gutachten bestätigt skeptiker

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Leistungsorientierte Vergütung von Ärzten Gutachten bestätigt Skeptiker Das Bundesgesundheitsministerium hält weitere Forschung für nötig, bevor Versorgungsverträge in der Fläche etabliert werden, die die Vergütung von Ärzten an die Qualität koppeln. Ein neues Gutachten nennt die Gründe. D ie leistungsorientierte Vergütung von Ärzten wird in der Gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) nur in Nischen Platz haben. Das ist die Botschaſt eines Gutachtens der Bundesgeschäſtsstelle Qualitätssiche- rung (BQS) über das Instrument „Pay for Performance“ (P4P), das vom Bun- desgesundheitsministerium (BMG) be- stellt wurde. Die Expertise ist im Inter- net unter www.bmg.bund.de/pay-for- performance abruar. Mehr Geld für bessere Qualität – dieses Schlagwort sei verführerisch, warnen die Gutachter. Das klinge zwar „effizient und gerecht“, sei jedoch auf das Gesundheitswesen nur bedingt übertragbar. Was in den USA und in England seit zwei Dekaden in großem Stil erprobt wird, gibt es in der GKV nur im Klein- format. Einige Krankenkassen haben vor allem Integrationsverträge aufgelegt, die P4P-Elemente umfassen. Geeignet für P4P-Verträge sind auch Disease-Ma- nagement-Programme (DMP). Die KV üringen hat zusammen mit den Kas- sen das DMP Diabetes aufgerüstet. Um die Dokumentationsqualität zu verbes- sern, erhalten dort Ärzte beispielsweise für jede dokumentierte Fußinspektion eine Zusatzvergütung. Dass P4P-Modelle sich in Deutschland in der Breite nicht durchgesetzt haben, hat mehrere Ursachen. Eines der größten Probleme ist, dass Qualitätsindikatoren und finanzielle Anreize in einem solchen Vertrag zueinanderpassen müssen. Ein klarer Indikator, ein klares Ziel und vali- de Messparameter müssen eine Einheit bilden – beispielsweise, um Teilnahmera- ten an Vorsorgeuntersuchungen zu erhö- hen oder den Impfstatus einer bestimm- ten Patientengruppe zu verbessern. Wo dies nicht der Fall ist, können Fehlsteue- rungen die Folge sein. Beispiele für Risi- ken, die im Zusammenhang mit leis- tungsorientierter Vergütung oſt genannt werden, sind eine kurzfristige Erfolgsori- entierung von Ärzten oder die Selektion von Patienten mit Begleiterkrankungen. Klarer Beleg für Wirksamkeit von P4P steht noch aus Hinzu kommt, dass es auch internatio- nal bislang keine eindeutigen Belege für die Wirksamkeit isolierter finanzieller Anreize gibt – im Gegenteil. Eine An- fang 2011 publizierte große Studie von der Harvard-Universität stützt die Skep- tiker. Die Forscher hatten zwischen Ja- nuar 2000 und August 2007 Daten von mehr als 470.000 Hypertonie-Patienten in 358 Praxen britischer Allgemeinärzte ausgewertet. 2004 hatte der nationale Gesundheitsdienst NHS eine qualitäts- orientierte Vergütung eingeführt. Doch die Forscher konnten vor und nach der Einführung keine eindeutig dem neuen Vergütungsmodell zuzuordnende Qua- litätssteigerung erkennen. Im deutschen Gesundheitswesen bremsen zudem tiefsitzende Vorurteile in der Selbstverwaltung neue Vertrags- modelle. Die BQS-Gutachter berichten basierend auf einer Umfrage, Ärzte hät- ten oſt Schwierigkeiten, Kassen „für die Umsetzung zu gewinnen“, da dort die Befürchtung vorherrsche, „dass die Ver- sorgenden vornehmlich eine Aufsto- ckung ihrer Einkünſte anstreben“. Eine Einschätzung, die KBV-Sprecher Roland Stahl teilt: Es gebe bei den Kassen „kaum Bereitschaſt, diesen Weg mitzugehen“. P4P-Verträge würden von den Kassen oſt als „Billigheimer-Modelle“ missverstan- den. „Wenn ich Qualität schaffen will, muss ich investieren“, forderte Stahl. Den Schuh will sich der GKV-Spitzen- verband nicht anziehen. „P4P muss nach unserer Ansicht sehr zielgenau geplant, eingesetzt und evaluiert werden. Aus versorgungspolitischen Überlegungen heraus kann es immer nur ein Bestand- teil der Vergütung sein, nie die einzige Basis“, erklärt Ann Marini vom GKV- Spitzenverband. Adressiert an die Ärzte erklärt der Spitzenverband: „Wenn über- durchschnittliche Qualität extra hono- riert werden soll, muss unterdurch- schnittliche geahndet werden können“, so Marini. KVen fällten vernichtendes Urteil für AQUIK Die Botschaſt ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker von P4P in der Ärzteschaſt. Die KBV hat im Jahr 2007 das Projekt AQUIK (Ambulante Qualitätsindikato- ren und Kennzahlen) gestartet. Dabei wurden 48 Indikatoren für die ambulan- te Versorgung entwickelt, um Qualität messen, analysieren und bewerten zu können. Das Echo aus den KVen war vielfach vernichtend. Das Modell sei „für die ärztliche Versorgung ungeeignet und in der Wirksamkeit unbewiesen“, befand die KV Nordrhein. AQUIK verändere den Arztberuf hin zu „einer neuen Defi- nition als Leistung im Rahmen eines er- gebnisorientierten Werkvertrags“, ätzten die Vertreter der KV Baden-Württem- berg. Den Gutachtern ist die ablehnende Stimmung nicht entgangen. Ohne Un- terstützung aus der Politik werde dieses Instrument sein Nischendasein nicht überwinden, erklären sie. Danach sieht es nicht aus. Die Expertise sei eine „wich- tige Diskussionsgrundlage“, hieß es un- verbindlich aus dem BMG. Bundesweit gibt es bisher nur wenige Verträge, die P4P-Elemente enthalten. Ein Beispiel ist der IV-Vertrag der Tech- niker Krankenkasse bei schwerem chro- nischem Kopfschmerz: Kehrt ein Patient binnen acht Wochen nach Krankschrei- bung in den Job zurück, erhält der Arzt zusätzlich zur Komplexpauschale einen Bonus, sonst einen Malus. Florian Staeck 66 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (5) Praxis konkret

