stuhlspende gegen den reizdarm€¦ · als fodmap-reich gelten indes milch, honig und weizen, auch...

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Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medi- zinische Aufklärung ist. Mei- ne Kollegen und ich möchten den Lesern daher jeden Mon- tag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Be- deutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht das Reiz- darm-Syndrom – und neben allgemeinen Informationen auch eine Therapie, die sich erst noch bewähren muss: die Stuhltransplantation. Der Experte des heutigen Beitrags ist Prof. Martin Storr, Oberarzt an der Medi- zinischen Klinik II des Klini- kums der Universität Mün- chen und Leiter der For- schungsgruppe Neurogastro- enterologie. Prof. Dr. Christian Stief ERNÄHRUNG BEIM REIZDARM Wie funktioniert die FODMAP-Diät? Liegt’s vielleicht an den Äpfeln? Oder ist irgend- was im Brot schuld? Pa- tienten, die an einem Reiz- darm-Syndrom haben oft bestimmte Lebensmittel im Verdacht, wenn sie sich wieder einmal mit Durch- fall, Krämpfen oder Blä- hungen quälen. Auch wenn Tests auf Allergien und Unverträglichkeiten nichts ergeben haben. Prof. Martin Storr, Gastro- enterologe vom Klinikum Großhadern in München rät seinen Patienten, dann ruhig, ihren Verdacht zu überprüfen – indem sie entsprechende Lebensmit- tel konsequent weglassen und das möglichst für eini- ge Wochen. Denn der Darm reagiert träge und braucht relativ lange, um sich umzustellen. Storr warnt darum auch davor, es mit den Ernährungs-Ex- perimenten zu übertrei- ben. Wer ständig herum- probiert, riskiere eher, dass sich die Beschwerden ver- schlimmern. Zucker für Bakterien Er rät seinen Patienten da- zu, es einmal mit der so ge- nannten FODMAP-Diät zu versuchen. Hierbei han- delt es sich nicht um eine Abnehmkur, sondern um eine spezielle Ernährungs- weise. FODMAPs ist die Abkürzung für „fermenta- ble Oligo-, Di- and Mono- saccharides und Polyole“. Das sind bestimmte Koh- lenhydrate wie Frucht- und Milchzucker, zudem Fruktane und Galaktane sowie Alkohole wie Sorbi- tol oder Xylitol, die oft als Süßstoff in zuckerfreiem Kaugummi stecken. FOD- MAPs werden im Dünn- darm schlecht aufgenom- men. Sie gelangen daher unverdaut in den Dick- darm, wo sie von Bakte- rien vergoren werden, was etwa zu Blähungen führen kann. Studien deuten da- rauf hin, dass eine FOD- MAP-arme Ernährung die Beschwerden Reizdarm- Patienten lindern kann. Der Darm braucht Zeit Reich an FODMAPs sind dabei auch Lebensmittel, die eigentlich als gesund gelten. Äpfel, Mangos und Wassermelonen gehören dazu. Nicht einschränken muss man sich bei Wein- trauben und Erdbeeren. Als FODMAP-reich gelten indes Milch, Honig und Weizen, auch Blumenkohl und Zwiebeln. Wer diese Ernährungsform auspro- bieren möchte, sollte sich an seinen Arzt oder einen Ernährungsberater wen- den. Dort bekommt er auch weitere Informatio- nen zu den Speisen, die er meiden sollen. Eine Liste im Internet findet sich un- ter gastroenterologie.stau- fenbergzentrum.de/pdf/ FODmap.pdf. Und: Nicht gleich entnervt abbrechen, wenn sich der Erfolg nicht sofort einstellt. Der Darm kann anfangs sogar rebel- lieren, sagt Storr. Man soll- te ihm etwa vier bis acht Wochen Zeit geben, um sich umzustellen. ANDREA EPPNER Äpfel sind gesund, enthal- ten aber viel schlecht ver- daulichen Zucker. DPA auch bei ihnen die Darmflora verändert. Doch ist unklar, ob das Folge oder Ursache der Beschwerden ist. Zudem sind wohl viele Faktoren an der Entstehung eines Reizdarms beteiligt (Artikel unten). Der Mediziner Storr und sein Patient Claus D. wollten den Versuch dennoch wagen. Der Plan: Statt per Magen- spiegelung in den Dünndarm, wie es andere Kollegen oft praktizieren, wollte er den Spenderkot per Koloskopie, also per Darmspiegelung, di- rekt in den Dickdarm bringen. „Der Dünndarm ist prinzipiell nicht bakteriell