geschichte des welthandels

Upload: lit21

Post on 07-Jul-2015

534 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Geschichte des Welthandels im neunzehnten Jahrhundert.Von D Adolf Beer. r Erster Band. Wilhelm Braumller k. k. HofbuchhKndler.

I n h a l t s e b e r sicht. E r s t e s Capitel. Handel und Cultur berhaupt . s. 156 D a s 18. Jahrhundert das Zeitalter der Aufklrung, aas 19. das konomische Jahrhundert Die franzsische Revolution. i^eltliai^ Das Industriellstem. Kampf gegen Schutzzlle. Der Freihandel. Postwesen, England, Holland, Frankreich, Deutschland, Oesterreich. Uebertragung der Maschine auf den Verkehr, Dampfschiffe und Eisenbahnen. XWechsel- ( recht Handelsgesetzgebung, in Frankreich, in Deutschland, ! England und Nordamerika. Handels-, Gewerbs- und Fabriksgerichte. Seerecht- Consulajwesen. Die Nationalkonomie, das Mercantil-System, Quesnay und die Physiokraten. Adam Smith \ und das Freihandelssystem. Englische Schule, Ricardo. Franzsische Schule, J. B. Say. Deutsche Nationalkonomie, List.| Nordamerikaner, Carey. Handelsschulen. Z w e i t e s Capitel. Die wichtigsten Industriezweige . . s. 66161 Industrielle Revolution, Chemie und Physik- Handwerk und Fabrikation, Reform des Zunftwesens, Gewerbefreiheit. Industrieausstellungen. I ar|ielle Welt- und permanente Industrieausstellungen. |Baumwoll^nmanufactur Aeltere Zeit. Unser Jahrhundert. Die Baumwollencultur. Amerika, Indien, Westindien und Guiana, Brasilien, Egypten, Algier, Afrika, Europa, Queensland. Baumwollenfabrikation in England, in Nordamerika, in Frankreich, in Deutschland und dem Zollverein, in Oesterreich, in der Schweiz, in Holland und Belgien, in Spanien und Portugal, in Italien, im europischen Norden. Rckblick. (Der amerikanische Brgerkrieg^/ Die Wolleumanufactur. Ma>

VI i scbinen. England, Frankreich, Belgien, Deutschland, Oesterreich, | Schweiz, Russland Die Leinenindustrie. Maschinen. England, ; Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Belgien., Schweiz, Russland. Seidenfabrikation. Frankreich, England, Oesterreich, Deutschland, Zollverein, Schweiz, Russland. Eisen und Steinkohlen. England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Schweden. Glasfabrikation. England, Frankreich, Belgien, Zollverein, Oester eich. D r i t t e s Capitel. Geld und Credit S. 161250 Gold- und Silbergewinnung.flCalifornien und Australien. Einfluss auf Handel und Verkehr. Silberausfuhr nach Ostasien. 1( Einfluss der gesteigerten Goldproduction auf die Preise. Werth' verhltniss zwischen Goldjind Silber. Mnzverhltnisse. England, Nordamerika, Niederlande, Frankreich, Schweiz, Spanien, Deutschland. ((Der Credit. Bankwesen im Allgemeinen. Die Bank von England. Die Restrictionsacte. Die Peelsacte. Die Currency-Doctrin. Ricardo. Overstone. Englische Privatbanken. Schottische Banken. Das Bankwesen der Vereinigten Staaten Nordamerika^, die privilegirte Staatenbank. Privatbanken. Nationalbank. ^Krisis von 1836.pClearinghouse. Die Bankacte von 1863. Die Bank von Frankreich. Bank von Algier. 5 Colonialbanken. Comptoir d'Escompte de Paris. Das Bankwesen in Deutschland. Knigliche Preussische Bank. Wichtigste deutsche Banken. Die privilegirte sterreichische Nationalbank. Niedersterreichische Escompte-Gesellschaft und hnliche Anstalten. Bankwesen in Belgien. Mobiliar-Creditinstitute. Credit mobilier in Paris. Nachahmungen in Deutschland. Darmstdter Bank. Oesterreichische Credit - Anstalt fr Handel und Gewerbe. Ueberblick. Agricole Credifc-Anstalten. | Hypothekenbanken. Hypothekenversicherungen. |Der Staats-! *l credit. V i e r l e s Capitel. Grossbritannien S. 250368 (Rckblick auf das 18. Jahrhundert. ^)nift TinatrA^nimpr fl^r ai^n-* kanischen Colonien und die FolgeiLjrf Der Krieg mit Frankreich. TSngland im Revolutionszeitalter. Der Friede und die englische /Wirthschaft. Der Beginn der Freihandelsreformen. Die [Petition der Londoner Kaufleute. Huskisson's Thtigkeit. Seidenzlle. Wollzlle. Modification der Schiffahrtsacte. Die Krisis im Jahre 1824. Die Reform des Zolltarifs seit dem Rcktritte Huskisson's. ^JDie Krisis im Jahre 183^ England seit dem Regierungsantritte der Knigin Victoria bis 1841. Peels Reformen. Tarifreform. Zustand des Acker-| i bau's. fbie altern Getrgidezlle. Die Liga und ihre Thtigkeit. Abschaffung der Getreidezlle. Der Zuckerzlle. Handelskrisis im Jahre 1847. Die Beseitigung der Navigations-

vn acte. Die Tarifreformen in den 50er Jahren bis zum Abschluss des franzsisch-englischen Handelsvertrages. (Das Freihandelssystem und sein Einfluss auf den Handel. Statistik des englischen Handels seit 1842 Die Getreideeinfuhr vor und nach/ jder Abschaffung der Getreidezlle. (Der Consum von Colonialwaaren. Der Freihandel und die Finanzen. Die englische Colonialpolitik. Die englischen Besitzungen in Nordamerika, Canada. Britisch-Columbia. Die Hudsonsbay-Gesellschaft. Die westindischen Colonien, besonders Jamaica. Belize. Die britischen Colonien in Australien. Neusd-Wales. Victoria. Sdaustralien. Queensland. Neuseeland. Die britischen Colonien in Afrika. Capland. Mauritius. Die Eroberungen Englands in Indien. Die englisch-ostindische \ Compagnie und die Aufhebung derselben. ft>er ^ilberabfluss. fnach Indien, F u nf t e s C a p i t e l Centraiasien, und Japan . . S. 369404 D i e Bedeutung Centraiasiens fr England. Frankreich und Persien zur Zeit Napoleon I. Russlands Stellung in Centraiasien. die russische Politik und Persien. Persien und Herat. Persien und der Krimkrieg. Persiens commercielle Verhltnisse. Handelsstrassen. Erzeugnisse des Landes. Handelsorte. Der europische Verkehr mit Persien. Handelswege durch Centraiasien. Turan. Chiva. Russlands Bestrebungen in Buchara und jChiy^ ^j^hina^ Handel mit China am Anfange des 19. Jahrhunderts. Opiumhandel und Opiumcultur. Stellung Englands in China. Erster Krieg Englands mit China. Friede zu Nanking. D i e Handelsvertrge der andern Nationen mit China. China unter Hieufong. Der zweite Krieg mit China. Vertrag zu Tientsin. Der dritte Krieg mit China. Der Pekinger Vertrag. f'Die Deutschen in China. Vortrag Preussens. / T r a p a n . ~ Der" Handelsverkehr in der frhern Zeit. Stellung \ der Niederlnder. Russland und Japan im Anfange des \ 19. Jahrhunderts. Die Expedition^merika's nach Japan unter 1 Perry. Die neuen Vertrge mit Japan. ft)ie Bedgg|;nng derj j | Erffnung Japans fr den V&rk^r^

Druckfehlerverzeichniss. Seite 77 Zeile 26 lies 173 "n 205 212 letzte 228 n 12 dreihundertfache statt dreifache 52% , . 25% Erst Ernst 28% Millionen , 28% Rentenschunie. Rentenscheine Digitized by

ERSTES CAPITEL. Handel und Cultur berhaupt. 1. Wenige Epochen menschheitlicher Entwicklung knnen, was Ursprnglichkeit der Kraft, Neuheit der Ideen, Tragweite der Tendenzen und Ziele anbelangt, irgendwie mit dem 18* Jahr- i hundert verglichen werden. Es ist eine Zeit strmischer Ghrung, tief eingreifender Umwlzung in geistiger, socialer und wirthschaftlicher Beziehung, und die damals ausgestreuten Keime bildeten einen mchtigen Ghrungsstoff in dem Leben der Vlker. Es gibt kein Gebiet menschlicher Thtigkeit, welches von den Thatsachen und Ereignissen, mit denen das 18. Jahrhundert die Bltter der Geschichte fllte, unberhrt geblieben wre, keine geistige und materielle Richtung, deren Impulse nicht im , ts.s. * Zeitalter der Aufklrung" zu suchen sind. Obzwar die ge- -^-fX sammte Bewegung sich noch im Flusse befindet, nirgends noch ' zum Abschlsse gekommen ist, treten die Resultate schon berall greifbar hervor, und unser Jahrhundert ist durch eine gewaltige Kluft vom vorigen geschieden; unsere Sitten und Anschauungen, unsere sittlichen und sthetischen Ideen, unsere politischen und socialen Zustnde sind andere geworden, und die Stetigkeit der Bewegung ist ein Zeugniss, dass sie in den Tiefen des Volksgeistes wurzelt. Urwchsige, bisweilen titanenhafte Naturen untergruben und unterwhlten die Grundlagen der damaligen Weltordnung, wiesen dem menschlichen Streben neue Ziele an, und erffneten der rastlosen Thtigkeit und energischen Ausdauer neue Tummelpltze. / Indess so scheint uns tritt nirgends der reformatorische T r i e b , welcher sich aller denkenden Kpfe und strebL B e e r , Geschichte des Handels. I I I . 1

2 1. Capitel. samen Naturen bemchtigte, mit seinen weitgreifenden Resultaten evidenter und selbststndiger hervor, als auf dem Gebiet der materiellen Interessen. In religiser und philosophischer Hinsicht qulen uns noch die alten Fragen, bestehen noch die alten, schroffen Gegenstze; die politischen Verhltnisse der einzelnen continentalen Staaten haben sich noch nirgends fest consolidirt und das Streben nach gesunden, geordneten Zustnden, welche mit den Anforderungen der Vernunft und der Zeit im Einklnge stnden, ist nur hier und da zum Durchbruche gekommen. In der schnen Kunst knnen uns frhere Jahrhunderte als unerreichte Muster hingestellt werden, ebenso ragen durch Geist und Gelehrsamkeit glnzende Namen schon aus dem Alterthum und dem Mittelalter herber. Aber auf dem materielleren Gebiete der Wirthschaft liegt der Umwlzungsprocess, der sich im Laufe der Decennien vollzogen, klar zu Tage. Man hat deshalb in gewissem Sinne mit Recht unser Jahrhundert mit dem Namen des konomischen belegt. Die materiellen Interessen nehmen in der Gegenwart die erste Stellung ein, und die wirthschaftlichen Fragen beschftigen in den weitesten Kreisen Kpfe und Sinne. In den mechanischen Knsten und Wissenschaften steht unBer Jahrhundert krftigst gefrdert und untersttzt durch die rastlos vorwrts strebende Naturwissenschaft unbertroffen da. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bricht sich diese Richtung mit aller Entschiedenheit fast berall Bahn, und die meisten Erscheinungen des modernen Lebens, die Umgestaltungen und Verbesserungen im staatlichen und socialen Organismus, selbst die Wandlungen unserer ethischen Weltanschauung finden durch die materielle Zeitstrmung ihre Erklrung. Individuen und Vlker streben nach wirthschaftlicher Wohlfahrt, nach erhhtem Genuss, ringen sich aus den beengenden Fesseln frherer Jahrhunderte zu unbehinderter Entfaltung ihrer geistigen und physischen Krfte empor. Besonders seit der Herstellung des Friedens, als nach den strmischen Revolutionsjahren die gesammte civilisirte Welt von den Wirren des Krieges tief aufathmete, und sich nach Ruhe und Frieden sehnte, begann jene totale tiefeingreifende Umbildung der wirthschaftlichen Verhltnisse, welcher frhere Perioden nichts Aehnliches an die Seite zu setzen haben. Damit soll das 19. Jahrhundert nicht der einseitigen Pflege der materiellen Interessen geziehen

