Aus der
Orthopädischen Klinik
des St. Josef Hospitals Bochum
– Universitätsklinik –
der Ruhr-Universität Bochum
Direktor: Prof. Dr. med. J. Krämer
Topographisch anatomische Grundlagen zur epiduralen perineuralen
Injektion an der Lendenwirbelsäule
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung des Doktorgrades der Medizin
einer
Hohen Medizinischen Fakultät
der Ruhr-Universität Bochum
vorgelegt von
Roshan Mamarvar
aus Aachen
2007
Dekan: Prof. Dr. med. Gert Muhr
Referent: Prof. Dr. med. Jürgen Krämer
Koreferent: PD Dr. med. Reinhard Steffen
Tag der mündlichen Prüfung: 22.04.2008
Abstract
Mamarvar
Roshan
Topographisch anatomische Grundlagen zur epiduralen perineuralen Injektion an der
Lendenwirbelsäule
Problem: Bandscheibenbedingte Erkrankungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. In der
orthopädischen Schmerztherapie kommen unter anderem auch lokale
Injektionstechniken mit Applikation von Lokalanästhetika und Corticosteroiden in
oder an den lumbalen Wirbelkanal zum Einsatz. Zur genauen Lokalisierung des
Zielortes und Findung des korrekten Einstichwinkels der Injektion werden oft
Röntgenstrahlen und Computertomografie verwendet. Dies führt zu einer erhöhten
und oft unnötigen Strahlenbelastung der Patienten. Im Rahmen dieser Untersuchung
sollen topographisch-anatomische Grundlagen zur epiduralen perineuralen Injektion
an der Lendenwirbelsäule beschrieben werden, um die Durchführung allein anhand
von anatomischen Landmarken ohne zusätzliche radiologische Kontrolle zu
standardisieren und anhand anatomisch-topografischer Messdaten zur verifizieren.
Methode: An 11 formalinfixierten LWS-Präparaten wurde zunächst der Spinalkanal mit
Durasack und dazugehörigen Nervenwurzeln freipräpariert. Dabei wurden sämtliche
von einer Injektionsnadel nicht durchdringbaren Strukturen belassen. Mit Hilfe einer
selbst gefertigten Messeinrichtung wurden die Präparate aus unterschiedlichen
Winkeln fotografiert, wobei dieser Winkel der geplanten Injektionsrichtung entsprach.
Hierbei ergab sich eine messbare Fläche im interlaminären Fenster die anatomisch
durch die Facettengelenke, die Dura mater sowie die Wirbelbögen begrenzt wird, und
der Querschnittsfläche des für die Injektionsnadel zur Verfügung stehenden
Durchstichkanals entspricht. Mit dem Programm "Scion Image Release Beta 3b"
wurde diese Fläche vermessen und die Daten anschliessend statistisch ausgewertet.
Ergebnisse: Der größte für die Injektionsnadel zur Verfügung stehende Durchstichkanal ergibt
sich bei einem Einstichwinkel zwischen 15°-20° (p<0,001). Weiterhin ist die
Querschnittsfläche des Durchstichkanals im Segment L5/S1 größer als in den
Segmenten L3/4 und L4/5.
Diskussion: Die anatomisch gemessenen Werte korrelieren mit den abteilungsintern klinisch
erhobenen Daten, die einen mittleren Einstichwinkel von 15° zeigen. Im Segment
L5/S1 zeigt sich der größte für eine Injektionsnadel zur Verfügung stehende
Durchstichkanal. Unter Beachtung dieser Tatsachen ist eine epidurale perineurale
Injektion im Segment L5/S1 am sinnvollsten und auch ohne radiologische Kontrolle
allein unter Beachtung der anatomischen Landmarken möglich.
I
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung 01
II. Grundlagen 03
A. Anatomie 03
1. Grundlagen 03
2. Neuroanatomie 08
3. Der lumbale Epiduralraum 11
B. Die Anatomie und Physiologie der gealterten Wirbelsäule 12
C. Pathophysiologische Grundlagen 13
1. Die unterschiedlichen lumbalen Syndrome 13
2. Die klinische Untersuchung 18
III. Die minimal-invasive Therapie des Lumbalsyndroms 20
A. Die verschiedenen Injektionsformen 20
1. Lumbale Spinalwurzelanalgesie (LSPA) 21
2. Facettengelenksinfiltrationen 23
3. Epidurale dorsale Injektionen (Epi-Gerade) 25
4. Epidurale sakrale Injektionen 28
5. Epidurale perineurale Injektionen (Epi-Peri) 30
6. Sonstige epidurale Injektionstechniken 33
B. Pharmakologische Grundlagen 34
1. Lokalanästhetika 34
2. Glukocorticoide 38
3. Medikamente für die Epidurale perineurale Injektionen 40
IV. Eigene Untersuchungen 41
A. Material und Methode 41
1. Präparate und Präpariervorgang 41
2. Messvorrichtung 45
B. Untersuchungsvorgang 47
V. Ergebnisse 49
VI. Diskussion 51
VII. Zusammenfassung 54
VIII. Literaturnachweis 55
II
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen:
Abb. - Abbildung
AU - Arbeitsunfähigkeit
ASR - Achillessehnenreflex
BfS - Bundesamt für Strahlenschutz
BK 2108 - Berufskrankheit 2108 (LWS-Schäden)
BMG - Bundesministerium für Gesundheit
BMP - Bit Map Picture (Bildformat)
BWK - Brustwirbelkörper
BWS - Brustwirbelsäule
CT - Computertomographie
HWK - Halswirbelkörper
HWS - Halswirbelsäule
JPEG - Joint Photographic Experts Group (Bildformat)
KM - (Röntgen-)Kontrastmittel
LWK - Lendenwirbelkörper
LWS - Lendenwirbelsäule
MRT - Magnetresonanztomographie
NIH - National Institutes of Health
Non-SKS - Nicht-Spinalkanalstenose
PSR - Patellarsehnenreflex
SKS - Spinalkanalstenose
TIFF - Tag Image Field File (Bildformat)
TPR - Tibialis-Periost-Reflex
ZNS - Zentrales Nervensystem
III
Abbildungen und Tabellen:
Abbildung 1 - 4: Atlas der Anatomie des Menschen / Sobotta
[Hrsg. Vo R. Putz und R. Pabst]. –
Band 2 Rumpf, Eingeweide, untere Extremität
20., neubearb. Aufl. – Urban&Schwarzenberg 1993
Abbildung 5, 20: Krämer J.,
"Orthopädische Schmerztherapie"
Stuttgart Enke-Verlag 1999
Abbildung 6: Adaptiert nach
Duus P.
"Neurologisch-topische Diagnostik"
5. überarbeitete Auflage Thieme-Verlag 1990
Abbildung 8, 9, 11, 13-15, 21:Adaptiert nach:
Krämer J.
"Orthopädie"
5. korrigierte und aktualisierte Auflage
1998 Springer-Verlag
Abbildung 17: Hatz H.,
"Lokale intraartikuläre Diagnostik und Therapie.
Synovia-Analyse und Injektionstechniken der
Gelenke"
1. Auflage
UNI-MED Bremen 2002
Abbildung 19: Krämer, J.
"Behandlung lumbaler Wurzelkompressionssyndrome"
Dtsch. Arztebl 2002;99:A 1510-1516 [Heft 22]
IV
Abbildung 22: Krämer, J., Herdmann J., Krämer R.
“Mikrochirurgie der Wirbelsäule”
Georg Thieme Verlag 2005
Abbildung 7, 10, 12, 16, 18, 23 - 29: R. Mamarvar (selbst erstellt)
1
I. Einführung:
Bandscheibenbedingte Erkrankungen gehören seit jeher zu den am weitesten
verbreiteten Erkrankungen des menschlichen Bewegungsapparates. So sind
beispielsweise Ischialgien und Lumbalgien bereits seit dem Altertum bekannt.
Krämer (1999) konnte zeigen, dass in einer Allgemeinarztpraxis jeder 10. Patient, in
der orthopädischen Poliklinik jeder 3. Patient und in der orthopädische Praxis sogar
jeder 2. wegen eines schmerzhaften Wirbelsäulensyndroms in Behandlung kommt.
Bei Erkrankungen des Bewegungsapparates stehen Schmerzen häufig im
Vordergrund. So gaben bei einer Befragung zwei Drittel der Patienten in
orthopädischen Praxen an, den Arzt in erster Linie wegen Schmerzen aufgesucht zu
haben (Bruchsal, 1996).
Durch den Beginn der Erkrankung oft bereits im jungen bis mittleren Alter haben
bandscheibenbedingte Erkrankungen auch eine große soziale und
volkswirtschaftliche Bedeutung. So waren 1999 Rückenschmerzen nach Sinusitis
die zweithäufigste Ursache für Arbeitsausfalltage in Deutschland (75 Millionen AU-
Tage bei 3,7 Millionen AU-Fällen) und fast 20% aller Frühberentungen wurden
aufgrund dieser Beschwerden eingeleitet (Dreinhöfer, 2000). Für die
Bundesrepublik Deutschland lagen die Schätzungen für den hierdurch verursachten
volkswirtschaftlichen Schaden vor Einführung des Euro als europäischer
Gemeinschaftswährung bei ca. 40 Milliarden DM jährlich (Krämer 1999). Im Jahre
2000 wurden in Deutschland Analgetika für 87,5 Millionen DM verordnet. Der
Gesamtumsatz an Analgetika für dasselbe Jahr betrug 2.209,6 Millionen DM (BMG,
2002). In den USA bezifferte Straus die Kosten für die Behandlung von
Rückenschmerzen auf 13 Milliarden U.S.-Dollar im Jahre 1990 bei einer jährlichen
Steigerung um 7% (Straus, 2002).
Hieraus ergibt sich eine hohe Bedeutung und Dringlichkeit für die
Weiterentwicklung der orthopädischen Schmerztherapie, insbesondere unter der
volkswirtschaftlichen Perspektive und dem Gesichtspunkt der Ermöglichung eines
weitgehend normalen Arbeits- und Freizeitverhaltens für die betroffenen Patienten.
2
Der Grundgedanke der lokalen Applikation eines Verum hat sich in der Therapie
lumbaler Wirbelsäulenleiden schon früh entwickelt. So wird bereits 1924 die
Therapie des tiefen Kreuzschmerzes mittels epidural-episakraler Anästhesie
beschrieben (Burkhard, 1924).
Heutzutage sind lokale Injektionen in und an den lumbalen Wirbelkanal mit
Applikation von Lokalanästhetika und Cortikosteroiden ein wesentlicher Bestandteil
der nicht-operativen Therapie (Krämer, 1998). Hierbei spielen die epidural-
perineuralen Injektionsformen eine besondere Rolle. Durch das Vordringen der
Nadelspitze bis in unmittelbare Nähe der betroffenen Nervenwurzel kann bei
gleichzeitiger Minimierung der Medikamentendosis, und somit der unerwünschten
systemischen Nebenwirkungen, eine hohe Effektivität erreicht werden (Grifka et al.,
1999). Diese Injektionsformen werden vielfach unter radiologischer Kontrolle
durchgeführt, was im mittelfristigen Therapieverlauf zu einer oftmals nicht
unerheblichen Strahlenbelastung für Arzt und Patienten führt (Botwin et al., 2002;
Krämer, 1998; BfS, 2002)
Im Rahmen dieser Arbeit soll der für diese Injektionsform größte und somit
optimale Einstichkanal in Abhängigkeit von Segment und Einstichwinkel ermittelt
und mit den klinisch ermittelten Werten verglichen werden. Im Folgenden soll die
Injektion nach anatomischen Landmarken ohne radiologische Bildgebungsverfahren
standardisiert werden. Weiterhin soll die anatomisch-topographische Grundlage des
klinischen Eindrucks verifiziert werden, dass die epidurale perineurale Injektion im
Segment L5/S1 bei einem Einstichwinkel von 15°-20° am sichersten gelingt, und
die beste Wirkung beim Patienten erzielt.
3
II. Grundlagen
A. Anatomie:
1.Grundlagen (Benninghoff, 1985):
Die menschliche Wirbelsäule besteht normalerweise aus 24 Wirbeln, die beweglich
miteinander artikulieren. Diese werden als präsakrale oder freie Wirbel bezeichnet.
Im Einzelnen teilen sich diese auf in 7 Halswirbel (Vertebrae cervicales) bezeichnet
als C1-C7, 12 Brustwirbel (Vertebrae thoracalis) bezeichnet als Th1-Th12 und 5
Lendenwirbel (Vertebrae lumbales) bezeichnet als L1-L5. Der 5. Lendenwirbel
artikuliert mit dem Kreuzbein (Os sacrum), das normalerweise aus 5 synostotisch
verschmolzenen Wirbeln besteht (S1-S5). An dieses schließt sich kaudal das aus
Wirbelrudimenten bestehende Steißbein (Os coccygeum) an. In 5-8% der Fälle
findet man im Bereich des lumbosakralen Übergangs eine Lumbalisation des 1.
