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84 © 2018 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2018, 52, 84–93 DOI: 10.1002/ciuz.201700788 www.chiuz.de violett) oder Kohlenstoff (Graphit, Diamant, Fulleren, Gra- phen) bekannt. Bei Verbindungen hingegen spricht man von Polymor- phie, wenn z. B. Titandioxid als Rutil, Anatas oder Brookit kristallisiert. Trotz ihrer Formenvielfalt sind die Elemente Vielfalt des Siliciumdioxids Sowohl chemische Elemente als auch ihre Verbindungen können in unterschiedlichen Formen existieren. Diese bei Elementen als Allotropie bezeichnete Formenvielfalt ist z. B. bei Schwefel (S 2 -S 8 ), Phosphor (weiß, rot, schwarz, Kristallin und amorph: Die Vielfalt des Siliciumdioxids B ERND F RIEDE | E LOÏSE GAILLOU Von Siliciumdioxid (Silica) ist eine Vielzahl unterschiedlicher Formen bekannt. Nach dem Beitrag „Sand als Rohstoff“ in der ChiuZ 3/2016 spannt dieser Beitrag einen weiteren Bogen: Er beschreibt amorphe Silicavarietäten wie Kieselgur biologischen Ursprungs, Opal vulkani- schen Ursprungs und Kieselrauch (silica fume) als technisches Nebenprodukt sowie deren Anwendungen. ABB. 1 POLYMORPHE MODIFIKATIONEN VON SILICIUMDIOXID (CAS-NUMMERN IN KLAMMERN)

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DOi: 10.1002/ciuz.201700788www.chiuz.de

violett) oder Kohlenstoff (Graphit, Diamant, Fulleren, Gra-phen) bekannt.

Bei Verbindungen hingegen spricht man von Polymor-phie, wenn z. B. Titandioxid als Rutil, Anatas oder Brookit kristallisiert. Trotz ihrer Formenvielfalt sind die elemente

Vielfalt des SiliciumdioxidsSowohl chemische elemente als auch ihre Verbindungen können in unterschiedlichen Formen existieren. Diese bei elementen als Allotropie bezeichnete Formenvielfalt ist z. B. bei Schwefel (S2-S8), Phosphor (weiß, rot, schwarz,

Kristallin und amorph:

die Vielfalt des Siliciumdioxids((Dr.)) BernD FrieDe | ((Dr.)) eloïse Gaillou

Von Siliciumdioxid (Silica) ist eine Vielzahl unterschiedlicher Formen bekannt. Nach dem Beitrag „Sand als Rohstoff“ in der ChiuZ 3/2016 spannt dieser Beitrag einen weiteren Bogen: Er beschreibt amorphe Silicavarietäten wie Kieselgur biologischen Ursprungs, Opal vulkani-schen Ursprungs und Kieselrauch (silica fume) als technisches Nebenprodukt sowie deren Anwendungen.

ABB . 1 pOL ym O rphe mOD ifik A ti O ne n v O n siL iC ium D i O x i D (CA s- numme rn in kLA mme rn)

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eder. Die entsprechenden Bindungslängen und Bindungs-winkel sind in kristallinen und amorphen Silicapolymorphen gleich [4], jedoch unterscheiden sich die Verknüpfungsmus-ter und Torsionswinkel der Tetraeder, die Fernordnung, voneinander [5]. Um dies zu veranschaulichen, benutzte der

oder Verbindungen meist nur unter einer gemeinsamen CAS-Nummer registriert. Bei Siliciumdioxid hingegen, das eine Vielzahl kristalliner und amorpher modifikationen um-fasst, wurden den verschiedenen Polymorphen spezifische CAS-Nummern zugeordnet (Abbildung 1). Quarzsand und die synthetischen amorphen Silicatypen, die flammenhy-drolytisch (pyrogene Silica) oder durch Fällungsreaktionen gewonnen werden (Präzipitat-Silica, Fällungskieselsäure), wurden bereits im Artikel Sand als Rohstoff [17] behandelt und sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. Das ebenso amorphe Quarzglas, das als unterkühlte Schmelze verstan-den werden kann und eine herausragende Bedeutung in der Faseroptik und Kommunikationstechnik hat, wird in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht behandelt.

Kristallin und amorphDer Begriff der Amorphizität leitet sich aus dem griechi-schen amorphos ab, was übersetzt ohne Form oder Gestalt bedeutet. Betrachtet man jedoch Vertreter amorphen Sili-cas, wie Diatomeenerde (Kieselgur) [25] oder Kieselrauch (silica fume), so haben diese durchaus eine Form (Abbil-dung 2).

Daher präzisieren Festkörperchemiker, dass es sich bei amorphen Festkörpern eigentlich nicht um makroskopisch oder morphologisch amorphe, sondern um röntgenamor-phe Festkörper handelt. Röntgenstrahlung wird an Kristall-ebenen kristalliner Festkörper gebeugt und erzeugt Bragg-Reflexe nach der Gleichung n l = 2 d sin q (Abbildung 3). Voraussetzung für die Röntgenbeugung ist daher das Vor-handensein einer dreidimensionalen Translationssymmet-rie. Fehlt diese, liegt ein röntgenamorpher Stoff vor.

