SRH Fachschulen gGmbHFachschule für Logopädie Karlsruhe
Therapiekonzepte zur Behandlung der Sprechapraxie:
Effektivität und klinischer Einsatz
36. Jahreskongress des dblJuni 2007
Norina Lauer
Norina Lauer 20072
Inhaltsüberblick
Theoretische Einführung
Therapieansätze: Überblick und Effektivität
Klinischer Einsatz
Fazit
Norina Lauer 20073
Definition der Sprechapraxie
Die Sprechapraxie ist eine phonetisch-motorische Störung bei
intakten phonologischen Fähigkeiten, bei der es zu intra- und
interartikulatorischen zeitlichen und räumlichen segmentalen und prosodischen Abweichungen kommt (Mc Neil, Robin u.
Schmidt 1997, S. 329).
Artikulation: Phonetische Fehler, Phonematische Fehler
Prosodie: Redeflussfehler, Akzentuierungsfehler
Sprechverhalten: Suchbewegungen der Artikulationsorgane, Sprechanstrengung, Unzufriedenheit, Selbstkorrektur
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 20074
Verteilung neurogener Sprechstörungen nach Duffy (1995)
32%
13%
10%9%
9%
9%
8%
6% 2%2% Gemischte Dysarthrie
Ataxie
Schlaffe Dysarthrie
Spastische Dysarthrie
Sprechapraxie
Unilaterales Syndrom des oberen mot.NeuronsHypokinetische Dysarthrie
Hyperkinetische Dysarthrie
Untypische Dysarthrie
Anarthrie
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 20075
Leitlinien der Sprechapraxietherapie
Individuelles Störungsprofil und Schweregrad
Individuelle Aufgabenhierarchie
Früher Therapiebeginn (erster Monat)
Intensive Behandlung: hohe Therapiefrequenz, häufige Wiederholungen
Variabilität der Übungen und multimodale Stimulierung
Individuelle Therapie durch Kombination von Ansätzen
Verbesserung der Selbst- und taktil-kinästhetischen Wahrnehmung
Unterstützung der Selbstkorrekturfähigkeit
Klare Rückmeldung
McNeil 1997; Duffy 1995; Peach 2004; Wertz et al. 1984
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 20076
Therapieansätze
Rhythmisch-melodische Ansätze
Segmentbasierte Ansätze
Alternative u/o augmentative
Kommunikation
Wortstrukturelle Ansätze
Cueing-Techniken
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 20077
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Rhythmisch-melodische Ansätze
Therapieansatz EffektivitätsnachweisMelodische Intonationstherapie (Albert et al. 1973)
Tonkovich, Marquardt (1977)Laughlin et al. (1979)
Externe/interne TaktgeberMetronomVibrotaktile Stimulation (Rubow et al. 1982)Fingertapping / Pacing Board
Dworkin et al. (1988)Rubow et al. (1982)Simmons (1978)
Artikulatorisches Synchronisationsverfahren(Brendel, Ziegler 2002)
Brendel, Ziegler (2002)
Kontrastive Akzentuierung --
Rhythmische Gesten --
SIPARI (Jungblut 2005) Jungblut, Aldridge (2004) bei chronischer Aphasie
Akzentmethode (Smith, Thyme 1980) --
Unterstützen Artikulation und Prosodie über die Hervorhebung rhythmischer
und / oder melodischer Elemente einer Äußerung
Norina Lauer 20078
Therapieansatz Effektivitätsnachweis
Ableitungsmethoden (Van Riper & Irvin 1958)Phonetische AbleitungProgressive Approximation
--