Sakralwirbels oder eine Sakralisation des 5. Lumbalwirbels, häufig auch nur
einseitig. Die ersten beiden Halswirbel unterscheiden sich in Form und Funktion
deutlich von den übrigen präsakralen Wirbeln. Sie bilden mit dem Hinterhaupt die
Kopfgelenke.
Beim Erwachsenen weist die Wirbelsäule in aufrechter Haltung im Allgemeinen
eine doppel-S-förmige Krümmung auf. Die ventral konvex gekrümmten Abschnitte
bezeichnet man hierbei als Lordosen, die dorsal konvexen als Kyphosen. Man
unterscheidet beim Menschen folgende Abschnitte:
1. Halslordose (1. bis 6. Halswirbel )
2. Brustkyphose (6. Halswirbel bis 9. Brustwirbel)
3. Lendenlordose (9. Brustwirbel bis 5. Lendenwirbel)
4. Sakralkyphose (Os sacrum und Os coccygeum)
Jeder Wirbel, mit Ausnahme des 1. Halswirbels, besteht aus einem ventral liegenden
Körper (Corpus vertebrae) und einem dorsalen Bogen (Arcus vertebrae).
Wirbelkörper und Wirbelbögen umschließen das Wirbelloch (Foramen vertebrae).
4
Am Wirbelkörper unterscheidet man eine kraniale und eine kaudale Fläche. Hieran
schließt sich jeweils eine hyalinknorpelige Abschlussplatte (Lamina cartilaginosa
corporis vertebrae) an, die am Rand bogenförmig in die Randleiste ausläuft.
Der Wirbelbogen besteht aus zwei annähernd symmetrischen Hälften, die dorsal in
der Medianebene miteinander verschmelzen, und in den Dornfortsatz (Processus
spinosus) übergehen. Man unterscheidet einen vorderen Abschnitt (Pediculus arcus
vertebrae) und einen hinteren Abschnitt (Lamina arcus vertebrae). An jeder Seite
des Pediculus arcus vertebrae befindet sich ein oberer und ein unterer Gelenkfortsatz
(Processus articularis superior und inferior). Weiterhin finden sich im Bereich des
Abbildung 1: Die menschliche Wirbelsäule aus ventraler, dorsaler und lateraler Ansicht
Quelle: Sobotta, 1993
5
Pediculus jeweils zwei bogenförmige Einschnitte (Incisura vertebralis superior und
inferior), von denen die untere tiefer ist als die obere. Hierdurch wird bei der
Aufeinanderlagerung benachbarter Wirbel ein kurzer Kanal (Foramen
intervertebrale) gebildet, der als Durchtrittsstelle für die segmentalen Nerven dient.
Hierbei vereinigen sich die Wirbellöcher ebenfalls und bilden in ihrer Gesamtheit
den Wirbelkanal (Canalis vertebralis).
An die Pediculi schließen sich seitlich jeweils Querfortsätze (Processus transversus)
an, die im Thorakalbereich kräftig, im Lumbal- und Cervikalbereich schwach
ausgebildet sind.
Im Lumbalbereich weisen die Wirbelkörper eine nierenförmige Querschnittsfläche
mit einem größeren Quer- als Sagittaldurchmesser auf. Der dorsale Abschnitt ist
konkav eingezogen, was die Nierenform verursacht. Die Gelenkfortsätze sind
kräftig ausgebildet, am kranialen sitzt ein zusätzlicher kleiner Höcker (Processus
mammilaris). Die Gelenkflächen sind abgewinkelt. Die oberen Gelenkfortsätze
stehen weiter auseinander als die unteren und ihre Gelenkfacetten sind leicht konkav
und nach medial gerichtet, so dass sie mit den unteren Gelenkfacetten der nächst
Abbildung 2: Knöcherne Ansicht eines menschlichen lumbalen Wirbelkörpers von cranial ohne anliegende
Weichteile und Ligamente
Quelle: Sobotta, 1993
6
höheren Wirbel, die leicht konvex und nach lateral gerichtet sind, ein Wirbelgelenk
bilden. Wegen der Lordose im Lendenbereich sind die Wirbelkörper vorne höher als
hinten, wodurch es zu einer typischen Keilform kommt. Dies gilt insbesondere für
den 5. Lendenwirbel. Dieser vermittelt zusammen mit der letzten Zwischen-
wirbelscheibe den Übergang zum Os sacrum. Seine kaudale Fläche und die kraniale
Fläche des 1. Sakralwirbels bilden einen Winkel von etwa 35°.
Die Wirbelsäule setzt sich aus Bewegungssegmenten zusammen, die über
Diarthrosen und Synarthrosen miteinander artikulieren. Nach Junghanns ist ein
Bewegungssegment eine funktionelle und morphologische Einheit (nach
Benninghoff, 1985). Es setzt sich aus den Knochen zweier benachbarter Wirbel mit
der sie verbindenden Zwischenwirbelscheibe, den Wirbelbogengelenken, dem
Bandapparat und den Muskeln des entsprechenden Bereichs zusammen. Unter
klinischen
Gesichtspunkten zählt man den Inhalt des Wirbelkanals und der
Zwischenwirbellöcher hierzu. Analog zu der Zahl der freien Wirbelkörper findet
man üblicherweise auch 24 Bewegungssegmente.
Die Zwischenwirbelscheibe (Discus intervertebralis) ist zentraler Bestandteil des
Bewegungssegmentes und hat großen Einfluss auf die Belastbarkeit und
Beweglichkeit des Bewegungssegmentes, und somit der Wirbelsäule. Die
Zwischenwirbelscheiben machen in ihrer Gesamtheit etwa ein Viertel der Länge des
präsakralen Teils der Wirbelsäule aus.
Abbildung 3: Sagittaler Schnitt durch ein lumbales Bewegungssegment ohne Nervenstrukturen
Quelle: Sobotta, 1993
7
Der Aufbau einer Zwischenwirbelscheibe besteht aus dem Faserring (Anulus
fibrosus) und dem Gallertkern (Nucleus pulposus). Ab dem Kleinkindalter besteht
keine vaskuläre Versorgung mehr, es findet vielmehr eine Ernährung per
diffusionem aus dem Spongiosabereich der Wirbelkörper statt.
Ventral und dorsal sind die Wirbelkörper durch Bänder verbunden. Das vordere
Längsband (Lig. longitudinale anterius) und das hintere Längsband (Lig.
longitudinale posterius) bilden innerhalb eines Bewegungssegmentes zusammen mit
der Zwischenwirbelscheibe eine Funktionseinheit.
Das Ligamentum longitudinale anterius liegt ventral den Wirbelkörpern an und
erstreckt sich vom Tuberculum anterius des Atlas bis zum 1. Sakralwirbel. Nach
kaudal hin wird es breiter und kräftiger. Innerhalb des Ligamentes unterscheidet
man oberflächliche und tiefe Faserzüge. Die tiefen Faserzüge verbinden jeweils
zwei benachbarte Wirbel miteinander, die oberflächlichen ziehen über jeweils 4-5
Wirbel hinweg. Das Ligamentum longitudinale anterius zieht über die
Zwischenwirbelscheiben hinweg, ohne mit diesen eine feste Verbindung
einzugehen.
Dorsal der Wirbelkörper, innerhalb des Canalis vertebralis, verläuft das
Ligamentum longitudinale posterius. Es erstreckt sich vom Os occipitale bis in den
Sakralkanal und ist im Gegensatz zu seinem ventralen Gegenpart kranial breiter als
kaudal. Im HWS-Bereich ist das Ligament gleichmäßig breit, an der Brust- und
Lendenwirbelsäule jedoch bedeckt es nur einen schmalen Bereich der Wirbelkörper.
Im Bereich der Zwischenwirbelscheiben dehnt sich das Band jedoch zipfelförmig
nach lateral aus. Hieraus resultiert in den unteren Wirbelsäulenbereichen eine
rhombenförmige Gestalt. Das Ligamentum longitudinale posterius ist jeweils an den
Rändern der Wirbelkörper fixiert. Im mittleren Abschnitt der Wirbelkörper fehlt
eine Fixierung am Knochen, der Raum zwischen Ligament und Knochen wird hier
durch Venengeflechte eingenommen. Trotz einer weiteren Fixierung des
Ligamentes an der jeweiligen Zwischenwirbelscheibe bleibt ein großer Teil der
Zwischenwirbelscheibe im seitlichen Bereich ohne Bandverstärkung.
8
2.Neuroanatomie (Benninghoff, 1985):
Das Rückenmark stellt den spinalen Teil des ZNS dar. Es zieht vom oberen Rand
des Atlas bis etwa in Höhe des zweiten Lendenwirbels. Hier geht es über in das bis
zum unteren Ende des Duralsackes in Höhe des zweiten Steißbeinwirbels reichende
Filum terminale. Die Länge variiert in Abhängigkeit von Körpergröße und
Geschlecht, und beträgt beim Mann in etwa 45cm, bei der Frau zwischen 40 cm und
42 cm (Töndury, 1987).
Das Rückenmark ist symmetrisch aufgebaut und annähernd zylindrisch geformt.
Dorsoventral ist es etwas abgeflacht, mit einem deutlichen ventralen Einschnitt
(Fissura mediana ventralis) sowie mehreren kleineren, längsverlaufenden Rillen,
die sich septal bis in den inneren Markraum fortsetzen.
Der Rückenmarksstrang besitzt zwei Schwellungen, am Abgang der Wurzeln für
Hals und oberen Extremitäten im Bereich zwischen C3 und Th3 (Intumescentia
cervicalis) und am Abgang der Wurzeln für die unteren Extremitäten im Bereich
von Th9 bis L1 (Intumescentia lumbalis).
Abbildung 4: Transversaler Schnitt durch die Wirbelsäule auf Höhe der Nervenwurzelabgänge mit
Darstellung der ventralen und dorsalen Äste und deren Abzweigungen
Quelle: Sobotta, 1993
9
Ab dem 4. Embryonalmonat wächst die Wirbelsäule schneller als das Rückenmark,
wodurch es zum Ascensus medullaris kommt. Hierdurch liegen insbesondere die
thorakalen und lumbalen Wurzelabgänge höher als das entsprechende
Bewegungssegment. Im HWS-Bereich liegen die Wurzelabgänge jeweils ein
Segment höher als die zugehörigen Processuus spinosi und im BWS-Bereich etwa
zwei bis drei Segmente. Die fünf Lendenwurzeln entspringen etwa auf Höhe der
Bewegungssegmente Th11 - Th12. Auf Höhe von LWK1 entspringen die fünf
Sakralwurzeln. Im Anschluss findet sich dann das Filum terminale als rudimentärer
Endfaden des Rückenmarks (Roche-Lexikon, 1998).
Die lumbalen und sakralen Wurzeln bilden durch ihren hohen Abgang die
sogenannte Cauda equina, in die das Filum terminale eingebettet ist. Durch die
horizontale Anlage der Foramina intervertebralia müssen die Nervenwurzeln vor
dem Austritt in ihrem Winkel abknicken.
Der Spinalnerv wird gebildet aus den jeweiligen Fasern der vorderen motorischen
Radix ventralis und der hinteren sensiblen Radix dorsalis, die auch das Ganglion
spinale enthält. Nach dem Durchtritt durch das Foramen intervertebrale teilt er sich
stets in 4 Äste: Der Ramus dorsalis versorgt sensibel die Haut in Bereich des
Rückens bis ca. 10-15cm paravertebral, sowie motorisch die autochtone
Rückenmuskulatur. Weitere Äste versorgen sensibel den Bereich der
Facettengelenke sowie deren Gelenkkapsel.
Aus dem kräftigen Ramus ventralis erfolgt die sensible sowie motorische
Versorgung der ventralen Rumpfwand und der Extremitäten.
Der zarte Ramus meningeus läuft in den Wirbelkanal zurück, und versorgt hier die
inneren Anteile der Facettengelenkskapsel, des Periostes, des hinteren Längsbandes
sowie die Rückenmarkshüllen mit Efferenzen, Afferenzen und sympathische Fasern
(Luschka, 1850). Über den Ramus communicans findet eine Verbindung zum
Truncus sympathicus statt (Töndury, 1987). Die Bandscheibe selbst scheint keine
Afferenzen zu haben, lediglich im Teilen des Anulus fibrosus konnten sensible
Nervenenden nachgewiesen werden.