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Leistungsorientierte Vergütung von Ärzten

Gutachten bestätigt SkeptikerDas Bundesgesundheitsministerium hält weitere Forschung für nötig, bevor Versorgungsverträge in der Fläche etabliert werden, die die Vergütung von Ärzten an die Qualität koppeln. Ein neues Gutachten nennt die Gründe.

D ie leistungsorientierte Vergütung von Ärzten wird in der Gesetzli-chen Krankenversicherung

(GKV) nur in Nischen Platz haben. Das ist die Botschaft eines Gutachtens der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssiche-rung (BQS) über das Instrument „Pay for Performance“ (P4P), das vom Bun-desgesundheitsministerium (BMG) be-stellt wurde. Die Expertise ist im Inter-net unter www.bmg.bund.de/pay-for-performance abrufbar. Mehr Geld für bessere Qualität – dieses Schlagwort sei verführerisch, warnen die Gutachter. Das klinge zwar „effizient und gerecht“, sei jedoch auf das Gesundheitswesen nur bedingt übertragbar.

Was in den USA und in England seit zwei Dekaden in großem Stil erprobt wird, gibt es in der GKV nur im Klein-format. Einige Krankenkassen haben vor allem Integrationsverträge aufgelegt, die P4P-Elemente umfassen. Geeignet für P4P-Verträge sind auch Disease-Ma-nagement-Programme (DMP). Die KV Thüringen hat zusammen mit den Kas-sen das DMP Diabetes aufgerüstet. Um die Dokumentationsqualität zu verbes-sern, erhalten dort Ärzte beispielsweise für jede dokumentierte Fußinspektion eine Zusatzvergütung.

Dass P4P-Modelle sich in Deutschland in der Breite nicht durchgesetzt haben, hat mehrere Ursachen. Eines der größten Probleme ist, dass Qualitätsindikatoren und finanzielle Anreize in einem solchen Vertrag zueinanderpassen müssen. Ein klarer Indikator, ein klares Ziel und vali-de Messparameter müssen eine Einheit bilden – beispielsweise, um Teilnahmera-ten an Vorsorgeuntersuchungen zu erhö-hen oder den Impfstatus einer bestimm-ten Patientengruppe zu verbessern. Wo dies nicht der Fall ist, können Fehlsteue-rungen die Folge sein. Beispiele für Risi-ken, die im Zusammenhang mit leis-

tungsorientierter Vergütung oft genannt werden, sind eine kurzfristige Erfolgsori-entierung von Ärzten oder die Selektion von Patienten mit Begleiterkrankungen.

