hagemann 2011 konventionale implikaturen ein kuckucksei
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PragmalinguistikTRANSCRIPT
Konventionale Implikaturen – ein Kuckucksei?
Jörg Hagemann
1. Vorbemerkung
Illokutionäre Akte weisen in der Regel eine Proposition oder zumindest einen propositi-
onalen Gehalt auf.1 Der von einem Sprecher bei einer bestimmten Gelegenheit zum
Ausdruck gebrachte propositionale Gehalt einer behauptenden Aussage legt die Wahr-
heitsbedingungen fest – das ist es, was Grice unter dem Gesagten versteht. Das Gesagte
ist Grice (1979b, 90) zufolge an den Vollzug solcher Sprechakte geknüpft, die Be-
dingungen erfüllen, die „nur durch einen begrenzten Bereich von Sprechakten erfüllt
werden, wodurch diese Sprechakte als besonders zentral bzw. fundamental ausgezeich-
net werden.“ In der Terminologie Vandervekens (1990, 81) heißt das: „propositions are
the contents of elementary illocutionary acts“, oder als (Faust-)Regel formuliert, „any
elementary sentence which expresses a speech act of the form F(P) in a context of utter-
ance has the proposition P as its sense in that context.“ (Ebd., 78)
Um der Proposition eines elementaren Satzes, der einen zentralen Sprechakt aus-
drückt, Wahrheitswerte zuordnen zu können, sind Informationen pragmatischer Natur
notwendig. Zu dieser so genannten präsemantischen Pragmatik (vgl. Levinson: 2000,
170ff. und 188; Rolf: 2006, 2635) zählen unter anderem Referenzfestlegung, Disambi-
guierung mehrdeutiger Ausdrücke, Bestimmung deiktischer Ausdrücke, Ellipsen-Expli-
kation etc. – Recanati (1993, 247) spricht hier von „contextual ingredients of what is
said.“
Im Zentrum des vorliegenden Beitrags stehen nicht diese aus pragmatischen Schlüs-
sen resultierenden Bedeutungsaspekte, sondern jene, die zu einer bereits ‚vollständigen‘,
genauer gesagt, die zu einer mit Hilfe präsemantischer pragmatischer Schlüsse vervoll-
ständigten Proposition hinzutreten, indem sie diese mit anderen Propositionen ver-
knüpfen oder in eine bestimmte Relation stellen, sie kommentieren oder bewerten. Inso-
fern sind die im Folgenden zu beschreibenden Bedeutungsaspekte nicht präsematischer
Natur, sondern Teil einer postsematischen Pragmatik (‚prä-‘ und ‚post-‘ sind nicht als
Hinweise auf den zeitlichen Prozess der Informationsverarbeitung zu verstehen, sondern
verweisen eher auf so etwas wie eine ‚input-output‘-Hierarchie, vgl. Levinson: 2000,
187f.). Grice (1979b, 85ff.) zufolge haben wir es hier mit konventionalen Implikaturen
zu tun, die mit nicht-zentralen Sprechakten einhergehen, welche an den Vollzug zentra-
ler Sprechakte geknüpft sind.
Über die Kategorie der konventionalen Implikatur bemerkt Bach (1999, 327):
„Grice’s category of conventional implicature throws a monkey wrench into his dis-
tinction“ – gemeint ist die Unterscheidung der Gesamtbedeutung einer Äußerung in
1 Waßner (1992) zufolge ist der Begriff des propositionalen Gehalts als Oberbegriff anzusetzen. Von
Propositionen kann nur dann die Rede sein, wenn die sprachlichen Elemente, die die Wahrheitsbe-
dingungen eines geäußerten Satzes bestimmen, in Äußerungen vorkommen, die der Klasse assertiver il-
lokutionärer Akte zuzuordnen sind. Zu einer weiteren Diskussion des Propositionsbegriffs vgl. Robering
2011.
