das scharfe schwert des besichtigungsverfahrens im gewerblichen rechtsschutz - rechtsmittel und...
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Das scharfe Schwert des Besichtigungsverfahrens im gewerblichen Rechtsschutz - Rechtsmittel und Verteidigungsmöglichkeiten des Antragsgegners -
Dr. Anna Wolters 21. April 2010 Schloss Mickeln
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Besichtigungsverfahren
Besichtigungsverfahren zur Sicherung von Beweisen im Vorfeld eines Verletzungsprozesses
Art. 6, 7 Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG: Anordnung der Vorlage von Beweismitteln, sofern Schutz vertraulicher Informationen gewährleistetEinschließlich: “schneller und wirksamer einstweiliger Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung …”
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Besichtigungsverfahren
Umgesetzt mit Wirkung vom 1.09.2008 in: §§ 140c PatG, 24c GebrMG, 19a, 128, 135 MarkenG, 9 HalbLSchG, § 101a UrhG, 46a GeschmMG, 37c SortenSchG Umsetzung auf der Grundlage materiell-rechtlicher Ansprüche
Nicht (ausdrücklich) umgesetzt für UWGErwägungsgrund 13 RiLi 2004/48/EGAber: §§ 809, 810 BGB - Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/5048, (Seite 27, linke Spalte) stellt ausdrücklich auf BGH Faxkarte-Entscheidung für Urheber- und Wettbewerbsrecht ab
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Besichtigungsverfahren
§ 140c PatG: “(1) Wer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Rechtsinhaber oder einem anderen Berechtigten auf Vorlage einer Urkunde oder Besichtigung einer Sache, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, oder eines Verfahrens, das Gegenstand des Patents ist, in Anspruch genommen werden, wenn dies zur Begründung von dessen Ansprüchen erforderlich ist … Soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten.” (2) Der Anspruch nach Absatz 1 ist ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
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Besichtigungsverfahren
§ 140c PatG: (3) Die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden, Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird. …”
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Besichtigungsverfahren
Besichtigungsverfahren im Wege der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners, § 935 ff. ZPO
Besichtigungsverfahren mit Ziel der Beweissicherung kann nur sinnvoll ex parte erfolgen, da in der Regel Gefahr der Beweisvereitelung/-vernichtung
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Besichtigungsverfahren
Düsseldorfer Praxis: Kombinierte Beweisanordnung gemäß §§ 485 ff. ZPO mit Duldungsverfügung Vorteil: vollwertiges Sachverständigengutachten über die Frage der Rechtsverletzung, § 493 Abs. 1 ZPOAnderenfalls ggf. nur Parteigutachten
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Düsseldorfer Praxis
Beweisanordnung gemäß §§ 485 ff. ZPO: ” …da ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist und die Antragstellerin ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Sache festgestellt wird, die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO angeordnet.“„…es soll durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben werden, ob die in der Betriebsstätte der Antragsgegnerin befindlichen ….”Sachverständigenbestellung und Verschwiegenheit desselbenWegen der besonderen Eilbedürftigkeit ohne vorherige Ladung und Anhörung der Antragsgegnerin, § 491 Abs. 1 ZPO
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Düsseldorfer Praxis
Duldungsverfügung“Im Wege der einstweiligen Verfügung werden darüber hinaus folgende Anordnungen getroffen…”
Anwesenheit von Sachverständigen und Prozessbevollmächtigten zu gestattenGeheimhaltung durch Prozessbevollmächtigten auch gegenüber AntragstellerinUntersagung der Vornahme von Veränderungen an den zu begutachtenden GegenständenOrdnungsgeld für den Fall der ZuwiderhandlungDuldung der Untersuchung durch den Sachverständigen
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Rechtsmittel
Duldungsverfügung & selbständige Beweisanordnung: kein einheitliches Rechtsmittel
Anders, wenn keine Kombination mit selbständigem Beweisverfahren a.A. Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387 - Gesamtwiderspruch gegen einheitliche Besichtigungsverfügung
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Rechtsmittel
Einstweilige Verfügung: Widerspruch, §§ 936, 924 ZPO Fristsetzung zur Erhebung einer Hauptsacheklage, §§ 936, 926 ZPO
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Rechtsmittel
Widerspruch, §§ 936, 924 ZPO Ziel: Aufhebung der einstweiligen Verfügung? Maßnahmen: Duldung der Besichtigung und ggf. gewisse MitwirkungsobliegenheitenErledigung nach Beendigung der Besichtigung?
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Rechtsmittel
Erledigung erst mit Herausgabe des Gutachtens an die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin/Antragstellerin selbst?
