der einfluß des flügeldimorphismus auf die ausbreitung von curculioniden-arten

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Aus dem Institut fur Phytopathologie der /ustus-Liebig-Universitat, Giejen Der Einflui3 des Flugeldimorphismus auf die Ausbreitung von Curculioniden-Arten Von WOLFGANG STEIN Mit I Abbildung Der asexuelle Fliigeldi- oder -polymorphismus, d. h. die unterschiedliche Aus- bildung der Fliigel innerhalb einer Art, kommt bei verschiedenen Coleopte- ren-Familien in wechselndem Ausmai3 vor. (2. B. bei Carabiden, Ptiliiden, Staphyliniden und Curculioniden; Zusammenstellungen bei JACKSON 1928 und LINDROTH 1949.) Bei den Curculioniden, die hier nur behandelt werden, beschranken sich die bisherigen Untersuchungen fast ausschliei3lich auf die Gattung Sitona (JACKSON 1928, MARKKULA und PUHAKAINEN 1966). Es hat sich aber gezeigt, dai3 der Di- (bzw. Tri-)morphismus gerade bei den Riisselkafern eine haufige Erscheinung ist. So konnten bei folgenden 17 von 64 untersuchten Arten des Grunlandes verschiedenartige Ausbildungen der Hinterflugel festgestellt werden: (Weitere Einzelheiten bei STEIN, in Vorbereitung.) Apion miniaturn A. fvumentarium A. seniculus A. onopovdi A. penetvans A. tenue A. vivens Polydvosus mavginatus Sitona sutuvalis S. sulcifrons S. cvinitus S. hispidulus Phytonomus zoilus P. meles P. nigrirostvis P. vaviabilis Baris lepidii Eine nahere Betrachtung der Fangergebnisse von zahlreichen Standorten zeigte, dai3 der Anteil der beiden dimorphen Formen auf den verschiedenen Flachen sehr unterschiedlich war. Praktisch fur alle genannten Arten konnte nachgewiesen werden, dai3 auf alten Standorten (Wiesen) der Anteil der kurzfliigeligen Individuen iiberwog, wahrend umgekehrt auf neu angelegten Flachen (Wiesen und Rotkleefeldern) die langflugeligen Tiere in der Ober- zahl anzutrefien waren. Die Tabelle zeigt die Werte fur funf besonders hau- fige Arten. Es ergibt sich, dai3 die Unterschiede meistens sehr erheblich sind. Vor allem bei der Art A. virens, wo im Raunie Gieflen, im Vogelsberg-Gebiet, auf der Wasserkuppe und anderen hessischen Lagen im einzelnen Werte von 0 bis 24,s O/o-Anteil langfliigeliger Individuen auf alten Standorten gefunden wurden. Auch im zeitlichen Ablauf der Besiedlung von neu angelegten Fliichen er- gaben sich deutliche Unterschiede. Die langfliigeligen Individuen traten nor-

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Page 1: Der Einfluß des Flügeldimorphismus auf die Ausbreitung von Curculioniden-Arten

Aus dem Institut f u r Phytopathologie der /ustus-Liebig-Universitat, Giejen

Der Einflui3 des Flugeldimorphismus auf die Ausbreitung von Curculioniden- Ar ten

Von WOLFGANG STEIN

M i t I Abbildung

Der asexuelle Fliigeldi- oder -polymorphismus, d. h. die unterschiedliche Aus- bildung der Fliigel innerhalb einer Art, kommt bei verschiedenen Coleopte- ren-Familien in wechselndem Ausmai3 vor. (2. B. bei Carabiden, Ptiliiden, Staphyliniden und Curculioniden; Zusammenstellungen bei JACKSON 1928 und LINDROTH 1949.)

Bei den Curculioniden, die hier nur behandelt werden, beschranken sich die bisherigen Untersuchungen fast ausschliei3lich auf die Gattung Sitona (JACKSON 1928, MARKKULA und PUHAKAINEN 1966). Es hat sich aber gezeigt, dai3 der Di- (bzw. Tri-)morphismus gerade bei den Riisselkafern eine haufige Erscheinung ist. So konnten bei folgenden 17 von 64 untersuchten Arten des Grunlandes verschiedenartige Ausbildungen der Hinterflugel festgestellt werden: (Weitere Einzelheiten bei STEIN, in Vorbereitung.)

Apion miniaturn A. fvumentarium A. seniculus A . onopovdi A . penetvans A. tenue A. vivens Polydvosus mavginatus

Sitona sutuvalis S. sulcifrons S. cvinitus S. hispidulus Phytonomus zoilus P. meles P. nigrirostvis P. vaviabilis Baris lepidii

Eine nahere Betrachtung der Fangergebnisse von zahlreichen Standorten zeigte, dai3 der Anteil der beiden dimorphen Formen auf den verschiedenen Flachen sehr unterschiedlich war. Praktisch fur alle genannten Arten konnte nachgewiesen werden, dai3 auf alten Standorten (Wiesen) der Anteil der kurzfliigeligen Individuen iiberwog, wahrend umgekehrt auf neu angelegten Flachen (Wiesen und Rotkleefeldern) die langflugeligen Tiere in der Ober- zahl anzutrefien waren. Die Tabelle zeigt die Werte fur funf besonders hau- fige Arten.