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Gesagtes und konversational Impliziertes2 –, frei übersetzt: Mit der Kategorie der
konventionalen Implikatur hat sich Grice selbst ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Es gibt
nun eine ganze Reihe von Versuchen, sich dieses Kuckuckseis zu entledigen, indem es
einer anderen Bedeutungsdimension zugeordnet, als Phänomen anderer Art eingeschätzt
oder schlicht für nichtexistent erklärt wurde. In neueren Arbeiten (z.B. Potts 2005;
Vallée 2008; Feng 2010) wird dagegen für eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs
plädiert. Ich werde in meinem Beitrag zeigen, dass es konventionale Implikaturen sehr
wohl gibt, dass es tatsächlich Implikaturen sind, dass sie konventional sind und wie ihre
Berücksichtigung dazu beitragen kann, die Schnittstelle von Semantik und Pragmatik
nachvollziehbar zu modellieren.
2. Konventionale Implikaturen
2.1. Konventionale Implikaturen und der Anfang ihrer Geschichte
Das Phänomen der konventionalen Implikatur ist – darauf hat meines Wissens zuerst
Bach (1999, 329) aufmerksam gemacht – schon von Frege 1918 beschrieben worden.
Der Gedanke kommt Frege im gleichnamigen Aufsatz, dort heißt es:
Mit dem Satze ‚Alfred ist noch nicht gekommen‘ sagt man eigentlich ‚Alfred ist nicht ge-kommen‘ und deutet dabei an, daß man sein Kommen erwartet; aber man deutet es eben nur an. Man kann nicht sagen, daß der Sinn des Satzes darum falsch sei, weil Alfreds Kommen nicht erwartet werde. Das Wort ‚aber‘ unterscheidet sich von ‚und‘ dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze. Solche Winke in der Rede […] berühren den Gedanken nicht, sie be-rühren das nicht, was wahr oder falsch ist. (Frege: 1918, 64)
Horn (2007, 47) ist der Überzeugung, dass der Gedanke bei Frege dem entspricht, was
Grices favorisiertes Verständnis des Gesagten ist. Demgegenüber ist das, was ein Spre-
cher darüber hinaus durchblicken lässt, was er seinem Kommunikationspartner ‚zu-
winkt‘, in Freges Sinn eine Andeutung, in Grices Terminologie eine konventionale Im-
plikatur.
Den Begriff der konventionalen Implikatur erwähnt Grice 1975 erstmals im Zusam-
menhang mit konversationalen Implikaturen und in Abgrenzung zum Gesagten. Der
einschlägige Abschnitt soll hier, da er nur kurz ist, vollständig wiedergegeben werden,
und zwar in übersetzter Version:
In manchen Fällen wird die konventionale Bedeutung der verwandten Worte bestimmen, was impliziert ist, und nicht nur helfen zu bestimmen, was gesagt worden ist. Wenn ich (selbstgefällig) sage ‚Er ist ein Engländer; er ist mithin tapfer‘, so habe ich mich – kraft der Bedeutung meiner Worte – darauf festgelegt, daß seine Tapferkeit eine Konsequenz dessen ist (daraus folgt), daß er ein Engländer ist. Aber während ich gesagt habe, er sei ein Englän-der, und gesagt habe, er sei tapfer, möchte ich nicht sagen, ich hätte (im bevorzugten Sinn) gesagt, seine Tapferkeit folge daraus, daß er Engländer ist – obwohl ich dies sicherlich an-gedeutet und somit impliziert habe. Ich möchte nicht sagen, meine Äußerung dieses Satzes wäre, strenggenommen, falsch, falls die fragliche Folgerung nicht gelten sollte. Mithin sind
2 Zum Sprachgebrauch: Ich verwende – einfach so, weil es mir besser gefällt – in den meisten Fällen die
Ausdrücke ‚konversational implizieren‘ bzw. ‚konversational Impliziertes‘ und ‚konventional implizie-
ren‘ bzw. ‚konventional Impliziertes‘ anstelle von ‚implikatieren‘ bzw. ‚Implikatum‘ – die letztgenannten
Ausdrücke sind immer noch stark gewöhnungsbedürftig.