Handel and Cultur berhaupt 3 werden, da mit diesem Worte ohnehin viel Missbrauch getrieben worden ist. Glauben ja manche Moralphilosophen darin einen Rckfall menschheitlicher Entwicklung und eine gefahrliche Begnstigung materialistischer Tendenzen erblicken zu mssen. Schon in jenem Buche, dessen Autoritt in diesen Punkten fr Frmmler aller A r t maassgebend sein sollte, steht der bekannte Satz, der den Menschen als Mitgift gegeben wurde: Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen" ; die den Jammerruf erheben, dass die Wucht der materiellen Interessen alles Edle und Hohe zurckzudrngen scheine, sollten dies nicht vergessen, und sich der wohlbegrndeten Ansicht nicht verschliessen, dass der Eigennutz und die Selbstsucht nicht seit gestern oder heute die Triebfedern menschlicher Handlungen sind, dass Selbstaufopferung, Hingebung an ideale Tendenzen nicht ausschliesslich unsere Vter leiteten, und heute auch nicht ausgestorben sind. Man war schon frher berzeugt, dass der Mensch durch die ausschliessliche Sorge fr sein Wohlergehen hauptschlich getrieben w i r d , nur wagt man in der Gegenwart dieses offen auszusprechen und ohne Heuchelei zu betonen. Der Staatsmann", heisst es in einem Aufsatze des Bremer Handelsblattes treffend, begegnet sich mit dem Gelehrten in der Anerkennung, dass der mchtigste Trieb im Menschen die Selbstsucht sei, dass man sie daher anrufen msse, so oft man wnscht, eine grssere Zahl von Menschen in Bewegung zu bringen. Mit dem gehssigen' Namen der Selbstsucht hat eine unklare Anschauung eine Kraft brandmarken wollen, die von allen Krften der Seele die strkste, die dauerhafteste ist, mit deren Erlschen der Mensch aufhren wrde zu leben, die an sich weder gut noch bse ist, sondern eben nur zu beiden hinzufuhren fhig." Es war die Aufgabe der Wissenschaft, die Richtigkeit dieser Ansichten nachzuweisen, und die Vergangenheit, welche man mit einem idealen Flitter ausgestattet, von denselben Strmungen ergriffen darzustellen , wie die Gegenwart. Die materiellen Interessen pulsirten ebenso rege und lebendig zur Zeit unserer Urahnen, wie sie das mchtigste Agens kommender Geschlechter bleiben werden. Die grossen Tugenden der Massigkeit, Sparsamkeit und Ordnung, die wahrhaft christlichen Lehren der Friedensliebe und Vertrglichkeit sind von den Aposteln der materiellen Interessen wenigstens ebenso scharf und eindringlich

4 1. Capitel. gelehrt worden, wie von den Lobrednern vergangener Zeiten. Man kann.sich unmglich der Wahrnehmung entziehen, dass Wissenschaft und Kunst, dass die Religion durch die zunehmende Herrschaft der materiellen Interessen nicht so viel zu leiden haben, und dass die Mngel und Gebrechen, welche im Gefolge der modernen Zeitrichtung auftreten, nicht ausschliesslich in materiellen Tendenzen wurzeln, sondern dem Menschen und Menschenwerk ankleben von Ewigkeit zu Ewigkeit. 2. Die f r a n z s i s c h e R e v o l u t i o n brachte nicht blos eine totale Umwlzung in der politischen Welt hervor, eine Umwandlung des konomischen Zustandes wurde ebenfalls durch sie angebahnt. Mit der Gleichberechtigung, welche das Btirgerthum gewann, waren die Schranken des starren Agriculturstaates durchbrochen, und der Herrschaft des beweglichen Eigenthums Thr und Thor geffnet. Freilich jene Krfte, welche in den tiefsten Tiefen des Volksgeistes mchtig arbeiteten, und zur Zerbrckelung des Feudalstaates mit am meisten beitrugen, lagen nicht so offenbar zu Tage, und wurden von den Geschichtsschreibern der franzsischen Revolution am wenigsten in Anschlag gebracht, wenn es sich darum handelte, das Geder der Ursachen mit kritischem Blicke bioszulegen, welche die alte Zeit zu Grabe trugen und eine neue Aera anbahnen halfen. Die frher gang und gbe Ansicht, die grosse Revolution des vorigen Jahrhunderts, habe nur eine politische Vernderung anstreben wollen, ist gegenwrtig wohl als beseitigt anzusehen; bei genauerer Prfung stellt sich die tiefeingreifende sociale Bedeutung der epochemachenden Bewegung mit Evidenz heraus. Das grosse Princip v . J . 1789", sagt Sybel mit Recht, lautet auf Freiheit der Arbeit und des Eigenthums, auf Gleichheit des Staatsschutzes fr jeden Arbeiter und Eigenthmer". Die grosse konomische Reform wurde in der Abolitionsnacht des Absolutismus am 4. August eingeleitet, und fast alle Beschlsse der Nationalversammlung, welche konomische Fragen. betreffen, sind von jenem freiheitlichen Geiste dictirt, der in modernen Tagen allenthalben immer mehr zum Durchbruche kommt. Die Beseitigung der Privilegien, die Aufhebung der Binnenzlle, die Minderung der Grenzzlle, die Auflassung der Znfte, die Reformen der Besteuerung, die Abschaffung der Lehensrechte, der Geburtsprivilegien, die Entfesselung des Credits u. dgl. mehr

Handel und Cnltur berhaupt. 5 beruhen smmtlich auf dem richtigen Principe der Emancipation der Arbeit, welche durch mannigfache Normen eingeengt war und allerlei Beschrnkungen unterlag. Das staatliche Bevormundungssystem war hiemit als aufgegeben zu betrachten, die konomische Arbeit von jedem Eingriffe befreit, das System der freien Concurrenz des laissez faire und laissez aller" feierte seinen ersten bedeutsamen Sieg." ) Der Feudalstaat, lngst unterwhlt und untergraben, konnte als beseitigt angesehen werden., und ein auf anderen Grundlagen aufgebautes Staatsund Wirthschaftsleben musste die unmittelbare Folge sein. Wie viele Eingriffe in die conomische Entwicklung sich die Revolution in ihrem weiteren Fortgange erlaubte, die Wirkungen der grossen einmal ausgesprochenen Principien konnten wohl fr kurze Zeit gehemmt, nie aber annullirt werden, und das brige Europa, welches dem revolutionren Geist mit Macht sich entgegenstemmte, musste frher oder spter unvermeidlich die Bahn der Reform betreten, welche, einmal angeregt, nicht zum Stillstand gebracht werden konnte. Die Ideen und Principien, welche jene Zeit ausgestreut, wirkten fort und blieben die bewegenden Krfte des Umbildungsprocesses des neunzehnten Jahrhunderts, welches auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens neue Institutionen hervorrief. 3. Der Handel der neueren Zeit ist im wahrsten und ausgedehntesten Sinne W e l t h a n d e l , an welchem die Culturvlker beider Hemisphren activen, energischen Antheil nehmen. Nicht blos an die Gestade der mittellndischen Meeresgebiete gebannt, wie in den ersten Jahrtausenden menschheitlicher Entwicklung, umspannt der gegenwrtige Verkehr die gesammte Welt; der Handel nimmt berall, wohin die kaukasische Race"ihren Fuss setzte, besonders wo europischer Geist und germanische Arbeitskraft Wurzel fassten, ungeheure Dimensionen an. Und doch stehen wir nur in "einer Periode des Uebergangs, und die grossen Vortheile dieses so unendlichen mannigfaltigen Handels- und Verkehrslebens drften sich erst unsern Enkeln in ! vollster Klarheit erschliessen. Vermittelst des beschwingten Verkehrs ist man im Stande, die Producte aller Zonen, die Erf ) Vgl. Blanqui, histoire de Teconomie politique, Bd. I. und Sybel, Geschichte des Kevolutionszeitalters Bd. I. S. 213 ff. u. 228 ff. l

6 1. Capitel Zeugnisse aller Lnder gegenseitig auszutauschen. Das Dampfschiff trgt den Kaufmann an die entfernteste Kste, und durch die Eisenbahnen schrumpfen die Entfernungen auf den Continenten zusammen. Die Kleidungsstcke, welche dem Bedrfnisse und dem Luxus dienen, die Nahrungsmittel, welche der Nothdurft unseres Leibes gengen sollen, entstammen den mannigfachsten Climaten; die Erzeugnisse aller Welttheile werden bentzt, um unser materielles Leben auszuschmcken. Unser aus Mahagoniholz geschnitzter Tisch stammt vielleicht aus Honduras, das Leder unserer Fussbekleidung liefern die auf sdamerikanischen Ebenen weidenden Viehheerden. Australiens Producte sind uns zum unumgnglichen Bedurfnisse geworden; das Weizenmehl, welches wir verbrauchen, hat der Fleiss des Landmannes in den fruchtbaren Gefilden Nordamerika's gewonnen, und den Ausfall der Ernte Europa's muss das entfernte Wisconsin und Chicago ersetzen. Europische Producte dringen nach den abessmischen Hochlanden und nach Bufara, Nrnberger Tand, bhmische Glaswaaren finden an dem Amazonenstrom und am Missouri Absatz. Der Forscherfleiss und die rastlose Wissbegierde hat kaum dunkle Erdgebiete aufgehellt, und schon bemchtigt sich der Kaufmann ihrer Producte, um aus der Erweiterung der Wissbegierde Gewinn zu ziehen. Die Vlker stehen einander nicht mehr in vollstndiger Isolirtheit gegenber, die Abhngigkeit derselben von einander ist eine evidente Thatsache; die Vereinzelung im Gterleben hat aufgehrt, die kosmopolitische Solidaritt ist eine Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Der Handel der Neuzeit hat oft wahrhafte Wunder geschaffen. Kleine, unscheinbare Drfer erwuchsen in einem verhltnissmssig kurzen Zeitraum zu blhenden Ortschaften, zu mchtigen Stdten. Aus dem Malayendorfe Singapore ist seit 1858 ein grosser hinterindischer Stapelplatz geworden,. aus New-York ein weltbeherrschender Handelsort; Chartum, am Zusammenflusse der beiden Hauptstrme des Nils, arbeitete sich aus einem Weiler zu einer Handelscapitale im Sudan empor." Die vor zwei Decennien noch unbewohnten australischen Gefilde sind mit staunenerregenden Ortschaften beset. ) 4. Das Mercantilsystem beherrschte bis an's Ende des vorigen ! ') Vergleiche Andre, Geographie des Welthandels S. 7 ff.

Handel und Cultur berhaupt 7 Jahrhunderts Theorie und Praxis; nur hier und da erschtterte der Physiokratismus die gang und gben Ansichten, zu einem vollstndigen Bruche kam es nicht. Der Reichthum eines Landes bestehe in der Menge der Edelmetalle, war das Princip der mercantilistischen Anschauung, die Befrderung des Metallreichthums das Hauptstreben aller Regierungen. Nach dem Vorbilde Frankreichs und Englands, wo man in der Praxis den Mercantilismus mit eiserner Consequenz systematisch durchfhrte, war die Hauptsorge der anderen Staaten Europa's, das Geld im Lande zu behalten. Die Ausfuhr msse die Einfuhr eines jeden Landes bersteigen, grssere Werthe seien zu verkaufen als einzukaufen. Die Vergleichung zwischen dem Werthe der Waaren, welche eine Nation an das Ausland absetzt, und dem Werthe derjenigen, welche sie einfhrt, bildete die Handelsbilanz, und man whnte durch Einfuhrzlle, Verbote und Prmien die Handelsbilanz minder ungnstig zu gestalten, als es der Fall gewesen wre, wenn Freiheit des Verkehrs stattgefunden htte. Man verschloss sich der begrndeten Ansicht, dass das Wesen des Handels auf Gegenseitigkeit beruhe, dass die verschiedenen Vlker in ihrem Verkehre nur die gegenseitigen Bedrfnisse zu befriedigen suchen. Im Zusammenhange stand damit das Vorurtheil, dass der konomische Vortheil einer Nation nur auf Kosten anderer Vlker erreicht werden knne, und man hielt deshalb noch im vorigen Jahrhundert an dem Grundsatze fest, dass die Kunst beim Abschluss von Handelsvertrgen so viel als mglich darin bestehe, den Contrahenten zu berlisten. Richtigere Ansichten von dem Wesen des Verkehrs, von den Operationen, worauf der Handel mit dem Auslande zurckgefhrt werden kann, hat das sogenannte freie I n d u s t r i e s y s t e m , welches durch Adam Smith begrndet, eine gnzliche Umwlzung in den handelspolitischen Ansichten herbeifhrte, und wenn auch langsam, auch in der Praxis Eingang gefunden hat. Der Reichthum eines Volkes besteht weder allein im Grund und Boden, noch ausschliesslich im Gelde, sondern in allen Dingen, die zur Befriedigung unserer Bedrfhisse, zur Erhhung unserer Lebensannehmlichkeiten und Gensse, und zur Erreichung der Lebenszwecke des Menschen tauglich sind. Die Summe der Tauschwerte macht ausschliesslich den Reichthum eines Volkes aus, die einzige Quelle desselben ist die Arbeit,

