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527 4. Erziihlende Uteratur 528

dcr Autorschaft Else Wildhagens noch bis 1896 unter der marktwirksamen Verfasserangabc >>aus dem Nachlassc von Emmy von Rhoden, Verfasserin des > Trotzkopf<« crschien. Binnen sechs Wochen crlcbte der Titel drei Auflagen (s. Veri.-Anz. in: E. von Rhoden: * Der Trotzkopf, "1893). Der Verlag bewarb die spannende Geschichte cines >>stiirmischen Brautstandfsl«, in der >>die cigenwilligc lise in Trotz und Verblcndung das Gliick ihres Lebens aufs Spiel setzte und urn cin Haar auch verloren hatte« (ebd.). Seine Spannung bezieht dicser Band, der mit der Hochzcit cndet, aus dem Fluchtversuch Ilses aus ihrem Brautstand. Sic will sich die > ErziehungsmaBnamen< ihrcs Vcrlobten Leo nicht wciter gefallen lassen; die Vorstcllung, ihr kiinftiges Leben in ciner >langweiligen Kleinstadt< zubringen zu mtissen, ist fur sic zudem abschreckend. So bcgibt sich Ilsc noch einmal in den Kreis der ehemaligen, inzwischen tells schon verheiratetcn Pensionsfreundinnen, bevor sic, reumiitig urn Verzeihung bittend, zu ihrem Verlobten zuriickkehrt. Die interessanteste Figur in diescr crsten Fortsetzung ist zwcifellos die Russin Orla, die schon im *Trotzkopf cine besondere Ausstrah­lung bcsitzt. Orla will in ZUrich Medizin studicren. Als ihr ein junger Arzt seine Liebe erkllirt, gibt aber auch sic ihren Wunsch nach Selbstbcstimmung auf.

- Auch im nachsten Band *Aus TrotzkopfEhe, dcr 1896, dies­mal unter dem Autorinnennamcn Else Wild hagen, erschien, zeigt Ilse immer wiedcr ihren kindlich-trotzigen Charakter, allerdings nicht gegeniiber dcm Ehcmann Leo, sondern gc­gcntibcr dcm »Onkel Heinz«, dcr iiberhaupt cine 7.entrale Position in dicsem (wie im folgcnden) Roman einnimmt. Das Erschcincn des Bandes war fiir den Verlag dringlich geworden, >)nachdem andere sich fur beru!en und berech­tigt gehalten haben, die Gestalten dcr Trotzkopfuiichcr zu Erzahlungen zu verwendcn, welchc sic als Fortsetzung von >Trotzkopf< und ,Trotzkopfs Brautzeit<« ausgaben (Else Wildhagen: 'Aus Trotzkopfs Ehe (Stuttgart !1896]). Diese Vorbemcrkung zum Roman bezieht sich wohl auf den 1895 bci From man in Mainz erschicnenen Roman *Frau llse von Doris Mix, der in dcr Tat unmittclbar an die Handlung von *Trotzkopfs Brautzeit ankniipfte und nun die Heldin zu ei­ner >Aktivistin< der biirgerlichen Frauenbewegung machte (s. Wilkending 1997e). Wildhagen dagegen erzahlt in ihrem Roman, dessen Handlung ca. zehn Jahre a us dem Leben Uses als Hausfrau, Gattin und Mutter zweicr TOchter umspannt, nicht ctwa tiber Ilscs >Offcntliches< Wirken, sondern tiber das wcite Feld familialer Beziehungen, in das die Familien der Pensionsfreundinnen Nelli, Flora und Rosi vernetzt sind. AmEnde sind Uses TOchtcr Ruth und Marianne •Backfische< geworden und machcn erste Erfahrungen mit der Liebe. ln Ruth, der begabten Sangerin, konturiert sich ein Trotzkopf in neuer Gestalt.

- Einer weiteren Arbeit an der Serie vcrweigerte sich Wildha­gen, so dass der Verlag schlieBlich fiir einen Fortsetzungs­band auf die niederlandische Autorin Suze La Chapelle-Roo­bol angewiesen war. ln Trotzkopf a/s Grofimutter ( 1905; Orig.: Stijfkopje a/s Grootmoeder, Amsterdam 1904) geht es v. a. urn die Enkel IIses, die in der inzwischen zur Witwe gewordc­nen lise cine weise Ratgeberin haben. Im Zentrum steht die Wandlungsgeschichte von Ruths eider und trotziger Tochter Irma, die bei der GroBmutter aufwachst. Intercssant ist die Figurenkonstellation in diesem Roman, weil hier die in Ame­rika aufgewachsenen, sehr selbststandigen TOchter von Ma­rianne und die in Deutschland aufgewachsene Tochter Ruths kontrastiert werden. Der Roman endet mit dem >sanften Tod~ Ilses.

