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1Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
Ökonomisierung des SozialenProf. Dr. Jochen Krautz
Die Ökonomisierung des Sozialen: Persönlichkeitsbildung oder Verwertbarkeit?
Prof. Dr. Jochen Krautz
2Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
Ökonomisierung des SozialenProf. Dr. Jochen Krautz
1. Der menschliche Mensch
2. Der ökonomisierte Mensch
3. Kampf ums Menschenbild
4. Der Mensch als Person in Verantwortung
3Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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1. Der menschliche Mensch
Freiwillig? Sozial? Dienst?Anthropologische und bildungstheoretische Grundlagen
4Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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“Nun eine andere Frage: Wie man mit dem Menschen umgehen muss. Was tun wir? Welche Vorschriften geben wir? […] Warum soll ich alles ausführen, was zu tun und was zu lassen ist, obwohl ich ganz knapp die folgende Regel der Menschenpflicht vermitteln kann: Alles, was du siehst, darin Göttliches und Menschliches eingeschlossen, ist eins, Glieder eines großen Körpers sind wir. Die Natur hat uns als Blutsverwandte geschaffen, als sie uns aus demselben Stoff und zu derselben Bestimmung zeugte. Sie hat uns gegenseitige Liebe eingepflanzt und uns zum Leben in der Gemeinschaft befähigt. […] Jener Vers sei in unserer Brust und auf unseren Lippen: ‚Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.‘“
Seneca, ep. 95, 51-53
5Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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6Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Die Urszene als „Urakt der Lebensbejahung“
„In der Begegnung mit den Augen des Anderen finden die eigenen zu sich selbst: sie verlieren sich nicht, sondern gewinnen Halt und erfahren zugleich Einhalt.“
Rainer Marten: Der menschliche Mensch. Abschied vom utopischen Denken. Paderborn u.a. 1988, S. 27
7Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Sozialität, Relationalität, Lebensteilung
Ich Du, Wir
Welt
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Sozialität, Relationalität, Lebensteilung
Ich Du, Wir
Welt
9Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Anthropologische und bildungstheoretische Grundlagen
10Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Der Mensch wird nicht sozial, er ist es von Natur aus.
„Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen.“ Er ist „für soziale Verhaltensweisen disponiert […], noch ehe er überhaupt lernt, was Soziabilität ist.“
James Q. Wilson: Das moralische Empfinden. Warum die Natur des Menschen besser ist als ihr Ruf. Hamburg 1994, S. 194, 199
Vgl. auch: Michael Tomasello: Warum wir kooperieren. Berlin 2010.
11Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Michael Tomasello: A Lecture in Psychology: Origins of Human Cooperation and Morality (YouTube)
12Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Michael Tomasello: A Lecture in Psychology: Origins of Human Cooperation and Morality (YouTube)
13Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Matthias T. Meier: Etwas Schreckliches sehen: Die Vorstellung überblendet die Wahrnehmung. Zwei Fallstudien zum Umgang Jugendlicher mit schrecklichen Nachrichtenbildern.In: A. Glas/U. Heinen/J. Krautz/G. Lieber/ M. Miller/H. Sowa/B. Uhlig (Hrsg.): Sprechende Bilder - besprochene Bilder.Bild, Begriff und Sprachhandeln in der deiktisch-imaginativen Verständigungspraxis. München 2016 (i. Dr.)
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15Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Sozialität muss durch Erziehung weiterentwickelt werden; sie kann auch fehlgeleitet werden.
Der Mensch als homo educabilis et educandus:
Weil der Mensch ‚nicht festgestellt‘ ist, „muss er sich zu dem, was er schon ist, erst machen“.
Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. 3. Aufl. Berlin, New York 1975
16Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Persönlichkeit bildet sich nur in und durch Gemeinschaft.
Vgl. Alfred Adler: Der Sinn des Lebens. Frankfurt/M. 1973
• Die Bildung des Einzelnen ist immer ein Beitrag zur Entwicklung der Menschheit zu mehr Menschlichkeit.
Vgl. Wilhelm von Humboldt: Theorie der Bildung des Menschen. Ein Fragment. In: Humboldt, Wilhelm von: Bildung und Sprache. Hrsg. von Clemens Menze. 4. Aufl. Paderborn 1985, S. 24-28
17Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Menschliche Freiheit realisiert sich nur in sozialer Verantwortung.
Personales Menschenbild des Grundgesetzes:„Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“
Bundesverfassungsgericht 4, 7, S. 15f.
18Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Bildung und Erziehung vollziehen sich in interpersonaler Beziehung und gemeinsam geteilter Aufmerksamkeit
Vgl. Michael Tomasello: Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt/M. 2006, S. 128
19Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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„Die elementarste Form natürlicher Pädagogik ist die Demonstration. Man zeigt jemanden, wie etwas gemacht wird, indem man es entweder unmittelbar tut oder auf irgendeine Weise pantomimisch darstellt.“
Michael Tomasello: Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens. Frankfurt/M. 2014, S. 96
21Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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• Erziehen, Bilden, Helfen sind nicht allein „Professionen“, sondern beruhen auf der Sozialnatur des Menschen.
• Helfen-wollen und Hilfe-annehmen-können entsprechen einander.
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2. Der ökonomisierte Mensch
„Neo-liberalism is about both money and minds“.
Stephen J. Ball: Global Education Inc. New Policy Networks and the Neoliberal Imaginary. London 2012, S. 3
exogene (äußere) Ökonomisierung
endogene (innere) Ökonomisierung
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Der Mensch als Investitionsgut
„Individuelle Fähigkeiten müssen dabei wie eine Form des Kapitals“ gedacht werden, d.h. wie „ein Produktionsfaktor, der wie ein Spinnrad oder eine Getreidemühle, einen Ertrag bringen“ kann.
Brian Keeley: Humankapital. Wie Wissen unser Leben bestimmt. OECD Insights 2007, S. 31-32
26Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Menschenbild: Der homo oeoconomicus
- ist ein reduktionistisches Menschenbild, um berechenbares ökonomisches Verhalten zu modellieren;
- ist Nutzenmaximierer, zieht ein „Mehr“ immer einem „Weniger“ vor;
- ist nur am Markt Gesellschaftswesen;
- handelt aufgrund gegebener, unveränderbarer Präferenzen;
- handelt in einem vorgegebenen Entscheidungsraum, den er selbst nicht gestaltet;
- gilt damit als in seinem Verhalten steuerbar.
27Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Der homo oeoconomicus
… befindet sich damit in evolutionsbiologischer Sicht auf der Stufe höherer Primaten.
29Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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“I am an economic imperialist.“Gary. S. Becker: ‚Economic Imperialism‘. In: Religion&Liberty, Vol. 3, Nr. 2 (1993)
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Der homo oeconomicus als Realität
„Es findet sich ein deutlicher und hoch signifikanter Zusammenhang zwischen der Präferenz eines solch ökonomistisch verkürzten Menschenbildes und einer niedrigen moralischen Motivation. (…) Befunde aus anderen Untersuchungen legen die Deutung nahe, dass sich dieser korrelative Befund kausal interpretieren lässt: Das in klassischen Rational-Choice Ansätzen propagierte Menschenbild kann durchaus eigenständig zu einem Abbau der Bindung an Moral beitragen.“
Gertrud Nunner-Winkler: Anerkennung moralischer Normen. Forschungsverbund Desintegrationsprozesse. Abschlussbericht, S. 445
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Zwischenfazit I
Der neoliberale Ökonomismus ist keine Wirtschaftstheorie, sondern eine normatives Modell zur Umgestaltung der Wirklichkeit: Was nicht ist, soll so werden.
Er zielt nicht allein auf die Ökonomie, sondern auf Denken, Empfinden und Handeln, ist also im eigentlichen Sinn ein „Umerziehungs-programm“.
34Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Zwischenfazit II
Bildung und Wirtschaft sind kein Widerspruch…
… in einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft, in der die Wirtschaft dem Menschen als Person, nicht der Mensch als Funktion der Ökonomie dient.
vgl. Peter Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethische Orientierung. Bern 2010
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Am Beispiel: Das „Bildungs“verständnis der OECD (PISA)
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"Heute versteht es sich von selbst, dass auch das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft gehört, dass es genauso notwendig ist, Menschen für die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen. Das Erziehungswesen steht nun gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken. Wir können nun, ohne zu erröten, und mit gutem ökonomischen Gewissen versichern, dass die Akkumulation von intellektuellem Kapital der Akkumulation von Realkapital an Bedeutung vergleichbar - auf lange Dauer vielleicht sogar überlegen – ist."