10
Das Rückenmark und die Spinalwurzel sind von den drei bindegewebigen
Rückenmarkshäuten umschlossen, die den Hirnhäuten im ZNS entsprechen.
Die Dura mater (harte Hirnhaut) bildet den äußeren straffen derb-bindegewebigen
Außensack. Die austretenden Nervenwurzeln werden ein Stück von ihr begleitet, bis
sie im Bereich der Foramina intervertebralia in die Spinalnervenscheide übergeht.
Von innen liegt der Dura mater die Arachnoidea, die sogenannte Spinngewebshaut,
an und bildet die äußere Begrenzung des Subarachnoidalraumes.
Direkt dem Rückenmark anliegend findet sich die Pia mater. Die beiden weichen
Hirnhäute, Pia mater und Arachnoidea, sind durch Bindegewebstrabekel
miteinander verbunden, und begrenzen den Liquorraum in der Cavitas
subarachnoidalis, die mit dem Liquorraum des Gehirnes in Verbindung steht, und
bis hinab zum zweiten Sakralwirbel reicht. Auf dieser Höhe findet sich nur noch das
Filum terminale und Fasern der Cauda equina.
11
3. Der lumbale Epiduralraum:
Das innere und das äußere Blatt der Dura mater schließen das Spatium epidurale,
den Epiduralraum, ein. Hierbei entspricht das äußere Blatt dem Periost. Der
Epiduralraum ist im dorsalen Anteil weiter als ventral und enthält Binde- und
Fettgewebe, Lymphräume sowie ein Venengeflecht (Plexus venosus vertebralis
internus). Weiter finden sich hier Spinalnerven und epidurale Haltebänder
(Benninghoff, 1985).
Der vordere Epiduralraum lässt sich in zwei mediale und zwei laterale
Kompartimente unterteilen, in denen sich die epiduralen Venen und der
Venenplexus befinden. Über das sog. Hofmann’sche Ligament ist die Dura mater
mit dem Lig. longitudinale posterior verbunden. Die lateralen Räume
kommunizieren mit dem intervertebralen Kanal und dem hinteren Epiduralraum.
Eine peridurale Membran umschließt den knöchernen Wirbelkanal. (Plaisant et al.,
1996; Wiltse et al., 1993)
Der hintere Epiduralraum wird unterteilt durch die Plica mediana dorsalis und eine
zusätzliche transversale Gewebsschicht. Er enthält Fettgewebe, insbesondere im
Recessus des Lig. flavum (Savolaine et al., 1988; Parkin et al., 1985).
Im Rahmen der epiduralen perineuralen Injektion nach Krämer ist vor allem der
laterale Epiduralraum von Interesse. Hier findet sich die Begrenzung nach lateral an
den knöchernen medialen Rändern der Facettengelenke, nach medial am lateralen
Durarand und nach cranial und caudal jeweils durch den knöchernen Rand des
interlaminären Fensters.
12
B. Die Anatomie und Physiologie der gealterten Wirbelsäule:
Die Bandscheiben erleiden ab dem dritten Lebensjahrzehnt kontinuierlich
degenerative und regressive Veränderungen. Der Wassergehalt nimmt ab, und das
Flüssigkeitsaufnahmevermögen verringert sich (Hirsch, 1960).
Der Nucleus pulposus verliert seinen gallertartigen Charakter und schrumpft. Die
Elastizität der Wirbelsäule kann so nicht erhalten werden. Stöße werden hierdurch
weniger gut abgefedert, so dass es zur Rissbildung im Bereich des Faserringes
kommen kann. Hieraus ergeben sich Schwachstellen, die eine intradiskale
Gallertkernverschiebung begünstigen, und als Austrittspforte für Teile des
Gallertkernes in Form einer Protrusio oder eines Prolaps dienen (Friberg, 1950).
Durch eine Mineraleinlagerung im Bereich der Knorpelplatten kommt es zu einer
vermehrten Sprödigkeit und Brüchigkeit. Blutgefäße können aus dem
Wirbelkörperbereich in die Bandscheibe einsprossen und Granulations- und
Narbengewebe bilden, welches das originäre Bandscheibengewebe verdrängt und
durchsetzt. Auf dem umgekehrten Wege können Anteile des Gallertkernes in die
Wirbelkörper dringen, und sogenannte Schmorl’sche Knötchen bilden (Schmorl,
1932).
Durch die beschriebenen Veränderungen in der Bandscheibe kommt es zu einer
Höhenminderung des Segmentes mit zunehmendem Druck auf die
Zwischenwirbelgelenke, arthrotische Deformierungen sind die Folge. Durch
zusätzliche Instabilitätsphänomene in den Bewegungssegmenten kann es in den
Wirbelgelenken zu Translationskräften kommen, die eine reaktive
Knochenproliferation als Abstützreaktion bedingen, und somit eine knöcherne
Einengung des Spinalkanals im Sinne einer Spinalkanalstenose zur Folge haben
können (Hirsch, 1960; Prader, 1947).
13
C. Pathophysiologische Grundlagen:
1. Die unterschiedlichen lumbalen Syndrome:
Schmerzen im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane haben ihren Ursprung in
mechanisch gereizten Anteilen der Gelenkkapseln, Bändern und Muskelansätzen die
mit einer Vielzahl von Nozizeptoren versehen sind. Im Bereich der Wirbelsäule in
unmittelbarer Umgebung der Wirbelgelenke und Bandscheiben findet sich eine
besondere Dichte von Nozizeptoren (Krämer et al., 1996). Akute und chronische
Reizungen pressosensibler Nozizeptoren im Bewegungssegment führen über
reflektorische Muskelverspannungen zur Fehlhaltung, und somit erneuten nozizeptiv
ausgelösten Schmerzen, welche im Sinne eines Circulus vitiosus die
verspannungsbedingte Fehlhaltung verstärken (Krämer, 1999). Durch die
Sensibilisierung der Nozizeptoren erniedrigt sich die Schmerzschwelle, der Schmerz
schaukelt sich auf und unterhält sich somit durch die selbstinduzierte Fehlhaltung.
Diese in der mechanischen Struktur der Wirbelsäule selbst gelegenen Beschwerden
können in die Extremitäten ausstrahlen, und „pseudoradikulären“ Charakter haben,
d.h. einem Schmerzband folgen, welches nicht mit einem einer spinalen
Nervenwurzel zugehörigen Dermatom übereinstimmt (Krämer, 1999).
Eine andere pathophysiologische Grundlage haben sogenannte radikuläre
Lumbalsyndrome. Hier kommt es durch Kompression einer Spinalnervenwurzel zu
neurologischen Reiz- oder Ausfallserscheinungen im Funktionsbereich der
Nervenwurzel. Zu den Hauptursachen der Nervenwurzelkompression gehören
Veränderungen im Bereich der Bandscheiben (Krämer, 2006) . Schon ab einem
Alter von ca. 14 Jahren können in diesem Bereich degenerative Veränderungen
beobachtet werden (Lee et al., 2000; Salminen et al., 1999). Ursachen hierfür sind
unter anderem Bewegungsarmut, schlechte Gewebequalität, die schlechte
Ernährungssituation der Bandscheiben sowie insbesondere die hohen
Druckbelastungen des Gewebes durch Fehlhaltungen und –belastungen (Adams et
al., 1997; Salminen et al., 1995).
Bei der Bandscheibe handelt es sich um ein belastungsabhängiges
Wechseldrucksystem, wobei die wechselnden intradiskalen Drücke durch
Flüssigkeitsaufnahme oder –abgabe zustande kommen (Nachemson, 1966). Ab
Druckwerten von über 0,78 MPa gibt die Bandscheibe Flüssigkeit ab, bei
14
Druckwerten darunter nimmt sie Flüssigkeit auf (Krämer, 2006). So beträgt der
Belastungsdruck der Bandscheibe im Liegen 0,1-0,12 MPa, im entspannten Stehen
0,5 Mpa und im vornübergeneigten Stehen 1,1 Mpa. Im Sitzen beträgt der Druck
zwischen 0,3 und 0,83 MPa . Im Verlaufe der Nacht nimmt der intradiskale Druck
von 0,1 MPa auf 0,24 MPa zu (Wilke et al., 1999; Rohlmann et al., 2001).
Wie oben beschrieben, entstehen im Anulus fibrosus Risse und radiäre und
zirkuläre Fissuren als Ausdruck der degenerativen Veränderungen. In diese können
sich, insbesondere bei einseitiger Belastung, Teile des Gallertkerns verlagern. Eine
hierdurch bedingte Reizung des R. meningeus der Spinalwurzel, die durch
entstehende Spannungen im Außenbereich des Faserringes ausgelöst wird, konnte
nachgewiesen werden (Kuslich et al., 1991).
Kommt es über diesen Mechanismus zu einer relevanten makroskopisch sichtbaren
Vorwölbung der Bandscheibe in den epiduralen Raum, spricht man von einer
Protrusion. Dorsolaterale Protrusionen können die Nervenwurzeln tangieren und zu
Kreuzschmerzen und radikulären Reizerscheinungen führen.
Im Gegensatz hierzu ist bei einem manifesten Prolaps des Nucleus pulposus
Gewebes der Anulus fibrosus perforiert. Ist auch das hintere Längsband geschädigt,
kann es zu einem frei in den Spinalkanal sequestrierten Prolaps kommen.
Gekennzeichnet ist ein Prolaps zum einen durch die Möglichkeit der direkten
Druckschädigung der Nervenwurzeln mit entsprechenden dermatombezogenen
Reiz- bzw. Ausfallserscheinungen, sowie der Möglichkeit einer neuronalen Atrophie
mit Ausschaltung der sensiblen Afferenzen (Jayson et al., 1984). Zum anderen löst
das prolabierte Bandscheibengewebe als Fremdkörper im epiduralen Raum eine
lokale Entzündungsreaktion aus (Krämer, 2006; McCarron et al., 1984). Die
degenerative Bandscheibe kann chemische Entzündungsmediatoren wie
beispielsweise Phospholipase A2, Interleukin 6, Prostaglandin E2 und synoviale
Zytokine bilden und in den Bereich der Nervenwurzel übertragen, und somit eine
Radikulitis auslösen und unterhalten (Marschall et al., 1977; Hasue, 1993; Kang et
al., 1996).
Die intraspinale Raumforderung kann auch über eine Obstruktion der arteriellen
Durchblutung und des venösen Plexus eine Gewebeanoxie und Stimulation von
fibröser Gewebeproliferation mit Bandscheibendegeneration bedingen (Kurunlahti
et al., 2001).
15
Elektrophysiologisch kommt es durch die Läsion an den Nervenwurzeln zur
Entsendung ektoper Impulse nach zentral und peripher, die sich zu den normalen,
orthodromen, neuronalen Impulsen addieren und somit weitere orthodrome Impulse
nach zentral gerichtet auslösen, wodurch es zu einer Potenzierung kommt. Die
Wurzelschädigung kann somit einen Circulus vitiosus auslösen, welcher nur durch
eine Unterbrechung der neuronalen Afferenz – z.B. durch Nervenblockade – an der
betroffenen Wurzel unterbrochen werden kann (Hasue, 1993).
Abbildung 5: Darstellung der Hautdermatome mit den zugehörigen neurologischen Segmenten. Links
von ventral, Rechts von dorsal
Quelle: Krämer, 1999
16
Im klinischen Alltag wird von vielen Patienten beschrieben, der Schmerz beginne
meist plötzlich und sei klassischerweise durch bestimmte Bewegungen oder
Belastung verstärkbar. Insbesondere sitzende oder stehende Positionen werden von
einer Schmerzzunahme begleitet, ebenso Husten, Niesen oder Pressen, die mit einer
Erhöhung des intraduralen Druckes einhergehen, während Liegen und Gehen eher
zu einer Schmerzlinderung führen (Krämer, 1999).
Neben chronischen Beschwerden werden häufig auch wechselnde, beispielsweise
nach Belastung auftretende Schmerzen angegeben. Entsprechend der affektierten
Nervenwurzel kann ein dem betreffenden Dermatom zuzuordnendes Schmerzband
angegeben werden. Im gesamten durch ebendiese Nervenwurzel versorgten Bereich
kann es neben dem typischen Schmerzband je nach Grad der Wurzelkompression
und –schädigung zu motorischen und sensiblen Ausfallserscheinungen kommen.
Beim L4-Syndrom findet sich eine Schmerz- und Dysästhesieregion von der
lateralen Vorderseite des Oberschenkels nach medial ziehend über das Kniegelenk
bis hin zu Unterschenkel, Vorderinnenseite und zum Fußinnenrand. Der
Patellarsehnenreflex ist abgeschwächt oder aufgehoben und es treten
Muskelparesen an M. quadriceps femoris und M. tibialis anterior auf. Diese können
bei länger anhaltenden Paresen von Atrophien begleitet werden.