Die einkristallstrukturanalyse mittels Röntgenbeugung stellt die wirksamste methode zur detaillierten Strukturauf-klärung kristalliner Feststoffe dar. entsprechend steht man bei röntgenamorphen Stoffen vor einer großen herausfor-derung. Um Strukturinformationen über diese Feststoffe zu erhalten, muss man auf das Arsenal komplementärer Son-den zurückgreifen (FT-iR, NmR, hR-Tem, Neutronenbeu-gung, inelastische Neutronenstreuung, XANeS etc.) und die daraus erhaltenen Teilinformationen wie ein Puzzle zusam-mensetzen [1–3].

Das kleinste Strukturelement, die Nahordnung sowohl im kristallinen als auch amorphen SiO2, ist der SiO4-Tetra-

Abb. 2 Struktur ausgewählter Diatomeen (links) und Kieselrauch (rechts). Mit freundlicher Genehmigung der Carolina Biological Supply Company; Flickr CC BY-NC-ND 2.0.

A BB. 3 rö ntge nBe ugung A m kristA LLgitte r

Darstellung der Röntgenbeugung am Kristallgitter nach der Bragg-Gleichung. d = Netzebenenabstand, q = Winkel zwischen Röntgenstrahl und Gitterebene (Glanzwinkel).

ABB. 4 verknüpfung vOn siLiCA-tetrAeDern

Logo des Sonderforschungsbereichs 408 „Anorganische Festkörper ohne Translationssymmetrie“, das geordnete und ungeordnete Verknüpfungsmuster der Silica-Tetraeder in kristallinen und amorphen Festkörpern symbolisiert.

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in der Tat ist Quarzglas röntgenamorph, aber alle anderen amorphen Silica sind keine Gläser. Gläser werden allge-mein als unterkühlte Schmelze beschrieben: Schmilzt man Quarz bei einer Temperatur von 1713 °C und kühlt die Schmelze wieder ab, so beobachtet man keine erneute Kristallisation, wie man es von anderen Feststoffen kennt sondern ein „einfrieren“ der Schmelze. Die Viskosität der Schmelze ist nämlich zu hoch, als dass sich das Netzwerk aus SiO4-Tetraedern wieder zu kristallinen Strukturen um-ordnen kann. Gläser haben eine charakteristische Glasüber-gangstemperatur, die man z. B. durch dynamische Diffe-renzkalorimetrie (DSC) oder Dilatometrie messen kann. Andere amorphe Silicapolymorphe, wie pyrogene Silica oder silica fume (Kieselrauch) haben keine Glasübergangs-temperatur. Bei Temperaturen über 1000 °C (Kieselrauch) oder 1300 °C (pyrogene Silica) kristallisieren sie in Form von Cristobalit. Also sind alle Gläser amorph aber nicht alle amorphen Feststoffe sind Gläser.

ethymologische BetrachtungenDer elementname Silicium und nachfolgend auch Silica hat seinen Ursprung im lateinischen silex für (Kiesel)Stein. Die lösliche Form von Siliciumdioxid ist die Ortho- oder mono-kieselsäure (h4SiO4 bzw. Si(Oh)4). Diese kann über Sol-Gel-Prozesse polymerisieren und nach Wasserabspaltung (Kon-densation) als amorphes Siliciumdioxid ausfallen. Somit ist SiO2 das Anhydrid der Kieselsäure. Weil Siliciumdioxid formal das Polymerisationsprodukt der monokieselsäure ist, werden die amorphen Silicaformen im deutschen Sprachraum fälschlicherweise als Kieselsäure bezeichnet. Tatsächlich ist die Oberfläche von Silicapartikeln mit iso-

lierten, geminalen und vicinalen Silanolgruppen bedeckt [8], die schwingungsspektrosko-

pisch nachgewiesen [9] und zum Bei-spiel durch Reaktion mit LiAlh4 quantifiziert werden können [10].

Wenngleich Silanolgruppen de-protonieren können und pKa-Werte von 4,5–8,5 aufweisen [11], sollte der Begriff der Kie-selsäure den löslichen Kiesel-

säuren vorbehalten bleiben.

opal, diatomeenerde (Kieselgur) und Kieselrauch

Die eigenschaften der Silicapolymor-phe Opal, Diatomeenerde und Kiesel-

rauch sind unter Chemikern eher weniger bekannt. Dies mag daran liegen, dass es sich bei diesen

Formen des Siliciumdioxids nicht um synthetisch reine Verbindungen, sondern um Naturstoffe oder Nebenpro-dukte handelt. Der Weg vom Quarz als Ausgangsmaterial zur herstellung von Silicium im elektrischen Lichtbogen-ofen, der Umsetzung zu Chlorsilanen bis hin zum flammen-hydrolytisch gewonnenen, synthetischen pyrogenen Silici-umdioxid (fumed silica) scheint Chemiker einfach mehr

Sonderforschungsbereich 408 der Deutschen Forschungsge-meinschaft zum Thema „Anorganische Festkörper ohne Translationssymmetrie“ (1995–2004) ein Logo (Abbildung 4), bei dem die geordneten Verknüpfungsmuster am Rand kristalline Strukturmerkmale ausdrücken sollen und die un-geordnete Anordnung der Tetraeder durch Fehlen der Trans-lationsperiodizität den amorphen Zustand beschreibt.

