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Evidence-based Practice Haben wir das nicht schon immer so gemacht? Journal Club

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Evidence-based Practice

Haben wir das nicht schon immer so gemacht?

Journal Club

Der »Journal Club« am UKH: Ziele und Organisation

Regelmäßige Treffen zur Vorstellung und kritischen Diskussion aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen

Ziel: durch Entwicklung kritisch-reflexiver Kompetenzen die Integration von Forschungsergebnissen in die pflegerische Praxis zu fördern

Unter Leitung der Stabsstelle Pflegeforschung in Kooperation mit dem Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften:

Dr. Patrick Jahn Katrin Wedler Anja Schmidt PD Dr. Gero Langer

Der »Journal Club« am UKH: Termine

Initiale Schulungsphase (6 Module á 3 Stunden): Evidence-based Practice Literaturrecherche Kritische Beurteilung von Interventionsstudien Kritische Beurteilung von Systematischen

Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen Kritische Beurteilung von Leitlinien

Regelmäßige Treffen Themen werden von Mitgliedern abwechselnd

ausgewählt Aktuelle Publikation wird vorgestellt und diskutiert

Termine: 09.09., 09:00-13:00 Uhr, FG5 U01 SR13 16.09., 10:00-14:00 Uhr, FG5 U01 SR1 25.09., 10:00-14:00 Uhr, FG5 U01 SR1 01.10., 10:00-14:00 Uhr, FG5 U01 SR1 06.10., 10:00-14:00 Uhr, FG5 U01 SR1 14.10., 10:00-14:00 Uhr, FG5 U01 SR1

Kontakt

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Medizinische Fakultät Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft German Center for Evidence-based Nursing »sapere aude« PD Dr. Gero Langer Magdeburger Straße 8 06112 Halle (Saale)

Telefon: 0345 557-4454 Mobiltelefon: 0170 867 48 52 Fax: 0345 557-4485 E-Mail: [email protected]

Kontakt

Universitätsklinikum Halle (Saale) Stabsstelle Pflegeforschung Dr. Patrick Jahn Ernst-Grube-Str. 40

06120 Halle (Saale) Telefon: 0345 557-2220 E-Mail: [email protected]

Katrin Wedler (Angewandte Pflegeforschung) Telefon: 0345 557-1092 E-Mail: [email protected]

Anja Schmidt (Projektmitarbeiterin Pflege 2014) Telefon: 0345 557-5097 E-Mail: [email protected]

§2 Abs. 1 SGB V §2 Abs. 4 SGB V

Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen

Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen

Umfang in Anspruch genommen werden.

Wie wirksam, wirtschaftlich und

notwendig sind die in der Praxis tatsächlich

durchgeführten therapeutischen Interventionen?

Das alltägliche Dilemma?!

Schüler bei Praxisanleitung:

»Der Dekubitus ist sauber – mit was verbinde ich ihn jetzt am besten?«

Praxisanleiterin zu Schüler:

»In dieser Phase der Wundheilung empfiehlt sich ein Hydrokolloidverband.«

Am nächsten Tag…

Krankenschwester zu Schüler:

»Warum ist da ein Hydrokolloidverband? Wir nehmen immer Mullkompressen mit Kochsalzlösung für die Behandlung von Dekubitus. Das hat sich seit Jahren bewährt und ist viel billiger.«

Früher: Erfahrung als alleinige Erkenntnisquelle

Manche halten das für Erfahrung, was sie zwanzig Jahre lang falsch gemacht haben. George Bernard Shaw (1856-1950), irischer Schriftsteller

Zu den folgenschwersten Irrtümern gehört, dass man

meint, etwas zu wissen, was man nicht weiß. Eugen Bleuler (1857-1939), schweizerischer Psychiater

Nur der Dumme muss alle Erfahrungen selber machen.