- Erst am Ende der Wcimarer Republik entschloss sich Wild­hagen zu einer alternativen l~ortsetzung von * Aus Trotzkopfs Ehe u. d. T. Trotzkopfs Nachkommen - ein neues Geschlechl (1930), ein Buch, das im Gegensatz zu Trotzkopf a/s Groft­multer cine ausgeprli.gt deutsch-nationale Tendcnz hat. Zwar

hebt sich der Band durch die Platzierung der Handlung im studentischen Milieu der Nachkriegszeit, durch die ausgie­bige Thematisierung der gesellschaftlichen Lage (Inflation, Arbeitslosigkeit, BerutStatigkeit der Frau, kameradschaftli­cher Umgang zwischen den Geschlechtern) und cin Plli.doyer fiir die >neue Zeit< von den Vorgangcrblinden ab. Wildhagen nahm damit aber nur einen marktwirksamen Trend dcr Un­terhaltungsliteratur der Weimarer Republik auf (s. a. das Mo­tiv des weiblichen Filmstars). Der neue Schlussband konnte so der Serie einen aktuellen und glcichzeitig historisierenden Anstrich geben. - Kurzzeitig bot dcr Weise-Verlag die fiinf Bande der Serie gleichzeitig an (s. Vcrl.-Anz. in: E. von Rho­den: *Der 1rotzkopf, 97 [um 19351). 1938 erschien die 8. und vermutlich letzte Auflagc des Schlussbandes von Wildhagcn. Die heute marktgangige Scrie entha.Jt den letzten Band nicht mehr.

Kurz nach Ablauf der >Schutzfrist< im Jahre 1915 begann der Kol­portagcverlag Weichert mit dcm Aufbau ciner eigenen *Trotz­kopfSerie, indem er nicht nur den Kern text *Der Trotzkopftiber­nahm und durch eine auBcrgewOhnliche Buchdcckelgestaltung an das verlagseigcne Lesepublikum adapticrte (s. u.), sondcrn mit den Fortsetzungen TrotzkopjS Erlebnisse im Weltkrieg ( 1916) und Trotzkopf heiratet (1919) durch seine l-fausautorin Marie von Fclseneck (vgl. Kap. 4.4.9) gleichzeitig cine Aktualisierung im Hinblick auf den Weltkrieg versuchte. (Zur Weltkriegslitcra­tur vgl. Wilkending 2003a)

Der folgende Stammbaum zeigt die Verkntipfung und Aufcinanderfolge von *Trotzkopf-Serien und -Variantcn:

Suu La Chapelle-Robool: Trotzkopf als Gro&mutter (1905)

Auflagen, Bearbeitungen, TV-Adaption Die Auflagen- und die Ausgabengeschichte des Romans und der Serie zeigen hOchst moderne Strukturen der Vermarktung cines

Bestsellers. Dazu gehiiren beim *Trotzkopf v.a. die ansprechende Buchwerbun~, die laufende Veranderung des Erscheinungsbildes des Buches, Obersetzungen, die Obernahme des Titels durch an­dere Verlage, Textbearbeitungen und Textkiirzungen und schlieB­lich dieTV-Adaption. Im Zentrum dcrVermarktungstand in der Regel der Kerntitel der Serie.

529 4.4 Lebens- und Entwicklungsgeschichten fur die Jugend 530

Als 'Der Trotzkopf 1885 auf den Markt kam, war das Buch so fort ein Erfolg. 1891 erschien bereits die 10., 1916, nach Ablauf der Schutzfrist, die 76. Auflage. Die 107. Auflagc, die lctzte nach­wcisbare Auflagc bei Weise, stammt vermutlich aus der Zeit des Zwciten Weltkricgs. Der Verlag verkaufte das Buch lange Zeit fur 4,50 M. Die 25. Auflage von 1897, cine illustriertc »Prachtausga­be«, kostetc sogar 9 M. Diese Ausgabe vermarktete Weise spater als ))wohlfeile Ausgabe« auf schlechtem Papier filr 3 M. Eine wichtige Verlagsstrategie war die standige Veranderung der Buchdcckelgestaltung, wobei der Verlag das Buch in ncucr Aus­stattung sogar unter der Kategoric »Neuigkeitcn« anbot (s. Verl.­Anz. in: Bertha CICmcnt: *Hauptmanns Puck, Stuttgart 4 1897). Wahrend des 19. Jhs. entsprach die komfortable Aufmachung der Bande dabei durchgangig dcm Standard der Madchenlitera­tur fur )hOhere TOchter<. Mit seiner >~wohlfeilen«, in beigefarbe­nes Leinen mit schlichter Jugendstilornamentik gebundenen und im Stil dcr Gartertlaube-Romane illustrierten Ausgabe (ab 1900), die auffallig von der bis dahin i.iblichen Aufmachung ab­weicht, versuchte der Verlag m6glicherweise ein weibliches Er­wachsenenpublikum zu erreichcn. In den 1920er und I930er Jahren arbcitcle er allerdings kaum noch mit Buchwerhung. Die Aufmachung seiner Madchenbiichcr wurde nun insgesamt un­auffallig. Das Frontispiz der 97. Autlagc von vermutlich Mittc der 1930er Jahre zeigt mit seiner Orientierung an Illustrationcn von Nesthiikchens Backjischzeit (Berlin 1920) der Else Ury, wie sich der Verlag an den Zeitgeist anpasste.- Dcr Verlag sorgte daftir, dass das Buch fnJ.h in zahlreichc europaische Sprachen iibersetzt wurde. Die dauerhafteste *Trotzkopf-Tradition gibt es in Schwe· den, wo der Titel schon 1888 (I pensionen, Stockholm), spater u.d.T. En yrhii.tta erschien, 1914 sogar als deutschsprachige Schulausgabe mit Wortcrklarungen fur den Deutschunterricht, cine Ausgabe, die noch 1928 aufgelegt wurde. Auch in .den Nic­dcrlandcn blieb der Titcl (Stijfkopje op school, Leiden 1893) Ian­ger haltbar. Noch vor 1900 erschienen zudcm zwci Dbersetzun­gen ins Amerikanische (Taming a tomboy, New York [ J898j, sowie An obstinate maid, Philadelphia 1898), spater Obersetzun­gen u. a. ins Danische (Fr0ken Vildkat, K0benhavn 1911 ), ins Un­garische (A kis makrankos, Budapest 1900), ins ltalienische (Tes­tolina dura, Firenze 1900; spliter u.d. T. Elena Ia Ribelle, Milano 1953), ins·schweizerischc FranzOsisch (Mauvaise tete, Geneve [1898!}, wobei Emmy von Rhoden auch bei den Fortsctzungen als Autorin fungierte.

