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EinFensterzumHof
Das Berliner Zimmer um 1900
»Berliner Zimmer nennt man jenes Zimmer in Berliner Wohnhäu-sern, welches sein Licht durch ein Fenster erhält, das an einer der Ecken des rechtwinkligen Raumes sich befindet. Das B. Z. verdankt seine Entstehung der Gestaltung der Bauplätze und dem Wunsche nach größter Ausnutzung des Raumes. Es hat allerdings den Nachteil ungünstig beleuchtet zu sein und eigent-lich nur als Durchgang zwischen den vordern Wohnzimmern und den im Hofflügel liegenden Räumen zu dienen. Man(…)ist aber in Berlin von seiner Anordnung bisher nicht abgegangen, da der große, wenn auch wenig helle Raum eine bessere Aus-nutzung der Grundfläche darstellt als die durch schmale Licht-schachte erhellten Vorzimmer, welche in Wien, Paris, Hamburg und a. a. O. an Stelle des hintern Teiles des B. Z. in eingebauten Wohnhäusern treten.(…)«
[BrockhausKonversations-Lexikon,Leipzig,BerlinundWien1892]
Die »Erfindung« des Berliner Zimmers
VerständnislosreagierteFriedrich EngelswährendseinesBerlin-Aufenthalts1893aufdieinseinenAugen»schrecklichverbaute«WohnungseinerFreundeNathalieundWilhelmLiebknechtinderCharlottenburgerKantstraße,wobeiihmbesonderseinesmissfiel:»HierinBerlinhatmandas›BerlinerZimmer‹erfundenmitkaumeinerSpurvonFenster,unddarinverbringendieBerlinerdengrößtenTeilihrerZeit.«[BriefanLauraLaFarguevom18.September1893]
WasderprominenteBesucherausLondonnichtnachvoll-ziehenkonnte,stellteimBerlinderKaiserzeitdietypischeLösungeinesarchitektonischenProblemsdar,dasbereitsim18.Jahrhundertaufgetretenwar.DamalsbegannensichdieAnsprüchezuändern,diedasBürgertumanWohnungundWohnkulturstellte.MitwachsendemSelbstbewusstseinbegnügtemansichnichtmehrmitRäumenzumWohnen,SchlafenundKochen,sondernbeanspruchteauchPlatzzumRepräsentieren.DadiezumeistalsreineVorderhäuserausgeführtenWohngebäudeinderBerlinerInnenstadteineVergrößerungderWohnflächenurinderTiefederschma
Ein Fenster zum Hof DasBer l i ne r Z immer um1900 PlakatzurgleichnamigenAusstellung(Ausschnitt)
(MuseumsverbundPankow/AntjeWittenberg,2004)Museumsverbund Pankow
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900 Mit diesem Faltblatt zur Geschichte des Ber
liner Zimmers beginnt die Herausgabe einer Reihe weiterer Handreichungen, welche die Geschichte des Wohnhauses Heynstraße 8 und seiner Bewohner thematisieren. Die einzelnen Ausgaben ergeben ineinandergesteckt eine Sammlung unterschiedlicher Beiträge zu bürgerlichem Leben um 1900 im Berliner Nordosten.
In Kürze erscheinen in dieser Serie Ausgaben zur Geschichte des Bürgerparks Pankow, der Stuhlrohrfabrik Fritz Heyn sowie Flure und Treppenhäuser um 1900.
Impressum
Text: Birgit KirchhöferRedaktion: Bernt RoderGestaltung: Sybille Zerling, BerlinDruck: H & P Druck, Berlin
Schutzgebühr: 0,30 ?
Amt für Kultur und Bildung| Fachbereich Museum|Bezirkliche Geschichtsarbeit – Museumsverbund Pankow
© Bezirksamt Pankow von Berlin
Ausstellung »Bürgerliches Leben um 1900«geöffnet Dienstag, Donnerstag und Sonntag10.00 bis 18.00 UhrInfos unter (030) 4814047 oder (030) 902953917www.kulturamtpankow.de/stadtteilgeschichte
lenParzellenzuließen,entwickeltensichausdenimHofge-legenenWirtschaftsgebäudenbewohnbareSeitenflügel,dieschließlichandasVorderhausangeschlossenwurden.ZahlreicheArchitekten–daruntersonamhafteBaumeisterwieKarlFriedrichSchinkelundFriedrichAugustStüler–be-schäftigtedieFrage,wiedieseVerbindungaussehenkönnte,damitimAnschlusswinkelkeingänzlichunbelichteterRaumentstünde.Esistnichtüberliefert,werwannalsErsterdiespä-terals»BerlinerZimmer«indieBaugeschichteeingegangenearchitektonischeLösunggefundenhat,sicheristjedoch,dassdiebaulichenVorbilderdafürinSchlossbautenzusuchensind.