Phonetic Placement (Rosenbek 1983) Gotto (2004) – SpeechTrainer
Phonemdrill (Darley, 1975) Darley et al. (1975)
8-Schritte-Kontinuum (Rosenbek et al. 1973) Deal u. Florence (1978)
Luzzatti & Springer (1995) Baumhove et al. (1988)
Segmentbasierte Ansätze
Setzen auf der Ebene von Einzellauten oder Silben an und setzen diese
anschließend zum Wortganzen zusammen
SpeechTrainerKröger (2003)
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 20079
Wortstrukturelle Ansätze
Stellen das Wortganze in den Mittelpunkt, so dass Silbenanzahl und
Akzentstruktur der zu übenden Wörter beibehalten, artikulatorisch aber
vereinfacht oder systematisch variiert werden
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Therapieansatz EffektivitätsnachweisPhonetische Kontrastierung (Minimalpaartechnik)
Wambaugh et al. (1996)
Metrischer Ansatz (Jaeger 1991) Jaeger und Ziegler (1993)
Multiple Input Phoneme Therapy (Stevens, Glase 1983)
Stevens und Glaser (1983)Stevens (1986)
Norina Lauer 200710
Zeichen für: Tisch
Unterstützung von Sprechbewegungen über gestische, visuelle oder taktil-
kinästhetische Hinweisreize
Cueing-Techniken
/t/
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Therapieansatz EffektivitätsnachweisMediationstechnik – EMS (Romero 1980, Shell 1997)
Romero (1980)Willbold et al. (1984)
Gestische Reorganisation (Gebärden) Skelly et al. (1974)
TAKTKIN (Birner-Janusch 2001), basierend auf PROMPT
Birner-Janusch (2001) Square-Storer, Hayden (1989) Square, Martin (1994) Freed et al. (1997)
EMS Amerind PROMPT
Norina Lauer 200711
Alternative u/o augmentative Kommunikationsformen
Therapieansatz EffektivitätsnachweisKommunikationstafeln Lane, Samples (1981 für Bliss)
Kommunikationsbücher --
Elektronische Kommunikationsgeräte, z. B. TouchSpeak, MightyMo
Wahn (2002), van den Sandt-Koenderman et al. (2005), Päßler (2006 für TouchSpeak)
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Haben sprachersetzende oder sprachbegleitende Funktion
Tafel
TouchSpeak MightyMo
Norina Lauer 200712
Beurteilung der Effektivitätsnachweise
Für die meisten Therapieansätze liegen Studien vor
Meist geringe Fallzahl pro Studie (oft Einzelfallstudien oder
Studien mit ca. 4 Patienten)
Segmentbasierte und wortstrukturelle Ansätze sowie taktil-kinästhetische Cueing-Techniken am effektivsten zur
Verbesserung der Artikulation (Wambaugh 2002)
Integration rhythmisch-melodischer Ansätze bei prosodischen
Störungen
Am sinnvollsten ist der gezielte Einsatz mehrerer Methoden in
Abhängigkeit von der individuellen Symptomatik
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200713
Klinischer Einsatz von Therapieansätzen
Fragebogenaktion im Jahr 2005
Versendung eines einseitigen Fragebogens über E-Mail an
194 Rehabilitationskliniken
Rücklauf: 35 Fragebögen (= 18 %)
Keine repräsentative Umfrage!
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200714
Führen Sie in Ihrer Klinik eine Statistik über die Auftretenshäufigkeit der Sprechapraxie?