Bei L5-Syndrom findet sich eine Schmerz- und Dysästhesieregion die sich über die
laterale Hinterseite des Oberschenkels über die laterale Vorderseite des
Unterschenkels bis hin zum Fußrücken und der Großzehe erstreckt
(„Generalsstreifen“). Hier ist der entsprechende Kennmuskel der M. extensor
hallucis longus. Eine Parese des M tibialis anterior kann ebenfalls vorkommen, mit
einer dann resultierenden Fußheberschwäche.
Ein S1-Syndrom zeigt ein Schmerzband an der Dorsalseite des Ober- wie
Unterschenkels. Klassischerweise findet sich eine Ausstrahlung bis zur Ferse und
den lateralen Fußrand und die Zehen D III – V. Es kann zu einer Parese des M.
triceps surae kommen, mit einer daraus folgenden Fußsenkerschwäche.
17
Eine Mischung aus radikulärer und pseudoradikulärer Komponente ist oft bei den
Spinalkanalstenosen zu sehen. Hier kommt es durch degenerative Umbauprozesse,
insbesondere bei Facettengelenksarthrosen, zu einer knöchernen oder
bindegewebigen Stenosierung des Spinalkanals, bzw. der Neuroforamina durch
Facettengelenkshypertrophie bzw. Hypertrophie des Ligamentum flavum. Oft sind
knöcherne und bindegewebige Stenose die Folge langjähriger degenerativer
Veränderungen, die klinisch eher diskret verlaufen sind und nur beispielsweise
durch eine leichte Bandscheibenprotrusion dekompensieren (Krämer, 1999).
18
2. Die klinische Untersuchung:
Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspektion des Patienten, idealerweise
schon beim Eintreten. Von Interesse ist beispielsweise ein Hinken oder eine
Schonhaltung, die wegweisend für die Diagnosefindung sein können. So ist beim
L5-Syndrom eine vornübergeneigte Schonfehlhaltung der LWS typisch oder kann
ein Hinken bedingt sein durch eine Fußheberschwäche. Inspektorisch beurteilt man
weiterhin die Wirbelsäulenhaltung, -beweglichkeit mit eventuellen Teilfixierungen
und nicht zuletzt das –relief, welches Hinweise für einen Muskelspasmus oder
skoliotische Komponenten geben kann.
Der Bewegungsumfang der Wirbelsäule wird im Stehen getestet in Inklination,
Reklination sowie Seitneigung und –rotation. Die Palpation umfasst die Prüfung von
Druckschmerzpunkten, insbesondere im Bereich der Dornfortsätze, der
paravertebralen Muskulatur und der Facetten- und Iliosakralgelenke.
Bewertungsskala für die aktive Kraftprüfung (Kraftgrade):
5 = Normale Kraft
4 = Bewegung gegen leichten Widerstand möglich
3 = Anheben gegen Schwerkraft möglich
2 = Schwache Muskelbewegung nur unter Aufhebung der Schwerkraft
1 = Sichtbare Muskelkontraktionen ohne resultierenden Bewegungseffekt
0 = Keine Muskelkontraktionen oder sonstige Muskelaktivität
+ und – dienen zur feineren Graduierung von Zwischenstufen
Abbildung 6: Bewertungsskala für die aktive Muskelkraftprüfung
Quelle: nach Duus, 1990
Mit einer Überprüfung des Zehen- und Hackenganges überprüft man die Fußheber
und -senker als Kennmuskulatur für die Segmente L5 und S1. Eine genaue
Kraftbestimmung erfolgt durch Plantarflexion des Hallux bzw. des gesamten Fußes
gegen Widerstand für die Prüfung des Segmentes S1, bzw. durch Dorsalextension
gegen Widerstand für das Segment L5. Die gemessenen Kraftgrade werden wie in
Abblidung 6 gezeigt in einer Skala von 0-5 angegeben, wobei der Kraftgrad 5 für
die volle uneingeschränkte Kraft und der Kraftgrad 0 für eine komplette Paralyse
des betroffenen Muskels stehen. Es bedarf hier auch der Sensibilität des
Untersuchers, um eine schmerzbedingte Minderinnervation von einer echten Parese
19
oder Paralyse abzugrenzen. Berücksichtigt werden muss hierbei auch das allgemeine
Kraftniveau des Patienten sowie das des Untersuchenden. Hilfreich sind hier neben
dem Seitenvergleich zusätzliche Verfahren wie die Elektromyographie und die
Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten. Eine Prüfung des Reflexstatus der
unteren Extremität (PSR, ASR, TPR) dient ebenfalls als Hinweis für eine
Nervenschädigung.
Ein weiteres diagnostisches Hilfsmittel sind die sogenannten
Nervendehnungszeichen, die für eine Kompression und Einklemmung der
breffenden Nervenwurzel sprechen. Das Nervendehnungszechen nach Lasègue
(Forst, 1881; Lazarevič, 1884) wird in Rückenlage des Patienten geprüft. Hierbei
wird das Bein gestreckt angehoben. Im Falle einer Kompression des Nerven
beispielsweise durch einen Diskusprolaps, wird der Patient Schmerzen angeben, die
sich als Schmerzband entlang des Dermatoms der betroffenen Nervenwurzel
ausbreiten. Dieses Ergebnis lässt sich verifizieren, indem man in dieser Position eine
Dorsalextension des Fußes durchführt. Kommt es zu einer Schmerzverstärkung, gilt
dies als eine Bestätigung des Ergebnisses (Bragard-Test).
Auch wenn in der Mehrzahl der Fälle Schädigungen mit Vorwölbungen der
Bandscheiben und degenerative Veränderungen mit Stenosierung des Spinalkanales
ursächlich sind für die Beschwerden, müssen doch auch andere mögliche Ursachen,
insbesondere entzündliche und tumoröse Prozesse differentialdiagnostisch
ausgeschlossen werden (Benini, 1999). Da diese durch eine Nervenkompression
bzw. –affektion ähnliche bis identische klinische Symptome hervorrufen können, ist
eine detaillierte Bildgebung der Region sinnvoll. Dies geht am sichersten mit einer
Computertomographie oder besser einer Kernspintomographie des betreffenden
Wirbelsäulenabschnittes. Ergänzend sind eine ausführliche Anamnese sowie
laborchemische Zusatzuntersuchungen oftmals richtungsweisend.
20
III. Die minimal-invasive Therapie des Lumbalsyndroms
A. Die verschiedenen Injektionsformen
Die minimal-invasive (nicht-operative) Therapie eines Lumbalsyndroms beinhaltet
neben oraler Medikation und Analgesie, Stufenlagerung, Krankengymnastik,
Rückenschule, physikalischen und balneologischen Maßnahmen sowie
Orthesenversorgung eine nach verschiedenen symptomabhängigen Indikationen
abgestufte Injektionstherapie. Im Folgenden werden die in der Orthopädischen
Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum angewandten Injektionsformen
sowie deren Durchführung und Indikationen kurz dargestellt.
Sämtliche Injektionen erfordern ein sauberes und steriles Arbeiten, bei den
epiduralen Injektionen kommen neben der normalen standardisierten
Hautdesinfektion noch sterile Handschuhe und ein Mundschutz für den Arzt zur
Anwendung.
21
1. Lumbale Spinalwurzelanalgesie (LSPA)
Mit der LSPA lassen sich in der Hauptsache radikuläre, aber auch diskogene und
arthrogene Beschwerden beeinflussen.
Am leicht vornübergeneigt sitzenden Patienten sucht man die Einstichstelle ca. 6-8
cm seitlich der Dornfortsatzreihe auf Höhe der Darmbeinkämme (Christae iliacae).
Eine ca. 12 cm lange Nadel wird von hier aus in einem Winkel von ca. 60° in
Richtung auf den Dornfortsatz des gewünschten Segmentes zugeschoben, bis man
a b
c
Abbildung 7: LSPA am LWS-Modell a: Nervenwurzel L4, b: Injektionsnadel c: Nervenwurzel L5, d:Facettengelenk,
e:Dornfortsätze L3-L5 Quelle: R. Mamarvar
Abbildung 8: Schematische Darstellung einer LSPA a: Durasack, b: Facettengelenk, c: Injektionsort an der Nervenwurzel
Quelle: nach Krämer, 1998
d
e
b
a
c
22
auf den zugehörigen Querfortsatz stößt. Die Nadel wird nun – abhängig von der
beabsichtigten Zielregion – über oder unter dem Querfortsatz ca. 1-2cm weiter
vorgeschoben. Um eine intravasale oder intraarachnoidale Lage auszuschließen
erfolgt eine ständige Aspiration beim Vorschieben. Die Nadellage wird
gegebenenfalls korrigiert und die Injektionsflüssigkeit appliziert.
In der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum kommt
Mepivacain (Scandicain) in 0,5%iger Konzentration zum Einsatz. Prinzipiell sind
auch andere Lokalanästhetika sowie Steroid-Lösungen wählbar. Durch unmittelbare
Diffusion verteilt sich die applizierte Substanz über einen größeren Bereich
paravertebral und periradikulär sowie der Schwerkraft folgend nach kaudal (Abb.9).
Die LSPA-Injektion bewirkt eine Schmerzreduktion, ein Entspannungsgefühl und
eine subjektive Erwärmung im Rücken und im Bein (Krämer, 2006).
a
b
c
Abbildung 9: Die CT-Darstellung einer LSPA mit Kontrastmittel zeigt sehr gut die periradikuläre Ausbreitung der applizierten
Flüssigkeit. a:periradikuläres KM-Depot, b: Facettengelenk, c: Injektionsnadel
Quelle: nach Krämer, 1998
23
2. Lumbale Facettengelenksinfiltrationen:
Bei der lumbalen Facettengelenksinfiltration stehen sensible Fasern im Bereich der
Wirbelgelenkskapsel im Blickpunkt der Therapie. Durch eine vorrübergehende
Blockade der afferenten Fasern in diesem Bereich sollen schmerzbedingte
Myogelosen und Fehlhaltungen beseitigt werden (Wittenberg, 1997).
Abbildung 10: Facettengelenksinfiltration am LWS-Modell a: Injektionsnadel, b: Nervenwurzel L5, c: Facettengelenk,
d: Dornfortsätze L3-L5 Quelle: R. Mamarvar
Abbildung 11: Schematische Darstellung einer Facettengelenksinfiltration
Quelle: nach Krämer, 1998
a
d
b c
24
Der Patient sitzt zur Entlordosierung leicht vornübergeneigt oder in Bauchlage mit
einem Kissen unter dem Bauch. Mit einer dünnen ca. 6 cm langen Nadel wird ca. 2
cm paravertebral zwischen den Dornfortsätzen eingestochen, und die Nadel bis auf
die Wirbelgelenkkapsel (Knochenwiderstand) vorgeschoben. Typischerweise
werden bei Erreichen dieser Position die dem Patienten bekannten Schmerzen
angegeben. In einer Sitzung werden meist 4 – 6 Wirbelgelenke beidseits mit ca.
jeweils 2 ml Lokalanästhetikum behandelt.
Eine zusätzliche Applikation von Steroiden ist ebenfalls möglich. Begleitend
werden entlordosierende Lagerungsmaßnahmen sowie Übungen aus der
Entlastungshaltung und Flexionstherapie durchgeführt.
25
3. Die epidural-dorsale Injektion (Epi-gerade):
Bei der epidural-dorsalen Injektion wird eine Steroid-Kochsalzlösung durch das
interlaminäre Fenster in den Epiduralraum des betroffenen Segmentes gegeben.