besiedelt“, er- klärt Storr. Da wollte er lieber nicht eingreifen. Zudem be- fürchtete er, dass Magensäure und Verdauungssäfte zu viele Bakterien im Stuhl abtöten. Fehlte nur noch ein gesun- der Spender. Claus D. fragte seine Tochter, die sofort zu- stimmte. Vor dem fäkalen Mi- krobiom-Transfer wie Ärzte die Methode nennen, standen aber noch viele Untersuchun- gen. Das sollte ausschließen, dass die Spenderin an Erkran- kungen leidet, die per Stuhl übertragen werden können. Wie vor einer konventio- nellen Darmspiegelung muss- te Claus D. am Vorabend sei- nen Darm reinigen, bekam ein abführendes Getränk. Auch erhielt er ein paar Tage vorher ein Antibiotikum, das den Darm für neue Mieter frei ma- chen sollte. Am Morgen der Transplantation holte er den Spenderkot in einer großen Plastikdose von seiner Toch- ter ab. In der Klinik wurde der Kot mit Kochsalz-Lösung ver- dünnt, die Suspension per En- doskop in den Darm gespritzt. „Ziel war, den ganzen Dick- darm zu benetzen“, sagt Storr. Etwa fünf Monate liegt die Transplantation jetzt zurück. Das Ergebnis war nicht ganz so, wie es sich Claus D. erhofft hatte. In den ersten Wochen habe er sich deutlich besser gefühlt, sagt er. Jetzt sei alles beim Alten. Storr hat die vie- len Mittel im Verdacht, die Claus D. schluckt, um seinen Darm im Zaum zu halten. Er hat vor einigen Wochen einen weiteren Patienten mit der Methode behandelt, dem es besser gehe. Ein Hoffnungs- schimmer für Claus D., der be- reits über einen zweiten Ver- such nachdenkt. nicht probiert hat: Er experi- mentierte mit seiner Ernäh- rung, ging zum Heilpraktiker, versuchte Probiotika und ließ sich sogar hypnotisieren. Auch beim Psychologen war er. Da sich beim Reizdarm keine klare körperliche Ursa- che findet, suchte man früher oft nach einer psychischen. Sind Erfahrungen in der Kind- heit schuld, die Beziehung, der Stress in der Arbeit? Alles wurde bei Claus D. durch- leuchtet. „Man kommt schnell in die Psycho-Schub- lade. Aber ich bin nicht mehr Psycho als jeder andere“, sagt er ärgerlich. Heute geht er nur noch zum Psychologen, um mit den Folgen der Beschwer- den zurecht zu kommen – ei- ne enorme Belastung. Schon deshalb kommt Auf- geben für ihn nicht infrage. Das Experiment Stuhltrans- plantation wollte er darum unbedingt wagen. Ekelgefüh- le? Claus D. winkt ab. Wer sich zehn Jahre lang mit Darm und Durchfall beschäftigt hat, ekelt nichts mehr. Auch, dass es beim Reizdarm nur wenige Erfahrungen, alles Einzelfall- berichte, mit dieser Methode gibt, schreckte ihn nicht. Er suchte einen Arzt, der den Versuch wagen wollte – und fand ihn in Prof. Martin Storr. der Bevölkerung sein. 90 Pro- zent davon hätten aber nur leichte Beschwerden, die sich meist mit wenigen Maßnah- men in den Griff bekommen ließen, sagt Storr. Claus D. gehört zu den an- deren, zu den etwa fünf Pro- zent der Patienten, bei denen der Darm das Leben be- stimmt. Manche schränkt die Erkrankung sogar so stark ein, dass sie ihren Beruf aufge- ben müssen. Claus D. ist froh, dass er sich seine Arbeit selbst einteilen kann. Doch schluckt er auch Medikamente, um sei- nen Darm besser kontrollie- ren zu können. Zumal er be- ruflich viel unterwegs ist. Auf der Fahrt muss er trotzdem oft raus. „An der Autobahn zwi- schen Regensburg und Flens- burg kenne ich jedes Klo“, sagt er und lacht. Man muss Claus D.s Vorge- schichte kennen, um zu ver- stehen, wie er auf die Idee mit der Stuhltransplantation kam. Von dieser Methode, bei der Kot eines gesunden Spenders in den Darm des Kranken ein- gebracht wird, hat er im Inter- net gelesen. Schon zuvor hat er sich hier die ein oder andere Anregung geholt, was er noch versuchen, zu welchem Arzt er noch gehen könnte. Und es gibt kaum etwas, das Claus D. Schon der Name der Therapie weckt bei vielen Ekelgefühle: Stuhltransplantation. Dabei kann der Kot eines Gesunden einen kranken Darm heilen. In