günter weiland: sechzehn kaffeebohnen

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Sechzehn Kaffeebohnen Es war kurz vor Ende des Krieges, am 22. Februar, als unsere Wohnung in Bamberg durch Einschläge von zwei Bomben direkt neben dem Haus unbewohnbar geworden war. Danach hatte meine Mutter mit mir und Wolfgang - einem Berliner Pflegekind, drei Jahre jünger als ich - eine Unterkunft in einem kleinen Dorf namens "Hartlanden", etwa sieben Kilometer westlich von Bamberg, bei Schneidermeister Übel und seiner Frau gefunden. Gegen Mitte April, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, hörten wir den Kanonendonner der heranrückenden Front immer deutlicher, mehr und mehr deutsche Soldaten kamen auf dem Rückzug vorbei und fragten häufig nach Zivilkleidung um sie gegen ihre Uniformen tauschen zu können. Da mein Vater vor Kriegsende nach Köln versetzt worden war, hatten wir aber nichts von seinen Sachen bei uns und mussten sie unverrichteter Dinge weiter ziehen lassen. Für uns drei hatten wir gepackte Rucksäcke mit etwas Kleidung und Notverpflegung für ein paar Tage vorbereitet und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Die Nacht vor dem Eintreffen der Amerikaner verbrachten wir im Keller, daran waren wir ja während der zahlreichen Fliegeralarme in Bamberg schon gut gewöhnt. Als es dann ruhig geworden war und die ersten Jeeps auftauchten wussten wir, daß es nun keinen Beschuß oder Fliegeralarm oder Angriffe von Tieffliegern mehr geben würde. Das Wetter war schön und es kehrte so etwas wie Normalität in dem kleinen Dorf ein. Ein paar Tage später, nachdem Bamberg von den Amerikanern am 13. April eingenommen worden war, machte sich meine Mutter mutig mit dem Fahrrad auf den Weg nach Bamberg um nachzusehen, was denn nun aus unserer Wohnung geworden war. Sie kam zurück mit der Nachricht, daß sie die Wohnungstür aufgebrochen vorgefunden hatte und - wer auch immer - die Wohnung durchsucht und zum Teil auch geplündert hatte. Von irgendwo her war uns auch bekannt geworden, daß es ein Lebensmittellager in der Mälzerei in Bamberg gab und eventuell die Möglichkeit, dort etwas zu ergattern. Dorthin machte ich mich eines Tages mit dem Fahrrad auf in der Hoffnung, daß es mir gelingen könnte, dort hinein zu gelangen. Der Eingang war von amerikanischen Soldaten bewacht und eine größere Anzahl Menschen versuchte, Einlaß zu bekommen. Vorwiegend jüngeren Frauen gelang dies, mir aber nicht. Die Frauen, die wieder heraus kamen, hatten zwar volle Taschen, sahen nach ihrem Aufenthalt in der Mälzerei jedoch einigermaßen zerzaust aus. Die Straße vor der Mälzerei hatte Kopfsteinpflaster, so wie damals noch viele Straßen in Bamberg. In den Ritzen zwischen den Pflastersteinen fand ich sechzehn ungeröstete Kaffeebohnen, die ich wie einen großen Schatz nach Hause brachte. Bohnenkaffee war doch die große Seltenheit und ich wusste, wie sehr meine Mutter den schätzte, wenn möglich mit einer Zigarette dazu. Meiner Mutter sagte ich aber nichts davon, denn sie hatte bald im Mai Geburtstag, nur mit Wolfgang plante ich eine Überraschung für diesen Tag. Jeden Tag stibitzten wir meiner Mutter aus ihrer Zigarettenschachtel eine Zigarette und sammelten diese in einer leeren Schachtel, die wir vorher aufgehoben und versteckt hatten. Bei Frau Übel und in dem Bauernhof nebenan konnte ich ein paar Zutaten - Mehl, Eier, Zucker, usw. - für einen Kuchen organisieren. Frau Übel hatte ein kleines Gerät zum Rösten der Kaffebohnen, ein kleiner Zylinder mit einem Schiebedeckel und einer Handkurbel, angebracht in zwei Halterungen über einem Spiritusbrenner. Als nun der Geburtstag kam - glücklicherweise war herrliches und warmes Wetter - hatte sich meine Mutter mit Näh- und Flickarbeiten draußen auf dem Hof niedergelassen. Wir sagten ihr, daß sie doch bitte für einige Zeit draußen bleiben solle, denn wir hätten einiges im Haus zu tun und sie könnte sonst riechen, was wir dort machten. Wolf und ich machten uns nun daran den Kuchen - was für einer das war weiß ich nicht mehr - zu backen, rösteten die sechzehn Kaffebohnen, brühten daraus eine Tasse Kaffe und präsentierten dann Kaffee und Kuchen mit der Schachtel Zigaretten meiner Mutter zu ihrem Geburtstag. Das ist die Geschichte der "Sechzehn Kaffeebohnen".

