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Page 1: Stuhlspende gegen den Reizdarm€¦ · Als FODMAP-reich gelten indes Milch, Honig und Weizen, auch Blumenkohl und Zwiebeln. Wer diese Ernährungsform auspro-bieren möchte, sollte

Als Chefarzt im MünchnerKlinikum Großhadern erlebeich täglich, wie wichtig medi-zinische Aufklärung ist. Mei-ne Kollegen und ich möchtenden Lesern daher jeden Mon-tag ein Thema vorstellen, dasfür ihre Gesundheit von Be-deutung ist. Im Zentrum derheutigen Seite steht das Reiz-darm-Syndrom – und nebenallgemeinen Informationenauch eine Therapie, die sicherst noch bewähren muss:die Stuhltransplantation.Der Experte des heutigenBeitrags ist Prof. MartinStorr, Oberarzt an der Medi-zinischen Klinik II des Klini-kums der Universität Mün-chen und Leiter der For-schungsgruppe Neurogastro-enterologie.

Prof. Dr. Christian Stief

ERNÄHRUNGBEIM REIZDARM

Wie funktioniertdie FODMAP-Diät?Liegt’s vielleicht an denÄpfeln? Oder ist irgend-was im Brot schuld? Pa-tienten, die an einem Reiz-darm-Syndrom haben oftbestimmte Lebensmittelim Verdacht, wenn sie sichwieder einmal mit Durch-fall, Krämpfen oder Blä-hungen quälen. Auchwenn Tests auf Allergienund Unverträglichkeitennichts ergeben haben.Prof. Martin Storr, Gastro-enterologe vom KlinikumGroßhadern in Münchenrät seinen Patienten, dannruhig, ihren Verdacht zuüberprüfen – indem sieentsprechende Lebensmit-tel konsequent weglassenund das möglichst für eini-ge Wochen. Denn derDarm reagiert träge undbraucht relativ lange, umsich umzustellen. Storrwarnt darum auch davor,es mit den Ernährungs-Ex-perimenten zu übertrei-ben. Wer ständig herum-probiert, riskiere eher, dasssich die Beschwerden ver-schlimmern.

Zucker für BakterienEr rät seinen Patienten da-zu, es einmal mit der so ge-nannten FODMAP-Diätzu versuchen. Hierbei han-delt es sich nicht um eineAbnehmkur, sondern umeine spezielle Ernährungs-weise. FODMAPs ist dieAbkürzung für „fermenta-ble Oligo-, Di- and Mono-saccharides und Polyole“.Das sind bestimmte Koh-lenhydrate wie Frucht-und Milchzucker, zudemFruktane und Galaktanesowie Alkohole wie Sorbi-tol oder Xylitol, die oft alsSüßstoff in zuckerfreiemKaugummi stecken. FOD-MAPs werden im Dünn-darm schlecht aufgenom-men. Sie gelangen daherunverdaut in den Dick-darm, wo sie von Bakte-rien vergoren werden, wasetwa zu Blähungen führenkann. Studien deuten da-rauf hin, dass eine FOD-MAP-arme Ernährung dieBeschwerden Reizdarm-Patienten lindern kann.

Der Darm braucht Zeit

Reich an FODMAPs sinddabei auch Lebensmittel,die eigentlich als gesundgelten. Äpfel, Mangos undWassermelonen gehörendazu. Nicht einschränkenmuss man sich bei Wein-trauben und Erdbeeren.Als FODMAP-reich geltenindes Milch, Honig undWeizen, auch Blumenkohlund Zwiebeln. Wer dieseErnährungsform auspro-bieren möchte, sollte sichan seinen Arzt oder einenErnährungsberater wen-den. Dort bekommt erauch weitere Informatio-nen zu den Speisen, die ermeiden sollen. Eine Listeim Internet findet sich un-ter gastroenterologie.stau-fenbergzentrum.de/pdf/FODmap.pdf. Und: Nichtgleich entnervt abbrechen,wenn sich der Erfolg nichtsofort einstellt. Der Darmkann anfangs sogar rebel-lieren, sagt Storr. Man soll-te ihm etwa vier bis achtWochen Zeit geben, umsich umzustellen.

ANDREA EPPNER

Äpfel sind gesund, enthal-ten aber viel schlecht ver-daulichen Zucker. DPA

auch bei ihnen die Darmfloraverändert. Doch ist unklar, obdas Folge oder Ursache derBeschwerden ist. Zudem sindwohl viele Faktoren an derEntstehung eines Reizdarmsbeteiligt (Artikel unten).

