Ein Beispiel für ein in Teilen zeitweise sehr problematisches Großprojekt ist die
Entwicklung des Airbus A380.
Der Airbus A380 ist das zur Zeit größte in Serienfertigung produzierte zivile
Verkehrsflugzeug der Welt. Es handelt sich beim A380 um das erste
Großraumflugzeug mit zwei durchgängigen Passagierdecks, auf denen maximal 853
Passagiere Platz finden. Neben der Erhöhung der Passagierzahlen sollten die
spezifischen Betriebskosten des Flugzeuges pro Kilometer und Person soweit
gesenkt werden, dass der A380 im Vergleich zu anderen Flugzeugen mit um 15%
geringeren Kosten betrieben werden kann. Diese zentrale Forderung stellte die
Entwickler vor neue Herausforderungen. Die Ziele konnten nur durch den Einsatz
fortschrittlicher Werkstoffe und neuartigen Bauweisen erreicht werden. Nach
Unternehmensangaben betrugen die Entwicklungskosten in den acht Jahren
zwischen 2000 und 2007 insgesamt zwölf Milliarden Euro.
Airbus gab am 13. Juni 2006 bekannt, dass die A380-Auslieferungen wegen
Problemen mit der Kabinenelektronik um sechs bis acht Monate verschoben werden
müssten. Die Probleme lagen unter anderem an uneinheitlichen CAD-
Entwicklungsumgebungen, die eine umfangreiche Konvertierung der Daten per Hand
erforderte. Am 3. Oktober 2006 gab Airbus bekannt, dass sich die Auslieferung der
ersten Maschinen im Schnitt um ein weiteres Jahr aufgrund von Problemen mit der
Verkabelung verzögern werde. Gemäß dem neuen Auslieferungsplan wurde die erste
Maschine am 15. Oktober 2007 an Singapore Airlines übergeben. 2007 sollte somit
nur eine A380 an einen Kunden übergeben werden, gefolgt von 13 im Jahr 2008 und
25 im Jahr 2009. 2010 sollten 45 Maschinen an die Kunden übergeben werden und
erstmals ein operativer Gewinn bei der A380-Produktion verzeichnet werden. Nach
aktuellem Stand (Dezember 2011) wurden bislang insgesamt 243 Maschinen bestellt
und 63 fertige Maschinen ausgeliefert.
Die Abbildung stellt den Verlauf von drei parallel laufenden Projekten A, B und C in
einem KMU der elektrotechnischen Industrie dar. Die Datenerfassung bei dem
betrachteten Unternehmen erfolgt auf ungewöhnliche Art und Weise: sämtliche
Tätigkeiten werden durch die Mitarbeiter mit einem lückenlosen
Selbstaufschreibungsverfahren dokumentiert. Für jeden Auftrag wird ein Laufzettel
erstellt, auf dem die einzelnen Aufgaben aufgeführt und mit einem Barcode versehen
werden. Mittels eines Barcodescanners buchen die Mitarbeiter Beginn und Ende
sämtlicher Aufgabenbearbeitungen. Werden nicht-projektspezifische Aufgaben
bearbeitet, wird dies gesondert gebucht. Pausen und Fehlzeiten müssen ebenfalls
gebucht werden. Somit kann lückenlos festgestellt werden, wann und wie lange ein
Mitarbeiter welche Aufgaben für welche Entwicklungsprojekte bearbeitet hat und
wann diese fertig gestellt wurden.
Die Daten zeigen, dass eine sehr große Parallelität in der Aufgabenbearbeitung
vorherrscht. So zeigt sich, dass ab einem Fertigstellungsgrad von ca. 40% die
Konzepterstellung von Projekt A zeitweilig unterbrochen wird und zunächst mit der
auf dem bisherigen Konzept beruhenden Schaltplanerstellung für Projekt A begonnen
wird. Ist diese zu ca. 30% abgeschlossen, so fließen die hierbei gesammelten
Erfahrungen in die weitere Konzepterstellung ein; diese wird nun zunächst
weiterbearbeitet. Zusätzlich beginnt der Mitarbeiter mit der Layouterstellung auf Basis
der bisherigen Ergebnisse. Es zeigt sich, dass die Konzepterstellung für Projekt A
immer wieder bearbeitet wird, sie begleitet die gesamte Projektlaufzeit. Neben den
parallel ablaufenden Aufgaben existieren aber auch Vorgänger-Nachfolger-
Beziehungen. So wird die Prototyperstellung von Projekt A erst begonnen, wenn
sowohl die Schaltplanerstellung als auch die Layouterstellung abgeschlossen
wurden, allerdings erfolgt die Konzepterstellung auch hier weiter parallel. Die Struktur
der Projektlandschaft ist also vielfältig und komplex und kann nur mit Hilfe
weiterführender Modellierungsmethoden beschrieben werden.