Es ergibt sich, dai3 die Unterschiede meistens sehr erheblich sind. Vor allem bei der Art A. virens, wo im Raunie Gieflen, im Vogelsberg-Gebiet, auf der Wasserkuppe und anderen hessischen Lagen im einzelnen Werte von 0 bis 24,s O/o-Anteil langfliigeliger Individuen auf alten Standorten gefunden wurden.

Auch im zeitlichen Ablauf der Besiedlung von neu angelegten Fliichen er- gaben sich deutliche Unterschiede. Die langfliigeligen Individuen traten nor-

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Ausbreitung von Curculioniden-Arten

Langfliigelige Individuen an alten und neuen Standorten

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alte Standorre neue Srandurte

unrersuchre 010 unrersuchre 010 Kafer langfliigelig Kafer langfliigelig Art

._ A. seniculus 363 76,9 25 1 88,4 A. virens 375 14,9 264 87,5

S. hispidulus 42 71,4 392 92,9 P. nigrirostris 47 59,6 175 84,O

S. sulcifrons 2020 50,6 843 99,9

malerweise wesentlich friiher als die Masse der kurzfliigeligen auf. Die Ab- bildung zeigt als Beispiele die Art der Einwanderung von lang- und kurz- fliigeligen Kafern fur Apion seniculus und Phytonomus nigrirostris. Erst 5 Wochen nach den ersten langfliigeligen Individuen beginnen die kurzfliigeli- gen die untersuchten Flachen zu besiedeln. Ahnliche, z. T. no& extremere

A . seniculus %

kurzfl. 100- __---

- Langfl. 90 -

80

70- 60-

-

5 10 15 20 25

100 kurzfl.

80

70

50

LO

30 I

-- l o ‘“ti___ 5 *__-r 10 15 20 25

Wochen nach Beginn des Versuches

Die Besiedlung eines neuen Standortes durch kurz- und langfliigelige Kifer von Apion seniculus und Phytonomus nigrirostris. (Gesamtzahl der gefangenen kurz- bzw. langfliige-

ligen Individuen = 100 gesetzt)

Werte konnten von Sitona sulcifrons, S. hispidulus und Apion virens erhal- ten werden. Bei letzterer Art traten z. B. die ersten kurzflugeligen Exemplare in einem Falle (Raum Giei3en) erst Mitte November auf, wahrend die Be- siedlung bereits im Juli begonnen hatte.

Die Griinde fur beide Erscheinungen - Zunahme der kurzfliigeligen Indi- viduen im Laufe der Zeit und schnellere Besiedlung durch langflugelige - sind noch unbekannt. Es zeigte sich namlich in jahrelangen Laboratoriums- und Freilandbeobachtungen, dai3 die einfachste Erklarung, die langfliigeligen Kafer konnten fliegend, die kurzfliigeligen nur laufend die neuen Biotope erreichen, in sehr vielen Fallen nicht zutreffen kann. Die Flugaktivitat ist bei den meisten Arten mit heterornorphen Fliigeln allgernein so gering, dafi sie fur die schnelle und zahlenmafiig starke Besiedlung neuer Flachen nicht aus-

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reichend sein kann. Farbschalen- und Leimtafelfange fuhrten bei diesen Arten nur zu sehr geringen Ausbeuten, wahrend andere Arten der gleichen Gattungen (z. B. Sitona lineatus, S. flavescens oder Apion flavipes), die nur langfliigelige Formen besitzen und regelmai3ige Wanderungen durchfiihren, in groflerer Zahl gefangen wurden. (S. auch DICKLER 1968.)

In ersten Laboratoriumsversuchen mit Variation von Temperatur, Licht- und Windstarke konnten diese Freilandbefunde bestatigt werden. So flogen z. B. Protapione, die alle nur langfliigelig sind, fast stets bei Temperatur- erhohungen iiber 26-27O C, wahrend mehrere hundert Versuche mit lang- flugeligen Apion virens nur in einem einzigen Fall zu einem positiven Ergeb- nis fiihrten, obwohl die Temperaturen immer bis 40° C und die Luxwerte bis 90 000 gesteigert wurden.

Dai3 Langfliigeligkeit nicht immer mit Flugf ahigkeit gekoppelt sein mui3, zeigten auch die eingehenden Untersuchungen von JACKSON (1928), die bei langfliigeligen Exemplaren von Sitona hispidulus eine Reduktion der Flug- muskulatur und damit Flugunfahigkeit fand.

Wenn es also ziemlich sicher ist, dai3 auch die langfliigeligen Individuen der Arten mit heteromorphen Fliigeln die neuen Biotope nur selten fliegend erreichen, so kann eventuell eine allgemeine Aktivitatssteigerung der lang- fliigeligen Kafer als Grund fur eine intensivere und schnellere Ausbreitung verantwortlich sein. Entsprechende Versuche zu dieser vorlaufigen Annahme Iaufen zur Zeit oder sind geplant.

