41
Einleitung IR, UV AC für Biol./Pharm.
2. Einleitung zur Infrarot (IR)- undElektronen (UV/VIS)-Spektroskopie
Entsprechend der unten zusammengefassten Untersuchungsmethodik handelt es sich bei
der IR- und UV/VIS-Spektroskopie um das Studium der Wechselwirkung von elektro-
magnetischer Strahlung (vgl. nächste Seite) mit Materie:
~ bzw.
l
II o
Strahlungs- Monochromator Probe:quelle (Filter, Prisma, Gitter) Schichtdicke l [cm]
Konzentration c [mol l–1]
Oft sind Probe und Monochromator vertauscht (IR-Spektroskopie).
Bouguer-Lambert-Beersches Gesetz:
T = = 10 – clI
Io
A = –log = – cl = –log TI
Io
T: Durchlässigkeit, Transmission (Transmittance)
A: Extinktion (Absorbance)
ε: Molarer dekadischer Extinktionskoeffizient, bzw. als molarer Absorptionskoeffizient
insbesondere in der klinischen Chemie bezeichnet (Molar {decadic} absorption
coefficient).
42
Einleitung IR, UV AC für Biol./Pharm.
2.1. Komponenten des elektromagnetischenSpektrums - Beziehungen zwischen den Einheiten
λ ~ ν E E
[nm] [cm–1] [s–1] [kcal/mol] [J/mol]
RöntgenstrahIen 10 106 2.998 .1016 2'858 1.196.107
Fernes UV 150 66'667 1.998.1015 190.6 7.975.105
200 50'000 1.499.1015 143.0 5.981.105
Nahes UV 250 40'000 1.199.1015 114.4 4.785.105
300 33'333 9.992.1014 95.3 3.988.105
350 28'571 8.565.1014 81.7 3.418.105
400 25'000 7.494.1014 71.5 2.991.105
Sichtbar 500 20'000 5.995.1014 57.2 2.393.105
600 16'667 4.996.1014 47.7 1.994.105
700 14'286 4.282.1014 40.8 1.709.105
800 12'500 3.747.1014 35.7 1.495.105
Nahes IR 900 11'111 3.331.1014 31.8 1.329.105
1000 =1μm 10'000 2.998.1014 28.6 1.196.105
2 μm 5'000 1.499.1014 14.3 5.981.104
Mittleres IR 3 μm 3'333 9.992.1013 9.5 3.988.104
4 μm 2'500 7.494.1013 7.2 2.991.104
5 μm 2'000 5.995.1013 5.7 2.393.104
10 μm 1'000 2.998.1013 2.9 1.196.104
15 μm 667 1.998.1013 1.9 7.975.103
25 μm 400 1.199.1013 1.1 4.785.103
Fernes IR 100 μm 100 2.998.1012 0.3 1.196.103
1000 μm 10 2.998.1011 0.0 1.196.102
Mikrowellen
43
Einleitung IR, UV AC für Biol./Pharm.
2.2. Elektromagnetische Strahlung
Grundsätzlich sind Absorptions- und Emissionsprozesse möglich:
h
Absorption Emission
EE2
E1
E1, E2 : Energieniveaus der Zustände 1 bzw. 2
Bohr:h c~E = E 2 – E 1 = h = h c =
h: Planck'sche Konstante (6.626.10–34 Js)
c: Lichtgeschwindigkeit (3.108 m s–1)
Zur Charakterisierung der Strahlung können verwendet werden:
λ : Wellenlänge [nm = 10–9m] ; [μm = 10–6m]
1~ = : Wellenzahl [cm–1]
c=
: Frequenz [Hz = s–1]
ΔE = h ν : Energie [J mol–1] ; [kJ mol–1]
Der molare Extinktionskoeffizient ε bzw. die Energieaufnahme der Probe ändert als
Funktion der Wellenlänge bzw. der Energie der eingesetzten Strahlung:
= ( ) bzw. = ( )~
Es gilt : [ ] =l
mol cm Stoffmenge
Flächewobei 0 ≤ ε ≤ ~100'000
44
Einleitung IR, UV AC für Biol./Pharm.
In der Elektronenspektroskopie sind Werte von ε bis 600'000 gefunden worden:
Decamethylsapphyrin, vgl. J. Am. Chem. Soc. 105, 6429 (1983). Die obere Grenze ist
unter der Annahme ableitbar, dass die Übergangswahrscheinlichkeit (Wahrscheinlichkeit,
mit der ein auf das Molekül treffendes Photon absorbiert wird) gleich 1 ist.
2.3. Spektren
Spektren sind graphische Darstellungen vom Typ
Spektrum
Tbzw. Abzw.
bzw. log
Mass für Energie der Strahlung
λ bzw. ~ν
In der organisch-chemischen Praxis wird bei Elektronenspektren (UV/vis) die Absorbanz
gegen die Wellenlänge aufgetragen
A
[nm]
und bei IR-Spektren die Transmission gegen die Wellenzahl (von rechts)
T[%]
100
0 ~ [cm ]–1
45
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3. Infrarotspektroskopie, IR
3.1. Allgemeines, Literatur
Die Infrarotspektroskopie befasst sich mit der Wechselwirkung elektromagnetischer
Strahlung des Wellenlängenbereichs von ca. 1–1000 μm mit Materie. Durch die Infrarot-
strahlung werden Schwingungen und Rotationen der Moleküle angeregt. Die Frequenz
der absorbierten Strahlung wird mit der Struktur der untersuchten Verbindung korreliert.
Die Schwingungsfrequenzen können im Prinzip vollständig berechnet werden (Normal-
oder Eigenschwingungen). Dabei müssen grundsätzlich die Massen sämtlicher Zentren,
die Kraftkonstanten sämtlicher Bindungen sowie die Geometrie des Moleküls berücksich-
tigt werden. Der Aufwand für derartige Berechnungen mit sinnvoller Genauigkeit ist jedoch
bei grösseren Molekülen und praktisch relevanten Fällen so gross, dass man ihn heute
kaum bewältigen kann.
Zur Interpretation von Infrarotspektren bei Routineanwendungen (empirische Spektrosko-
pie) geht man deshalb heute im Allgemeinen so vor, dass man gewisse Teile des Mole-
küls unabhängig vom gesamten Molekül betrachtet. Die Schwingungsfrequenzen dieser
isoliert betrachteten Strukturelemente können empirisch ermittelt werden (Gruppenfre-
quenzen, charakteristische Frequenzen, Schlüsselfrequenzen, vgl. Tabellen im Anhang).
Für die eingesetzte Strahlung gilt:
Mittlerer IR-Bereich Einheit
Wellenlänge λ 2.5 – 25 μm 1 μm=10–6 m; 1nm=10–9 m
Wellenzahl ~ν = 1/λ 4000 – 400 cm–1 cm–1
Frequenz ν = c/λ 1.2.1014 – 1.2.1013 Hz Hz, s–1
Energie E = h ν 48 - 4.6 kJ/mol kJ/mol
eV
1 eV <=> 96.5 kJ/mol
(1 kcal <=> 4.187.103 J)
46
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.1.1. Literatur (Lehrbücher und Monographien)
– N. B. Colthup, L. H. Daly, S. E. Wiberley,
Introduction to Infrared and Raman Spectroscopy,
Academic Press, Boston, 3rd Edition, 1990.
– A. Elliott,
Infra-Red Spectra and Structure of Organic Long-Chain Polymers,
Edward Arnold (Publishers) Ltd., London, 1969.
– W. Gottwals, G. Wachter
IR-Spektroskopie für Anwender,
Wiley-VCH, Weinheim, 1997
– H. Günzler, H-U. Gremlich,
IR spectroscopy,
Wiles-VCH, Weinheim, 2002
– H. Günzler, H. M. Heise,
IR-Spektroskopie,
Verlag Chemie, Weinheim, 1996
– H. J. Hediger,
Infrarotspektroskopie, Grundlagen, Anwendungen, Interpretation,
Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main, 1971.