Die Globalisierung schafft sowohl für Großunternehmen als auch KMU neue
Herausforderungen für die Entwicklung neuer Produkte. Um wettbewerbsfähig zu
bleiben, müssen qualitativ hochwertige Produkte in immer kürzeren Zyklen und zu
einem wettbewerbsfähigen Preis auf den Markt kommen. Hierdurch entstehen
Probleme, die durch ein wirkungsvolles Projektmanagement behoben werden
müssen. Zu diesen Problemen zählen:
• Zeitdruck durch kürzere Entwicklungszyklen
• Kostendruck durch internationale Konkurrenz
• parallele Projektbearbeitung, da sich auslaufende Projekte häufig schon mit neuen
Projekten überlappen
• Einsatz der Mitarbeiter in mehreren Projekten gleichzeitig
• weltweite räumliche Verteilung der Mitarbeiter
• dadurch: Ressourcenkonflikte (Betriebsmittel aber auch Personen)
Da herkömmliche Prozess-Modellierungssprachen das Management solch komplexer
Projekte nur ungenügend unterstützen, sind andere Modellierungsansätze
erforderlich. In dieser Vorlesungseinheit werden die
• Grundlagen dynamischer Design Structure Matrizen (DSM) nochmals kurz
wiederholt und die
• Work Transformation Matrix (WTM) mit ihren Erweiterungen als neuer Ansatz zur
Modellierung von Produktentwicklungsprojekten vorgestellt.
Die Design Structure Matrix (DSM), auch Dependency Structure Matrix genannt,
beschreibt den Zusammenhang der Informationsflüsse sowie weiterer
Abhängigkeiten zwischen einzelnen Aktivitäten in einem Arbeitsprozess. Diese
Methode wird angewendet, um komplexe Zusammenhänge in der
Produktentwicklung oder Projektplanung darzustellen. Durch die matrixbasierte
Darstellungsform können alle Elemente eines Systems hinsichtlich ihrer Abhängigkeit
und des Grads der Abhängigkeit (z.B. mit Hilfe von Zahlen anstelle der dargestellten
Punkte) bewertet werden. Daraus können Aussagen abgeleitet werden, welche
Aktivitäten nötig sind, um eine Aktivität zu starten.
Des Weiteren zeigt die Abbildung der Relationen auf, welche Informationen durch
eine Aktivität erzeugt werden. Durch ein Lesen der Matrix in Spaltenrichtung kann
identifiziert werden, welches Element bzw. welche Elemente von einer Aktivität
beeinflusst werden. Lesen in Zeilenrichtung zeigt, von welchen anderen Elementen
eine Aktivität abhängig ist. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die
Aktivitäten in der Reihenfolge in die DSM eingetragen werden, in der sie während der
Prozessdurchführung bearbeitet werden. D.h. die in der Abbildung dargestellten
Aktivitäten werden i.d.R. der Reihe nach beginnend bei Aktivität 1 bearbeitet.
Die DSM ermöglicht es, den Projektablauf zu verbessern,
Informationsabhängigkeiten zu visualisieren und ein gemeinsames Verständnis von
Abhängigkeiten zu entwickeln. Die Methode kann somit einen wesentlichen Beitrag
zur Prozessoptimierung leisten.
Aus den in der Design Structure Matrix dargestellten Informationsabhängigkeiten
können Prozesse abgeleitet werden, um damit den Projektablauf zu planen und zu
steuern. Der in der DSM darstellbare Grad der Informationsabhängigkeit geht dabei
im Flussdiagramm verloren.