Vom Prototyp zur Berliner Standardlösung
Vondenineiner1862erschienenenMustersammlungfürstädti-scheWohngebäudevorgestelltenundmittlerweileerprobtendreiVariantendesBerlinerZimmerssetztesichdervomVor-derhausindenSeitenflügelhineinreichendelangeschmaleRaummitseitlichemEckfensteralsStandardlösungdurch.
ÜberdensoentstandenenWohnungsgrundrissberichtete
Friedrich Engelsinseinemo.a.Brief:»NachvornhinausgehendasEsszimmer(dieguteStube,dienurbeigroßenAnlässenbenutztwird),undderSalon(nochvornehmerundnochseltenerbenutzt),danndie›Berliner‹Spelunke,dahintereinfinstererKorridor,einpaarSchlafzimmer,donnantsurlacour[zumHofgelegen]undeineKüche.Unbequemundschrecklichlang,echtberlinerisch(dasheißtbürgerlichberlinerisch):AufmachungundsogarGlanznachaußen,Finsternis,UnbehaglichkeitundschlechteAnordnungnachinnen;diePalastfrontnuralsFassadeundzumWohnendieUnbehaglichkeit.JedenfallsistdasmeinbisherigerEindruck;hoffenwir,dassersichbessert.…«
DochboteinsolcherWohnungsgrundrissauchVorteile.DerBauhistorikerKlaus KürverssiehtdenwesentlichstenVorteildesBerlinerZimmersdarin,»dasseszumhorizontalenErschließungssystemeinergesamtenEtagedesHausesimVerbundvonVorderhaus,SeitenflügelundQuergebäudegehört.DieseGrundrissbildungermöglichtes,dieEtagejenachBedarfingroßeoderkleineWohnungenaufzuteilen.«
Entwurflösung 1: BerlinerZimmerquerzurStraßegelegen,vomVor-derhausindenSeitenflügelhinaus-ragend;RathenowerStraße22inMoabit,Baujahr1884
Entwurflösung 2: BerlinerZimmerparallelzurStraßeimVorderhausgelegen;Claudiusstraße5inMoabit,Baujahr1892)
Entwurflösung 3: BerlinerZimmerannäherndquadratischmitschräg-gestelltemEckfenster,RathenowerStraße52inMoabit,Baujahr1884
(aus:FritzMonke,GrundrissentwicklungundAussehendesBerlinerMietshausesvon1853bis1914)
Luxusausstattung oder Werkstattatmosphäre
IdealtypischsolltedasBerlinerZimmeralsEsszimmerdienen,wasBauherrundBaumeistervielfachvonvornhereinbeiderDecken-,Wand-undBodengestaltungberücksichtigten.WiefüralleRäumederbürgerlichenWohnungexistierteauchfürdasEsszimmereinganzerKanonvonRegeln,umeinege-wünschteästhetischeGesamtwirkungzuerreichen.AlsVor-bildgaltwiederumdieWohnkulturdesAdels,diedasBür-gertumdeneigenenWohnbedingungenanpasste.DanachsolltedasEsszimmereinlänglicher,nichtzuschmalerRaummitdirektemZugangzudenGesellschaftsräumenseinundinderNähedesWirtschaftstraktesliegen.DaswarenAnfor-derungen,diedasBerlinerZimmererfüllte.Mehrnoch,dergeringeunddurchVorhängesowiedunkleFarbgebungenimRaumzusätzlichgedämpfteLichteinfallbefördertediegewünschteWirkung,schließlichsolltedieFestgesellschaftnichtdurchäußereEinflüssevondergedecktenTafelabge-lenktwerden.