– J. C. Henniker,
Infrared Spectrometry of Industrial Polymers,
Academic Press, London, New York, 1967.
– D. Lin-Vien, N. B. Colthup, W. Y. Fateley, J. G. Grasselli,
The Handbook of Infrared and Raman Characteristic Frequencies of Organic Molecules,
Academic Press, Boston, 1991.
47
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
– K. Nakamoto,
Infrared and Raman Spectra of Inorganic and Coordination Compounds,
John Wiley and Sons, Inc.,New York, Chichester, Brisbane, Toronto, Singapore,
1997.
– F. S. Parker,
Infrared Spectroscopy in Biochemistry, Biology, and Medicine,
Plenum Press, New York, 1971.
– S. Pinchas, I. Laulicht,
Infrared Spectra of Labelled Compounds,
Academic Press, London, New York, 1971.
– G. Socrates,
Infrared Characteristic Group Frequencies,
John Wiley & Sons, Chichester, New York, Brisbane, Toronto, 1980.
– H. Volkman,
Handbuch der Infrarot-Spektroskopie,
Verlag Chemie GmbH, Weinheim, 1972.
– H. Weitkamp, R. Barth,
Einführung in die quantitative Infrarot-Spektrophotometrie,
Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1976.
48
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.1.2. Literatur (Datensammlungen)
– D. Dolphin, A. Wick,
tabulation of infrared spectral data,
Wiley-interscience, New York, 1977
– D. Hummel & F. Scholl,
Infrared Analysis of Polymers, Resins and Additives, an Atlas, Vol. I,
John Wiley & Sons, London, New York, Sydney, Toronto, 1969.
– IUPAC, Commission on Molecular Structure and Spectroscopy,
A. R. H. Cole,
Tables of Wavenumbers for the Calibration of Infrared-Spectrometers (sec. ed.),
Pergamon Press, Oxford, New York, Toronto, Sydney, Paris, Frankfurt, 1977.
– Sadtler Standard Spectra, Infrared
Sadtler Research Laboratories, Philadelphia.
– B. Schrader,
Raman/ Infrared Atlas of Organic Compounds (sec. ed.),
VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim, 1989.
– The Aldrich Library of Infrared Spectra,
Charles J. Pouchert,
Aldrich Chem. Co., Inc., 1984.
– J. Weidlein, V. Müller & K. Dehnicke,
Schwingungsfrequenzen I, Hauptgruppenelemente,
Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1981.
– J. Weidlein, V. Müller & K. Dehnicke,
Schwingungsfrequenzen II, Nebengruppenelemente,
Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1986.
49
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.2. Aufnahmetechnik
Die Aufnahme von Infrarotspektren kann so erfolgen, dass die Probe mit infrarotem Licht
bestrahlt und bei jeder Wellenlänge das Verhältnis (T) der Intensitäten des austretenden
und einfallenden Strahls untersucht wird.
Die in Abhängigkeit der Wellenlänge (Wellenzahl) registrierte Durchlässigkeit als Mass für
die Energieaufnahme der Probe ergibt das Infrarotspektrum:
T[%]
100
0 ~ [cm ]–1
Grundsätzlich können Proben beliebiger Aggregatszustände infrarotspektroskopisch
untersucht werden. Zur Aufnahme von IR-Spektren fanden früher in der organisch-
chemischen Praxis verbreitet Zweistrahlgeräte Verwendung. Dabei wird die zur An-
regung dienende Strahlung in zwei energetisch und geometrisch-optisch möglichst
gleichartige Strahlengänge aufgeteilt. In den einen (Messstrahl, Messkanal) wird die zu
untersuchende Probe (z.B. Küvette mit Lösungsmittel und Probe) eingebracht. Der
zweite (Referenz oder Vergleichsstrahl bzw. -kanal) enthält eine geeignete Referenz
(z.B. Küvette mit Lösungsmittel). Die durch die Probe bedingte zusätzliche Absorption
von IR-Strahlung im Messkanal kann dann durch Vergleichsmessung unmittelbar
bestimmt werden. Dadurch wird die durch Küvette und Lösungsmittel bedingte
Absorption während der Messung kompensiert. Dies ist ein grosser Vorteil gegenüber
Einstrahlgeräten, bei denen für Probe und Referenz zwei getrennte Messungen erfolgen
müssen. Die Kompensation des Hintergrundes geschieht in diesem Fall nachträglich rein
rechnerisch. Zweistrahlgeräte haben aber den Nachteil, dass sie mit einem
Monochromator betrieben werden müssen. Von der Lichtquelle wird dadurch zu einem
bestimmten Zeitpunkt nur ein kleiner Teil verwendet, was zu langen Messzeiten oder
schlechtem Signal/Rausch-Verhältnis führt. Heute werden daher in der IR-Spektroskopie
fast nur noch Fourier-Transformations-Spektrometer eingesetzt, bei denen während der
Messung der ganze Spektralbereich der Lichtquelle gebraucht wird. Es handelt sich
allerdings um Einstrahlgeräte.
50
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.2.1. Prinzip der Fourier-Spektroskopie
Das Kernstück eines Fourier-Transformations-Spektrometers ist ein Interferometer. Das
Prinzip eines Michelson-Interferometers ist unten dargestellt.
A Infrarot-StrahlungsquelleB Kollimator-SpiegelC Strahlteiler mit KompensatorD Beweglicher SpiegelD Fester SpiegelF Fokussierender SpiegelG Rad für Spektrel- oder GraufilterH Detektor
C
D
E
A
H
G
B
F
Das zu untersuchende Licht der Punktquelle (A) wird über einen Kollimatorspiegel (B) zu
einem parallelen Lichtstrahl gebündelt. Der Strahlteiler (C) ist im Wesentlichen ein
halbdurchlässiger Spiegel, der die Hälfte des Lichtes reflektiert und die andere Hälfte
passieren lässt. (Dies geschieht allerdings nur, wenn keine Interferenzeffekte auftreten.)
Der reflektierte und durchgelassene Strahl werden an Planspiegeln (D) und (E) total
reflektiert und treffen erneut auf den Strahlteiler. Ein Teil des Lichtes wird zum Kollimator–
spiegel (F) und von dort in den Detektor (H) geleitet, der andere Teil wird zur Strahlungs-
quelle zurück geschickt. Der Spiegel (D) ist beweglich. Das Interferogramm wird aufge-
nommen, indem die Intensität im Detektor gemessen wird, während sich der Spiegel
bewegt. Durch Interferenzeffekte gelangt je nach spektraler Zusammensetzung der
Strahlung mehr oder weniger Licht in den Detektor.
51
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
A Fourier-Transformation des Infrarot-InterferogrammsB Endergebnis: das Infrarot-Spektrum
B( ) =– ∞-∞
V( ) e dA2 i–
100
%T
04000 3000 2000 1600 1200 800 400
Wellenzahl (cm )–1
B
A Infrarot-InterferogrammB Laser-Interferogramm (Trigger-Signal)
optische Wegdifferenz
Intensität V( )
Start der Datenerfassung A
B
Signal für dieAufnahme desersten Messwertes
Das Interferogramm kann, ausser in Spezialfällen, nicht sinnvoll interpretiert werden. Durch
die mathematische Operation der Fourier-Transformation kann daraus aber das Spektrum
der Lichtquelle berechnet werden. Von den Spektren der Probe und der Referenz wird
erst in dieser Form das Verhältnis gebildet.
3.2.2. Präparationstechniken für Routine-IR-Aufnahmen
Die zu untersuchende Substanz muss in irgend einer Form in den Strahlengang des
Spektrometers gebracht werden. Dafür gibt es verschiedene Präparationstechniken, die
im Folgenden besprochen werden. Das IR-Spektrum wird im Allgemeinen im Bereich
von 4000–400 cm–1 aufgenommen. Es gibt wenige Materialien, die in diesem Spektral-
bereich transparent sind. Man verwendet hauptsächlich anorganische Salze wie Alkali-
halogenide. Am meisten werden NaCl und KBr verwendet. Diese Materialien haben
schlechte mechanische Eigenschaften und dürfen wegen ihrer Wasserlöslichkeit nicht mit
Feuchtigkeit in Kontakt kommen. KBr ist zudem hygroskopisch und muss auch vor Luft-
feuchtigkeit geschützt werden.
