die Liebe, denn Liebe vergehet, ach, alles ver gehet, nur

Saudade, Saudade vergehet keinem ... Jubel! Rasender Beifall!

Leute stehen von ihren Sitzen auf, vergessen sogar die

sardinhas. Glückliche Gesichter. Bis des Sängers Züge mit

einem Mal fast versteinern. Er hebt die Hand. Ruhe kehrt ein.

Eine Gitarre schlägt an, und gleich die zweite meis terhaft,

dazu besingt der Sänger die Liebe zu Lissabon, Cheira Lisboa.

Die Leute singen mit, einige ergreifen die Hand des Nachbarn,

und schon fließen wieder die Tränen. Noch eine Kann e Wein!

MODERATION

Carminho ist einer der aufsteigenden Sterne am Fado -Himmel.

Dabei gehört sie eigentlich schon zur ersten Genera tion nach

den neuen Stars, die den Fado wieder in Mode gebrac ht haben:

Marisa, Dulce Pontes, Ana Moura, Camané.

Mit 22 Jahren, nachdem sie fast ein Jahr um die Wel t gereist

ist, beschließt sie, den Fado zu ihrem Beruf zu mac hen.

Carminhos Mutter Tereza Siqueira war nicht nur eben falls

Fadista, sie betrieb auch ein Fado-Restaurant, in d em die

kleine Carminho alle namhaften Fado-Stars kennenler nte. Fado

singen sei ihr ein Bedürfnis, sagt sie, ein Mittel um zu

Überleben. Denn durch den Fado könne sie alles ausd rücken.

Fado sei das pure Leben, das jetzt obendrein auch n och cool

21

sei. Denn heutzutage würden die jungen Portugiesen sich und

ihre Erfahrungen im Fado wiedererkennen.

Musik 1: Carminho Alfama

Stimme hat sie satt, selbst ohne Gitarrenbegleitung . Im sexy

roten Kleid steht sie auf der Bühne der Lissabonner

Nobeldiscothek Lux und singt über die Alfama, ein h eute eher

heruntergekommenes Stadtviertel. Sie singt über den Geruch von

Schmerz, Trauer und Einsamkeit, leidet sichtlich da bei. So ist

der Fado eben und das Publikum – ausschließlich jun ge Leute –

klatscht begeistert, als ihr die Musiker zu Hilfe k ommen.

Gitarren

Dabei ist Carminho gar kein Kind von Traurigkeit, b ehauptet

sie zumindest:

O-Ton 1: Carminho

„Ich bin eher fröhlich, sieht man das nicht? Aber i ch bin auch

traurig, manchmal sehr traurig. Ach Quatsch. Ich bi n nicht

traurig, ich bin nostalgisch. Aber ich werde leicht traurig,

bin leicht betroffen.“

28 Jahre jung, lange braune Haare, große, dunkle Au gen,

verschmitzte Grübchen an den Mundwinkeln. Schwer zu sagen, was

Carminho

22

Carmo Rebelo de Andrade – so heißt sie mit vollen N amen –

wirklich ist. Zurückhaltend und unnahbar, so wie ma n sich eine

Fado-Sängerin, eine „Fadista“, vorstellt, ist sie a uf keinen

Fall:

O-Ton 2: Carminho

„Ich gehöre auch zur Facebook-Generation, zu den ju ngen

Menschen, die gern reisen. Zur Generation der schne lllebigen

Information, der social media, der grellen Bilder. Denn das

alles beeinflusst schließlich urbane Musik.“

Atmo 1: Café

Fado sei Lissabon, also urbane Musik, sagt die Säng erin. Und

die ändere sich und bleibe trotzdem gleich. Jetzt l ehnt

Carminho sich über den Tisch, spielt mit ihrer ries igen

Luxusuhr. Nein, mit der Unnahbarkeit der Fado-König in Amalia

Rodrigues hat das absolut nichts zu tun. Auch nicht mit

billigem Rotwein und all den alten Fado-Klischees. Da sitzt

die selbstbewusste Vertreterin einer neuen Generati on, fährt

sich eben mal locker mit der Hand durch die Haare, atmet tief

durch, bevor sie noch einmal klar stellt:

O-Ton 3: Carminho

„Fado ist cool. Fadotexte sind Poesie und darum coo l, die

Musik ist cool. Und die alte Trennung zwischen Popm usik und

Fado ist verschwunden.“

Musik 1

Gitarren

Verantwortlich dafür sind coole Interpreten wie Car minho und

all die anderen neuen Fado-Sänger und -Sängerinnen. Die haben

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neue Themen gefunden, bringen alte Texte in moderne Fassungen.