DasBerlinerZimmermussteundkonntejedochmehrsein.DerBlickaufdenGrundrissverschiedenerSeitenflügel-häuserzeigt,dasssichdasBerlinerZimmerzwarinallenEtagenfindet,abernurseltenvonvornhereinaneinebe-stimmteNutzung–z.B.alsKüche–gebundenwar.EinederfrühestenüberliefertenNutzungen,nämlichalsMusik-zimmer,stammtausdemzwischen1828und1830nachEntwürfenvonSchinkelentstandenenFeilnerhaus(benanntnachdemBauherrn)inderFeilnerstraßeinKreuzberg.Weressichleistenkonnte,wiesdemRaumluxuriöseFunktionen
Ehebett,die[vierKinder]aufabendshergerichtetenLagernamBodenkampierend.Undoft,wennichspätabendsvonmeinenStreifzügenheimkam,schlichichaufZehenspitzenundmitangehaltenemAtemanihnenvorüber,vondemängstlichenEhrgeizbeseelt,niemandesSchlummerzustören.–AberabundzutraticheinemdochaufdieFinger.«SoerinnertesicheinerderbekanntestenVertreterdesdeut-schenNaturalismus,Hermann Sudermann(1857–1928)in»DasBilderbuchmeinerJugend«(1922)andasersteBerlinerZimmer,daserkennenlernte,alsernachBerlinkam.DasMansardenquartierfürzwölfMarkundMorgen-kaffeebedeutetefürdenmittellosenStudentenSudermanndasbilligste,daszuhabenwar.FürFamilienwiedieseinesWirtes,dessenEinkünftealsSchneidermeisterdieLebens-haltungskostennichtdeckten,warderVerzichtaufPrivatheitdieeinzigeMöglichkeit,umdurchUntervermietungetwasGeldhinzuzuverdienen.
Nebender»›gutenStube‹lagdieeinfensterigeWohnstube,daransichnachhintenzudassogenannte›BerlinerZimmer‹anschloss,einbloßerDurchgang,wennauchimübrigengeräumig,andessenLängswanddreiBettenstanden,nurdrei,trotzdemeseineviergliedrigeFamiliewar.DievierteLagerstätte,vonmehrambulantemCharakterwareinmitRohrüberflochtenesSofagestell,draufsich,wochenweiswechselnd,einederzweijüngerenSchwesterneinzurichtenhatte.Hinterdiesem›BerlinerSaal‹[…]lagdieKüchemitsamtdemHängeboden.HierhaustedasalteDienstmäd
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BerlinerZimmerheute(MuseumsverbundPankow/HolgerKupfer,2004)
BerlinerZimmeralsKochstube,WiesenstraßeinWedding,1915/16(LandesarchivBerlin,Fotosammlung/FirmaLichte&Co.)
BerlinerZimmeralsEsszimmerinderWohnungdesArchitektenAdolfErichWitting,Schmidtstraße43inMitte,um1910(UniversitätderKünste,Archiv)
wiez.B.alsFrühstücks-oderSchrank-undAnkleidezimmerzubzw.experimentiertemitderFormdesRaumesundließsichdasBerlinerZimmerbeispielsweiseovalanlegen.
InkleinerenWohnungenmusstedasBerlinerZimmeranderenAnsprüchengerechtwerden.BeivielenHeimarbeitern–wieSchneidern,Nähern,Büglern–verwischtesichimBerlinerZimmeralsdemzumeistgrößtenRaumderWohnungdieGrenzezwischenWohn-undArbeitsbereich.DieBerlinerOrtskrankenkassefürdenGewerbebetriebfürKaufleute,HandelsleuteundApotheker,dieAnfangdes20.Jahrhun-dertsaufdieteilweisekatastrophalenWohnbedingungenihrerMitgliederaufmerksammachenwollte,hatderartigeVerhältnisseineindrucksvollenFotosfestgehalten:NahedemFensternebenStühlenundBettenbefandsichdieWerksstatt,inderauchfamilienfremdePersonenarbeiteten,gleichzeitigKinderspieltenoderoftgenugmithelfenmuss-ten,undMaterialsowieWarelagerte.–HandelteessichbeimBerlinerZimmergarumeinesogenannteKochstube,kamdieFragenachderbestmöglichenNutzungvonvorn-hereinnichtauf,indemeinenRaumspieltesichindrang-vollerEngedasLebenganzerFamilienab.
Spiegel der Gesellschaft: Das Berliner Zimmer in der Literatur
»Indem›BerlinerZimmer‹,dasmiralsDurchgangdiente,wennichinmeinenWinkelgelangenwollte,schliefensiealle,dieElternhinterdemdreiteiligenSchirmimschmalen
DasHausHeynstraße8
ImJahre1893ließsichderStuhlrohrfabrikantFritzHeynindernachihmbenanntenStraßeeinMietshauserrich-ten,dessenersteEtageermitseinerFamiliebezog.MitbescheidenemLuxusentsprachenWohnungundHaus,andassicheinGartenhofanschloss,denWünschenundBedürfnissenderHeynsundbildeteneintypischesBeispielfürdiebürgerlicheWohnweiseum1900.VonderFamiliebisAnfangder1970-erJahreselbstbewohnt,bliebinsbesonderederrepräsentativeBereichinderbau-zeitlichenFassungerhalten.NachdemTodderbeidenletztenhierlebendenHeyn-TöchterwurdedieWohnung1974alsStandortfürdasPankowerBezirksarchivüber-gebenundseitdeminzunehmendemMaße,seit1992ausschließlichmusealgenutzt.