Besichtigungsanspruch nach § 140c Abs.1 PatG sieht Besichtigung durch Anspruchsberechtigten vorGeheimhaltungsauflagen als ein “Weniger” Besichtigung (auch) durch Antragsteller selbst im Zweifel nicht beantragtZweck der Maßnahme: Duldung der Beweissicherung Maßnahmen wirken in der Regel nicht über Besichtigungstermin hinaus fort
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Verteidigung
Nur Widerspruch wegen der Kosten, wenn Antragsteller Verfügungsverfahren für erledigt erklärt
Formal: z.B. Einhaltung der Vollziehungsfrist, §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO Hinreichende Wahrscheinlichkeit der RechtsverletzungZeitliche DringlichkeitVorwegnahme der Hauptsache
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Verteidigung
Keine hinreichende Wahrscheinlichkeit?Grds. keine gesteigerten Voraussetzungen an Rechtsbestand des Rechts des geistigen Eigentums, da deutlich weniger schwerwiegender Eingriff, als bei Unterlassungsverfügung Ausreichend: konkrete Anhaltspunkte, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nahelegenÜbliche Einwände, von denen Gericht ggf. keine Kenntnis (z.B. positives Benutzungsrecht)
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Verteidigung
Interessenabwägung Keine ErforderlichkeitGeringer Grad der Wahrscheinlichkeit der RechtsverletzungBesondere GeheimhaltungsinteressenUnverhältnismäßigkeit
Zu weitgehender Inhalt und Umfang? Grds. relativ weitgehende Befugnisse – hängt von Beschaffenheit der zu besichtigenden Sache abGgf. Mitnahme von Mustern/Kopien; substanzzerstörende Untersuchungen zulässig
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Verteidigung
Mangelnde zeitliche Dringlichkeit?OLG Köln vom 9.01.2009, 6 W 3/09 (ZUM 2009, 427): „Zur Durchsetzung des Anspruchs aus § 101a UrhG… im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 101a Abs. 3 UrhG bedarf es gemäß §§ 935, 940 ZPO einer besonderen Dringlichkeit… Der Rechtsinhaber hat also den Verfügungsgrund glaubhaft zu machen… Dazu gehört, dass er sich nicht übermäßig lange Zeit mit der Anbringung des Besichtigungsantrages lassen darf.”
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Verteidigung
Mangelnde zeitliche Dringlichkeit?§ 935 ZPO verlangt Besorgnis, „dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte“ § 940 ZPO verlangt Notwenigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile Von Art. 7 RiLi 2004/48/EG nicht vorgesehenAnspruchsentstehung ist Rechtsinhaber gerade noch nicht bekannt
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Verteidigung
Mangelnde zeitliche Dringlichkeit?Gefahr der Beweisvereitelung/-vernichtung reicht (BT-Drs. 16/5048, Seite 28, linke Spalte):
„In den Fällen, in denen ein Besichtigungsanspruch besteht, wird – jedenfalls aus der maßgeblichen objektivierten Sicht des Rechtsinhabers im Zeitpunkt des Besichtigungsverlangens – die Befürchtung berechtigt sein, dass der Besichtigungsgegenstand beiseite geschafft oder verändert werden könnte, um den mutmaßlichen Verletzungssachverhalt zu verschleiern.“
Wird grundsätzlich zu bejahen sein müssen, unabhängig von Kenntnisnahme Anderenfalls wäre Maßnahme auch unverhältnismäßig
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Verteidigung
LG Kassel vom 10.09.2009 (1 O 527/09): “…Davon abgesehen, dürfte in der vorliegenden Fallgestaltung ein längeres Zuwarten ausnahmsweise dem Vorgehen im Wege der einstweiligen Verfügung nicht entgegenstehen. Denn auch dann ergibt sich der Verfügungsgrund aus der Beweisvereitelungsgefahr. Diese tritt nämlich immer dann ein, wenn der Anspruchsgegner von seiner Inanspruchnahme Kenntnis erlangt.”
Beweisvereitelungsgefahr liegt unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Verdachtsmomente regelmäßig (offensichtlich) vor
Gefahr des unwiederbringlichen Verlusts der Beweismittel Allenfalls Verwirkung
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Verteidigung
Gesetzliche Fiktion der zeitlichen Dringlichkeit in § 140c Abs. 3 Satz 1 PatG?
Nicht so ausdrücklich, wie in § 12 Abs. 2 UWGZweck des Verfügungsanspruchs?
Cour d’Appel de Paris, 3.03.2010 läßt saisie contrefacon auch nach Ablauf des Patents zu
Nach § 140c PatG nicht möglich (vgl. Abs. 1 und 5)§ 140d Abs. 3 PatG - Vorlage von Bank-, Finanz - oder Handelsunterlagen für SchadensersatzanspruchVernichtung von patentverletzenden Gegenständen auch nach Ablauf des Patents (Kühnen, GRUR 2009, 288)§ 809 BGB?
