Universität Leipzig Simon-Dubnow-Institut Stefan Wendehorst Einführung in die Geschichte der frühen Neuzeit: Juden und Recht im alten Reich Martin Nelskamp Kurt-Eisner-Straße 60 04275 Leipzig 0341/3917229 3. Fachsemester Germanistik, Mittlere und neuere Geschichte, Philosophie
Katholische Kirche und Juden in der Frühen Neuzeit
Die Päpstliche Judenpolitik,
ihre direkte Anwendung im Kirchenstaat
und
ihre Auswirkungen auf das katholische Schwaben der frühen Neuzeit
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Inhalt Einleitung ............................................................................................................. 3
1. Die päpstliche Judenpolitik und ihre Umsetzung im Kirchenstaat in der
frühen Neuzeit.............................................................................................. 4
1.1. Errichtung des römischen Gettos und Ausweisung aus dem Kirchenstaat ................ 5
1.2. Oberstes Ziel der päpstlichen Politik: Judenmission.................................................. 6
1.3. Zensur des Talmud und anderer jüdischer Schriften durch die Päpste ...................... 9
1.4. Diskriminierung der Juden im Kirchenstaat............................................................. 11
1.5. Der Umgang der Päpste mit dem Vorwurf des Ritualmordes.................................. 11
2. Judenpolitik im katholischen Schwaben in der frühen Neuzeit ............ 13
2.1. Jüdisches Leben in Schwaben – Gettoisierung und Konstanz? ............................... 13
2.2. Oberstes Ziel der Politik in Schwaben: Fiskalische Interessen................................ 17
2.3. Zensur hebräisch jüdischen Schriftgut in Schwaben?.............................................. 18
2.4. Diskriminierung der Juden in Schwaben?................................................................ 19
2.5. Ritualmord in Schwaben? ........................................................................................ 20
Resümee.............................................................................................................. 22
Literaturverzeichnis:......................................................................................... 23
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Einleitung Die vorliegende Hausarbeit stellt den Versuch dar, die Stellung der Päpste zu den Juden
während der frühen Neuzeit auszuarbeiten und exemplarisch auf das ‚Alte Reich’, in diesem
Fall das katholische Schwaben, zu übertragen und seine Umsetzung kritisch zu hinterfragen.
Zu diesem Zweck werde ich die Position der Päpste in der Folgezeit des Konzils von Trient
darstellen und ihre Umsetzung im Kirchenstaat überprüfen, da nur wenige Bullen auf den
gesamten Bereich der Kirche ausgerichtet waren. Der Überlegung liegt die Annahme
zugrunde, dass die Päpste ihre Judenpolitik im Kirchenstaat als exemplarisch betrachtet
haben, wenn auch in nicht allen Fällen, die die Juden betrafen explizit darauf hingewiesen
wurde, dass sie für die gesamte katholische Kirche gültig sind.
Aus diesen Überlegungen heraus wird nun untersucht, ob die Katholische Kirche sich als
monolithischer Block herausstellt, wie es hier als päpstliches Ideal vorausgesetzt wird, oder
ob es Abweichungen von päpstlichen Vorgaben gab und wie massiv sie sich in der Realpolitik
in Schwaben niedergeschlagen haben.
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1. Die päpstliche Judenpolitik und ihre Umsetzung im Kirchenstaat in der frühen Neuzeit
Die Juden im Kirchenstaat und in Rom hatten über 1000 Jahre in ruhiger Koexistenz mit den
christlichen Bewohnern und der Kirche gelebt, was auf exegetische Feststellungen
Augustinus von Hippo (354 - 430) zurückgeht. Augustinus hat sich negativ zu den Juden
geäußert und ihnen vorgeworfen, dass sie in Bosheit, Hass und Lüge verharrten und sie die
Schuld ihrer Väter für den Gottesmord trügen. Dennoch hat er aus der Bibel das Verbot
abgeleitet, die Juden zu vernichten. Der von Augustinus dafür eingeführte Begriff lautet
‚ungewollte Zeugenschaft’: Die Juden verdienen christliches Wohlwollen und Wertschätzung
als Träger und Verwalter der alttestamentarischen Schriften, da sie so zu Zeugen der
Erfüllung der darin enthaltenen Prophezeiungen werden, wenn auch ungewollt und
unfreiwillig. Aus dieser ungewollten Zeugenschaft leitet Augustinus ab, dass die Juden zu
dulden (lt. tolerare) sind. Diesem Toleranzbegriff lag ein anderes Verständnis zugrunde, als
das heute der Fall ist. Toleranz wurde als notgedrungenes, widerwilliges und passives
Erleiden verstanden, zu dem Christen durch die Bibel gezwungen sind; wie die Juden zu ihrer
Zeugenschaft. Dieses Verständnis von Toleranz sorgte seit dem Konzil von Toledo (633) für
die strikte Ablehnung von Zwangstaufen, die von Papst Alexander III. (1159 – 1181) erneuert
wurde: Taufe dürfe nur aus einer freien Willensentscheidung erfolgen1.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts zeichnete sich ein Wandel in der Politik der Kurie ab2.
Oberstes Ziel der päpstlich römischen Judenpolitik wurden Missionierung und Bekehrung der
Anhänger des mosaischen Glaubens, was man ebenfalls seit Augustinus in Einzelfällen nicht
für möglich hielt, sondern lediglich als Kollektiverkenntnis des gesamten Judntums zu Beginn
des tausendjährigen Reiches3. Neben diesem obersten Ziel galt es natürlich als kaum weniger
wichtig den eigenen Glauben von jüdischen Einflüssen rein zu halten und für die
Finanzierung dieser Politik zu sorgen4. Aus dieser Zielsetzung erklärt sich die im folgenden
erarbeitete Politik der Kurie für den Kirchenstaat. Sie hat darüber hinaus Gültigkeit, oder
zumindest den Anspruch auf Gültigkeit für die gesamte katholische Kirche. Es sei
hinzugefügt, dass dieses Ziel nicht von allen amtierenden Päpsten mit gleicher Vehemenz und
1 Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. hrsg. Von Brunner, Otto, Conze, Werner und Kosellek, Reinhart, Band 6. – Stuttgart: Klett-Cotta, 1990. 2 Stow, Kenneth R.: The Jews in Rome: the Roman Jew. – Leiden, New York, Köln: Brill, 1995: XII. 3 Stow: Jews in Rome, introduction: LII. 4 Eckert, Willehad Paul: Katholizismus zwischen 1580 und 1848. – In: Rengstorf, Karl Heinrich; Kortzfleisch, Siegfried (Hrsg.): Kirche und Synagoge II. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden.. – Stuttgart: Klett, 1970: 225.
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Konsequenz verfochten wurde bzw. diese Ziele nicht von allen Päpsten in gleicher Weise
aufgefasst wurde. So gab es unter manchen Päpsten Erleichterungen für die Juden zu
verzeichnen.