52
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Lösung
Eine der gängigsten Präparationstechniken ist eine Lösung in CHCl3 oder einem anderen
Lösungsmittel. Viele organische Substanzen lösen sich in CHCl3 oder sind als Flüssig-
keiten mit CHCl3 in jedem Verhältnis mischbar. Die Konzentration beträgt typischerweise
einige Prozent. Es gibt spezielle Zellen, die NaCl- oder KBr-Platten als Fenstermaterial in
einem bestimmten Abstand aufweisen. Die Schichtdicke beträgt meist 0.1 mm. Mehr als
1 mm hat keinen Sinn, da sonst eine Kompensation nicht mehr möglich ist (vgl. S. T18
und T19). Man benötigt eine Substanzmenge von 1–5 mg. Die Methode hat den
Vorteil, dass die Probemoleküle in Lösung voneinander separiert sind und einander
dadurch wenig stören. Die im Anhang für verschiedene funktionelle Gruppen
zusammengestellten Frequenz-Tabellen sind weitgehend in apolaren Lösungsmitteln
ermittelt worden. Als Nachteil der Methode ist anzusehen, dass im Spektrum
Sperrgebiete auftreten, in denen eine Kompensation nicht möglich ist, weil das
Lösungsmittel praktisch alle Strahlung absorbiert (siehe weiter unten). Falls wichtige
Banden in Sperrgebiete zu liegen kommen, kann man sich durch ein zusätzliches
Experiment mit einem anderen Lösungsmittel wie CCl4 oder CS2 behelfen, die ihre
Sperrgebiete bei anderen Wellenlängen haben.
Flüssigkeitsfilm
Schwerflüchtige flüssige Proben können zwischen zwei Platten aus NaCl oder KBr als
dünner Film in den Strahlengang gebracht werden. Die Schichtdicke lässt sich kontrollieren,
wenn eine Kunststoffmaske definierter Dicke zusätzlich zwischen die Platten gebracht wird.
es werden 5–10 mg Substanz gebraucht. Die Methode hat den Vorteil, dass keine
Sperrgebiete auftreten. Es kann aber vorkommen, dass die Probemoleküle stark mitein-
ander wechselwirken und z. B. intermolekulare Wasserstoffbrücken bilden, die, im Ver-
gleich zur Präparationstechnik der Lösung, zu charakteristischen Bandenverbreiterungen
und allenfalls zu zusätzlichen Banden führen. Leichtflüchtige Substanzen können in spe-
ziellen geschlossenen Zellen untersucht werden. Dazu sind Probemengen von 5–50 mg
erforderlich.
Presslinge
Etwa 1 mg Festsubstanz wird mit 300–700 mg KBr in einem Mörser innig zerrieben. Das
entstehende Pulver wird in einer Presse bei ca. 15 Tonnen/cm2 zu einer Pille gepresst.
Diese kann in einer Halterung in den Strahlengang gebracht werden. Die
Referenzposition bleibt leer. Man erhält also das Spektrum der Probe mit jenem des
Einbettungsmaterials überlagert. KBr ist weitgehend durchsichtig im ganzen interes-
sierenden Bereich. Da es aber hygroskopisch ist, können die Banden von Wasser
auftreten (vgl. S. T20). Die Technik des Presslings eignet sich für Proben, die in keinem
Lösungsmittel genügend löslich sind. Oft handelt es sich um sehr polare Verbindungen,
53
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
für die prinzipiell kein geeignetes Lösungsmittel existiert. Bei Presslingen ergeben sich
die gleichen Schwierigkeiten wie beim Flüssigkeitsfilm. Die Moleküle können im
Kristallverband starke intermolekulare Wechselwirkungen eingehen. Erschwerend kommt
noch dazu, dass auch das sehr polare KBr mit der Probe stark interagieren kann.
Gegenüber anderen Aufnahmetechniken können sich Lage und Form von Banden
ändern. Wenn sich die Brechungsindices von Substanz und KBr stark unterscheiden, kann
der Christiansen-Effekt auftreten, der sich in Verzerrungen von Banden bemerkbar macht.
Der Effekt kann allenfalls vermindert werden, wenn das Pulver im Mörser so fein wie
möglich zerrieben wird. Presslinge eignen sich prinzipiell nicht für harzartige und
hygroskopische Substanzen.
Suspensionen
Einige mg Festsubstanz werden mit der doppelten Menge eines Suspensionsmittels
vermischt. Meistens wird Nujol (Paraffinöl) verwendet. Das gut gemischte Material wird
zwischen zwei Platten aus NaCl oder KBr gegeben und in einer Halterung in den
Strahlengang gebracht. Die Referenzposition bleibt leer. Genau wie bei den Presslingen
erhält man eine Überlagerung der Spektren von Probe und Suspensionsmittel. Das Nujol
zeigt starke Absorptionen in den Bereichen des Spektrums, die auf die Gegenwart von
Kohlenwasserstoffumgebungen zurückzuführen sind. Da organische Substanzen in fast
allen Fällen C–H-Umgebungen aufweisen, zeigen sie ebenfalls Banden in diesem
Bereich, der damit diagnostisch nicht sehr wertvoll ist. Die Überlagerung mit dem Nujol-
spektrum führt also nicht zu einem grossen Verlust an Information. Das Nujolspektrum
findet man im Anhang auf S. T20. Es stehen auch alternative Suspensionsmittel zur
Verfügung, die keine Banden im Bereich der CH-Schwingungen aufweisen (Fluorolube,
vgl. S. T20). Da das Probenmaterial als Festkörper vorliegt, können sich wiederum starke
Interaktionen zwischen Probemolekülen im Kristallverband ergeben. Suspensionen
eignen sich prinzipiell nicht für harzartige und hygroskopische Substanzen.
Gaszellen
Für gasförmize Proben gibt es Zellen mit Fenstern aus NaCl oder KBr, die eine Schicht-
dicke von 50–10000 mm aufweisen. Sehr lange Zellen werden für Gase unter vermin-
dertem Druck verwendet. Die Spektren von gasförmigen Substanzen unterscheiden sich
von jenen in Flüssigkeiten und Festkörpern. Da die Moleküle in der Gasphase voneinan-
der getrennt sind, stören sie einander sehr wenig. Die Spektren zeigen daher eine Vielfalt
von Banden, die von Übergängen stammen, an denen auch Rotationen beteiligt sind. In
kondensierter Phase gibt es diese Übergänge zwar auch, sie sind infolge Bandenver-
breiterung aber nicht aufgelöst. Ein typisches Gasspektrum von H2O und CO2 findet man
im Anhang.
54
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.2.3. Artefakte
In Wellenlängenbereichen starker Absorption durch das Lösungsmittel kann der Unter-
grund durch die Referenz nicht sinnvoll kompensiert werden. Es treten sogenannte
Sperrgebiete auf, in welchen eine Interpretation der Spektren kaum möglich ist. Diese
Gebiete sind für ein gegebenes Lösungsmittel von der Schichtdicke abhängig. Bei Zwei-
strahlgeräten reagiert die Elektronik, wenn ein Sperrgebiet erreicht wird. Das Signal wird
bei jenem Absorptionswert belassen, der als letztes noch gut gemessen werden konnte.
Nachdem das Sperrgebiet verlassen ist, springt das Signal auf den aktuellen Wert.
