die geschichte von der wiederentdeckung des weihnachtsmannes

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1 Die Geschichte von der Wiederentdeckung des Weihnachtsmannes von Theo Leipert Die Geschichte, die ich heute erzählen möchte, ist eine Weihnachtsgeschichte. Sie handelt von Leopold und mir. Leopold ist einer meiner ältesten Freunde. Ich kenne ihn schon seit ich laufen kann. Wir waren zusammen bereits im Kindergarten, haben gemeinsam die Schulbank gedrückt und einen Haufen verrückter Dinge erlebt, auf die ich in dieser Geschichte jedoch nicht eingehen will. Denn diese Geschichte ist eine Weihnachtsgeschichte und keine Lausbubengeschichte und zu der Zeit, da diese Geschichte spielt, lag die Schulzeit schon lang hinter mir. Ich selber war im Laufe einiger glücklicher, einiger schlechter und sehr vieler mittel- mäßiger Jahre ein mürrischer, alter Mann geworden, mit Stock und grauem Hut und grauem Mantel, eben genauso, wie man sich mürrische alte Männer vorstellt. Und zu dem Zeitpunkt, wo meine Geschichte spielt, hatte ich Leopold lange nicht mehr gesehen, so lang, dass er nur noch als Schatten in meiner Erinnerung an eine son- nige längst vergangene Zeit existierte. Es war wieder einmal Winter geworden, der November hatte den Oktober abgelöst, mit viel Regen und Wind, was mich noch mürrischer machte als ich normalerweise war. Jetzt war es Dezember, der Wind war noch kälter geworden, und statt zu regnen schneite es. Schon seit Tagen schneite es in fetten weißen Flocken, Schnee legte sich auf alle Häuser, Bäume, Wiesen und Straßen, brachte den Autoverkehr zum Erliegen und gab der ganzen grauen Welt ein neues Gesicht. So geschah es, dass ich inmitten des Schneesturms irgendwann in der Vorweih- nachtszeit während meines täglichen Spazierganges im Park Leopold wiederbegeg- nete. Er kam mir, beladen mit zwei großen Einkaufstaschen, durch das Schneetrei- ben entgegengestapft. Ich wäre an ihm vorbeigegangen, so alt war er geworden, doch er erkannte mich an meinem mir eigenen leicht vornübergebeugtem Gang, über den er sich schon früher gerne lustig gemacht hatte, und sprach mich an. Ich war überrascht und erfreut zugleich, ihn nach all den Jahren wiederzusehen und fragte ihn, ob ich ihn ein Stück seines Weges begleiten dürfte, damit wir noch ein wenig zusammen plaudern könnten und so setzten wir unseren Weg gemeinsam fort.

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Weihnachtsgeschichte für Kinder

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Die Geschichte von der Wiederentdeckung des Weihnachtsmannes

von Theo Leipert

Die Geschichte, die ich heute erzählen möchte, ist eine Weihnachtsgeschichte. Sie handelt von Leopold und mir. Leopold ist einer meiner ältesten Freunde. Ich kenne ihn schon seit ich laufen kann. Wir waren zusammen bereits im Kindergarten, haben gemeinsam die Schulbank gedrückt und einen Haufen verrückter Dinge erlebt, auf die ich in dieser Geschichte jedoch nicht eingehen will. Denn diese Geschichte ist eine Weihnachtsgeschichte und keine Lausbubengeschichte und zu der Zeit, da diese Geschichte spielt, lag die Schulzeit schon lang hinter mir. Ich selber war im Laufe einiger glücklicher, einiger schlechter und sehr vieler mittel-mäßiger Jahre ein mürrischer, alter Mann geworden, mit Stock und grauem Hut und grauem Mantel, eben genauso, wie man sich mürrische alte Männer vorstellt. Und zu dem Zeitpunkt, wo meine Geschichte spielt, hatte ich Leopold lange nicht mehr gesehen, so lang, dass er nur noch als Schatten in meiner Erinnerung an eine son-nige längst vergangene Zeit existierte. Es war wieder einmal Winter geworden, der November hatte den Oktober abgelöst, mit viel Regen und Wind, was mich noch mürrischer machte als ich normalerweise war. Jetzt war es Dezember, der Wind war noch kälter geworden, und statt zu regnen schneite es. Schon seit Tagen schneite es in fetten weißen Flocken, Schnee legte sich auf alle Häuser, Bäume, Wiesen und Straßen, brachte den Autoverkehr zum Erliegen und gab der ganzen grauen Welt ein neues Gesicht. So geschah es, dass ich inmitten des Schneesturms irgendwann in der Vorweih-nachtszeit während meines täglichen Spazierganges im Park Leopold wiederbegeg-nete. Er kam mir, beladen mit zwei großen Einkaufstaschen, durch das Schneetrei-ben entgegengestapft. Ich wäre an ihm vorbeigegangen, so alt war er geworden, doch er erkannte mich an meinem mir eigenen leicht vornübergebeugtem Gang, über den er sich schon früher gerne lustig gemacht hatte, und sprach mich an. Ich war überrascht und erfreut zugleich, ihn nach all den Jahren wiederzusehen und fragte ihn, ob ich ihn ein Stück seines Weges begleiten dürfte, damit wir noch ein wenig zusammen plaudern könnten und so setzten wir unseren Weg gemeinsam fort.