1.1. Errichtung des römischen Gettos und Ausweisung aus dem Kirchenstaat
Die große Mehrzahl der Juden in Rom lebte schon lange in dem Bereich, der später zum
Getto werden sollte. Paul IV. (1555-1559), ein aggressiver Feind von Juden, Marranen und
Häretikern5, war der Papst, der jüdischem Leben außerhalb des Ghettos ein Ende machte und
das Ghetto durch eine Außenmauer eingrenzte. Damit sorgte er für eine strikte Trennung der
jeweiligen Wohn- und Lebensbereiche6. Mit seiner am 12. Juli 1555 veröffentlichten Bulle
Cum nimis absurdum legte er die Rolle der Juden nach dem Vorbild des 4. Laterankonzils7
fest und zwang die Juden nach § 8 den Handel mit Christen, nicht wie bisher, nur zu
protokollieren, sondern er legte auch fest, dass dies in lateinischen Buchstaben und in
italienischer Vulgärsprache zu geschehen habe8. Am 26. Juli 1555 ließ Paul IV. alle Juden
Roms in das Getto umsiedeln. In der Annahme, dass das Datum mit Bedacht und mit
Kenntnis des jüdischen Kalenders gewählt wurde, war eine tiefe Demütigung der Juden. Nach
jüdischer Zeitrechnung war es der 9. Tag des Monats Aw (Tisch’a beAw)9 , der Tag an dem
die Juden der Zerstörung des ersten Tempels unter Nebukadnezar 587 v. Chr., der Zerstörung
des zweiten Tempels durch die Römer unter Titus Vespasianus 70 n. Chr. gedenken. Ebenso
wird am 9. Aw an die endgültige Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes im Jahre 135
n. Chr., wie an das Ablaufen der letzten Frist zur Vertreibung der Juden aus Spanien 1492,
das Ende des ‚goldenen Zeitalters’ bedeutete, erinnert10.
1566 erneuerte Pius V. (1566 – 1572) die Bulle Cum nimis absurdum seines Vorgängers und
verschärfte die Regeln des Gettos, indem er es den zum Christentum konvertierten Juden
strengstens untersagte das Getto zu betreten und den Verstoß dieses Gebots unter harte Strafe
stellte11. Pius V. war es auch, der 1569 am 26. Februar mit seiner Bulle Hebraeorum Gens die
Juden aus dem Kirchenstaat verwies, mit Ausnahme der Städte Rom und Ancona, in denen
5 Eckert, Willehad Paul: Katholizismus zwischen 1580 und 1848. – In: Rengstorf, Karl Heinrich; Kortzfleisch, Siegfried (Hrsg.): Kirche und Synagoge II. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden.. – Stuttgart: Klett, 1970: 287. 6 Stow: Jews in Rome, introduction: LIII. 7 Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Von den Anfängen bis 1650. – Darmstadt: Primus-Verlag, 2000: 202. 8 Eckert: Katholischer Humanismus: 288. 9 Eckert: Katholischer Humanismus: 288. 10 S. Ph. De Vries Mzn.: Jüdische Riten und Symbole. – Wiesbaden: Fourier Verlag,5 1988: 135ff. 11 Eckert: Katholischer Humanismus: 288.
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das Wohnrecht erhalten blieb. Die genannten Gründe für die Ausweisung sind Unglaube,
Wucher, Kuppelei mit Christen, Wahrsagerei, Zauberei und allerlei andere Verbrechen, die
sich täglich mehrten. Als einziger Nutzen der Juden wird geringer Verkehr mit dem Osten
genannt, der die anderen Gründe jedoch nicht aufwiegen könne12. Die Ausnahmen Rom und
Ancona werden mit der Nähe zum heiligen Stuhl und der damit verbundenen Hoffnung auf
mögliche Bekehrung begründet13. Dass der bescheidene Verkehr mit dem Osten und das
damit in Verbindung stehende, erhöhte Handelsaufkommen in Ancona die größere Rolle
gespielt haben mag, den Juden dort das Bleiberecht zu erhalten, kann nur vermutet werden. Es
geht aus den von mir bearbeiteten Quellen nicht direkt hervor.
Mit Sixtus V. war es ein judenfreundlicher Papst, der 1589 das römische Getto erweiterte, so
dass die Wohnungslage darinnen nicht mehr ganz so dramatisch war14. Zu einem weiteren
Erlass von ihm habe ich widersprüchliche Angaben gefunden, die Sixtus V. das gleiche Ziel
unterstellen: Wiederbelebung des Handels im Kirchenstaat. Kenneth R. Stow sagt dazu, dass
Sixtus V. (1585-1592) das Leihen, also die Pfandleihe, in anderen Städten des Kirchenstaates
wieder zugelassen hat15, während Willehad Paul Eckert von der wiedererlangten
Wohnerlaubnis in anderen Städten spricht16. Wegen der großen Wichtigkeit des Gettos für die
Päpste und die bei Stow erwähnte Erweiterung des Gettos halte ich dessen Version vom
erlaubten Handel für wahrscheinlicher. Dies erleichtert mir außerdem den Vergleich mit den
schwäbischen Gemeinden, da die päpstliche Haltung so an Konstanz gewinnt.
1.2. Oberstes Ziel der päpstlichen Politik: Judenmission Was man seit Augustinus lange für ausgeschlossen oder nutzlos hielt17, wurde mit der
Anerkennung dem Jesuitenorden, der ‚Societas Jesu’, durch Papst Paul III. (1534 - 1549)
erstmals anerkannte Praxis. Die Bekehrung der Juden, wie auch anderer Heiden und Ketzer,
wurde zum offiziellen Ziel der päpstlichen Politik. Wenn es vorher vereinzelte Taufen und,
trotz des offiziellen Verbotes, Zwangstaufen gegeben hatte, so etablierte sich mit dem
Jesuitenorden langsam der Weg über die Tolerierung des anderen Glaubens hin zur Taufe18.
Die Tolerierung wurde zu diesem Zeitpunkt noch immer als Duldung der Juden verstanden;
sie hatte mit der Etablierung des Jesuitenordens ihre Passivität verloren. Ziel des Ordens war
es den freien Willen zur Taufe aktiv herbeizuführen und zwar unter Zuhilfenahme mehrerer
12 Eckert: Katholischer Humanismus: 290. 13 Eckert: Katholischer Humanismus: 290. 14 Stow: Jews in Rome, introduction: LV. 15 Stow: Jews in Rome, introduction: LV. 16 Eckert: Katholizismus : 232. 17 Stow: Jews in Rome, introduction: LII. 18 Stow: Jews in Rome, introduction: LII.
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Mittel: Paul III. ließ am 19. Februar 1543 eine Kirche zur Behütung der Katechumenen zur
Verfügung stellen (Bulle: Illius qui), welche der Abgrenzung von den Juden dienen sollte19.
Zudem wurde den Taufwilligen finanzielle Existenz und ein ‚Neuanfang’ zugesichert. Eben
diese Tolerierung der Juden, die auch den bisherigen Handlungen zugrunde lag, wurde am 10.
Mai 1581 in der von Gregor XIII. (1572 – 1585) veröffentlichten Bulle: Antiqua judaeorum
improbitas deutlich:
Doch fanden sie nirgends eine größere Milde als in den christlichen Länder, besonders aber im Schoße der apostolischen Liebe, die sich um ihre Bekehrung mühte, sie daher erbarmend aufnahm und ihr Zusammenwohnen mit den eigenen Söhnen duldete, die sie stets mit frommem Eifer zum Lichte der Wahrheit zu locken suchte, die in dem zum Leben notwendigen unterstützte, sie vor Kränkungen und Beleidigungen schützte, sie endlich mit vielen Privilegien und ihrem Wohlwollen umhüllte.20
Gregor handelte entsprechend. Bereits 1573 hatte er Soldaten aus Rom gewiesen, die das
Getto angegriffen hatten21. Er war es auch, der 1581 die Abzeichenpflicht für den
Marktbesuch abschaffte, weil sich die Juden zuvor über regelmäßige Anpöbelungen
beschwert hatten22. Mit der Verkündung eben dieser Bulle leitet Papst Gregor XIII. das Ende
der waltenden Milde ein, da er die Juden damit unter die Kontrolle der Heiligen Inquisition
verfügt, die jegliche Schmähungen, Erniedrigungen und Verunreinigungen des christlichen
Glaubens hart bestrafen sollen.