Die meisten natürlichen und synthetischen Feststoffe liegen im energieärmeren, kristallinen Zustand vor. im schematischen energieprofil nach Weyl und marboe [6–7] in Abbildung 5 steigt im idealen Kristall die energie zur Oberfläche hin an, was durch nicht abgesättigte Bindungen und Oberflächenspannungen erklärt wird. im Gegenzug wer-den amorphe Feststoffe wegen ihrer inneren Oberfläche mit einem ungeordneten und höhe-ren energieprofil beschrieben. Dadurch lässt sich z. B. im Falle von SiO2 eine höhere Wasserlöslich-keit der amorphen Phasen gegenüber ih-ren kristallinen Pendants erklären (ca. 100 mg/L für amorphes SiO2, 5 mg/L für Quarz), aber auch eine höhere Reaktivität. im fehlgeordneten Kris-tall sorgen vereinzelte Gitterdefekte oder Korngrenzen für lokale energieerhöhungen. Und selbst im homogenen Glas ohne interne Strukturen und Oberflächen herrscht die Fehlordnung vor, so dass Stellen konstanter energie wie beispielsweise im idealen Kristall fehlen.

Bei näherer Betrachtung stellt sich die Frage, ob alle Gläser amorph oder alle amorphen Feststoffe Gläser sind.

ABB. 5 energieprOfiLe vOn festkö rpe rn [5]

Abb. 6 Unge-schliffener Opal aus Mezzezo, Äthiopien, der die klassischen opti-schen Effekte des Opalisierens und der Opaleszenz zeigt.

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Das faszinierende bunte Farbenspiel der edel-Opale, das buchstäbliche Opalisieren, wird durch interferenz an den Schichten aus Silicakugeln hervorgerufen. Die Bragg-Glei-chung, die die Röntgenbeugung an Kristallebenen be-schreibt, findet auch hier bei den Schichten aus amorphen Silicakugeln Anwendung. interferenzen an dünnen Schich-ten begegnen uns in der Natur auch beim Perlmutt oder bei Schmetterlingsflügeln. Beispiele aus der Chemie sind die Anlauffarben von Bismut oder künstliche Pigmente aus metalloxidbeschichteten Schichtsilicaten.

in vielen Fällen gewöhnlicher Opale, die also nicht das erwünschte Farbspiel der edelsteinqualitäten zeigen, sind die Silicakugeln entweder von unterschiedlicher Größe oder von ungleichmäßiger Form, so dass keine perfekte Stapelung stattfinden kann. Somit bleiben auch die be-schriebenen interferenzeffekte aus [12]. Stattdessen tritt die sogenannte Opaleszenz der Opale in erscheinung, die für den milchig-bläulichen Farbeindruck verantwortlich ist. Sie beruht auf wellenlängenabhängiger Rayleigh-Streuung an ungeordneten Partikeln unterschiedlicher Größe. Wenn die Silicapartikel zu groß sind, um sichtbares Licht zu beu-gen, sind die Bedingungen für das interferenz-Farbspiel ebenfalls nicht erfüllt. Dann sorgt die mie-Streuung dafür, dass das gestreute Licht mehr Rotanteile enthält und für den Betrachter weißlicher erscheint. Dieser effekt wird als Opazität bezeichnet. Die Grundfarbe des Opals wird durch Verunreinigungen beeinflusst, zum Beispiel gelb durch hä-matiteinschlüsse (Fe2O3), orange durch Realgar (AsS), pink durch Cinnabarit (hgS), violett durch Fluorit (CaF2), blau durch Kupfer und magnesium. Darüberhinaus treten bei Opal auch Lumineszenzerscheinungen auf, die durch me-tallische Verunreinigungen, vornehmlich eisen und Uran, verursacht werden.

Anwendungen für OpaleNatürliche Opale beeindrucken durch ihr schillerndes Far-benspiel und sind daher seit der Antike als Schmucksteine begehrt. Nachdem man dank der elektronenmikroskopie Aufbau, Struktur und optische eigenschaften natürlicher

anzusprechen, vor allem, wenn noch Oberflächenmodifi-zierungen und high-tech-Anwendungen dazukommen.