Sperrgebiete lassen sich daher meist durch horizontal verlaufende, besonders rausch-
arme Zonen im Spektrum erkennen. Da das Spektrum von grösseren zu kleineren
Wellenzahlen aufgenommen wird, zeigt das Ende des Sperrgebiets bei kleineren
Wellenzahlen eine scharfe Kante. Dabei handelt es sich um ein Artefakt. Man verwechsle
Sperrgebiete nicht mit Banden. Bei Einstrahlgeräten wird die Kompensation nach der
Aufnahme der Spektren von Probe und Referenz durchgeführt. In den Sperrgebieten
sind die berechneten Werte erratisch. Es ist nicht definiert, wie ein derartiges Spektrum
dargestellt werden soll. Oft wird das Verhalten des Zweistrahlgerätes imitiert. Im Anhang
sind für einige Lösungsmittel die Sperrgebiete wiedergegeben. Man beachte insbeson-
dere das Spektrum von CHCl3 bei einer Schichtdicke von 0.2 mm auf S. T18. Wie sich
Sperrgebiete in einem Spektrum äussern, ist aus folgenden Beispielen ersichtlich:
Die beiden starken Banden des CHCl3 bei 1220 und 750 cm–1 erkennt man durch
horizontale, strukturlose Linien, wobei die vertikale Lage zufällig ist.
100
80
60
40
20
0
[%]
4000 3000 2000 1500 1000 500[cm ]–1
55
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
100
80
60
40
20
0
[%]
4000 3000 2000 1500 1000 500[cm ]–1
100
80
60
40
20
0
[%]
4000 3000 2000 1500 1000 500[cm ]–1
Bei der Präparation der Probe können Verunreinigungen auftreten. Es gibt Labortische,
die mit einer leicht rauhen Glasplatte als Arbeitsfläche versehen sind. Diese Oberfläche
verleitet leicht, die Probe mit dem KBr zur Herstellung eines Presslings auf der Glasplatte
zu zerreiben. Sie lässt sich anschliessend problemlos reinigen. Auf diese Weise können
aber Glaspartikel in die Probe gelangen. Auf S. T21 findet sich ein Spektrum von KBr,
das mit Glas verunreinigt ist. Man verwende für das Mischen von Probe und Einbettungs-
material einen Achatmörser. Die Verwendung von Papiertüchlein zur Reinigung des
Materials ist zu vermeiden. Es können leicht Zellulosefussel in die Probe gelangen, die
charakterischtische Banden im IR-Spektrum zeigen. Besser ist die Reinigung mit einem
Hirschleder, das keine Fussel abgibt. Abrasive Oberflächen wie Porzellanmörser dürfen
damit aber nicht gereinigt werden, da sonst Lederpartikel in der Probe erscheinen können.
Es kann vorkommen, dass nur sehr wenig Probematerial zur Aufnahme der Spektren zur
Verfügung steht. In so einem Fall wird man zuerst die besonders informationsreichen
NMR-Spektren aufnehmen. Dabei kann es sein, dass Tetramethylsilan zur Bestimmung
des Skalennullpunktes zugegeben wurde. Wenn eine solche Probe zur anschliessenden
Aufnahme eines IR-Spektrums aufgearbeitet wird, können Spuren von Tetramethylsilan
56
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
zurückbleiben und charakteristische Banden hinterlassen. Man findet das Spektrum von
Tetramethylsilan auf S. T22.
Es sollten immer gut gepaarte Lösungsmittelzellen verwendet werden, die mit grosser
Genauigkeit die gleiche Schichtdicke haben. Geschieht dies nicht, ist die Kompensation
ungenügend oder es findet eine Überkompensation statt. Das Lösungsmittel ist dann im
Spektrum in Form von positiven oder negativen Banden sichtbar. Für das Beispiel
CHCl3 siehe S. T23.
Das häufig verwendete Lösungsmittel CHCl3 ist nicht stabil. Unter Einfluss von Licht und
Luftsauerstoff kann sich Phosgen und HCl bilden. Man findet das entsprechende
Spektrum auf S. T22. Im Allgemeinen wirken sich kleine Mengen an diesen Verunreini-
gungen nicht aus, da die Banden mithilfe der Referenz kompensiert werden. Falls aber
die Kompensation unzureichend ist, können die Banden in Erscheinung treten.
Zur Stabilisierung des Chloroforms wird meist etwas Ethanol zugegeben, das charakte-
ristische Banden im Spektrum zeigt (vgl. S. T22). Dieses Material darf als Lösungsmittel
für die IR-Spektroskopie nicht verwendet werden.
H2O und CO2 in der Luft führen zu den sogenannten atmosphärischen Banden (vgl. S.
T23). Im Allgemeinen werden sie problemlos kompensiert. Man kann den Probenraum
bei einigen Spektrometern auch mit trockener Luft oder Stickstoff spülen. Speziell beim
Einsatz von Einstrahlgeräten kann es vorkommen, dass die Kompensation nicht korrekt
erfolgt, dann können die atmosphärischen Banden im Spektrum sichtbar sein (vgl. S.
T23). Atemluft enthält grosse Mengen an CO2. Das Bedienungspersonal sollte bei der
Aufnahme von Spektren darauf achten, die Atemluft nicht in den Strahlengang zu blasen.
Besonders beim Einsatz von Einstrahlgeräten können sonst die (positiven oder negati-
ven) Banden von CO2 auftreten.
Die Anwesenheit von Probemolekülen in einem Lösungsmittel kann Banden des
Lösungsmittels leicht verschieben. Dadurch können Schwierigkeiten mit der Kompensa-
tion auftreten. Im folgenden Beispiel ist eine Bande des Chloroforms nicht sauber kom-
pensiert, was zu einem scharfen negativen Signal führt.
57
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
100
80
60
40
20
0
4000 3000 2000 1500 1000 500[cm ]–1
[%]
Sind die Brechungsindices der Probe und des KBr sehr unterschiedlich, kann bei der
Technik des Presslings der so genannte Christiansen-Effekt auftreten. Die Banden
werden asymmetrisch deformiert und zeigen eine ausgeprägte Flanke gegen kleinere
Wellenzahlen. Die Nulllinie ist praktisch nirgends mehr horizontal.
Man kann als einzige Massnahme die Korngrösse von Probe und KBr verkleinern, indem
das Gemisch im Mörser intensiv zerrieben wird. Der Effekt lässt sich dadurch reduzieren
58
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
aber nicht immer eliminieren. Im folgenden Beispiel ist die Massnahme erfolgreich. Das
Spektrum (a) zeigt einen leichten Christiansen-Effekt, der im Spektrum (b) nicht mehr
erkennbar ist. Man beachte den Verlust an Details, den der Effekt mit sich bringt.
(a)
3000 2000 1500 1000 900 800 700
4 6 8 10 12 14 μm
cm –1
3000 2000 1500 1000 900 800 700
4 6 8 10 12 14 μm
cm –1
(b)
3.3. Harmonischer Oszillator
Als einfaches Modell für die Beschreibung von Schwingungen in einem Molekül kann der
harmonische Oszillator herangezogen werden. Der zweiatomige harmonische Oszillator
vermag dabei unter gewissen Voraussetzungen nützliche Auskunft über die Streck-
schwingung einzelner Bindungen in mehratomigen Molekeln zu geben. Mit seiner Hilfe
kann gelegentlich abgeschätzt werden, wie die Änderung der Geometrie eines Moleküls
59
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
oder die Einführung eines Substituenten in das Molekül die Schwingungsfrequenzen
einzelner Gruppen beeinflusst.
In einem harmonischen Oszillator ist der Betrag der rücktreibenden Kraft F der Auslenkung
aus der Ruhelage (Δr) proportional, die Proportionalitätskonstante k ist die so genannte
Kraftkonstante:
r 0 Δr
m1 m2F = – k . Δr
Entsprechend der klassischen Mechanik ist die Energie E eines harmonischen Oszillators
von k und Δr abhängig:
E =k2
r2
r
r 0Atomabstand
E
Dabei können r und E beliebige Werte annehmen.
Die Schwingungsfrequenz ν des harmonischen Oszillators ist von seiner Energie und von
Δr unabhängig:
=1
2k
=1
2k
c~
μ ist die so genannte reduzierte Masse
1=
1m1
+1m2
=m1 + m2
m1 m2.
μ =m1 m2
m1+ m2
.
60
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Nach der Quantenmechanik kann die Energie eines harmonischen Oszillators nur
bestimmte Werte annehmen, d. h. sie ist gequantelt:
~Ev = h c v
12
= h v12
Dabei sind: v: Schwingungsquantenzahl, v = 0,1,2,...