8 1. Capitel. welche Werthe und Bomit Reichthum erzeugt. Productive Arbeitszweige sind Landwirtschaft, Industrie und Handel; sie stehen smmtlich im innigsten Zusammenhange mit einander, bedingen sich wechselseitig derart, dass die Blthe der einen nothwendig die des andern hervorrufen msse. Alle drei Gewerbeklassen verdienen gleichmssige Frderung; diese hat jedoch in nichts anderem zu bestehen, als in der Wegrumung von Hindernissen, welche durch die falsche legislatorische Thtigkeit frherer Regierungen der individuellen Kraft und Arbeitsamkeit im Wege sind. Hinsichtlich des Ackerbaues ist an dem Grundsatze der Mobilitt und freien Bewegung des Grundes und Bodens festzuhalten; Fideicommisse, Majorate, feudale Leistungen und Pflichten haben durchaus nicht wohlthtig und den Fortschritt befrdernd gewirkt, und sind deshalb zu beseitigen. Die industrielle Entwickelung gedeiht dort am besten, wo Gewerbsprivilegien, Monopole, Vorrechte, Znfte, insgesammt gemeinschdliche Einrichtungen, nicht bestehen. Sie beschrnken die Freiheit der Arbeit, sind Hemmnisse der freien Bewegung von Capital und Arbeit, machen eine Concurrenz in weitesten Kreisen unmglich. Jene Wirtschaftspolitik, welche den Schutz heimischer Erzeugnisse durch Prohibitivmaassregeln aller Art gegen auswrtigen Mitbewerb auf dem Markte erzielen will, ist unbedingt dem Gemeinwohl schdlich. Sie hat wohl den Zweck, die inlndische Gewerbsproduction zu beschtzen, schafft aber nur ein Monopol der Producenten, welche sie ausschliesslich im Auge hat, whrend sie die Consumenten unbercksichtigt lsst, und ruft in vielen Fllen eine knstliche Industrie hervor, indem sie die Capitale ihrer naturgemssen Verwendung entzieht. Freiheit ist der Production am zutrglichsten, da jedes Individuum am besten weiss, wie es sein Capital am vorteilhaftesten verwerten knne. Hieraus folgt mit Notwendigkeit, dass auch der Handel von allen lhmenden Beschrnkungen zu befreien sei. Man knne und drfe nicht den auswrtigen Verkehr durch Gesetze und Maassregeln aller A r t dirigiren. Das Mercantilsystem ist i r r i g ; die Ausfuhr von Edelmetall ist weder ein notwendiger Verlust, noch die Einfuhr desselben ein unbedingter Gewinn. Beim auswrtigen Handel gewinnt immer eine Nation, indem fr die eingehende Waare ein gleicher Betrag von W e r t e n in's Ausland geschickt w i r d ;

Handel und Cultur berhaupt. 9 die Einfuhr hat immer einen gleichmssigen Betrag von Ausfahren zur Folge. Eine Nation kann ihre Industrie nur so weit ausdehnen, als ihr Capital zu erschwingen vermag. Handelsmaassregeln haben nie eine Vermehrung der Capitale hervorgebracht. Wenn fr das Individuum der Satz wahr ist, dass es am besten dort kaufe, wo die Waare am wohlfeilsten sei, so gelte dasselbe von Nationen. Einfuhrzlle und Prohobitionen haben zur Vergrsserung des Reichthums einer Nation nie beigetragen; sie hatten blos das Resultat, dass sie Einzelne auf Kosten der Gesellschaft bereicherten, indem sie den Producenten der Masse von Consumenten gegenber ein Monopol gewhrten. Jedes Land besitzt eine Anzahl Productionszweige, welche man daselbst am besten ausbeuten und fr den Weltverkehr auf die eintrglichste Weise bentzen knne. Durch Begnstigung einiger Productionszweige haben diese vielleicht gewonnen, die Nation hat unstreitig keinen grossen Gewinn gemacht ; der freie Handel ist unstreitig der vortheilhafteste. Durch den wechselseitigen Ein- und Austausch der Waaren erhlt jedes Volk fr die berflssigen Gter andere zur Befriedigung anderweitiger Bedrfhisse. Die Beseitigung aller Verkehrs schranken, welche dem Gewerbetreibenden den heimischen Markt sichern, die Hinwegrumung aller Monopole und Prmien, aller lstigen Vorrechte und drckenden Handelsvertrge bildet die Hauptaufgabe der staatlichen Frsorge, sonst sei alles dem freien Mitbewerb zu berlassen. Das Industriesystem erklrte sich ebenfalls gegen die von der mercantilischen Schule geltend gemachten Grnde fr die herrschende Colonialpolitik. Adam Smith hat gerade diesen Punkt einer ausfuhrlichen Errterung unterzogen. Er gibt zu, dass die Colonialproducte, wenn sie ausschliesslich an das Mutterland verkauft werden mssen, in diesem wohlfeiler als anderswo seien; dass die Kunstproducte des Mutterlandes in den Colonien zu einem hhern Preise abgesetzt wrden, als es der Fall sein w r d e , wenn auch anderen Nationen der Handel nach den Colonien gestattet wre. Dem Mutterlande erwachse indess durch den Alleinverkehr mit seinen Colonien kein absoluter, sondern nur ein relativer Vortheil; es werde durch Freigebung des Handels nichts verlieren, sondern nur andern Nationen die Erlaubniss gestatten, hnliche Vortheile zu erlangen, ja es wre

10 1. Capitel. sogar mglich und selbst wahrscheinlich, dass die eigenen Vortheile bei Freigebung des Handels wchsen. Der Colonialhandel entzge andern Handelszweigen betrchtliche Capitalien, lhme dadurch die productive Thtigkeit des Mutterlandes, indem der Umsatz des Capitals nicht so hufig mglich ist, mit einem Worte, das Colonialsystem gibt der industriellen Thtigkeit des Mutterlandes eine falsche unnatrliche Richtung. Die Nachfolger und Anhnger Adam Smith's fhrten fr diese Ansicht noch andere historische Argumente in's Feld. Das englische Colonialsystem wurde durch den Abfall der nordamerikanischen Colonien erschttert; die reif und selbststndig gewordenen Colonien wollten sich furderhin nicht vom Mutterlande am Gngelbande fhren lassen. Die Feinde Englands wiesen mit Schadenfreude auf dessen Ruin, welcher ihrer Meinung nach die unmittelbare Folge des Abfalls sein msse. Sie wurden durch die Thatsache Lgen gestraft, dass England nach den freien Vereinigten Staaten schon einige Jahre nach der Unabhngigkeitserklrung viel mehr als frher exportirte, so lange diese Gebiete noch vom Mutterlande abhngig waren. Auch auf Frankreich konnten die Freihndler mit Recht hinweisen, und den Beweis zu fuhren suchen, dass es an seinen Colonien viel mehr verliere als gewinne, indem es zur Regierung derselben mehr aufwende, als sie zu den Staatseinknften beitrgen, und die Colonialproducte weit theuerer als bei freiem Verkehr bezahle. Man begrndete auf diese Weise die Ansicht, dass der Besitz von Colonien zur Blthe des Handels, zum Flor der Gewerbe nicht unbedingt nothwendig sei, und die Pflanzungen mehr eine Last als ein Vortheil des Mutterlandes sind. Dies sind die wesentlichsten Grundstze des Industriesystems, oder wie man es mit dem bekannteren Namen bezeichnen kann, des Freihandelssystems. Gegen diese absolut freihndlerische Richtung konnte ein Rckschlag nicht ausbleiben, und in Frankreich, Amerika und Deutschland traten Mnner auf, welche mit Entschiedenheit und Talent die Theorien des freien Handelssystems bekmpften. Die leitenden Ideen dieser Richtung sind unter dem Namen des Schutz- und P r o h i b i t i v systems bekannt, und bis auf die Gegenwart zieht sich der Kampf zwischen den beiden streitenden Parteien fort. Der tchtigste Vertreter der Schutztheorie ist Friedrich List, Der

1 1 Handel und Cultur berhaupt Theorie der Tauschwerte stellt er die der Productivkrfte entgegen. Die Prosperitt einer Nation ist um so grsser, je mehr productive Krfte sie entwickelt hat. Der auswrtige Handel der Nation drfe nicht einzig mit Rcksicht auf den augenblicklichen Gewinn materieller Gter beurtheilt werden, man msse alle jene Verhltnisse in's Auge fassen, wodurch die jetzige und knftige Existenz, Prosperitt und Macht einer Nation bedingt ist Man msse oft materielle Gter aufopfern, um geistige oder gesellschaftliche Krfte zu erwerben; die Vortheile der Zukunft entschdigen sodann fr die Verluste der Gegenwart. Eine in allen Zweigen ausgebildete Manufacturkraft ist die Grundbedingung des materiellen Wohles und der politischen Macht einer Nation. Eine junge Manufacturkraft knne mit einer lngst erstarkten bei freier Concurrenz nicht aufkommen, und msse durch Schutzzlle gegen die Ueberfluthung des Auslandes geschtzt werden. Schutzzlle verteuern allerdings im Anfange die Manufacturwaaren, aber man bringt hier nur ein Opfer an Werthen, welches durch Erwerbung der Productivkraft bei Weitem vergtet wird, und verschafft der Nation fr die Zukunft Selbststndigkeit und Unabhngigkeit. Unter jenen schaffenden Krften, welche zum Reichthum einer Nation beitragen, steht die Gewerbettigkeit oben an, welche der Erziehung und Pflege bedarf. Das Schutzsystem, welches dies bewerkstelligt, ist allerdings ein Monopol, aber ein notwendiges und wohlttiges,; es ist ein Monopol, welches nicht einer einzelnen Classe, sondern der ganzen Nation zu Gute kmmt, indem es die ganze Nation auf die schnellste Weise in den Besitz einer vollstndigen Manufacturkraft setzt. Schutzmaassregeln sind nicht eine Beschrnkung der Freiheit des Einzelnen, nicht eine Anmaassung der Regierung, welche die Verwendung des Capitata dirigiren wolle. Die schtzende Handelspolitik habe den Zweck, allen Individuen ein weiteres Feld fr die ntzliche Anwendung ihrer Krfte und Capitale zu verschaffen. 5. Es lsst sich nicht leugnen, dass diese Theorie ungemein viel Bestechendes hat, und daraus ist es erklrbar, dass sie bis auf die Gegenwart eine grosse Anzahl Verteidiger und Vertreter hatte. Es lsst sich indess schwer beweisen, dass Schutzzlle eine blhende Industrie irgendwo hervorgerufen htten, und zur Entwicklung der productiven Krfte gibt es andere

12 1. Capitel. Mittel. Die Weckung der geistigen Fhigkeiten durch tchtige Unterrichtsanstalten, eine krftige, auf ein bestimmtes, festes Ziel hinarbeitende Erziehung, freie politische Institutionen erzwecken viel mehr als alle beschrnkenden Maassnahmen zusammengenommen. Diese machen schlaff und energielos, fordern hchst selten die productive Thtigkeit, Indolenz und Stagnation treten viel fter in ihrem Gefolge auf. Der Verlust an materiellen Gtern", bemerkt Hock richtig, und an der Zolleinnahme beim Prohibitiv- und Schutzsystem ist ein wirklicher, unvermeidlicher und ein solcher, der sowohl auf die Frderung als insbesondere auf die nutzhafte Verwendung der productiven Krfte zurckwirkt, die Steigerung der letztern, die aus jenem Zollsystem hervorgehen soll, eine blos gehoffte, ungewisse. Allen Beispielen, die man anfhrt, wie durch Schutzzlle eine blhende Industrie geschaffen worden, lsst sich entgegnen, dass sie wahrscheinlich auch ohne diese Hilfsmittel entstanden wre, oder wenn sie derselben bedrfte oder vielleicht noch gegenwrtig nach langem Bestand bedarf, nicht zum volkswirtschaftlichen Nutzen betrieben werde." *) Aus der geschichtlichen Betrachtung lassen sich berdies mancherlei Beweise gegen das Schutzzollsystem auffhren. Vergleicht man die franzsischen und englischen Verhltnisse whrend der letzten Decennien unseres Jahrhunderts mit einander, so kann es durchaus nicht zweifelhaft sein, auf welcher Seite die Wahrheit ist. Die Abhngigkeit der Vlker von einander ist eine evidente Thatsache, und die Befriedigung der so mannigfachen Bedrfnisse der Gegenwart kann nur durch die internationale Arbeitst e i l u n g bewerkstelligt werden. Das Schutzsystem entspricht den Forderungen der Gegenwart nicht, davon abgesehen, dass die Grundstze der reinen, ungetrbten Wissenschaft es schon lngst begraben haben. Alle Wiederbelebungsversuche sind vergebens. Man beruft sich so gerne auf die Geschichte, und bemht sich zu beweisen, dass der Schutz es gewesen, der in England jene Wunder hervorgerufen, dass Prohibition der franzsischen Industrie in gewissen Zweigen jene Superioritt verschafft , welche sie heute wirklich besitzt. Und besttigt die Erfahrung in der That die Argumente dieser Partei ? Wir glauben ') Hock, die ffentlichen Ausgaben und Schulden. Stuttgart 1863. S. 138.