6
28
1
0 10 20 30
ja
nein
keineAngabe
keine Angabeneinja
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200715
Auftretenshäufigkeit der Sprechapraxie vs. Sprechapraxiebehandlungen pro Jahr
0
2
1
5
8
1
4
2
7
5
0
0
2
4
7
3
3
5
7
4
0 2 4 6 8 10
keine
1 - 5
6 - 10
11 - 15
16 - 20
21 - 30
31 - 40
41 - 50
> 50
k. A.Pa
tient
enan
zahl
Nennungen pro Kategorie
Patienten mit spez. Therapie Auftretenshäufigkeit
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200716
Einsatz von Methoden / Hilfen bei Patienten mit Sprechapraxie
01
34
6777
88
91111
1215
1619
2020
2222
2324
2525
0 5 10 15 20 25 30 35
MIPTSIPARI
GebärdenspracheArtik. Synchronisation
Phonemdrill8-Schritte-Kontinuum
MetronomKontrastive Akzentuierung
AkzentmethodePhonetic Placement
Vibrotaktile StimulationFingertapping
Progressive ApproximationPacing Board
Elektr. Komm.geräteRhythmische Gesten
Metrischer AnsatzMIT
EMSKommunikationstafeln
Luzzatti&SpringerPhonetische Ableitung
KommunikationsbücherTAKTKIN
Phonet. Kontrastierung
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200717
Rhythmisch-melodische Ansätze
1
4
7
7
8
9
11
12
16
20
0 5 10 15 20 25 30 35
SIPARI
Artik. Synchronisation
Metronom
Kontrastive Akzentuierung
Akzentmethode
Vibrotaktile Stimulation
Fingertapping
Pacing Board
Rhythmische Gesten
MIT
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200718
Segmentbasierte Ansätze
6
7
8
11
22
23
0 5 10 15 20 25 30 35
Phonemdrill
8-Schritte-Kontinuum
Phonetic Placement
ProgressiveApproximation
Luzzatti&Springer
Phonetische Ableitung
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200719
Wortstrukturelle Ansätze
0
19
25
0 5 10 15 20 25 30 35
MIPT
Metrischer Ansatz
Phonet.Kontrastierung
(Minimalpaartechnik)
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200720
Cueing-Techniken
3
20
25
0 5 10 15 20 25 30 35
Gebärdensprache
EMS
TAKTKIN
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200721
Alternative u/o augmentative Kommunikationsformen
15
22
24
0 5 10 15 20 25 30 35
Elektr. Komm.geräte
Kommunikationstafeln
Kommunikationsbücher
Anzahl der Nennungen
N = 35
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200722
1000
40
6444
133
11
20000
10000
0 1 2 3 4 5 6 7
123456789
10111213141516171819202122232425
Anz
ahl d
er T
hera
piem
etho
den
Anzahl der Nennungen
Anzahl der eingesetzten Therapiemethoden
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
∅ 9,7
Norina Lauer 200723
Methodenkombinationen
1
1
1
1
1
2
3
3
22
0 5 10 15 20 25 30 35
SB
RM / SB / WS
RM / WS / CT
RM / SB / CT
RM / WS / CT / AK
RM / SB / CT / AK
RM / SB / WS / CT
SB / WS / CT / AK
RM / SB / WS / CT / AK
Anzahl der Nennungen
RM = rhythmisch-melodischSB = segmentbasiertWS = wortstrukturellCT = Cueing-TechnikenAK = Alternative/Augmentative Kommunikation
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
= 63 %
Norina Lauer 200724
Fazit
Vielzahl von Therapiemethoden zur Behandlung von Störungen
der Artikulation bzw. Prosodie bei Sprechapraxie
Der klinische Einsatz zeigt tendenziell: – die meisten Patienten mit Sprechapraxie erhalten eine
entsprechende Behandlung– in vielen Kliniken stehen Therapiemethoden aus allen
Bereichen zur Verfügung– die Kombination von segmentbasierten und wortstrukturellen
Ansätzen sowie Cueing-Techniken am häufigsten vertreten
Unklar:– Häufigkeit des Einsatzes der einzelnen Methoden pro Klinik
und deren Erfolgsbeurteilung
Einführung Therapieansätze Klinischer Einsatz Fazit
Norina Lauer 200725
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt:
Norina Lauer, Schulleiterin, Dipl.-LogopädinSRH Fachschulen gGmbH, Fachschule für LogopädieGriesbachstr. 12, 76185 KarlsruheTel.: 0721 - 840 86 840 [email protected]
Download des Vortrags unter: www.AphasieNetz.de
Herzlichen Dank an die Rehabilitationskliniken, die sich an der Fragebogenaktion beteiligt haben!