ν: Schwingungsfrequenz~: Schwingungswellenzahl
h
hh
Atomabstandr 0
E0
E1
E2
E3
Ev
Zwischen den einzelnen Energieniveaus Ei und Ek werden dann Übergänge induziert,
wenn das System mit elektromagnetischer Strahlung der Frequenz νe bestrahlt wird.
e =E
i– E
k
h=
Eh
Beispiel: Übergang zwischen E0 (v = 0) und E1 (v = 1)
e =Ei – Ek
h=
hh
1 +12
–hh
0 +12
=
Frequenz der elektromagnetischen Schwingungsfrequenz des
Strahlung harmonischen Oszillators
Grundsätzlich könnten dann Übergänge induziert werden, wenn die Frequenz der
elektromagnetischen Strahlung νe ein ganzzahliges Vielfaches der Schwingungsfrequenz
des harmonischen Oszillators (ν) ist:
νe = ν, 2ν, 3ν , ...
61
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Nach den Auswahlregeln sind jedoch bei harmonischen Oszillatoren nur Übergänge zwi-
schen benachbarten Energieniveaus erlaubt (Δv = ±1); die Frequenz der elektro-
magnetischen Strahlung νe muss dann gleich gross sein wie die Schwingungsfrequenz
des harmonischen Oszillators ν, d. h. νe = ν.
In realen Molekülen gibt es vorwiegend anharmonische Oszillatoren:
E0
E1
E2
E3 EDED: Dissoziationsenergie
: Nullpunktsenergie
Atomabstand
E0
r 0
Ev
Die Energieniveaus sind dabei nicht mehr äquidistant, und es sind auch Übergänge
zwischen nicht benachbarten Energieniveaus möglich:
Δv νe (Frequenz der elektro- Schwingung
magnetischen Strahlung)± 1 ν Grundschwingung, Grundton
± 2 ~2ν
± 3 ~3νObertöne, Oberschwingungen
Die Intensität der Obertöne ist meistens viel kleiner als die der Grundschwingungen. In
der Praxis können auch noch so genannte Kombinationsschwingungen (Kombi-
nationstöne) auftreten. Eine Kombinationsschwingung der beiden Grundschwingungen ν1
und ν2 hat die Frequenz νkomb = ν1 + ν2 oder νkomb = ν1 – ν2.
Mit dem Modell des harmonischen Oszillators
=1
2k
c~
kann nun die Schwingungswellenzahl einzelner Strukturelemente abgeschätzt werden.
Dabei wird folgende Zahlenwertgleichung verwendet:
2914 k* 1m1
1m2
~
62
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Dabei sind: m1 und m2: Relative Atommassen (Atommasseneinheiten)
k* : Modifizierte Kraftkonstante (dimensionslos)
Das Resultat wird dabei in cm–1 erhalten.
Die ungefähren Werte für k* für einzelne Bindungen sind:
Einfachbindung k* ≈ 1
Doppelbindung k* ≈ 2
Dreifachbindung k* ≈ 3
Falls eine C–H-Streckschwingung durch einen vom restlichen Molekül unabhängigen
zweiatomigen harmonischen Oszillator beschrieben werden könnte, ergäbe sich als C–H-
Streckschwingungswellenzahl:
2914 111
112
3033 cm–1~
In der folgenden Tabelle sind analog abgeschätzte und experimentelle Streckschwin-
gungswellenzahlen für einige Strukturelemente angegeben:
Hypothetisches zwei- ~ [cm–1]
atomiges Molekül abgeschätzt experimentell
C–H 3033 2700–3300
C–C 1189 ca. 1000
C=C 1682 1550–1700
(Alkene : 1600–1680)
C=O 1574 1550–1900
C≡C 2060 2100–2260
C≡N 1985 2210–2260
Mithilfe des harmonischen Oszillators lässt sich beispielsweise auch der Effekt einer
konjugierten Doppelbindung auf die C=O-Streckschwingung rationalisieren:
O O
1720 cm–1 (CCl4) 1685 cm–1 (CCl4)
63
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Durch die Konjugation der Carbonylgruppe mit der Doppelbindung (Delokalisation)
nimmt der Doppelbindungscharakter der C=O Bindung ab. Dementsprechend nimmt k*
und somit auch ~ν ab. Experimentell ist die Schwingungswellenzahl von α,ß-ungesättigten
Carbonylverbindungen um ca. 10–40 cm–1 niedriger als die der entsprechenden ge-
sättigten Verbindungen.
3.3.1. Gekoppelte Schwingungssysteme
Streng genommen darf in Molekülen kein Strukturelement als isolierter Oszillator
betrachtet werden. Die einzelnen Oszillatoren treten immer in Wechselwirkung mit
benachbarten Oszillatoren; sie sind gekoppelt. Die Stärke der Kopplung kann durch eine
Kraftkonstante k' charakterisiert werden.
k'- - - - - - - - - -
~1
~2
Die Kopplung zweier Oszillatoren nach dem oben angegebenen Schema verursacht
eine Abstossung der Frequenz (Resonanzabstossung), d. h. die grössere Frequenz
nimmt zu und die kleinere nimmt ab.
gekoppeltungekoppelt
k' ≠ 0k' = 0
~2
~2'
~1
~1'
~
Der Einfluss ist umso grösser, je grösser k' und je kleiner ~ = ~
2 – ~1 ist. Er ist be-
sonders gross, wenn ~ = 0 ist. Einen Extremfall stellt CO2 dar, bei dem k' unendlich ist:
O = C C = O
identisch
→ ←
sy ~1340 cm–1
as ~2350 cm–1
→ ← →
64
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Die Anzahl Schwingungsfreiheitsgrade eines N-atomigen Moleküls ist:
3 N – 5 für lineare Moleküle
3 N – 6 für nichtlineare Moleküle
Dementsprechend hat CO2 3.3 – 5 = 4 Schwingungsfreiheitsgrade.
Zwei Schwingungen sind zweifach entartete Deformationsschwingungen vom Typ:
↑ ↑
667 cm–1
↓
667 cm–1
In primären Aminen sind infolge der Kopplung der beiden N–H-Oszillatoren mindestens
zwei N–H-Streckschwingungsfrequenzen beobachtbar:
R N
H
H
R
N
R'
H
Doppelbande einfache Bande
3500–3300 cm–1
3.3.2. Winkelabhängigkeit der Kopplung
Die Stärke der Kopplung zweier Oszillatoren ist winkelabhängig. Sie ist gross, wenn der
Winkel zwischen den beiden Oszillatoren 180o beträgt und ist null bei einem Winkel von
90o. Beispiel: Kopplung von C–C mit C=O Oszillatoren; die Wellenzahl der C=O-
Streckschwingung ist angegeben.
O~135°
O~124°
O O
1775 cm–1 1751 cm–1 1718 cm–1 1706 cm–1 (CCl4)
65
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
O
O
O
O
O
O
~1840 cm–1 ~1770 cm–1 ~1735 cm–1 (CCl4)β-Lactone γ-Lactone δ-Lactone
O
O
O
O
~1800 cm–1 1750–1760 cm–1
1715–1740 cm–1
β-γ-ungesättigte γ-Lactone β-γ-ungesättigte δ-Lactone
Die Bandenlage wird ebenfalls durch das Lösungsmittel und eventuelle Substitution des
Ringsystems beeinflusst.
In einem vielatomigen Molekül sind prinzipiell alle Oszillatoren irgendwie miteinander
gekoppelt. Für jeden Schwingungsfreiheitsgrad gibt es eine so genannte Normalschwin-
gung. Dabei bewegen sich im Allgemeinen alle Kerne des Moleküls. Sie bewegen sich
gleichzeitig durch die Ruhelage und erreichen gleichzeitig die maximalen Auslenkungen.
Dabei kann es aber ohne weiteres vorkommen, dass sich bei einer Normalschwingung
nur wenige Kerne mit einer wesentlichen Amplitude bewegen. Dies ist z. B. bei den
oben erwähnten N–H-Streckschwingungen der Fall.