Laotse (3. o. 4. Jhd.v.Chr.), chinesischer Philosoph

Erfahrung besteht darin, den Fehler, den man schon zwei

Mal gemacht hat, beim dritten Mal nicht mehr zuzugeben. Anonymus

Weisheit, die uns befähigt, einen Wahn, dem wir bereits

gefrönt haben, als unerwünschten alten Bekannten zu erkennen. Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch

»Insulin kann unbedenklich durch die Kleidung injiziert werden.«

Fleming, D. R., Jacober, S. J., Vandenberg, M. A., Fitzgerald, J. T., & Grunberger, G. (1997). The safety of injecting insulin through clothing. Diabetes Care, 20(3), 244-247.

RCT mit cross-over-Design, N=50, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Beobachter verblindet, 20 Wochen Beobachtungsdauer (nach 10 Wochen cross-over)

Vergleich s.c. Injektion mit Hautdesinfektion vs. sc. Injektion durch Kleidung (eine Schicht, verschiedene Stoffarten wie Nylon oder Jeans)

Follow-up 84%; Alter 41 Jahre (23-63 Jahre), 50% Frauen, 80% DM I, mittlere Diabetes-Dauer 14 Jahre (1-33 Jahre)

Ca. 13.720 Injektionen im Studienzeitraum Keine Rötungen, Verhärtungen oder Abszesse an der

Injektionsstelle in beiden Gruppen HbA1c und Leukocyten in beiden Gruppen vergleichbar Kleinere Probleme: Bluttropfen auf Kleidung Vorteile: Zeitersparnis, Bequemlichkeit

»Rektale Suppositorien werden am besten mit dem stumpfen Ende zuerst eingeführt.«

Abd-el-Maeboud, K. H., el-Naggar, T., el-Hawi, E. M., Mahmoud, S. A., & Abd-el-Hay, S. (1991). Rectal suppository: commonsense and mode of insertion. Lancet, 338(8770), 798-800.

CCT, N=100 98% der Teilnehmer fanden es einfacher,

das stumpfe Ende zuerst einzuführen Sphincter transportiert Zäpfchen

selbständig weiter, keine Nachführung in Analkanal nötig

»Knielange Kompressionsstrümpfe wirken genauso gut wie oberschenkellange Strümpfe zur Thromboseprophylaxe.«

Sajid, M. S., Tai, N. R., Goli, G., Morris, R. W., Baker, D. M. & Hamilton, G. (2006). Knee versus thigh length graduated compression stockings for prevention of deep venous thrombosis: a systematic review. Eur J Vasc Endovasc Surg, 32(6), 730-736.

Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse, 14 RCTs

Keine statistisch signifikanten Unterschiede Knielange Strümpfe bieten Vorteile in Bezug auf

Compliance und Kosten

Evidence-based Practice…

…ist die sinnvolle Integration der derzeit besten wissenschaftlichen Belege in die Praxis

verwendet möglichst aktuelle Forschungsergebnisse von sehr hoher Qualität (»externe Evidence«)

nutzt das vorhandene Wissen und die praktischen Erfahrungen der Therapeuten (»interne Evidence«)

berücksichtigt Wünsche und Vorstellungen des individuellen Patienten

beachtet die Strukturen der Einrichtung und deren Ressourcen

Die Methode »Evidence-based Practice«

Auftragsklärung Fragestellung Literaturrecherche

Kritische

Beurteilung

Implementierung

und Adaptation Evaluation

Auftragsklärung

Reflexion des eigenen Handelns Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Pflege

(→ Leitbild?) Bestimmung und Zuordnung der Aufgaben im

interdisziplinären Team Abgrenzung des therapeutischen

Zuständigkeitsbereiches

Problem relevant für die Profession?

Fragestellung

Formulierung einer Fragestellung, zum Beispiel nach dem PIKE-Schema Patient Intervention Kontrollintervention(en) Ergebnismaß

Fragestellung sollte präzise und beantwortbar formuliert sein

Überlegen Sie sich ein Problem, das mit einer Interventionsstudie untersucht werden könnte, und benennen Sie die 4 Elemente einer Frage nach dem

PIKE-Schema: •Patient •Intervention •Kontrollintervention •Ergebnismaß

formulieren Sie eine beantwortbare Frage.

