Erntebittgottesdienst 6.7. 2014 mit dem Landfrauenverein (Frauenchor,
Blumenschmuck und Sprechmotette)
Mt. 5,45 „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“
Liebe Gemeinde,
Kennen Sie die Geschichte von Adam und Eva
und der ersten Ameise?
Adam und Eva waren bekanntlich die ersten
Menschen und ihr Zuhause war der Garten
Eden. Eines Tages gingen die beiden spazieren.
Da erblickte Adam plötzlich einen kleinen
schwarzen Punkt auf der Erde, der sich bewegte:
das war ein Insekt, und zwar Moriah, die erste
Königin der Ameisen.
Adam beobachtete sie eine ganze Weile
interessiert, wie sie scheinbar ziellos im Gras
herum irrte. Dann hob er seinen nackten Fuß und
zertrat auf sie, sie war auf der Stelle tot.
Eva fragte ihren Gatten:“ warum tust du
das, Adam?“ Und Adam antwortete: „Weil ich es
kann.“
Bekanntlich kamen sie später an den Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse, der viele schöne Früchte
trug, die anzurühren Gott ihnen streng verboten
hatte.
Eva pflückte trotzdem einen Apfel und bot ihn
Adam an. Adam erschrak, weil er an Gottes
Verbot dachte und fragte sie: „Warum tust du
das?“ und Eva antwortete ihm: „Weil ich es
kann“.
Da wurde Gott bekanntlich sehr böse und er verjagte
Adam und Eva aus dem Paradies. Die beiden
jammerten und klagten und sie fragten Gott:
„Warum tust du das?“
Und Gott antwortete ihnen nur: „Weil - ich - es -kann“…..
Die Geschichte stammt von Hanni Münzer. Sie
hat die diese Geschichte für ihren Enkel Simon
geschrieben
„Gott schuf noch weitere vielfältige
Arten“ fährt sie fort, „und die Insekten unter
ihnen waren sehr zahlreich. Doch im Gedächtnis
der Insektenvölker lebt bis heute weiter, dass die
Ameisenkönigin Moriah einst von dem ersten
Menschen getötet wurde.
Darum tragen seit dem ersten Tag der Mensch-
heit die Insekten, die Völker bilden, den gleichen Gottesfluch
in sich wie wir Menschen.
Die Menschen und die Ameisen, Bienen,
Termiten, alle staatenbildenden Insekten
sind diejenigen Lebewesen auf dieser
Erde, deren Völker Krieg führen, auch unter einander.
An diese schöne Legende als ich angefragt wurde, die Kollekte dem
Bienenprojekt Alona mit Bäuerinnen in Kenia zu widmen.
Dann stieß ich auf das Logo der „LandFrauen“ - eine Biene“. Fleißig wie die
Bienen seid ihr Landfrauen, unverdrossen, einfach nicht weg zu denken!
Dann sah ich am Montag in der ARD die spannende Dokumentation über das
weltweite Bienensterben und wir wurde klar: du predigst nicht nur über Regen
und Sonne, über Gute und Böse, sondern auch über die Bienenvölker, ihren
Kampf ums Überleben und was das mit uns Menschen, der anderen
staatenbildenden Spezies zu tun hat.
Gerade besangen wir“ die unverdrossne Bienenschar“.
So könnte man heute nicht mehr dichten! Die Bienenschar ist heute nicht nur
verdrossen, sondern in Panik, sehr gefährdet, vor allem dort, wo wir Menschen
intensivste Massentierhaltung (auchmit Insekten) und Monokultur betreiben:
Europa, Amerika, Asien.
Es wurden Imker aus diversen Ländern gezeigt. Jeder imkerte in der xten
Generation, doch sie zeigten total unterschiedliche verschiedene Haltungen
gegenüber dem Tier und ihrer Arbeit. Es gibt immer und überall „sodde und
sodde“ – „solche und solche“ unter den Menschen, nicht nur bei Landwirten,
sondern überall …..
Manche reden und handeln zynisch, rücksichtlos.
Andere aber haben Respekt, lassen sich leiten vom Respekt gegenüber den
Mitgeschöpfen, arbeiten schonend, beuten nicht alles und alle aus, glauben den
Pharmafirmen auch nicht alles, und achten auf die Zusammenhänge innerhalb
der Schöpfung.
Kurz: sie achten die Geschöpfe, sind gewissermaßen so gnädig zu ihnen, wie
uns Gott zu uns gnädig ist. .
Der krasseste Gegensatz war zwischen einem alten Schweizer in den Hochalpen
und einem Imker-Groß- Unternehmer aus Kalifornien.
Hier der Schweizer, der sich auf ein Tal beschränkt und die Alte Bienen-
Landrasse hartnäckig gegen neue Hochleistungs- Rassen verteidigt, dort ein
erklärter Kapitalist, der zehntausende Bienenvölker hat, sie ständig mit
Tieflastern quer durch den Kontinent hin- und herfährt und damit die
Verbreitung der Milben und Bakterien verursacht.
Krankheiten, Stress und oft zu weit gehender Einsatz von Chemikalien, ein
fataler Mix, das alles bedroht weltweit „Apis mellifera“ die westliche
Honigbiene“.