Die literarische Vermarktung des Titels auBerhalb des Wcise­Verlags folgte genercllen Prinzipien dcr Adaption an cin brei­teres, spater auch jtingeres Lesepublikum und spiegclt zugleich epochale Trends in der Buchaufmachung. Bereits 1916, also unmittelbar nach Ablauf der Schutzfrist, gaben zwei, im Ver­haltnis zum Weise-Verlag auf ein breites, auch Unterschichten einbeziehendes Lesepublikum ausgerichtete Verlage, der bereits crwiihntc Weichert-Verlag (fiir 1,25 M.) und der Verlag EnB­Iin & Laiblin (fiir I ,60 M.), den Titel heraus. Spiiter folgte cine Ausgabe bei Globus/Meidinger/Jugendhort. Die Aufmachung dieser BUcher zeigt Anstrengungen der Adaption an cin erwci­tertes, jeweils zeitgenOssisches Lesepublikum (s. bspw. die laszive, etwas zweideutige Pose der Titclheldin auf dem Umschlag der Ausgabe des Wcichert-Verlags, 1916, oder lise als frisches blau­liugiges >Sportsmiidel< im Polohemd auf dem Umschlag einer Ausgabe des Globus-Verlags um 1940). - Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Tendenz zur Anpassung von *Trotzkopf Ausgaben an verschiedene Lesepublika fort. Wiihrend es bis zum Zweiten Weltkrieg nur zu geringfiigigen Eingriffen in den Text kam, begannen nun weitgehende Textbearbeitungen und -kiir­zungen. Neu hinzu kam der >Angriff< des Markts auf sehr vie! jiingere Leser, offenkundig das Lcsepublikum der mittlerweile erfolgreichen Internatsgeschichten der Enid .Blyton. Dies gilt bspw. fiir die *Trotzkopf-Ausgaben des Neuen Jugendschriften­Verlags Hannover, des Nachfolgeverlags von Weichert, der den Ausgangstext fast urn die Halfte kiin:te, dabei vOllig versttimmel­te und zudcm cin kleines, ctwa lO-jahriges Madchen auf dem

Buchumschlag prasentierte. Andere Ausgaben, wie etwa eine Aus­gabe der Edition Aktuell aus den l980er Jahren, versuchten mit Kapitcltiberschriften wie »Eine junge Wilde«, »Ein schmerzlicher Vcrlust<C und "Tanz unter Tr3nen« cine vordergriindige Aktua­lisierung. Die 1996 in der Reihe Kinderbuch-Klassiker bei Arena crschienene (gelctirzte) Ausgabe wurde im Gegensatz dazu mit cinem informativem Nachwort versehen, in dcm die historische LJifferenz zwischen >damals< und )heute< betont wird. Daneben existieren nach wie vor nur geringfiigig bearbeitete Ausgaben, wie etwa die bei Ueberreuter (seit J949),die gegenwartigauf dem Umschlag das Foto der Held in derTV-Adaption (s. u.) zeigt.lns­gcsamt deutet die aktuelle Marktsituation, mit ihren gegcniibcr dcr Zeit bis zum Zwciten Weltkrieg radikal gektirzten Ausgabcn, darauf hin, dass ~ Der Trotzkopf als Lesestoff fi.ir jungc Mad chen von ca. 14-17 Jahren, fur die er urspriinglich gedacht war, nicht mchr besonders attraktiv ist. - Die TV-Adaption, die erstmals am I. 8. 1983 im Bayrischen Fcrnschen ausgestrahlt, wenig spater von der ARD und fortan (zuletzt 22. 3. 2008 im NDR) wiederholt wurde, ist durchaus gelungcn. Dies vermutlich gerade deswegcn, weil keine Aktualisierung versucht, sondern an die Tradition der historisicrenden Marlitt- und Courths-Mahler-Verfilmungen sowie an die Typik neuerer historisierender Familienserien an­gekntipft wird. Die Regie von Irene Rodrian und Rudolf Notte bohm arbcitet insbesondere die psychodramatische Dimension des Romangeschehens heraus, akzentuiert die Liebesthematik und schiirft, unter Nutzung spezifisch filmischer MOglichkeiten, die Figurenperspektivc Ilses, bspw. mit der Einfuhrung ncuer >leidenschaftlichen Monologe. Dicse Charakteristik wird un­terstiitzt durch die eingangige leitmotivische Filmmusik (Liebe - Leid) von Martin Boettcher. Der Film gcht damit genau den umgekehrten Weg wie die ncueren Tcxtbcarbeitungen.