Wobei Carminho eigentlich zur alten Schule gehört:

O-Ton 4: Carminho

„Meine Mutter hatte ein Fado-Lokal. Da habe ich nat ürlich

viele Künstler getroffen und das hat mich stark bee influsst.

Ich habe den Fado sozusagen mit der Muttermilch get runken.“

Während ihrer Schulzeit habe sie sich dafür noch ge schämt,

damals habe Fado als altmodisch gegolten, sei verpö nt gewesen.

O-Ton 5: Carminho

„Und ich war damals wohl auch zu jung, hatte noch n icht genug

Persönlichkeit, mich zum Fado zu bekennen. Aber sei t ich

erwachsen wurde, weiß ich, was ich will. Jetzt ist mir egal,

ob das den Leuten passt, oder nicht.“

Musik 2: Ende Fado, Applaus

Kokettieren kann Carminho durchaus auch. Denn natür lich passt

es den Leuten, immer mehr sogar. Ihre Konzerte sind

ausverkauft, Carminho hat erfolgreiche Tourneen in der ganzen

Welt hinter sich. Sang schon in Korea, in Polen und auch in

Deutschland.

Wie der ganze Fado-Hipe angefangen habe? Ein Lächel n, ein

Augenaufschlag und ein Bekenntnis: keine Ahnung!

O-Ton 6: Carminho

„Ich weiß nicht, wie das angefangen hat. Ich habe m ittwochs in

einer Kneipe gesungen, in einer coolen Kneipe im St adtteil

Alfama. Da fing diese ganze Vintage-Mode an und auf einmal war

es cool, durch die alten Viertel zu ziehen. In der Kneipe, wo

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ich sang, gab es keinen Mindestkonsum und darum wur de sie

immer voller. Plötzlich war die Hölle los.“

Atmo 2: Café

‚Und ich war plötzlich berühmt’, sagt Carminho dann doch

nicht, während sie wieder lächelt und wieder mit de r Luxusuhr

spielt. Schließlich singt eine Fadista nicht wegen der

Karriere, sondern weil sie singen muss, sprudelt es aus ihr

heraus:

O-Ton 7: Carminho

„Wer Fado singt, muss sehr emotionell sein. Wir Fad osänger

lieben Gefühle. Ich bin ein Opfer meiner Gefühle...

Spaß beiseite, ich bin wirklich ein Opfer meiner Ge fühle. Sie

zwingen mich, zu reagieren. Ich muss sie irgendwie

kanalisieren, damit es mir gut geht. Sonst könnte i ch nicht

überleben. Also singe ich, um zu überleben.“

Musik : Carminho singt

Ob singen um zu überleben das Geheimnis des Fados s ei? Ob Fado

wieder so sehr unter die Haut gehe, weil die leidig e Krise in

Portugal immer größer werde? Carminho hört die Frag en

aufmerksam, wird sehr ernst, fast traurig. Kann sei n,

antwortet sie:

O-Ton 8: Carminho

„In Krisenzeiten suchen die Menschen nach neuen Pri oritäten

und echten Werten. Der Fado hilft uns vielleicht da bei, denn

er ist urportugiesisch, kommt aus der Seele. Er erz ählt unser

Leben, das Leben eines jeden von uns.“

Gitarren

25

Und das sei ja bekanntlich nicht nur Sonnenschein, schließt

Carminho dieses Thema ab, lächelt wieder. Denn so b etrübt sie

manchmal auch sein mag, Carminho ist definitiv kein Kind von

Traurigkeit. Sie sei nur eine der vielen Fado-Sänge rinnen der

neuen Generation. Nicht mehr und nicht weniger. Mit allen

Tugenden und Untugenden, die diese Generation habe, lacht sie,

steht vom Tisch auf und verschwindet. Das allerding s mit der

Klasse und dem Hüftschwung einer ganz, ganz großen Fadista.

MUSIK

MODERATION

Im DEUTSCHLANDFUNK hörten Sie: GESICHTER EUROPAS: Das Leben

ist ein Fado. Die Portugiesen und ihre musikalische

Visitenkarte. Eine Sendung mit Reportagen von Joche n Faget.

Musik & Regie: Babette Michel. Ton & Technik: Anna Dhein und

Hendrik Manook. Am Mikrofon war Henning von Löwis.

MUSIK