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Er erzählte, er sei gerade für ein paar Tage zu Besuch bei Tochter und Enkelkindern hier in der Stadt. Seine Frau habe er nicht mitbringen können, es ginge ihr gesund-heitlich nicht so gut, aber er sei angereist, um mit den Enkeln Nikolaus zu feiern und um nachzusehen wieweit sie schon wieder gewachsen seien in der Zeit seit dem letzten Besuch. Auf seine Frage nach meiner Familie stieß ich hervor, dass ich keine habe und ehr-lich gesagt auch ganz froh sei, dem ganzen Rummel nicht ausgesetzt sein zu müs-sen und überhaupt.. (man sieht, ich war wirklich ein recht mürrischer alter Mann ge-worden). So tauschten wir noch eine Weile Neuigkeiten aus, unterhielten uns über die Politik, die heutige Jugend und über dies und jenes. In der Zwischenzeit hatte sich der Schneesturm noch verschlimmert, die Schneeflocken peitschten uns ins Gesicht wie kleine eisige Pfeile. Unsere Nasen glühten rot vor Kälte, mein Bart war vereist und Leopolds dichten Augenbrauen sahen aus wie Sträucher eisigen Dornengestrüpps. Wir wollten uns gerade auf den Heimweg machen, als uns durch den Schnee eine Gruppe Kinder entgegenkam. Die Kleinen tollten ausgelassen durch den Park, ließen sich von dem Gestöber nicht im geringsten stören, schmissen mit Schnee um sich und amüsierten sich offenbar köstlich. Die beiden Kindergärtnerinnen, zwei junge Mädchen, hatten die größte Mühe, die kleine Bande im Zaum zu halten. Die Kinderschar hatte uns nun erreicht und begann uns übermütig schreiend und tanzend zu umringen. Sie wirbelten um uns herum, dass der Schnee stäubte und die beiden jungen Damen, die die Bagage beaufsichtigen sollten standen hilflos am Straßenrand, rangen mit den Händen um eine Entschuldigung. Man kann sich vorstellen, wie die Kinder mich in Angst versetzen mussten. Zu viele von ihnen bedrängten mich mürrischen, alten Mann auf einmal und zu lange war es her, dass ich das letzte Mal eines aus der Nähe gesehen hatte. Zu dreist verhielt sich auch dieses kleine Volk alten, ehrwürdigen Männern gegenüber. Die Situation drohte, mir über den Kopf zu wachsen. Leopold ging es nicht viel besser. Er hatte zwar nicht gar so viel Angst wie ich. Er hatte ja naturgemäß über seine Enkel mehr Kontakt zur jüngeren Generation, außerdem war er weit weniger mürrisch als ich, was die Sache schon viel leichter machte, aber selbst er war der Situation, mit der wir da konfrontiert wurden, machtlos ausgeliefert; zu viele auf einmal waren es, als dass er allein damit hätte fertig werden können. Und so standen wir beide Felsen gleich in der Brandung kleiner tobender Gesellen und schauten recht verloren aus. Die beiden Kindergärtnerinnen fuchtelten immer noch in dem aussichtslosen Ver-such, der Situation Herr zu werden, mit ihren Armen in der Luft herum, doch die Klei-nen dachten überhaupt nicht daran, aufzuhören. Vielmehr machte das Gefuchtel und Gezeter das ganze Spiel für sie noch viel lustiger. Hier versagten alle Methoden moderner Erziehung, ich war mir sicher in meiner Verzweiflung, das einzige, was uns noch retten konnte, war eine höhere Instanz. Ich schickte mich also an, ein letztes Stoßgebet zum Himmel zu senden, bereit, gleich vor meinen Schöpfer treten zu müssen. Mit dem Ave Maria war ich zur Hälfte fertig, als sich Leopolds Miene plötzlich aufhellte. Er hatte die ganze Zeit neben mir gestanden und über eine Rettungsmöglichkeit nachgedacht, denn hier konnten nur wir selbst uns helfen, das war ihm klar. Nun blitzten seine Augen mich an und er