Trotzkopf-Kritik, Trotzkopf-Rezeption, Trotzkopf­Forschung

Die Erfolgsgeschichte des *Trotzkopfist deswegcn von besonde­rem Interesse, wei! sich der Roman, dcr bereits zehn Jahre nach seinem Erscheinen und seither fast ununtcrbrochen als Parade­beispiel einer >schlechten< Jugcndlekttire herhalten musste, allcr Kritik zum Trotz als >widerstandsfahig< erwies.- Im ersten Jahr­zchnt nach seinem Erscheinen war die Aufnahme des *Trotzkopf in der literaturpadagogischcn Kritik noch durchaus freundlich. So urteilte dcr Pii.dagogische ]ahresbericht positiv tiber die Tatsa­che, dass sich das Buch so schnell »die Gunst der jungen Leserin­nen« crwerben konnte, da »ein frischer, fr6hlicher Zug durch diese Erzahlung von einem jungen ungebandigten Menschcn­kind« wehe, ))das durchs Leben er7..ogen« werde ( 43.1891, S. 434). Auch die von den Vcreinigten deutschen Priifungsausschiissen ftir Jugendschriften zusammengestellten Verzeichnisse empfeh­lenswerter Schriften, die jahrlich als Weihnachvcrzeichnisse der fugendschriften- Warte beigelegt wurden, cnthieltcn von 1893 bis 1897 noch den *Trotzkopf und ~ Trotzkopfs Brautzeit, wobei inte­ressanterweise *Der Trotzkopffiir die »reifere Jugend (von 14 bis 17 Jahren)« empfohlen wurde, *Trotzkopfs Brautzeit aber sogar filr >>die erwachsene Jugend und die Familie«. Erst seit Erschei­nen von Heinrich Wolgasts Das Elend unserer ]ugendlitteratur ( 1896) und der Dbernahme der fugendschriften- Warte durch die >Hamburger Bewegung< urn Wolgast, ebenfalls im Jahre 1896,

begann sich ein anderer kritischer Tenor durchzusetzen. Mit Wolgast wurde der Roman zum Inbegriff alles Negativen in der

Miidchenliteratur: »Wo faB ich dich, unendliche -- Unnatur? lch muS jetzt einige Worte tiber Em my von Rhoden's >Trotzkopf<, cine Pensionsgeschiehte fiir erwachsene Miidchen [ ... j sagen und weiB nicht womit ich beginnen soli.« (Wolgast 1896, S. 174) Wolgast kritisierte die )~Fiille der Thcmcn<~ und "Motive« in dic­sem Roman (ebd., S. 175), beklagte- in der Kontrastierung mit Storms Novellen - fehlende psychologische Tiefe, tadelte das Hangen an ~~AuBerlichkeiten« (ebd., S. 176) und die gezierte Sprechweise der Figurcn und bemerkte schlieiSlich durchaus tref-

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531 4. Erzahlende Literatur 532

fend: Alles in allcm sei die Hcldin cin typisches Madchen der ))Familienjournale« (ebd.). Nur in dcr >Lilli- Episode< fiinden sich »Ieise anklingende HerzenstOne<c ( cbd., S. 176 f.). Wolgasts Kritik am *Trotzkopf als Familienblatt-Roman blieb in der Jugend­schriftcnbcwegung bcherrschend und klingt noch in Bewertun­gcn wie »Dutzendware« (Meyer 1913, S.liO) oder »Trotzkopf­Talmi« (Marsyas 1953) nach.