Unverblümt und unverschämt sagte der Kapitalist inmitten der immensen
kalifornischen Mandel-Monokulturen : „Hören sie das Summen“? „So hört sich
Geld an, Money, Money“
Und, während im Hintergrund die Plantagen gespritzt wurden und seine Bienen
teilweise vergiftet zu Boden fielen: „mein Vater und Großvater, alle Imker,
wären damit nicht einverstanden, doch ich bin Kapitalist und mache das so“.
„Weil ich es kann!“ höre ich da im Geist sagen.
Bald war sonnenklar: Hier führt Menschen-volk Krieg gegen Tier-volk, einen
Ausbeutungs- und Bereicherungs-Krieg, ohne Rücksicht auf Verluste.
Dass es auch anders geht, beweisen Imker, die anders arbeiten, die auch ihre
Brötchen verdienen, nur viel klüger, nachhaltiger.
Dass es auch anders geht, zeigen die vielen Landwirte, Tierhalter und
Weingärtner, gerade auch bei uns im „Ländle“, die maßvoll arbeiten und offen
sind für neue schonendere Techniken. Unlängst habe ich auf so einen
Milchviehhof besucht, wo es den Kühen sichtlich gut geht.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über
Gerechte und Ungerechte.“ so sagt Jesus in der Bergpredigt.
Als Kinder hatten wir alle noch ein instinktives Gespür für das Gut und das
Böse.
Doch beim Erwachsenwerden geht das verloren. Es bleibt meist nur noch eine
Hälfte -das Gespür für das Gute- erhalten.
Gegenüber dem Bösen, dem Zerstörerischen erweisen wir uns leider Gottes als
blind, verteufelt blind oder soll ich sagen „verdammt blind“.
Ist dass der Sündenfall, liebe Gemeinde, an dem wir Kinder Adams und Evas
leiden?
- Dass wir uns vom Bösen, vom Zerstörerischen verführen und mitreißen
lassen. Dass wir es immer zu spät merken, wenn das Unheil angerichtet ist und
wir der Geister die wir riefen, nicht mehr Herr werden?
- Dass gegen die Stimme des Herzens und der Vernunft- unser Dickkopf sich
durchsetzt und befiehlt: „iss doch vom Baum, du kannst es doch! Kannst doch
selber unterscheiden zwischen Gut und Böse. Werde wie Gott, nimm den Apfel,
nimm und iss!“
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über
Gerechte und Ungerechte.“
Mit einem anderen Bild gesagt: „Wir sitzen alle in einem Boot.“ Stimmt das
wirklich?“
Doch, es stimmt. Das macht Jesu Bergpredigt klar und auch das Sterben der
westlichen Bienen.
Werden wir uns nicht uns global die Augen reiben, wenn einmal der Raps, die
Tannen und das Gemüse, ein Drittel aller Blütenpflanzen nicht mehr natürlich
bestäubt werden? So viele Billiarden Blüten können alle BäuerInnen der Welt
nicht von Hand bestäuben.
Wir alle – Menschen, dazu Tiere und Pflanzen – müssen einfach lernen
miteinander auskommen.
Doch wem predige ich das? Sie als Landfrauen (und –männer) und wir alle als
Bürger einer bäuerlich geprägten Stadt wissen und beherzigen das in oft
großartiger Weise. Ich predige es dennoch, damit wir wissen, wofür und für wen
wir beten müssen.
Lasst uns auch beten für die Geschöpfe. Und auch für die Minister und
Firmenchefs, für die Lobbyisten und die Zyniker im Geschäft mit Pflanze und
Tier.
Für Kirchenführer, Regierungschefs und alle, die Menschen führen und leiten.
Für alle, die unterrichten, ausbilden und Weltbilder vermitteln.
Wir haben heute ganz anderes Weltbilder als die die Menschen der Bibel. Wie
sie sich die Erde vorstellten, das belächeln wir wohl alle. Für sie war die Welt
einer Scheibe mit dem Himmelsgewölbe. In der Art einer riesigen Käseglocke,
von der die Sonne herabscheint und aus der Gott regnen lässt, indem er ab und
zu die Schleußen des Himmels öffnet.
Wie gesagt, wir Leute von heute belächeln diese Vorstellung. Doch sie ist gar
nicht so schlecht und zeugt von viel Einsicht und Gespür.
Denn unser Planet ist klein, alle Geschöpfe sitzen miteinander im Glashaus. Und
wer im Glashaus sitzt, soll bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Wir hängen
alle voneinander ab. Alles was lebt, auch die unbelebte Natur: Flüssiges, Festes
und Gasförmiges, alles kann nicht gegeneinander existieren, nur miteinander,
einvernehmlich, manchmal auch nur schiedlich-friedlich.
Gestern hörte ich wieder das Volk der Wespen auf dem Balkon an den Binsen
raspeln. Auch das eine wichtige Ernte: Material für das Wespenhaus, für ihre
Brutkästen.
Viele verfluchen die Wespen und alle Insekten. Doch –sie sind wie wir. Sie
teilen mit uns den Fluch, aber auch den Segen aller Kreatur.
