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Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
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Nutzenbewertung und Programmevaluation – ein unlösbarer Widerspruch?
Uwe Hasenbein, Alric Rüther
12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Evaluation „Evaluation und Gesellschaft“
Münster, 7.-9.10.2009
,
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IQWiG (seit 2004)
gegründet gemäß Sozialgesetzbuch als Stiftung(Krankhäuser, [Zahn-]Ärzte, Psychotherapeuten, gesetzliche Krankenversicherungen)
finanziert über Zuschläge für stationäre und ambulante medizinische GKV-Leistungen
unabhängiges wissenschaftliches Institut
Auftragsforschung für Gemeinsamen Bundesausschuss(G-BA) oder Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
untersucht den Nutzen medizinischer Leistungen fürPatient(inn)en, Leitlinienbewertung, DMP-Entwicklung
informiert Öffentlichkeit (Ärzte, Patienten)
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Inhalt
1. Grundprobleme evidenzbasierter Gesundheits-
systementscheidungen am Beispiel DMP
2. Methodenvergleich: Klinische Studien und
Programmevaluation
3. Methodische Anschlusspunkte zwischen den beiden
Paradigmen
4. Zusammenfassung / Schlussfolgerungen
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1. Grundprobleme: Allgemein
Szenario aus Prognosen (2005)
• mehr Leistung (Ergebnis) für gleiches Geld
• weniger Geld für gleiche Leistung
• Zugänglichkeit UND Wahlfreiheit
• Versorgungsmanagement spezieller Gruppen
• Offenheit für Innovation UND gesteuerter(nutzenorientierter) Technologiezu-/-abfluss
• Nachhaltigkeit und Sicherheit• Patienten- UND Versichertenorientierung
• Wettbewerb UND Solidarität• gerechte und tragbare Finanzierung
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Unternehmen für Kassen
1. Grundprobleme: DMP-System-Funktionsweise
G-BABMG
GKV-Kasse
IQWiGPatientenÄrzte
Programm-rahmen-entwicklung/-aktualisierung
Programm-durchführung
Programm-evaluation
Programm-akkreditierungGKV-Kasse
BVA
GemeinsameDatenstellen
kasseninternInfas/ Prognos/ WiAD (AOK und Knappschaft)
WidO (AOK) ZI (KBV)
Netcare GmbH (BKK/ IKK)
BVA / Wissensch. Beirat
DiabetesBrustkrebs
KHKAsthma /COPD
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Gestaltung der obligatorischen Inhalte der zentralen (ausgleichsfähigen) DMP durch den G-BA aufgrund von Informationen aus
Primärstudien zu Einzelinterventionen (z.B. Gabe eines Arzneimittels bei Asthma)
Sekundärstudien zu Einzelinterventionen (z.B. Systematische Übersichtsarbeiten)
methodisch hochwertigen klinischen Leitlinien
1. Grundproblem/ Programmgestaltung
Informationen aus formativer und summativerProgrammevaluation
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IQWiG -Bericht zur Bewertung der Interventionen
Studienauswertung (14 Interventionen)Kinder 2-4 Jahre alt
• Qualitativ hochwertige RCTs
• aus Ausland• Nutzen und Schaden• Zulassung der
Arzneimittel in D.• keine Head-to-head-
Vergleiche• nur direkte Vergleiche
gegen Placebo• keine Kombinations-
präparate
1. Entscheidungserfordernisse
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Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse über die Effektivität ihres DMP Asthma
Schriftliche Pre-Post-Befragung von Versicherten (2000 / 2008)Kinder 5-17 Jahre alt
Untersuchungsziele:
- Bekanntheit des Programms- rechtzeitige Diagnostik- rechtzeitiger Behandlungsstart- Arztwechsel- Selbstmananagement- Medikamentöse Behandlung- Lebensqualität
1. Entscheidungserfordernisse
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ProgrammevaluationBewertung der Versorgung im nichtrandomisiertem Längsschnitt
Einzel- und KompaktstudienBewertung diagnostischer oder therapeutischer Interventionen mit RCT
?