Dancben entwickelte sich allcrdings, im Rahmen der mit Hermann Leopold KOster angebahnten >literaturpsychologi­schen Wcndcc der Jugendschriftenkritik, das Interesse an der Fra­ge, warum die Madchcnliteratur (>Backfischliteratun) so bcliebt war. KOster selbst hatte als erster die These aufgestellt und mit cigens gesammelten Lektiircbiografien gcsttitzt, dass sich die Lesevorliebe auf entwicklungsbedingte Wunschproduktionen grtinde und dass sie- in der Regel- von selbst wieder vorbeigehe (KOster 19!3). Intcressanterweise wurde bereits Anfang des 20. Jhs. bemerkt, dass >t Der Trotzkopfkcineswegs nur von Mad­chen gehobener bi.irgerlicher Schichten gelesen wurde: Annie Blumenfeld bspw. gibt an, dass der Roman selbst bei Volksschu­lerinnen als Licblingslektiire ganz vorn rangiere, kurz nach Platz I (Courths-Mahler) (Blumenfeld 1918119). lm Zuge der sich cntwickelnden Literatursoziologie konnte sogar belegt werden, dass der Roman selbst lesende Arbciterinnen erreicht. So liegt in Else Weickerts, im Anschluss an Elisabeth Lipperts Der I.esesto!J der Miidchen in der Vorpuhertiit ( 1931) durchgefuhrter Untersu­chung der Leseinteressen von Fabrikarbeiterinnnen, gelcrntcn Arbeiterinnen, Verkaufcrinncn und Kontoristinnen zwischen 14 und 18 jahren *Der 1rotzkopf in Bezug auf die Hiiufigkeit der Titelnennung immerhin auf Platz 5 der Spitzengruppe (s. Wei­ckert 1933, S. 26).- Selbst fur die Zeit des Nationalsozialismus, in der das Buch offiziell verpOnt war, wenngleich es nach wic vor aufgelcgt wurde, belegt cine 1942 von Ella Manz durchgefuhrte Erhebung zum Buchbesitz von Madchcn zwischen II und 13 Jahren, dass *Der Trotzkopfnoch gelesen wurde, nun allerdings an Bedeutung weit hinter Trott, Spyri und Sapper zuriickfi.el (Manz 1942, S. 50). Manz schien die Tatsachc, dass *Der Trotz­kopf »hcute noch cine Rolle spielt, { ... ] zunachst ganz unwahr­scheinlich, er ist 1885 erschienen und paBt gar nicht mehr in unsere heutigen Zeitverhiiltnisse« (ebd.).

Nach dem Zweiten Wcltkrieg kam es in der fugendschrif­ten- Warte zu einer Wiederaufnahme der Diskussion iiber die *Trotzkopf Lektiire, die schlieBlich in die ersten graB angeleg­tcn wisscnschaftlichen Befragungen bzw. Untersuchungen tiber Madchenliteratur iiberleitcte. fritz Westphal ging 1951 noch davon aus, dass >tDer Trotzkopfmit seinem ))Pseudo-Rcalismus« jedenfalls fur die >breite Masse< der Miidchen nicht mehr zeit­gemiiB sei (ebd.). Dennoch bestiitigte die groBe •BOdecker-Bc­fragung< des )ahres 1957 nach Lieblingsbuch und Lieblingsautor erneut, dass der Roman als Lieblingsbuch immer noch - je nach sozialem Milieu und Bildungsmilicu- die Pliitze 2 bis 8 einnahm (Bodecker 1959/60). Auch die an Bodecker anschlieBende Unter­suchung Malte Dahrendorfs, die jtingste groBe cmpirischc Un­tersuchung zur Miidchenlektiire, belegte das nachhaltige Interes­se am *Trotzkopf, zeigte dari.iber hinaus, wie sehr das )literarische Modell< des Buches die Strukturen der ncueren Miidchenlitera­tur gepriigt hatte (Dahrendorf' 1978). Mit Dahrendorfs Unter­suchung begann die Geschichte einer im eigentlichen Sinn wis­senschaftlichen Beschiiftigung mit* Der 1rotzkopf Dabei bildeten sich schrittweise die foigenden Perspektiven hera us:

- Malte Dahrendorf ( 1960 u. 6.) fokussierte die literarischen Strukturen des *Trotzkopf als cines prototypischen, die Sozi­alisation des Madchens begleitenden literarischen Mediums. Dabei ging es ibm v. a. urn die modellbildende Funktion des *Trotzkopfbzw. der gesamten (•trivialen<) Miidchenliteratur. Dahrendorf nahm - trotz seiner Kritik an dicser Literatur -die spezifischen Lesebediirfnisse der Miidchen ernst, indem er sie u.a. im Kontext des in den 1960er Jahren wiederentdcck­ten Bernfeldschen Konzepts der >Kulturpubertiit< reflektierte.

Er erkannte, dass gerade die von Wolgast kritisierten >forma­len Schwiichen< der Backfischliteratur, bspw. der Wcchsel von Pathos und BanaJitiit im Sprachgestus, die FHichenhaftigkcit der Figurenzeichnung, die schlichte, episodische Handlungs­fuhrung usw. fiir die Leserinnen besonders anziehend sein konnen (s. Dahrendorf 31978, S. 125). Seine These, die Er­zahlung lasse sich distanzlos auf die Figur Ilses ein (s. ebd., S. 127), trifft allerdings nicht zu (vgl. Wilkending 2002b; Kiimmerling-Meibauer 2003a, bes. S.199ff.). Susanne 7.ahn ( 1983) folgte Dahrendorfs Ansatz, eroffnete aber zugleich eine sozialgeschicht!iche Perspektivc auf das >TOchterlebcn< im 19. )h. (vgl.a. Barth 1995).