Doch auch die weniger bekannten amorphen Phasen haben eine faszinierende Seite, sei es in hinblick auf ihre Ästhetik, Genese oder technische Anwendung.

opalDer natürlich vorkommende Opal (CAS Nr. 14639-88-4) gehört nach der Strunzschen mineralsystematik zur mine-ralklasse der Oxide und hydroxide und wird durch die chemische Formel SiO2 × n h2O beschrieben, wobei der Wassergehalt üblicherweise bei 4–10 % liegt, jedoch auch extreme Werte von 0,8 % und 21 % aufweisen kann. man unterscheidet die amorphe Form des Opals (Opal-A) und die mikrokristalline Form (Opal-CT), die Anteile der kristal-linen Polymorphe Cristobalit und Tridymit enthält. Als se-kundäre minerale wurden sie durch Verwitterungsprozesse im Wirtsgestein gebildet. Sie sind entweder sedimentären Ursprungs, wie im australischen Sandstein, oder vulkani-scher herkunft, wie im Falle der mexikanischen Feueropa-le in Rhyolithmatrix.

Da die chemische Zusammensetzung des Wirtsgesteins mit der des darin enthaltenen Opals korreliert, liegt es na-he, dass Opal durch lokale Auswaschung von Kieselsäure und anschließende Wiederausfällung von wasserhaltigem SiO2 in den entstandenen hohlräumen in situ gebildet wird. Die Struktur von Opal lässt sich durch die perfekte Stapelung amorpher Silicakugeln mit einem typischen Durchmesser von 250 nm beschreiben. elektronenmikros-kopische Aufnahmen (Abbildung 7) zeigen eindrucksvoll die Anordnung der Silicakugeln.

Auch der innere Aufbau der Silicakugeln ist beeindru-ckend, denn sie bestehen aus Nanopartikeln der Größe 25 nm, die konzentrische Ringe bilden und ein Zwiebel-muster aus vielen Schichten formen. Die Silicakugeln im Opal werden ihrerseits durch weiteres eindringen von SiO2 in die Zwischenräume festzementiert. Dieser Silicazement wurde auf den elektronenmikroskopischen Abbildungen durch vorheriges Ätzen mit Flusssäure entfernt.

Abb. 7 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Stapelung von Silicakugeln im amorphen Opal von Tecopa, California (links). Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines amorphen, milchigen Opals aus der Slovakei nach Ätzen mit Fluss-säure (rechts).

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zeichnet werden und sowohl in Süß- als auch in Salzwasser vorkommen. Die Gattung der Diatomeen (Bacillariophyta) umfasst Tausende unterschiedlicher Arten, die einen ent-sprechenden Formenreichtum aufweisen (Abbildung 8). Nach ihrem Ableben bzw. ihrer Verdauung sinken die mi-kroorganismen zu Boden und können Sedimente aus kom-pakten Silicaskeletten bilden. Die Vorkommen aus sedi-mentierten, fossilen Kieselalgen in der Lüneburger heide wurden vor mehreren 100.000 Jahren gebildet und erreich-ten mächtigkeiten von bis zu 28 m. Lagerstätten in den USA sind demgegenüber z.T. sogar mehrere 100 m mächtig (Abbildung 9). Diese Sedimente werden auch als Diato-meenerde bezeichnet und haben eine Reihe Synonyme wie Kieselgur, Bergmehl, Diatomit, Tripolit oder infusorienerde.

BiomineralisationDie Biomineralisation anorganischer Feststoffe ist ein weit-verbreitetes und faszinierendes Phänomen in der Natur. Wir begegnen ihr unter anderem beim hydroxylapatit, der unsere Knochen bildet, bei Calciumcarbonat, aus dem mu-schel- und Vogeleierschalen aufgebaut sind, und bei amor-phem Silica der Kieselalgen (Abbildung 10). Der komplexe Prozess der Biomineralisation der Kieselalgen, die morpho-genese der Silica-Zellwände, ist noch nicht vollständig auf-geklärt, dank biochemischer Analyse und Genomsequen-zierung wurden in den letzten Jahren jedoch bahnbrechen-de erkenntnisse über die zugrundeliegenden molekularen Abläufe gewonnen [13].

Angesichts der großen Formenvielfalt fossiler und exis-tierender Diatomeen liegt es nahe, dass die morphologie der dreidimensionalen Silicazellwand genetisch kodiert ist. mit hilfe silica-spezifischer Transportmembranproteine (SiT) gelangt die lösliche Kieselsäure Si(Oh)4 in die Zelle. Über einen nicht aufgeklärten intrazellulären Transportmechanis-mus sammelt sich die Kieselsäure dann in den als Silica De-position Vesikeln (SDV) bezeichneten Zellorganellen an, in denen die morphogenese der Silica-Bausteine abläuft (Abbil-dung 11). Daran sind Biomoleküle beteiligt, bei denen es sich um Proteine wie Silaffine und Silacidine handelt, aber auch um langkettige Polyamine (LCPA). Diese Pro teine be-schleunigen die Ausfällung von Silica durch Kondensation der löslichen Kieselsäure in der Zelle, stabilisieren die ent-stehenden Silica-Sole mit Partikelgrößen von 40–100 nm und bilden hexagonale Silicastrukturen aus. Die Bauelemen-te werden durch exocytose aus dem SDV ausgeschieden und an der Zelloberfläche der Diatomeen abgelagert.