Klarer Beleg für Wirksamkeit von P4P steht noch ausHinzu kommt, dass es auch internatio-nal bislang keine eindeutigen Belege für die Wirksamkeit isolierter finanzieller Anreize gibt – im Gegenteil. Eine An-fang 2011 publizierte große Studie von der Harvard-Universität stützt die Skep-tiker. Die Forscher hatten zwischen Ja-nuar 2000 und August 2007 Daten von mehr als 470.000 Hypertonie-Patienten in 358 Praxen britischer Allgemeinärzte ausgewertet. 2004 hatte der nationale Gesundheitsdienst NHS eine qualitäts-orientierte Vergütung eingeführt. Doch die Forscher konnten vor und nach der Einführung keine eindeutig dem neuen Vergütungsmodell zuzuordnende Qua-litätssteigerung erkennen.

Im deutschen Gesundheitswesen bremsen zudem tiefsitzende Vorurteile in der Selbstverwaltung neue Vertrags-modelle. Die BQS-Gutachter berichten basierend auf einer Umfrage, Ärzte hät-ten oft Schwierigkeiten, Kassen „für die Umsetzung zu gewinnen“, da dort die Befürchtung vorherrsche, „dass die Ver-sorgenden vornehmlich eine Aufsto-ckung ihrer Einkünfte anstreben“. Eine Einschätzung, die KBV-Sprecher Roland Stahl teilt: Es gebe bei den Kassen „kaum Bereitschaft, diesen Weg mitzugehen“. P4P-Verträge würden von den Kassen oft als „Billigheimer-Modelle“ missverstan-den. „Wenn ich Qualität schaffen will, muss ich investieren“, forderte Stahl.

Den Schuh will sich der GKV-Spitzen-verband nicht anziehen. „P4P muss nach unserer Ansicht sehr zielgenau geplant, eingesetzt und evaluiert werden. Aus versorgungspolitischen Überlegungen

heraus kann es immer nur ein Bestand-teil der Vergütung sein, nie die einzige Basis“, erklärt Ann Marini vom GKV-Spitzenverband. Adressiert an die Ärzte erklärt der Spitzenverband: „Wenn über-durchschnittliche Qualität extra hono-riert werden soll, muss unterdurch-schnittliche geahndet werden können“, so Marini.

KVen fällten vernichtendes Urteil für AQUIKDie Botschaft ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker von P4P in der Ärzteschaft. Die KBV hat im Jahr 2007 das Projekt AQUIK (Ambulante Qualitätsindikato-ren und Kennzahlen) gestartet. Dabei wurden 48 Indikatoren für die ambulan-te Versorgung entwickelt, um Qualität messen, analysieren und bewerten zu können. Das Echo aus den KVen war vielfach vernichtend. Das Modell sei „für die ärztliche Versorgung ungeeignet und in der Wirksamkeit unbewiesen“, befand die KV Nord rhein. AQUIK verändere den Arztberuf hin zu „einer neuen Defi-nition als Leistung im Rahmen eines er-gebnisorientierten Werkvertrags“, ätzten die Vertreter der KV Baden-Württem-berg. Den Gutachtern ist die ablehnende Stimmung nicht entgangen. Ohne Un-terstützung aus der Politik werde dieses Instrument sein Nischendasein nicht überwinden, erklären sie. Danach sieht es nicht aus. Die Expertise sei eine „wich-tige Diskussionsgrundlage“, hieß es un-verbindlich aus dem BMG.

Bundesweit gibt es bisher nur wenige Verträge, die P4P-Elemente enthalten. Ein Beispiel ist der IV-Vertrag der Tech-niker Krankenkasse bei schwerem chro-nischem Kopfschmerz: Kehrt ein Patient binnen acht Wochen nach Krankschrei-bung in den Job zurück, erhält der Arzt zusätzlich zur Komplexpauschale einen Bonus, sonst einen Malus. Florian Staeck

66 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (5)

Praxis konkret