Der Mediziner Storr undsein Patient Claus D. wolltenden Versuch dennoch wagen.Der Plan: Statt per Magen-spiegelung in den Dünndarm,wie es andere Kollegen oftpraktizieren, wollte er denSpenderkot per Koloskopie,also per Darmspiegelung, di-rekt in den Dickdarm bringen.„Der Dünndarm ist prinzipiellnicht bakteriell besiedelt“, er-klärt Storr. Da wollte er liebernicht eingreifen. Zudem be-fürchtete er, dass Magensäureund Verdauungssäfte zu vieleBakterien im Stuhl abtöten.

Fehlte nur noch ein gesun-der Spender. Claus D. fragteseine Tochter, die sofort zu-stimmte. Vor dem fäkalen Mi-krobiom-Transfer wie Ärztedie Methode nennen, standenaber noch viele Untersuchun-gen. Das sollte ausschließen,dass die Spenderin an Erkran-kungen leidet, die per Stuhlübertragen werden können.

Wie vor einer konventio-nellen Darmspiegelung muss-te Claus D. am Vorabend sei-nen Darm reinigen, bekam einabführendes Getränk. Aucherhielt er ein paar Tage vorherein Antibiotikum, das denDarm für neue Mieter frei ma-

chen sollte. Am Morgen derTransplantation holte er denSpenderkot in einer großenPlastikdose von seiner Toch-ter ab. In der Klinik wurde derKot mit Kochsalz-Lösung ver-dünnt, die Suspension per En-doskop in den Darm gespritzt.„Ziel war, den ganzen Dick-darm zu benetzen“, sagt Storr.

Etwa fünf Monate liegt dieTransplantation jetzt zurück.Das Ergebnis war nicht ganzso, wie es sich Claus D. erhoffthatte. In den ersten Wochenhabe er sich deutlich bessergefühlt, sagt er. Jetzt sei allesbeim Alten. Storr hat die vie-len Mittel im Verdacht, dieClaus D. schluckt, um seinenDarm im Zaum zu halten. Erhat vor einigen Wochen einenweiteren Patienten mit derMethode behandelt, dem esbesser gehe. Ein Hoffnungs-schimmer für Claus D., der be-reits über einen zweiten Ver-such nachdenkt.

nicht probiert hat: Er experi-mentierte mit seiner Ernäh-rung, ging zum Heilpraktiker,versuchte Probiotika und ließsich sogar hypnotisieren.

Auch beim Psychologenwar er. Da sich beim Reizdarmkeine klare körperliche Ursa-che findet, suchte man früheroft nach einer psychischen.Sind Erfahrungen in der Kind-heit schuld, die Beziehung,der Stress in der Arbeit? Alleswurde bei Claus D. durch-leuchtet. „Man kommtschnell in die Psycho-Schub-lade. Aber ich bin nicht mehrPsycho als jeder andere“, sagter ärgerlich. Heute geht er nurnoch zum Psychologen, ummit den Folgen der Beschwer-den zurecht zu kommen – ei-ne enorme Belastung.

Schon deshalb kommt Auf-geben für ihn nicht infrage.Das Experiment Stuhltrans-plantation wollte er darumunbedingt wagen. Ekelgefüh-le? Claus D. winkt ab. Wersich zehn Jahre lang mit Darmund Durchfall beschäftigt hat,ekelt nichts mehr. Auch, dasses beim Reizdarm nur wenigeErfahrungen, alles Einzelfall-berichte, mit dieser Methodegibt, schreckte ihn nicht. Ersuchte einen Arzt, der denVersuch wagen wollte – undfand ihn in Prof. Martin Storr.

der Bevölkerung sein. 90 Pro-zent davon hätten aber nurleichte Beschwerden, die sichmeist mit wenigen Maßnah-men in den Griff bekommenließen, sagt Storr.

Claus D. gehört zu den an-deren, zu den etwa fünf Pro-zent der Patienten, bei denender Darm das Leben be-stimmt. Manche schränkt dieErkrankung sogar so starkein, dass sie ihren Beruf aufge-ben müssen. Claus D. ist froh,dass er sich seine Arbeit selbsteinteilen kann. Doch schluckter auch Medikamente, um sei-nen Darm besser kontrollie-ren zu können. Zumal er be-ruflich viel unterwegs ist. Aufder Fahrt muss er trotzdem oftraus. „An der Autobahn zwi-schen Regensburg und Flens-burg kenne ich jedes Klo“,sagt er und lacht.

Man muss Claus D.s Vorge-schichte kennen, um zu ver-stehen, wie er auf die Idee mitder Stuhltransplantation kam.Von dieser Methode, bei derKot eines gesunden Spendersin den Darm des Kranken ein-gebracht wird, hat er im Inter-net gelesen. Schon zuvor hater sich hier die ein oder andereAnregung geholt, was er nochversuchen, zu welchem Arzter noch gehen könnte. Und esgibt kaum etwas, das Claus D.