Was dann noch fehlt, um die artspezifischen Struktur-elemente der Diatomeenschalen zu bilden, sind formgeben-de Proteine. Cinguline bilden zum Beispiel mikroskopische, ringförmige organische Strukturen, an denen sich Silica anlagern kann. Kugelförmige Aggregate aus den langketti-gen Polyaminen und Silacidinen sind möglicherweise daran beteiligt, die nano-porösen Silicamuster auszubilden. Wei-terhin wurden Chitinnetzwerke, Polysaccharide, in Diato-meen nachgewiesen, die in das Silica eingelagert sind. Sol-che hybridmaterialien aus organischen Biomolekülen und

Opale verstanden hat, benutzt man heute auch syntheti-sche Opale, die nicht notwendigerweise aus SiO2 bestehen müssen. einsatzbereiche sind etwa effektpigmente in La-cken, Displays oder optische Sensoren [13], in denen man sich gezielt der optischen eigenschaften der Opale bedient.

Biogene SilicaSilicium ist nach Sauerstoff das häufigste element in der erdkruste und somit quasi ubiquitär, wenngleich nicht aus-schließlich in Form von Siliciumdioxid, sondern auch in Form von Silicaten. Kieselsäure ist die lösliche Form von SiO2 und entsteht bei der natürlichen, chemisch-physikali-schen Verwitterung von Quarzen, Tonmineralen und silica-tischen Gesteinen. Pflanzen nehmen Kieselsäure über ihr Wurzelsystem auf und lagern Silica zur mechanischen Sta-bilisierung in ihre Zellwände ein. Wenngleich Silicium nicht als essenzielles element für das Pflanzenwachstum aufgefasst wird, ist es mittlerweile doch Bestandteil von Pflanzendüngern.

Weltmeister im einbau von Silica in ihren Organismus sind zweifellos die Kieselalgen, die auch als Diatomeen be-

Abb. 8 Morphologie verschiedener Kieselalgen. Wenngleich die Zellwände aus röntgenamorpher Silica bestehen, sind die Einzeller ganz und gar nicht formlos. Eunotia sp. (links), Triceratium sp. (Mitte oben), Amphitetras sp. (Mitte unten), Asterolampra sp. (rechts oben) Arachnoidiscus sp. (rechts unten). Bildquelle: Science Photo Library/Agentur Focus.

Abb. 9 Tagebau von Diatomeenerde in der weltgrößten Mine in Lovelock, Nevada, USA (mit freundlicher Genehmigung von EP Minerals, USA).

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Template, Beschichtungen usw. gezielt herzustellen, und zwar im wässrigen milieu und bei Raumtemperatur. Poten-zielle Anwendungsgebiete solcher auf Biomineralisation gründenden Nanomaterialien sind beispielsweise membra-nen mit definierter Porengröße, maßgeschneiderte Biosen-soren, Katalysatoren oder Lichtfilter.

anorganischen Stoffen sind auch beim muschelkalk und bei Vogeleiern bekannt.

Seit millionen von Jahren betreiben die Kieselalgen na-türliche Nanotechnologie, die heutige ingenieure und Wis-senschaftler inspiriert. Die Aufklärung des Biomineralisati-onsprozesses ist wichtig, um neue funktionelle materialien,

ABB. 1 0 DiAtOmeenzeLLwänDe

Nanostrukturierte Diatomeenzellwände (Coscinodiscus centralis) aus amorpher Silica. A: Cribrum Sieb, B: Foramen Außen-wand, C: Cribrum Sieb Details, D: Areola Kammernseitenwand, E: Foramen Außenwand [14] (mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlags).

ABB. 1 1 mODeLL Der siLiCA-mOrphOgenese in kie se LA Lge n

Silaffine und langkettige Polyamine (LCPA) im Silica Deposition Vesikel bilden eine nanostrukturierte Silaffinmatrix, welche als Templat für die Ausfällung von Silica dient. Silica wird bevorzugt in LCPA-reichen (silaffinarmen) Regionen gebildet [15] (mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlags).

Abb. 12 Berke-feld Tropffilter zur Wasserauf-bereitung, Bomann Museum Celle. Bildquelle: Wikimedia

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Wein, Bier, Säfte, Öle oder industriechemikalien. Das Fil-triervermögen geht sogar so weit, dass sich krankheitserre-gende Bakterien absondern lassen. Diese eigenschaft kam bei der Choleraepidemie in hamburg 1892 in den Berke-feld-Filtern (Abbildung 12) zum einsatz. Diese Filter made in Germany werden nach wie vor produziert und zur Trink-wasseraufbereitung in Krisensituationen verwendet. ein Kubikzentimeter Diatomeenerde enthält mehrere millionen Schalen der fossilen Kieselalgen. Die spezifische Oberflä-che liegt entsprechend bei 10–25 m2/g.

Alfred Nobel machte sich das hohe Absorptionsvermö-gen zunutze, indem er das sensible und hochexplosive Ni-troglycerin in Kieselgur band und sodann als Dynamit han-tierbar machte. Den Kieselalgen verdanken wir also die Nobelpreise.