So begrüße ich Bienen und Wespen, freue mich auf viele neue Wespen, fressen
sie doch so viel Schädlinge in Haus und Garten weg.
„Lasst uns Menschen wieder Frieden schließen mit den Lebewesen, so rufen
viele Biologen, Philosophen und Theologen uns westlich geprägten Menschen
zu. Frieden schließen auch mit dem „was da kreucht und fleucht und allem
Gewürm, das auf Erden kriecht“.
Denn wir brauchen sie und sie brauchen uns. Sie nützen uns und können uns
auch Auswege zeigen aus unserer Not.
Als durch die Reblaus alle europäischen Reben dem Untergang geweiht waren,
-sie wissen das besser als ich- kam die Rettung aus Übersee, durch neue
resistente Sorten.
Gott sei Dank! besteht Hoffnung, dass unsere Welt-Pflanzen-Bestäubung in
ähnlicher Weise durch afrikanische Bienen gerettet werden. Die sind aggressiv,
man nennt sie „Killerbienen“.
Doch sie sind gesund und resistent. So können wir hoffen, dass afrikanische
ImkerInnen und ihre stechfreudigen Bienen der weltweiten Landwirtschaft aus
der verfahrenen Lage heraushelfen. „In wieviel Not, hat nicht der gnädige Gott
– uns aus der Patsche geholfen“
„Geh zur Ameise, du Fauler“ heiß es im Buch der Sprüche.
„Geh zur Biene, du Verwegener“ möchte ich heute abwandeln.
Verwegener, technisch so erfolgreicher, moderner Mensch: geh zur Biene,
denke um, tue Buße, auch in deinem Umgang mit der Kreatur.
Sei wieder Mitgeschöpf, beschränke dich in deinen Mitteln, verkleinere deine
Keulen. Hüte dich weiterhin so maßlos drein zuhauen in Gottes Natur.
Forsche weiter und entdecke, welche Hilfen und Rettungswege innerhalb der
Natur für dich bereit stehen.
Vertraue auf den großen Gott, der seine Welt erhalten und schützten will.
Höre auf Albert Schweitzers Motto: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von
Leben, das auch leben will.
Wir können Gottes Natur nicht ungestraft ausbeuten können. Alles Geschaffene
hat seine Grenzen, auch Grenzen der Leistung, auch die Sonne und der Regen.
Auch darin - in seinen Grenzen- liegt die Würde eines jeden Geschöpfs.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über
Gerechte und Ungerechte.“
Die Schöpfung ist ein riesiges Wunderwerk, dessen wir Menschen nie völlig
Herr werden.
„Bebaut und bewahrt die Erde und sagt der Schöpfer. Ja, „nehmt sie in Besitz“
Doch wir Kinder Adams und Evas denken oft: „ich zertrete die hässliche
Ameise und übertrete Gottes Grenzen - weil ich es kann!“
Nein, liebe Mitchristen, wir können nicht alles, wir haben Gottes Schöpfung
nicht in der Hand. Wir sind nicht Gott, können ja nicht einmal das Wetter
machen, verstehen nicht einmal ansatzweise, wie die globalen
Wetterküchen dampfen.
Und das Wichtigste von allem haben wir gar nicht in der Hand:
das Wunder des Lebens, Stoffwechsel von Pflanze und Tier, Wachstum,
die Bewegungen der Planeten, des ganzen Weltalls, Saat und Erde,
Fortpflanzung, Kindersegen: das alles liegt nicht unserer, sondern allein in
Gottes guter Hand.
Auf Seinen Segen sind wir alle angewiesen. So sind wir von den Ameisenüber
die Bienen schließlich bei der Bitte um den Erntesegen gelandet.
Dank des Jesuswortes aus der Bergpredigt, im Abschnitt „Vergeltung und
Feindesliebe“. „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit
ihr seid Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen
….“
„Liebt eure Feinde.“ Jesus kennt die Welt und uns Menschen, weiß, wie wir
ticken. Er kennt auch die, die rücksichtslos ihren Vorteil verfolgen, ohne sich
um Gerechtigkeit zu kümmern, die weder Gott noch die Menschen respektieren.
Wie die alten Propheten kehrt Jesus das Unrecht nicht unter den Teppich.
Trotzdem sieht er die Übeltäter als Menschen, die immer die Chance haben
umzukehren.
Jesus kennt auch uns, die wir an ihn glauben – auch wenn in unseren Herzen
Neid und Missgunst aufsteigen und wenn uns der Kamm schwillt und Kragen
platzt, wenn wir denken übervorteilt zu werden.
Mir selbst ist letzten Sonntag der Kragen geplatzt. Fragen sie meine Familie und
die Leute vom Konficamp. (Mitarbeiter, die das abgekriegt hatten, sitzen im
Godi)
Und was ich bereue: ich ließ „die Sonne untergehen über meinem Zorn“,
sondern habe ihn einige Tage vor mich hin „gekocht“. Dieses tut mir heute leid
und ich spreche mit allen Beteiligten.
Und bin froh, dass ich in allem, auch im Zorn, Jesus in meiner Nähe weiß. Er
will all dem Bösen, das unser Zusammenleben vergiftet, nicht das Feld
überlassen. Darum lehrt uns Jesus dem Schöpfer und Vater zu vertrauen.