Im obigen Beispiel hängt Aktivität 1 von keiner weiteren Aktivität ab und ist damit die
Startaktivität. Aktivität 2 benötigt Informationen aus Aktivität 1 und aus Aktivität 5.
Aktivität 3 und Aktivität 4 laufen entweder simultan oder alternativ ab. Bei geringer
Verfügbarkeit von Personal oder Einsatzmitteln kann auch eine sequentielle
Bearbeitung erforderlich sein. Darüber wird in der DSM keine Aussage gemacht.
Aktivität 5 benötigt Informationen aus den Aktivitäten 3, 4 und 6 und wirkt zusammen
mit Aktivität 4 auf die Aktivität 6, so dass Aktivitäten 5 und 6 gekoppelt ablaufen.
Die Abbildung zeigt eine Anwendung der DSM-Methode im Entwicklungsprozess
einer Gasturbinenschaufel der Firma ABB.
Aufgrund der extrem hohen technischen Anforderungen an die Gasturbinenschaufeln
ist deren Entwicklung ein aufwändiger und stark gekoppelter Prozess, der mehrere
Spezialisten aus unterschiedlichen technischen Bereichen einbezieht. Um die
Integration des Prozesses zu erhöhen, wurde bei ABB ein Projekt ins Leben gerufen,
um den Ist-Zustand des Entwicklungsprozesses zu ermitteln und anschließend
Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Abbildung 1 zeigt den ermittelten Ist-Zustand. In Abbildung 2 wurde der Ist-Zustand in
eine DSM transformiert. Der Hauptprozess wird in die drei Sub-Prozesse
aerodynamic design, mechanical design und verifying mechanical integrity unterteilt.
Grund für diese Unterteilung ist, dass die Aktivitäten in diesen Sub-Prozessen von
Ingenieuren unterschiedlicher Abteilungen ausgeführt werden, deren Aufgabenfelder
hoch spezialisiert sind (Strömungsmechanik, Strukturmechanik etc.). Die Aktivitäten
innerhalb dieser Sub-Prozesse sind stark gekoppelt.
Einen besonderen Stellenwert nehmen Aktivitäten ein, die gegenseitig von einander
abhängig sind. Nach Abb. 1 ist sowohl ein Informationsfluss von Aktivität A zu
Aktivität B notwendig, als auch ein Informationsfluss von B zu A. Durch diese
gegenseitige Abhängigkeit kommt es zu Iterationen, Aktivitäten müssen also –
zumindest teilweise – erneut bearbeitet werden, da bei der vorherigen Bearbeitung
nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung standen. Diese Iterationen
führen dazu, dass Aktivitäten nach der Bearbeitung einen weiteren
Bearbeitungsaufwand haben, dieser Zusatzarbeitsaufwand ist durch die Darstellung
der Aktivitäten-Abhängigkeiten in Form der WTM berechenbar.
Die WTM enthält eine genauere Angabe der Abhängigkeiten der einzelnen
Aktivitäten als die DSM. Die Matrix aus Abbildung 1 ist folgendermaßen zu lesen:
• Auf der Hauptdiagonalen sind die Aktivitätendauern angegeben, die sich ergeben
würden, wenn keine Abhängigkeiten zwischen den Aktivitäten bestehen würden,
also wenn alle Elemente, die sich nicht auf der Hauptdiagonalen befinden Null
betragen. Hierbei wird eine einheitliche Zeitskala mit bestimmter Zeiteinheit [ZE]
verwendet.
• Die Fertigstellung von Aktivität A bedingt einen Nachbearbeitungsbedarf für die
Aktivitäten B und C. Aktivität B muss zu 40% (0,4) neu bearbeitet werden, während
für die Bearbeitung der Aktivität C ein Nachbearbeitungsbedarf von 30% (0,3)
besteht.
• Gleichzeitig verursacht aber auch die Bearbeitung von Aktivität B einen
Nachbearbeitungsbedarf für die Aktivitäten A, C und D. So muss Aktivität A zu 20%
erneut bearbeitet werden, Aktivität C zu 10% und Aktivität D zu 20%.