Fur die Anderung der Zusammensetzung der Population im Laufe der Zeit bieten sich mehrere Erklarungen an. JACKSON (1928) und LINDROTH (1 949) fanden bei Sitona hispidulus bzw. bei dem Carabiden Pterostichus anthracinus eine einfache dominante Vererbung der Kurzfliigeligkeit. In solch einem Falle konnten also die homozygoten langfliigeligen Individuen im Laufe der Zeit durch Kreuzung niit kurzflugeligen verdrangt werden. Es bedarf allerdings einer experimentellen Nachprufung, ob die Befunde der beiden genannten Autoren auch fur andere heteromorphe Arten oder viel- leicht iiberhaupt generelle Giiltigkeit haben.

Weiter mag ein Selektionsprozei3 bei der Umgestaltung der Population in dem Sinne eine Rolle spielen, dac langfliigelige Individuen wegen ihrer starkeren Dispersionsneigung den Lebensraum relativ haufiger verlassen als die kurzfliigeligen. Da die Abwanderung in alteren Bestanden naturgemai3 groi3er ist als die Zuwanderung, mui3 es auf diese Weise mit der Zeit zu einer Erhohung des Anteiles der kurzflugeligen Formen kommen.

Schliefilich mui3 auch noch die Moglichkeit erwogen werden, dafi die kurz- flugeligen 99 eine hohere Nachkommenzahl haben konnen, da bei gleicher Korpergrofie (bei A. virens konnten z. B. zwischen lang- und kurzflugeligen Exemplaren keine mefibaren Unterschiede in Korperlange und -breite gefun- den werden, STEIN 1968) die Fortpflanzungsorgane der langfliigeligen Tiere rein volumenmaflig durch den groceren Platzbedarf der Hinterflugel redu- ziert sein konnen.

Eine Klarung der noch offenen Fragen sol1 in angelaufenen oder geplan- ten Versuchen herbeigefuhrt werden, uber die zu gegebener Zeit berichtet wird.

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Ausbreitung von Curculioniden-Arten 445

Summary

Heteromorphisrn of wings (mainly di-, sometimes also trimorphism) in cur- culionids can be found relatively oRen. From 64 species occuring on green- lands 17 had di- or trimorphic wings. - It could be established, that macro- pterous specimens are to be found earlier and in greater number on new meadows and cloverfields, while on the other hand brachypterous beetles are more numerous in old meadows. As long-winged individuals of these heteromorphic species are poor flyers too, the possibilities for explaining the phenomenons are discussed.

Literatur

DICKLER, E., 1968 : Untersuchungen zur Besiedlung von wiesennahen Leguminosenkulturen durch Riisselkafer. 2. angew. Zoologie, im Druck.

JACKSON, D. J., 1928: The inheritance of long and short wings in the weevil, Sitona hispi- dula, with a discussion of wing reduction among beetles. Transact. Roy. SOC. Edinburgh 55, 665-735.

LINDROTH, C. H., 1949: Die Fennoskandischen Carabidae. Eine tiergeographische Studie. 111. Allgemeiner Teil. Goteborgs Kungl. Vetenskaps- och Vitterhets-Samhalles Hand- lingar, Ser. B, 4, 7-911.

MARKKULA, M., und PUHAKAINEN, P., 1966: Notes on the wing length of some Sitona (Col., Curculionidae) species. Ann. Ent. Fenn. 32, 55-57.

STEIN, W., 1968 : Zur Biologie, Morphologie und Verhaltensweise von Apion virens Hrbst. (Col., Curculionidae) Oecologia, 1, 49-86.

Das Eiablageverhalten der Kohlfliege Cbortophila brassicae Bouchk

Von E. ZOHREN

Ein Zuchtstamm von Chortophila brassicae BouchC, der auf Freiland-Pupa- rien aus Bonner Kohlkulturen basierte, wurde 2 Jahre lang in einer Klima- kammer gehalten. Dabei konnte ein charakteristisches Eiablageverhalten be- obachtet werden. Die typische Verhaltenskette setzt sich aus folgenden Ein- zelhandlungen zusammen: Anflug, ,,Erkennen" der Wirtspflanze in einer ,,Latenzphase", Blattspreitenlauf, Stengellauf, Klettern auf Pflanzenbasis und Boden, Ausstulpen des Ovipositors, Wahl des direkten Eiablageortes, Eiablage. Alle Handlungen werden genauer charakterisiert. Es wurde ge- priiff, bei welchen Tieren eines Laborstammes Glieder aus der oben geschil- derten Kette oder diese selbst beobachtet werden konnen. Zudem wurde un- tersucht, an welchen Korpern Kohlfliegen ein derart charakteristisches Ver- halten zeigen. Hieraus ergaben sich Ruckschlusse auf die wesentlichen Reize,

1 t)ic.wr Vortrag (Dissertation) wird i n Z. ang . Ent. 62 (1968), Heft 3, ver6ficntlicht