(Ein chasidischer Rabbi fragte seine Schüler: „Wann ist der Übergang von
der Nacht zum Tag?” Der erste Schüler antwortete: „Dann, wenn ich ein Haus
von einem Baum unterscheiden kann.“ „Nein”, gab der Rabbi zur Antwort.
„Dann, wenn ich einen Hund von einem Pferd unterscheiden kann“, versuchte
der zweite Schüler eine Antwort. „Nein”, antwortete der Rabbi.
Und so versuchten die Schüler nacheinander, die Antwort zu finden.
Schließlich sagte der Rabbi: „Wenn du das Gesicht eines Menschen - ich
ergänze: eines Mitgeschöpfs- siehst und du entdeckst darin das Gesicht deines
Bruders oder deiner Schwester, dann ist die Nacht zu Ende, und der Tag ist
angebrochen.” )
Amen
Wo ein Mensch Vertrauen schenkt. EG 638, 1-3
Es geht um Solidarität. Denn wir sind alle Menschen,
müssen essen und trinken. Ohne Sonnenschein und Regen wächst
aber nichts Essbares. Als Geschöpfe sind und bleiben wir angewiesen
auf die Güte unseres Schöpfers.
„Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein.“ Natürlich
ist Gott, an den wir glauben, kein Wettergott. Wir können nicht jede
Wetterlage darauf zurückführen, dass er aktuell eingegriffen hat.
Aber er hat seine Schöpfung wohl geordnet – Sonne und Regen, der
Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten. Nur so hat unser Säen und
Ernten Sinn: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“
Solidarität ist angesagt, weil wir alle einen Vater im Himmel haben.
Doch wie steht es um die Solidarität in unserem Land? Zwischen
Alten und Jungen. Zwischen denen, die Arbeit haben und oft sehr
viel zu tun, und denen, die keine passende Stelle finden. (evtl. ausführlicher
mit weiteren Beispielen) Wie steht es um die Solidarität
zwischen der Gesellschaft insgesamt und den Landwirten? Die erzeugen
Getreide und Gemüse, Fleisch und Eier, Obst und Wein,
Milch und Honig, damit wir satt werden und uns am guten Essen
freuen. Nicht zu vergessen der Anteil, den sie zur Energieversorgung
leisten.
Ein Landwirt berichtet, dass er sich über die Wertschätzung der
Landwirtschaft und seiner Erzeugnisse freut. Das „Aber“ folgt
sogleich: „Bei der täglichen Arbeit jedoch bedaure ich mangelndes
Verständnis und Solidarität. Manche vermitteln einem das Gefühl,
der Feldweg gehöre dem Freizeitsport, die Wiesen den Hunden zur
Kotfläche, und ich als Landwirt sei Störfaktor in der Landschaft. Ich
freu mich über jeden, der das Gespräch sucht und nicht zuerst auf
dem Ordnungsamt anruft, weil etwas scheinbar nicht richtig bzw. zu
falscher Uhrzeit läuft.“
Die Solidarität innerhalb des bäuerlichen Berufsstandes steht ebenfalls
in Frage. Noch einmal der Landwirt im Interview: „Da gibt es
sehr große Unterschiede. In manchen Ortschaften ist eine sehr gute
Atmosphäre, aber in anderen wiederum eine sehr schlechte. Das
hängt doch stark von den Gegebenheiten am Ort ab, der Konkurrenzsituation,
der Geschichte oder den Charakteren. Ich freu mich über
Beispiele, in denen Landwirte zusammen wirtschaften und sich gut
verstehen. Doch leider gibt es auch die andere Seite. In manchen
Ortschaften ist der Konkurrenzdruck so hoch, dass sich Neid und
Missgunst durchsetzen. Oder gar, dass manche Dinge tun, nur um
den Kollegen zu schaden.“ So sehr uns, liebe Gemeinde, der Aufruf
zur Solidarität einleuchtet, so wenig selbstverständlich ist es, dass sie
gelebt wird.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ Mit einem anderen Bild gesagt:
„Wir sitzen alle in einem Boot.“ Wirklich? Einerseits schon. Wir alle
– Menschen, dazu Tiere und Pflanzen – sind Passagiere auf dem
„Raumschiff Erde“. Sollte das in ernsthafte Turbulenzen geraten,
etwa wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet, wären wir
wohl alle betroffen. Die einen träfe es dramatisch, andere würden
weniger spüren oder hätten sogar vorübergehend Vorteile. Denn die
Erde ist zwar im Vergleich zu den Weiten des Weltalls verschwindend
klein, zugleich aber groß genug, dass – noch einmal bildlich
gesprochen – viele kleine und große Boote auf ihr unterwegs sein
können.
Wir sitzen nicht alle im selben Boot, vielmehr in ganz unterschiedlichen.
Da gibt es Luxusdampfer und total überfüllte Flüchtlingsschiffe,
wendige Schnellboote und träge Supertanker. Schiffe befinden
sich auf Kollisionskurs, doch niemand scheint in der Lage zu sein,
sie umzusteuern oder zu stoppen. Andere, die noch genügend Platz
an Bord hätten, fahren an Schiffbrüchigen einfach vorbei.