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Verteidigung
Vorwegnahme der HauptsacheZulässig (BT-Drs. 16/5048, Seite 28, linke Spalte): „…Es ist daher lediglich klarzustellen, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht am grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache scheitert.“Über den Regelungsinhalt der Enforcement-Richtlinie hinaus? Art. 7 Abs. 3 RiLi 2004/48/EG verlangt Einleitung eines Hauptsacheverfahrens innerhalb von 20 Arbeitstagen bzw. 31 Kalendertagen, anderenfalls Aufhebung der MaßnahmenGutachtenaushändigung erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens (so OLG Frankfurt a.M. vom 17.01.06 (11 W 21/05); folgend OLG Frankfurt a.M. vom 21.09.2009 (15 W 89/09))?
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Rechtsmittel
Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage, §§ 936, 926 Abs. 1 ZPO
Erledigung auch in der HauptsacheUnzulässigkeit/Unbegründetheit einer Hauptsacheklage auf BesichtigungRechtliches Interesse für Feststellungsklage, § 256 Abs. 1 ZPO?
Gefahr der Aufhebung der einstweiligen Verfügung? Hat sich erledigt – festzustellende Rechtsverhältnis muss gegenwärtig seinKosteninteresse? (dagegen: OLG Frankfurt vom 18.09.07 (5 W 27/07), da eigene Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren; dafür OLG Nürnberg vom 25.04.05 (3 W 482/05))
Art. 7 der RiLi 2004/48/EG: „Sachentscheidung“
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Rechtsmittel
Fristsetzung zur Erhebung der HauptsacheklageDamit: fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Fristsetzung, wenn Sachverständigengutachten noch nicht ausgehändigt (OLG Frankfurt vom 18.09.2007 (5 W 27/07), a.A. OLG Nürnberg vom 25.04.2005 (3 W 482/05))
Reaktion des Antragstellers bei vorzeitiger FristsetzungVerzicht auf den Besichtigungsanspruch/Titelverzicht oder Verstreichenlassen der Frist Befristete Erinnerung, § 11 Abs. 2 RPflG, gerichtet auf Aufhebung der Fristsetzung mangels Rechtsschutzbedürfnis für Antrag (oder Verschiebung auf Zeitpunkt nach Aushändigung des Sachverständigengutachtens)
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Rechtsmittel
Unterschied zwischen Besichtigungen, die sich auf § 809 BGB stützen (UWG) und neuem Recht?
Gesetzesbegründung sah Bedarf für ausdrückliche Umsetzung der Richtlinie, da damals unklar, ob BGH-Faxkarte-Entscheidung auf Patentrecht anwendbar (BT-Drs. 16/5048, Seite 27, linke Spalte)Einheit der Rechtsordnung, richtlinienkonforme Auslegung Art. 43 Abs. 1TRIPs
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Rechtsmittel
Besichtigungsanordnung gemäß §§ 485 ff. ZPOUnanfechtbar, § 490 Abs. 2 ZPO Allenfalls Gegenvorstellung, wobei mangelnde Anhörung durch Zweck der Beweissicherung regelmäßig gerechtfertigt sein wird, LG Düsseldorf, InstGE 5, 236 - Anhörungsrüge
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Rechtsmittel
Sofortige Beschwerde gegen Beschluss zur Aushändigung des Sachverständigengutachtens, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
Mangelnde internationale Zuständigkeit des Gerichts, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.02.2008, InstGE 9, 41Abwägung Geheimhaltungsinteressen/VerletzungHerausgabe des Gutachtens erst nach Rechtskraft des Aushändigungsbeschlusses
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Rechtsmittel
Ggf. Rechtsbeschwerde § 574 ZPOKein Ausschluss nach § 542 Abs. 2 ZPO, da nicht dem Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Verfügung zuzuordnen – unterschiedlicher Verfahrensgegenstand (vgl. BGH X ZB 37/08 vom 16.11.2009 – Lichtbogenschnürung)
Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage, § 494a ZPO
Nur nach Aushändigung des SachverständigengutachtensAnderenfalls nur Anordnung der Kostentragung, § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO
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Vorbereitung
Schutzschriften? Inhalt, der über Schutzschrift gegen Unterlassungsverfügung hinausgeht? Mangelnde zeitliche Dringlichkeit (-) Vorwegnahme der Hauptsache (-)Keine VerfügungsgewaltKeine Beweisvereitelungsgefahr – da bspw. Gegenstand nicht verändert/beiseite geschafft werden kann Besondere Geheimhaltungsinteressen – über das übliche Maß hinausgehend
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Schlussfolgerung
Relativ eingeschränkte Rechtschutzmöglichkeiten für AntragsgegnerGrund für potentielle Antragsteller, Verfahren zu nutzen
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Vielen Dank!
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