München testen Mediziner, ob die Methode auch Reizdarm- Patienten hilft. Ihr erster Patient: Klaus D. (48). VON ANDREA EPPNER München – Ob er gern eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wasser möchte? Claus D. überlegt kurz, schüttelt dann den Kopf. Das kann er sich heute nicht leisten. In zwei Stunden hat der 48-Jährige ei- nen Termin, das geht sich nicht aus. Denn was und wann er essen und trinken dar – darüber bestimmt seit lan- gem sein Darm. Und der ist hochnervös. Mehr als zehn Jahre ist es her, als Claus D. zum ersten Mal Stress mit der Verdauung hatte. Er musste häufiger kurz nach dem Essen zur Toilette, litt unter Durchfall und Blä- hungen. Erst wartete er ab, später ging er zum Arzt. Doch der konnte ihm nicht helfen wie auch keiner seiner Kolle- gen, die Claus D. später kon- sultiert hat. Blutuntersuchun- gen, Magen- und Darmspiege- lungen, Tests auf Allergien und Nahrungsmittel-Unver- träglichkeiten, eine Compu- tertomografie – die Ergebnisse füllen inzwischen einen di- cken Aktenordner. Doch verrieten die Unter- suchungen nur, was Claus D. alles nicht hat: keinen gefähr- lichen Darmkeim, keinen bösartigen Tumor, keine chronische Darmentzün- dung. Was bleibt, wenn ande- re körperliche Ursachen aus- geschlossen wurden, fassen Mediziner als „Reizdarm-Syn- drom“ zusammen. „Vermut- lich verbirgt sich dahinter ein Sammelsurium verschiedener Erkrankungen“, sagt Prof. Martin Storr, Gastroenterolo- ge am Klinikum Großhadern in München. „Und man hat noch nicht geknackt, was ih- nen allen zugrunde liegt.“ Die Zahl der Betroffenen jedoch ist riesig. Studien zu- folge sollen es etwa 15 Prozent Stuhlspende gegen den Reizdarm STIEFS SPRECHSTUNDE .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Der kannte die Stuhltrans- plantation bis dahin nur aus der Fachliteratur. Er wusste um die guten Ergebnisse bei Patienten, bei denen sich der Keim Clostridium difficile im Darm breit gemacht hat. Das kann selten nach einer Be- handlung mit Antibiotika pas- sieren. Betroffene leiden an Durchfällen, Krämpfen und Blähungen. Studien aus Aus- tralien haben gezeigt, dass der Stuhl eines gesunden Spen- ders die Darmflora wieder ins Gleichgewicht bringen kann: Vielen der etwa 200 Behan- delten ging es besser. Bei Gesunden ist der Dick- darm dicht mit Bakterien be- siedelt. Diese Wohngemein- schaft meint man, wenn von „Darmflora“ die Rede ist. Al- lein die Anwesenheit der win- zigen Mieter verhindert, dass Krankmacher einziehen. Wer sich hier niederlassen kann, darüber bestimmt auch die Er- nährung. Der Grundstock der Mieterschaft wird aber bei der Geburt gelegt: Das Kind schluckt dabei etwas Darmin- halt der Mutter – quasi eine natürliche Stuhltransplantati- on, die den Aufbau einer ge- sunden Darmflora fördert. Ob eine Transplantation auch Patienten mit Reizdarm nützt, ist unklar. Zwar ist Ekel? Die Hoffnung ist nach zehn Jahren Leiden viel größer Die Ergebnisse der Untersuchungen füllen einen Ordner Wagen Neues bei der Reizdarm-Therapie: Bei einer Darmspiegelung hat Prof. Martin Storr Stuhl eines gesunden Spenders auf einen Patienten übertragen (Symbolbild). FOTO: STEEGER/KLINIKUM DER LMU nommen, sind weitere Unter- suchungen nötig, etwa eine Magen- oder Darmspiege- lung, seltener auch mal eine Computertomografie. Recht individuell ist auch die Behandlung. Die Auswahl der Medikamente, die zudem nur Beschwerden lindern können, ist beschränkt. Die meisten helfen nur gegen ein Symptom. Pflanzliche Präpa- rate können hier eine gute Al- ternative sein, da sie oft gleich gegen mehrere Symptome hel- fen. Wer den Verdacht hat, be- stimmte Lebensmittel nicht zu vertragen, kann ausprobieren, diese eine Zeit lang wegzulas- sen (Randspalte). Er sollte aber auch nicht zu viel herum- experimentieren, warnt Storr: „Der Darm ist träge und möchte seine Ruhe.