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einige Implikaturen konventional, anders als diejenige, mit der ich diese Erörterung über Implikaturen begonnen habe. (Grice: 1979a, 247f.)
An anderer Stelle, in seinem Aufsatz „Sprecher-Bedeutung, Satz-Bedeutung und Wort-
Bedeutung“ führt Grice aus, dass er das Vorkommen solcher Ausdrücke wie folglich,
aber, des Weiteren etc. mit dem Vollzug nicht-zentraler Sprechakte verknüpft sieht, die
„als gewissen Elementen bzw. einer Disjunktion von Elementen aus der Menge der zen-
tralen Sprechakte nachgeordnet bzw. in ihrem Vollzug von diesen Elementen abhängig“
(Grice: 1979b, 85ff) sind.
Beide Bemerkungen zusammengenommen machen deutlich, dass Grice diesseits kon-
versationaler Implikaturen zumindest zwei Beiträge oder Anteile innerhalb der Gesamt-
bedeutung einer Äußerung unterschieden wissen will und für beide auch unterschiedli-
che Trägerstrukturen ins Feld führt: Auf der einen Seite das Gesagte, das an den Vollzug
des einen oder anderen zentralen Sprechakts geknüpft ist, auf der anderen Seite das kon-
ventional Implizierte, das mit einem nicht-zentralen Sprechakt verknüpft ist, dessen
Performanz den Vollzug eines zentralen Sprechakts erfordert. Inwiefern Gesagtes (im
von Grice bevorzugten Sinne) und konventional Impliziertes auseinanderzuhalten sind,
darauf werde ich weiter unten genauer eingehen.
2.2. Konventionale Implikaturen und Präsuppositionen
Eine der ersten ausführlichen Auseinandersetzungen mit dem Konzept der konventiona-
len Implikatur geht auf Karttunen/Peters (1979) zurück, die in ihrem Aufsatz „Conventi-
onal implicature“ zu zeigen versuchen, dass die seinerzeit anhaltende Kontroverse da-
rüber, wie Präsuppositionen zu analysieren seien, daher rührt, dass unter dem Begriff der
Präsupposition eine Reihe ganz verschiedener Phänomene subsumiert wird, darunter
auch das Phänomen der konventionalen Implikatur. In ihrem eigenen Analysevorschlag,
der stark an der so genannten Montague-Grammatik orientiert ist, nehmen sie u. a. sub-
junktive Konditionalsätze und die Partikel even genauer unter die Lupe. In Bezug auf die
Partikel even kommen sie zu dem Schluss,3 dass „the truth-conditional aspect of
meaning and the meaning conventionally implicated […] have to be distinguished and
treated differently by rules that specify the meaning of a complex construction.“
(Karttunen/Peters: 1979, 13) Ihr Resümee: „the two examples of so-called pre-
supposition that we have examined in detail […] are the extreme ends of the spectrum.“
(Ebd., 48) Ungeklärt bleibt allerdings die Frage, ob konventionale Implikaturen nun
Präsuppositionen oder lediglich am äußersten Ende der (fälschlicherweise?)
Präsuppositionen genannten Phänomene anzusiedeln sind.
Dass konventionale Implikaturen keine Präsuppositionen sind, zeigt sich an einer gan-
zen Reihe von Unterschieden.
Erstens: Präsuppositionen sind nichtabtrennbar.
(1) Paul bedauert, gemogelt zu haben.
(2) Paul tut es leid, gemogelt zu haben.
Sowohl (1) als auch (2) präsupponieren, dass Paul gemogelt hat. Auf der anderen Seite:
(3) Paul ist arm, aber er ist ehrlich.
3 Zu diesem Schluss gelangt auch Francescotti (1995, 172): „The word ‚even‘ does not make a truth-
functional difference.“.
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(4) Paul ist arm, und er ist ehrlich.
Mit (3) impliziert ein Sprecher konventional, dass er arme Menschen grundsätzlich für
unehrlich hält, nicht aber mit (4).