3.4. Fermi-Resonanz
Ab und zu tritt ein Effekt auf, der mit dem Modell des harmonischen Oszillators nicht
verstanden werden kann, der aber diagnostisch sehr wertvoll sein kann: die so genannte
Fermi-Resonanz, benannt nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi. Hat der Oberton
einer Schwingung zufälligerweise die gleiche Frequenz wie eine andere (Grund-)Schwin-
gung, dann kann die Bande der Grundschwingung aufspalten. Es muss mindestens ein
Atom geben, das an beiden Schwingungen nennenswert beteiligt ist, sonst wird der
Effekt nicht beobachtet. Es gibt funktionelle Gruppen, die prinzipiell eine Fermi-Resonanz
zeigen. Ein Beispiel sind Aldehyde, bei denen die Bande der C–H-Streckschwingung
66
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
der Aldehydgruppe aufspaltet (siehe interpretierte Beispiele). Eine andere funktionelle
Gruppe, die durch Fermi-Resonanz erkannt werden kann, ist Acetylen. Die sehr scharfe
Bande der C≡C-Streckschwingung der C–C≡C–H-Gruppe spaltet in ein Dublett auf,
wobei aber alle vier Atome in der Gruppe vorhanden sein müssen. Steht ein Hetero-
atom anstelle des C-Atoms, tritt keine Fermi-Resonanz auf.
3.5. Schwingungsformen
Die wichtigsten Schwingungsformen sind:
Schwingungs- Valenz- (Streck-) Deformationsschwingung Torsionsschwingung
form schwingung in der aus der
Ebene Ebene (o.o.p.)
Darstellung
––
–
+
– +
bei mindenstens
n Bindungen 1 2 3 3
(+ und - bedeuten Bewegungen senkrecht zur Zeichenebene)
Für ein System vom Typ –AX2 (z.B. –CH2– , –NH2 ) sind die Schwingungsbewegun-
gen:
3.5.1. Valenzschwingung (Streckschwingung)
Schwingung entlang der Bindung der beteiligten Atome.
Für die CH2-Gruppe z. B. :
C
H H
C
H H
Symmetrische Valenzschwingung Asymmetrische Valenzschwingung
~2850 cm–1 ~2930 cm–1
67
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.5.2. Deformationsschwingungen
Schwingungen quer zur Bindung der beteiligten Atome
Für die CH2-Gruppe z. B.:
C
H H
C
H H
Scherenschwingung Pendelschwingung
(Spreizschwingung, scissoring (rocking vibration ) ~720 cm–1
vibration ) ~1465 cm–1
C
H H+ +
C
H H+ –
Kippschwingung Drillschwingung
(wagging vibration) (twisting vibration)
1180–1350 cm–1 1180–1350 cm–1
(+ und - bedeuten Bewegungen senkrecht zur Zeichenebene)
3.6 Intensität und Schärfe einer Bande
Die Schwingungsübergänge sind prinzipiell von Rotationsübergängen begleitet. Wird
das Molekül also in Schwingung versetzt, dann wird auch sein Rotationszustand geändert.
Dabei kann die Rotation beschleunigt oder verlangsamt werden. Dies führt zu vielen
Banden, die nahe beieinanderliegen. Bei Gasphasen-Spektren können die Übergänge
oft getrennt beobachtet werden, da sich die Moleküle in der Gasphase sehr wenig
beeinflussen. Für die Strukturaufklärung sind aber Gasphasen-Spektren nicht geeignet. In
einem Lösungsmittel ist die Rotation gehindert, was unter anderem zu Bandenverbrei-
terungen führt. Die Banden sind daher im Allgemeinen nicht aufgelöst. Man sieht stattdes-
sen nur die Hüllkurve. Dies führt zu einer minimalen Bandenbreite für einen vibratorischen
Übergang. Auf S. 81 wird ein IR-Spektrum gezeigt, das ausschliesslich scharfe Banden
aufweist. Es vermittelt einen Eindruck, was unter minimaler Bandenbreite zu verstehen ist.
Man kann sich die elektromagnetische Strahlung als einen elektrischen Taktgeber vor-
stellen. Wenn die Frequenz der Strahlung mit der Eigenfrequenz eines Moleküls überein-
68
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
stimmt, kann die Schwingung möglicherweise angeregt werden. Dazu braucht es aber
noch eine Ansatzstelle im Molekül, an der die Strahlung sozusagen den Hebel ansetzen
kann. Eine Schwingung ist dann IR-aktiv, wenn während des Schwingungsvorgangs das
Molekül sein Dipolmoment ändert. Ist dies für eine Schwingung nicht der Fall, kann sie
durch Einstrahlen von infrarotem Licht nicht angeregt werden. Die Intensität einer Bande ist
proportional zum Quadrat der Änderung des Dipolmomentes.
3.6.1 Einfluss der Symmetrie
Die C=C- bzw. N=N-Streckschwingungen der folgenden Moleküle sind IR-inaktiv (R
steht für irgend einen Substituenten, wobei alle R gleich sind).
C C CC
R
R
R
R
R
RH
H
NN
Die Moleküle sind alle in einer Art symmetrisch, dass sie kein Dipolmoment haben.
Während der Schwingung der Doppelbindung bleibt die Symmetrie erhalten, das
Dipolmoment bleibt also ebenfalls null.
Asymmetrische Substitution
ergibt wieder IR-Aktivität:
N
N
X
Substituent X Isomerie ~ [cm–1]
H trans 1419
cis 1511
OH trans 1416
NH2 trans 1418
N(CH3)2 trans 1410
Die N=N-Streckschwingung ergibt auch bei asymmetrischer Substitution eine Bande von
nur geringer Intensität.
Der Fall einer IR-inaktiven C=C-Streckschwingung sei anhand eines Beispiels erläutert.
Wählt man für den Substituenten R die COOH-Gruppe, so erhält man im Fall einer trans-
substituierten C=C-Doppelbindung (obiges Bild Mitte) die Fumarsäure:
69
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
0
0.2
0.4
0.6
0.8
14 008 001 2001 6002 0002 4002 8003 2003 6004 000
O
O
HOOH
Die cis-substituierte Verbindung heisst Maleinsäure:
0
0.2
0.4
0.6
0.8
14 008 001 2001 6002 0002 4002 8003 2003 6004 000
HO OHOO
Die beiden Dicarbonsäuren haben sehr ähnliche Strukturen. Die Spektren zeigen
dennoch einige markante Unterschiede. Die Moleküle von Fumarsäure sind im
Wesentlichen planar. Dies gilt nicht für die Maleinsäure. So wie das Molekül gezeichnet
ist, kann es sich nicht anordnen. Die beiden O-Atome der C=O-Gruppen kämen sich viel
zu nah. O-Atome sind elektrisch negativ polarisiert und stossen einander ab. Eine planare
Anordnung ist also nicht möglich. Dadurch wird die mögliche Symmetrie gebrochen. Im
Spektrum der Maleinsäure findet man alle Banden, die zu den vorhandenen funktionellen
Gruppen gehören. Im Spektrum der Fumarsäure fehlt hingegen die prominente Bande
bei 1600 cm–1. Sie gehört zur Streckschwingung der C=C-Gruppe. Die planare
Fumarsäure hat kein Dipolmoment. Da die Symmetrie während der Schwingung erhalten
bleibt, ändert sich das Dipolmoment nicht. Infrarote Strahlung kann demnach die
Schwingung nicht anregen.
70
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.6.2. Einfluss von Konzentration und Temperatur
Lage, Intensität und Form der Banden können von der Konzentration der Probe im
Lösungsmittel und von der Temperatur abhängen. Der Bereich der O–H- und N–H-
Streckschwingungen ist besonders anfällig auf Veränderungen von Konzentration und
Temperatur, wie im Folgenden anhand eines Beispiels gezeigt wird.
Zwischen zwei Benzylalkoholmolekülen kann sich eine Wasserstoffbrücke bilden.