Handel und Cultur berhaupt. 13 kaum. W i r wollen dem Schutz nicht alle und jede Berechtigung absprechen, aber lebensvolle krftige Industrien hat er einzig und allein nicht geschaffen. Oder ist die energische Thatkraft, die nie erlahmende, die unermdliche Ausdauer eines Volkes so gar nichts? Jenen Beispielen, welche die Schutzzllner rar die Richtigkeit ihrer Ansichten, fr die Bekrftigung ihrer Lehren aus der Vergangenheit hervorholen, lassen sich andere gegenberstellen, welche mindestens das Gegentheil beweisen. W i r d in der That die Selbststndigkeit einer Nation untergraben, wenn sie den Erzeugnissen anderer Vlker ihre Mrkte ffnet, ist wirklich ihre Fortdauer gefhrdet, wenn sie das Princip der freiesten, unbedingtesten Concurrenz auf ihr Banner schreibt? Wir bezweifeln es. Die Grundstze, welche die Wissenschaft seit Decennien ununterbrochen predigt, sind nicht blos Illusionen und heillose Ideologien, sie kann dieselben aus tausend Beispielen der Geschichte, aus den Erfahrungen der Vergangenheit documentiren. Doch wir wollen die Frage, ob Schutzzoll, ob Freihandel, hier nicht weiter errtern, dies wrde uns zu weit fhren, und wir schreiben berdies kein System der politischen Oekonomie. Aber darber knnen wir uns keiner Tuschung hingeben, dass die Freiheit des Verkehrs, die Beseitigung der Prohibition oder hoher Schutzzlle heute selbst in den weitesten Kreisen gefordert werden, und nur verblendete Industrielle , die ihren eigenen Vortheil ber das Wohl der Gesammtheit stellen, sich den berechtigten Forderungen verschliessen. Diese belehren zu wollen, wre ebenso vergeblich, wie den Mohren weiss zu waschen. Unser jetziges Zollsystem wir haben dabei Oesterreich und Deutschland besonders im Auge welches vielen unserer Industriellen nicht zu gengen scheint, kann nicht mehr Decennien lang aufrecht erhalten werden, die Entwicklung unsers Jahrhunderts treibt uns unerbittlich vorwrts, wir knnen nicht zurck, wir mgen wollen oder nicht. 6. Seitdem Adam Smith die richtigen wirthschaftlichen Grundstze auch in Bezug auf den internationalen Verkehr blosgelegt hatte, bricht sich die Ansicht in immer weiteren Kreisen Bahn, dass der innere und auswrtige Handel von allen mglichen Fesseln und Hemmnissen befreit werden m s s e , und dass die Gesundheit und fortdauernde Weiterbildung desselben von dem grsstmglichen Maass der Freiheit abhnge, welche der Staat

14 1. Capitel. ihm gewhre, England ging in dieser Hinsicht mit gutem Beispiele voran, dessen Staatsmnner die A x t an das ganze mittelalterliche Handelssystem legten, und die von der Wissenschaft begrndeten theoretischen Handelsprincipien in der Praxis zu verwirklichen bemht waren. Der Continent folgt langsam nach. Die zum Theil knstlichen, nicht naturwchsigen Industrie- und Verkehrsverhltnisse hemmen bisweilen den entschiedenen Bruch mit dem Alten. Noch immer finden sich, wenn auch selten, monopolistische Beschrnkungen zu Gunsten inlndischer oder auswrtiger Corporationen, Bevorzugung des nationalen Handels durch Hemmnisse des Fremdenverkehrs, wobei meist der Grundsatz der Gegenseitigkeit maassgebend ist. Die Regierungen glauben noch immer, den eigenen Rhedern den auswrtigen Handel oder den Ksten- und Colonialhandel reserviren zu mssen. Selbst in England, welches doch am frhesten das Freihandelssystem mit Entschiedenheit und Consequenz einfhrte, blieb diese Anschauung bis 1850 die herrschende. In anderen Staaten behauptet sich das Prohibitiv- und Schutzzollsystem mit sehr geringen Abnderungen, doch scheint die Zeit nicht ferne, wo gesundere Ansichten Platz greifen, und entschiedene Reformen durchdringen werden. Das Beispiel E n g l a n d s , welches besonders seit 1846 seinen Zolltarif einer durchgreifenden Umnderung unterzog, fand in der Schweiz 1849 Nachahmung, wo man die niedrigen Eingangszlle vereinfachte. H o l l a n d beseitigte 1850 die Differentialzlle, und reformirte 1854 den ganzen Zolltarif. S a r d i n i e n betrat seit 1851 die Bahn des Freihandels, und fuhr consequent in den nchsten Jahren mit weiteren Reformen fort; in P o r t u g a l wurde 1852 ein neuer Zolltarif mit massigen Percentstzen und frei von Einfuhrverboten in Kraft gesetzt. Der Z o l l v e r e i n behielt die Schutzzlle zur Sicherung der inlndischen Industrie bei, und die schutzzllnerischen Ansichten behielten bis an's Ende des vorigen Jahrzehents die Oberhand. Erst seit einigen Jahren gewinnt die Freihandelspartei immer mehr Boden und den Bestrebungen einsichtiger Volkswirthe, welche auf Beseitigung der Schutzpolitik mit grosser Energie und richtigem Verstndnisse der Zeitbedrfnisse hinarbeiten, gelingt es richtige und klare Ansichten ber das Wesen der Wirthschaft in weitesten Kreisen zu verbreiten. Den ersten Anstoss zur freihndlerischen Bewegung in

Handel und Cultur berhaupt 15 Deutschland gab die Aufhebung der Getreidezlle in England. Nach Innen waren die Zollschranken langst gefallen, und man hatte Gelegenheit gehabt, den wohlttigen Einfluss kennen zu lernen, den die Beseitigung so vieler Hemmnisse auf Handel und Verkehr ausbte. Die Anregung zur Grndung eines Freihandels-Vereines gab Prince Smith, der denselben in Verbindung mit Asher, begrndete. Der Zollverein sollte zu jenen Grundstzen zurckkehren, welche in dem preussischen Zollgesetz vom 26. Mai 1818 ausgesprochen waren, und von denen man spter vielfach abgegangen war, nachdem die Schutzpartei mit ihren bekannten Ansichten einer nationalen Industrie einen berwiegenden Einfluss bei den Zollconferenzen erlangt hatte. In Berlin, Hamburg, Stettin bildeten sich Freihandels vereine, und in der Presse erhoben sich immer mehr achtbare Stimmen, welche fr die Nothwendigkeit einer totalen Umgestaltung der bisherigen Handelspolitik eintraten. *) Ihre Bestrebungen haben bisher wenigstens bewirkt, dass die Freihandelspolitik in den Kreisen der Fabrikanten immer mehr Anhnger gewinnt. Die vielfachen Debatten ber den franzsisch-preussischen Handelsvertrag machten es klar, dass ein Bruch mit dem bisherigen System eintreten werde und msse. Wenn Verbotsgesetze und hohe Zlle berhaupt eine Industrie empor zubringen im Stande wren, so msste O e s t e r r e i c h im Laufe des 19. Jahrhunderts die grssten Fortschritte aufzuweisen haben. In fast allen Zweigen der Manufacturindustrie waren Einfuhrverbote die Regel, oder die Waaren mit hohen Zllen belegt, welche Einfuhrverboten gleich kamen. Dennoch leistete die geschtzte und ungemein begnstigte Industrie nur in einzelnen Artikeln Ausgezeichnetes, und hiebei ist es ausser Zweifel, dass dies Resultat auch ohne Prohibition htte erzielt werden knnen. Die hohen Zlle begnstigten in jeder Weise nur den Schmuggel, der bekanntlich in Oesterreich in der vormrzlichen Zeit im ppigsten Flor stand. Kenner wirthschaftlicher Verhltnisse sahen die Nachtheile des herrschenden Sperrsystems auch recht wohl ein, eiferten in Wort und Schrift gegen dasselbe, und forderten mit Entschiedenheit ein massiges Schutzsystem. Sie konnten um so weniger ') Vergleiche Asher in der Uebersetzung von Tooke, Geschichte der Preise IL S. 230244.

16 1. Capitel. durchdringen, als unter den Regierungsmnnern sich nur wenige fanden, die Kenntniss und Scharfsinn genug besassen, um die Uebelstnde und Nachtheile einzusehen, und die Industriellen unthtig und schlaff, sich bei dem Schutz ganz wohl befanden. In Oesterreich hat die Beseitigung des Prohibitivsystems und die Einfhrung einer massigen Schutzpolitik am Anfange des vorigen Jahrzehents durch die bahnbrechende Thtigkeit des Ministers B r u c k stattgefunden, und so viele Stimmen auch seitdem ber die Verderblichkeit des neuen Systems" im Lager der Industriellen und Fabrikanten laut wurden, ist es nur zu klar, dass man in Oesterreich nicht stehen bleiben knne, sondern durch die unerbittliche Macht der Thatsachen weiter gedrngt wird. In Regierungskreisen wenigstens herrscht die feste Ueberzeugung, dass noch Weiteres geschehen msse. F r a n k r e i c h beharrte bis in die jngste Zeit bei seinem bertriebenen Schutz- und Prohibitivsystem. Das Princip der bureaukratischen Centralisation und die Bevormundung des Staates in den Privatinteressen, hat dort seit mehreren Generationen die Verhltnisse knstlich geregelt, und wird gewiss das Meiste zu jener Verwirrung der Begriffe und Verhltnisse beigetragen haben, welche die verschiedensten politischen und socialen Revolutionen und Projecte verursachte, und am Ende zu der ussersten, aber sehr erklrlichen Consequenz fhrte, dass der Staat nicht blos einzelnen, sondern allen leidenden Industriezweigen aufhelfen, dass er den Arbeitern Unterhalt und Arbeit verschaffen, und als allgemeine Versorgungsanstalt die Plne der Communisten durchfhren msse." Indess fehlte es nicht an Stimmen, welche die herrschende Zollgesetzgebung als ein grosses, den industriellen und mercantilen Fortschritt hemmendes Uebel anerkannten, und fr eine Aenderung des Systems plaidirten. Schon 1846 discutirte man in der Presse die Freihandelsfrage, und selbst die Regierung schien freihndlerischen Grundstzen nicht abgeneigt. Nach der Revolution richtete die Freihandelspartei, welche besonders an Friedrich Bastiat einen geistvollen, kenntnissreichen Vertreter in Wort und Schrift besass, an die provisorische Regierung die Bitte um freie Einfuhr von Lebensmitteln, ohne mit ihren Gesuch durchdringen zu knnen. Ein liberales Mitglied derselben erklrte, dass die Freihandelsidee sehr schn, die Zeit zur Verwirklichung jedoch

17 Handel und Cultur berhaupt. noch sehr ferne sei. Michel Chevalier, Garnier und Wolowski waren in der Presse unermdlich thtig, den gesunden Lehren der Volkswirthschaft Eingang zu verschaffen, fanden aber in weiteren Kreisen durchaus wenig Anklang. Noch im Jahre 1850 konnte der Generalrath fr Ackerbau, Handel und Manufacturen den Beschluss fassen, dass die Regierung dafr sorgen sollte, dass die politische Oekonomie nicht mehr vom Standpunkte der Handelsfreiheit, sondern vornehmlich aus dem Gesichtspunkte der bestehenden Verhltnisse und der geltenden Zollgesetzgebung von den ffentlichen Professoren gelehrt werde." Die Industrieausstellungen in London und Paris blieben nicht ohne Einfluss, und seit 1855 hat der jetzige Beherrscher Frankreichs die Umwandlung bestehender Zoll Verhltnisse fortwhrend im Auge. Der Moniteur erklrte am 23. Juli 1855, dass England durch Annahme der Principien des Freihandelssystems unberechenbare Vortheile erlangt habe, oder um deutlicher zu sprechen, durch die Anwendung der Principien der Natur, von einem grossen Franzosen in fnf Worten so schn wiedergegeben: Laissez faire et laissez aller." Der Abschluss der Handelsvertrge mit England, Belgien und Preussen zeigt deutlich, dass man entschlossen ist, allmlig die gesammte Schutzpolitik ber den Haufen zu werfen. 7. Dem modernen Handelsverkehr gengten alle jene Einrichtungen und Befrderungsmittel des Handels nicht, welche sich bis zum Anfange des Jahrhunderts herausgebildet hatten. Unsere Zeit stellte andere Anforderungen an jene Anstalten, welche zur Vermittlung der Geschfte und des Umtausches dienen, an jene Einrichtungen, welche den Waarentransport vermitteln. Das Postwesen, die Strassen, sowohl Land- als Wasserstrassen, Mrkte und Messen u. s. w. erfuhren demgemss eine durchgreifende Umgestaltung. Betrachten wir die allmlige Entwicklung dieser Werkzeuge des Handels" etwas nher. Bei dem Postverkehr kommen hauptschlich Raschheit und Leichtigkeit, ferner geringe Tarifstze in Betracht. *) In allen diesen Punkten ist im Laufe der letzten Decennien ein Umschwung eingetreten. Die Reform des Postwesens ging von Eng*) Die reiche Literatur ber diesen Gegenstand bei Reden Deutschland und das brige Europa S. 905. B e e r , Geschichte des Handels. I I I . 2