Schon der Name derTherapie weckt beivielen Ekelgefühle:Stuhltransplantation.Dabei kann der Kot einesGesunden einen krankenDarm heilen. In Münchentesten Mediziner, ob dieMethode auch Reizdarm-Patienten hilft. Ihr ersterPatient: Klaus D. (48).

VON ANDREA EPPNER

München – Ob er gern eineTasse Kaffee oder ein GlasWasser möchte? Claus D.überlegt kurz, schüttelt dannden Kopf. Das kann er sichheute nicht leisten. In zweiStunden hat der 48-Jährige ei-nen Termin, das geht sichnicht aus. Denn was undwann er essen und trinken dar– darüber bestimmt seit lan-gem sein Darm. Und der isthochnervös.

Mehr als zehn Jahre ist esher, als Claus D. zum erstenMal Stress mit der Verdauunghatte. Er musste häufiger kurznach dem Essen zur Toilette,litt unter Durchfall und Blä-hungen. Erst wartete er ab,später ging er zum Arzt. Dochder konnte ihm nicht helfenwie auch keiner seiner Kolle-gen, die Claus D. später kon-sultiert hat. Blutuntersuchun-gen, Magen- und Darmspiege-

lungen, Tests auf Allergienund Nahrungsmittel-Unver-träglichkeiten, eine Compu-tertomografie – die Ergebnissefüllen inzwischen einen di-cken Aktenordner.

Doch verrieten die Unter-suchungen nur, was Claus D.alles nicht hat: keinen gefähr-lichen Darmkeim, keinenbösartigen Tumor, keinechronische Darmentzün-dung. Was bleibt, wenn ande-re körperliche Ursachen aus-geschlossen wurden, fassenMediziner als „Reizdarm-Syn-drom“ zusammen. „Vermut-lich verbirgt sich dahinter einSammelsurium verschiedenerErkrankungen“, sagt Prof.Martin Storr, Gastroenterolo-ge am Klinikum Großhadernin München. „Und man hatnoch nicht geknackt, was ih-nen allen zugrunde liegt.“

Die Zahl der Betroffenenjedoch ist riesig. Studien zu-folge sollen es etwa 15 Prozent

Stuhlspende gegen den ReizdarmSTIEFS SPRECHSTUNDE ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Der kannte die Stuhltrans-plantation bis dahin nur ausder Fachliteratur. Er wussteum die guten Ergebnisse beiPatienten, bei denen sich derKeim Clostridium difficile imDarm breit gemacht hat. Daskann selten nach einer Be-handlung mit Antibiotika pas-sieren. Betroffene leiden anDurchfällen, Krämpfen undBlähungen. Studien aus Aus-tralien haben gezeigt, dass derStuhl eines gesunden Spen-ders die Darmflora wieder insGleichgewicht bringen kann:Vielen der etwa 200 Behan-delten ging es besser.

Bei Gesunden ist der Dick-darm dicht mit Bakterien be-siedelt. Diese Wohngemein-schaft meint man, wenn von„Darmflora“ die Rede ist. Al-lein die Anwesenheit der win-zigen Mieter verhindert, dassKrankmacher einziehen. Wersich hier niederlassen kann,darüber bestimmt auch die Er-nährung. Der Grundstock derMieterschaft wird aber bei derGeburt gelegt: Das Kindschluckt dabei etwas Darmin-halt der Mutter – quasi einenatürliche Stuhltransplantati-on, die den Aufbau einer ge-sunden Darmflora fördert.

Ob eine Transplantationauch Patienten mit Reizdarmnützt, ist unklar. Zwar ist

Ekel? Die Hoffnung

ist nach zehn Jahren

Leiden viel größer

Die Ergebnisse der

Untersuchungen

füllen einen Ordner

Wagen Neues bei der Reizdarm-Therapie: Bei einer Darmspiegelung hat Prof. Martin Storr Stuhl eines gesunden Spendersauf einen Patienten übertragen (Symbolbild). FOTO: STEEGER/KLINIKUM DER LMU

nommen, sind weitere Unter-suchungen nötig, etwa eineMagen- oder Darmspiege-lung, seltener auch mal eineComputertomografie.

Recht individuell ist auchdie Behandlung. Die Auswahlder Medikamente, die zudemnur Beschwerden lindernkönnen, ist beschränkt. Diemeisten helfen nur gegen einSymptom. Pflanzliche Präpa-rate können hier eine gute Al-ternative sein, da sie oft gleichgegen mehrere Symptome hel-fen. Wer den Verdacht hat, be-stimmte Lebensmittel nicht zuvertragen, kann ausprobieren,diese eine Zeit lang wegzulas-sen (Randspalte). Er sollteaber auch nicht zu viel herum-experimentieren, warnt Storr:„Der Darm ist träge undmöchte seine Ruhe.“ Ständi-ger Stress bekommt dem ner-vösen Darm darum gar nicht.Betroffene sollten darum da-rauf achten, regelmäßig undetwa zu den gleichen Zeitenzu speisen – und dabei „in al-ler Ruhe gemütlich essen“.