Hierdurch gelangt man direkt in den Bereich der ödematösen, schmerzauslösenden
Nervenwurzel. Ziel ist, durch eine steroidbedingte Reduzierung des
a
b
Abbildung 12: Epidural-dorsale Injektion am LWS-Modell a: Durasack im Foramen L5/S1, b: Injektionsnadel mit
epiduraler Lage im Segment L5/S1, c: Dornfortsätze L3-L5 Quelle: R. Mamarvar
Abbildung 13: Schematische Darstellung einer epidural-dorsalen Injektion im Sagittalschnitt a: Bewegungssegment
L4/5, b: Injektionsnadel Quelle: nach Krämer, 1998
b a
c
26
Wurzelreizödems die dekompensierte Enge wieder zu rekompensieren. Anhand der
LWS-Röntgenaufnahme in a.p.-Projektion sucht man das interlaminäre Fenster des
zur Injektion vorgesehenen Segmentes auf. Ähnlich der Durchführung einer
Lumbalpunktion zur Gewinnung von Liquor sticht man nun mit einer
mandrinhaltigen Nadel zwischen den zwei Dornfortsätzen der angrenzenden Wirbel
lotrecht zur Haut ein und schiebt diese bis zum Ligamentum flavum vor. Nun wird
der Mandrin entfernt und eine flüssigkeitsgefüllte Spritze mit isotoner NaCl-Lösung
aufgesetzt. Unter Stempeldruck erfolgt nun ein vorsichtiges weiteres Vorschieben in
"loss-of-resistance"-Technik, bis durch einen plötzlichen Widerstandsverlust das
Erreichen des epiduralen Raumes angezeigt wird. Nach Aspiration zum Ausschluss
einer intraduralen oder intravasalen Lage wird eine Spritze mit der zu
applizierenden Steroid-Kochsalzlösung aufgesetzt und injiziert. Die applizierte
Flüssigkeit breitet sich hier hauptsächlich im dorsalen Epiduralraum aus, und
erreicht über Diffusion allmählich auch die betroffenen Nervenwurzeln. In Bochum
kommt Triamcinolonacetonid (Triam-Injekt) in einer Konzentration von 10-40 mg
auf 10 ml isotoner Kochsalzlösung zum Einsatz. Die Wirkung tritt in Form einer
Schmerzreduktion meist nach ca. 6 - 8 Stunden ein.
Abbildung 14: : Schematische Darstellung einer epidural-dorsalen Injektion
Quelle: nach Krämer, 1998
27
Kommt es zu einer akzidentellen Duradurchstechung, so kann es, bedingt durch den
Liquorverlust, zu einem Postpunktionellen Syndrom kommen. Dieses lässt sich
jedoch im Allgemeinen rasch durch entsprechende Maßnahmen bessern (Benzon et
al., 2001).
Studien lassen den Schluß zu, dass die "loss-of resistance" Technik mit Flüssigkeit
der Verwendung von Luft, auch wegen einer deutlich geringeren Anzahl an
Komplikationen, überlegen ist (Kuczkowski et al., 2003; Shenouda et al., 2003).
a
b
c
d
Abbildung 15: Die CT-Darstellung einer epiduralen dorsalen Injektion mit KM zeigt gut die Ausbreitung zunächst nur im
dorsalen Epiduralraum. a: Facettengelenk, b: dorsaler Epiduralraum, c: ventraler Epiduralraum, d: Durasack
Quelle: Krämer 1998
28
4. Epidurale sakrale Injektion:
Die epidurale sakrale Injektion erfolgt über den Zugang durch den Hiatus sacralis
zum lumbosacralen Periduralraum. Sie ist insbesondere geeignet für tieferliegende
Symptomatiken, wie S1-Ischialgien oder Koccygodynien.
In Knie-Ellenbogen- oder alternativ Seitenlage wird eine ca. 10cm lange Nadel
Abbildung 17: Epidural sakrale Injektion Quelle: Hatz 2002
Abbildung 16: Epidural sakrale Injektion am LWS-Modell a: Durasack im Foramen L5/S1, b: Einstichort am Hiatus sacralis
c: Injektionsnadel, d: Dornfortsätze L3-L5 Quelle: R. Mamarvar
a
d
b c
29
durch die bindegewebige Abschlussplatte des Sakralkanales eingestochen und unter
ständiger Aspiration in diesen vorgeschoben. Nach Kontrolle der Nadellage wird,
analog zur epidural geraden Injektion, die oben beschriebene Steroid-
Kochsalzlösung appliziert. Durch unterschiedliche Lagerungstechniken kann die
applizierte Flüssigkeit noch näher an den beabsichtigten Wirkort gebracht werden.
Als wesentlicher Nachteil dieser Methode muss die Notwendigkeit der Verwendung
von großen Volumina des Kochsalz-Steroid-Gemisches genannt werden (Krämer,
1997). Ein erhöhtes Infektionsrisiko durch die relative Nähe des Injektionsortes zum
Perianal-Bereich mit den dort vorhandenen Keimen kann angenommen werden.
30
5. Epidurale perineurale Injektion (Epi-peri):
Bei der epiduralen perineuralen Injektion in der speziellen Bochumer Technik
erfolgt die Applikation des Verum nicht nur in den epiduralen Raum, sondern
darüber hinaus noch in die unmittelbare Umgebung der betroffenen Nervenwurzel
Abbildung 18: Epidurale perineurale Injektion am LWS-Modell a: Durasack im Foramen L5/S1, b: Injektionsnadel,
c: Dornfortsätze L3-L5, d: Lage der Nadelspitze epidural perineurel am Nerven L5, e: Nervenwurzel L5
Quelle: R. Mamarvar
c
b
d e
a
Abbildung 19: Epidural perineurale Injektion in Doppelnadeltechnik am sitzenden Patienten
Quelle: Krämer 2002
31
Hierdurch sind deutliche Reduktionen der Arzneien möglich, so dass die
Wahrscheinlichkeit für systemische unerwünschte Arzneiwirkungen sich ebenfalls
deutlich reduziert (Krämer, 1997). Anhand der LWS-Röntgenaufnahme in a.p.-
Projektion sucht man das interlaminäre Fenster des zur Injektion vorgesehenen
Segmentes auf. Im Gegensatz zur epiduralen dorsalen Injektion erfolgt der Einstich
jedoch ca. 1 cm caudal und 2 cm lateral des kranialen Dornfortsatzes, sowie mit
einer kürzeren Nadel, die lediglich als Führungskanüle für die deutlich dünnere
Nadel der Stärke 29G dienen soll (Krämer, 1999). Durch diese Zweinadeltechnik
lässt sich eine höhere Präzision der Nadellage erzielen (Brooks et al., 2002). Man
sticht in einem Winkel von ca. 15° – 20° schräg durch das interlaminäre Fenster in
Richtung des Wirbelkanals. Nach Entfernen des Mandrins wird eine dünne 29G-
Nadel in Doppelnadeltechnik bis zum Knochenkontakt vorgeschoben. Es wird zur
Kontrolle der Nadellage aspiriert, und bei Aspiration von Blut oder Liquor die
Nadellage korrigiert . Der Patient kann bei korrekter Lage der Nadelspitze an der
betroffenen Nervenwurzel den für ihn typischen Beinschmerz angeben. Nun wird
eine Spritze mit 2 ml Steroid-Kochsalzlösung die 10mg Triamcinolonacetat enthält
aufgesetzt und injiziert. Wahlweise kann auch die Applikation einer
Lokalanästhetika – Steroid - Lösung erfolgen.
a
b c
e
d
Abbildung 20: CT-Darstellung einer epiduralen perineuralen Injektion zeigt sehr gut die streng perineurale Ausbreitung
des KM-Depots. Weiterhin ist zu sehen, dass hier sowohl die austretende L5- als auch die traversierende S1-Wurzel
erreicht werden. a: Durasack, b: S1-Wurzel, c: KM-Depot, d: Facettengelenk, e: L5-Wurzel
Quelle: nach Krämer, 1999
32
Anschließend erfolgt das Zurückziehen der Nadel unter ständiger Aspiration, um
eine mögliche doppelte Duradurchstechung gegebenenfalls zu erkennen (Krämer,
1997).
Die klinischen Ergebnisse in der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef-
Hospital in Bochum lassen den Schluss zu, dass durch die extrem dünne Nadel bei
der epiduralen perineuralen Injektion ein Postpunktionelles Syndrom nahezu
ausgeschlossen ist. So kam es bei nur 24 von 919 zwischen Anfang 1994 und Ende
1996 durchgeführten epiduralen perineuralen Injektionen zu postpunktionellem
Kopfschmerz, der nur in 3 Fällen nicht nach kürzester Zeit zu beheben war, und im
Sinne eines Postpunktionellen Syndroms mehrere Tage andauerte. Die Rate der
Duradurchstechungen lag hierbei jedoch wesentlich höher (Niemann, 1998). Auch
eine intradurale Applikation wird durch das Vorschieben der Nadel bis zum
Knochenkontakt nahezu ausgeschlossen (Krämer, 1997). Selbst eine akzidentelle
Duradurchstechung führt hier nur zu einer "transduralen" Applikation des Verum
am Wirkort (Krämer, 1999).
Abbildung 21: Schematische Darstellung einer epiduralen perineuralen Injektion
Quelle: nach Krämer 1998
33
7. Sonstige epiduralen Techniken:
Epidurale sakrale Katheter:
Bei einer Behandlung mittels Katheterumspülung wird über den Sakralkanal ein
Katheter unter Durchleuchtungskontrolle bis in die Nähe der betroffenen
Nervenwurzel vorgeschoben. Speziell der Katheter nach Racz ist hierfür mit einem
in der Spitze beweglichen Führungsdraht ausgestattet, der unter radiologischer
Kontrolle eine genauere Platzierung ermöglichen soll (Racz, 1982). Als weiterer
Vorteil dieser Methode wird die Möglichkeit zur lokalen Adhäsiolyse z.B. bei
Postdiskotomiesyndromen angeführt. Diesbezüglich konnte jedoch gezeigt werden,
dass die hierdurch radiologisch nachweisbare Adhäsiolyse und Neurolyse nicht
immer mit einer Schmerz- und Beschwerdelinderung einhergeht (Devulder et al.,
1995).
Peridural-Anästhesie (PDK):
Weitere Techniken sind beispielsweise die epiduralen Kathetertechniken, die
anästhesiologisch in der perioperativen Analgesierung zur Anwendung kommen.
Hier erfolgt der Einstich zumeist lumbal bei sitzendem oder in Seitenlage liegendem
Patienten. Der Katheter wird bis zu der Höhe vorgeschoben, ab der eine Analgesie
für den Eingriff gewünscht wird. Im Rahmen der Schmerztherapie wird jedoch die
betreffende Nervenwurzel aufgesucht. Hier wird das Verum appliziert.
34
B. Pharmakologische Grundlagen
1. Lokalanästhetika:
Bei einer Lokalanästhesie erfolgt die reversible Nervenblockade eines peripheren
Nerven ohne Affektion des Zentralnervensystems und somit des Bewusstseins-
zustandes. Die Blockade ist wirksam über ein Abblocken sämtlicher ankommenden
Aktionspotentiale. Sie kann an allen Organen mit elektrochemischer
Erregungsleitung wirksam werden.
Je nach Typ der betroffenen Fasern erfolgt der Wirkungseintritt und die
Wirkungsstärke in Abhängigkeit von der applizierten Dosis schneller oder
langsamer. So sind beispielsweise sensible C-Fasern früher betroffen als die
wesentlich dickeren motorischen Fasern. Ebenfalls sehr früh betroffen sind
sympathische Fasern, wodurch sich der vasodilatatorische Effekt der
Lokalanästhetika erklärt.
Üblicherweise verschwinden die Empfindungen dosisabhängig in der Reihenfolge
Schmerz, Temperatur, Berührung und Druck und kehren in der umgekehrten
Reihenfolge zurück. Hierbei sind jedoch teilweise stark abweichende
interindividuelle Unterschiede zu berücksichtigen, sowohl was die Dosen als auch
die oben erwähnte Reihenfolge betrifft.
Lokalanästhetika gehören zumeist zur Gruppe der sekundären bzw. tertiären Amine,
die häufig über eine Seitenkette mit einer aromatischen Gruppe verbunden sind. Es
werden zwei Gruppen unterschieden: die Aminoester und die Aminoamide. Sie
unterscheiden sich unter anderem in der Metabolisierung im Körper, in der Stabilität
in Lösung sowie in der Häufigkeit der unerwünschten Arzneimittelwirkungen,
insbesondere allergischer Reaktionen.
Während die Lokalanästhetika vom Aminoestertyp durch die Pseudocholinesterase
im Plasma hydrolysiert und somit inaktiviert werden, werden Aminoamide nur
hepatisch in der Leber abgebaut. Aminoester sind in Lösung gebracht instabil,
während Aminoamide extrem stabil sind (Covino, 1995).
Bei Anwendung von Lokalanästhetika vom Aminoestertyp sind allergische
Reaktionen wesentlich häufiger zu beobachten. Diese werden durch den Metaboliten
Para-Aminobenzoesäure hervorgerufen.
35
Der pKa-Wert von Lokalanästhetika liegt im Bereich von 7,7 –9. Hieraus resultiert
im Gewebe, wo ein pH-Wert von 7,4 vorherrscht, ein Vorliegen von nur 3-20% in
der nicht-dissoziierten Form, d.h. als freie gelöste Base (Forth, Henschler, Rummel,
2001). Nur die nicht-dissoziierte Form hat die Fähigkeit an den Nervenfasern eine
Wirkung zu entfalten. Hierdurch erklärt sich auch die Abhängigkeit der
anästhetischen Wirkung vom pH-Wert. So ist beispielsweise in entzündlich
verändertem Gewebe der pH-Wert herabgesetzt, was zu einer Erhöhung des Anteils
dissoziierter Basen führt, mit einer Herabsetzung der Menge wirksamer Basen.