18 1. Capitel. land aus. Sie wurde daselbst von R. Hill angebahnt. Im Jahre 1837 trat er mit einer Schrift hervor: Postoffice reform, its importance and practicability", worin er behauptet, dass das alte System, das Porto nach den Entfernungen zu berechnen, falsch sei, indem die Transportkosten, welche man bisher als berwiegenden Factor betrachtete, von sehr geringem Belang seien. Diese betrgen in England fr einen Brief von einem Endpunkte des Landes zum andern nur den dreissigsten Theil des einfachen Briefporto's. Die Vielheit der Portoanstze nach Entfernungen berechnet, entbehre eines jeden vernnftigen Grundes. Hill's Vorschlag ging deshalb dahin, einen einzigen, und zwar niedrigen Portosatz festzustellen, der allein geeignet sei, den Briefschmuggel zu beseitigen, und zwar sollte ein Penny der Satz sein. Es war erklrlich, dass dieser Vorschlag bei Fachleuten die gewaltigste Opposition hervorrief, da bisher ein Brief von der Sdspitze Englands bis zur Nordspitze Schottlands 16 /& kostete und das Durchschnittsporto eines jeden Briefes in England sich auf 89 /& belief. Indess der Anhang HiU's wuchs, und das Parlamentsmitglied Wallace (fr Greenrock) brachte eine darauf bezgliche Motion ein. Das hierauf niedergesetzte Comite erklrte sich mit 6 gegen 5 Stimmen fr Hill's Vorschlag, und man beschloss am 12. Juli 1837, dass es als richtig angesehen werden msse, das Briefporto auf eine unvernderliche Taxe von 1 Penny zu ermssigen. Die Regierung gab die merkwrdige Erklrung ab, dass sie das Unterhaus fr alle Folgen des HTschen Planes verantwortlich mache, weshalb das Unterhaus seinem Beschlsse hinzufugte, dass es bereit sei, das Deficit zu erstatten, welches bei dieser Vernderung in der Staatseinnahme mchte herbeigefhrt werden. Am 10. Januar des folgenden Jahres traten die neuen Anordnungen in's Leben, und der Erfolg entsprach anfangs den Erwartungen nicht. Erst in spterer Zeit stellten sich die wohlthtigen Folgen des neuen Systems mit Evidenz heraus. *) In F r a n k r e i c h ') Im Jahre 1839 betrug die Briefzahl 75, Mill., die Roheinnahme 2, Mill. Pfd. St; im Jahre 1840 stieg die Briefzahl auf 168, Mill., die Roheinnahme fiel auf 1, Mill. Pfd. St., also eine Verminderung der Roheinnahme um 44%, whrend die Briefzahl um 112% stieg. Die Roheinnahme von 1839 wurde erst 1861 erreicht. Eine belangreiche Einnahme fr den Staatsschatz ergab sich erst seit 1847. Die Roheinnahme ist von Jahr zu Jahr im Steigen 9 89 0 359

19 Handel nnd Cultur berhaupt kam die Postreform, welche das Porto des einfachen Briefes von 7% Gramms nach jeder Entfernung im Inlande (Frankreich, Corsika, Algier) auf 20 Cent, herabsetzte, mit dem 1. Januar 1844 zur Ausfhrung; jedoch schon das Gesetz vom 18. Mai erhhte die Brieftaxe wieder auf 25 Cent., und erst das Gesetz vom 20. Mai 1859 hat eine Differentialtaxe zwischen frankirten und nicht frankirten Briefen festgestellt; das Porto jener betrgt hiernach 20, dieser 30 Cent. Die Zahl der Briefe ist natrlich ebenfalls in betrchtlicher Weise gestiegen. ) Das Postwesen bot in D e u t s c h l a n d am Ende des vorigen Jahrhunderts ein ganz wunderliches B i l d ; ) es unterlag whrend der Revolution in dem ersten Decennium unseres Jahrhunderts mancherlei Vernderungen, und die Bundesacte erstattete dem Hause Taxis seine reichsschlussmssigen Postrechte. Es sollte im Besitze derselben bleiben, bis etwaige Aenderungen in den verschiedenen Staaten durch freie Uebereinkunft gegen Entschdigungen getroffen wrden. Postreformen wurden zuerst im preussischen Staate eingefhrt, vornehmlich durch den Centralchef des Postwesens von Nagler 1821, welche wesentlich zum Aufschwnge des Handels und Wohlstandes beitrugen, und die Brutto-Posteinnahmen von 2% Millionen Thalern auf das Doppelte steigerten. Einen grossen Einfluss auf die Entwickelung des Postwesens gewann die Ausbildung der Eisenbahnen, die englische Postreform und die Erfindung des Telegraphen. Nach dem Vorgange Englands wurde im Jahre 1844 das Briefporto in Preussen ermssigt, im Jahre 1847 das Gterporto fr Packereien auf Eisenbahnrouten, 1848 auf anderen Strassen herabgesetzt. Im Jahre 1850 ermssigte der damalige Chef des Postwesens von der Heydt das Briefporto von 6 auf 3 Silbergroschen fr ein hheres Gewicht des einfachen Briefes, und fhrte gestempelte Frankomarken und Briefcouverts ein. In den Verl a begriffen. Sie betrug 1861: 2, Mill.; 1853: 2, Mill.; 1854: 2, Mill. Die Zahl der Briefe betrug 1841: 196 Mill., im Jahre 1860 befrderten die Posten 564 Mh Briefe. In England kamen 1860 auf jeden Einwohner jhrlich 22, in Schottland 17, in Irland 8 Briefe. (In London 46.) *) Die Zahl der Briefe betrug 1847 126, Mill., 1852 181 Mill, 1857 252, Mill., 1861 277 Mill. Noch betrchtlicher hob sich seit 1847 die Zahl der befrderten Zeitungsnummern. ) Vergleiche deutsche Vierteljahrsschrift 1858. HI. S. 55. 4 S7 7 48

46 2 2*

20 1. Capitel. Sendungen von Zeitungen und Drucksachen traten wesentliche Erleichterungen ein; eine Vermehrung der Course ward angeordnet, fr die Sicherung und Beschleunigung des Verkehres nach allen Richtungen hin gesorgt. Von ausserordentlicher Ntzlichkeit erwies sich die Einrichtung fahrender Expeditionsbureaux auf den Eisenbahnen. Auch hier zeigte es sich, dass Ermssigungen im Tarife zur Erhhung der Einnahmen beitragen. ') Nicht minder bedeutend sind die Vernderungen und Reformen, welche in anderen deutschen Staaten, namentlich in Oesterreich herbeigefhrt worden sind. Aber lngere Zeit fehlte es an einer gleichmssigen Gestaltung der Posteinrichtungen, welche die wirthschaftlichen Verhltnisse der Neuzeit mit N o t wendigkeit heischten. Als besonders wichtig stellten sich heraus die Verwohlfeilung und Beschleunigung der Geld- und Packetsendungen, die Erleichterung des Posttransits. Schon im Jahre 1847 traten ber Aufforderung Oesterreichs undPreussens mehrere deutsche Staaten, wie Baiern, Sachsen, Hannover, beide Mecklenburg, Holstein, Baden, Braunschweig, Oldenburg, die Hansestdte und die Taxische Postverwaltung zur Dresdener Postconferenz zusammen, aber die Arbeiten derselben wurden durch die strmischen Bewegungen des Jahres 1848 unterbrochen. Im Jahre 1849 ward die Angelegenheit vom preussischen Minister von der Heydt wieder aufgenommen, und man erkannte die Nothwendigkeit eines Vereines der deutschen Postverwaltungen und Staatsregierungen an. Auf diese Weise ward der deutschsterreichische Postverein gebildet, Preussen und Oesterreich schlssen am 6- April 1850 den preussisch-sterreichischen Postvertrag ber die Errichtung eines deutsch-sterreichischen Postvereines. Durch die vereinbarten Bestimmungen wurden zeitgemsse Portoermssigungen sowohl fr Brief- als Fahrpostsendungen getroffen, eine Gleichfrmigkeit und Vereinfachung im Postdienste und damit die Mglichkeit schnellerer Expedition ') Im Jahre 1843, als der Briefportotarif bis 19 Silbergroschen ging und 21 Stufen hatte, betrug die Einnahme 4 M i l l i o n e n Thaler; seit der Einfhrung des Maximalsatzes von 3 Silbergroschen mit dreifacher Abstufung, steigerte sich diese im Jahre 1852 auf 5 Mill., 1854 auf 6 Mill., und im Jahre 1856 auf 7 Mill. Thlr. Die Zahl der Briefpostgegenstnde, welche im Jahre 1843 39 Mill. betrug, stieg im Jahre 1856 auf 110 Mill.; ebenso steigerte sich der Reingewinn, welcher 1849 Mill. betrug, und im Jahre 1858 1, Mill. erreichte. 977

21 Handel tmd Cultur berhaupt. und sicherer Controle verabredet, und die brigen deutschen Postverwaltungen zum Beitritte eingeladen. Noch in demselben Jahre 1850, schlssen sich Baiern, Sachsen, beide Mecklenburg, Baden, Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Koburg-Gotha, die Schwarzburgischen und Reussischen Frstenthmer, Hessen, Homburg, Frankfurt, die frstlich Taxische Postverwaltung, Wrttemberg, Luxemburg, Oldenburg, Braunschweig und die Hansestdte dem Vereine an. Die erste deutsche Postconferenz trat im Jahre 1851 zusammen. Die Bestimmungen des Vertrages wurden revidirt und vervollstndigt, und als revidirter Postverein svertrag am 15. Dezember 1851 von den Bevollmchtigten der Postverwaltungen vollzogen. Der Eintritt der hohenzoller'schen Gebiete erfolgte 1852, Lippe und Schaumburg kamen 1854 hinzu. Fr die zeitgemsse Aenderung des Fahrpostwesens war die im Jahre 1857 in Mnchen abgehaltene dritte Generalpostconferenz von Bedeutung. Der Verein umfasst ausschliesslich deutsche L n d e r , nur Oesterreich und Preussen gehren mit ihrem ganzen Gebiete demselben an. Nichtdeutschen Lndern gegenber war man bemht, den Verein so zu gestalten, dass er diesen gegenber eine Einheit bilde. ) 8. Von ungemeiner Wichtigkeit fr die Belebung und Entwicklung des Verkehrs war die U e b e r t r a g u n g der Maschine auf den V e r k e h r . ) Der erste Erfinder einer echten Dampfmaschine ist der Franzose Denis Papin, der zwischen 1690 und 1695 seine Apparate bekannt machte. Eine Verbesserung brachte man im Jahre 1705 in England an. Den Mngeln dieser Maschinen half die Erfindung des sogenannten Condensators von Watt (1765) und die Erfindung des Regulators ab. Schon der ! a ') Mau hat mit Recht behauptet, dass die Anzahl der Briefe, welche in einem Staate auf den Kopf entfallen, einen Maasstab fr die Cultur und Civilisation abgeben. In Grossbritannien entfielen 1858 auf den Kopf im Durchschnitt 19 Briefe, in der Schweiz 16, in den Vereinigten Staaten 7, in Frankreich fast ehensoviel, in Preussen 6. , in den Niederlanden 4. , in Belgien 4. , in Sachsen 4, in Oesterreich (1857) l . , in Russland kamen auf 100 Kpfe (1855) 23 Briefe. ) Literatur: R e d e n , die Eisenbahnen Deutschlands, 3 Bde., Berlin 18431847; Michaelis, die Eisenbahnen Deutschlands, 3. Aufl.; K n i e s , die Eisenbahnen und ihre Wirkungen. Braunschweig 1853. H o r n , Annuaire internationale du credit public. Ann6es 186063. Deutsche Vierteljahrsschrift 1858, a Heft, S. 279340. 6 9

s 2 s

22 1. Capitel. erste Entdecker der Dampfmaschinen gab eine Andeutung, dass man den Dampf zur Bewegung von Schiffen bentzen knne. 1737 nahm der Brite Jonathan Hull ein Patent auf die Erfindung, Schiffe durch Rder zu bewegen, und es scheint, dass derartige Fahrzeuge auch wirklich in Betrieb gesetzt worden sind. Der erste Erbauer eines echten Dampfschiffes war Perier 1775. Sein Experiment missgltickte; erst nach mannigfachen in Frankreich und England fortgesetzten Versuchen gelang es dem Amerikaner Foulton im Jahre 1807, ein Dampfschiff zu construiren, welches zwischen New-York und Albany den Personen- und Frachtenverkehr vermittelte. Im Jahre 1812 erffnete man den ersten Dampferdienst in England auf dem Clyde, doch wendete man in der ersten Zeit die Dampfschiffe nur rar die Flsse und fr die Kstenfahrt und bisweilen auch fr den Postdienst auf kurzen Fahrten an, da die Dampfer noch zu viel Kohlen consumirten, und sich deshalb nicht weit in das Meer hineinwagten; erst, als man grssere Dampfschiffe zu erbauen begann, welche grssere Quantitten von Kohlen einnehmen konnten, nderten sich die Verhltnisse. Die erste Fahrt nach Indien ward 1825 unternommen. 13 Jahre spter (1838) durchschnitt der erste Dampfer den atlantischen Ocean. Seit dieser Zeit nahm die Grsse und damit auch der Tonnengehalt der Dampfschiffe zu, und bertrifft lngst die der Segelschiffe. Der grsste bisher erbaute Dampfer ist der Great-Eastern. Die Wichtigkeit und Bedeutung der Dampfschiffe fr den Verkehr kann keineswegs einen Vergleich mit den Eisenbahnen aushalten. Zuerst erfolgte die. Erfindung eiserner Schienenwege, erst spter der Bau der Locomotive. Die erste wurde in Frankreich verfertigt im Jahre 1778 von einem franzsischen Ingenieur Cugnot, der gewhnliche Strassen damit befahren wollte. Eine echte Locomotive erbaute der Brite Trevithik 1802. Die Anwendung derselben missglckte, weil der Entdecker von der Ansicht ausging, dass ein glattes Rad sich nicht auf glatten Schienen vorwrts bewegen knne, und deshalb die Oberflche der letzteren ausfeilen Hess; eine schnelle Abntzung des Rades und der Schienen war die Folge, und die Erfindung war bald vergessen. Nicht besser ging es einer spteren Probe 1811, bis endlich Blackett 1813 erkannte, dass glatten Oberflchen eine natrliche Verzahnung eigen sei, und daher glatte Rder sich Digitized by