Leserfragen an Prof. Martin Storr:[email protected]

lich bei zwei Patienten getes-tet hat, ist dabei als Therapie-versuch für Betroffene mitsehr starken Beschwerden zusehen und keine Standardthe-rapie. Bei den meisten Patien-ten reichten wenige Untersu-chungen und Maßnahmen.

Dazu kann es zum Beispielgehören, Allergien auf be-stimmte Lebensmittelinhalts-stoffe auszuschließen oder aufUnverträglichkeiten zu testen,etwa auf Milch- und Frucht-zucker und verschiedene Süß-stoffe, insbesondere bei star-ken Blähungen. MancheMenschen reagieren mit einerständigen Entzündung auf dasin vielen Getreideproduktenenthaltene Klebereiweiß Glu-ten, leiden also an Zöliakie.Auch krankmachende Keimeoder Pilze können sich imDarm angesiedelt haben. Hierist oft Durchfall das Haupt-symptom. Untersuchen lässtsich das mit einer Stuhlpro-ben. Bei starker Verstopfungwird der Arzt neben einerBlut- auch eine Ultraschallun-tersuchung durchführen. Ha-ben Patienten Fieber oder inkurzer Zeit sehr stark abge-

Wenn sich nichts körperli-ches findet, kann nur die Psy-che schuld sein: So folgerteman früher oft – und riet Pa-tienten mit Reizdarm häufigzu einer psychologischen Be-handlung. Eine solche kannstark Betroffenen zwar in derTat helfen. Doch eher dabei,mit der Belastung zurecht zukommen, welche die enormenEinschränkungen durch dieKrankheit für das Berufs- undPrivatleben bedeuten.

Allein die Psyche für denReizdarm verantwortlich zumachen – davon sei man abge-kommen, sagt Storr. Auchwenn sich das Befindendurchaus auf den Darm aus-wirkt. Zumal der von einemdichten Nervengeflecht um-geben ist, das weitgehend un-abhängig vom Gehirn arbei-tet. Man nennt es daher auchmanchmal „Bauchhirn“.

Dennoch macht man heutenicht mehr allein die Psychefür die Beschwerden verant-wortlich. Statt dessen gehtman davon aus, dass wohl ei-ne ganze Reihe von Faktorenbei der Entstehung eine Rollespielen. Dazu gehören ver-

Die einen leiden vor allem anDurchfall, andere plagen sichmehr mit Verstopfung. VielePatienten quälen sich auchmit schmerzhaften Krämpfenim Bauch oder mit heftigenBlähungen: Halten solche Be-schwerden viele Wochen anund findet sich keine eindeu-tige körperliche Ursache, lau-tet die Diagnose meist „Reiz-darm-Syndrom“. Medizinerstellen sie heute immer öfter.

Für viele Betroffene ist eseinfach ein lästiges Leiden,bei anderen sind die Be-schwerden so heftig, dass siedas Leben enorm einschrän-ken. „Ein Reizdarm ist aberkeine gefährliche oder gartödliche Erkrankung“, sagtProf. Martin Storr, Gastroen-terologe am Münchner Klini-kum Großhadern. Warum derDarm bei manchen Menschenderart nervös reagiert, anderenie Probleme haben, ist völligunklar. Bei etwa einem Drittelgehe der Erkrankung ein gas-trointestinaler Infekt voraus,sagt Storr. Bei anderen schlei-chen sich die Beschwerdeneinfach ins Leben. Ohne er-kennbare Ursache.

„Der Darm möchte seine Ruhe“ – Hilfe für die nervöse Verdauung

mutlich eine genetische Ver-anlagung, Umweltfaktoren,die Ernährung, Infektionen,auch Stress und andere. EinReizdarm entsteht dieserTheorie zufolge, wenn mehre-re solcher Auslöser zusam-menkommen. Doch ist vielesnoch unklar. „Man hat vielePuzzlesteine“, sagt Storr.„Doch kennt man das Bildnoch nicht, das sie ergeben.“

Recht individuell sind da-

her schon die Untersuchun-gen, die für eine Diagnose nö-tig sind. Welche unbedingtdurchgeführt werden sollten,um andere Erkrankungenauszuschließen, richte sichnach dem Hauptsymptom,sagt Storr. Also ob Durchfalloder Verstopfung, Blähungenoder Bauchschmerzen dasgrößte Problem darstellen. Ei-ne Stuhltransplantation (Arti-kel oben), wie sie Storr kürz-

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