Durch einmischen in Polymerfilme erzeugt Kieselgur eine mikroskopische Rauheit der Oberfläche, die dafür sorgt, dass die Filme oder Folien nicht aneinander haften. Auch in Zündhölzern wird Silica aus Diatomeen verwendet, um die gewünschte Friktion zwischen Zündkopf und Reibfläche zu erzeugen. Weitere Anwendungsbereiche amorpher Diato-meenerde sind Füllstoffe für schnelltrocknende Farben, Pa-pier, isolationsmaterialien, Poliermittel, Trägermaterial für Katalysatoren und vieles mehr. Da auch die Silicaoberfläche der Diatomeenerde Silanolgruppen enthält, kann man durch vorsichtiges Tempern die Polarität und somit das Adsorp-tionsvermögen beeinflussen. Das Kalzinieren muss jedoch bei Temperaturen unterhalb von 1000 °C geschehen, um Sintern und die Phasenumwandlung zum kristallinen Cristo-balit zu vermeiden. Das globale Produktionsvolumen der Diatomeenerde liegt bei ca. 2 millionen Tonnen im Jahr.

Kieselrauch (silica fume)Die carbothermische Reduktion von Quarz im elektrischen Lichtbogenofen hat zum Ziel, elementares Silicium herzu-stellen, welches wiederum als Legierungsbestandteil für Aluminiumprodukte, als Ausgangsmaterial für die Silan- und Silikonindustrie und für elektronik- und Photovoltaikan-wendungen dient.

Die einfach anmutende Reaktionsgleichung SiO2 + C = Si + CO2 ist in Wirklichkeit viel komplexer und besteht aus einer Kette von Teilreaktionen, an denen Silicumcarbid (SiC), Kohlenmonoxid (CO) und auch Siliciummonoxid (SiO) beteiligt sind [14]. Bei Reaktionstemperaturen von bis zu 2000 °C kann nicht das gesamte intermediär entstehen-de, gasförmige SiO mit der Ofencharge reagieren. ein Teil SiO entweicht aus der Reaktionszone, wird in den oberen Bereichen des offenen Ofens durch Luftsauerstoff zum SiO2 oxidiert und kondensiert in Form perfekter Kugeln. Auf-grund der hohen Kondensationsgeschwindigkeit können die Silica-Partikel kein regelmäßiges Kristallgitter bilden und liegen folglich röntgenamorph vor. Die Partikel wer-den durch membranfilter aus dem Abgasstrom entfernt und in riesigen Silos gesammelt (Abbildung 13).

Weil diese Silicapartikel aus dem Rauchgas der Schmelz-öfen gewonnen werden, hat sich für sie der englische Na-

Anwendungen für Silica-Skelette der KieselalgenWeil Silica als chemisch inert gilt und die Skelette der Kie-selalgen durch ihre Porenstruktur eine hohe Porosität und mechanische Stabilität aufweisen, eignet sich Diatomeen-erde hervorragend als Filtermaterial, sei es für Wasser,

ABB. 1 3 kieseLrAuChhersteLLung

Schematische Darstellung der Pro-duktion von amorphem Kieselrauch als Nebenprodukt der Silicium- und Ferrosiliciumherstellung im elektri-schen Lichtbogenofen. [16]

Abb. 14 Bevor Kieselrauch als Nebenprodukt der Silicium- und Ferrosilicium-produktion marktfähig wurde, wurde es einfach in die Luft geblasen. Elkem Schmelzwerk Kristiansand, Norwegen 1970.

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me „silica fume“ eingebürgert, auf deutsch „Kieselrauch“. Auch in der großtechnischen Ferrosilicium-Produktion fällt Kieselrauch an: pro Tonne produzierten Siliciums sind dies etwa 400 kg, beim Ferrosilicium entstehen ca. 200 kg Kie-selrauch pro Tonne.

Kieselrauch wurde zwischen 1910 und 1970 einfach ungefiltert in die Atmosphäre entlassen (Abbildung 14). Die hausfrauen des vorigen Jahrhunderts mussten somit auf die Windrichtung achten, wenn sie ihre Wäsche im Freien trockneten, damit sie nicht mit Kieselrauch verschmutzt wurde. Wenngleich Kieselrauch weder umwelt- noch ge-sundheitsgefährdend ist, belastet der Ausstoß von ca. 20.000 Tonnen in einem Werk durchschnittlicher Größe die Luft. ende der 1960er Jahre traten dann behördliche Auflagen zur Luftreinhaltung in Kraft, so dass die Unterneh-men Filteranlagen installieren mussten. Zuerst wurden die-se riesigen Silicamengen offen deponiert, aber nach und nach versuchte man, dieses Nebenprodukt gewinnbrin-gend zu vermarkten. Wenngleich die erste Publikation zum einsatz von Kieselrauch in Beton bereits 1952 erschien (Abbildung 15), dauerte es doch bis in die 1990er Jahre, bevor das Produkt marktreife erlangte.