Wo erkennen wir uns wieder? Die einen fühlen sich stark, weil sie
gut mit anderen kooperieren, andere versuchen, allein dem Wind und
den Wellen zu trotzen. Manche haben Angst, ihr Boot sei schon voll
oder gar am Sinken. Etliche denken, sie seien absolut sicher – obwohl
das Wasser keine Balken hat. Die Tierhalter unter uns könnten
eine Kollision mit dem „Boot“ der Tierschützer befürchten.
Gemeinsam stark oder allein gegen Wind und Wellen? Sinkendes
Schiff oder träger Tanker? Fragen, denen wir uns auch als Kirche hin
und wieder stellen müssen – als „Schiff, das sich Gemeinde nennt“.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ Auf Gottes Segen sind wir alle
angewiesen. Landwirte, Kirche, wir Menschen überhaupt. Sympathische
und Unsympathische. Das Wetter kümmert sich nicht um arm
oder reich, gut oder böse. Auch wenn Menschen immer wieder meinen,
im Himmel werde eine große Strichliste geführt. Über einer
Spalte stehe: gerecht, freundlich, hilfsbereit, bereit zu vergeben. Über
der anderen: unfair, unversöhnlich, gnadenlos egoistisch und gierig
ohne Ende. Komme nun zu viel auf der falschen Seite zusammen,
strafe Gott mit Hagelunwettern, Dürre und dergleichen. In diesem
Sinne wurden früher Hagel- und Wetterfeiertage wie auch Erntebittgottesdienste
als Bußgottesdienste begangen.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ Jesus unterstützt diesen Strafgedanken
jedenfalls nicht. Hagelschaden als Strafe Gottes? Es ist gut,
dass wir derartige Vorstellungen hinter uns gelassen haben. Denn
auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass wir als Menschheit zu
viele schädliche Gase freisetzen, die den Klimawandel anheizen und
für mehr Wetterextreme sorgen – treffen wird es weniger die Hauptschuldigen
als vielmehr die Armen, die sich am wenigsten schützen
können. Und beim Hagel wird es wohl immer so sein, dass er an der
einen Stelle übel wütet, wenige hundert Meter weiter aber kaum
Schaden anrichtet. Ohne dass man sagen kann, warum.
Sonne und Regen, Frost und Hitze – meistens ist das Wetter ziemlich
ähnlich, wenn wir in der gleichen Region leben. Trotzdem empfinden
wir es unterschiedlich. Der vergangene Winter zum Beispiel: extrem
mild, im Flachland praktisch schnee- und eisfrei. Für Wintersportler
nicht so gut. Autofahrer hat es dagegen gefreut und die Heizkosten
hielten sich in Grenzen. Doch den Böden fehlte die „Frostgare“. Im
Frühjahr waren sie schwierig zu bearbeiten.
Dann das sonnig-warme Frühjahr: ein Blütenmeer, eine Augenweide.
„Wie lieblich ist der Maien“ – in der ersten Aprilhälfte hätte man das
schon singen können, „weil alles grünt und blüht“. Doch der Blick
zum Boden zeigte Risse wegen der Trockenheit. (Je nach Wetterentwicklung
weiter darauf eingehen.) Es ist auf jeden Fall gut, wenn wir
das Wetter hin und wieder mit den Augen der anderen sehen (vgl.
Anspiel). Der Regen stört dann nicht nur unsere Freizeitpläne. Wir
können uns auch daran freuen, wenn Äcker und Gärten ihren Durst
stillen.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ Jesus sagt nicht, dass Gott das
Wetter willkürlich verteilt. Im Gegenteil: Sonnenschein und Regen
sind Zeichen für Gottes Güte. Weil ohne beides kein Leben möglich
wäre. Gott will aber das Leben seiner Geschöpfe, seiner ganzen
Schöpfung erhalten. Trotz Bosheit und Ungerechtigkeit unter uns
Menschen soll keine Sintflut mehr kommen. Saat und Ernte werden
nicht aufhören.
In der Bergpredigt legt uns Jesus eindringlich ans Herz: Vertraut auf
Gott, unseren Vater im Himmel. Er weiß, was ihr braucht, er hört
eure Bitten. Darum habt ihr es nicht nötig, besonders wortreich und
salbungsvoll zu beten. Darum sind viele der Sorgen, mit denen ihr
euch quält, völlig unnötig: „Wer von euch vermag durch Sorgen seiner
Lebenszeit auch nur eine Elle hinzuzufügen?“ – „Euer Vater
weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ Was das Bitten nicht
überflüssig macht, ihm aber eine andere Qualität gibt. Auch unsere
Erntebitte ist nicht etwa der Versuch eines Wetterzaubers. Vertrauensvoll
wenden wir uns vielmehr in dieser für Bäuerinnen und Bauern
wichtigen Zeit an unseren Vater im Himmel. Bitten um seinen
Segen für die Menschen, für die Ernte, für das tägliche Brot.