Wie er sich um die oben erwähnte Bekehrung mühte, soll im folgenden gezeigt werden:
Bereits unter Julius III. (1550-1555) war durch die Bulle Postoris aeterni (31. August 1554)
die Zahlung der Juden von 10 Golddukaten pro Gebetsraum und Jahr festgelegt worden23, mit
Hilfe derer die Katechumenenheime in Rom finanziert wurden. Paul IV. hatte die Zahlungen
in seiner Bulle Dudum postquam vom 23. März 1556 auf alle 1554 genutzten Gebetsräume
revidiert, auch wenn diese nicht mehr genutzt wurden24. Ihre Zahl dürfte nicht unerheblich
gewesen sein, da somit alle Gebetsräume außerhalb Anconas und des römischen Gettos
miteinbezogen waren. Das Ziel dieser und anderer Vorschriften fasst Kenneth R. Stow so
zusammen: „The Intention was quite explicit: enourmous payments would savely bring the
jews to the baptismal font.“25
19 Eckert: Katholizismus: 225. 20 Eckert: Katholizismus: 223. 21 Eckert: Katholizismus: 222. 22 Eckert: Katholizismus: 222. 23 Eckert: Katholizismus: 224. 24 Eckert: Katholizismus: 222. 25 Stow: Jews in Rome, introduction: LIII.
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Pius IV. (1559 – 1565) ließ am 26. Januar 1562 ein solches für weibliche Taufbewerber
einrichten (Bulle: Cum inter leteras)26. Gregor XIII. erweiterte die bereits vorhandenen
Missionsinstitute 1577 um eine Internatsschule, zu deren Eröffnung er am 1. September in der
Gründungsbulle Vices eius nos betont, dass die Bekehrung der Juden Aufgabe des Papstes sei.
Ziel dieses Internats war es neben dem normalen Gymnasialunterricht auch die hebräische
und arabische Sprache zu lehren, die von den Schülern, die zu 2/3 jüdischer Herkunft und zu
1/3 moslemischer Herkunft waren. Letztere waren zumeist türkische Kriegsgefangene, die
dazu benutzt werden sollten, bei den ehemaligen Glaubensgenossen Predigten zu halten und
somit die Mission voranzutreiben27. Mit diesem Ziel führte er in der selben Bulle gleichsam
die allsabbatliche Zwangspredigt für die Juden Roms ein, nachdem Pius V. sie bereits 1568
für alle Feiertage eingeführt hatte28. Damit endete die Zeit des passiven Erduldens endgültig.
In der Bulle gebietet er:
allen Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen und anderen kirchlichen Prälaten sowie den Kardinälen, dafür zu sorgen, dass in ihren Gebieten, Ländern und Orten, an denen sich eine genügende Anzahl Juden befindet, die eine Synagoge gründen, sie diese am Sabbat oder einem anderen bestimmten Tag jeder Woche an einem vorherbestimmten Ort, jedoch nicht an einem geweihten oder an einem Ort, an dem gewöhnlich das Messopfer gefeiert wird, zusammen zu rufen. Dort soll jenen ein Magister der Theologie oder ein anderer von ihnen ausgewählter, genügend geeigneter Man, der von den Hebräern oder sonst wie, wie es ihm am besten erscheint, bezahlt wird, wenn möglich in Hebräisch, - was der Mühe der Sprache wert ist -, Predigten oder Vorlesungen halten. Darin sollen ihnen die Schriften des alten Testaments, nämlich Moses und der Propheten erläutert werden.29
Aber nicht nur an die Vertreter der Kirche richtet sich dieser Aufruf zur Zwangspredigt:
Im übrigen bitten und beschwören wir im Herren den Kaiser, die Könige und alle Fürsten, aber auch die Republiken, Magistrate und weltlichen Herren, dass sie den Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen ... ihren Stellvertretern und Dienern hinsichtlich des Obgesagten ihre Hilfe gewähren und so vom allmächtigen Gott den höchsten Lohn erlangen.30
Die hier für Rom und die gesamte katholische Kirche eingeführten Zwangspredigten wurden
im Kirchenstaat bis ins 18. Jahrhundert durchgeführt und unterstanden ständigen Kontrollen.
So wurde von Gemeindebeamten die Anwesenheit der dazu verpflichteten Juden überprüft
und streng protokolliert, ebenso wie sich Juden, die aus gesundheitlichen Gründen
(Entbindung, Krankheit, etc.) oder wegen Reisen (Abwesenheit) in Rom nicht zur Predigt
erscheinen konnten, zu entschuldigen hatten31. Die Predigten fanden etwa jedes zweite
Wochenende statt, da sowohl jüdische als auch christliche Feiertage zu Ausnahmen führten.
Anwesend sein sollten ursprünglich 300 Mitglieder männlichen und weiblichen Geschlechts 26 Eckert: Katholizismus: 226. 27 Eckert: Katholizismus: 226. 28 Eckert: Katholizismus: 226. 29 Eckert: Katholizismus: 229. 30 Eckert: Katholizismus: 229. 31 Eckert: Katholizismus: 231.
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der jüdischen Gemeinde nach Erlangung der Religionsmündigkeit, der Bar Mitzwa, doch
veränderten sich diese Vorgaben mit der Zeit und die gesamte Zahl der 300 wurde fast nie
erreicht32.
Wie schon die Finanzierung der Judenmission durch die von ihnen selbst erhobenen Steuern
unter Julius III. und Paul IV. und die Wohnerlaubnis in Ancona zeigen, waren sich die Päpste
der händlerischen Fähig- und Tätigkeiten der Juden, wie ihrer Finanzkraft bewusst und
wollten nicht auf sie verzichten. So ist wohl der Satz in der Bulle Pius V. vom geringen
Nutzen der Juden durch den Verkehr mit dem Osten nicht gering zu bewerten. Schon die
bloße Erwähnung dieses Nutzens lässt auf dessen Bedeutung schließen, ebenso wie die
Wiederzulassung des Leihens außerhalb der beiden Städte unter Sixtus V. Es lässt sich aus
den von mir bearbeiteten Quellen keine weitere intensive Nutzung der jüdischen Finanzkraft
nachweisen.
Neben den Juden hatte die päpstliche Finanzpolitik zur Füllung von Löchern in der Kasse des
Kirchenstaates ein anderes, noch effektiveres Mittel zur Hand. Wenn dieses Mittel auch nicht
zwingend effektiver war (was historisch kaum nachprüfbar sein dürfte), so war es doch
gängigere Praxis: nämlich den Titel- und Ämterverkauf, der Hunderttausende Scudi in die
römischen Kassen spülte33.
1.3. Zensur des Talmud und anderer jüdischer Schriften durch die Päpste
In der Zeit vor dem Trienter Konzil war Venedig, neben Prag, das Zentrum hebräischen
Buchdrucks34. Der Druck des Talmud unterlag zwar schon seit 1515 der Zensur, die von Leo
X. (1513 – 1521) aber sehr aufgeschlossen gefasst worden war35. Sogar mit päpstlichem
Privileg wurde die babylonische Gemara 1521-1523 in Venedig zum ersten Mal gedruckt36.