“ Ständi- ger Stress bekommt dem ner- vösen Darm darum gar nicht. Betroffene sollten darum da- rauf achten, regelmäßig und etwa zu den gleichen Zeiten zu speisen – und dabei „in al- ler Ruhe gemütlich essen“. Leserfragen an Prof. Martin Storr: [email protected] lich bei zwei Patienten getes- tet hat, ist dabei als Therapie- versuch für Betroffene mit sehr starken Beschwerden zu sehen und keine Standardthe- rapie. Bei den meisten Patien- ten reichten wenige Untersu- chungen und Maßnahmen. Dazu kann es zum Beispiel gehören, Allergien auf be- stimmte Lebensmittelinhalts- stoffe auszuschließen oder auf Unverträglichkeiten zu testen, etwa auf Milch- und Frucht- zucker und verschiedene Süß- stoffe, insbesondere bei star- ken Blähungen. Manche Menschen reagieren mit einer ständigen Entzündung auf das in vielen Getreideprodukten enthaltene Klebereiweiß Glu- ten, leiden also an Zöliakie. Auch krankmachende Keime oder Pilze können sich im Darm angesiedelt haben. Hier ist oft Durchfall das Haupt- symptom. Untersuchen lässt sich das mit einer Stuhlpro- ben. Bei starker Verstopfung wird der Arzt neben einer Blut- auch eine Ultraschallun- tersuchung durchführen. Ha- ben Patienten Fieber oder in kurzer Zeit sehr stark abge- Wenn sich nichts körperli- ches findet, kann nur die Psy- che schuld sein: So folgerte man früher oft – und riet Pa- tienten mit Reizdarm häufig zu einer psychologischen Be- handlung. Eine solche kann stark Betroffenen zwar in der Tat helfen. Doch eher dabei, mit der Belastung zurecht zu kommen, welche die enormen Einschränkungen durch die Krankheit für das Berufs- und Privatleben bedeuten. Allein die Psyche für den Reizdarm verantwortlich zu machen – davon sei man abge- kommen, sagt Storr. Auch wenn sich das Befinden durchaus auf den Darm aus- wirkt. Zumal der von einem dichten Nervengeflecht um- geben ist, das weitgehend un- abhängig vom Gehirn arbei- tet. Man nennt es daher auch manchmal „Bauchhirn“. Dennoch macht man heute nicht mehr allein die Psyche für die Beschwerden verant- wortlich. Statt dessen geht man davon aus, dass wohl ei- ne ganze Reihe von Faktoren bei der Entstehung eine Rolle spielen. Dazu gehören ver- Die einen leiden vor allem an Durchfall, andere plagen sich mehr mit Verstopfung. Viele Patienten quälen sich auch mit schmerzhaften Krämpfen im Bauch oder mit heftigen Blähungen: Halten solche Be- schwerden viele Wochen an und findet sich keine eindeu- tige körperliche Ursache, lau- tet die Diagnose meist „Reiz- darm-Syndrom“. Mediziner stellen sie heute immer öfter. Für viele Betroffene ist es einfach ein lästiges Leiden, bei anderen sind die Be- schwerden so heftig, dass sie das Leben enorm einschrän- ken. „Ein Reizdarm ist aber keine gefährliche oder gar tödliche Erkrankung“, sagt Prof. Martin Storr, Gastroen- terologe am Münchner Klini- kum Großhadern. Warum der Darm bei manchen Menschen derart nervös reagiert, andere nie Probleme haben, ist völlig unklar. Bei etwa einem Drittel gehe der Erkrankung ein gas- trointestinaler Infekt voraus, sagt Storr. Bei anderen schlei- chen sich die Beschwerden einfach ins Leben. Ohne er- kennbare Ursache. „Der Darm möchte seine Ruhe“ – Hilfe für die nervöse Verdauung mutlich eine genetische Ver- anlagung, Umweltfaktoren, die Ernährung, Infektionen, auch Stress und andere. Ein Reizdarm entsteht dieser Theorie zufolge, wenn mehre- re solcher Auslöser zusam- menkommen. Doch ist vieles noch unklar. „Man hat viele Puzzlesteine“, sagt Storr. „Doch kennt man das Bild noch nicht, das sie ergeben.“ Recht individuell sind da- her schon die Untersuchun- gen, die für eine Diagnose nö- tig sind. Welche unbedingt durchgeführt werden sollten, um andere Erkrankungen auszuschließen, richte sich nach dem Hauptsymptom, sagt Storr. Also ob Durchfall oder Verstopfung, Blähungen oder Bauchschmerzen das größte Problem darstellen. Ei- ne Stuhltransplantation (Arti- kel oben), wie sie Storr kürz-