• Auch die Aktivitäten C und D bedingen jeweils einen Nachbearbeitungsbedarf für
alle Aktivitäten, so dass sich ein komplexes Abhängigkeitsgefüge und daraus
abgeleitete Nachbearbeitungsaufwände ergeben.
Die erste Zeitschicht t = 0 kennzeichnet den Projekt- bzw. Prozessbeginn. Es wird
angenommen, dass zu Beginn jede Aktivität noch vollständig bearbeitet werden
muss. Allerdings können dem Vektor auch nichtnegative Werte kleiner eins
zugewiesen werden. Dadurch können zeitweise oder vollständig parallel zu
bearbeitenden Aktivitäten modelliert werden.
Der Vektor U gibt den kumulierten Arbeitsaufwand für eine Aktivität (in Vielfachen der
Originaldauer) wieder, der durch die gegenseitige Abhängigkeit der Aktivitäten
resultiert. Er wird durch die Summierung der einzelnen Arbeitsaufwände für die
einzelnen Iterationsstufen berechnet.
Konvergiert der kumulierte Arbeitsaufwand für T gegen unendlich (T ), so kann
der Gesamtaufwand der Einzelaktivitäten U nach T Iterationsschritten in Form einer
geschlossenen Lösung auf Basis der Neumann- oder Neumann‘schen Reihe
berechnet werden.
Ein Beispiel für die Konstruktion einer neuen Digitalkamera veranschaulicht die
Möglichkeiten der WTM. Es wird nur der vollständig abhängige Teil der WTM
betrachtet, da es sich hierbei um den interessanten Teil der Produktentwicklung
handelt. Durch die gegenseitigen Abhängigkeiten werden Iterationen erzeugt, die für
eine Verlängerung der Projektdauer sorgen und deren Auswirkungen aufgrund der
gegenseitigen Abhängigkeiten nur schwer vorhersagbar sind.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass nach der einmaligen Bearbeitung aller
Aktivitäten noch ein großer Zusatzarbeitsaufwand bei allen vier Aktivitäten durch die
Wechselwirkungen besteht, insbesondere Aktivität 2 und 3 sind erst zu 10%
fertiggestellt. Erst nach ca. 15 Iterationsstufen ist für alle vier Aktivitäten ein
Zusatzarbeitsaufwand erreicht, der 1% unterschreitet.
Die WTM bietet eine weitere interessante Möglichkeit. So ist mit Hilfe der WTM die
Konvergenz bzw. Divergenz des modellierten Projektverlaufs berechenbar und somit
ein Scheitern des Projekts schon im Vorfeld erkennbar und durch geeignete
Maßnahmen zu verhindern.
Berechnung der Eigenwerte einer 2x2 Matrix:
Berechnung der Eigenwerte einen 3x3 Matrix nach der Regel von Sarrus
(siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Regel_von_Sarrus):
+ + + – – –
bcaddc
ba
)det( MM
bdiafhcegcdhbfgaei
ihg
fed
cba
)det( MM
hg
ed
ba
ihg
fed
cba
hg
ed
ba
ihg
fed
cba
0027,019,0
0)](19,0[027,0
0]2,05,0)()(3,01,03,0)(2,0[1,05,03,02,03,02,0
0)det(
1,02,0
5,0
2,0
1,02,0
0,35,0
0,32,0
!3
!3
!3
!
0
IA
Huberman & Wilkinson (2005) beseitigen durch ein erweitertes Modell insbesondere
die Annahme, dass alle Aktivitäten in jeder Stufe vollständig bearbeitet werden,
wodurch eine deutlich realistischere Abbildung erzielt wird. Die Elemente auf der
Hauptdiagonalen der erweiterten WTM sind folgendermaßen zu interpretieren:
• Nach Ablauf einer Zeiteinheit sind in Aktivität A noch 94% (0,94) des
Arbeitsaufwandes der vorherigen Stufe zu investieren, wenn keine Abhängigkeiten
unter den Aktivitäten bestehen, für Aktivität B sind noch 87% zu investieren.