Die metallurgen betrachteten Kieselrauch früher mehr als Ärgernis, da es die metallausbeute reduziert. Angesichts variierender metallpreise auf dem Weltmarkt ist er mittler-weile jedoch ein wirtschaftlich unverzichtbarer Bestandteil der Schmelzwerke.

Die offizielle CAS-Bezeichnung ist „fumes, silica“. Die orthographische Nähe zu „fumed silica“, dem pyrogenen Silica, ist deutlich und führt leicht zur Verwechslung die-ser beiden doch sehr unterschiedlichen amorphen Silica-typen.

tA B. 1 untersChieDe zwisChen kieseLrAuCh

unD synthetisChem AmOrphen siLiCA

(sAs)

Kieselrauch SaS

Primärpartikelgröße 20–1000 nm 5–20 nm

Partikelform rund Verzweigte struktur

Feinstruktur Agglomerat Aggregat

Bet-Oberfläche 15–25 m2/g 50–200 m2/g

siO2-Gehalt 85–98 % > 99 %

Abb. 15 Die erste Veröffentlichung im Journal der norwegischen Zement-vereinigung über den Gebrauch von Kieselrauch (1952). C.J. Bernhard.

Abb. 16 Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahmen von amorphem Kieselrauch (links) und synthetischer amorpher Silica (rechts).

Abb. 17 Elektronenmikroskopische Aufnahme von Kieselrauch-Partikeln (links) 50.000fache Vergrößerung. Rechts: hochaufgelöste Transmissionselektronen-mikroskopische Aufnahme einer einzelnen Kieselrauch-Kugel (800.000 fache Vergrößerung), die den amorphen Charakter der Probe zeigt.

15

16 17

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Zementreaktion: 2 Ca3SiO5 + 7 h2O → [3 CaO • 2 SiO2 • 4 H2O] + 3 Ca(Oh)2

puzzolanische 3 Ca(Oh)2 + 2 SiO2 → Reaktion: [3 CaO • 2 SiO2 • 4 H2O]

Weiterhin macht Kieselrauch durch die Reaktion mit Calci-umhydroxid den Beton sulfatresistent. Da wegen seiner ge-ringen Partikelgröße von durchschnittlich 150 nm auf ein Zementkorn etwa 100.000 Kieselrauch-Partikel kommen, wird der Beton nicht nur wasserdicht und gasdicht sondern

erhält eine besonders glatte Oberfläche, die für eine hohe erosionsbeständigkeit (z. B. in Staudämmen) sorgt. Für Bauwerke, die Salzwasser ausgesetzt sind, wie Brü-cken, Tunnel und Parkhäuser, verhindert kieselrauchhaltiger Beton das eindiffundie-ren von Chloridionen, die den Armierungs-stahl korrodieren würden. Bauwerke aus solchen Spezialbetons zeichnen sich durch besondere Langlebigkeit aus, was nicht nur finanzielle Anreize bietet, sondern auch ressourcenschonend ist [19].

Die Produktion von Zement ist mit hohen CO2-emis sionen verbunden: je nach Prozess rechnet man ca. 900 kg CO2 pro Tonne Zement [20]. Durch einsatz sekundärer Zementmaterialien wie Flug-asche, Schlacke und Kieselrauch wird der Kohlenstoff-Fußabdruck reduziert [21–22]. Dabei weist Kieselrauch wegen sei-ner hohen Puzzolanaktivität das größte Substitutionspotenzial auf [23–24].

ZusammenfassungSiliciumdioxid (Silica) ist allgegenwärtig und weist eine erstaunliche Vielfalt kristal-liner und amorpher Formen auf, die sowohl synthetischen als auch natürlichen Ur-

Sowohl hinsichtlich ihrer Genese, der physicochemi-schen eigenschaften, als auch ihres technischen Anwen-dungsbereichs weist der Kieselrauch silica fume gegenüber seinen auch als SAS (synthetische amorphe Silica) bezeich-neten Verwandten, pyrogenes und gefälltes Siliciumdioxid, deutliche Unterschiede auf (Tabelle 1).

Chemisch reines, pyrogenes SiO2 besteht nicht aus dis-kreten Primärpartikeln, sondern aus einem Kontinuum von SiO4-Tetraedern, die eine unregelmäßig verzweigte Struktur bilden. Die Aggregatgröße liegt im Bereich mehrerer 100 nm, wobei sphärische Bereiche zwischen den Sinterhälsen 5–20 nm messen (Abbil-dung 16). Demgegenüber handelt es sich beim Kieselrauch um lose und vollständig dispergierbare Agglomerate aus sphäri-schen Primärpartikeln mit einem durch-schnittlichen Durchmesser von 150 nm (Abbildung 17). Dass es sich bei diesen Kugeln in der Tat nicht um hohlkugeln handelt, lässt sich sowohl von den messun-gen der spezifischen Dichte ableiten oder noch eleganter durch elektronenenergie-verlustspektroskopie (eeLS) im Transmissi-onselektronenmikroskop (Abbildung 18).

im Gegensatz zu den vielfältigen An-wendungsgebieten der synthetischen amorphen Silicas (SAS) [17] beschränkt sich der einsatz von Kieselrauch überwie-gend auf die Bauindustrie (Abbildung 19, Tabelle 2). Schätzungen gehen von jähr-lich 1 million Tonnen aus [18], die als wertvoller Betonzuschlag weltweit ver-wendet werden.