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Page 1: Stuhlspende gegen den Reizdarm€¦ · Als FODMAP-reich gelten indes Milch, Honig und Weizen, auch Blumenkohl und Zwiebeln. Wer diese Ernährungsform auspro-bieren möchte, sollte

Als Chefarzt im MünchnerKlinikum Großhadern erlebeich täglich, wie wichtig medi-zinische Aufklärung ist. Mei-ne Kollegen und ich möchtenden Lesern daher jeden Mon-tag ein Thema vorstellen, dasfür ihre Gesundheit von Be-deutung ist. Im Zentrum derheutigen Seite steht das Reiz-darm-Syndrom – und nebenallgemeinen Informationenauch eine Therapie, die sicherst noch bewähren muss:die Stuhltransplantation.Der Experte des heutigenBeitrags ist Prof. MartinStorr, Oberarzt an der Medi-zinischen Klinik II des Klini-kums der Universität Mün-chen und Leiter der For-schungsgruppe Neurogastro-enterologie.

Prof. Dr. Christian Stief

ERNÄHRUNGBEIM REIZDARM

Wie funktioniertdie FODMAP-Diät?Liegt’s vielleicht an denÄpfeln? Oder ist irgend-was im Brot schuld? Pa-tienten, die an einem Reiz-darm-Syndrom haben oftbestimmte Lebensmittelim Verdacht, wenn sie sichwieder einmal mit Durch-fall, Krämpfen oder Blä-hungen quälen. Auchwenn Tests auf Allergienund Unverträglichkeitennichts ergeben haben.Prof. Martin Storr, Gastro-enterologe vom KlinikumGroßhadern in Münchenrät seinen Patienten, dannruhig, ihren Verdacht zuüberprüfen – indem sieentsprechende Lebensmit-tel konsequent weglassenund das möglichst für eini-ge Wochen. Denn derDarm reagiert träge undbraucht relativ lange, umsich umzustellen. Storrwarnt darum auch davor,es mit den Ernährungs-Ex-perimenten zu übertrei-ben. Wer ständig herum-probiert, riskiere eher, dasssich die Beschwerden ver-schlimmern.

Zucker für BakterienEr rät seinen Patienten da-zu, es einmal mit der so ge-nannten FODMAP-Diätzu versuchen. Hierbei han-delt es sich nicht um eineAbnehmkur, sondern umeine spezielle Ernährungs-weise. FODMAPs ist dieAbkürzung für „fermenta-ble Oligo-, Di- and Mono-saccharides und Polyole“.Das sind bestimmte Koh-lenhydrate wie Frucht-und Milchzucker, zudemFruktane und Galaktanesowie Alkohole wie Sorbi-tol oder Xylitol, die oft alsSüßstoff in zuckerfreiemKaugummi stecken. FOD-MAPs werden im Dünn-darm schlecht aufgenom-men. Sie gelangen daherunverdaut in den Dick-darm, wo sie von Bakte-rien vergoren werden, wasetwa zu Blähungen führenkann. Studien deuten da-rauf hin, dass eine FOD-MAP-arme Ernährung dieBeschwerden Reizdarm-Patienten lindern kann.

Der Darm braucht Zeit

Reich an FODMAPs sinddabei auch Lebensmittel,die eigentlich als gesundgelten. Äpfel, Mangos undWassermelonen gehörendazu. Nicht einschränkenmuss man sich bei Wein-trauben und Erdbeeren.Als FODMAP-reich geltenindes Milch, Honig undWeizen, auch Blumenkohlund Zwiebeln. Wer dieseErnährungsform auspro-bieren möchte, sollte sichan seinen Arzt oder einenErnährungsberater wen-den. Dort bekommt erauch weitere Informatio-nen zu den Speisen, die ermeiden sollen. Eine Listeim Internet findet sich un-ter gastroenterologie.stau-fenbergzentrum.de/pdf/FODmap.pdf. Und: Nichtgleich entnervt abbrechen,wenn sich der Erfolg nichtsofort einstellt. Der Darmkann anfangs sogar rebel-lieren, sagt Storr. Man soll-te ihm etwa vier bis achtWochen Zeit geben, umsich umzustellen.

ANDREA EPPNER

Äpfel sind gesund, enthal-ten aber viel schlecht ver-daulichen Zucker. DPA

auch bei ihnen die Darmfloraverändert. Doch ist unklar, obdas Folge oder Ursache derBeschwerden ist. Zudem sindwohl viele Faktoren an derEntstehung eines Reizdarmsbeteiligt (Artikel unten).

Der Mediziner Storr undsein Patient Claus D. wolltenden Versuch dennoch wagen.Der Plan: Statt per Magen-spiegelung in den Dünndarm,wie es andere Kollegen oftpraktizieren, wollte er denSpenderkot per Koloskopie,also per Darmspiegelung, di-rekt in den Dickdarm bringen.„Der Dünndarm ist prinzipiellnicht bakteriell besiedelt“, er-klärt Storr. Da wollte er liebernicht eingreifen. Zudem be-fürchtete er, dass Magensäureund Verdauungssäfte zu vieleBakterien im Stuhl abtöten.