Kulturkommission des Europarates (Hrsg.): Wirtschaftswachstum und Bildungsaufwand. Wien 1966, S. 40(Dokumentation einer Tagung der OECD von 1961 in Washington)
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„Erziehung ist wirtschaftliche Investition“ in den Menschen (OECD, 1961/66, 40)
„Produktionsfaktor Lehrer“ (44)
„Rohmaterial Schüler“ (45)
Allgemeinbildung:„die Befähigung zu immer neuer Anpassung“, soll „befähigen zum Denken, also zum Umdenken und zum Verarbeiten fremder und neuer Ideen“ (37)
38Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Schlüsselkompetenzen sollen dazu befähigen,
"sich an eine durch Wandel, Komplexität und wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnete Welt anzupassen.“„Welche anpassungsfähigen Eigenschaften werden benötigt, um mit dem technologischen Wandel schritt zu halten?“
OECD: Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung. 2005, S. 9 u. 8http://www.oecd.org/document/17/0,3343,en_2649_201185_2669073_1_1_1_1,00.html, 11.6.07
“Defintion of Literacy (…) how well adults use information to function in society and the economy.“
OECD: Literacy in the Information Age. Final Report of the International Adult Literacy Survey. Paris 2000, S. X
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Ziel: Soziale und kulturelle Entwurzelung
„In der Schule soll jener Grundsatz von Einstellungen, von Wünschen und von Erwartungen geschaffen werden, der eine Nation dazu bringt, sich um den Fortschritt zu bemühen, wirtschaftlich zu denken und zu handeln. Das bedeutet nicht weniger, als dass Millionen Menschen von einer Lebensweise losgerissen werden sollen, die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden das Lebensmillieu ausmachte. Alles, was bisher an Schule und in der Erziehung in diesen Ländern geleistet wurde, verfolgte soziale und religiöse Ziele, die vorwiegend (…) Resignation und spirituelle Tröstung gewährten; Dinge, die jedem wirtschaftlichen Fortschrittsdenken glatt zuwiderlaufen. Diese jahrhundertealten Einstellungen zu verändern, ist vielleicht die schwerste, aber auch die vordringlichste Aufgabe der Erziehung in den Entwicklungsländern.“ (38)
40Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Am Beispiel: Ökonomisierte Medizin
Giovanni Maio: Ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? Eine Kritik der ökonomischen Überformung der Medizin. In: Deutsches Ärzteblatt 16/2012
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3. Kampf ums Menschenbild
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Marktradikalismus als Propaganda
„Die Theorie DES MARKTES ist nicht nur eine Theorie (angesiedelt im Diskursraum der Wissenschaft), sondern auch ein Propaganda-Ansatz, der die gesamte Kultur umkrempeln will.“
Walter Otto Ötsch: Mythos MARKT. Marktradikale Propaganda und ökonomische Theorie. Marburg 2009, S. 15
vgl. Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen. Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. Frankfurt/M. 2014
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Grundlage: gelenkte „Demokratie“
„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Lande.
Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.“
Edward Bernays: Propaganda. Die Kunst der Public Relation. (1928) Kempten 2007, S. 19
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Vorstellungs-Regime
„Wir werden behaupten, dass alles, was der Mensch tut, nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen beruht, sondern auf Bildern, die er sich selbst geschaffen oder die man ihm gegeben hat. […] Aber was bedeutet Propaganda, wenn nicht die Bemühung, das Bild zu ändern, auf das die Menschen reagieren, das heißt ein Gesellschaftsmodell durch ein anderes zu ersetzen?“
Walter Lippmann: Die öffentliche Meinung. (1922) Reprint des Publizistik-Klassikers. Bochum 1990, S. 25.
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3.1 Politische Ebene
Inszenierung von Kommunikationsereignissen
„Moderne Propaganda ist das stetige, konsequente Bemühen, Ereignisse zu formen oder zu schaffen mit dem Zweck, die Haltung der Öffentlichkeit zu einem Unternehmen, einer Idee oder einer Gruppe zu beeinflussen.“
Edward Bernays: Propaganda. Die Kunst der Public Relation. (1928) Kempten 2007, S. 31
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Schaffen von Scheinwelten
„Man fügt eine Scheinwelt zwischen den Menschen und seine Umwelt ein. Sein Verhalten ist eine Reaktion auf diese Scheinwelt. Aber weil es Verhalten ist, operieren die Konsequenzen […] nicht in der Scheinwelt […], sondern in der tatsächlichen Umwelt […].“
Walter Lippmann: Public opinion. Wading River, Long Island 1921, ch. I,3 (Übersetzung, J.K.)