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lächelte dieses Lächeln, das er in der Schulzeit immer dann aufgesetzt hatte, wenn er etwas ganz besonderes ausgeheckt hatte. „Ich weiß vielleicht eine Möglichkeit, wie wir die Kinder zur Ruhe bringen können. Es sind zwar andere Zeiten als damals, als wir Kinder waren, aber es könnte funktionie-ren“, sagte er und wich einem heranfliegenden Schneeball aus.“ „Welche?“, fragte ich und war bereits am Überlegen wie viele ich wohl mit meinem Spazierstock zu Fall bringen könnte, bevor es mich selbst erwischen würde und Leopold trug wie ich sah, außer seinen zwei Einkaufstaschen nichts, das man als Waffe hätte verwenden können. „Es ist Winter und Weihnachtszeit“, begann er zu erklären,“und was fürchten Laus-buben und -mädchen deiner Meinung nach wohl am meisten in dieser Zeit“. Ich glotzte ihn verständnislos an, wie eine Kuh. „Den Nikolaus“, entfuhr ihm das Stichwort. „Am meisten freuen sie sich auf die Weihnachtsgeschenke und vor nichts auf der Welt fürchten sie sich mehr, als keine zubekommen . Und wer bringt ihnen die Geschenke?“, stellte er die Anschlußfrage. „Na, der Nikolaus, das ist doch klar“, sagte er,“und Geschenke kriegen nur die Kin-der, die brav waren im letzten Jahr.“ Es begann, mir zu dämmern. Nur von oben konnte die Befreiung erfolgen.. Nikolaus - die höhere Instanz - es viel mir wie Schuppen von den Augen - das war die Rettung. Leopolds Idee war brillant. Nichts war aufregender gewesen in unserer Kindheit als der Tag an dem Nikolaus kam. Was hatten wir Angst gehabt, wenn er zusammen mit Knecht Ruprecht zu uns Kindern gekommen war - Herrn Gruber, den Studenten aus der Nachbarschaft hat-ten wir unter dem weißen Wattebart und in dem roten Bademantel nie erkannt - und wie glücklich waren wir gewesen, wenn wir unser Gedicht vorgetragen hatten und der Nikolaus uns statt der gefürchteten Rute das so heißersehnte Geschenk übergeben hatte. Der Nikolaus hatte wieder zwei Augen zugedrückt, das war uns dann immer klar gewesen, denn wir wussten ja, keiner von uns war richtig brav gewesen während des Jahres und dankten im Stillen dem lieben Gott, dass es so viele Kinder auf der Welt gab, um die sich der Herr Nikolaus kümmern musste und deshalb nicht alle unsere kleinen und größeren Sünden hatte mitverfolgen können, denn sonst hätten wir ja die Rute kriegen müssen und nicht das Geschenk, das war doch logisch, oder nicht? An all das erinnerte ich mich plötzlich, sah auf die tobende Kinderschar um uns herum und wusste, was Leopold plante. Er hatte ein Rollenspiel vor. Ich nickte Leo-pold zu voller Vorfreude, den ungezogenen Hosenmätzen, die mich so verwirrt hat-ten, eine Lektion zu erteilen. Doch wie beginnen? „Mach einfach nach, was ich tue“, forderte ich ihn auf. Dann fing ich an, mit hocherhobenem Spazierstock im Kreise herumzutanzen; dazu stimmte ich mit dröhnendem Bass eine grausige Melodie an (ich glaube, es war die Titelmelodie aus „Spiel mir das Lied vom Tod“, ganz sicher aber bin ich mir heute nicht mehr); Leopold folgte jeder meiner Bewegungen. Unvermittelt hörte ich damit auf und schaute in die Runde. Die Kinder, die bis vor einen Moment noch ungezügelt um uns herumgetanzt und sich und uns mit Schnee beworfen hatten, standen wie vom Donner gerührt. Eine