O H
OH
Die Stärke der Bindung hängt von der Orientierung der Moleküle zueinander und von
ihrem Abstand ab. Die Bindung ist nicht stark genug, um längere Zeit zu bestehen. Die
Bindungsstärke ändert sich mit der Bewegung der Moleküle dauernd, bis die Bindung
schliesslich bricht. Wenn das H-Atom des linken Moleküls an einer O–H-Streckschwin-
gung beteiligt ist, hängt die Schwingungsfrequenz nicht nur von der ursprünglichen O–H-
Bindungsstärke ab, sondern dazu noch von der Stärke und Richtung der H-Brücken-
bindung. Die resultierende Energie für die Anregung der Schwingung ändert sich dauernd.
Je stärker die H-Brücke ist, desto tiefer ist die resultierende Kraftkonstante. Damit ändert
sich auch die Wellenlänge oder Wellenzahl der Strahlung, mit der die Schwingung
angeregt werden kann. In einer makroskopischen Menge Material befinden sich immer
genügend Dimere in jeder möglichen Anordnung. Könnte man die Moleküle in eine ganz
bestimmte Konformation bringen, würden im Spektrum scharfe Linien erscheinen. Eine
andere Konformation würde ebenfalls zu scharfen Banden aber an einer anderen Position
führen. Die Änderungen der Konformation sind langsam im Vergleich zu einer vollen
Schwingung. Das Spektrometer registriert daher von jeder Konformation ein eigenes
Spektrum. Die Überlagerung aller Spektren dieses Konformerengemisches führt zur Ban-
denverbreiterung. Die Intensität der Bande in Abhängigkeit von der Wellenzahl gibt im
Wesentlichen die Verteilung der Konzentrationen bei den verschiedenen totalen Bin-
dungsstärken an. Die Bande kann im Fall der O–H- und N–H-Streckschwingungen sehr
breit werden.
Ein gewisser Anteil der Moleküle bildet keine H-Brücken aus. Die Frequenz der ent-
sprechenden O–H-Streckschwingung richtet sich dann nach der Stärke der O–H-Bindung.
Diese ist für alle Moleküle gleich. Daher findet man bei der entsprechenden Wellenzahl
eine zweite, recht scharfe Bande. Sie gehört zur freien O–H-Streckschwingung.
71
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
0
0.5
1.0
3700 310033003500 cm–1
A
~
f
e
d
c
b
a 0
0.5
1.0
3700 310033003500~
cm–1
A
62°
51°
33°
24°
16°
A B
A) Benzylalkohol in CCl4 bei verschiedener Konzentration und konstanter Temperatur:
a) 0.0486 M b) 0.0972 M c) 0.155 M d) 0.194 M e) 0.243 M
f) 0.278 M
B) 0.24 M Benzylalkohol in CCl4 bei verschiedener Temperatur
Betrachtet man nun in obiger Figur den Fall A, also die Änderung der Konzentration, so
erkennt man die Bande der freien O–H-Streckschwingung bei etwa 3600 cm–1 und die
Bande der assoziierten Moleküle. Die Intensität beider Banden nimmt mit der Konzentra-
tion zu, was nicht weiter erstaunlich ist. Die Intensität der Bande der freien O–H-Streck-
schwingung wächst etwa proportional mit der Konzentration. Das ist zu erwarten. Die
Bande der Assoziate hingegen wächst mit zunehmender Konzentration überproportional
schnell an. Damit sich H-Brücken ausbilden können, müssen sich zuerst zwei Moleküle
treffen. Bei kleiner Konzentration geschieht dies sehr selten (a). Die entsprechende
Bande ist nur andeutungsweise vorhanden. Bei der grössten Konzentration (f) ist sie
stärker als die Bande der freien Streckschwingung. Es ändert sich aber nicht nur die
Intensität der Bande, sondern auch die Lage des Maximums. Das lässt den Schluss zu,
dass die mittlere Stärke der H-Brücken mit der Konzentration zunimmt. Dies gilt beson-
ders bei kleinen Konzentrationen. Die Lage der anderen Bande ändert sich dagegen
nicht. Das ist auch nicht zu erwarten, da die für die Bande verantwortlichen Moleküle
ungestört sind. Sie spüren also die Anwesenheit anderer Moleküle nicht.
72
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Im Fall B wird die Temperatur einer Lösung konstanter Konzentration verändert. Die
Bande der Assoziate reagiert mit zunehmender Temperatur ähnlich wie vorher bei
abnehmender Konzentration. Die Bande wird weniger intensiv und das Maximum
verschiebt sich nach grösseren Wellenzahlen. Bei zunehmender Temperatur wird es
durch die grössere Brown'sche Bewegung zusehends schwieriger, gute H-Brücken zu
bilden. Zudem nimmt die Zahl der Dimere durch die immer heftigeren Stösse ab.
Allgemein lässt sich festhalten, dass H-Brücken und andere dauernd wechselnde, wenig
definierte molekulare Umgebungen zu breiten Banden führen. Bei einem halbstarren
System hingegen, wie es etwa ein Benzolring darstellt, führt jede Auslenkung eines
Atomkerns aus der Ruhelage zu einer definierten rücktreibenden Kraft, die den Kern zur
Ruhelage zurückzieht. Schwingungen eines derartigen Systems führen zu scharfen Ban-
den, da die Frequenzen der Schwingungen wohldefiniert sind. Die Gerüstschwingungen
des Benzolringes liegen bei einer Vielfalt von Substitutionen bei den Wellenzahlen
1600, 1580, 1500 und 1450 cm–1. Die Abweichungen von diesen Basiswerten
betragen im Allgemeinen höchstens 20 cm–1. Die Intensität der Banden schwankt
allerdings sehr stark (siehe interpretierte Beispiele).
3.7. Allgemeine Hinweise zur Spektreninterpretation
Nur in den seltensten Fällen sehr einfacher Moleküle ist es möglich, alle Banden zuzu-
ordnen. Im Gebiet unterhalb von etwa 1350 cm–1 (Fingerprint-Gebiet) ergeben sich im
Allgemeinen besonders grosse Zuordnungsschwierigkeiten, so dass eine Interpretation
im Zweifel besser unterbleibt. Man sucht allenfalls aufgrund einer Hypothese nach
intensiven Banden. Der Grund dafür wird im Folgenden anhand eines Beispiels erläutert.
Auf der nächsten Seite sind Strukturformeln und Spektren zweier cis/trans-Isomere darge-
stellt. Die Spektren wurden als CHCl3-Lösung aufgenommen, wobei die Aufnahmebe-
dingungen möglichst ähnlich gewählt wurden. Die Strukturen weisen eine grosse Ähnlich-
keit auf. Es stellt sich die Frage, inwieweit das auch für die Spektren gilt.
73
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
O
O
H
OH
O
O
H OH
74
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Betrachtet man den Bereich oberhalb von 1500 cm–1, stellt man praktisch eine Deckungs-
gleichheit fest. Von 1500 cm–1 bis 1200 cm–1 gibt es Unterschiede in der Lage, Intensität
und Form der Banden. Die zueinander gehörigen Banden lassen sich aber klar identifizie-
ren. Unterhalb von 1200 cm–1 ist auch dies nicht mehr garantiert. Man findet qualitative
Unterschiede in den Spektren. Wie lässt sich dieses Verhalten verstehen?
Der Bandenkomplex bei etwa 3000 cm–1 gehört zu den C–H-Streckschwingungen, die
Banden bei höheren Wellenzahlen zu den O–H-Streckschwingungen. Bei den entspre-
chenden Normalschwingungen bewegen sich nur sehr wenige Kerne, im Wesentlichen
die H-Atome. Der Rest des Moleküls bewegt sich minimal. Das gilt für die entsprechen-
den Schwingungen in beiden Molekülen. So ist es nicht erstaunlich, dass die beiden
Schwingungsfrequenzen, Intensitäten und Bandenformen praktisch übereinstimmen.