- Dagmar Grenz (1981 u.i:i.) verfolgte die Geschichte de: Backfischliteratur bis ;.:urn Erscheinen des >tTrotzkopfv.a. in gattungs- und ideengeschichtlicher Perspekte, wobei sie ins­besondere auf die innere Widerspriichlichkeit des Textes und auf die Attraktion der zentralen Heldin als )Kindfrau< abhob. Das Erscheinen des *Trotzkopf markiert fiir sic einen Para­digmenwechsel in dcr Miidchenliteratur. Die bis dahin fur diese noch charakteristische, in der Autklarungspadagogik wurzclndc Tradition eincr exemplarischen Wertevermittlung trete nun ganz hinter der auf die Romantik zuriickfuhrbaren Tendenz zur ))Psychologisierung und Erotisierung der Ge­schlechtsrollen<< (Grenz 1997,5. 119), insbesondere der Frau, zuri.ick. Die Bindung der Eigenschaft des Trotzes an den Cha­rakter der Heldin vcrgr66ere deren crotischcn Reiz (s. ebd., S. 119 f.). Diese Struktur kiinne allerdings bci der Lescrin die Bereitschaft fiir die Obernahme des im Roman nach wie vor reprasentierten )klassischcn< Rollenkonzepts erhOhen. Gisela Wilkending scharfte die gattungs , die sozial- und die mentaJitatsgcschichtliche Dimension (1987, 1997e und 1999b/c) und erOffucte einen literaturpsycho1ogischen (psy­choanalytischen) Zugang zum Textvcrstandnis. Im ~ Trotzkopj; als dem Prototyp der Pensionsgeschichte, sieht sic cin litcra­rischcs Gcgenmodell zum Robimon Crusoe, dem Prototyp der spateren Robinsonade. Die besondere Wirkung des *"H"Olz­kopfbegriindet sie u.a. mit dcr Dramatisicrung und Emoti­onalisierung des pubertiiren Ablosungskonflikts der anfangs jungenhaften Protagonistin flse - ein Kontlikt, der nicht nur als Odipaler Vater-Tochter-Muttcr-Konflikt, sondern auch aJs pra.C.>dipaler Konflikt lcsbar sei. Gleichzeitig wiirde in diesem Text die _zeitgenOssisch brisante Frage nach dcr Vcrdrangung >miinnlicher Anteile< des Madchens in der Entwicklung zur Frau auf eing3ngige Weise >beantwortet<: der Roman er.r.ah­le lctztlich die Gcschichte einer ))Geschlechtsumwandlung«. Aber nicht allein weil die >naiv-analytische Psychologic< des Textcs mit der Lage dcr hOheren Tochtcr im ausgehenden 19. und friihen 20. Jh. korrespondiere, sei der Text so erfolgreich gewesen. Mit seiner groBen Spannung zwischen >Gefi.ihlsgc­schichte< und >Erziehungsgeschichte< und dem Spiel mit typi­schen pubertaren Tagtraumen babe er ein groHes Wirkungs­potenzial, tiber das engere >Zielpublikum< und tiber seine Zeit hinaus, entfalten konnen. - Auch Evelyn Sauerbaum ( 1999) verfolgte einen psychoanalytisch fundierten Intcrpretations­ansatz. Dabci konzentrierte sic sich auf die Vater-Tochtcr­Bindung.

- Gertrud Lehnert (1994) nahm den psychoanalytischen Intcrpretationsansatz auf und betrachtete den *Tro-tzkopf gJcichzcitig aus der Perspektive eincr durch die poststruktu­ralistische Gender-Theorie (Butler) fundierten Literaturwis­scnschaft. Den Wunsch lise Mackets, ein Junge zu sein, stellt sic in den Kontext einer Geschichte weiblicher )Maskcradcn< (s. ebd., S. 204ff.).

Heute gilt >t Der Trotzkopf v. a. aufgrund seiner )Haltbarkeit<, sei­ner innovativen Ziige und seiner modcllbildcnden Funktion als >Kiassiker< der Kinder- und Jugendliteratur (s. Wilkending 1987; Barth 1995; Hurrelmann l995c; Kiimmerling-Meibaucr, Bd. 3, !999,S.913ff.).

533 4.4 Lebens- und Entwicklungsgeschichten fur die Jugend 534

4.4.13 Verlagsprofil: Velhagen & Klasing

Der Verlag Velhagen & Klasing (V & K) entwickelte sich bis zum Tod seiner beiden Grunder August Velhagen ( 1891) und August Klasing ( 1897) zum gr6Sten buchhandlerischcn Privatuntcrneh­men im deutschsprachigcn Raum. Hauptzielgruppe der Verlags­produktionen war ein gebildetes Publikum christlich-konserva­tiver Pragung. Der 1871 auf Initiative von August K.Jasings Sohn Otto gegriindetc Verlagszweig Jugendliteratur verdankte seinen Erfolg insbesondere zwei Autorinnen, Clementine Helm (Kap. 4.4.11) im Verlagssegment Miidchenroman und Sophie WOrishOffcr (Kap. 4.6.11) im Verlagssegmcnt Abenteuerroman.