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ganze Menge von Reaktionen hatten sie ja erwartet; lautes Gezeter über die „unmögliche Jugend von heute“, Drohungen, man werde die Polizei rufen und die Eltern benachrichtigen, das alles hätte sie noch nicht überrascht, das war die nor-male zu erwartende Reaktion im Umgang mit mürrischen alten Männern. Aber dass zwei alte Männer inmitten eines Schneesturms belagert von Quälgeistern einen Indianertanz aufführten und darüber hinaus noch so schaurig laut und schief sangen,, das erregte ihre Neugier und erschreckte sie auch ein wenig. Selbst die beiden Kindergärtnerinnen standen erstarrt und beobachteten uns argwöhnisch. Als ich mir der ungeteilten Aufmerksamkeit eines jeden sicher war wandte ich mich Leopold zu.“Ruprecht“, schnaubte ich ihn an,“Ruprecht, für diese Bürschchen müs-sen wir uns etwas ganz besonderes einfallen lassen. Merk Dir ihre Gesichter!“ Leopold, über seine Rolle im Bilde, nickte nur bedeutungsvoll, ließ seinen Blick ein-dringlich vom einen zum anderen schweifen und sagte: „Ich glaube, da hast du recht Nikolaus, da müssen wir uns wirklich etwas ganz besonderes einfallen lassen.“ Ich war erstaunt über die Reaktion. Die Kinder standen etwas abwartend um uns herum, schauten uns mit großen Augen an und schwiegen. Sie schienen uns das Theater abzukaufen. Als ich so an mir und Leopold herunterblickte wusste ich auch warum. Wir waren vollständig eingeschneit. Durch den langen Spaziergang gab es kein Kleidungsstück mehr, bei dem die ursprüngliche Farbe noch erkennbar gewesen wäre. Es war einfach alles weiß, sogar unsere Bärte und Augenbrauen. Wir machten wirklich einen sehr nikolausigen, geisterhaften Eindruck. „Was schlägst also du vor, Ruprecht“, dröhnte ich weiter,“ soll ich sie alle in den Sack stecken und mitnehmen oder soll ich ihnen ein paar Hiebe mit meiner Rute geben“ fragte ich und schwang drohend den Spazierstock,“ oder hast du einen besseren Vorschlag?“ „Na ja, ich weiß nicht“, antwortete Leopold,“sie alle in den Sack zu stecken ist viel-leicht keine so gute Idee, ich muss sie ja dann alle tragen und ich trage schon schwer genug an meinen Taschen “, und zeigte auf seine Einkaufstaschen, „und sie mit der Rute zu hauen ist nur Mehrarbeit für Dich Nikolaus und du bist zur Zeit doch sowieso überlastet. Ich habe eine bessere Idee: wir bestrafen sie für ihr ungestümes Benehmen mit einer Arbeitsersparnis für uns, Nikolaus, wir bringen ihnen dieses Jahr einfach keine Geschenke“. Der Satz schlug ein wie eine Bombe. Hatte sich vorher Überraschung über die zwei komischen Gestalten auf den Gesichtern der Kleinen abgezeichnet und Neugier demgegenüber, was sie sagten, so zeigte sich jetzt die blanke Verzweiflung in ihren Mienen. Sie waren von der Wahrheit unserer Worte und unserer Erscheinungen fest überzeugt und umso schlimmer war nun auch ihre Zerknirschung. Sie standen wie zu Eissäulen erstarrt in einem Halbkreis um uns herum, herabfallende Schneeflocken legten sich sanft auf die von Hitze noch dampfenden Mützchen und Jacken und schmolzen auf den erstarrten Gesichtern, der Atem, noch stoßweise gehend, auf-grund der erst vor kurzem unterbrochenen Aktivität, stieg in kleinen Dampfsäulen aus ihren Mündern empor. Keiner sprach, nur eine der beiden total verdatterten Kindergärtnerin fasste sich und warf uns einen bösen Blick zu. Kleinen Kindern einen Schreck einzujagen, gehörte nicht gerade zu den Methoden angewandter moderner Kinderpädagogik. Und noch dazu mit dem Weihnachtsmann. Diese längst überkommene Märchenfigur mit seiner