• Beispiel (a11=0,94; a12=0; a21=0; a22=0,87):
Bearbeitungsdauer zum Zeitpunkt 0:
D10=10 Tage; D20=5 Tage
Nach einer Zeitschicht ergeben sich folgende Bearbeitungsaufwände:
D11=9,40 Tage; D21=4,35 Tage
Nach zwei weiteren Zeitschichten:
D12=8,84 Tage; D22=3,78 Tage
D13=8,31 Tage; D23=3,29 Tage
usw.
In diesen numerischen Beispielen ist zu beachten, dass im Unterschied zur WTM die
Elemente auf der Hauptdiagonalen stets größer Null sind.
In den Beispielen konvergieren die Projekte, denn der Maximalwert des Betrags der
Eigenwerte ist jeweils kleiner als Eins. Falls ein Projekt divergieren sollte, so würde
der verbleibende Aufwand über alle Grenzen ansteigen (siehe zweites Beispiel auf
nachfolgender Folie). In diesem Fall müssten das Projekt und die Abhängigkeiten
zwischen den Aktivitäten neu konzipiert bzw. umgestaltet werden.
Selbst für den Fall, dass ein Projekt konvergiert, ist theoretisch eine unbegrenzte
Anzahl an Iterationen notwendig, um den Zustand zu erreichen, in dem der
verbleibende Aufwand aller Aktivitäten exakt Null ist. Deshalb wird ein
Abbruchkriterium definiert [0;1], das das Erreichen des Projektabschlusses
anzeigt. Das Projekt gilt als abgeschlossen, wenn für alle Aufgaben der verbleibende
Aufwand kleiner 8 ist.
Es wird deutlich, welche Auswirkung die gegenseitige Abhängigkeit der Aktivitäten
hat. Während in der linken Abbildung das Abbruchkriterium bereits nach ca. 58
Wochen erreicht wird, wird es in der rechten Abbildung aufgrund der auftretenden
gegenseitigen Abhängigkeit der Aktivitäten und der damit verbundene verbleibende
Aufwand erst nach ca. 64 Wochen erreicht.
Der Verlauf des Arbeitsaufwands stellt bei der Oszillation für Aufgabe 2 ab Woche 15
natürlich keinen realistischen Verlauf dar, da der verbleibende Aufwand keine
negativen Werte annehmen kann.
Die WTM und auch die erweiterte WTM sind in der Praxis nicht genau bestimmbar.
So treten in nahezu jedem Projekt unvorhergesehene Störungen auf, die im Vorfeld
nicht zu erkennen und abzuschätzen waren. Diese Störungen lassen sich durch die
Einführung eines stochastischen Faktors integrieren, indem eine Zufallsvariable t in
die Zustandsgleichung des Projekts eingefügt wird. Hierdurch werden zeitliche
Fluktuationen des Fortschritts von Aktivitäten im Laufe der Projektdurchführung
abgebildet. Es wird angenommen, dass die Störungen additiv wirken und somit
(multi-)normalverteilt sind. Die Störungen sind jedoch auf lange Sicht
„unsystematisch“ und haben daher für jede Aufgabe im statistischen Mittel den Wert
0. Die Standardabweichungen σ der Zufallswerte für Aufgabe i werden in der
Hauptdiagonalen σii der sog. Kovarianzmatrix C angegeben.
Die Abbildung stellt die Arbeitsaufwände für zwei Aufgaben eines realen
Produktentwicklungsprojekts über einem Zeitraum von 50 Wochen dar. Die
Projektdaten wurden in einem mittelständischen Unternehmen der
elektrotechnischen Industrie erhoben (siehe Folie 7-4). Der reale Projektverlauf und
der auf Basis der stochastischen, erweiterten WTM basierende simulierte
Projektverlauf werden einander gegenüber gestellt. Mit Hilfe einer Monte-Carlo-
Simulation wurden 100 unabhängige Simulationsläufe durchgeführt. Der dabei der
Simulation zugrundeliegende Fehler (Standardabweichung) wird durch 95%
Konfidenzintervalle angezeigt.
Für Aufgabe 1 wird deutlich, dass sich der reale Projektverlauf gut mit Hilfe einer
stochastischen, erweiterten WTM beschreiben lässt, wodurch die Praxistauglichkeit
dieser Methodik verdeutlicht wird.