23 Handel und Cultur berhaupt auf glatten Schienen vorwrts bewegen knnen. Er erbaute auch eine Locomotive, welche jedoch drei Stunden Weg in fnf Stunden zurcklegte, und oft von Pferden weitergezogen werden musste weil die Maschine den Dienst versagte. Eine Verbesserung dieser Lokomotive bewerkstelligte S t e p h e n s o n . Die erste wirkliche Eisenbahn wurde von ihm zwischen Stockton und Darlington erbaut, und am 27. December 1825 erffnet. Der weiteren Ausbildung der Eisenbahnen standen jedoch in England grosse Hindernisse entgegen, und als im Jahre 1825 eine Bill ber den Bau einer Eisenbahn zwischen Manchester und Liverpool in das britische Parlament kam, wurde sie entschieden bekmpft. Eine Partei wollte die Bewegung nicht durch Locomotiven, sondern durch stehende Maschinen bewirken, auf hnliche Weise, wie gegenwrtig noch in der Nhe von Lttich Zge durch stehende Maschinen auf einer sehr steilen Ebene aufwrts gezogen werden; man glaubte eine grssere Wohlfeilheit dadurch zu erzielen. Einer der angesehensten Ingenieure Englands, Telford mit Namen, ging damals mit dem Projecte um, Maschinen zu bauen, welche sich auf gewhnlichen Chausseen bewegen, und die Regierung bewilligte ihm zu diesem Behufe 130 Pfund Sterling. Der Bau derselben war fertig; bei dem ersten Versuche stellte sich die Unmglichkeit dieses Projectes heraus, indem die Maschine bei jeder Schmiedewerksttte Reparaturen erhalten musste, und unterwegs von jedem Fuhrmanne berholt wurde. Ebenso misslangen die sogenannten atmosphrischen Bahnen, und seit dieser Zeit war der Sieg der Locomotivbahn entschieden. Erfindungen folgten auf Erfindungen, welche die Locomotive nach jeder Richtung vervollkommneten und verbesserten, wodurch es erst mglich ward, steile Ebenen zu befahren, Gebirge zu berschreiten, whrend man frher sich nur auf geradliniger und horizontaler Bahn zu bewegen wagte. *) Durch die Eisenbahnen wurde die bisher fr den Verkehr mgliche grsste Schnelligkeit, ein gewisser Grad von Wohlfeil') Die erste Eisenbahn wurde, wie gesagt, im Jahre 1825 in England erffnet; in den Vereinigten Staaten 1827, in Frankreich 1828, in Oesterreich, jedoch nur fr Pferde, 1828, in Belgien 1835, in Deutschland (Nrnberg-Frth) 1835, auf Cuba 1837, in Preussen 1838, in Russland 1838, in Neapel 1839, in Holland 1848, in Spanien 1849, in der Schweiz und Dnemark 1849, in Schweden 1852, in Britisch-Indien 1853, in Portugal und Britisch-Australien 1854. Digitized by

24 1. Capitel. heit, und was am bedeutsamsten Pnktlichkeit erreicht. Durch den regelmssigen Dienst gelang es ihnen, auch der Seeschiffifahrt die Frachtenbefrderung zu entreissen, obwohl letztere die billigere ist. Die Bahnfrachten berflgelten in mehrfacher Beziehung die Schifffrachten. ) Die Tarifstze der Eisenbahnen haben seit ihrer ersten Einfhrung einen bedeutenden Rckgang erfahren, wodurch die Transportabilitt mancher Stoffe, die frher gar nicht mglich war, zugnglich gemacht wurde. So Steine, Erden, Abflle u. s. w. Der umfangreiche Kohlentransport wurde durch den Abschwung der Preise vorzglich befrdert. Von den Kohlengruben Englands nach London wird gegenwrtig das grsste Quantum durch die Axe bewerkstelligt, whrend frher die Versendung durch Schiffe geschah. Leider halten manche Eisenbahndirectionen noch immer an einem ziemlich hohen Tarife fest, so in Oesterreich. Grosse Fortschritte sind in den letzten Jahren durch Betriebsverbesserungen und die Maschinenfabrication gemacht worden. Die einstigen Wirkungen werden durch eine noch grssere Verwohlfeilung des Verkehrs immer bedeutender werden. Die Verkehrsbewegung muss sodann eine intensive Steigerung erfahren; da man aus den gemachten Erfahrungen wohl das Gesetz des Verkehrs abstrahiren kann, dass jede Erniedrigung der Transportkosten die Verkehrsfhigkeit der werthgeringeren Gter hebt". ) Dies Gesetz kann auch auf den Personenverkehr angewendet werden. Ein weiterer Nutzen der Eisenbahnen ist die Capitalersparung, welche sie ermglichten, indem ein grosser Theil von Werthen zur Befriedigung anderer Bedrfhisse verwendet werden kann. Die Productionskosten der Gter bestimmen nach einem allgemein bekannten wirthschaftlichen Gesetze den Marktpreis; bei den in der Ferne wohnenden Consumenten bilden natrlich die Transportkosten keinen unbetrchtlichen Bestandt e i l der Erzeugungskosten. Die Zeitersparniss ist eine betrchtJ 2 ') Vgl. deutsche Vierteljahresschrift, Jahrgang 1858, IL Heft, S. 300 ff. Die Eisenbahnen erhielten in neuerer Zeit an den Schraubendampfern von 151800 Tonnen Register gefhrliche Concurrenten. Diese haben wohl eine grssere Wohlfeilheit Toraus, und es wird sich also entscheiden, ob die etwa wohlfeilere Befrderung auf der Schraube die Nachtheile des verspteten Eintreffens der Fracht aufzuwiegen vermag. ) Knies a. a. 0. S. 79. 2

Handel und Cultur berhaupt. 25 liehe, und der Kaufmann oder Fabrikant, der frher genthigt war, Tage und Wochen auf unntze Weise ohne Arbeitsverdienst und Gelderwerb zu vergeuden, gewinnt durch die Beschleunigung an Zeit und Geld. Die unproduetive Thtigkeit des Menschen wird verringert, die produetive gesteigert. Die Summen, welche durch die Eisenbahnen gewonnen werden, und als ein gewaltiger Zuwachs an Bedingungen zur Steigerung des privaten wie des Nationalreichthums angesehen werden mssen, sind gar nicht zu veranschlagen. 9. Eine natrliche Folge der grossen Vernderung, welche im wirthschaftlichen Leben der Vlker eintrat, war der Umschwung, der sich freilich erst viel spter in der R e c h t s g e s e t z g e b u n g geltend machte. Das Recht steht mit dem Leben im innigsten Zusammenhange, es sollte im Grunde genommen nur ein Spiegel desselben sein. Die Fortbildung des Rechtes ward im 19. Jahrhundert vornehmlich durch den Umschwung der Wirthschaft herbeigefhrt. Bei allen jenen Erwerbszweigen, deren Grundlagen und Voraussetzungen sich gendert haben, musste und muss noch immer eine Aenderung und Umgestaltung der Gesetzgebung eintreten. Das Handels- u n d W e c h s e l r e c h t der verschiedenen Staaten Europas hat deshalb im Laufe unseres Jahrhunderts mancherlei Verbesserungen erfahren, da die bisher herrschenden Bestimmungen den Anforderungen des mchtig zunehmenden Verkehrs nicht gengten. Das franzsische Wechselrecht hat sich, an die frhere Gesetzgebung und Praxis anschliessend, in selbststndiger Weise herausgebildet. In dem Code de Commerce sind alle hierber bezglichen Bestimmungen aufgenommen worden. Jedoch der gewaltige Umschwung, den das Geschftsleben in neuerer Zeit erfahren hat, konnte natrlich auf den Wechselverkehr nicht ohne Einfluss bleiben, und gerade diese Umwandlung des Wechselgeschftes ist im Code de Commerce nicht bercksichtigt; der Rahmen des Code de Commerce ist hiefr zu eng. ') Das englische Wechselrecht hat sich in seiner jetzigen Gestalt aus dem praktischen Leben vollstndig heraus entwickelt ; es beruht auf Handelsbrauch (custom of merchants) im ') Vgl. Burckhardt Frstenberger Entwurf einer schweizerischen Wechselordnung. Zrich 1857, S. 7 ff.. 9.

26 1. Capitel. Wege der Praejudicien (praecents). Trotz mannigfacher Anknpfungen der englischen Schriftsteller und Richter an die Theorie der franzsischen Autoritten, ist jene Entwicklung eine eigenthmliche, sich an die andern Theile des englischen Vermgensrechts anschliessende, geblieben, in dieser Hinsicht also einel insularische, und doch wieder eine der kosmopolitischen Tendenz des Wechsels Rechnung tragende, wie das durch die Ausdehnung des grossbritannischen Wechselverkehrs erklrlich ist." In Deutschland hat die Allgemeine deutsche Wechselordnung einen Umschwung in der Legislative und eine Gemeinsamkeit des Rechts in diesem so beraus wichtigen Gebiete angebahnt. Das Bedrfniss, den mangelhaften wechselrechtlichen Zustnden abzuhelfen, war allenthalben tief gefhlt, und einsichtsvolle Mnner, wie Dedekind, machten schon am Anfange der vierziger Jahre in mehreren Schriften darauf aufmerksam *), und forderten eine gleichfrmige Wechselgesetzgebung fr Deutschland, oder wenigstens fr die Staaten des Zollvereines, ) da der Handelsverkehr unter den Kaufleuten des deutschen Zollvereins schlecht gesichert sei, und da bei der Verschiedenheit der Gesetzgebungen kein Kaufmann mit vlliger Beruhigung Wechsel annehmen knne, welche in andern Lndern ausgestellt und indossirt sind." Von der Verschiedenartigkeit der deutschen Wechselgesetzgebungen hat man einen Begriff, wenn man bedenkt, dass vor dem Erlass eines gemeinsamen Wechselrechts etwa 56 Wechselordnungen oder Wechselrechte in Kraft waren, von denen 9 dem 17., 31 dem 18. und 16 dem 19. Jahrhundert angehrten. Das 19. Jahrhundert war berdies reich an Entwrfen und Publicationen ) . Welche Verwirrung musste im Handel und Wandel entstehen, wenn auf den hervorragendsten deutschen Handelspltzen, die in innigem Wechselverkehr zu einander standen, eine solche Heterogenitt in der Gesetzgebung a 3 *) Abriss einer Geschichte der Quellen des Wechselrechts und seiner Bearbeitungen in smmtlichen Staaten Europa's fr Juristen und Kaufleute. Braunschweig 1843. ) Dedekind, Vergangenheit und Zukunft des deutschen Wechselrechts u. s. w. Braunschweig 1844 in Mittermaier's Archiv fr civilistische Praxis. Bd. X X V , X X V I xx. X X V I I . ) Dedekind, Vergang. u. Zuk. S. 105 ff. 5 3