Kieselrauch ist ein Puzzolan, was be-deutet, dass es das aus der Zementreakti-on freigewordene Calciumhydroxid bin-det und damit die als Betonkrebs gefürch-tete Alkali-Silica-Reaktion verhindert.

ABB. 18 sChiChtDiCkenmessung A n kie se LrA uCh

Messung des Schichtdickenprofils an einem amorphen Kieselrauch-Partikel durch Elektronenenergieverlust spektroskopie (EELS). Philips CM30, Gatan Image Filter.

Abb. 19 Burj Khalifa in Dubai (UAE). Beim Bau des mit 828 m höchsten Gebäu-des der Welt wurden ca. 20.000 Tonnen Kieselrauch verwendet.

Page 10: Die Vielfalt des Siliciumdioxids - uni-muenchen.de · 2019. 9. 27. · Stapelung amorpher Silicakugeln mit einem typischen Durchmesser von 250 nm beschreiben. elektronenmikros-kopische

Chem. Unserer Zeit, 2018, 52, 84–93 © 2018 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 93

SILICIUMDIOxID

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die autorenBernd Friede, Jahrgang 1968, promovierte 1999 bei Prof. Martin Jansen über amorphe Siliciumsuboxide. Seit 2000 arbeitet er bei Elkem in Norwegen als Forscher, REACH Manager und Product Stewardship Manager. Er repräsentiert Elkem im Vorstand des Siliciumkonsortiums und engagiert sich in technischen Fachgruppen verschiedener Industrieverbände (Eurosil, Euroalliages) und der ISO Silica-Arbeitsgruppe.

Eloïse Gaillou studierte Geologie in Clermont- Ferrand in Frankreich und promo-vierte 2006 in Materialwissenschaften in Nantes. Nach einem Postdoc-Aufent-halt im Smithsonian und im Carnegie Institute in Washington und 3 Jahren als Kuratorin im Naturhistorischen Museum Los Angeles ist sie seit 2015 Kuratorin im Mineralogischen Museum der Minenschule MINES Paris Tech in Paris. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt bei Schmucksteinen, insbesondere Opal und Diamant.

Korrespondenzadresse:Dr. Bernd Friede, Elkem AS, P.O. Box 8126 Vaagsbygd, 4675 Kristiansand, Norwegen.E-Mail: [email protected]

sprungs sein können. Vertreter röntgenamorpher Silicapha-sen sind die synthetisch reinen pyrogenen oder Fällungssilica, der als Schmuckstein bekannte Opal, die in riesigen Lager-stätten anfallenden Kieselalgenskelette und der als Neben-produkt der Silicium- und Ferrosilicium gewonnene Kiesel-rauch (silica fume). Alle amorphen Silicatypen beeindrucken durch ihre eigene, faszinierende Entstehungsgeschichte und mit einer Vielzahl technischer Anwendungen.

SummarySilicon dioxide (silica) is ubiquitous, and a variety of crystal-line and amorphous silica polymorphs is known. They origi-nate from both, natural and synthetic processes. Examples of silica polymorphs that are amorphous to X-rays are syn-thetically pure precipitated or fumed silica, gem opal, dia-toms that form huge deposits of their silica skeletons, and silica fume, which is collected as by-product from silicon and ferroalloy production. All of these amorphous silica poly-morphs have a fascinating origin and are used in a large number of technical applications, accordingly.

SchlagwörterSiliciumdioxid, Silica, amorph, Opal, Kieselalgen, fume, Kieselrauch

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t AB. 2 eigensChAften vOn AmOrphem kieseLrAuCh unD Die DArAus ABgeLeiteten effekte im BetOn

eigenschaft von amorphem Kieselrauch effekt in der Betonanwendung

reaktion mit Calciumhydroxid aus der Zementhydratisierung (Puzzolaneffekt)

Bildung stabiler Calciumsilicat-hydrat Phasen mit Betondruckfestigkeiten von 150 MPaVorbeugen der Alkali-silica-reaktion (Betonkrebs)sulfatresistenz

sphärische Partikelform Verbesserung der rheologischen eigenschaften (Fließfähigkeit) frischen Betons, Pumpbarkeitreduktion des Wasserbedarfs und somit schnellere Härtung und geringe rissbildung

Durchschnittliche Partikelgröße von 150 nm Dichtigkeit durch Versiegelung von Porenimpermeabilität für ChloridionenBeugt Frostsprengung vorHohe erosionsbeständigkeit durch glatte Oberfläche

Amorphizität Hohe silica-Löslichkeit (100 mg/L) beschleunigt die ZementreaktionFrühe hohe Anfangsstärke des Betons