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Geldtheorie und Geldpolitik
Prof. Dr. Jochen Michaelis Geldtheorie und Geldpolitik SS 2013
Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik
Sommersemester 2013
8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
Prof. Dr. Jochen Michaelis Geldtheorie und Geldpolitik SS 2013
8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik • Wir haben Zielfunktionen der Geldpolitik kennengelernt, Zwischenziele der
Geldpolitik, das Instrumentarium der ZB
• Jetzt: - das geeignete geldpolitische Gesamtkonzept - Ableitung einer Instrumentenregel
Literatur:
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8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
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8.1 Geldpolitische Strategien • Geldmengensteuerung − BuBa bis 1999, SNB bis 2000, „Rest der Welt“ bis Anfang der 90er
− Ankündigung einer jährlichen Geldmengenwachstumsrate
− theoretische Basis: Quantitätsgleichung bzw. – theorie
(1) 𝑀 ∙ 𝑉 = 𝑃 ∙ 𝑌 mit Velocity 𝑉 ≡ 𝑃𝑃𝑀
in Veränderungsraten: (2) 𝑀� + 𝑉� = 𝑃� + 𝑌�
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8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
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Spezifikation der BuBa (1998): (3) 𝑀𝑀� 𝑍𝑍𝑍𝑍 = 𝜋𝑛𝑛𝑛𝑛𝑍𝑍𝑛𝑛 + 𝑌�𝑃𝑛𝑛 − 𝑉�𝑇𝑛𝑍𝑛𝑇 = 2% + 2,5% − −1% = 5,5%
− Zielkorridor: 𝑀𝑀� 𝑍𝑍𝑍𝑍 zwischen 3% und 6% − keine sklavische Erfüllung des Geldmengenziels − Die unvermeidliche (normierte) Inflationsrate ist nicht null wegen Fehler in der
Indexmessung − Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sinkt tendenziell! Spezifikation der EZB (2003): Referenzwert für Wachstumsrate von M3: (4) 𝑀𝑀� = 1,5% + 2 − 2,5% − − 0,5 − 1% = 4,5%
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8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
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Hauptproblem der Geldmengenstrategie: Instabilität der Geldnachfrage
Einsetzen des Geldmarktgleichgewichts 𝑀𝑃
= 𝐿(… ) in die Definition von V:
(5) 𝑉 = 𝑃𝑃𝑀
= 𝑃𝑀/𝑃
= 𝑃𝐿(… )
Eine volatile Geldnachfrage L(…) impliziert eine volatile Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Ist aber V volatil, so kann von Geldmengenänderungen nicht mehr auf Preisänderungen geschlossen werden ⇒ Geldmenge als Zwischenziel ungeeignet Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre: − unstete Entwicklungen auf den Finanzmärkten (Finanzinnovationen,
Deregulierung, Disintermediation weg vom Bankensektor) − in vielen Ländern wurde die Geldnachfrage instabil − diese Länder gingen über zum Inflation targeting (siehe unten)
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8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
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• Wechselkursziel (Emerging Markets) Unterordnung der Geldpolitik unter die Fixierung des Wechselkurses − Wechselkursschwankungen für kleine Volkswirtschaften bedeutsamer als für
große Ökonomien (Grund: höhere Ex- und Importquoten) − Wechselkurs als Störquelle
„unholy“ trinity bzw. Trilemma der Geldpolitik − Nur zwei der drei wirtschaftspolitischen Ziele autonome Geldpolitik, freier
Kapitalverkehr und feste Wechselkurse können simultan realisiert werden − Grund für das Scheitern praktisch aller Systeme fester WK
Weiteres Problem: spekulative Attacken − Lehrbuchbeispiel EWS: Soros und das britische Pfund 1992
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• Inflation targeting Mishkin, Frederic (2004), Why the Federal Reserve Should Adopt Inflation Targeting,
in: International Finance 7 (1): 117-127. Neuseeland führt 1990 als erstes Land IT ein. Es folgen Schweden, England, Norwegen, Chile, Schweiz, Israel, …, EZB?, Fed? Grundkonzept des IT geht zurück auf Arbeiten von Lars Svensson in den 90er Jahren Kennzeichen des IT: − öffentliche Ankündigung eines numerischen Inflationsziels − Abwesenheit anderer nominaler Anker wie Geldmenge oder Wechselkurs − zentrale Rolle von Inflationsprognosen (als Zwischenziel) − Hohes Maß an Transparenz und öffentlicher Rechtfertigung − Unabhängigkeit der ZB
8. Stabilitätspolitisches Gesamtkonzept für die Geldpolitik