Betrachtet man die beiden Strukturen aus der Sicht des Benzolrings, so befindet sich der
Unterschied in den Molekülen in grosser Distanz. Die H-Atome am Ring kümmern sich
nicht um die relative Lage der entfernten Substituenten. Daher sind die Spektren im
Bereich der C–H-Streckschwingungen des Benzolringes deckungsgleich. Dies gilt auch
noch für den Bereich der Gerüstschwingungen des Benzolringes. Die teilweise wenig
intensiven Banden bei 1600, 1500 und 1450 cm–1 ändern Lage, Intensität und Form
nicht. Gleiches gilt natürlich auch umgekehrt. Die OH-Gruppe kann auf die grosse Distanz
nicht auf die unterschiedlichen Positionen des Benzolringes schliessen. Daher ist auch der
Bereich der OH-Streckschwingungen in beiden Spektren deckungsgleich.
Die Banden zwischen 1500 und 1200 cm–1 lassen sich nicht ohne weiteres einer funktio-
nellen Gruppe zuordnen. Daher lässt sich auch nicht entscheiden, woher die Unterschiede
stammen. Bei den noch gemächlicheren Schwingungen ist vollends unklar, wie sich die
Moleküle bei der Schwingung bewegen. Hier bewegen sich viele oder alle Kerne des
Moleküls mit nennenswerter Amplitude. Nun kann es auch nicht erstaunen, dass der
Unterschied im Molekül eine grosse Rolle spielt. Die Banden, die zu molekülübergreifen-
den Schwingungen gehören, können prinzipiell nicht interpretiert werden. Die Schwingun-
gen sind charakteristisch für das ganze Molekül, nicht für kleine Teile davon. Daher nennt
man den Bereich unterhalb von 1350 cm–1 Fingerprint-Bereich. Die Banden sind wie ein
Fingerabdruck des Moleküls. Dieser Bereich ist sehr nützlich für die Identifikation eines
Spektrums in einer Datenbank.
Arbeitshypothesen, die aufgrund der Anwesenheit einer Bande aufgestellt werden, sind
unbedingt zu überprüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anwesenheit einer
Bande ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium für das Vorhandensein einer
bestimmten Atomgruppierung des untersuchten Moleküls mit Grundschwingung in die-
sem Bereich ist. Die Abwesenheit einer Bande ist dagegen ein Beweis für das Nichtvor-
handensein der betreffenden Atomgruppierung.
75
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
Es ist angezeigt, vor der Interpretation von Infrarotspektren die Aufnahmebedingungen
zu überprüfen. Dabei soll darauf geachtet werden, dass Suspensionsmittel ausser den
durch das Suspensionsmittel als solches bedingten Banden auch Signale aufweisen
können, die auf Verunreinigungen zurückzuführen sind. Für solche Störsignale sowie
Sperrgebiete siehe Anhang.
76
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
3.8. Interpretierte Beispielspektren
OH
Flüssigkeitsfilm
3600 O–Hst frei (Schulter)
3400 O–Hst assoziiert
3090 C–Hst H
H
~2950 C–Hst aliphatisch
1840 Oberton von 920
1710 vermutlich Verunreinigung durch Carbonylverbindung (C=Ost)
1640 C=Cst
1740–1560 O–Hdef breit, schwach
14551410 C–Hdef1370
920 C–Hdef H
H
+
+ out of plane
77
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
H
Flüssigkeitsfilm
3320 C≡C–Hst
~2900 C–Hst
2120 C≡Cst
~1700 C=Ost durch Verunreinigung mit Carbonylverbindung
14701440 C–Hdef1380
720 C–Hdef rocking
Alkine addieren leicht H2O und ergeben Carbonylverbindungen, die wegen der grossen
Intensität der C=O-Streckschwingungsbande schon in kleinen Konzentrationen sichtbar
sind:
H R
H OH
H R
O
R
H
H R
HO O
H R
H O2+
Keton
Aldehyd
78
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
O
N
H
H
in CHCl3 Schichtdicke 0.1 mm
3520 N–Hst asymmetrisch
3410 N–Hst symmetrisch
~3200 N–Hst assoziiert
~3000 C–Hst
19451870 Kombinations- und Oberschwingungen Aromat (Benzolfinger)1810
1680 Amid I hauptsächlich C=Ost mit etwas N–Hdef
1590 Amid II hauptsächlich N–Hdef mit etwas C=Ost
1500 Gerüstschwingung Aromat
1450 scharf: Gerüstschwingung Aromat
1450 breit: C–Hdef
1380 C–Hdef
79
Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
O
Cl
ClFlüssigkeitsfilm
3500 vermutlich O–Hst durch Carbonsäure als Verunreinigung
3100 C–Hst
1920 vermutlich Kombinationsschwingung 1200 + 720
17801810 C=Ost aufgespalten durch Fermi-Resonanz
15901490 Gerüstschwingungen Aromat
875 C–C=Odef
Fermi-Resonanz:
Die Frequenz der Carbonylschwingung liegt bei 1750, wird dort aber vom Oberton der
Deformationsschwingung bei 875 (2x875=1750) überlagert. Dadurch spaltet die Bande
der Carbonylschwingung auf. Der beobachtete Effekt ist nicht typisch für Säurechloride, ist
also diagnostisch von geringem Wert.
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Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
O
HO
OH
Oin CHCl3 Schichtdicke 0.1 mm
3500 O–Hst frei
3400–2200 O–Hst assoziiert
2970 C–Hst
1710 C=Ost
14701420 C–Hdef1360
930 C–O–Hdef out of plane in Dimer
RO
O
H
H OR
O
Die Bande bei 930 tritt nur auf, wenn sich Dimere bilden können, da es sonst für die
Auslenkung aus der Ebene keine rücktreibende Kraft gibt. Wenn die Konzentration in
CHCl3 sehr klein ist, verschwindet die Bande. Beim vorliegenden Molekül handelt es sich
um eine Dicarbonsäure, die intramolekulare H-Brücken bilden kann. Daher ist die Bande in
jedem Fall sichtbar.
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Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
SHF
in CHCl3
3000 C–Hst
2580 S–Hst
18701750 Kombinations- und Oberschwingungen Aromat (Benzolfinger)1630
16001500 Gerüstschwingungen Aromat
11601100 vermutlich C–Fst
In diesem Spektrum gibt es nur scharfe Banden. Jede Auslenkung eines Kerns aus der
Ruhelage führt zu einer starken rücktreibenden Kraft (abgesehen von der SH-Gruppe).
Die Oszillatoren sind also klar definiert, ihre Frequenzen ebenso. Die
Normalschwingungen haben demnach ebenfalls wohldefinierte Frequenzen.
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Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
CN
N
O
O+
–
in CHCl3
31003020 C–Hst
2900 Kombinationsschwingung 1540+1360
2240 C≡Nst
197019201800 Kombinations- und Oberschwingungen Aromat (Benzolfinger)17501620
1480 Gerüstschwingungen Aromat, kombiniert mit Schwingungen der1430 Nitrogruppe
-1540 N=Ost asymmetrisch
1360 N=Ost symmetrisch
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Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.
OH
O
O
Flüssigkeitsfilm
3600–3300 Verunreinigung: O–Hst in Carbonsäure
3100–2900 C–Hst2820
2720 C–Hst der Aldehydgruppe, aufgespalten durch Fermi-Resonanz
1740 C=Ost
16001500 Gerüstschwingungen Aromat1460
1420 C–Hdef
1370 C–Hdef der Aldehydgruppe
Fermi-Resonanz:
Die Frequenz der C–H-Streckschwingung liegt bei 2760, wird dort aber vom Oberton
der Deformationsschwingung bei 1370 (2x1370=2740) überlagert. Dadurch spaltet die
Bande der Streckschwingung auf. Der Effekt ist von hohem diagnostischem Wert, da er
für Aldehyde typisch ist. Es ist allerdings wichtig, dass die Carbonylgruppe wirklich an ein
C-Atom gebunden ist, sonst tritt der Effekt nicht auf. Ameisensäureester und Formamide
zeigen keine Fermi-Resonanz.
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Infrarotspektroskopie AC für Biol./Pharm.