Oberblick iiber die Verlagsgeschichte Die Vcrlagsgrtindung in Bielefeld, im August 1835 (s. Veri.-Anz. in:Borser~blatt 1835, H. 40,Sp. l128;s.a. H. Meyer 1985,S. l8ff.), tid in eine Phase der Hochkonjunktur des Buchhandels. August Klasing trat damals aJs gelernter Buchhandler in die zweieinhalb Jahre zuvor von seinem Schulfreund August Velhagen gegnlnde­te Buch- und Kunsthandlung mit angeschlosscner Leih- und Lc­sehibliothck sowie einem kleinen, protcstantisch gcpragten Ver­lag als Compagnon ein. Mit einem ererbten VermOgen von 5.000 Talcrn widmete cr sich ganz dcm Verlagsautbau, wahrend Velha­gcn fi.ir das Sortiment zustandig blieb (s. Klasing 196la, Sp. 995 f.). Eine gltick.lichc Hand bewies Klasing bereits mit sei­nem Wochenblatt MusCefranrais ( 1835 ff.), einer Zusammenstel­lung von Prosa- und Theaterstiicken fur Schute und Haus, das sich oftenbar am Pfennig-Magazin oricntierte (s. H. Meyer 1985, S. IS; Tabaczek 1991, S. 114; zum Pfennig-Mugazin s. HK/L IV, Sp. 1018 ff.).ln den 1840er )ahrcn hatte Klasing Erfolg, als er mit cincm Teil der Funckeschcn Buchhandlung in Krefeld auch die Rcchte an Schriften Adolf Dicsterwcgs erwarb. Verlags- Bestseller wurde ein Zufallsprodukt, namlich das noch heute bertihmte Kochbuch dcr Henriette Davidis, das 1845 u.d.T. Practisches Kochbuch fUr die gewOhnliche u.nd feinere KUche herauskam.

»[Z]wischen 1869 und 1876 bewegte sich dcr Anteil dieses Wcrkcs am Gesamtwert des Vcrlages zwischen 17 und 20 Pro­zent.« (Tabaczek 1991, S. 118) Sein perstinliches Ziel, auf Dauer Dichter von Rang, daruntcr etwa Annette von Droste-Hiilshoff, an den Verlag zu bind en, erreichte Klasing allerdings nicht (s Kla­sing 1960; s.a. Schrader 1935, S. 7; Klasing 1961a, Sp. 997 ff.).

Nach einem insgesamt krisenhaftcn Verlauf in den 1840er Jahren stabilisierte sich V & K in der 2. Hal.fte des 19. Jhs. Der Aufstieg des Verlags verlicf nun »in wichtigen Etappen fast syn­chron zum Aufstieg PreuBens unter der Ftihrung Bismarcks« (Tabaczek 1991, S. 124). Besondere Erfolgsmarken waren:

- die Griindung des Familienblattes Daheim (1864-1944) und dcr damit 7.Usammenhiingende Aufbau eines weiteren Ver­lagshauses in der >Zeitungsstadt< Leipzig, das von Klasings Sohn Otto gefuhrt wurde, einer im Gegensatz zu seincm Vater schr dynamischcn PersOnlichkeit, die Pfau »ZU den hervorragendsten und ktihnsten Buchhandlern der Neu7.eit« rechnet (Pfau 1890, S. 398);

- die Grtindung der Geografisch-kartografischen Anstalt im Jahre 1873 in Leipzig. Aus diesem Unternehmen entstanden so beriihmte Werke fiir Wissenschaft unci Schute wie der von Richard Andree betreute Allgemeine Handatlas der Erde ( 1881) und Putzgers Historischer Schulatlas ( 1877);

- die mit dem Zuerwerb des Verlagsgeschafts Stubenrauch im Jahre 1882 eingerichtete Verlagsredaktion in Berlin.

Der Verlagskatalog zur 50-Jahr-Feier im Jahre 1885 enthielt -ohne das Daheim- die stolze Bilanz von 1357 Vcrlagstiteln (s.