Fehlte nur noch ein gesun-der Spender. Claus D. fragteseine Tochter, die sofort zu-stimmte. Vor dem fäkalen Mi-krobiom-Transfer wie Ärztedie Methode nennen, standenaber noch viele Untersuchun-gen. Das sollte ausschließen,dass die Spenderin an Erkran-kungen leidet, die per Stuhlübertragen werden können.

Wie vor einer konventio-nellen Darmspiegelung muss-te Claus D. am Vorabend sei-nen Darm reinigen, bekam einabführendes Getränk. Aucherhielt er ein paar Tage vorherein Antibiotikum, das denDarm für neue Mieter frei ma-

chen sollte. Am Morgen derTransplantation holte er denSpenderkot in einer großenPlastikdose von seiner Toch-ter ab. In der Klinik wurde derKot mit Kochsalz-Lösung ver-dünnt, die Suspension per En-doskop in den Darm gespritzt.„Ziel war, den ganzen Dick-darm zu benetzen“, sagt Storr.

Etwa fünf Monate liegt dieTransplantation jetzt zurück.Das Ergebnis war nicht ganzso, wie es sich Claus D. erhoffthatte. In den ersten Wochenhabe er sich deutlich bessergefühlt, sagt er. Jetzt sei allesbeim Alten. Storr hat die vie-len Mittel im Verdacht, dieClaus D. schluckt, um seinenDarm im Zaum zu halten. Erhat vor einigen Wochen einenweiteren Patienten mit derMethode behandelt, dem esbesser gehe. Ein Hoffnungs-schimmer für Claus D., der be-reits über einen zweiten Ver-such nachdenkt.

nicht probiert hat: Er experi-mentierte mit seiner Ernäh-rung, ging zum Heilpraktiker,versuchte Probiotika und ließsich sogar hypnotisieren.

Auch beim Psychologenwar er. Da sich beim Reizdarmkeine klare körperliche Ursa-che findet, suchte man früheroft nach einer psychischen.Sind Erfahrungen in der Kind-heit schuld, die Beziehung,der Stress in der Arbeit? Alleswurde bei Claus D. durch-leuchtet. „Man kommtschnell in die Psycho-Schub-lade. Aber ich bin nicht mehrPsycho als jeder andere“, sagter ärgerlich. Heute geht er nurnoch zum Psychologen, ummit den Folgen der Beschwer-den zurecht zu kommen – ei-ne enorme Belastung.

Schon deshalb kommt Auf-geben für ihn nicht infrage.Das Experiment Stuhltrans-plantation wollte er darumunbedingt wagen. Ekelgefüh-le? Claus D. winkt ab. Wersich zehn Jahre lang mit Darmund Durchfall beschäftigt hat,ekelt nichts mehr. Auch, dasses beim Reizdarm nur wenigeErfahrungen, alles Einzelfall-berichte, mit dieser Methodegibt, schreckte ihn nicht. Ersuchte einen Arzt, der denVersuch wagen wollte – undfand ihn in Prof. Martin Storr.

der Bevölkerung sein. 90 Pro-zent davon hätten aber nurleichte Beschwerden, die sichmeist mit wenigen Maßnah-men in den Griff bekommenließen, sagt Storr.

Claus D. gehört zu den an-deren, zu den etwa fünf Pro-zent der Patienten, bei denender Darm das Leben be-stimmt. Manche schränkt dieErkrankung sogar so starkein, dass sie ihren Beruf aufge-ben müssen. Claus D. ist froh,dass er sich seine Arbeit selbsteinteilen kann. Doch schluckter auch Medikamente, um sei-nen Darm besser kontrollie-ren zu können. Zumal er be-ruflich viel unterwegs ist. Aufder Fahrt muss er trotzdem oftraus. „An der Autobahn zwi-schen Regensburg und Flens-burg kenne ich jedes Klo“,sagt er und lacht.

Man muss Claus D.s Vorge-schichte kennen, um zu ver-stehen, wie er auf die Idee mitder Stuhltransplantation kam.Von dieser Methode, bei derKot eines gesunden Spendersin den Darm des Kranken ein-gebracht wird, hat er im Inter-net gelesen. Schon zuvor hater sich hier die ein oder andereAnregung geholt, was er nochversuchen, zu welchem Arzter noch gehen könnte. Und esgibt kaum etwas, das Claus D.