„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ Für sich ein schöner, bedenkenswerter
Erntebittvers, der uns einlädt zur Solidarität und zum
Vertrauen auf den Vater im Himmel. Jesus sagt das aber in einem
bestimmten Zusammenhang – und plötzlich läuft das Ganze nicht
mehr runter wie Öl: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch
verfolgen, damit ihr seid Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er
lässt seine Sonne aufgehen …“
„Liebt eure Feinde.“ Wollen wir heute überhaupt etwas von Feindschaft
hören? Bei der Erntebitte geht es um unser tägliches Brot, um
den Segen des Vaters im Himmel, um die Freuden, Sorgen und Bitten
der Bäuerinnen und Bauern kurz vor der Ernte. In der Tat wäre es
daneben, wollten wir nun Feindbilder heraufbeschwören. Wo wir,
abgesehen von kleineren Reibereien, im Frieden mit unseren Mitmenschen
leben, dürfen wir einfach nur dankbar sein. Für das gute
zwischenmenschliche Klima in der Familie, unter Berufskollegen,
am Ort, in der Kirchengemeinde.
Doch viele kennen es anders. Wo jemand sich engagiert, Profil zeigt,
Erfolg hat, sind schnell Neider zur Stelle. Konkurrenz belebt das Geschäft,
kann aber ausarten, wenn einer den anderen als Feind bekämpft.
In manchen Dörfern „pflegen“ Familien ihre Feindschaft
über Generationen. Oft werden Menschen nur deshalb angefeindet,
weil sie anders aussehen, anders leben, weil sie angeblich den falschen
Beruf ausüben oder dem falschen Glauben anhängen. Jesus ist
da sehr realistisch, wie die Bibel überhaupt. Ohne Illusionen spricht
er von Feinden, von Bösen und Ungerechten. Aber er ruft nicht zum
Hass gegen sie auf.
„Liebt eure Feinde.“ Jesus kennt die Welt und uns Menschen, weiß,
wie wir ticken. Er kennt die, die rücksichtslos ihren Vorteil verfolgen,
ohne sich um Gerechtigkeit zu kümmern, die weder Gott noch
die Menschen respektieren. Wie die Propheten im Alten Testament
kehrt er Unrecht nicht etwa unter den Teppich. Trotzdem sieht er die
Übeltäter als Menschen, denen er die Chance eröffnet umzukehren.
Jesus kennt auch uns, die wir an ihn glauben – wenn in unseren Herzen
Neid und Missgunst aufsteigen, der Zorn über Menschen, die uns
das Leben schwer machen. Aber er will all dem Bösen, das unser
Leben und Zusammenleben vergiftet, nicht das Feld überlassen:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das
Böse mit Gutem.“ Schreibt der Apostel Paulus im Sinne Jesu. Als
Kinder des Vaters im Himmel sind wir dem Bösen um uns herum
und in uns nicht wehrlos ausgeliefert.
„Liebt eure Feinde.“ Wie soll das gehen? Sicher nicht so, dass ich
mich zwinge, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zweierlei
kann uns aber helfen, wenn wir uns in diese Richtung bewegen.
Einerseits die Einsicht, auf der anderen Seite das Gebet. Die Einsicht:
Ich sehe im anderen einen Menschen, kein Monster. Selbst in
dem, den ich als ungerecht und böse wahrnehme. Gott lässt über ihm,
über ihr die Sonne scheinen und Regen fallen. Was uns auch trennt,
gemeinsam sind wir bedürftige Menschen, angewiesen auf die Güte
unseres Schöpfers.
Zweitens das Gebet: „Bittet für die, die euch verfolgen“, sagt Jesus.
Wenn uns das zu hoch vorkommt, es geht auch eine Nummer kleiner:
„Nehmt die mit hinein in euer Gebet, die euch das Leben schwer
machen. Die als Konkurrenten alles versuchen, um euch zu schaden.
Die als Nicht-Landwirte über eure Arbeit als Bauern herziehen. Die
euch verspotten wegen eures Glaubens. Betet auch für sie. Bringt
das, was euch bedrückt, was euch Angst und was euch wütend
macht, im Gebet vor Gott.“
Wenn ich für Menschen bete, die mir böse kommen, zaubert das die
Feindseligkeit nicht einfach weg. Aber ich fange an, mich selber zu
verändern. Weil ich nicht allein gegen Wind und Wellen ankämpfe,
sondern mich mit dem verbunden weiß, der allen Aufruhr stillen
kann. Gott, unser himmlischer Vater, der will, dass wir leben. Als
seine Geschöpfe, seine Söhne und Töchter. Verbunden mit unseren
Mitmenschen und Mitgeschöpfen – denn über uns alle lässt er die
Sonne scheinen und Regen fallen. Vor ihn bringen wir, was uns freut
und was uns Sorge bereitet, jetzt, bevor die Ernte beginnt. Amen.
Fürbitten
I. Um deinen Segen bitten wir dich, barmherziger Gott.
Wo du nicht segnest, mühen wir uns umsonst.
Wo du uns nicht behütest, sorgen wir umsonst.
Um deinen Segen bitten wir dich für die anstehende Ernte.
Dass die Frucht unbeschadet vollends reif werde.
Dass wir den Erntesegen einbringen können,
ohne Unfall und Unwetter, ohne allzu viel Hektik.