Norina Lauer 200726
Literaturauswahl
Aichert, I., Ziegler, W. Sprechapraxie und die Silbe: Theoretische Überlegungen, empirische Beobachtungen und therapeutische Konsequenzen. Forum Logopädie, 2004; 2/18: 6-13
Albert, M., Sparks, R. W., Helm, N. A. Melodic intonation therapy for aphasia. Archives of Neurology; 1973; 29: 130-131
Baumhove, M. Löhr, V., Moeller, A. Erfahrungen mit einem neuen Therapieansatz zur Behandlung der Sprechapraxie. Projektarbeit an der Aachener Logopädenlehranstalt; 1988
Birner-Janusch, B. Die Anwendung des PROMPTTM Systems im Deutschen – eine Pilotstudie. Sprache-Stimme-Gehör; 2001; 25: 174-179
Boutsen, F. R., Christman, S. S. Prosody in Apraxia of Speech. Seminars in Speech and Language; 2002; 245-256
Brendel, B., Ziegler, W. Das Synchronisationsverfahren in der Therapie der Sprechapraxie. In: Huber, W., Schönle, P.-W., Weber, P., Wiechers, R. (Hrsg.) Computer helfen heilen und leben. Bad Honnef: Hippocampus; 2002: 47-52
Darley, F. L., Aronson, A. E., Brown, J. R. Motor Speech Disorders. Philadelphia: Saunders; 1975Duffy, J. R. Motor Speech Disorders – Substrates, Differential Diagnosis and Management. St. Louis:
Mosby; 1995Engl-Kasper, E. Verfahren zur Therapie der Sprechapraxie bei aphasisch-apraktischen Patienten. Neurolinguistik; 1993; 7: 69-89
Engl-Kasper, E., Ziegler, W. Wodurch können sprechapraktische Symptome beeinflusst werden? Aphasie und verwandte Gebiete; 1993; 1: 4-15
Giel, B., Liehs, A., Müller, K. Unterstützte Kommunikation bei Sprechapraxie in Verbindung mit Aphasie. Sprache-Stimme-Gehör; 2006; 30: 119-124
Gotto, J. Therapie der Sprechapraxie: Eine Einzelfallstudie zum PC-Programm „Speechtrainer“. Diplomarbeit im Studiengang Lehr- und Forschungslogopädie an der RWTH Aachen; 2004
Norina Lauer 200727
Literaturauswahl
Jaeger, M. Ziegler, W. Der metrische Übungsansatz in der Sprechapraxiebehandlung. EinFallbericht. Neurolinguistik. 1993; 7: 31-41
Jungblut, M., Aldridge, D. Musik als Brücke zur Sprache – die musiktherapeutische Behandlungsmethode „SIPARI®“ bei Langzeitaphasikern. Neurologische Rehabilitation. 2004; 10 (2): 69-78
Lauer, N., Birner-Janusch, B. Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter. Stuttgart: Thieme; 2007 (im Druck)
Liepold, M., Ziegler, W., Brendel, B. Hierarchische Wortlisten. Ein Nachsprechtest für die Sprechapraxiediagnostik. Dortmund: verlag modernes lernen Borgmann; 2003
McNeil, M. R., Robin, D. A., Schmidt, R. A. Apraxia of Speech: definition, differentiation and treatment. In: McNeil, M. R. (ed.) Clinical Management of Sensorimotor Speech Disorders. New York: Thieme; 1997; 311-344
Odell, K., H. Considerations in Target Selection in Apraxia of Speech Treatment. Seminars in Speech and Language. 2002; 309-324
Springer, L. Erklärungsansätze und Behandlung sprechapraktischer Störungen. Forum Logopädie. 1995; 3: 3-7
Stevens, E. R. Multiple Input Phoneme Therapy. In: Square-Storer, P. A. (ed.) Acquired Apraxia of Speech in Adults. London: Taylor & Francis; 1989
Wambaugh, J. L. A Summary of Treatments for Apraxia of Speech and Review of Replicated Approaches. Seminars in Speech and Language. 2002: 293-308
Ziegler, W. Psycholinguistic and Motor Theories of Apraxia of Speech. Seminars in Speech and Language. 2002; 231-244
Ziegler, W. Sprechapraktische Störungen bei Aphasie. In: Blanken, G. (Hrsg.) Einführung in die linguistische Aphasiologie. Freiburg: HochschulVerlag; 1991