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Von Picht zu PISA: 50 Jahre Steuerung von Bildung durch die OECD
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3.2 Arbeitsebene: Ökonomismus als indirekte Steuerung
Autonomie und Wettbewerb
Output-Orientierung, Effizienzparadigma
Standardisierung, Quantifizierung von Leistungen (in Geldwerte übersetzbar)
Qualitätsmanagement (Evaluation, Dokumentation, Rechenschaftspflicht)
Kompetenzorientierung
Entstaatlichung, Privatisierung
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Beispiel 1: Qualitätsmanagement: Menschliches Handeln als technischer Regelkreis
Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM)
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Etablierung des „unternehmerischen Selbst“
„Grundgedanke des Systems ist das Prinzip der Rückverfolgbarkeit: Um Mängel und Abweichungen entdecken und künftig vermeiden zu können, müssen alle Prozesse lückenlos dokumentiert werden. […] Hervorgegangen sind die Qualitätssicherungsnormen aus Anforderungskatalogen der amerikanischen und britischen Streitkräfte für Lieferanten von Rüstungsgütern.“Ulrich Bröckling: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement. In: U. Bröckling/S. Krasmann/Th. Lemke (Hrsg,): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/Main 2000, S.147
„Die Qualitätsspezialisten kontrollieren nicht mehr die Produkte, sondern die Selbstkontrolle der Produzenten.“Ulrich Bröckling (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt/Main 2007, S. 218
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Einfaches kybernetisches Regelsystem:
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Schüler
Schule als kybernetische Maschine
verdeckte Steuerung (normative Empirie und deren Stichwortgeber: Politik, internationale Organisationen,
Stiftungen, Lobbygruppen etc.)
LehrerUnterricht
OECD-Forderungen,
Kompetenzprofile,
Bildungsstandards;
Empirische Forschung (PISA,
TIMSS etc.), VERA, zentrale
Prüfungen usw.
Kompetenzen erreicht?
Feedback
veränderter Schüler
Black Box
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Folgen:
• Entpersonalisierung: technoides statt humanes Handeln
• Kontrolle: Regelbefolgung statt Vertrauen und Dialog
• Entmündigung: „Professionalität“ statt kunstgerechter Praxis
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Beispiel 2: Change Management
Sozialpsychologische Manipulation:
• Akzeptanz herstellen
• „Wandel“ aus Überzeugung mittragen
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„Und meine Vision ist, dass das auch was Bleibendes ist, also diesen kulturellen Wandel wirklich nachhaltig in die DNA jedes einzelnen Mitarbeiters bei uns entsprechend zu pflanzen.“
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Online-Lehrbuch: Change Management
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„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.“
Chinesisches Sprichwort
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62Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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„Wir verstehen uns als ‘Agency of Change‘. Wir sind die Spezialisten in der Modellierung und Begleitung von Übergangsprozessen. (…)
Change Management bedeutet: mentale Neuorientierung, Beschreiten innovativer Wege, offener Dialog mit den Beteiligten und emotionale Klärung und Öffnung.“
http://www.ios-schley.de
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„Wenn es gelingt, den ‚Dance of Change‘ zu tanzen, resonante Führung zu praktizieren und den Changeprozess gekonnt zu steuern, ist für die Unternehmen der Weg zur Realisierung der ‚Next Practice‘ frei.
Tiefgreifender Wandel kennt die Dynamik des Loslassens von alten Gewissheiten und den Musterwechsel, vom ‚Letting go‘ zum ‚Letting come‘.“
http://www.ios-schley.de
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Online-Lehrbuch: Change Management
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Folgen:
• Manipulation: Change Management statt Sachdiskurs
• Formatierung des Sozialen: Sozialtechniken statt Gemeinschaftsbildung
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4. Der Mensch als Person in Verantwortung
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Fazit: Bruch mit humanistischer Tradition
„Die Provokation, die von der neoliberalen Ideologie (...) ausgeht, ist der forcierte Bruch mit denjenigen europäischen Traditionen, die ihrer Idee nach Menschenwürde im Geiste der Menschenrechte bewahren und das Recht auf Selbstbestimmung des einzelnen im Kontext der Gerechtigkeit betonen.“
Eva Borst: Kritische Bildungstheorie und die kulturelle Evolution als Paradigma der Gegenaufklärung im Neoliberalismus. In: Entdemokratisierung und Gegenaufklärung. Jahrbuch für Pädagogik 2009. Frankfurt/M. 2009, S. 63
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Ausblick: Personalität und Widerstand
Arbeitsebene
• Anknüpfen an und Stärken der Sozialität des (jungen) Menschen
• Bildung von sozialer Verbundenheit ohne Sozialtechnik
• Betonung der aufklärerischen und kritischen Dimension von Bildung
• Reflexion der gesellschaftlichen und politischen Kontexte
• Innehalten, bewusstes Benennen und Aussetzen der ökonomischen Logiken und Steuerungstechniken
• Kritische Selbstreflexion hinsichtlich unbemerkter Adaption dieser Mechanismen
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Ausblick: Personalität und Widerstand
Politische und öffentliche Ebene
• Reformulierung des bildenden Anspruchs freiwilliger sozialer Dienste
• Kritik der Verzweckung und Ausbeutung junger Freiwilliger
• Verweigerung des imperialen Durchgriffs neoliberaler Prinzipien
• Ansprechen von Eltern und Bürgern, Verbündete in anderen Bereichen (Bildung, Gesundheitswesen, Pflege etc.) suchen
73Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Beharrung als Widerstand
„Eben diese Kräfte der ‚Bewahrung’ aber, die sich leicht als ‚konservative’ Kräfte hinstellen lassen, können zu Kräften des Widerstandes gegen die Macht der neuen Ordnung werden“.