Um deinen Segen bitten wir dich, barmherziger Gott.
Dass Sonne und Regen zum Segen werden, nicht zum Fluch.
Dass wir zum Segen werden für deine Erde.
Voller Aufmerksamkeit für den Rhythmus des Lebens
bebauen und hüten, nicht rücksichtslos ausbeuten.
Um deinen Segen bitten wir dich, barmherziger Gott.
Lass alle Menschen etwas spüren von deiner Barmherzigkeit
und von dem Segen, den du auf dieser Erde aufgehen lässt.
Landwirte, die säen und ernten und Tiere halten,
und uns Verbraucher, die wir in großer Vielfalt einkaufen können.
Menschen, die hungern nach Brot und Gerechtigkeit,
und die, die übersättigt sind und trotzdem innerlich leer.
Menschen, die in Ruhe und Sicherheit leben,
und die, deren Leben bedroht ist durch Krieg und Gewalt.
Menschen, die erfüllt sind von Glaube, Hoffnung und Liebe,
und die, in denen Verzweiflung, Hass und Fanatismus wohnt.
Dazu alle, die irgendwo dazwischen sind.
Über uns alle, barmherziger Gott,
lässt du die Sonne aufgehen und den Regen fallen.
Wir alle leben durch deinen Segen,
in dieser Erntezeit und jeden Tag unseres Lebens.
Gemeinsam beten wir: Vater unser im Himmel …
II. Lieber Vater im Himmel, wir danken dir für alles, was du auch in
diesem Jahr hast wachsen lassen, und bitten dich, dass wir es gut
einbringen dürfen. Schenke uns Vertrauen, dass wir mit deiner
Schöpfung sorgfältig umgehen. Gib, dass wir in unseren Familien
und Gemeinden im Frieden miteinander leben dürfen. Wir denken
auch an die vielen Menschen, die nicht wissen, wie sie ihren Hunger
stillen sollen. Vergib auch denen, die deine Gaben verachten und
weg werfen. Herr erbarme dich über uns und schenke uns, dass wir
auch in Zukunft dir vertrauen.
III. Gott, wir danken dir für deine Güte und Schöpferkraft.
Wir bitten dich für eine gute Ernte, bei uns und weltweit. Lass es
genügend regnen und lass die Sonne scheinen nach deinem Willen,
gib Kraft und hilfreiches Miteinander bei der Ernte.
Wir danken dir, dass du deine Sonne aufgehen lässt über Böse und
Gute. Gib uns den Mut, unsere Vorurteile abzubauen und offen zu
werden für die Sicht unseres Gegenübers.
Schenke den Landwirten Gelingen bei ihrer Arbeit, Hoffnung bei
allen Veränderungen und Segen für die Ernte.
Lass uns die Güter deiner Schöpfung wieder neu achten und dankbar
aus deinen Händen empfangen.
Gott, du lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Hilf uns, diese
Wahrheit zu verstehen und mache uns bereit uns einzusetzen für Gerechtigkeit
in dieser Welt.
Wir bitten dich für alle, die um eine gute Ernte bangen, bei uns und
weltweit. Gib den Hungernden Nahrung, den Unterdrückten Hilfe,
den Flüchtlingen Hoffnung.
Schenke Frieden und stärke alle demokratischen Bemühungen in der
Ukraine, in Syrien … (je nach Aktualität verändern/ergänzen)
Fördere die Projekte der Diakonie weltweit und ermutige die Verantwortlichen,
sich für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung
einzusetzen.
Wirke durch dein Wort des Evangeliums und durch deinen Geist der
Versöhnung, damit aus Fremden Freunde werden. Amen.
... lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte
aus Sicht der Landwirtschaftlichen Familienberatung
Beratung gründet in aufgeklärter Rationalität. Daher ist es für uns im
Grundsatz eine Selbstverständlichkeit, dass es über Gerechte wie
Ungerechte gleichsam regnet, dass sich Gunst und Ungunst, Glück
und Leid über alles legt, was lebt, in gleicher willkürlicher Weise.
Das ist immer wieder Anlass für Beratung, denn Ungunst und Leid
können existentiell bedrohlich und schmerzhaft sein. Doch hier bleibt
Beratung selten stehen, denn nur wenige Beratungsanlässe brechen
so schicksalhaft und unbeeinflussbar über Menschen herein wie das
Wetter. Zudem, viele Klienten fragen nach dem „warum?“, sie versuchen
Hintergründe auf der Handlungs- und Verhaltensebene aufzudecken.
Sofern es sich um vermeidbares Leid handelt, ist das sinnvoll,
denn ungünstige Zustände brauchen und sollen nicht anhalten,
vermeidbares Leid braucht und soll sich nicht wiederholen. Doch das
Betreten dieser Ebene ist nicht ungefährlich, denn in dem Maße, wie
es gelingt Ursachen des Leidens aufzudecken, werden Schuld und
Verantwortung bewusst, die der Annahme und Akzeptanz bedürfen.
Anders ausgedrückt: Es bedarf einer jesuanischen Annahme und
Barmherzigkeit, damit Wandlung in Richtung Glück möglich wird.