HausundGartenvermittelnmittlerweilewiedereinenEin-druckvonihrerbauzeitlichenAusgestaltungundAnlage.MitihrernocherhaltenenOriginalsubstanzbietetdieehemaligeFabrikantenwohnungguteVoraussetzungen,dieRäumenachundnachwiederalsWohnungeinzu-richten.MiteinerReihevonSonderausstellungen,dieent-wedervonderGeschichtederFamilieHeynoderihresHausesausgehen,entstehtkaleidoskopartigamauthen-tischenOrtamBeispielderFabrikantenfamilieHeyneineDauerausstellungzurbürgerlichenWohn-undLebensweltum1900.
ihnenlangeWegeerspartundweildiebehaglicheAtmos-phäredesRaumeseinenKontrastzujenerkonventionellenAusstattungimvorderenTeilderWohnungbildet.
Ende und Neuanfang
DieunzulänglicheBeleuchtungdesBerlinerZimmersdurchdaseineEckfensterzumHofhattevonAnfanganKritikeraufdenPlangerufen.DasendgültigeAuskamallerdingserstmitderBauordnungvon1925,diebeiNeubautendieAnlagevonselbständigenWohnungeninHinterhäusernun-tersagte.Dienach1925entstandenenKleinwohnungenbe-saßennunzwarguteBelichtung,docheine»flexibleUnterteilbarkeitvongroßenundkleinenWohnungenodergardiebedarfsorientierteNutzungvonEtagenzuGewerbeoderWohnzweckenbeigleichenGrundrissenwarohnedenVerbundvonVorderhaus,SeitenflügelundQuergebäudenurnochschwermöglich.«[KlausKürvers]IndenAltbautenbliebdasBerlinerZimmerjedochRealitätundforderteimmerwiederzumkreativenUmgangmitseinenGegeben-heitenheraus.ImZugederBerlinerStadtsanierungwurdeeshäufigzugeräumigenWohnküchenumgebaut.HeuteerhältesstattdesFenstersofteinenBalkonoderdurchdenAbrisseinesSeitenflügelsmehrLicht.
Verpönt,zweckentsprechendodergeliebt?DerartzugespitztverläuftdieDiskussionschonlangenichtmehr,aberInteres-sewecktdasBerlinerZimmernachwievor.
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BerlinerZimmeralsmusealeInszenierunginderHeynstraße8,nach1985(MuseumsverbundPankow)
chen[...]«Theodor Fontane(1819–1898)magderGrund-rissdereigenenWohnunginderPotsdamerStraße134(Tiergarten)–erhatteseinBerlinerZimmerinSchlaf-undWohnbereichgeteilt–alsVorbildfürdieinseinemRoman»DiePoggenpuhls«(1896)beschriebeneWohnunggedienthaben.HierlässtFontanedieOffizierswitweundihreTöch-terumdenPreisderEntbehrungnachaußendenScheinstandesgemäßenLebenswahren.SymbolisiertdiebilligeStadtwohnungdensozialenAbstiegderadligenFamiliePoggenpuhl,sobedeuteteeineWohnungdiesenZuschnittsfüranderedasZielihrerWünsche.
»›Jewiß,detsiehtallesnachwataus‹dachteer,›somußetwollsinbeireicheLeite!‹DawaraußerderBerlinerStube,wodieBettenstanden,einVorderzimmer,dasalskaltePrachteingerichtetwar,danebeneinanderesZimmermiteinemaltdeutschenBüfettundeinemgroßenEsstischinderMitte;dann,durcheinekleineTürausderBerlinerStubeerreichbar,einschmaleslangesZimmer,indemSchränkeundeinNähtischstanden.AusderSchlafstubeführteeinengerKorridornachderKüchemiteinerKabuse,inderLieseseiserneBettstelleaufgeschlagenwar.«AmBeispieldesehemaligenBierkutschersKoblank,derdurchHeiratzuWohlstandgekommenwar,thematisierteErdmann Graesers(1870–1937)Roman»Koblanks«(1922)dasSchicksaljener,dieesimschnellwachsendenBerlinderGründerzeitzuetwasgebrachthatten.DemjungenEhepaarKoblankwirddasBerlinerZimmerzumWohnungsmittelpunkt,weiles