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Hau-drauf-Pädagogik hatte ihrer Meinung nach in der modernen Kindererziehung überhaupt nichts mehr verloren. Ein kleines Mädchen fing an zu schluchzen. Fragend blickte ich zu Leopold, der neben mir stand. Herrje, was hatten wir da nur angerichtet. Aus der übermütigen Umzingelung hatten wir uns befreien wollen, aber die Kleinen zu verängstigen, das war nicht in unserer Absicht gelegen. Als Kinder hatten wir zwar immer gefürchtet, der Nikolaus könnte entdeckt haben, dass wir hundertprozentig brav während des Jahres nicht gewesen waren, sondern übermütig, rauflustig und wild, eben geradeso wie dieser kleine Haufen Elend auch, und uns deshalb die Geschenke verwehren würde. Tatsache jedoch war, dass wir sie immer bekommen hatten und uns nie in der Situation dieser ach so zerknirschten Kleinen befunden hatten. Das hatten wir bei unserem Spiel nicht vorhergesehen. Hier musste etwas getan werden, der Meinung war auch Leopold. Jetzt galt es, Kin-dertränen zu trocknen und zu retten, was noch zu retten war. Ich überlegte bereits, ob wir die Rollen, die wir gespielt hatten nicht aufgeben und versuchen sollten alles zu erklären, aber Leopold kam mir zuvor und setzte unser Theaterspiel fort. „Nikolaus“, brummte er zweifelnd,“bist du auch ganz sicher, dass dies die Kinder sind, die wir bestrafen sollten. Die Tatsache allein, dass ebenfalls ziemlich übermütig herumgetollt haben, beweist noch nicht, dass sie auch wirklich böse sind. Wenn ich sie mir so in Ruhe anschaue, sehen sie doch eigentlich gar nicht so böse aus.“ Die Kleinen hingen an seinen Lippen. „Hm“, brummte ich zurück,“du hast vielleicht recht. Wenn ich sie mir genau betrachte, sehen sie wirklich nicht wie böse Kinder aus. Wir sollten das überprüfen“, sagte ich und zog aus meiner Tasche ein Stück Papier heraus, auf dem ich mir meine Besor-gungen, die ich zu erledigen hatte, notiert hatte. „Das ist leicht zu überprüfen“, begann ich,“hier auf dieser Liste stehen die Namen der Gruppe von bösen Kindern, die keine Geschenke bekommen. Wir müssen ja nur diese Kinder hier nach ihrem Namen fragen, um zu sehen, ob sie die gesuchten sind oder nicht.“ „Wie ist denn dein Name“,wandte ich mich darauf hin an das kleine Mädchen, das zu weinen begonnen hatte. „Stella“, piepste es kaum hörbar zurück. „Stella, hm, Stella“, murmelte ich, während ich auf meinen Einkaufszettel blickte,“auf meiner Liste steht keine Stella, ihr müsst die falsche Gruppe sein. Ruprecht, potztau-send wir hätten um ein Haar die falschen Kinder bestraft!“ Durch die Gruppe der Kinder ging ein Seufzer der Erleichterung. Sie hatten alle die Luft angehalten und atmeten nun mit einem Mal aus. Die Dampfwolken des Atems aus 15 Mündern stiegen auf, vereinigte sich über ihren Köpfen zu einer Einheit, und strebte zum Himmel hinauf. Wie erleichtert sie nun waren. Alles nur ein Irrtum! Auch der große Nikolaus macht Fehler. Die kleine Stella, die eben noch geschluchzt hatte wischte sich die Tränen ab und fing an zu lachen, so froh war sie. Auch ich war froh, noch einmal das Schlimmste verhindert zu haben. Kindertränen sind ein Mittel, das selbst das Herz des mürrischsten alten Mannes zum Schmelzen bringt wie Butter in der Sonne. Ich hatte den Eindruck, sie würden gleich alle auf einmal anfangen zu quasseln, um ihrer Erleichterung Luft zu machen, da gebot Leopold mit einer Handbewegung Ruhe und setzte zu sprechen an: „ Nikolaus, meinst du nicht, die Kinder hätten für den