Im Verlauf des Trienter Konzils forderte Papst Paul III. 1548 den päpstlichen Nuntius in
Venedig auf, den dortigen Buchdruck zu unterbinden37. Im Kirchenstaat führte Julius III. den
Kampf 1553 mit noch größerer Vehemenz fort, indem er durch die ‚Heilige Inquisition’ alle
talmudischen Schriften einziehen und sie am 9. September, dem jüdischen Neujahrsfest, auf
32 Eckert: Katholizismus: 231. 33 Von Ranke, Leopold: Die Päpste. – Essen: Phaidon Verlag: 1998: 244-255, 280-285. 34 Künast, Hans-Jörg: Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. – In: Kießling, Rolf; Ullmann, Sabine (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten während der frühen Neuzeit. Berlin: Akademie-Verlag, 1999. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 10. 35 Eckert: Katholischer Humanismus: 284. 36 Eckert: Katholischer Humanismus: 285. 37 Eckert: Katholischer Humanismus: 285.
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dem Campo de Fiore öffentlich verbrennen ließ38. 1554 forderte Julius dazu auf alle Bücher
mit Schmähungen gegen Christus zu verbieten. Diese Strategie wurde von Paul IV.
fortgesetzt, der 1557 sämtliche hebräischen Bücher im Kirchenstaat einziehen ließ39. 1559
war es auch Paul IV., der den ersten Bücherindex herausgab, der sowohl den Talmud als auch
jegliche talmudischen Schriften gänzlich verbot40.
Sein Nachfolger, Pius IV. hob dieses Totalverbot auf, indem er den Trienter Index
veröffentlichte, der den Druck des Talmud unter mehreren Einschränkung erlaubte41. Eine
Bedingung, die sich die jüdische Delegation auf dem Konzil von Trient erstritten hatte. So
durften diese Schriften nicht mehr den Titel ‚Talmud’ tragen, sondern wurden stattdessen
Gemara oder Schischa Sedarim genannt. Ebenso durften sie keinerlei Schmähungen gegen
Christus enthalten42. 1590 rief Sixtus V. am 22. Juli die Indexkommission zusammen, die am
7. August jüdische Deputierte zu Rate zieht, was im Ergebnis zu einer Zensur, aber nicht zu
einer substantiellen Beschneidung des Talmud führte43.
Diese Politik des Umgangs mit den talmudischen Schriften bzw. hebräisch-jüdischem
Schrifttum allgemein scheint Papst Klemens VIII. (1592 – 1605) nicht mehr hinreichend
gewesen zu sein. Er sah die Kirche weiterhin durch eben dieses Schriftgut gefährdet und der
Schmähung und Beleidigung durch die Juden ausgesetzt. Nur so ist es zu erklären, dass er
sich am 28. Februar 1592, noch im ersten Monat seines Pontifikates, dazu veranlasst sah, die
Bulle Cum hebraeorum malitia folgenden Inhalts zu verkünden
§2 Indem wir jenen nun dies hinzufügen, verbieten wir für immer allen jüdischen Gemeinden sowohl innerhalb des weltlichen Bereichs der heiligen römischen Kirche (der Kirchenstaat) als auch außerhalb, in allen Teilen des christlichen Erdkreises, es zu wagen oder sich herauszunehmen, die bereits oft verurteilten, gottlosen talmudischen und die ganz und gar verlogenen kabbalistischen Schriften und Bücher oder die von meinen Vorgängern bereits verbotenen und verurteilten, verruchten Bücher, die Werke, Kommentare, Bände, Schriften, seien sie nun in hebräischer oder einer anderen Sprache bis zum heutigen Tag niedergeschrieben, übersetzt, herausgegeben oder gedruckt worden, zu lesen, zu besitzen, zu behalten, zu kaufen oder verkaufen oder zu veröffentlichen.44
Die Umsetzung dieses totalen Schriftgutverbotes sollte im Kirchenstaat innerhalb von zehn
Tagen, im gesamten „christlichen Erdkreis“ innerhalb von zwei Monaten umgesetzt werden,
unter der üblichen Androhung massiver Strafen bei Zuwiderhandlung. Klemens VIII. hat, auf
Bitten und Verlangen der Judenschaft im Kirchenstaat, bereits im darauf folgenden Jahr eine
38 Eckert: Katholischer Humanismus: 285. 39 Eckert: Katholischer Humanismus: 286. 40 Eckert: Katholischer Humanismus: 286. 41 Eckert: Katholischer Humanismus: 286. 42 Eckert: Katholischer Humanismus: 286. 43 Eckert: Katholizismus: 232. 44 Eckert: Katholizismus: 233.
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Fristverlängerung zur Umsetzung eingeräumt45. Damit war zwar offiziell alles Schriftgut
verboten. Es folgte jedoch selbst im Kirchenstaat keine vollständige Umsetzung. Somit war
eine weiterreichende Umsetzung für die gesamte katholische Welt nicht zu erwarten.
1.4. Diskriminierung der Juden im Kirchenstaat Eine weitere Demütigung der Juden fand auf Anordnung Papst Pauls II. (1464 - 1471)
regelmäßig am Rosenmontag statt, an dem die Juden gezwungen waren an einem Wettrennen
„zur Belustigung des Volkes“ auf dem Corso in Rom teilzunehmen. Die Kosten für dieses
Spektakel trug erstaunlicherweise die Kurie. Klemens IX. (1667-1669) war mit dieser Praxis
jedoch nicht mehr einverstanden: Er schaffte am 28. Januar 1668 das Wettrennen ab und lässt
stattdessen die dem Vatikan jährlich entstandenen Kosten von 300 Scudi von den Juden Roms
entrichten. Letztere Kostenumlegung lässt darauf schließen, dass es Papst Klemens nicht
darum ging den Juden die Demütigung zu ersparen, sondern sein vorrangiges Ziel die
Erschließung einer neuen Geldquelle bei den Juden war46.
1.5. Der Umgang der Päpste mit dem Vorwurf des Ritualmordes
Ein nicht nur diskriminierender sondern lebensgefährlicher Vorwurf war der im Volk seit dem
hohen Mittelalter tiefsitzende Mythos vom Ritualmord der Juden an Christen, der schon von
Innozenz IV. (1243 – 1257) als unbegründet, ja widersinnig zurückgewiesen wurde47.
Dadurch konnte er jedoch weder aus dem Volk noch aus der kirchlichen Akzeptanz verdrängt
werden. Zudem liefen andere Päpstliche Entscheidungen dem zuwider: 1588 billigte der sonst
gemäßigte Sixtus V. den Kult um den Pessach 1475 in Trient zu Tode gekommenen
Gerbersohn Simon, für dessen Tod in einem großen Schauprozess Juden verantwortlich
gemacht worden waren48. Noch 1752 bestätigt Benedikt XIV. (1740-1758) den Kult des
seligen Andreas Oxner von Rinn, der 1462 einem Ritualmord zum Opfer gefallen sein soll.