Das Wirkprofil der Anästhetika wird entscheidend durch ihre Lipidlöslichkeit
beeinflusst. Es lässt sich durch den charakteristischen Verteilungskoeffizienten
darstellen. So kann beispielsweise Tetracain durch intakte Schleimhäute bis hin zu
den Nervenendigungen vordringen (Forth, Henschler, Rummel, 2001).
Lokalanästhetika entfalten ihre Wirkung über eine Blockade der
spannungsabhängigen Natriumkanäle in der Nervenfasermembran. Hierdurch
kommt es nicht zum Natriumeinstrom, der für die schnelle Depolarisation und damit
für die Weiterleitung der Aktionspotentiale, und somit der Nervenerregung,
notwendig ist. Eine ebenfalls blockierende Wirkung am Kaliumkanal ist bei
toxischen Dosierungen beschrieben (Liu, 1996).
Das Ausmaß der Blockadewirkung steht im Zusammenhang mit der
Ausgangsstellung der Natriumkanalproteine. So sind die Kanäle in der Ruhestellung
geschlossen, und verhindern ein Eindringen von Ionen. Auch pharmakologisch
wirksame Moleküle können in dieser Phase nicht andocken und wirksam werden.
Anders sieht es in der aktiven Phase aus. Wird der Natriumkanal durch das
Ankommen eines Aktionspotentials geöffnet, können Natriumionen zur
Depolarisation einströmen. In dieser Phase können auch Pharmaka eindringen und
wirksam werden.
Im Anschluss an die Depolarisation folgt die inaktive Phase, welche zur
Repolarisation genutzt wird, bevor das Kanalprotein wieder in die Ruhephase
zurückkehrt.
Hieraus folgt, dass die Wirkung eines Lokalanästhetikums bei erhöhter
Nervenleitaktivität gesteigert ist.
36
Lokalanästhetika diffundieren vom Wirkort als freie Basen in der nicht-dissoziierten
Form entlang eines Konzentrationsgefälles in das umliegende Gewebe. Durch die
vasodilatatorische Wirkkomponente ist der hämatogene Abtransport vom Wirkort
beschleunigt. Daher ist die Verweildauer des applizierten Anästhetikums am
Injektionsort ohne Zusatz von vasokonstriktorisch wirkenden Substanzen nur kurz.
Mittel vom Aminoestertyp werden im Blut von der zirkulierenden
Pseudocholinesterase gespalten. Die Metaboliten werden alsdann über den
Blutkreislauf in die Leber transportiert und dort endgültig weiter verstoffwechselt.
Lokalanästhetika vom Aminoamidtyp werden erst in der Leberzelle
verstoffwechselt. Hier erfolgt eine oxydative Desalkylierung bzw. Hydroxilierung
durch Monooxygenasen. Durch die im endoplasmatischen Retikulum lokalisierte
Carboxylesterase erfolgt eine enzymatische Hydrolyse (Forth, Henschler, Rummel,
2001).
Die Verstoffwechselung von Lokalanästhetika vom Aminoestertyp erfolgt schneller
als die von Aminoamiden.
Lokalanästhetika beider Typen haben eine Reihe von möglichen unerwünschten
Arzneiwirkungen. So können beide über eine reversible Wirkung auf das
Vegetativum dosisabhängig zu Kollaps und Bewusstseinstrübungen führen. Eine
zentralnervös-toxische Wirkung ist ebenfalls möglich, und kann dosisabhängig von
leichter Erregbarkeit bis hin zu generalisierten Krampfanfällen, bzw. nach Wirkort
bis hin zu komatösen Zuständen und zentraler Atemlähmung führen. Kardial werden
die anti-arrhythmogenen bzw. arrhythmogenen Eigenschaften der Lokalanästhetika
von Bedeutung: es kann von Bradykardien über AV-Überleitungsstörungen bzw.
Blockbildern bis hin zur absoluten Arrhythmie, Kammerflimmern und sogar
Asystolie kommen.
Auch hier ist das gesamte Spektrum von leichter lokaler Rötung über juckende
Urtikaria bis hin zu Bronchospasmus und Anaphylaxie möglich.
Aus dem oben genannten lassen sich leicht eine Reihe von Kontraindikationen
ableiten. Auch wenn die kardialen unerwünschten Arzneiwirkungen eher bei
intravenöser Applikation eine Rolle spielen, und bei lokaler Applikation kaum
vorkommen dürften, sollte man die Anwendung bei Patienten mit schweren
Herzerkrankungen, wie bradykarden Rhythmusstörungen, schweren AV-
37
Überleitungsstörungen oder akut dekompensierten Herzinsuffizienzen vermeiden.
Die Anwendung bei bekannter Überempfindlichkeit oder Allergie gegen
Lokalanästhetika stellt eine absolute Kontraindikation dar. Relative
Kontraindikationen bestehen beispielsweise bei Gerinnungsstörungen, Leber- und
Nierenfunktionsstörungen sowie bei Schwangerschaft.
In der orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum kommen
eine Reihe von Lokalanästhetika bei der Injektionstherapie zum Einsatz, die im
Folgenden beschieben werden.
1. Mepivacain (Scandicain®): Mepivacain gehört zur Gruppe der Aminoamide.
Es hemmt die Funktion erregbarer Strukturen, z.B. allen Typen von
Nervenfasern, sowohl sensorisch und motorisch als auch autonom. Die
Latenzzeit bis zum Wirkbeginn liegt bei 2-4 Minuten, bei der epiduralen
Anwendung, beispielsweise im Rahmen einer perioperativen
Spinalanästhesie, bei 10-15 Minuten. Die Wirkdauer liegt bei 1-4 Stunden,
die Plasmahalbwertszeit bei 2-3 Stunden. Die Plasmaeiweißbindung beträgt
65-78%.
(Gebrauchsinformation AstraZeneca; Rote Liste 2002)
2. Ropivacain (Naropin®): Ropivacain gehört ebenfalls zur Stoffklasse der
Aminoamidtyp-Lokalanästhetika. Es ist ein langwirksames Anästhetikum
mit sowohl anästhetischen als auch analgetischen Wirkungen. In hohen
Dosen ruft es eine Anästhesie hervor, während niedrige Dosen sensorische
Blockaden mit begrenzter nichtprogressiver motorischer Blockade auslösen.
Der Wirkbeginn liegt bei 1-15 Minuten mit einer Wirkdauer von ca. 2-6
Stunden. Die Plasmahalbwertszeit bei 1,8 Stunden, bei Kindern bei 3
Stunden.
(Gebrauchsinformation AstraZeneca; Rote Liste 2002)
38
2.Glucocorticoide
Im Körper werden Glucocorticoide in der Nebennierenrinde gebildet. Die
Produktion und Sezernierung wird durch den Regelkreislauf Hypothalamus –
Hypophysenvorderlappen – Nebennierenrinde – Hypothalamus gesteuert. Aus dem
Hypothalamus wird Korticoliberin freigesetzt, welches die Hypophyse zur
Freisetzung von Korticotropin veranlasst. Dieses wirkt an der Nebennierenrinde,
und veranlasst diese zur Produktion und Freisetzung von Kortisol. Die
Plasmakonzentration von Kortisol wirkt sich wiederum hemmend im Sinne eines
negativen Feedback auf die Freisetzung des Korticoliberins aus dem Hypothalamus
aus. In diesen Regelkreis greifen auch dem Körper von außen zugeführte
Glucocorticoide ein.
Bei der Freisetzung des Kortisol zeigt sich eine zirkadiane Rhythmik mit der
höchsten Plasmakonzentration morgens sowie der niedrigsten gegen Mitternacht.
Glucocorticoide wirken positiv stimulierend auf die Gluconeogenese, fördern die
Glycogenbildung in der Leber und erhöhen somit den Blutzuckerspiegel und haben
allgemein eine diabetogene Wirkung. Weitere Wirkungen sind die antiproliferativen
sowie antiphlogistischen und antiallergischen, eine immunsuppressive Wirkung
sowie ein Verschieben der Stoffwechsellage in Richtung eines vermehrten
Katabolismus (Mutschler, 1981). Insbesondere die antiphlogistische
Wirkkomponente ist im Rahmen der lokalen Injektionstherapien interessant.
Die zur lokalen Injektionstherapie verwendeten Kortikoide sind als Suspensionen in
mikrokristaliner Form im Handel. Glucocorticoide wirken, indem sie stabilisierend
auf verschiedene zelluläre und subzelluläre Membranen wirken, sowie bestimmte
Zellaktivitäten hemmen.
In der Orthopädie werden lokale Glucocorticoidgaben bei allen Arten von lokal
umschriebenen nichtbakteriellen Entzündungs- oder Reizzuständen und
Gelenkveränderungen verwandt.
Nach lokaler Applikation sind systemische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
nahezu ausgeschlossen. Trotzdem sollten auch hierbei folgende Kontraindikationen
berücksichtigt werden: Kinder, Schwangerschaft, Stillzeit, Magen- und Darmulzera,
Osteoporose, Myasthenia gravis, Psychosen, Glaukom, Tuberkulose,
Augeninnendruckerhöhungen, systemische Mykosen, Viruserkrankungen, kürzlich
39
durchgeführte Impfungen, lokale Infektionen im Anwendungsbereich, Arterielle
Hypertonie sowie Diabetes mellitus.
In der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum kommt
für die epiduralen Injektionsformen
Triamcinolonacetonid (Triam Injekt®, Volon A®) zur Anwendung. Es
handelt sich hierbei um ein mittellang wirksames Glukocorticoid mit einer
biologischen Halbwertszeit von 12-36 Stunden und einer
Plasmahalbwertszeit von >200 Minuten. Im Vergleich zum Kortisol hat es
eine 5-fache glucocorticoide Potenz, jedoch keine mineralcorticoide
Wirkung. Die Cushingschwellendosis liegt bei 6 mg/d.
(Forth, Henschler, Rummel, 2001; Rote Liste 2002; Gebrauchsinformation
Lichtenstein; Gebrauchsinformation Bristol-Myers Squibb)
Die mittlere Verweildauer von Triamcinolonacetonid im Organismus beträgt bei
einem Injektionsvolumen von 10ml ca. 40 Stunden. Der Zeitpunkt der maximalen
Serumkonzentration liegt bei etwa 3 Stunden nach Applikation (Barth et al., 1990).
40
3.Medikamente für die Epidurale perineurale Injektionen
Für die epidurale perineurale Injektion werden in der Orthopädischen
Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum die oben genannten
Medikamente eingesetzt. Das am häufigsten auf diese Weise injizierte Verum
besteht aus einem Gemisch aus 0,9%iger NaCl-Lösung zusammen mit 10mg
Triamcinolonacetonid, bzw. Kombinationen von Lokalanästhetika und
Corticosteroiden (Krämer, 1997). Diese führen oftmals bei den Patienten durch die
hohe lokale Konzentration von Lokalanästhetikum zu temporären Dysästhesien bis
hin zu temporären motorischen Paresen, mit damit verbundener Gefahr von Stürzen
und Verletzungen.
Es konnte gezeigt werden, dass die epidurale Injektion von reiner NaCL-Lösung
ohne Beigabe von Corticosteroiden oder Lokalanästhetika bereits zu einer
verminderten Schmerzempfindung führen kann (Wittenberg et al., 1990). Als
Wirkmechanismus wird einerseits eine lokale Spülwirkung mit Veränderung des
Gewebemilieus und des Umgebungs-pH-Wertes und andererseits ein lokaler
Verdünnungseffekt der Entzündungsmediatoren diskutiert.
Bei Fehlen von Kontraindikationen ist dennoch die Injektion von Corticosteroiden
vorzuziehen, da hierbei die antiphlogistische Wirkung zur Beseitigung der lokalen
Entzündungsreaktion ausgenutzt werden kann. Bereits ab einer Menge von 5-10mg
Triamcinolonacetonid können alle lokalen Steroidrezeptoren abgesättigt werden.
Die hierdurch mögliche Geringdosierung ermöglicht eine Vermeidung von
systemischen Nebenwirkungen, wie z.B. eine nachhaltige Suppression der
körpereigenen Kortisolproduktion (Krämer, 2006).