Doch damit nicht genug. Wenn wir Gunst und Ungunst als Folge
unserer Handlungen ansehen und darüber hinaus unsere Handlungen
als Resultat unseres Denkens begreifen, können wir auch unser Denken
in den Dienst individueller Gunst stellen, wie es beispielhaft im
„Coaching“ oder noch deutlicher ausgeprägt in der Schule des „Positiven
Denken“ praktiziert und propagiert wird. Zugespitzt gesagt:
nun verteilt sich Gunst nicht mehr zufällig oder willkürlich, sondern
zunehmend folgerichtig über das Leben. Gunst stellt sich als Folge
positiver Gedanken dar, Ungunst als Folge negativer Gedanken.
Wenn wir den Weg weiter gehen und uns jedes Leben als „des eigenen
Glückes Schmied“ vorstellen, ist es nur ein kleiner zusätzlicher
Schritt, auf die persönliche Freiheit eines jeden Lebens zu verweisen,
verbunden mit der Forderung, die Chance zur Gunst auch tätig zu
ergreifen. In diesem Zusammenhang bekommen menschliche Verhältnisse
zu aller erst die Aufgabe, Freiheit zu gewährleisten, damit
Gunst frei ergriffen werden kann. Gunst und Glück liegen dann in
der individuellen Verantwortung des Einzelnen. Mit dieser Verkettung
sind wir nun weitgehend bei herrschenden Denk- und Interpretationsmustern
angelangt, und spätestens jetzt wird deutlich, dass
unser so aufgeklärter Ausgangsatz „Gott lässt regnen über Gerechte
und Ungerechte“ keine Relevanz mehr besitzt, es sei denn, wir betrachten
ausschließlich Wetterphänomene. Gunst oder Ungunst erscheinen
als in der eigenen Verantwortung liegend. Damit rechtfertigt
diese Denkart den Triumph der Erfolgreichen und das Leid der
Verlierer. Ökonomisch gewendet ist das der Stoff, der die Existenz
von Multimilliardären für notwendig erklärt, weil ihr Luxusleben
auch einigen Hungerleidern eine bescheidene Existenz ermögliche.
Theologisch würde so Erfolg weitgehend mit Gottgefälligkeit gleichgesetzt
und Unglück mit „hast wohl nicht genug gebetet“ kommentiert.
Wenn man von diesem Ergebnis auf den Anfang schaut, ist das
schon erstaunlich. Wie ist damit innerhalb der Landwirtschaftlichen
Familienberatung umzugehen?
Landwirtschaftliche Familienberatung im Evangelischen Bauernwerk
ist zugleich aufgeklärter Rationalität wie auch dem Menschensohn
verpflichtet. Wir können gar nicht anders, als auf die Einheit dieser
beiden Grundlagen zu bauen. Deshalb sollten wir uns nur in so weit
der beraterischen und psychologischen Werkzeuge bedienen, wie
dieses Tun mit Jesu Botschaft im Einklang steht. Dabei ist die Bergpredigt
eine Quelle von zentraler Bedeutung. Zweifelsohne hat es
diese Quelle in sich, denn sie ist weder als konkrete Handlungsanweisung
oder Ethik zu verstehen, noch wird man ihr gerecht, indem
man sie in ein christliches Schatzkästchen packt, um sie nur anlässlich
von Gottesdiensten und Feiertagen herauszuholen. Die Bergpredigt
gehört mitten ins Leben. Sie ist der Teststreifen dafür, inwieweit
eine Gruppe von Menschen sich vom Menschensohn anrühren lässt.
Für die Arbeit der Landwirtschaftlichen Familienberatung ergibt sich
daraus folgende praktische Relevanz:
Wir sprechen mit jedem, der nach uns verlangt,
wir bemühen uns, uns jedes Urteils zu enthalten,
wir bemühen uns in jeder Situation um Verzeihung und Annahme,
wir bemühen uns um eigene Ehrlichkeit.
Einfühlung ist für uns ein wichtiger Bestandteil unserer eigenen Arbeit.
Wir sind der Überzeugung, dass Einfühlung und Anteilnahme
wirksame Mittel sind, um zwischenmenschliche Konflikte und Belastungen
abzubauen.
Unter der Maßgabe, dass jeder Mensch ein Recht auf Glück hat, ist
es unsere Aufgabe unseren Klienten beim Erkennen und Vertreten
ihrer eigenen Bedürfnisse zur Seite zu stehen.
Wir sind der Überzeugung, dass aus welchen Gründen auch immer in
Not geratene oder ausgegrenzte Mitmenschen in die Mitte der Gesellschaft
gehören.
Wir glauben, dass die Wohnung eines armen Menschen eine Wohnstätte
Gottes ist, und versuchen danach zu handeln.
Dabei sind auch wir nicht ohne Versagen und Fehler. Auch wir Beraterinnen
und Berater bedürfen der Vergebung und der Barmherzigkeit,
und so sehen wir uns auf dem Weg, einzeln wie gemeinsam, das
für uns Mögliche zu tun. Auf diesem Weg wollen wir nur allein die
Gnade Gottes zählen lassen, die Gnade des Gottes, der es regnen
lässt über Gerechte und Ungerechte.