Doch gibt es zu diesem Fall keinerlei zeitgenössische Belege, lediglich eine Publikation aus
dem Jahre 1651, die genau das Schema des Falls von Trient aufgreift49. Diese Bestätigungen
waren gewiss nicht zur Minderung solcher Fälle und zur Reduktion des Mythos geeignet. Die
nicht erfolgte Heiligsprechung Andraes Oxners könnte als Signal gegen den
Ritualmordvorwurf gewertet werden. Aus den Quellen ging nichts über einen Antrag zur
45 Eckert: Katholizismus: 234. 46 Eckert: Katholizismus: 235. 47 Eckert: Katholizismus: 235. 48 Eckert: Katholizismus: 236. 49 Eckert: Katholizismus: 236.
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Heiligsprechung hervor, der abgelehnt worden wäre und nur eine solchen Ablehnung wäre als
eindeutiges Signal zu werten.
Mitte des 18. Jahrhunderts kam es in Polen zu vermehrt auftretenden Ritualmordvorwürfen,
so bei nahezu jeder in der Nähe von Judenwohnungen gefundenen Leiche. Daher entsandte
die Kurie 1759 den Konsultor der heiligen Inquisition Lorenzo Ganganelli zur Bekämpfung
dieser Praxis, der in seinem dreiteiligen Bericht die Ritualmordvorwürfe völlig verwirft. Er
beschwört im ersten Teil die Macht des Vorurteils, widerlegt im zweiten die alten
Beschuldigungen und räumt im dritten Teil die Existenz der beiden approbierten Fälle ein,
zweifelt jedoch an deren Historizität50.
Die katholische Judenpolitik zur Zeit des Trienter Konzils und der Gegenreformation kann
somit als grundsätzlich judenfeindlich bezeichnet werden, wenn sie es selber auch immer
gegenteilig ausgedrückt hat. Sie war nicht völlig gradlinig und wurde mit unterschiedlicher
Vehemenz verfolgt, was unter anderem auf die große Zahl der Päpste zurückzuführen ist, die
jeweils das ihnen eigene Verständnis zum Umgang mit den Juden hatten und umsetzten. So
war die päpstliche Judenpolitik ständigen Schwankungen ausgesetzt, doch ist eine eindeutige
Grundtendenz erkennbar. Ihre Umsetzung soll nun im weiteren Verlauf am Beispiel des
katholischen Schwaben überprüft werden.
50 Eckert: Katholizismus: 237.
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2. Judenpolitik im katholischen Schwaben in der frühen Neuzeit
Im Gegensatz zum Kirchenstaat war der Umgang mit den Juden in Schwaben weniger
ideologisch religiös geprägt, als von fiskalischen und machtpolitischen Interessen bestimmt.
An einer Missionierung der Juden war man nicht interessiert und es gab keinerlei
Institutionen, die diesem Ziel gedient hätten. Doch trotz dieses grundsätzlichen Unterschiede,
lassen sich gewisse parallele Tendenzen feststellen.
2.1. Jüdisches Leben in Schwaben – Gettoisierung und Konstanz?
In der Mitte des 16. Jahrhunderts, also zur Zeit der Etablierung des Ghettos in Rom, begann
sich langsam wieder jüdisches Leben in Schwaben zu entwickeln, nachdem es über ein
Jahrhundert nach der Vertreibung der Juden aus Augsburg 1438/40 nahezu keinen Beleg für
jüdisches Leben in der Region gibt51. Die ersten Nachweise finden sich für die Ortschaft
Binswangen 1539, in Form eines Achtbriefes des kaiserlichen Hofgerichts Rottweil52. Doch
die Gemeinden die um diese Zeit entstanden, hatten strukturell nicht viel mit der jüdischen
Gemeinde in Rom gemeinsam. Kenneth R. Stow beschreibt die römische Gemeinde als
homogene Gruppe, die mit der bürgerlichen Mittelschicht vergleichbar ist und deren Status
sich über Jahrhunderte gefestigt hatte53. Die Gemeinden in Schwaben hingegen sind einer
ständigen Fluktuation ausgesetzt. Doch auch vor ihrer Niederlassung in Schwaben sind diese
Juden nach der Einschätzung von Stefan Rohrbacher flexibel gewesen. So vermutet er, dass
sie sich nach der Vertreibung aus Augsburg 1438/40 nicht im dortigen Umland niederließen,
sondern erst einmal in Zentren jüdischen Lebens, nämlich nach Böhmen, Polen und
Norditalien gegangen sind. Von dort kehrten sie dann hundert Jahre später nach Schwaben
zurück54. Anderer Meinung sind hier Bernhard Schimmelpfennig und Wolfgang Baer:
Schimmelpfennig vermutet die Niederlassung der Juden in den Städten Schwabens, Frankens
und des Mittelrheins und hält eine Ansiedlung in der Nähe von Augsburg, in Pferrsee und 51 Rohrbacher, Stefan: Ungleiche Partnerschaft. Simon Günzburg und die erste Ansiedlung von Juden vor den Toren Augsburgs in der Frühen Neuzeit. – In: Kießling, Rolf; Ullmann, Sabine (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten während der frühen Neuzeit. Berlin: Akademie-Verlag, 1999. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 10: 193. 52 Ullmann, Sabine: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650 bis 1750. – Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999. Max-Planck-Institut für Geschichte (Göttingen): Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 151: 53. 53 Stow: Jews in Rome, introduction: XIX. 54 Rohrbacher, Stefan: Mediat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. – In: Kießling, Rolf (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben im Kontext des alten Reiches. – Berlin: Akademie-Verlag, 1994. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 2: 93ff.
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Kriegshaber, wie Rohrbacher, für sehr unwarscheinlich55. Letzteres vermutet Baer ebenfalls,
wenn er auch darauf hinweißt, dass er keinerlei Belege für diese Vermutung hat56.
Diese, zumindest von Rohrbacher unterstellte Mobilität und Flexibilität behielten sie in der
neuen Heimat bei. Böhmen, Polen und Norditalien waren keine ungewöhnlichen Ziele zur
Schaffung oder Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen und zur Knüpfung von
Familienbanden. Auch Pilgerfahrten kamen vor, waren aber eher die Ausnahme57.
Neben der Verwirklichung von Eigeninteressen waren aber viel mehr die
Herrschaftsverhältnisse und die divergierenden Interessen der einzelnen Herrscher und
Institutionen der Grund für häufigen Wohnungswechsel. So kam es schon kurz nach der
ersten nachweisbaren Ansiedlung von Juden in Kriegshaber (1560) und Butterwiesen (1571)
zu Protesten der insässigen Herrschaft gegenüber dem Habsburgischen Kaiser Ferdinand II.
Ferdinand war Markgraf von Burgau, der die Juden auf dem ihm gehörenden Land in der
Markgrafschaft ansiedelte: auf der Dorfalmende und den Landstraßen, also mitten in dem
Gebiet der insässigen Herrschaften. Im Interimsvertrag, der wegen dieser Proteste geschlossen
worden war, wurde die „Ausschaffung“ der Juden zu einer Frist festgeschrieben und
gleichzeitig eine zwischenzeitliche Neuaufnahme ausgeschlossen. Doch hielten sich die
burgauischen Oberbeamten nicht an diese vertragliche Regelung und verlängerten dennoch
Schutzbriefe58. Die folgenden Proteste der Insassen blieben wirkungslos, da Ferdinand II. als
Kaiser auch oberster Schutzherr der Juden war und als Markgraf von Burgau ein Interesse an
steuerzahlenden Einwohnern hatte. Nach diesem vereitelten Versuch der Vertreibung der
Juden kam es auch zu erfolgreich durchgeführten: Der erste Fall ist für Territorien unter
geistlicher Herrschaft verzeichnet. Das Augsburger Domkapitel und Kardinal Otto Truchsess
von Waldburg (1543-1573) beschlossen 1557/58 die Juden aus Dillingen und dem
hochstiftlichen Ortsteil Oberhausen innerhalb von drei Monaten bzw. drei Jahren
auszuweisen. Es war jedoch erst der Nachfolger des Kardinals, Bischof Johann Eglof von
Knöringen, der die Ausweisung vornahm, die er bereits in Artikel 37 seiner Wahlkapitulation
55 Schimmelpfennig, Bernhard: Juden und Christen im Augsburg des Mittelalters. In: Kießling, Rolf (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben im Kontext des alten Reiches. – Berlin: Akademie-Verlag, 1994. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 2: 23-38. 56 Baer, Wolfgang: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung. Die Reichsstadt Augsburg und die Juden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. – In: Kießling, Rolf (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben im Kontext des alten Reiches. – Berlin: Akademie-Verlag, 1994. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 2: 110-127 57 Rohrbacher: Mediat Schwaben: 93ff. 58 Ullmann: Nachbarschaft: 71.