41
IV. Eigene Untersuchungen
A. Material und Methode
1.Präparate und Präpariervorgang
Die Messungen erfolgten an 11 menschlichen Kadaver-LWS-Präparaten, welche als
anatomische Präparate im anatomischen Institut der Ruhr Universität Bochum in
Formalin fixiert im Rahmen der pathologisch-gutachterlichen Untersuchung zur BK
2108 untersucht wurden. Die Wirbelsäulenpräparationen wurden mit Hilfe eines
"WILD M691"-Operationsmikroskopes erstellt. Es wurden im Bereich der
Interlaminären Fenster und Foramina der Segmente L3/L4, L4/L5 sowie L5/S1
sämtliche Muskulatur und Bindegewebe unter Schonung des Duralsackes und der
Nervenwurzel, sowie der knöchernen Foramenbegrenzung entfernt. Hierbei wurde
darauf geachtet, dass der Duralsack unterhalb der Wirbelbögen seine bindegewebige
Aufhängung beibehielt, um ein eigengewichtsbedingtes Kollabieren des
Duralsackes, und somit eine Verfälschung der nachfolgenden Messergebnisse, zu
verhindern. Zur Präparation wurden Instrumente verwandt, die sämtlich in dieser
oder ähnlicher Form auch Anwendung beim operativen Zugang zur Wirbelsäule
finden.
Abbildung 22: Präparationsinstrumente Quelle: Krämer 2005
42
Von dorsal her wurde die Fascia thoracolumbalis entfernt und der M. longissimus
dorsalis sowie die Mm. dorsi auf beiden Seiten abpräpariert. Die Dorn- und
Querfortsätze wurden dargestellt und von Bindegewebsresten und Muskelansätzen
Abbildung 23: WILD M691Operationsmikroskop Quelle: R. Mamarvar
43
gereinigt. Es erfolgte die Darstellung des Ligamentum flavum und Entfernung
desselbigen. Hierbei wurde streng darauf geachtet, dass weder die darunter liegende
Dura, noch den knöchernen Rand des Foramen intervertebrale beschädigt wurde.
Das Ligamentum interspinale wurde ebenfalls streng der Knochengrenze folgend
entfernt. Diese Prozedur wurde in den Segmenten L3/L4, L4/L5 sowie L5/S1
durchgeführt.
Unter der Annahme, dass eine Injektionskanüle sämtliche nicht-knöchernen
Strukturen auf dem Weg in den Spinalkanal widerstandsarm durchdringen kann,
konnte so eine für optische Messungen verfügbare Darstellung des sich der
Injektionskanüle darbietenden Durchstichkanals geschaffen werden. Dieser
Durchstichkanal wird lateral begrenzt von der knöchernen Foramenbegrenzung und
medial vom lateralen Durarand bzw. von der traversierenden Nervenwurzel. Nach
cranial und caudal hin bilden abermals die knöchernen Foramengrenzen die
Begrenzung.
Würde man in einem Winkel von 0° einstechen, so erhielte man einen verkleinerten
Durchstichkanal durch die knöcherne Überdachung des Foramen seitens der
Abbildung 24: LWS-Präparat nach entsprechender Präparation zur Vermessung fotografiert.
a: Durasack im Segment L5/S1, b: Dornfortsätze L4 und L5 c: Durasack im Segment L4/5, d: zu messende
Querschnittsfläche des Durchstichkanals für die epidurale perineurale Injektion Quelle: R. Mamarvar
a
b
c
d
44
Facettengelenke. Je weiter man die Nadel abkippt, desto größer wird der
resultierende Durchstichkanal. Der limitierende Faktor ist jedoch der bei
zunehmendem Einstichwinkel prominent werdende Duralsack, dessen
Durchstechung es zu vermeiden gilt.
Abbildung 25: Bei zunehmendem Einstichwinkel von X° vergrößert sich die Querschnittsfläche des dazugehörigen
Durchstichkanals im Vergleich zu einem Einstichwinkel von 0°. Vergrößert man X um einen gewissen Wert, so wird im
Durchstichkanal der Durasack so prominent, daß es erneut zu einer Verkleinerung der Querschnittsfläche des Durchstichkanals
kommt.
45
2. Messvorrichtung
Aufgrund des Fehlens von Untersuchungen, die eine ähnliche Messung des
epiduralen Raumes zum Gegenstand hatten, gab es kein Vorbild für ein
Messverfahren. Die Arbeitsgruppe um Zhou et al. (2000) verwendete beispielsweise
CT-Daten für ihre Messungen am Wirbelkörper. Andere in der orthopädischen
Universitätsklinik im St. Josef-Hospital in Bochum durchgeführte
Dissertationsarbeiten konnten ebenfalls keine Hinweise für den Aufbau eines
solchen Messverfahrens geben. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, eine eigene
Messvorrichtung zu entwickeln. Die auf oben geschilderte Weise hergestellten
Präparate wurden in eine in Längsachse rotierbare Halterung eingespannt und gegen
Verrutschen gesichert. Eine lotrecht ins Sakrum eingestochene Nadel diente als
Messzeiger, mit dessen Hilfe über einen fix angebrachten Winkelmesser der genaue
Rotationswinkel gemessen werden konnte. Über der Halterung war das
Abbildung 26: Peilvorgang zur exakten Winkelausrichtung des Präparates a: Die lotrecht ins Os sacrum eingestochene
Nadel wird auf den Winkelmesser ausgerichtet, b: Fixierschraube für die Rotationsvorrichtung,
c: eingespanntes LWS-Präparat (Modell), d: einschwenkbarer Maßstab Quelle: R. Mamarvar
a
b
c
d
46
Operationsmikroskop angebracht, welches mit einer Leica R DB2 Kamera mit
Fernauslösevorrichtung und interner Kaltlichtquelle zur Fotodokumentation diente.
Über eine weitere Vorrichtung ließ sich ein millimetergenau geeichter Maßstab ins
Blickfeld der Kamera schwenken, über den mögliche Veränderungen des
Vergrößerungsfaktors bei der Fotografie in der anschließenden
Computerauswertung egalisiert werden konnten. Mehrere Scheinwerfer sorgten
sowohl während des Präpariervorgangs als auch der anschließenden
Fotodokumentation zusätzlich für eine ausreichende Helligkeit.
a
d b
c e
f
Abbildung 27: Messvorrichtung mit eingespanntem LWS-Modell a: Halterung für den Winkelmesser b: Winkelmesser,
c: Einstichpunkt für den Messzeiger im Os sacrum, d: Maßstab, e: Rotierbare Halterung, f: Fixierungslöcher für die LWS-
Präparate Quelle: R. Mamarvar
47
B. Untersuchungsvorgang
Die Präparate wurden in die Messvorrichtung eingespannt und anschließend mit
Hilfe einer Leica R DB2 Kamera mit einem Fernauslöser durch das
Operationsmikroskop auf Kodak sowie Agfa Filmen der Lichtstärke 400
Abbildung 28: Messvorrichtung mit eingespanntem LWS-Präparat (Modell) und in Messposition befindlichem
Mikroskop a: Mikroskop, b: Okular mit Kameraeingang, c:Winkelmesser, d: in Messapparat fixiertes LWS-Präparat
Quelle: R. Mamarvar
a
b
c
d
48
fotografiert. Die benötigte Belichtungszeit wurde zunächst in Vorversuchen
ermittelt und betrug hierbei 2000ms. Der Kamerablickwinkel wurde von streng
lotrecht gewählt, um einen Einstichwinkel von 0° zu simulieren, und das Präparat
zur Simulation der schrägen Einstichwinkel um jeweils 10°, 15°, 20°, 25° und 30°,
bzw. im Segment L3/L4 um 15° und 30° jeweils nach links und rechts gedreht, so
dass sich für die anschließende Auswertung 22 Werte pro Segment und gemessenem
Winkel ergaben. Hierdurch erfolgte jeweils die imaginäre Injektion genau aus dem
Blickwinkel der Kamera, so dass auf der Fotografie genau der gewünschte oben
beschriebene Durchstichkanal zur Darstellung kam. Mit Hilfe des sakral
eingestochenen Messzeigers konnte der genaue Drehwinkel, welcher dem
entgegengesetzten imaginären Einstichwinkel entspricht, eingestellt werden. Um
trotz unterschiedlicher Vergrößerungsstufen am Mikroskop eine Vermessbarkeit der
angefertigten Bilder zu gewährleisten wurde stets ein millimetergenauer, geeichter
Maßstab mitabgelichtet.
Anschließend wurden die Bilder mittels eines Scanners in den Formaten BMP,
JPEG und TIFF eingescannt. Die Vermessung erfolgte auf einem MS Windows
Rechner mit Hilfe des Public Domain Programms "Scion Image Release Beta 3b",
welches von der Scion Corporation nach Vorbild des Apple Mac-OS Programms
"NIH Image" der U.S. National Institutes of Health entwickelt wurde und im
Internet unter http://www.scioncorp.com erhältlich ist. Hierzu erfolgte zunächst bei
jeder Fotographie eine Eichung auf den mitabgelichteten Maßstab, um Unterschiede
in der Bildvergrößerung zu egalisieren. Dies geschah mit der "Measure"-Funktion
des Programmes. Anschließend erfolgte eine Umfahrung und Vermessung des
Durchstichkanals mit Hilfe der "Area"-Funktion von "Scion Image Release Beta
3b". Hierzu erfolgte eine Orientierung an den oben genannten Landmarks: lateral,
cranial und caudal erfolgte die Begrenzung durch den knöchernen Rand des
interlaminären Fensters und medial durch den lateralen Durarand bzw. den lateralen
Rand der traversierenden Nervenwurzel. Mit Hilfe der Programme "Microsoft Excel
2000" sowie "SSPS 12.0" erfolgte die anschließende tabellarische und statistische
Auswertung und Visualisierung der gewonnenen Daten.
49
V. Ergebnisse
Bei der Auswertung der Messergebnisse zeigte sich schnell, dass eine
Differenzierung nach Wirbelsäulen mit solchen mit degenerativen Veränderungen
und hieraus resultierender Spinalkanalstenose (SKS) und solchen ohne wesentliche
degenerative Veränderungen und weitem Spinalkanal (Non-SKS) erforderlich war,
da durch die teilweise sehr großen Unterschiede sämtliche Effekte egalisiert wurden.
Die weitere Auswertung erfolgte daher für die Untergruppen differenziert nach
Präparaten mit degenerativ bedingten Veränderungen und Spinalkanalstenose und
solchen ohne Spinalkanalstenose. Es fanden sich 7 Präparate mit degenerativen
Veränderungen und 4 Präparate ohne wesentliche Degeneration. Für die jeweiligen
Untergruppen konnten so unter Vermessung der linken und der rechten Seite je 14
Werte für die Präparate mit bzw. 8 Werte für die Präparate ohne degenerative
Veränderungen und Spinalkanalstenose pro Segment und Einstichwinkel zur
Auswertung herangezogen werden.
Bei der Auswertung fand sich für das Segment L3/4 sowohl für die Präparate mit als
auch für die Präparate ohne degenerative Veränderungen mit resultierender
Spinalkanalstenose der höchste Durchmesser des zu messenden Durchstichkanals
bei einem Einstichwinkel von 30° mit einer Signifikanz von p<0,05 für die
Präparate mit und p<0,01 für die Präparate ohne degenerative Veränderungen. Der
Mittelwert der gemessenen Querschnittsfläche betrug bei den Präparaten mit
degenerativ bedingter Spinalkanalstenose 3,52 mm². Für die Präparate ohne
Spinalkanalstenose betrug der Mittelwert 12,18 mm².
Im Segment L4/5 zeigte sich nach Unterscheidung in Präparate mit und ohne
degenerativ bedingte Spinalkanalstenose für die nicht degenerativ veränderten
Präparate der höchste Wert für die Querschnittsfläche des Durchstichkanals bei
einem Einstichwinkel zwischen 15° und 20° (p<0,01). Die Mittelwerte der
Querschnittsflächen betrugen 29,43 mm² bei 15° und 23,37 mm² bei 20°. Für die
Präparate mit degenerativer Spinalkanalstenose zeigte sich der höchste Wert für die
Querschnittsfläche des Durchstichkanals mit 7,32 mm² bei einem Einstichwinkel
von 10°. Der Unterschied war jedoch nicht signifikant.
50
Im Segment L5/S1 erfolgte zunächst eine Auswertung ohne Differenzierung nach
degenerativ bedingten Veränderungen. Im Anschluß daran erfolgte wie beschrieben
die Auswertung getrennt. Es zeigte sich in der Gruppe der 4 Präparate ohne
degenerative Veränderung mit normal weitem Spinalkanal der größte mittlere
Durchstichkanal bei einem Einstichwinkel von 0° (118,76 mm²) mit einer
Signifikanz von p<0.05. Der Querschnitt des Durchstichkanals beim Winkel von
20° (75,68 mm²) zeigte sich ebenfalls signifikant größer als der Winkel bei 25°
(61,93 mm²) (p<0,05).