Schon der Name derTherapie weckt beivielen Ekelgefühle:Stuhltransplantation.Dabei kann der Kot einesGesunden einen krankenDarm heilen. In Münchentesten Mediziner, ob dieMethode auch Reizdarm-Patienten hilft. Ihr ersterPatient: Klaus D. (48).

VON ANDREA EPPNER

München – Ob er gern eineTasse Kaffee oder ein GlasWasser möchte? Claus D.überlegt kurz, schüttelt dannden Kopf. Das kann er sichheute nicht leisten. In zweiStunden hat der 48-Jährige ei-nen Termin, das geht sichnicht aus. Denn was undwann er essen und trinken dar– darüber bestimmt seit lan-gem sein Darm. Und der isthochnervös.

Mehr als zehn Jahre ist esher, als Claus D. zum erstenMal Stress mit der Verdauunghatte. Er musste häufiger kurznach dem Essen zur Toilette,litt unter Durchfall und Blä-hungen. Erst wartete er ab,später ging er zum Arzt. Dochder konnte ihm nicht helfenwie auch keiner seiner Kolle-gen, die Claus D. später kon-sultiert hat. Blutuntersuchun-gen, Magen- und Darmspiege-

lungen, Tests auf Allergienund Nahrungsmittel-Unver-träglichkeiten, eine Compu-tertomografie – die Ergebnissefüllen inzwischen einen di-cken Aktenordner.

Doch verrieten die Unter-suchungen nur, was Claus D.alles nicht hat: keinen gefähr-lichen Darmkeim, keinenbösartigen Tumor, keinechronische Darmentzün-dung. Was bleibt, wenn ande-re körperliche Ursachen aus-geschlossen wurden, fassenMediziner als „Reizdarm-Syn-drom“ zusammen. „Vermut-lich verbirgt sich dahinter einSammelsurium verschiedenerErkrankungen“, sagt Prof.Martin Storr, Gastroenterolo-ge am Klinikum Großhadernin München. „Und man hatnoch nicht geknackt, was ih-nen allen zugrunde liegt.“

Die Zahl der Betroffenenjedoch ist riesig. Studien zu-folge sollen es etwa 15 Prozent

Stuhlspende gegen den ReizdarmSTIEFS SPRECHSTUNDE ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Der kannte die Stuhltrans-plantation bis dahin nur ausder Fachliteratur. Er wussteum die guten Ergebnisse beiPatienten, bei denen sich derKeim Clostridium difficile imDarm breit gemacht hat. Daskann selten nach einer Be-handlung mit Antibiotika pas-sieren. Betroffene leiden anDurchfällen, Krämpfen undBlähungen. Studien aus Aus-tralien haben gezeigt, dass derStuhl eines gesunden Spen-ders die Darmflora wieder insGleichgewicht bringen kann:Vielen der etwa 200 Behan-delten ging es besser.

Bei Gesunden ist der Dick-darm dicht mit Bakterien be-siedelt. Diese Wohngemein-schaft meint man, wenn von„Darmflora“ die Rede ist. Al-lein die Anwesenheit der win-zigen Mieter verhindert, dassKrankmacher einziehen. Wersich hier niederlassen kann,darüber bestimmt auch die Er-nährung. Der Grundstock derMieterschaft wird aber bei derGeburt gelegt: Das Kindschluckt dabei etwas Darmin-halt der Mutter – quasi einenatürliche Stuhltransplantati-on, die den Aufbau einer ge-sunden Darmflora fördert.

Ob eine Transplantationauch Patienten mit Reizdarmnützt, ist unklar. Zwar ist

Ekel? Die Hoffnung

ist nach zehn Jahren

Leiden viel größer

Die Ergebnisse der

Untersuchungen

füllen einen Ordner

Wagen Neues bei der Reizdarm-Therapie: Bei einer Darmspiegelung hat Prof. Martin Storr Stuhl eines gesunden Spendersauf einen Patienten übertragen (Symbolbild). FOTO: STEEGER/KLINIKUM DER LMU

nommen, sind weitere Unter-suchungen nötig, etwa eineMagen- oder Darmspiege-lung, seltener auch mal eineComputertomografie.

Recht individuell ist auchdie Behandlung. Die Auswahlder Medikamente, die zudemnur Beschwerden lindernkönnen, ist beschränkt. Diemeisten helfen nur gegen einSymptom. Pflanzliche Präpa-rate können hier eine gute Al-ternative sein, da sie oft gleichgegen mehrere Symptome hel-fen. Wer den Verdacht hat, be-stimmte Lebensmittel nicht zuvertragen, kann ausprobieren,diese eine Zeit lang wegzulas-sen (Randspalte). Er sollteaber auch nicht zu viel herum-experimentieren, warnt Storr:„Der Darm ist träge undmöchte seine Ruhe.“ Ständi-ger Stress bekommt dem ner-vösen Darm darum gar nicht.Betroffene sollten darum da-rauf achten, regelmäßig undetwa zu den gleichen Zeitenzu speisen – und dabei „in al-ler Ruhe gemütlich essen“.