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angekündigt hatte59. Diese Ausweisung aus einem geistlichen Territorium lässt sich jedoch
kaum als direkte Folge der Bulle Cum nimis absurdum ableiten, da der zeitliche Abstand dies
nicht hergibt. Anders der Fall von Würzburg, wo Fürstbischof Melchior Zobel von
Giebelstadt (1544-1558), ein aktiver Unterstützer der Gegenreformation, die kuriale Vorgabe
direkt umgesetzt und die Juden seines Territoriums verwiesen hat60.
Karl von Burgau, ein von Habsburg eingesetzter Markgraf mit Residenz in Günzburg, wies
auf Geheiß der geistlichen Herrschaften und anderer Landstände am 4. März 1617, im letzten
Jahr seiner Herrschaft, die Juden an innerhalb Jahresfrist die Markgrafschaft zu verlassen.
Nach Gnadengesuch erlies Kaiser Matthias am 27. August 1618 jedoch ein Privileg für die
jüdischen Bewohner von Neuburg an der Kammel, Thannhausen, Hürben, Binswangen,
Ichenhausen und Pferrsee. Laut Sabine Ullmann mussten diese sechs Gemeinden im
Anschluss jährlich 200 Gulden an den Kaiser zahlen. Aus den Kammeralorten Burgau,
Günzburg, Steppach und Hochwang sind die Juden ausgewiesen worden61.
1653 kam es erneut zu einem Vertrag zwischen den insässigen Herrschaften und der
Markgrafschaft, in dem die Gerichtsbarkeit geregelt wurde. Darin wurde der Markgrafschaft
die hohe Gerichtsbarkeit zugewiesen und die niedere Gerichtsbarkeit der Ortsherrschaft62.
Auch nach diesem Vertrag kam es zu Streit der beiden Parteien, der zum Teil zu
Handgreiflichkeiten führte, nämlich zur Demolierung jüdischer Häuser, deren Bau die
Ortsherren für nicht rechtmäßig hielten. Auch hier konnte sich die Ortsherrschaft letztlich
nicht durchsetzen. Die Juden bekamen das Wohnrecht, wenn dies auch mit einem wesentlich
höheren Preis verbunden war63.
Die hier nur sehr kurz skizzierten Rechtshändel waren keine Seltenheit und gingen nicht
immer positiv für die Juden aus, wie für die Bewohner der Kammeralorte im genannten Fall.
Die meisten Ortsherren strebten eine Peuplierungspolitik an und so wuchsen doch zumindest
in manchen Orten recht stattliche Judengemeinden heran, wie in den von Sabine Ullmann für
ihre Untersuchung gewählten Beispielgemeinden Pferrsee, Binswangen, Butterwiesen und
Kriegshaber. Die Gemeinde von Kriegshaber wuchs beispielsweise bei einer Erstansiedlung
um 1570 in der Zeit von 1587 bis 1653 auf eine Zahl von zwölf Familien, die in vier Häusern
59 Wüst, Wolfgang: Die Judenpolitik der geistlichen Territorien Schwabens während der frühen Neuzeit. – In: Kießling, Rolf (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben im Kontext des alten Reiches. – Berlin: Akademie-Verlag, 1994. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 2: 133. 60 Wüst: Judenpolitik: 133. 61 Ullmann: Nachbarschaft: 72. 62 Ullmann: Nachbarschaft: 75. 63 Ullmann: Nachbarschaft: 78.
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wohnhaft waren64. In einem ähnlich langen späteren Zeitraum, von 1625 bis 1736 lässt sich in
Binswangen eine Zunahme um vierzehn Haushalten verzeichnen: von 32 zu 4665.
Auch von der Seite der dörflichen Topographien betrachtet, lässt sich in den von Sabine
Ullmann untersuchten Gemeinden keinerlei Gettoisierung feststellen, wie man es etwa von
der Judengemeinde Frankfurt kennt. Die Hauptkonzentration von Häusern in jüdischem
Besitz in Kriegshaber um 1750 lag zwar an der Landstraße von Augsburg nach Ulm, doch
waren diese von einzelnen Häusern unterbrochen und zusätzlich gab es sechs weitere im Dorf
verstreute Gebäude66. In Pferrsee lässt sich eine Konzentration wie in Kriegshaber nicht
feststellen, dort lagen um 1700 sämtliche Judenhäuser über das Dorf verstreut und zwar in der
Nähe von Pfarrhaus und Kirche67. In Binswangen waren um 1736 ebenfalls
Siedlungsschwerpunkte feststellbar: Um die Handelsstraße von Dillingen nach Wertingen im
Nordteil und im Ostteil an der heutigen Judengasse und dem Raiffeisenweg68. Auch in
Butterwiesen lässt sich um 1760/80 eine Konzentration um zwei Punkte im nördlichen Teil
des Ortes feststellen. Im Süden ist ebenfalls ein Gebäude zu finden69.
Die hier zum Teil vorgefundene Konzentration der Gebäude war jedoch nicht ideologisch
bestimmt, sondern hat sich aus folgender Situation ergeben: die Schutzbriefe ausstellende
österreichische Macht hatte keinen großen Landbesitz (6,5% der Flächen der Markgrafschaft
Burgau) und somit nur das Land der Almende und an die Landstraßen angrenzendes Land,
das sie den Juden zur Verfügung stellen konnte.
Die Fälle in denen es zu einer solchen Sieldungskonzentration kam, waren den Juden aus
sakraler Hinsicht von Vorteil, da sie an diesen Orten ihren Eruw (den mit den sogenannten
Sabbatschnüren eingefassten Raum) errichten konnten. Diesen Bereich, in dem sie trotz
sabbatlichen Arbeitsverbots Dinge tragen duften, konnten sie so zu ihrem Vorteil festlegen70.
So lässt sich im Vergleich mit den Juden des Kirchenstaates hier nur eine Parallele feststellen:
die Zunahme der Zahl der Juden. Diese war den Päpsten nicht sehr willkommen, da dadurch
das Getto in Rom aus den Nähten zu platzen drohte. Den jeweiligen Herrschaften in der
Markgrafschaft Burgau kam diese Zunahme in den meisten fällen gelegen, da sie mit
steigenden Steuereinnahmen verbunden war.