1. Entscheidungserfordernisse
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Zwischenfazit 1:
1. Es besteht ein hoher Bedarf an einem Vergleich von Effekten (v.a. Nutzen) medizinischer Interventionen sowohl unter Studien- als auch unter Alltagsbedingungen (v.a. nichtmedikamentöser Bereich).
1. Grundproblem/ Informationsquellen
2. Es wird immer wahrscheinlicher, dass zu einem Evaluationsfeld
NB-Studien und PE-Studien (unterschiedlicher Studientypen und -designs) vorliegen
inhaltlich somit aufeinander bezogen und in eine einheitliche Bewertung eingeschlossen werden.
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Patientenrelevanter medizinischer Nutzen
kausal positive Effekte einer medizinischen Intervention
- Mortalität
- Morbidität (Beschwerden, Komplikationen)
- gesundheitsbezogene Lebensqualität
Nutzenbewertung (NB)
„Prozess der Evaluation medizinischer Interventionen hinsichtlich ihrer kausal begründeten positiven und negativen Effekte im Vergleich mit einer klar definierten anderen Therapie, einen Placebo (oder einem andersartigen Scheinbehandlung) oder keiner Behandlung“
IQWiG Methoden 3.0 (2008), S. 31 ff
2. Methodenvergleich
Tun wir das Richtige?
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Programm
Bündel zeitlich, personell, organisatorisch und technisch aufeinander abgestimmter Maßnahmen, mit dem ein oder mehrere Ziele mit bestimmter/n Strategie/n erreicht werden sollen (Hellstern / Wollmann 1987)
Programmevaluation (PE)
„Systematische Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden zur Beurteilung der Konzeption, Ausgestaltung, Umsetzung und des Nutzens sozialer Interventionsprogramme“ (Rossi et al. 1988)
2. Definitionen
Tun wir das Richtige richtig?
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2. Methodenvergleich
„Compared with clinical treatments, which are conceptually simple and have generally been evaluated in randomized controlled trials (RCTs), the literature on health care management and policy interventions is epistemologically complex and methodologically diverse …“
Pawson R et al. Realist review – a new method of systematic review designed for complex policy interventions. J Heath Serv Res Policy, 2005; 10 (Suppl. 1): S1 21-34
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Nutzenbewertung Programmevaluation
Kausalität meist monokausal (kontrollierte Confounder)
Linear, kurze Ketten
Meist multikausal
Lange Ketten
linear und nonlinear
Bias Kontext als Störgröße Kontext als Systemelemente
Zeit-lichkeit
kurz lang
Selektion hoch gering
Out-comes
prädefinierbar
relativ gleichartig
nicht vollständig prädefinierbar
relativ heterogen
2. Methodenvergleich
Interventionen als Gegenstand von NB und PE
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Nutzenbewertung Programmevaluation
Bewertungskriterien
Verzerrungspotenzial
(Design, Studien- und Berichtsqualität [Randomisierung, Verblindung], reporting/ retrieval/ language bias)
Verzerrungspotenzial
Zufriedenheit
Projekt-ablauf
vorab geplant schrittweise geplant
Ergebnis-adressat
1 zuständige Stelle (Entscheider)
meist viele Akteure
Interesse klar definierbar, planbar Oft diffus, um Projektverlauf veränderlich
Elemente der Methodik bei NB und PE
2. Methodenvergleich
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Nutzenbewertung Programmevaluation
Frage-form
Summativ Formativ und summativ
Ziel-größen
patientenrelevanter Nutzen (incl. Schaden)
+ Wirtschaftlichkeit (KNB)
auch Nutzen, verschiedene Stakeholder
auch oft Surrogate
Evidenz-krite-rium
Kausalitätsnachweis (Wahrscheinlichkeit)
Kausalitätsnachweis (Wahrscheinlichkeit)
dominie-rendes Design
Auswertung von klinischen Studien (RCT, Kohorten- und Fallkontrollstudien)
Durchführung von Beobachtungsstudien unterschiedlichen Designs
Modell Evidenzhierarchie Multimethodenansatz
Daten-quellen
Primär- und Sekundärdaten (weltweit)
Primär- und Sekundärdaten (oft lokal)
2. Methodenvergleich
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Zwischenfazit 2:
1. Zwischen NB und PE gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Methodik und ggf. auch im wissenschaftlichem Grundansatz
2. Möglicherweise sind Diskrepanzen sehr groß
3. Es besteht ein praktischer Bedarf zur Integration der Ergebnisse, die nach beiden Ansätzen zustande gekommen sind
4. Kurzfristig: Missverständnisse vermeiden
5. Langfristig: Zusammenarbeit
3. Anschlusspunkte
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Ansatz A
Gemeinsamkeiten finden
z.B.