Handel und Cultur berhaupt 27 herrschte. Und welche Mannigfaltigkeit der Legislative in einem Gebiete! Vor dem Erlass der Sachsen-Weimarer Wechselordnung im Jahre 1819 bestanden im Grossherzogthum neben einander die Wechselordnung der Stammlande von 1726, die Leipziger, die Preussische, die Kurhessische, die Fuldaische. Eine gemeinsame deutsche Codification des Wechselrechts wurde auf der ersten Zollconferenz in Mnchen im Jahre 1836 durch den Abgeordneten Wrtemberg's angeregt, jedoch ohne Hoffnung auf Realisirbarkeit, denn auf der zweiten Zollconferenz 1838 ward die allseitige Ueberzeugung ausgesprochen, es werde zur Vereinbarung ber eine das gesammte Handels- und Wechselrecht umfassende gemeinschaftliche Gesetzgebung kaum zu gelangen sein, obwohl andererseits sich auch Stimmen vernehmen Hessen, welche die Mglichkeit entschieden hervorhoben und betonten, dass eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung, eine Nothwendigkeit sei, und fr den innern Verkehr Deutschlands ungemein segensreich werden msse. Baierns Kammern sprachen zu wiederholten Malen den Wunsch zur Anbahnung eines gemeinsamen Wechsel- und Mercantilrechts aus, und der bairische Minister Hess die Andeutung fallen, dass eine deutsche Handelsgesetzgebung vom Bunde ausgehen durfte. Aehnliche Stimmen wurden auch in den schsischen Kammern laut. Die Handelskammern oder Handelsvorstnde verschiedener Staaten arbeiteten auf dasselbe Ziel hin: auf Gleichfrmigkeit der Gesetze und der Gerichtsbarkeit fr Handel und Gewerbe in allen Zollvereinsstaaten. Ermuthigt durch diese Kundgebungen des Handelsstandes, welche von Mnnern der Wissenschaft lebhaft untersttzt wurden, erneuerte der wrttembergische Abgeordnete auf der achten Zollconferenz 1846 seinen Antrag, dass, um vorerst zu einem gemeinsamen Wechselrechte zu gelangen, an die preussische Regierung das Ansuchen zu stellen sei, den von ihr aufgestellten Entwurf eines neuen Wechselrechts, ber welchen, den ffentlichen Blttern zufolge, neuerlich noch Sachverstndige aus dem Handelsstande gehrt worden seien, noch vor der weiteren Berathung und schliesslichen Feststellung desselben den brigen Zollvereins-Regierungen mitzutheilen, dass demnchst dieser Entwurf als Grundlage fr ein den Staaten des Zollvereins gemeinsames Wechselrecht benutzt und zur Ausarbeitung des letzteren eine besondere, aus Rechtskundigen tt

28 1. Capitel. und aus Sachverstndigen des Handelsstandes zusammenzusetzende, von allen Vereinsregierungen zu beschickende Commission gebildet werden mge. ') Die Preussische Regierung erklrte sich bereit, dem Verlangen zu entsprechen, und lud schon im folgenden Jahre (31. August 1847) alle deutschen Staaten zu einer Berathung nach Leipzig ein. Eine aus 29 Mitgliedern zusammengesetzte Commission trat am 20. October 1847 zusammen, und beendete nach 35 Sitzungen (bis 9. Dec. 1847) den preussischen Entwurf zu Grunde legend, das erste bedeutende legislatorische Werk Deutschlands im 19. Jahrhundert. Indess war das Revolutionsjahr herangebrochen, und die Einfuhrung des neuen Gesetzes erlitt hiedurch eine Verzgerung. Die in Frankfurt a. M. tagende Nationalversammlung nahm zwar am 9. November 1848 den Antrag des Gesetzgebungs - Ausschusses an , wornach der Entwurf einer Wechselordnung, sowie er aus den Berathungen der Leipziger Conferenz hervorgegangen, unverndert eingefhrt werden sollte, und schon einige Tage spter erschien das Reichseinfhrungsgesetz, welches vom Mai 1849 die Wirksamkeit des neuen Gesetzes bestimmte, aber wie bekannt, dauerte der deutsche Einheitstraum nur kurze Zeit, und nach Beseitigung der deutschen Centralgewalt frchtete man allgemein, dass die Regierungen mit der Einfhrung des neuen Gesetzes zgern wrden. Indess war dennoch die Promulgirung der Wechselordnung in einigen deutschen Staaten schon 1848 oder 1849 erfolgt,'die grsseren Territorien entschlossen sich erst spter zur Annahme. Preussen erkannte dasselbe am 15. Februar 1850, Baiern am 25. Juli 1863 definitiv an. In Oesterreich nahm man einige Aenderungen vor, und dehnte das Gesetz auch auf die nichtdeutschen Lnder aus. ) Man kann hinsichtlich des geltenden Wechselrechts vier Staatengruppen unterscheiden: Die Staaten, welche die allgemeine deutsche Wechselordnung als solche und ohne Abweichungen einfhrten; Oesterreich, das Kurftirstenthum Hessen, Holstein und Lauenburg , wo die Wechselordnung ausdrcklich als Landesrecht mit einzelnen Abweichungen angenommen worden ist; Luxemburg und Limburg als Staaten mit ausserdeutschem a ') Verhandlungen der Zollconferenz 8. 63. *) Die Literatur bei Kuntze. D. Wechselrecht. Leipzig 1862, S. 223. Digitized by

Handel nnd Cultur berhaupt 29 Wechselrecht (indem dort der franzsische Code de Commerce, hier die hollndische Handelsgesetzgebung Giltigkeit hat), und endlich Schaumburg-Lippe, wo noch das alte deutsche Reichswechselrecht seine Geltung hat. ) Die im vorigen Decennium in ausserdeutschen Staaten eingefhrten Wechselordnungen haben die deutsche zum Muster und Vorbilde gewhlt. So Schweden, wo das neue Wechselgesetz vom 23. August 1851 mit dem 1. Januar 1852 in Kraft trat, und im Wesentlichen auf deutscher Grundlage beruht, und nur in der Anordnung und in einigen Punkten abweichender Natur ist. Dasselbe ist der Fall bei der finnlndischen Wechselordnung (promulgirt am 29. Mai 1858, in Kraft getreten 1. Januar 1859). Die Reformversuche in der Schweiz blieben leider ohne Erfolg, und es zerfallen in Beziehung auf Wechselrecht die Gebietstheile in der Schweiz in zwei grosse Gruppen; die eine weit grssere umfasst jene Gebiete, deren Rechtsbildung mit dem germanischen Rechtsleben im Zusammenhang geblieben ist, wobei aber Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit vorherrscht, whrend die weit kleinere sich dem Einflsse der franzsischen Codifikationen hingegeben hat. Es gibt in der Schweiz gegenwrtig eilf von einander abweichende Wechselordnungen. ) 10. Die Handelsgesetze der verschiedenen Staaten entwickelten sich aus dem Gewohnheitsrechte, den Handelsusancen, und wurden spter in Form von Gesetzen prcisirt. *) In der neueren Zeit betrat zuerst Preussen den Weg der Codification, indem es im achten Titel des zweiten Buches seines allgemeinen Landrechtes ein Handelsgesetzbuch publicirte, an dessen Bearbeitung Mnner wie Bsch, Siveking, Moller und Gderz Antheil nahmen. In Frankreich veranlasste Napoleon I. die Abfassung eines Handelsgesetzbuches. Der Code de Commerce, am 20. September 1807 publicirt, erhielt vom 1. Januar 1808 Gesetzeskraft. Er besteht aus vier Theilen; der erste enthlt die den Handel im Allgemeinen betreffenden Anordnungen, der zweite betrifft die Assel 2 ) Kuntze a. a. 0. S. 224. Vgl. auch ber die Erluterung einer Ergnzung der "Wechselordnung a. a. O. 226 ff. ) Vgl. den Aufsatz Fick's, das schweizerische Wechselrecht in Goldschmidt's Zeitschrift fr Handelsrecht 1860. I I I . S. 3. Vgl. auch ber den Verlauf der Vereinbarungsbestrebung, Kuntze a. a. 0. S. 261 ff. *) Die Literatur bei Thl, Handelsrecht Gttingen 1862. 1 2

30 1. Capitel. curanz und den Seehandel, der dritte das Concursverfahren, der vierte die Handelsgerichte. Er ist jedenfalls der erste, vollstndige Versuch der Codification des modernen Handelsrechtes; eine wesentliche Vernderung trat nur im Jahre 1838 hinsichtlich der Concursgesetzgebung ein. Ausserhalb Frankreichs galt der Code de Commerce in Belgien (seit 1835), in einzelnen Theilen der Schweiz, wie in Genf, Neuenburg, Wallis und dem Waadtlande, in Griechenland; mit einigen Vernderungen in Holland, in Spanien, Portugal, Modena, Wallachei, Serbien. Nach dem Vorgange der deutschen Wechselordnung dachte man auch an die Feststellung eines deutschen Handelsrechtes. *) Der baierische Bundesgesandte brachte am 21. Februar 1856 bei der Bundesversammlung den Antrag ein, eine Commission zur Entwerfung und Vorlage eines allgemeinen Handelsgesetzbuches fr die deutschen Bundesstaaten niederzusetzen. Die Sache ward an den sogenannten handelspolitischen Ausschuss verwiesen, und dieser erstattete am 17. April 1856 seinen Bericht, worauf die Bundesversammlung den Antrag zum Beschlsse erhob. Nur Preussen, Hessen, Holstein und Lauenburg, deren Gesandte ohne Instructionen waren, enthielten sich der Abstimmung. Preussen erklrte sich spter gegen die Niedersetzung einer besonderen, grsseren Commission, und die Bundesversammlung gab am 4. December 1856 die Erklrung ab, dass aus der Theilnahme an den commissionellen Berathungen keiner Regierung die Verpflichtung erwachse, dem aus diesen Berathungen hervorgehenden Entwrfe ihre Zustimmung zu ertheilen, und ihn in Wirksamkeit zu setzen; der Gesetzentwurf solle vielmehr von der Commission, nach vollendeter Ausarbeitung desselben, der Bundesversammlung zu dem Zwecke vorgelegt werden, um ihn den hchsten und hohen Regierungen zur Prfung und Erinnerung mitzutheilen, und um nach Maassgabe der erfolgenden Aeusserungen die weiteren Vereinbarungen zu dessen allfallsiger Revision und Feststellung einzuleiten." Man bestimmte Nrnberg zum Berathungsorte der Commission, und *) Vgl. Thl. Zur Gesch. des Entwurfes eines allg. deutsch. Handelsgesetzbuches, Gttigen 1861, S. 97; Goldschmidt in dessen Zeitschrift fr Handelsrecht, Bd. 5; Stubenrauch, Handbuch des sterreichischen Handelsrechts, Wien 1863; Auerbach, Handelsrecht, Frankfurt a. M. 1863.

Handel und Cultur berhaupt. 31 stellte an die kniglich baierische Regierung das Ansuchen, die erforderlichen Einleitungen zu treffen, damit die Arbeiten und Sitzungen" daselbst aufgenommen werden knnen. Die Erffnung der Conferenzen fand am 15. Januar 1857 durch den baierischen Staatsminister der Justiz, Doctor Ringelmann, statt, dem auch das Prsidium und die Leitung der Geschfte tibertragen wurde. Der sterreichische Abgeordnete, Prsident des Wiener Handelsgerichtes, Doctor Ritter von Raule, wurde zum zweiten Prsidenten erwhlt; zu Secretren der Assessor des Nrnberger Kreis- und Lutz und der Protocollist beim/ . Nrnberger Handelsgerichte von Fhrer. Der sterreichische Abgeordnete brachte einen vom k. k. Justizministerium ausgearbeiteten Entwurf ein, und ebenso legte der preussische Abgeordnete, Doctor Bischof, einen preussischen Entwurf zur Vertheilung vor. Es war ein guter Griff, dass letzterer nach dem einstimmigen Beschlsse der Versammlung zur Grundlage der Berathung gewhlt wurde, denn die Grundstze, worauf der preussische Entwurf basirte, entsprachen in jeder Weise den Anforderungen der Wissenschaft und des practischen Lebens. Bei der Aufstellung desselben, heisst es in den Vorbemerkungen zu demselben, sind neben dem reichen wissenschaftlichen Material der neuern Zeit, die Gutachten, Erinnerungen und Antrge der Kaufmannschaften, sowie die in den Sammlungen der deutschen Gerichtspraxis niedergelegten Entscheidungen der deutschen Gerichtshfe und die in den auswrtigen Staaten eingefhrten Handelsgesetzbcher beachtet, und einer sorgfaltigen Prfung unterzogen worden. Unter letzteren ist zunchst das franzsische Handelsgesetzbuch zu erwhnen ; es gelte entweder in ursprnglicher Gestalt oder in Ueberarbeitungen in grossen und verkehrsreichen Lndergebieten, und wenn es gleich im Einzelnen mehrfach Lcken und Mngel aufweise, so stehe seinem Hauptinhalte die Gewhr einer langen Erfahrung zur Seite. Ebenso habe man das hollndische Handelsgesetzbuch vom Jahre 1838 bentzt, das spanische Handelsgesetzbuch vom Jahre 1829, die erste Abtheilung des Entwurfes eines allgemeinen Handelsgesetzbuches von der durch das Reichsministerium der Justiz niedergesetzten Commission, den Entwurf eines Handelsgesetzbuches rar Wrtemberg vom Jahre 1839 und ebenso einen fr Oesterreich fr ein-