64 Ullmann: Nachbarschaft: 66. 65 Ullmann: Nachbarschaft: 83. 66 Ullmann: Nachbarschaft: 355. 67 Ullmann: Nachbarschaft: 356. 68 Ullmann: Nachbarschaft: 356. 69 Ullmann: Nachbarschaft: 355. 70 Ullmann: Nachbarschaft: 356.
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2.2. Oberstes Ziel der Politik in Schwaben: Fiskalische Interessen
Neben der Beförderung des Handels in ländlichen Gebieten und der damit erfolgten, guten
Versorgung der christlichen Einwohner, waren für die Herrschaften in Schwaben die
Steuereinnahmen eine gern gesehene Geldquelle. So hat die Familie Zobel, Besitzer der
Ortschaft Pferrsee, drei Viertel seiner jährlichen Einnahmen von den Juden bezogen, obwohl
diese nur ca. die Hälfte der Einwohnerschaft stellte71. Diese für Juden höheren Zahlungen
erklären sich aus den diversen Sonderabgaben, die sie zu leisten hatten. So sind gegen Ende
des 17. Jahrhunderts gar Abgaben für die herrschaftliche Hundehaltung und ein Fronpferd
verzeichnet, die nur von Juden erhoben wurden72. Da der herrschaftlichen Kreativität auf
diesem Gebiet keinerlei normativen Grenzen gesetzt waren, konnten sie dieses Spiel bis zur
Zahlungsunfähigkeit der Juden fortsetzen, was nicht selten der Fall war. Doch waren diese
erhöhten Zahlungen der Juden aus Pferrsee noch nicht alles. Da sie sich in einem Gebiet unter
immediater Herrschaft befanden, wie die Juden von Butterwiesen, waren sie in der
unglücklichen Lage an zwei Herrschaften zahlen zu müssen, sowohl an die Ortsherr als auch
an die Vögte73. Die jüdischen Bewohner von Gebieten unter mediater Herrschaft wie
Binswangen und Kriegshaber zahlten lediglich an die Ortsherrschaften. Auch diese
Zahlungen waren nicht gering74.
Ebenso von den Juden zu zahlen waren die Stolgebühren, die die ortsansässigen Pfarrer
erhoben. Sie war eigentlich eine von den Christen zu zahlende Gebühr zur Unterhaltung der
Gemeinde und zur Entlohnung des Pfarrers, doch sahen sich letztere nicht mehr in der Lage
mit den von den Christen gezahlten Gebühren auszukommen. Da nun die jüdische
Bevölkerung durch Verdrängung die Schuld an der rückläufigen Zahl der christlichen
Gemeindemitglieder trug und sie keine andere Möglichkeit des Auskommens sah, war es aus
Sicht der Dorfpfarrer nur konsequent diese Stolgebühren von den Juden zu verlangen75. Diese
stellten für die Juden eine weitere Belastung dar, die neben den von ihren Gemeinden ohnehin
schon erhobenen Gebühren, auch für den Schächter und die Schule aufkommen mussten.
71 Ullmann: Nachbarschaft: 79. 72 Ullmann: Nachbarschaft: 103ff. 73 Ullmann: Nachbarschaft: 103ff. 74 Ullmann: Nachbarschaft: 103ff. 75 Ullmann, Sabine: Sabbatmägde und Fronleichnam. Zu religiösen Konflikten zwischen Christen und Juden in schwäbischen Landgemeinden. – In: Lehmann, Hartmut; Trepp, Ann-Charlott (Hrsg.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts – Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999. Max-Planck-Institut für Geschichte (Göttingen): Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 152: 250.
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2.3. Zensur hebräisch jüdischen Schriftgut in Schwaben? Wenn man wegen des kurzen Zeitraums auch nicht von einer Buchdrucktradition sprechen
kann, so gab es doch auch in Schwaben schon vor der Zeit der Gegenreformation hebräisch-
jüdischen Buchdruck. Gedruckt wurde von 1533 bis 1544 in zwei Druckereien in Augsburg
und Isny, die beide christlich-jüdische Kooperationen darstellten, jedoch in verschiedenen
Konstellationen76.
Nach Aufgabe dieser Druckereien gab es in Schwaben ein halbes Jahrhundert keinen
jüdischen Buchdruck. Erst ab 1592 wurde in Thannhausen wieder eine unkonzessionierte
jüdische Druckerei betrieben. Diese Druckerei, in der Machsorim (Festtagsgebetbücher) und
andere kleine Schriften gedruckt wurden, fiel der Landvogtei von Burgau im Jahr 1594 auf
und wurde umgehend geschlossen. Die Bücher wurden auf Veranlassung der burgauischen
Herrschaft eingezogen und dem Ehinger Probst Melchior Zanger zur Begutachtung
übergeben. Von den am Druck beteiligten schwäbischen Landesrabbiner R. Isaak Mise’a und
Simon Levi Günzburg zur Gembs aus Frankfurt, dem Drucker und dem Korrektor konnte nur
ersterer ergriffen und festgesetzt werden. Der Drucker war geflohen und der Korrektor hielt
sich in Thannhausen auf und konnte sich der Bestrafung entziehen, da die Landvogtei dort
keinerlei Rechtsansprüche besaß. Auch der festgesetzte Landesrabbiner kam „ in ansehung
seines alters und leibs gebrechlichkeit, gegen erstattung des angepottnen Judischen Aydts ...“
und Zahlung von 500 Gulden im Oktober des gleichen Jahres wieder frei77.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass die ungeklärten Rechtsverhältnisse von Nutzen für die
Juden sein konnten: Sie konnten über zwei Jahre eine Druckerei betreiben und einige, der
daran beteiligten gingen straffrei aus.
Ein Zusammenhang zwischen dem harten Umgang mit dem Rabbiner und dem Verbot
jüdischen Schriftgutes durch Papst Klemens VIII. ließe sich durch die zeitliche Nähe
herstellen. Wegen der fehlenden Konzession musste die Markgrafschaft die Druckerei bei
Entdeckung schließen. Dass die Konzession nicht erteilt wurde, wenn sie denn beantragt
worden war, ließe sich aus dem Verbot Klemens VIII. ableiten, doch ist in den von mir
benutzten Quellen nichts von einem derartigen Antrag erwähnt.
76 Künast, Hans-Jörg: Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. – In: Kießling, Rolf; Ullmann, Sabine (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten während der frühen Neuzeit. Berlin: Akademie-Verlag, 1999. Colloquium Augustana / Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Bd. 10. 77 Rohrbacher: Mediat Schwaben: 103ff.
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2.4. Diskriminierung der Juden in Schwaben? Eine planmäßige, öffentliche Diskriminierung wie etwa das Rosenmontagsrennen auf dem
Corso in Rom gab es an den Wohnorten der Juden, in den Dörfern Schwabens nicht, doch hat
der Stadtrat von Augsburg allerhand demütigende Vorschriften erlassen, denen sich die Juden
unterwerfen mussten, wollten sie in Augsburg Handel treiben. So waren die Juden gezwungen
in Augsburg einen gelben Ring an Hut oder Gürtel zu tragen, nachdem sie durch das
Gögginger Tor die Stadt betreten hatten. Andere Eingänge waren für Juden nicht zugelassen
und an diesem zentralen Eingang kam es häufig zu willkürlich langen Wartezeiten, die vor der
Entrichtung der Gebühr ertragen werden mussten. Doch stellte die Begleitung eines jeden
Juden durch einen Soldaten der Stadtwache, wie es der Rat 1536 beschlossen hatte, die größte
Diskriminierung dar. Ausschlaggebend war auch hier eine Eingabe der Kaufleute, die so die
jüdische Konkurrenz ausschalten wollten. Wie die anderen Eingaben, war auch diese mit
moralischen Verunglimpfungen gespickt, die den Juden Wucher, Verführung Minderjähriger,
Diebstahl und anderes vorwarf. Erst 1541 wurde diese Verordnung gelockert, nachdem sich
die Fürsten für Rechte der Juden eingesetzt hatten78.