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Numerisches Inflationsziel ZB kündigt ein numerisches Inflationsziel an, das sie in einem festgelegten Zeitraum erreichen will, z.B. mittelfristig 𝜋𝑍 = 2%. Häufig wird auch ein Inflationsband angekündigt, z.B. 𝜋𝑍 = 2% ± 1% bzw.: min 𝜋𝑛 − 𝜋𝑍 2 + 𝜆 𝑦𝑛 − 𝑦� 2
Striktes IT bei 𝜆 = 0, flexibles IT bei 𝜆 > 0 Numerisches Inflationsziel ersetzte oftmals eine unklare Zielbeschreibung (Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierung, hohes Wachstum, Beschäftigung, Stabilität des Finanzsektors etc.) Formulierung eines "Ankers" für die Erwartungsbildung der Marktteilnehmer
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Die Rolle der Inflationsprognose − Wirkungsverzögerungen: Geldpolitik wirkt erst nach ein bis zwei Jahren auf 𝜋𝑛
und 𝑦𝑛
− ZB sollte den Zinssatz so setzen, dass die prognostizierte Inflation der Zielinflation entspricht (inflation forecast targeting)
− Handlungsanweisung für die Geldpolitik: wenn prognostizierte Inflationsrate größer als Zielinflationsrate, dann muss
Geldpolitik restriktiv agieren (z.B. Zinsen erhöhen) wenn Inflationsprognose kleiner als Zielinflation, dann expansive Geldpolitik
− Wenn IT glaubwürdig, sollte 𝐸𝑛𝜋𝑛+𝑛 − 𝜋𝑍 nicht auf News reagieren
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− ZB erstellt Inflationsprognose anhand von strukturellen Makromodellen einer Volkswirtschaft oder anhand von zeitreihenanalytischen Prognosemodellen
− Bedingte Prognose: Inflationsverlauf für den Fall, dass der Zinssatz einem vorherbestimmten Pfad folgt
o konstante Zinsen o impliziter Pfad bspw. aus Zinsstruktur (Problem: Kommunikation schwierig)
− Unbedingte Prognose: Inflationsverlauf für den Fall, dass Zinssatz endogen zu
jedem Prognosezeitpunkt bestimmt wird
− Zustandekommen der Inflationsprognose muss nachvollziehbar sein, hoher Kommunikations- und Informationsbedarf (Transparenz); in GB: vierteljährlicher Inflation Report
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Beispiel Schweden Inflationsprognose vom April 2013
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Beispiel Bank of England Inflationsprognose vom Mai 2013
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Transparenz und Rechtfertigung Der Erfolg von IT hängt davon ab, ob Inflationserwartungen verankert sind, also 𝐸𝑛𝜋𝑛+𝑛 − 𝜋𝑍 klein bleibt. In einem nie dagewesenen Ausmaß versuchen ZB mit den Märkten zu kommunizieren - Regelmäßige Berichte zur Inflationsentwicklung - Veröffentlichung von Prognosen - Pressekonferenzen, Interviews, Reden, Forschung - Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen (gute Idee?) - Bis in die 80er Jahre waren ZB völlig intransparent (Ausnahme: BuBa) Rechtfertigung: - EZB-Präsident vor EU-Parlament - Fed-Chairman vor dem US Kongress - BoE-Gouverneur schreibt Brief an Regierung, wenn 𝜋𝑇 verfehlt
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Vorteil des IT: perfekte Absorption von Nachfrageschocks Stabilisierung der Inflation gap stabilisiert gleichzeitig die Output gap, Blanchard und Gali (2005): „divine coincidence“ aber: Kostenkanal der Geldpolitik (Ravenna und Walsh 2006)
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Problem des IT: prozyklische Reaktion auf Angebotsschocks
Stabilisierung der Inflation gap wird erkauft mit höherer Variabilität der Output gap
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EZB seit 1999: Zwei-Säulen Strategie Geldmengenziel der Bundesbank + Inflation targeting = Zwei-Säulen Strategie Quantifizierung von Preisstabilität („below, but close to 2% in the medium run“) Zwei Säulen: ökonomische Analyse und monetäre Analyse
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Konsequenzen der Finanzkrise (Debatten) • Soll Preisstabilität weiterhin das primäre Ziel der Geldpolitik sein?
• Sollen Finanzmarktaufsicht und Bankenregulierung Aufgaben der ZB sein?
(Interessenkonflikte?)
• Wie kann der Ausstieg aus den geldpolitischen Sondermaßnahmen aussehen, die während der Krise (ab Mai 2010) ergriffen wurden?
• Bedeuten die Käufe von Staatsschuldpapieren am Sekundärmarkt eine verbotene Geldfinanzierung von Staatsausgaben?
• Geraten die ZB in politische Abhängigkeiten?
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