Bei den 7 degenerativ veränderten Wirbelsäulenpräparaten mit Spinalkanalstenose
(Diagramm 1) zeigt sich die größte Querschnittsfläche des Durchstichkanals
zwischen 15° (29,61mm²) und 20° (19,3mm²) mit einer hohen Signifikanz(p<0,01).
SKS L5/S1 (n=14)
0
5
10
15
20
25
30
0 10 15 20 25 30
Einstichwinkel in °
Qu
ers
ch
nit
tsfl
äch
e d
es D
urc
hsti
ch
kan
als
in
Abbildung 29: Mittelwert der Querschnittsflächen der Durchstichkanäle im Segment L5/S1 in Abhängigkeit vom
Einstichwinkel. In die Messung flossen 14 Werte ein.
51
VI. Diskussion
Aufgrund der klinischen Ergebnisse in der orthopädischen Universitätsklinik im St.
Josef-Hospital in Bochum erwarteten wir den höchsten Durchschnittswert für die
Querschnittsfläche des Durchstichkanals bei ca. 15°-20° Einstichwinkel zu finden.
Dies bestätigte sich auch bei der ersten Auswertung der gemessenen Mittelwerte, so
daß zur statistischen Überprüfung die Werte für den Einstichwinkel von 15° und 20°
herangezogen und mittels t-Test für gepaarte Stichproben geprüft wurde.
Der größte Durchmesser der Querschnittsfläche des Durchstichkanals konnte bei
den Präparaten mit degenerativen Veränderungen und hieraus resultierender
Spinalkanalstenose signifikant zwischen 15° und 20° Einstichwinkel gefunden
werden. Dies entspricht der klinischen Erfahrung. Trotz einer verhältnismässig
kleinen Fallzahl von 11 Präparaten zeigt sich eine hohe Signifikanz der Ergebnisse.
Die gemessenen Werte für die Querschnittsfläche des Durchstichkanals bei den vier
nicht degenerativ veränderten Wirbelsäulenpräparaten zeigte einen Maximalwert bei
0°. Dies erklärt sich dadurch, dass die Facettengelenke der Wirbel nicht durch
degenerativ bedingte Hypertrophie für eine knöcherne Überbauung des Duralsackes
nach dorsal und dorso-lateral sorgen. Somit kommt es nicht zu dem sonst
beobachtbaren Effekt der mit zunehmendem Einstichwinkel zurückweichenden
knöchernen Überdachung, die eine Zunahme der Größe des Durchstichkanals ergibt
(Abb. 25). Stattdessen kommt hier nur der bei zunehmendem Einstichwinkel im
Durchstichkanal prominent werdende Duralsack zur Geltung, was dazu führt, dass
mit zunehmendem Einstichwinkel der Durchstichkanal kleiner wird. Bei Patienten
mit derart weitem Spinalkanal ist im Falle einer Spinalkanaleinengung jedoch in den
allermeisten Fällen ein großer Bandscheibenvorfall oder ein Tumor verantwortlich,
was eine operative Therapie erfordert.
Aufgrund der Ergebnisse zeigt sich ebenfalls, dass die sinnvollste Anwendung der
epidural-perineuralen Injektion im Segment L5/S1 liegt. In den Segmenten L3/4
sowie L4/5 lässt sich zwar ebenfalls ein idealer Einstichwinkel messen, die
Querschnittsfläche des hieraus resultierenden Einstichwinkels ist jedoch so klein,
dass eine sinnvolle Punktion nicht möglich ist.
Die Messung eines exakten winkelgenauen Einstichwinkels macht aus klinischer
Sicht keinen Sinn. Crall et al (2006) konnten zeigen, dass bei lumbalen Injektionen
52
zur Schmerztherapie, innerhalb gewisser Grenzen, die genaue Position der
Nadelspitze für die Schmerzreduktion unwesentlich ist. Die Ermittlung eines
optimalen Einstichwinkels dient daher in erster Linie dem sicheren und
verletzungsfreien Erreichen des epiduralen perineuralen Raumes mit der
Injektionsnadel. Aufgrund der klinischen Ergebnisse ist davon auszugehen, dass der
optimale Einstichwinkel aufgrund von interindividueller anatomischer Variabilität
lediglich als Richtwert angegeben werden kann. Nichtsdestotrotz lässt sich zeigen,
dass bei Einhaltung eines Richtwinkels und vorheriger Planung anhand von
klinischem Beschwerdebild, Röntgen-, CT- oder MRT-Aufnahmen sowie lokaler
Palpation die Platzierung der Nadel im epidural-perineuralen Raum und somit die
Durchführung der epidural-perineuralen Injektion sicher gelingt, ohne dass eine
standartmässige Bildgebung in Form von CT oder Röntgen erforderlich ist.
Airaksinen et al (2006) empfehlen in den europäischen Leitlinien zur Therapie von
chronischen Rückenschmerzen, die lokale Applikation von Corticosteroiden so nah
wie möglich an die betroffene Nervenwurzel durchzuführen. Hierfür wird eine
Injektionsdurchführung unter radiologischer Kontrolle empfohlen. Auch Renfrew
(2004) beschreibt als Radiologe die lumbalen Injektionstechniken unter
Röntgendurchleuchtungskontrolle.
Demgegenüber geben Krämer (1998,2006) und Theodoridis (2007) als alleinige
Indikation für radiologisch gestützte Injektionen von der Norm abweichende
anatomische Verhältnisse wie z.B. ausgeprägte Skoliosen, Übergangswirbel oder
sehr adipöse Patienten an. Weiterhin könne die radiologische Kontrolle der
Nadelspitzenposition dem Arzt während der Ausbildung eine Rückmeldung über
eine korrekte Nadelposition ermöglichen. Botwin et al. (2002) beschreiben die
Gefahren der Strahlenexposition des medizinischen Personals bei Durchführung von
radiologisch gestützten Injektionsverfahren, eine Frage die oftmals hinter der Sorge
um die Patientensicherheit zurücksteht.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte scheint es sinnvoll, die epidural perineurale
Injektion durch den geübten Arzt anhand von anatomischen Landmarken ohne
Röntgenkontrolle durchführen zu lassen.
Interessante Möglichkeiten weist die Arbeit von Galiano et al. (2005) auf, die
anstelle der radiologischen Kontrolle der Nadelspitzenlage eine sonografische
Kontrolle empfehlen. Möglicherweise ist diese Technik für Patienten mit von der
53
Norm abweichenden anatomischen Verhältnissen wie z.B. ausgeprägten Skoliosen,
Übergangswirbeln oder starker Adipositas eine Option in der Zukunft.
Im Normalfall sollte der geübte Arzt sich jedoch auf seine anatomischen Kenntnisse
und die klinische Untersuchung verlassen und die epidurale perineurale Injektion
ohne radiologische Kontrolle durchführen.
54
VII. Zusammenfassung
Problem: Bandscheibenbedingte Erkrankungen sind in der Bevölkerung verbreitet.
In der orthopädischen Schmerztherapie kommen unter anderem auch
Injektionstechniken mit Applikation von Lokalanästhetika und Corticosteroiden in
oder an den lumbalen Wirbelkanal zum Einsatz. Zur genauen Lokalisierung des
Zielortes und Findung des korrekten Einstichwinkels der Injektion werden oft
Röntgen und CT verwendet. Dies führt zu einer erhöhten und oft unnötigen
Strahlenbelastung der Patienten. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden
topographisch-anatomische Grundlagen zur epiduralen perineuralen Injektion an
der Lendenwirbelsäule beschrieben, um die Durchführung allein anhand von
anatomischen Landmarken ohne zusätzliche radiologische Kontrolle zu
standardisieren und anhand anatomisch-topografischer Messdaten zur verifizieren.
Methode: An 11 formalinfixierten LWS-Präparaten wurde zunächst der Spinalkanal
mit Durasack und dazugehörigen Nervenwurzeln präpariert. Dabei wurden
sämtliche von einer Injektionsnadel nicht durchdringbaren Strukturen belassen. Mit
Hilfe einer selbst gefertigten Messeinrichtung wurden die Präparate aus
unterschiedlichen Winkeln fotografiert, wobei dieser Winkel der geplanten
Injektionsrichtung entsprach. Hierbei ergab sich eine messbare Fläche im
interlaminären Fenster die anatomisch durch die Facettengelenke, die Dura mater
sowie die Wirbelbögen begrenzt wird, und der Querschnittsfläche des für die
Injektionsnadel zur Verfügung stehenden Durchstichkanals entspricht. Diese Fläche
wurde am Computer vermessen und die Daten anschliessend statistisch ausgewertet.
Ergebnisse: Der größte für die Injektionsnadel zur Verfügung stehende
Durchstichkanal ergibt sich bei einem Einstichwinkel zwischen 15°-20° (p<0,001).
Weiterhin ist die Querschnittsfläche des Durchstichkanals im Segment L5/S1 größer
als in den Segmenten L3/4 und L4/5.
Diskussion: Die anatomisch gemessenen Werte korrelieren mit den abteilungsintern
klinisch erhobenen Daten, die einen mittleren Einstichwinkel von 15° zeigen. Im
Segment L5/S1 zeigt sich der größte für eine Injektionsnadel zur Verfügung
stehende Durchstichkanal. Unter Beachtung dieser Tatsachen ist eine epidurale
perineurale Injektion im Segment L5/S1 am sinnvollsten und auch ohne
radiologische Kontrolle allein unter Beachtung der anatomischen Landmarken
möglich.
55
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Danksagung
Für die ausdauernde Unterstützung, Korrektur und Hilfe bei auftauchenden Problemen danke
ich Herrn Prof. Dr. med. Jürgen Krämer, Frau Sonja Zirke de Rodriguez, meinem Bruder
Herrn Dr. med. Massud Mamarvar, meiner Verlobten Frau Jana Schettler, den Mitarbeitern
der Prosektur im Anatomischen Institut der Ruhr Universität Bochum, den Mitarbeitern des
Pathologischen Institutes am Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum, den Mitarbeitern
der Radiologischen Klinik im St. Josef Hospital – Universitätsklinik der RU Bochum und
nicht zuletzt meinen Eltern, Herrn Dipl.-Ing. Madjid Mamarvar und Frau Dr. med. Minu
Mamarvar die mir mit Ihrer Unterstützung unter anderem das Medizinstudium und die Arbeit
in meinem Traumberuf als Arzt ermöglicht haben.
LEBENSLAUF
PERSÖNLICHE ANGABEN _
Name: Roshan Mamarvar
Familienstand: ledig
Staatsangehörigkeiten: Deutsch / Iranisch
Geburtsdatum: 11.07.1973
Geburtsort: Aachen
AUSBILDUNG _
1980–1993 Grundschule bis Gymnasiale Oberstufe in Oldenburg und
Bremerhaven
1993 Abitur in Bremerhaven
WS 1993/94 – WS 2000/01 Studium der Humanmedizin an der Ruhr
Universität Bochum
SS 2000–WS 2000/01 Praktisches Jahr im Prosper Hospital Recklinghausen
Wahlfach: Orthopädie in der Orthopädischen Universitäts-
Klinik Bochum
11.05.2001 Dritter Teil der ärztlichen Prüfung in Recklinghausen
01.01.2003 Approbation
WEITERBILDUNGSSTELLEN _
01.07.2001-18.02.2003 Arzt im Praktikum und Assistenzarzt in der Orthopädischen
Universitätsklinik am St. Josef-Hospital Bochum
(Prof. Dr. med. J. Krämer)
19.02.2003-31.08.2003 Assistenzarzt in der Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie ZKH Reinkenheide in
Bremerhaven
(Prof. Dr. med. H. Seiler)
01.09.2003-heute Assistenzarzt in der Abteilung für Allgemeine Chirurgie /
Unfallchirurgie am Marienkrankenhaus in Schwerte
(Dr. med. H. Felcht / Dr. med. W. Vosberg)
BERUFSBEGLEITENDE TÄTIGKEITEN _
Seit 11.03 Tätigkeit als Notarzt an verschiedenen NEF-Standorten
Seit 07.01 Wettkampfarzt im Deutschen Karate Verband (DKV) und
Mitglied der Medizinischen Kommission im Karate
Dachverband Nordrhein-Westfalen (KDNW)
Seit 12.04 Dopingbeauftragter im Karate Dachverband Nordrhein-
Westfalen (KDNW)
FACHGESELLSCHAFTEN _
AGNNW Arbeitsgemeinschaft Notärzte in NRW
BDC Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.