Auch in den Judengemeinden um Augsburg wurden demütigende Verordnungen erlassen. So
kam es um die Gemeinden in Schwaben immer wieder zu Problemen bei der
Bestattungsfrage. Nicht alle jüdischen Gemeinden besaßen ihren eigenen Friedhof. Im 16.
Jahrhundert wurde daher auf nur vier Friedhöfen beerdigt, die sich in Burgau, Ichenhausen,
Neuburg an der Kammel und Thannhausen befanden79. Im 17. Jahrhundert gab es im
gesamten Raum fünf Friedhöfe, die sich nun in Kriegshaber, Ichenhausen (gegründet 1567),
Hürben (gegr. 1628), Butterwiesen (gegr. 1632) und Binswangen (gegr. 1663) befanden. Der
Friedhof zu Kriegshaber wurde während des Dreißigjährigen Krieges angelegt, als man die
Juden zu Zeiten eine Seuche 1628 zur Bestattung ihrer Toten auf der dörflichen Viehweide
zwang. 1695 wurde dieses Gelände offiziell zum Friedhof erklärt und es wurden erneute
Grundzinszahlungen an das Augsburger Domkapitel fällig80. Der 1632 in Butterwiesen
angelegte Friedhof auf einem ehemaligen jüdischen Weiler gelegen, stellte für die Juden eine
Demütigung dar, als wegen der Schmälerung des Almendegrundes die Dorfbewohner das
Recht bekamen auf dem Friedhof ihre Tiere zu weiden81. Schon allein die Tatsache, das die
friedhöfliche Ruhe in Kriegshaber und Butterwiesen durch weidende Tiere gestört wurde,
78 Baer: Vertreibung: 115ff. 79 Ullmann: Nachbarschaft: 94. 80 Ullmann: Nachbarschaft: 95. 81 Ullmann: Nachbarschaft: 96.
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muss als Demütigung aufgefasst worden sein. Hinzu kommt, dass hier ein Großteil der Tiere
(wie Schweine) nach jüdischem Verständnis nicht koscher, also unrein waren.
Ansonsten hatte sich im Alltag zwischen den Bewohnern der verschiedenen Religionen eine
eher pragmatische Haltung eingebürgert, die nicht immer über die großen Unterschiede der
Religionen, besonders in der Wocheneinteilung hinwegtäuschen konnte. Auf diesem Gebiet
waren es eher die Gemeindepfarrer, die die heilige Sonntagsruhe gefährdet sahen und
glaubten einschreiten zu müssen82: Es war den Juden zwischenzeitlich verboten worden am
Sonntag mit den Christen Handel zu treiben. Da den Christen der Sonntag als Handelstag
jedoch kaum verzichtbar war und es ihnen somit entgegenkam, brachen sie das priesterliche
Verbot und handelten ihm zum Trotz mit den Juden. 1689 erhob die Markgrafschaft Burgau
Einspruch gegen das Handelsverbot. So kam es am 5. Juli 1690 zum Erlass des bischöflichen
Ordinariats, welches den Handel am Sonntag nach zwölf Uhr, also nach Ablauf der gemeinen
Messzeiten, erlaubte. An hohen Feiertagen war jeglicher Handel gänzlich untersagt83.
2.5. Ritualmord in Schwaben? Diesem teilweise guten pragmatischen Umgang miteinander zum Trotz ließen sich die
Jahrhunderte alten Legende vom Ritualmord nicht gänzlich widerlegen bzw. ausrotten. So hat
ein Chronist in Augsburg einen Fall von Ritualmord festgehalten, der sich im Jahr 1475
ereignet haben soll: Ein zweieinhalbjähriger Schustersohn soll am Gründonnerstag entführt
worden sein und man habe ihn dann am Ostersonntag gefunden. Daraufhin habe man neun
Juden gefangen und sie hingerichtet. Der Hauptschuldige sei gerädert worden, sechs
angeklagte seien verbrannt und zwei enthauptet worden, letzteres als Gnadenakt, nachdem
sich die Angeklagten haben taufen lassen. Erstaunlich ist auch hier die Parallelität zum Fall
von Trient, sogar in genauer Übereinstimmung der Tage, in dem sich der Ritualmord ereignet
haben soll, nämlich Ostern/Pessach des Jahres 147584.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts, als auch in Polen vermehrt Fälle von
Ritualmordbeschuldigungen auftraten, kam es auch Fall in Schwaben zu einem solchen
Vorwurf: Am 20. Juli 1743 wurde die Christin Maria Anna Karpff wegen Entführung des fünf
Wochen alten Säuglings Barbara verurteilt und mit dem Schwert enthauptet, da sie gestanden
hatte, das Kind zu Ritualmordzwecken an Juden weiterverkaufen zu wollen85. Wenn in
diesem Falle ausnahmsweise nicht die Juden Opfer des gegen sie vorgebrachten Vorwurfs
sind, so ist der Fall ausreichender Beweis für die weitere Existenz des Vorurteils in den 82 Ullmann: Sabbatmägde: 251. 83 Ullmann: Nachbarschaft: 414. 84 Schimmelpfennig: Juden und Christen: 38. 85 Ullmann: Nachbarschaft: 418.
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Köpfen der Menschen. Es führte in diesem Fall so weit, dass eine Christin den Ritualmord
unterstützen bzw. ermöglichen wollte.
22
Resümee Es lässt sich nach dieser Untersuchung kaum Einfluss der päpstlichen Judenpolitik auf die
Politik der unterschiedlichen Herrschaften in Schwaben feststellen.
Eine Praxis der Zwangspredigt und andere Mittel zur Judenmission sind in Schwaben nicht
auffindbar, die Schließung der Druckerei geht nicht direkt auf die Bulle des Papstes zurück
und der aufgetretene Fall des Ritualmordvorwurfs oder der Beihilfe zu einem solchen stehen
nicht in Verbindung mit der päpstlichen Politik. Im Gegenteil war sie eher ein Grund für die
Sendung Lorenzo Ganganellis zur Überprüfung des Komplexes. Das einzige, in Verbindung
mit der päpstlichen Politik stehende Ereignis lässt sich in der Ausweisung der Juden aus
Würzburg durch Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadt finden.
Es ist als Ergebnis dieser Untersuchung festzustellen, dass die katholische Herrschaft in
Schwaben ziemlich unbeeindruckt von den päpstlichen Vorgaben ihre Politik betrieben und
vornehmlich fiskalische Interessen verfolgt hat. Der von Gregor XIII. versprochene höchste
Lohn vom allmächtigen Gott scheint bereits in der frühen Neuzeit stark an Wert verloren zu
haben.
So bleibt festzuhalten, dass die katholische Kirche kein monolithischer Block war, indem an
jedem Ort, ob im Zentrum oder an der Peripherie, die gleiche Judenpolitik gemacht wurde.
Auch in Schwaben ist die politische Praxis anders als im Kirchenstaat. Eine grundsätzlich
positive Haltung zu den Juden ist jedoch in keinem der beiden Fälle nachweisbar.
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