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Post on 07-Apr-2016

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Sechzehn Kaffeebohnen

Es war kurz vor Ende des Krieges, am 22. Februar, als unsere Wohnung in Bamberg durch Einschläge vonzwei Bomben direkt neben dem Haus unbewohnbar geworden war. Danach hatte meine Mutter mit mir undWolfgang - einem Berliner Pflegekind, drei Jahre jünger als ich - eine Unterkunft in einem kleinen Dorf namens"Hartlanden", etwa sieben Kilometer westlich von Bamberg, bei Schneidermeister Übel und seiner Fraugefunden.

Gegen Mitte April, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, hörten wir den Kanonendonner der heranrückendenFront immer deutlicher, mehr und mehr deutsche Soldaten kamen auf dem Rückzug vorbei und fragten häufignach Zivilkleidung um sie gegen ihre Uniformen tauschen zu können. Da mein Vater vor Kriegsende nach Kölnversetzt worden war, hatten wir aber nichts von seinen Sachen bei uns und mussten sie unverrichteter Dingeweiter ziehen lassen.

Für uns drei hatten wir gepackte Rucksäcke mit etwas Kleidung und Notverpflegung für ein paar Tagevorbereitet und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Die Nacht vor dem Eintreffen der Amerikanerverbrachten wir im Keller, daran waren wir ja während der zahlreichen Fliegeralarme in Bamberg schon gutgewöhnt.

Als es dann ruhig geworden war und die ersten Jeeps auftauchten wussten wir, daß es nun keinen Beschußoder Fliegeralarm oder Angriffe von Tieffliegern mehr geben würde. Das Wetter war schön und es kehrte soetwas wie Normalität in dem kleinen Dorf ein. Ein paar Tage später, nachdem Bamberg von den Amerikanernam 13. April eingenommen worden war, machte sich meine Mutter mutig mit dem Fahrrad auf den Weg nachBamberg um nachzusehen, was denn nun aus unserer Wohnung geworden war. Sie kam zurück mit derNachricht, daß sie die Wohnungstür aufgebrochen vorgefunden hatte und - wer auch immer - die Wohnungdurchsucht und zum Teil auch geplündert hatte.

Von irgendwo her war uns auch bekannt geworden, daß es ein Lebensmittellager in der Mälzerei in Bamberggab und eventuell die Möglichkeit, dort etwas zu ergattern. Dorthin machte ich mich eines Tages mit demFahrrad auf in der Hoffnung, daß es mir gelingen könnte, dort hinein zu gelangen. Der Eingang war vonamerikanischen Soldaten bewacht und eine größere Anzahl Menschen versuchte, Einlaß zu bekommen.Vorwiegend jüngeren Frauen gelang dies, mir aber nicht. Die Frauen, die wieder heraus kamen, hatten zwarvolle Taschen, sahen nach ihrem Aufenthalt in der Mälzerei jedoch einigermaßen zerzaust aus.

Die Straße vor der Mälzerei hatte Kopfsteinpflaster, so wie damals noch viele Straßen in Bamberg. In denRitzen zwischen den Pflastersteinen fand ich sechzehn ungeröstete Kaffeebohnen, die ich wie einen großenSchatz nach Hause brachte. Bohnenkaffee war doch die große Seltenheit und ich wusste, wie sehr meineMutter den schätzte, wenn möglich mit einer Zigarette dazu. Meiner Mutter sagte ich aber nichts davon, dennsie hatte bald im Mai Geburtstag, nur mit Wolfgang plante ich eine Überraschung für diesen Tag. Jeden Tagstibitzten wir meiner Mutter aus ihrer Zigarettenschachtel eine Zigarette und sammelten diese in einer leerenSchachtel, die wir vorher aufgehoben und versteckt hatten. Bei Frau Übel und in dem Bauernhof nebenankonnte ich ein paar Zutaten - Mehl, Eier, Zucker, usw. - für einen Kuchen organisieren. Frau Übel hatte einkleines Gerät zum Rösten der Kaffebohnen, ein kleiner Zylinder mit einem Schiebedeckel und einerHandkurbel, angebracht in zwei Halterungen über einem Spiritusbrenner.

Als nun der Geburtstag kam - glücklicherweise war herrliches und warmes Wetter - hatte sich meine Mutter mitNäh- und Flickarbeiten draußen auf dem Hof niedergelassen. Wir sagten ihr, daß sie doch bitte für einige Zeitdraußen bleiben solle, denn wir hätten einiges im Haus zu tun und sie könnte sonst riechen, was wir dortmachten.

Wolf und ich machten uns nun daran den Kuchen - was für einer das war weiß ich nicht mehr - zu backen,rösteten die sechzehn Kaffebohnen, brühten daraus eine Tasse Kaffe und präsentierten dann Kaffee undKuchen mit der Schachtel Zigaretten meiner Mutter zu ihrem Geburtstag.

Das ist die Geschichte der "Sechzehn Kaffeebohnen".