Problem: vorhandene Dekubitusrisikoskalen besitzen nur begrenzte prädiktive Validität

Auftragsklärung: Pflegende schätzen Dekubitusrisiko ein

Fragestellung: Pflegebedürftige: Patienten ohne bestehenden

Dekubitus Intervention: keine Dekubitusprophylaxe bis

Dekubitus 1. Grades (persistierende Rötung) Kontrollintervention: Dekubitusprophylaxe bei

Braden-Score <17 Ergebnismaß: Dekubitusinzidenz (Grad 2-4)

Wirkt sich bei Patienten ohne bestehenden

Dekubitus eine Dekubitusprophylaxe erst ab einem Dekubitus 1. Grades anstatt bei einem Braden-Score <17 auf die Dekubitusinzidenz aus?

Risikoassessment Dekubitus

Literaturrecherche

aus der Fragestellung werden Suchbegriffe abgeleitet Recherche in (Online-)Datenbanken via Internet sind z. B. folgende Datenbanken

zugänglich: kostenlos: Medline kostenpflichtig: CINAHL, Embase, Cochrane Library

gefundene Artikel liegen bereits im Volltext vor, sind in der Bibliothek vorhanden oder können über einen Dokumentenlieferdienst wie z. B. Subito bestellt werden

Suche in Medline über Pubmed (http://www.pubmed.com/)

Vanderwee, K., Grypdonck, M. & Defloor, T. (2007): Non-blanchable erythema as an indicator for the need for pressure ulcer prevention: a randomized-controlled trial. Journal of Clinical Nursing 16 (2), 325–335.

Literaturrecherche

Literaturrecherche (2)

Begutachtung des Abstracts:

Entscheidung, die Studie in der Bibliothek zu suchen oder bei einem Dokumentenliefer-dienst zu bestellen

http://www.subito-doc.de/

Kritische Beurteilung

Glaubwürdigkeit Forschungsdesign passend? Methode konsequent angewandt? Bias minimiert?

Aussagekraft Ergebnisse kein Zufall? Ergebnisse ausreichend präzise?

Anwendbarkeit Übertragbarkeit auf meine pflegerische Praxis? Kosten-Nutzen-Relation?

Kritische Beurteilung http

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Kritische Beurteilung: Ergebnisse

Dekubitusprophylaxe: IG 16% vs. KG 32% (p<0,001) Dekubitusinzidenz: IG 6,8% vs. KG 6,7%

Signifikant weniger Patienten benötigen eine

spezielle Dekubitusprophylaxe wenn die Prophylaxe solange hinausgezögert wird, bis ein Dekubitus 1. Grades entstanden ist

Diese Patienten entwickelten nicht mehr Dekubitus (2.-4. Grades) als die Patienten, die mit Standard-Risikoassessmentskalen eingeschätzt wurden

Implementierung und Adaptation

Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis Einfluss auf die Einzelfallentscheidung Entwicklung eines Problembewusstseins

Implementierung in die Einrichtung und Ausbildung Erarbeiten von Leitlinien Durchführung von Fortbildungen Veränderung der Lehrinhalte

Adaptation der Organisation Neuorganisation des Pflegesystems bzw. Einführung

neuer Pflegekonzepte Veränderung von Arbeitszeiten Anpassung der Aufgabenverteilung im therapeutischen

Team

Evaluation

Struktur Waren die benötigten Materialien vorhanden? Stand genügend Personal zur Verfügung? Wurden alle Beteiligten informiert?

Prozess Wurde die Intervention überhaupt angewandt? Wurde die Intervention korrekt durchgeführt?

Ergebnis Sind die gewünschten Ergebnisse auch bei meinen

Pflegebedürftigen eingetreten? Stimmte die Kosten-Nutzen-Relation?

Implementierung + Evaluation

Implementierung: Abwägen von Vor- und Nachteilen Überarbeitung von bestehenden Pflegeleitlinien bzw.