Zweitens: Trägerstruktur bzw. Auslöser von Präsuppositionen ist das Gesagte (im
strengen Sinne, also wahrheitsfunktional bestimmt), von konventional Impliziertem sind
es der Sprecher und die von ihm gewählten und verwendeten Ausdrücke (vgl. hierzu
auch den Hinweis von Grice (1979a, 248), dass es immer (oder letztlich auch) der Spre-
cher ist, der etwas andeutet oder konventional impliziert).
Drittens: Das Merkmal ‚Konstanz-unter-Negation‘ trifft auf Präsupponiertes, nicht
aber auf konventional Impliziertes zu.
(1) Paul bedauert, gemogelt zu haben.
(5) Paul bedauert nicht, gemogelt zu haben.
(1) präsupponiert ebenso wie (5), dass Paul gemogelt hat. Demgegenüber verändert sich
das konventional Implizierte erheblich, je nachdem, was negiert wird.
(3) Paul ist arm, aber er ist ehrlich.
(6) Paul ist nicht arm, aber er ist ehrlich.
(7) Paul ist arm, aber er ist nicht ehrlich.
Während (3) konventional impliziert, dass der Sprecher arme Menschen grundsätzlich
für unehrlich hält, impliziert (6), dass der Sprecher reiche Menschen grundsätzlich für
unehrlich4, und (7), dass er arme Menschen grundsätzlich für ehrlich hält.
Viertens: Während für Präsuppositionen gilt: „In order to understand the utterance,
the hearer must adjust his knowledge so that it entails whatever the speaker has pre-
supposed“ (Potts: 2005, 33), bieten konventionale Implikaturen einem Sprecher die
Möglichkeit, dem Hörer zusätzlich unbekannte oder neue Informationen zu liefern, die
nicht den Informationskern einer Äußerung ausmachen. Potts (ebd., 33f.) spricht deshalb
von einer so genannten ‚antibackgrounding‘-Bedingung, die konventionale Implikaturen,
nicht aber Präsuppositionen erfüllen. Diese Auffassung nimmt in der aktuellen For-
schungsdiskussion einen prominenten Platz ein. So bemerkt z. B. McCready (2009, 53):
„Presuppositions aim to ‚matchʻ old information to new; conventional implicatures in-
stead work to introduce new information, but information that is not ‚open to questionʻ
in the way that asserted content is; instead serving to indicate the speaker’s attitudes and
commitments.“
Fünftens: Schließt man sich den Überlegungen von Black (1962) an, denen zufolge
präsupponierte Sachverhalte weder wahr noch falsch sind, da sie selbst gar nicht be-
hauptet werden, dürften konventionale Implikaturen gerade nicht als Präsuppositionen
einzuschätzen sein. Der Grund: Konventional Impliziertes wird mitbehauptet5 – das
4 Der Einfachheit halber behandele ich arm und reich als kontradiktorischen Gegensatz, auch wenn –
Danke, Sven! – die beiden Begriffe nicht in einer solchen Relation zueinander stehen. 5 Ein Hinweis hierauf findet sich schon bei Grice (1979a, 247), der davon spricht, dass sich ein Sprecher
mit der Verwendung eines Ausdrucks wie z. B. folglich darauf festgelegt, dass etwas eine Konsequenz
von etwas anderem ist – und worauf sich ein Sprecher festlegt, ist ein wesentliches Merkmal assertiver
Sprechakte. Wie Horn (2007, 50f.) herausarbeitet, gehen letztlich auch Bach und Potts davon aus, dass
konventional Impliziertem ein ‚asserted status‘ zuzuschreiben ist.