Klasing 196la, Sp. 989). Noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jhs. zeigte das inzwischen von Klasings Sohnen Johannes und Wil­helm iibernommene Verlagsgeschiift gute Bi!anzen. Eine erfolg­reiche Weiterfuhrung nach 1918 gelang aber nicht. Zwar blieben einige Produkte, darunter das Daheim und Velhagen und Klasings Monatshefte (1886-1944), weiter beliebt. Lely Kempins •lnselbu-

cher<, deren erstcs, Die heilige Inset, schon 1917 erschien, wurden sogar zu )Kultbii.chern< bestimmter Gruppicrungen der Jugend­bewegung. lnsgesamt gesehen begann aber in der Weimarer Re­publik die Niedergangszeit des Verlags. In der NS-Zeit erfolgte die Gleichschaltung schnell. Ein Ncubeginn nach 1945 war durch die politische Trennung dcr beiden Verlagsorte Bielefeld und Leipzig erschwert. 1950 wurde das Leipziger VermOgen in) Volks­eigentum< ii.berfi.i.hrt. Ocr Aufbau cines neuen kleinen Schul­buchverlags in Bielefeld durch Jiirgen Klasing und Hanns Kla­sing verlief )ohne AugenmaB< (s. RUckhlicke sind nOtig, 1996; s. a. Tabaczck 1991, S. 225). Bis 1954 blieb V & Kim Familienbesitz. Dann wurde der Verlag von Cornelsen Ubernommen. Mit der Aufgabe des Signets CVK im Jahre 1988 verschwand auch dcr alte Verlagsname (s. RUckblicke sind ndtig, 1996, S. 145 f.).

Verlagszweige. Verlagsproduktion Entsprcchend dem Konzept August Klasings hattc V & K von An­fang an zwei »tragende Sau1en« (Klasing l96la, Sp. 996), einen theologischen Sektor und einen Schulbuchscktor. Aus heiden bil­detcn sich spater eigenstandigc Vcrlage. Ein weiterer Schwer­punkt war >Bildung und Unterhaltung<, ein Verlagszweig, dcr v. a. im Verlagshaus in Leipzig ausgebaut wurde.

Zum friihcsten Kernbestand des theologischen Vcrlags gc­hOrte religiOs orientierte Roman- und Predigtlitcratur. Nach dcm Ankauf der Funckeschen Buchhandlung wurdcn u.a. zwei­sprachige Ausgaben des Catechismus Roman us sowie cine Koran­Obersetzung in das Verlagsprogramm aufgenommen. 1844 er­schien die erste Liefcrung der bedeutenden Polyglottenbibel zum praktischen Handgehrauch (1844-1854), die bald den Ruf cines wissenschaftlichen Standardwerks erwarb und bis zum Ende des 19. Jhs. ))im In- und Ausland ohnc ernstzunehmcndc Konkur­renz« (H. Meyer 1985, S. 73) bJieb. Zum wichtigcn Bestand des theoJogischcn Verlags gehOrten auBerdcm wciterc Bibelwerkc und mehrere Gesangbi.icher.- Die Kcrnzcllen des spateren Schul­buchverlags waren das Muse.e francais (1835 ff.), sein Pendant The British Museum (1837ff.) und insbesondere das ab 1839 cr­scheinendc ThiU.tre franrais, mit dem eine crste Serie von Schul­ausgaben fremdsprachiger Texte aufgebaut wurde. »[U]nd es di.irftc wenige Gymnasien, Real- und TOchterschulen in Deutsch­land gcben«, schreibt Ptau, ))wo sic nicht gebraucht werden« (Pfau 1890, S. 394). Das Programm des Schulbuchverlags um­tasste schlieBiich verschiedene Serien von Textausgaben fur den fremdsprachigcn Unterricht, Rechenbficher, Lesebficher, BUcher fOr den naturwissenschaftlichen Unterricht und - nach dcr Griindung der Geografisch-kartografischen Anstalt- auch einc Reihc von Schulatlanten.

Am dynamischstcn cntwickclte sich der Zweig >Bildung und Unterhaltung<. Desscn systematische Entwicklung begann 1864 mit der Begriindung des Wochenblattes Daheim, das als Ersatz und auch als Konkurrenz zu der zwischen 1863 bis 1866 in Preu­Ben verbotenen liberalen Gartenlaube fungieren sollte. Bercits im ersten Jahr setzte sich das Blatt ))mit einem Stamm von 26.000 Abonnenten verbliiffend schnell am Zeitschriftenmarkt durch« (H. Meyer 1985, S. 89). 1878 crschien im Daheim Fontancs Ro­mancrstllng Vor dem Sturm. Weitere Periodika, u. a. dcr Daheim­Kalender fUr das deutsche Reich, der Daheim-Anzeiger, die Bellet­ristische Correspondenz, und ab 1886 auch Velhagen & Klasings Monatshefte, zweigten sich aus der Daheim- Unternehmung ab.

Diese Konstruktion machte eine optimale Ausschilpfung der ein­gereichten Manuskripte sowie deren Mehrfachverwertung mog­lich (s. Tabaczek 1991, S. 121 f.; s.a. Barth 1970). Neben dem Zeitschriftenvcrlag haute Otto K.lasing in Leipzig auch einen Buchverlag auf, der ein groBes Spektrum bildend-unterhaltender Literatur herausbrachte, darunter eine Reihe bibliophiler Drucke und v.a. gut ausgestattete illustrierte Werke zur Literaturge­schichte, Kunstgeschichte und allgemeinen Geschichte. Bekannt wurde insbesondere die Deutsche Literaturgeschichte (1878) von Robert Koenig, der auch der erste Herausgeber des Daheim war. Ein weiterer Schwerpunkt des Ruchverlags war die vaterlandi-