Effekt und Kausalität
Outcomes
(Nutzen + Schaden; beabsichtigte + unbeabsichtigte Effekte)
Interessenklärung und –offenlegung
3. Anschlusspunkte
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Ansatz B
Gegensätze abschwächen
z.B.
Bias / Verzerrungspotenzial
Kontext / Übertragbarkeit (interne / externe Validität)
3. Anschlusspunkte
Voneinander lernen – z.B.:
NB lernt reflexives Vorgehen bei Zieldefinition von PE
PE lernt methodische Exaktheit von NB
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Ansatz C
Wechselseitige Beziehungen herstellen
„Klinische Forschung und Versorgungsforschung bilden daher ein zusammenhängendes Konzept –Ergebnisse aus der klinischen Forschung werden durch die Versorgungsforschung auf ihre Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen untersucht, und diese Erkenntnisse können wieder in Konzepte der klinischen Forschung einfließen …“
3. Anschlusspunkte
Ständige Kongresskommission Versorgungsforschung. Memorandum II „Konzeptionelle, methodische und strukturelle Voraussetzungen der Versorgungsforschung. Dtsch Med Wochenzeitschr 130 (50): 2918-2922
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Ansatz D
Gleichzeitige Untersuchung von geeigneten Themen in geeigneten Kontexten mit Methoden beider Paradigmen (ggf. auch Einbau von Elementen aus NB und PE in bestimmte Evaluationsphasen)
3. Anschlusspunkte
Anwendungsbeobachtung / Pharmakovigilanz
klinische Register (hier z.B. Validierung)
medizinische Interventionen mit Programmcharakter (z.B. Schulungen, Rehabilitation)
soziale Interventionen mit medizinischem Bezug (z.B. Selbsthilfe-gruppe, Qualitätsmanagementmaßnahmen)
Qualitätsverbesserungsstrategien (Beispiel Asthma)
AHRQ: Closing the Gap. A critical Analysis of Quality Improvement Strategies. Stanford 2007, S. 28
3. Anschlusspunkte
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Zusammenfassung
Aufgrund der unterschiedlichen Arten von Komplexität und Sinnhaftigkeit von Natur und Gesellschaft sind die Methoden und Ergebnisse nicht ohne weiteres aufeinander beziehbar.
Es sind vermutlich unterschiedliche Bewertungs-prozesse für die Würdigung der Ergebnisse von PE/NB-Studien erforderlich.
Es sollte versucht werden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede weiter klar herauszuarbeiten (unter Berücksichtigung unterschiedlicher Erfahrungen, z.B. HTA). Ziel: Erhöhung der Reflexionsfähigkeit im Verwertungszusammenhang
4. Schlussfolgerungen
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Wie alle 4 Ansätze verfolgen?
