die fremde. fotografien und texte
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Das Ausstellungsprojekt bringt bekannte und unbekannte Ansichten von Chemnitz zusammen, als fotografische und lyrische Streifzüge durch eine Stadt mit einer wechselvollen Geschichte. In seinen fotografischen Memento Mori spürt Ulrich Halfter den Spuren menschlichen Tuns nach – vergessen, überwuchert und vergeblich scheint alles – verlassene Wohnungen, Industriebrachen, Zeichen einer untergegangenen Welt. Silvia Halfter wendet sich den Wurzeln des alten Chemnitz zu und findet in der weiblichen slawischen Form Kamenice ein Motiv für ihren Gedichtzyklus. www.chemnitzdiefremde.tumblr.comTRANSCRIPT
BeatrixNehmen Sie eine Altbauwohnungauf dem Sonnenberg mit Ausblickauf das Haus von Morgen.Sie werden sehen: kein Schachspielbefindet sich in der Dieleund im Hof rattert, eingeklemmtzwischen Vorderhaus, Seitenflügelnund Hinterhaus DIE VERSSCHMIEDE.
Nicht einen Vers bei den Nieten dieser Stahlbrücke,zwischen den Gleisen des Güterbahnhofs,nicht einen in den schlecht beleuchteten Straßen,den leeren Geschäften, Plätzen, Betten!Saxonia ist keine griechische Göttin-Eine prosaische Proletarierbraut ist’s!Nicht einen Vers haben sie gebraucht.
Bis DIE VERSSCHMIEDE kam.Liebe mit Endreimen wurdeam meisten verlangt.Auf dem Sonnenberg zog die Poesie ein.
Die FremdeDer Hochzeitsgesellschaft entsprungenDenn Quellen musste es geben inDer sozialistischen BetonwüsteStreifte sie sich den taunassen Schleier vomRoten lockigen Haar – ich seufzteIhrer Schönheit wegen auf denTrotzigen Mund folgten hoheWangenknochen und klare Augen.
Auf dem Weg zu Picassos Frauen ließIch mich dermaßen ablenken,Verzaubern und berauschen,Dass ich nicht nur mein Ziel, sondernAuch ihr Antlitz aus den AugenVerlor – ihres rauschendenKleides entfernt am BetonkopfAnsichtig werdend.
Wild loderte das Haupt beiIhren kätzischen, schwebenden Schritten.Ich hastete zu ihr und nun schienDas Brautkleid einer kürzeren RobeGewichen und ihre roten StiefelGlänzten begafft von mir und unterDen strengen Augen des Schädels bevorDie rote Ampel das Mädchen verschwinden ließ.
Wo war sie? Ich rauschte vorbei anEiner rot glühenden Stadthalle, dem Turm,Und auf die Zentralhaltestelle zu - woRote Neonschnüre mir den Weg wiesen.Unauffällig, glaube ich, wäre sie imMarkttreiben verschwunden zumalDas Feuer von ihr gewichen, sie fastEiner schwarzen Katze glich.
Ihre Macht über mich hieltUnd nun War ich des WahnsIhre Zeichen galten mirIm Schatten der Kirche fand ich sieUns war ein kurzer Augenblick beschieden -Ich stürzte in grüne Augen entgegenDer Hast voller Ruhe. Eine SekundeUnd die Fremde war fort.
Verzweifelt irre ich zum BachAn der Markthalle und blickte langeIn dieses steinige Gewäsch, bisIhre Konturen rein wie am BrunnenDeutlich hervorschimmerten, als dieSanfte Strömung mein Geheimnis gleichmütigForttrug, die Fremde war mir geflohen,Und suchte mich doch.
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Hermine
Poseidon in einem FichtenhainIst wie ein Maß gebender VerlagBei uns hier, hier im GeisteDer Werkhallen, perfektioniertVon arbeitenden ApparaturenUnd ausgespuckt von einemDing genannt Maschine:Druckfrischer moderner Roman.
Natürlich müsste PoseidonDann nicht nur Herr der MeereAuch Gebieter der Mittelgebirge sein -Und die Ludolf’schen UntatenKönnten später von einemDing genannt Versschmiede:Gerächt werden, zu Chemnitz.
Eine amüsante Zeit modernenLebens bricht an, wenn die KollektivsündeDes Proletarier- und NationenvereinigersIn Andenken ans JustizopferHermine vergeben wird – inEinem Tempel im Fichtenhain.
Die Fremde. Fotografien und Texte.
Das Ausstellungsprojekt bringt bekannte und unbekannte Ansichten von Chemnitz zusammen, als fotografische und lyrische Streifzüge durch eine Stadt mit einer wechselvollen und schmerzhaften Geschichte. In seinen fotografischen Memento Mori spürt Ulrich Halfter den Spuren menschlichen Tuns nach – vergessen, überwuchert und vergeblich scheint alles – verlassene Wohnungen, Industriebrachen, Zeichen einer untergegangenen Welt.
Er hat ein Auge auf Details geworfen und Strukturen dokumentiert, die sich wie ein Muster in verschiedenen Kontexten wiederholen. Ulrichs Schwerpunkt liegt auf analoger Fotografie und die Aufnahmen wurden mit unterschiedlichen alten Kamramodellen und –formaten gemacht. Wie die Objekte vor der Linse ist also auch das Medium selbst überholt, nichts-destotrotz aber von einer pittoresken Aura umgeben.
Silvia Halfter wandte sich den Wurzeln des alten Chemnitz zu und fand in der weiblichen slawischen Form Kamenice ein Motiv für ihren Gedichtzyklus. Im Fokus stehen tatsächliche und imaginierte Frauenfiguren aus Chemnitz, die sich schlaf- wandlerisch oder festen Trittes durch die Stadt bewegen, mit der ihre Schicksale eng verknüpft sind. Silvia zeichnet ein augenzwinkerndes Panorama der Stadt von ihrer Gründung bis zum heutigen Tag aus der Sicht von Außenseiterinnen, von denen manche völlig in Vergessenheit geraten sind.
Zwischen dem Schreiben und Fotografieren bestehen ohnehin faszinierende strukturelle Ähnlichkeiten, auf die Susan Sontag hingewiesen hat: „Man beginnt, die Wirklichkeit selbst als eine Art Schrift zu begreifen, die es zu entschlüsseln gilt – genau wie fotografische Bilder selbst zunächst mit der Schrift verglichen wurden .“ (Über Fotografie: Die Bilderwelt)
Nichts ist in Beton gegossen, der Zeiten ewig überdauert.
Die Fremde. Fotografien und Texte.
Medusa. Galerie für zeitgenössische Photographie.
Eröffnung am 4.12.2014, 20 Uhrdanach bis zum 31.12.2014 täglich, 9-16 Uhr Kulturhaus Arthur (Arthur e.V.)Hohe Straße 3309112 Chemnitz
0371 302538 chemnitzdiefremde.tumblr.com
Fotografien: Ulrich Halfter | ulrich-halfter.de Texte: Silvia Halfter | cafemelange.euLayout: Carla Fischer | cf-design.media
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