Pierre Bourdieu: Der Neoliberalismus. Eine Utopie grenzenloser Ausbeutung wird Realität. In: ders.: Gegenfeuer. Konstanz 2004, S. 128
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Rückforderung des Pädagogischen und Politischen
„Das Prinzip des Pädagogischen aufzuweisen und in die öffentlichen Räume hinein zu kommunizieren heißt auch, sich in den Kampf gegen die kulturelle Hegemonie zu begeben, in der die Leitvorstellung einer sozialtechnologischen Steuerung psychischer und geistiger Strukturen Heranwachsender in einem ungesteuerten Wirtschaftssystem vorherrscht.“
Armin Bernhard: Die Austreibung des Pädagogischen aus Kultur und Gesellschaft. In: Reißland, M./Borst, E./Bernhard, A.: Die Wiedergewinnung des Pädagogischen. Hohengehren 2010, S. 19f.
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Vielen Dank!
76Stolberg, 10.03.2016 Nur zum persönlichen Gebrauch
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Zersetzung von Bildung: Ökonomismus als Entwurzelung und Steuerung. Ein Essay. In: Coincidentia – Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Beiheft 5, Bernkastel-Kues 2015, S. 101-137
Kompetenzen machen unmündig. Eine zusammenfassende Kritik zuhanden der demokratischen Öffentlichkeit. Streitschriften zur Bildung, Heft 1. Hrsg. Fachgruppe Grundschulen der GEW Berlin. Berlin 2015 (http://www.gew-berlin.de/13418.php)
Die Macht der Messung. Wie die OECD mit PISA ein neues Bildungskonzept durchsetzt. (mit Silja Graupe)In: Coincidentia – Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Beiheft 4, Bernkastel Kues 2014http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2014/05/graupe_krautz_macht_der_messung_Coincidentia.pdf
Auf dem Niveau eines Heizungsthermostaten. Österreichs Bildungsministerium lässt sich die Unwirksamkeit von Bildungsstandards und Tests durch ein Gutachten attestieren.In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.08.2013, S. 7 (http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2013/08/Krautz_Auf-dem_Niveau_eines_Heizungsthermostaten_faz.pdf)
Neue Lernkultur im Musterländle. Die Lehrer sollen in Baden-Württemberg nicht mehr lehren, sondern als Lernbegleiter wirken. (mit Matthias Burchardt)In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.05.2013, S. 7 (http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2013/05/burchardt_krautz_neue_lernkultur.pdf)
Ökonomismus in der Bildung. Menschenbilder, Reformstrategien, Akteure.In: Gymnasium in Niedersachsen 1/2013, S. 12-21 (http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2013/01/Gymnasium-in-NDS-1-2013.pdf)
Bildungsreform und Propaganda. Strategien der Durchsetzung eines ökonomistischen Menschenbildes in Bildung und Bildungswesen. In: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Sonderheft „Demokratie setzt aus“ 2013, S. 86-128 (http://phvn.de/images/krautz.pdf)
Die sanfte Steuerung der Bildung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.09.2011, S. 8 (http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2011/10/krautz_sanfte_steuerung.pdf)
Bildung als Anpassung? Das Kompetenzkonzept im Kontext einer ökonomisierten Bildung (www.kunst.uni-wuppertal.de -> Krautz, oder über google)
Persönlichkeit und Beziehung als Grundlage der Pädagogik. (mit Jost Schieren)Weinheim, Basel 2013
Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie. Kreuzlingen, München 2007 (3. Aufl. 2011)