Leserfragen an Prof. Martin Storr:[email protected]

lich bei zwei Patienten getes-tet hat, ist dabei als Therapie-versuch für Betroffene mitsehr starken Beschwerden zusehen und keine Standardthe-rapie. Bei den meisten Patien-ten reichten wenige Untersu-chungen und Maßnahmen.

Dazu kann es zum Beispielgehören, Allergien auf be-stimmte Lebensmittelinhalts-stoffe auszuschließen oder aufUnverträglichkeiten zu testen,etwa auf Milch- und Frucht-zucker und verschiedene Süß-stoffe, insbesondere bei star-ken Blähungen. MancheMenschen reagieren mit einerständigen Entzündung auf dasin vielen Getreideproduktenenthaltene Klebereiweiß Glu-ten, leiden also an Zöliakie.Auch krankmachende Keimeoder Pilze können sich imDarm angesiedelt haben. Hierist oft Durchfall das Haupt-symptom. Untersuchen lässtsich das mit einer Stuhlpro-ben. Bei starker Verstopfungwird der Arzt neben einerBlut- auch eine Ultraschallun-tersuchung durchführen. Ha-ben Patienten Fieber oder inkurzer Zeit sehr stark abge-

Wenn sich nichts körperli-ches findet, kann nur die Psy-che schuld sein: So folgerteman früher oft – und riet Pa-tienten mit Reizdarm häufigzu einer psychologischen Be-handlung. Eine solche kannstark Betroffenen zwar in derTat helfen. Doch eher dabei,mit der Belastung zurecht zukommen, welche die enormenEinschränkungen durch dieKrankheit für das Berufs- undPrivatleben bedeuten.

Allein die Psyche für denReizdarm verantwortlich zumachen – davon sei man abge-kommen, sagt Storr. Auchwenn sich das Befindendurchaus auf den Darm aus-wirkt. Zumal der von einemdichten Nervengeflecht um-geben ist, das weitgehend un-abhängig vom Gehirn arbei-tet. Man nennt es daher auchmanchmal „Bauchhirn“.

Dennoch macht man heutenicht mehr allein die Psychefür die Beschwerden verant-wortlich. Statt dessen gehtman davon aus, dass wohl ei-ne ganze Reihe von Faktorenbei der Entstehung eine Rollespielen. Dazu gehören ver-

Die einen leiden vor allem anDurchfall, andere plagen sichmehr mit Verstopfung. VielePatienten quälen sich auchmit schmerzhaften Krämpfenim Bauch oder mit heftigenBlähungen: Halten solche Be-schwerden viele Wochen anund findet sich keine eindeu-tige körperliche Ursache, lau-tet die Diagnose meist „Reiz-darm-Syndrom“. Medizinerstellen sie heute immer öfter.

Für viele Betroffene ist eseinfach ein lästiges Leiden,bei anderen sind die Be-schwerden so heftig, dass siedas Leben enorm einschrän-ken. „Ein Reizdarm ist aberkeine gefährliche oder gartödliche Erkrankung“, sagtProf. Martin Storr, Gastroen-terologe am Münchner Klini-kum Großhadern. Warum derDarm bei manchen Menschenderart nervös reagiert, anderenie Probleme haben, ist völligunklar. Bei etwa einem Drittelgehe der Erkrankung ein gas-trointestinaler Infekt voraus,sagt Storr. Bei anderen schlei-chen sich die Beschwerdeneinfach ins Leben. Ohne er-kennbare Ursache.

„Der Darm möchte seine Ruhe“ – Hilfe für die nervöse Verdauung

mutlich eine genetische Ver-anlagung, Umweltfaktoren,die Ernährung, Infektionen,auch Stress und andere. EinReizdarm entsteht dieserTheorie zufolge, wenn mehre-re solcher Auslöser zusam-menkommen. Doch ist vielesnoch unklar. „Man hat vielePuzzlesteine“, sagt Storr.„Doch kennt man das Bildnoch nicht, das sie ergeben.“

Recht individuell sind da-

her schon die Untersuchun-gen, die für eine Diagnose nö-tig sind. Welche unbedingtdurchgeführt werden sollten,um andere Erkrankungenauszuschließen, richte sichnach dem Hauptsymptom,sagt Storr. Also ob Durchfalloder Verstopfung, Blähungenoder Bauchschmerzen dasgrößte Problem darstellen. Ei-ne Stuhltransplantation (Arti-kel oben), wie sie Storr kürz-