Die Parameter A0 und C wurden auf Basis des Maximum-Likelihood-Prinzips mit Hilfe
der Verfahren von Neumair & Schneider (2001) geschätzt. Dabei werden die
erforderlichen Parameter eines Modells schrittweise nach dem Prinzip der kleinsten
Quadrate berechnet.
Im obigen Beispiel wird die Design Structure Matrix (DSM) zum Abschätzen der
Dauer des Entwicklungsprozesses eines Fahrzeugsteuergeräts angewandt. In
Entwicklungsprozessen sind die einzelnen Aktivitäten bedingt durch ein Concurrent
Engineering hochgradig verkoppelt, d.h. Aktivitäten werden parallel bearbeitet und
gestartet, ohne dass die für die Bearbeitung der Aktivität notwendigen Informationen
vollständig vorliegen. Dies führt zu einer iterativen Bearbeitung der Aktivitäten. Die
Informationsabhängigkeiten zwischen den Aktivitäten eines Entwicklungsprozesses
und die Iterationen können mit Hilfe der DSM abgebildet werden. Die DSM besteht
dabei aus einer Wahrscheinlichkeitsmatrix, in der die Wahrscheinlichkeiten für
Iterationen, d.h. für die erneute Durchführung einer Aktivität, dargestellt sind, aus
einer Mehrarbeitsmatrix zur Angabe der Nacharbeit einer Aktivität in einer Iteration
und der Veränderung der Wahrscheinlichkeit für Iterationen. Durch eine Monte-Carlo-
Simulation kann aus den Matrizen und der Dauer der einzelnen Aktivitäten die Dauer
eines Entwicklungsprozesses abgeschätzt werden.
Um Produktänderungen in die Simulation mit einfließen zu lassen, müssen sowohl
der Zeitpunkt, der Umfang der einfließenden Änderungen, die Verkopplung der
Bauteile und der Einfluss der Bauteile auf die Aktivitäten abgeschätzt werden. Das
betrachtete Steuergerät beinhaltet fünf Primärfunktionen („A“-„E“), die bei der
Entwicklung aufeinander abgestimmt werden müssen. In einem abgeschlossenen
Entwicklungsprojekt erfolgte nach der Aktivität „Vorbereitung der Applikationsklausur“
eine aus der Baureihe induzierte 30 prozentige Änderung an der Funktion „A“.
Verwendet man diese Information in Form des Änderungsvektors als Input für die
Simulation, erhält man als Ergebnis den Änderungsgrad der zu entwickelnden
Funktionen sowie die Abschätzung der durch die Änderung verlängerten
Prozessdauer und -kosten. Aufgrund der erforderlichen Abstimmung mit den anderen
Funktionen führt die 30 prozentige Änderung zu 3,6% Änderung der Funktion „B“, zu
3,5% Änderungen der Funktion „C“, zu 6,8% Änderungen der Funktion „D“ und zu
3,4% Änderungen der Funktion „F“. Aufgrund dieser Änderungen kommt es zu
Rückwirkungen auf die Funktion „A“, die um insgesamt 32,9% verändert werden
muss. Das Projekt verlängert sich dadurch durchschnittlich um 19 ZE auf insgesamt
140,5 ZE, wodurch die Erfahrungswerte aus den abgeschlossenen Projekten gut
widergespiegelt werden. Die Verlängerung der Projektdauer erhöht zudem die
Kosten um durchschnittlich 19%.
Durch die Produktänderung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Iterationen im
Projekt, so dass die Streuung der Ergebniswerte im Vergleich zur Simulation ohne
Produktänderung zunimmt. Dies drückt sich in der Erhöhung der Varianz von 40,8
[ZE²] auf 47,7 [ZE²] aus. D.h. Produktänderungen bewirken neben der Verlängerung
der Entwicklungsdauer und Erhöhung der Kosten eine höhere Wahrscheinlichkeit für
zusätzliche Iterationen und damit ein höheres Risiko des Nichteinhaltens von Zeit-
oder Budgetzielen. Dies spricht für eine frühzeitige und detaillierte Festlegung der
Anforderungen, die im Laufe des Projekts nur so wenig und so früh wie möglich
geändert werden sollten.