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Schrecken, den wir Ihnen zugefügt haben, eine kleine Entschädigung verdient? Es war ja schließlich unser Irrtum.“ „Da magst du schon recht haben, mein lieber Ruprecht, aber womit sollen wir sie denn entschädigen? Wir haben doch nichts dabei.“, sagte ich und schaute fragend zu ihm hinüber. „Nichts dabei haben? Du bist ja ein Witzbold. Was wärst du denn für ein Weih-nachtsmann, wenn du nicht immer eine Notration kleiner Geschenke mit Dir führen würdest“, antwortete er und schwenkte seine beiden Einkaufstaschen. In der Früh war er in der Stadt gewesen, um für seine Enkelkinder ein paar Weihnachtsnasche-reien zu kaufen und hatte ein bisschen mehr gekauft, weil ihm selber doch die Naschereien gar so gut schmeckten. Und so befanden sich in den beiden Taschen nun eine ganze Menge an Schokoladenlebkuchen, Nüssen, Mandarinen, Vanillekipfel, Äpfel, eine große Dose Sandgebäck und zwei Miniflaschen Cognac. Die allerdings hatte er für sich gekauft und nicht für seine Enkel. „Nun, wenn das so ist, dann können wir die Kinder ohne eine Entschädigung nicht gehen lassen“, sagte ich, nahm Leopold eine der beiden Taschen ab und winkte die Kleinen zu mir herüber. Sie kamen erst zögerlich, zu tief saß noch der Schreck, der ihnen in die Glieder ge-fahren war und der Respekt vor diesem so gestrengen Nikolaus mit seinem Knecht, aber nachdem die ersten Kinder mit Plätzchen und Nüssen, Mandarinen und den übrigen Leckereien im Schnee standen, da gab es auch für die anderen kein Halten mehr. Alle drängten sich erwartungsvoll um Leopold und mich, sogar die beiden Kin-dergärtnerinnen, die uns eben noch so grimmig betrachtet hatten, sagten zu ein paar Schokoladenlebkuchen nicht nein und so hörten wir nicht auf zu verteilen und wur-den innerhalb kurzer Zeit alles los, das sich in den Taschen befand, bis auf die bei-den Fläschchen Cognac selbstverständlich, die Leopold in seinem Mantel ver-schwinden ließ. Die Kinder waren über die kleinen Präsente, die sie da vom Nikolaus höchstpersön-lich erhielten, überglücklich. Der Schreck war vergessen, die letzte Träne wurde verstohlen abgewischt und als sie da mit vollen Backen so einmütig um die beiden alten Gesellen herumstanden waren sie richtig froh, dem Nikolaus begegnet zu sein. Das war vielleicht ein Abenteuer. Freunde und Eltern würden es bestimmt nie glauben. Nur sie wussten, dass alles echt war. Denn die Schokoladenlebkuchen und Vanillekipfel, die da gerade in ihren Mündern zergingen, schmeckten viel zu gut, als dass sie eine Erfindung sein könnten. So zufrieden waren sie nun alle, dass einige sofort wieder begannen übermütig zu sein, aber der Nikolaus und sein Knecht Ruprecht waren im Moment viel zu beschäftigt, als dass sie diese Kleinigkeiten hätten zur Kenntnis nehmen können. Als alles weggeputzt war, meinten die beiden Kindergärtnerinnen, dass es nun an der Zeit sei, aufzubrechen und hatten diesmal nicht ganz so große Schwierigkeiten, ihre Rasselbande unter Kontrolle zu bringen wie vorher. Die Kinder stellten sich in Zweierreihen auf, was mir zwar nicht wie eine Methode aus der modernen ange-wandten Kinderpädagogik aussah, aber was soll´s, winkten dem vermeintlichen Nikolaus und Knecht Ruprecht ein letztes Dankeschön zu und verschwanden, so wie sie gekommen waren, im Schneesturm.

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Eine Minute später war nichts mehr von Ihnen zu sehen und der Park lag ruhig und verschneit. Ich blickte auf Leopold und fühlte mich plötzlich sehr müde. Leopold schien es nicht besser zu gehen und deshalb setzten wir uns für ein paar Minuten auf eine eingeschneite Parkbank, um uns von der größten Rolle unseres Lebens zu erholen. Dann griff er in seine Manteltasche und zum Vorschein kamen zwei winzige Fläsch-chen, gefüllt mit Cognac - unser ureigenstes Nikolausgeschenk, - wie wir meinten, wir hatten es uns wirklich redlich verdient. „Nikolaus!“, sagte Leopold und nickte mir zu während er mir mit seinem Fläschchen zuprostete. „Knecht Ruprecht!“sagte ich zu Leopold und stieß mit ihm an. Dann lächelten wir beide. In jener Nacht träumte ich vom Weihnachtsmann. Er stand im Park, inmitten eines Schneesturmes, trug einen alten hölzernen Spazierstock, einen grauen Hut und Mantel und war umgeben von glücklichen kleinen Kindergesichtern.