32 1. Capitel. zelne Materien des Handelsrechtes im Jahre 1849 abgefassten Entwurf. Die eigentlichen Berathungen begannen am 21. Januar 1857, und wurden unter mehrmaligen Lesungen in Nrnberg zu Ende gefhrt, mit Ausnahme des See- und Assecuranzrechtes, zu dessen Berathung sich die Commission nach Hamburg begab. Am 19. November 1860 erfolgte die Wiedererffnung der Conferenzen zum Behufe der dritten Lesung; in der letzten feierlichen Sitzung am 12. Mrz 1861 wurden die Berathungen fr geschlossen erklrt. Die Conferenz hatte im Ganzen in 580 Sitzungen das schwierige Werk zu Stande gebracht. Schon am 31. Mai fasste die Bundesversammlung den Beschluss, den Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches in allen seinen Theilen als nach den Anordnungen des Bundesbeschlusses vom 18. December 1856 regelmssig und vollstndig berathen anzusehen, und an smmtliche Bundesregierungen die Einladung zu richten, dem vorgelegten Entwurf baldmglichst und unverndert in geeignetem Wege Gesetzeskraft in ihren Landen zu verschaffen." Sie fgte ferner den Wunsch hinzu, dass die Regierungen mit der Anzeige ber die Einfhrung des Handelsgesetzbuches die Bereitwilligkeit erklren mchten, etwa spter wnschenswerth erscheinende Abnderungen oder Ergnzungen dieses Gesetzbuches nicht einseitig, sondern vielmehr in derselben Weise wie dasselbe ins Leben gerufen worden, zur Ausfhrung zu bringen. Diese Beschlsse waren leider nur Majorittsbeschlsse, da Hannover, die beiden Mecklenburg und Hamburg sich dagegen erklrten. Von grosser Bedeutung fr das schwierige eben zu Stande gekommene Werk war der Beschluss des deutschen allgemeinen Handelstages, der sich dahin aussprach: Der Entwurf mge sofort und unverndert in allen deutschen Bundesstaaten eingefhrt werden. Ebenso empfahl der Handelstag die Organisation der Handelsgerichte, eines obersten deutschen Gerichtshofes und die Inangriffnahme einer Codification des Fallitenrechtes und des gesammten brgerlichen Verkehrsrechtes fr smmtliche deutsche Bundesstaaten; diese Institutionen seien eine Notwendigkeit, wenn nicht die Verschiedenheit der bestehenden Particulargesetzgebungen die Vortheile einer allgemeinen deutschen Handelsgesetzgebung illusorisch machen solle. Der deutsche Juristentag wies noch auf die Nothwendigkeit eines das gesammte Versicherungswesen Digitized by

33 Handel und Cultur berhaupt umfassenden Gesetzes hin. Unter den Regierungen legte zuerst die preussische das Handelsgesetzbuch den beiden Husern des Landtages vor. Die unvernderte Annahme erfolgte und mit dem 1. Mrz 1862 erhielt der Entwurf Gesetzeskraft. Baiern, Sachsen, Baden, Sachsen-Meiningen, Nassau, Coburg, Waldeck-Pyrmont, Grossherz. Hessen, Anhalt Dessau und Oesterreich haben bisher das allgem. deutsche Handelsgesetzbuch angenommen. In Hamburg dagegen ward der Antrag auf sofortige unvernderte Einfhrung des Handelsgesetzbuches mit grosser Majoritt abgelehnt, und eine Commission zur Prfung des Entwurfes niedergesetzt. Ein schwieriges und bedeutendes Werk war zu Stande gebracht worden, welches einzig in der Geschichte dasteht. Im Wesentlichen besteht das Handelsgesetzbuch, wie auch nicht anders zu erwarten stand, auf den vorgercktesten wirthschaftlichen und juristischen Ansichten, nur haben sich leider die wirthschaftlichen Interessen der verschiedenen deutschen Staaten in Folge der Zersplitterung des Reiches so mannigfach gestaltet, dass Einfuhrungsgesetze erlassen werden mussten, welche diesen Verschiedenheiten Rechnung zu tragen genthigt waren, und die in nicht ganz unwesentlichen Punkten von einander abweichen. Die Zukunft des Handelsgesetzbuches hngt davon ab, wie es sich in der Praxis gestalten wird und eine unbedingte Nothwendigkeit ist jedenfalls ein hchstes Rechtscollegium. Der Werth des neuen Handelsgesetzbuches liegt in dem gewaltigen Anatosse, welchen es fr die Klrung und Aufhellung vieler Begriffe und Anschauungen im Verkehrsleben geben wird. Die Handelsrechtspflege war bisher meist in den Hnden rmisch gebildeter Juristen und selbst die Grundlage dieser Rechtspflege stand ausschliesslich nur zum grssten Theile auf rmischem Boden." Den Bedrfhissen des enormen Handelsverkehres entsprachen diese fremden, andern Zeiten und andern Verhltnissen angehrigen Rechtsbegriffe nicht In England und Nordamerika gibt es kein codificirtes Handelsrecht; dieses besteht hier aus einer Masse handelsrechtlicher Gewohnheiten, Prcedenzfallen und einer Anzahl Gesetzen, welche den momentanen Bedrfnissen entsprechend erlassen wurden. Die *) Ueber das Verhltnis von Recht und Wirthschaft vergl. D a n k w a r d t , Jurisprudenz und Nationalkonomie u. Arnold, Recht und Wirthschaft, Basel 1863, Beer, Geschichte des Handels. I I I . * 3

34 1. Capitel. englische Rechtspraxis hat sich auch in den Colonien, berhaupt berall, wo Englnder den Handel beherrschen, Eingang verschafft. 11. Fast berall macht sich gegenwrtig das Bedrfniss nach Handels-, Gewerbe- und F a b r i k s g e r i c h t e n geltend. Diese sind zwar keine moderne Einrichtung. Im Mittelalter galt es als Regel, dass Jedermann nur von seines Gleichen gerichtet werden solle. Der Kaufmann sass ber den Kaufmann, der Schiffer ber den Schiffer u. 8. w. zu Gericht. Diese Standesgerichte haben sich nicht berall und nicht in der frhern ausgedehnten Competenz erhalten; sie mussten der rmischen Jurisprudenz unterliegen und berdies vertrug der bevormundende moderne Staat eine derartige Selbstndigkeit der Corporationen nicht. Die modernen Handelsgerichte sind theilweise nach dem Muster hnlicher Insti tutionen frherer Zeit gebildet; die Mess-, Mercantil- und Concurrenzgerichte sind jedenfalls als Vorgnger und Vorbilder der heutigen Handelsgerichte zu betrachten. Napoleon, der in dem Code du commerce die Einfhrung der Handelsgerichte verfgte, knpfte an die historischen Grundlagen an. Die franzsische Institution wurde berall, wo man sich mit den Handelsgerichten befreundete, nachgebildet; in den Rheinlanden blieben sie ohnehin nach der Befreiung dieser Provinzen von franzsischer Herrschaft in Kraft. Unter den deutschen Staaten hat Preussen Handelsgerichte nach besonderem Muster vorgeschlagen. Hamburg hat aus einer Vermischung deutscher und franzsischer Processnormen sein Institut gebildet und fand in Bremen Nachahmung. Die Gewerbeund Fabriksgerichte, welche man in einzelnen Lndern einfhrte, sind nur eine Nachbildung der Handelsgerichte. Sie erledigen im Wege der gtlichen Vermittlung oder nthigen Falls durch Erkenntniss die Streitigkeiten der selbststndigen Gewerbetreibenden mit ihren Gesellen, Gehlfen oder Lehrlingen, die Streitigkeiten derjenigen, welche Rohstoffe oder Halbfabrikate zu Waaren fr den Handel verarbeiten lassen, mit den von ihnen beschftigten Werkfhrern und Fabrikarbeitern, sowie ihren Fabriklehrlingen und Fabrikgehlfen, soweit der Streit auf den Antritt oder die Ablsung der Arbeits- oder Lehrverhltnisse auf die gegenseitigen Leistungen whrend der Dauer desselben oder auf solche Ansprche sich bezieht, welche aus dem Arbeits- oder Lehrverhltniss herrhren. Die Mitglieder der Gewerbegerichte bestehen aus Fabrikinhabern, Factoren, Gesellen und Werkfhrern.

Handel und Cultur berhaupt 35 Die Wirksamkeit der franzsischen Fabrikgerichte wird im Allgemeinen, besonders was ihr Richteramt anbelangt, sehr gerhmt und sie haben eine Art eigener Rechts- und Verwaltungssphre fr die franzsischen Fabrikanten geschaffen ). 12. Die seerechtlichen Bestimmungen ber den Verkehr der Vlker zur Friedenszeit sind gegenwrtig weder in der Theorie noch in der Praxis Gegenstand der Controverse ) . Kein Staat erhebt gegenwrtig Ansprche auf die ausschliessliche Benutzung eines bestimmten Meergebietes, und die Eigenthumsrechte, welche in frheren Jahrhunderten einzelne Staaten geltend zu machen versuchten, werden in neuerer Zeit nicht ernstlich behauptet. Die Freiheit des Meeres ist im heutigen Vlkerrecht ein allgemein anerkannter Grundsatz und die Theoretiker erklren auch jeden Vertrag wider die Freiheit fr unverbindlich ). Nur diejenigen Meere werden als Eigenthum angesehen, welche von einem Territorium oder von mehreren ganz umschlossen sind, ohne dass ein Zusammenhang mit einem Weltmeer stattfindet. So hat Russland in Folge eines Vertrags mit Persien das ausschliessliche Recht zur Befahrung des caspischen Meeres mit Kriegsschiffen erworben. Dagegen wurde das schwarze Meer, welches in frherer Zeit als ein trkisches, spter als ein trkisch-russisches angesehen wurde, durch den Pariser Vertrag vom 13. Mrz 1856 smmtlichen europischen Vlkern geffnet ). Hinsichtlich der Benutzung der Flussgebiete haben sich im 19. Jahrhundert ebenfalls sehr liberale Anschauungen Bahn gebrochen. Die Verhandlungen auf dem Wiener Congresse haben nach dieser Richtung hinsichtlich des Handels und Verkehrs zu bahnbrechenden Resultaten gefhrt ), und die deutschen Staaten haben noch spter durch Vertrge Bestimmungen festgestellt, welche 1 a 3 4 5 ') Vergl. den treulichen Artikel von Cohen: Handelsgerichte in Rottek's Staatslexikon I I I . Aufl. 7. Bd. S. 348. Brackenhft in Weiske's Rechtslexikon, 5. Bd. S. 60; den Aufsatz von Mittermaier: Archiv fr civilistische Praxis, 40. Bd. S. 102 und die Schrift von Otto Lewald: das Handelsgericht als StaatsInstitut und als Schiedsgericht. Berlin 1846. *) Die Literatur bei Heffter: Das europische Vlkerrecht der Gegenwart, 4. Ausg., Berlin, 1861. Vergl. auch meine Handelsgeschichte, Bd. II. S. 59. ) Hautefeuille des droits des nation neutres, Paris 1848 I. p. 212 und 190. *) Vergl. ber die frheren Verhltnisse die treuliche Abhandlung Hoorn de navigatione et mercatura in mari nigro. Arostel. 1854. ) Kitiber, Acten des Wiener Congresses 3. Bd.

8 6 3* Digitized by

36 1. Capitel. wesentlich zur Erleichterung des merkantili sehen Lebens beitrugen. Man verstndigte sich, dass die Schiffahrt auf Flssen, welche das Gebiet mehrerer Staaten durchstrmen, mit allen Nebenflssen durchaus frei sein solle bis zu ihrer Ausmndung ins Meer, obwohl hinsichtlich der Ausfhrung dieses Beschlusses noch Mancherlei zu wnschen ist. Doch hat in den letzten Jahren eine Beseitigung mancherlei Beschrnkungen stattgefunden und manche Hemmnisse, welche einer vollstndigen Freiheit der Schiffahrt im Wege standen, sind beseitigt worden. In Bezug auf Schiffahrtsabgaben einigte man sich zur Anerkennung der Grundstze, dass diese unabhngig von dem Werthe und der Beschaffenheit der Waaren bestimmt werden sollen und durch gemeinsames Einverstndniss ein und dieselbe Schiffahrtspolizei fr die ganze Strecke herzustellen sei. Durch besondere Conventionen wurden diese Grundstze in Anwendung gebracht. ) Die rechtlichen Bestimmungen ber die Beziehungen der ich zur See bekmpfenden Mchte unterliegen in der Praxis ebenfalls nur geringen Differenzen. Die Schiffe der feindlichen Staatsgewalten sind dem Rechte der Eroberung und Aneignung unterworfen. Nicht minder auch die Fahrzeuge und Gter feindlicher Privaten, und die Theorie, welche sich gegen das herrschende System erhebt, hat in der Praxis noch keine Resultate erzielt. Der Seekrieg war in dieser Beziehung, wie Heffter richtig bemerkt, auch ein Raubkrig gegen den Seehandel ). Ueber die Prisen entscheiden Prisengerichte, welche jedoch durchaus nicht den Charakter eines vlkerrechtlichen Tribunals haben. Man darf vielleicht hoffen, dass die Zukunft sittlichere Bestimmungen zur Geltung bringen wird, und dass der Grundsatz, wornach die Wegnahme eines feindlichen Schiffes dem Erbeuter noch kein Eigenthum auf dasselbe und das darin befindliche Gut vindicire, immer mehr zur Anerkennung kommen wird. Am meisten bestritten und am weitesten differ