4. Schlussfolgerungen
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Einstellungsänderungen
Transparenz und methodische Klarheit (auch: Interessen)
kritische Kenntnisnahme der Ergebnisse aus dem jeweils anderen Paradigma
politischer Wille
4. Schlussfolgerungen
Inhaltliche Erfordernisse
Einigung auf methodische Minimalstandards (ggf. unter Diskussion epistemologischer Prämissen) der Erstellung und Bewertung von Studien
Organisation
Schaffung / Finanzierung methodisch starker Einrichtungen
Vorleistung der Wissenschaft
Vorgaben für den Bericht (Reporting Statements), Bewertung und Durchführung von Studien
4. Schlussfolgerungen
www.equator-network.org; Centers for Disease Control and Prevention: Introduction to program evaluation for public health programs: A self-study guide. Atlanta 2005
CONSORT –pharmakologische Studien / RCT (2001), nichtpharmakologische Studien (2008), pragmatic trials (2008
MOOSE (2000), STROBE (2007) epidemiologische Beobachtungsstudien
TREND (2004) nichtrandomisierte Evaluationen von Verhaltens-und Public-Health-Interventionen
SQUIRE (2008) Qualitätsverbesserungsstudien
PRISMA (2009) (QUORUM 1999) systematische Reviews
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Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Dillenburger Straße 27D-51105 KölnTelefon +49-221/3 56 85-0Telefax +49-221/3 56 [email protected]
www.iqwig.de
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1. Grundprobleme
1. Gibt es genügend Informationen?
2. Gibt es die richtigen Informationen?
3. Gibt es qualitativ hochwertige Informationen?
4. Stehen die Informationen in der richtigen Form den richtigen Entscheidungsträgern zur Verfügung?
1. Stellen wir die richtigen Fragen?
2. Sind die Fragen wissenschaftlich zu beantworten?
3. Werden die richtigen Fragen den richtigen Akteuren gestellt?
4. Haben diese Akteure die Chance, den richtigen Entscheidungsträgern richtig mitzuteilen?
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Disease Management Programm =
strukturiertes Behandlungsprogramm
seit 2002 für 5 Erkrankungen an den Finanzausgleich der Gesetzlichen Krankenkassen gekoppelt
Inhalte sind Bestandteil einer Rechtsverordnung des BMG
Zielgruppe: chronisch Kranke (z.Z. ca. 50% Einschreiberate)
Merkmale: - evidenzbasierte Inhalte
- Patientenaktivierung -
- abgestimmte Versorgung
Träger: Krankenkassen (GKV)
Zulassung: Bundesversicherungsamt (BVA)
daneben existieren RSA-freie DMP und andere integrierte Versorgungsformen
1. Grundprobleme / DMP
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Beispiel: DMP für Kinder mit Asthma bronchiale
Entscheidungsproblem:
Soll ein DMP Asthma auch für Kinder im Alter zwischen 2 und 5 Jahren etabliert werden?
Stakeholder:
Eltern (u.a. Deutscher Allergie- und Asthmabund)
Ärzte (u.a. Fachgesellschaften)
Einzelinitiativen (z.B. Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung)
Gesetzliche Krankenkassen
Pharmaindustrie
Politik sowie Exekutive (z.B. Bundesministerium für Gesundheit)
1. Entscheidungserfordernisse
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Beispiel: DMP für Kinder mit Asthma bronchiale
Vorgehen:
a) Bewertung von ausgewählten Einzelinterventionen [n=14]
(keine „klassische“ Nutzenbewertung)
b) Suche nach geeigneten diagnostischen Verfahren
Informationspool:
a) Ergebnisse aus Randomisierten Kontrollierten Studien (RCTs)
a) Anfragen und Auskünfte der Hersteller
b) Leitlinien
b) Kohortenstudien
Stellungnahmen (inkl. Unterlagen) der Stakeholder
1. Entscheidungserfordernisse
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Beispiel: DMP für Kinder mit Asthma bronchiale
Entscheidung im G-BA:
Auf Basis der IQWiG-Berichte
Stellungnahmen (inkl. Unterlagen) der Stakeholder
Erkenntnisse aus weiteren Studien
1. Entscheidungserfordernisse