Erstellung neuer Leitlinien Fortbildung der Mitarbeiter

Evaluation: Beobachtung der Erfolge in der eigenen Umgebung evtl. Evaluationsstudie zur Überprüfung der

Wirksamkeit

Pflegeprozeß

Assessment

Pflegeproblem

Pflegeintervention

Evaluation

Fragestellung

Literaturrecherche

Kritische Beurteilung

Assessment

Pflegeproblem

Pflegeintervention

Evaluation

Aufgabenstellung (Pflegeleitbild)

Fragestellung

Literaturrecherche

Kritische Beurteilung

Implementierung und Adaptation

Evaluation

Aufgabenstellung (Gesetze, Vorschriften)

Fragestellung

Literaturrecherche

Kritische Beurteilung

Empfehlung

Aktualisierung, Überarbeitung

Mikroebene (Therapeuten)

Mesoebene (Institution)

Makroebene (Gesundheitssystem)

§113a SGB XI

Expertenstandards tragen für ihren Themenbereich zur Konkretisierung des allgemein anerkannten

Standes der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse bei.

Die Expertenstandards sind im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Sie sind für alle Pflegekassen und

deren Verbände sowie für die zugelassenen Pflegeeinrichtungen unmittelbar verbindlich. Die Vertragsparteien unterstützen die Einführung der

Expertenstandards in die Praxis.

Was ist geeignet? Was ist wirksam?

Was ist wirtschaftlich? Was ist notwendig?

Was ist wichtig?

Kritik an EBP

EBP selbst ist nicht evidence-basiert EBP ist sehr aufwendig EBP ist in der Praxis schwer umsetzbar EBP verhindert eigenständiges Denken EBP ist eminenz-basiert EBP würdigt nur Forschungswissen EBP verhindert Vielfalt EBP ist technokratisch

Literaturempfehlungen

Behrens, J. & Langer, G. (2010): Evidence-based Nursing and Caring. Methoden und Ethik der Pflegepraxis und Versorgungsforschung. 2., überarb. Aufl. Bern: Hans Huber.

DiCenso, A., Guyatt, G. & Ciliska, D. (2005): Evidence-Based Nursing. A Guide to Clinical Practice. Philadelphia: Elsevier Mosby.

Greenhalgh, T. (2000). Einführung in die Evidence-based Medicine. Kritische Beurteilung klinischer Studien als Basis rationaler Medizin. Bern: Verlag Hans Huber.

Guyatt, G. & Rennie, D. (Ed.) (2008): Users’ Guides to the Medical Literature. A Manual for Evidence-Based Clinical Practice. (4th ed.) Chicago: AMA.

Kunz, R., Ollenschläger, G. & Raspe, H. (2007): Lehrbuch Evidenz-basierte Medizin in Klinik und Praxis. 2. Aufl. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag.

Sackett, D. L., Strauss, S. E., Richardson, W. S., Rosenberg, W. & Haynes, R. B. (2010). Evidence-Based Medicine. How to Practice and Teach It. (4th ed.) London: Churchill Livingstone.

Historische Meilensteine zur Bewältigung der Informations»flut«

Altertum (Bibel): Einzelberichte Renaissance (17. Jhd.): persönliche

Aufzeichnungen & Bücher 18. Jhd.: Medical Arithmetics Mitte 19. Jhd.: Florence Nightingale Übergangsphase (1900-1970): Wissen wird

immer mehr durch Bücher und Zeitschriften verbreitet

Moderne (1970-): Informationsexplosion, Online-Zeitschriften, riesige Datenbanken

~1990: Begriff „Evidence-based Medicine“ erstmals erwähnt

German Center for Evidence-based Nursing »sapere aude«

Gründung: 1998 von Prof. Johann Behrens am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

seit 1999 jährlich stattfindende EBN-Workshops (Frühjahr)

seit 2000 jährlich stattfindende TTT-Workshops (Herbst)

Vernetzung von Aktivitäten im deutschsprachigen Raum

Kooperationen innerhalb des Internationalen Netzwerks der Center for Evidence-based Nursing

Vermittlung von EBN-Trainern

Das internationale Netzwerk der Centers for Evidence-based Nursing

Vielen Dank für Ihre Zeit!