215
jedenfalls zeigt der alltägliche Umgang mit aller Art von Impliziertem: „So we some-
times respond to an implication [gemeint sind im Original-Zusammenhang Implikaturen,
J.H.] as we would to an explicit statement, by agreeing, objecting, answering, drawing
conclusions, and so on.“ (Black: 1962, 59) Nur behauptete Propositionen können direkt
in Frage gestellt oder angezweifelt werden.6 Gerade darin unterscheiden sich konventio-
nale auch von konversationalen Implikaturen: erstgenannte haben sie, letztgenannte
haben sie nicht – „the deniability property“ (Potts: 2005, 29).7
2.3. Konventionale Implikaturen und andere Implikaturarten
Konventionale Implikaturen sind also nicht mit Präsuppositionen gleichzusetzen. Als
Implikaturen weisen sie jedoch – neben der ‚deniability property‘ – weitere Merkmale
oder Eigenschaften auf, mit deren Hilfe sie von anderen Implikaturarten unterschieden
werden können. In der Forschungsliteratur werden zumindest folgende Implikaturarten
auseinandergehalten: konventionale, nichtkonversationale, partikularisierte konversatio-
nale und generalisierte konversationale Implikaturen (vgl. Levinson: 1990, 128ff.;
Kemmerling: 1991, 324ff.; Rolf: 1994, 119ff.; Levinson: 2000 u.a.).
Von einigen anderen Implikaturarten unterscheiden sich konventionale Implikaturen
zum einen dadurch, dass sie abtrennbar sind, d.h. sie haften den sprachlichen Elementen
oder Trägerausdrücken an, auf deren Verwendung sie zurückzuführen sind, andersherum
formuliert, sie verschwinden, wenn die entsprechenden Trägerausdrücke eliminiert oder
durch andere ersetzt werden. Zum anderen unterscheiden sich konventionale Implikatu-
ren von einigen anderen Implikaturarten dadurch, dass sie nichtannullierbar sind. Das
heißt, mit der Verwendung eines Ausdrucks, der Träger einer konventionalen Implikatur
ist, legt sich ein Sprecher darauf fest, das, was konventional impliziert ist, zum Ausdruck
gebracht oder indiziert oder – wie in der Gegenüberstellung von konventionalen Impli-
katuren und Präsuppositionen deutlich geworden ist – mitbehauptet zu haben. Würde das
konventional Implizierte vom gleichen Sprecher im gleichen Atemzug in Abrede ge-
stellt, müsste er sich den Vorwurf gefallen lassen, sprachlich inkonsistent gehandelt zu
haben. Letzteres betont bereits Strawson (1952, 13ff), der sowohl im Hinblick auf Aus-
drücke wie so, consequently, therefore (vgl. ebd., 14) als auch hinsichtlich solcher Phra-
sen wie that is to say, in other words, more briefly (vgl. ebd.) geltend macht, dass die
Verwendung dieser ‚linking expressions‘ signalisiert, „that it would be inconsistent to
assert what preceds those expressions and to deny what follows them.“ (Ebd.).
2.4. Konventionale Implikaturen und das Gesagte
Nachdem nun klar geworden ist, warum konventionale Implikaturen weder mit Präsup-
positionen gleichzusetzen sind noch mit anderen Implikaturarten verwechselt werden
sollten, bleibt noch zu klären, in welchem Verhältnis konventionale Implikaturen zum
Gesagten stehen. Das Gesagte, so wie es Grice (1979b, 85f.) auffasst, ist an die
sprachlichen Elemente gebunden, die (bzw. deren Inhalte in der jeweils vorliegenden
grammatischen Konstruktion) die Wahrheitsbedingungen eines geäußerten Satzes
6 Warner (1982) zufolge soll dieses Merkmal („challengability“) für konventional Impliziertes allerdings
gerade nicht gelten. 7 Das ist auch der Grund, warum konventionale Implikata den Pronominalisierungs-Test bestehen (vgl.
hierzu Potts: 2005, 14).
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festlegen. Kommen in Äußerungen Ausdrücke vor, die nicht zum Gesagten (in diesem
Sinne) beitragen, sind solche Ausdrücke, Grice zufolge, mit nicht-zentralen Sprechakten
verknüpft, mit deren Vollzug konventionale Implikaturen einhergehen (vgl. Grice:
1979b, 89f.). Konventionale Implikaturen versteht Grice (1979a, 247f.) also als
Andeutungen, die auf der konventionellen Bedeutung bestimmter Ausdrücke beruhen,
die deshalb Andeutungen sind, weil sie keinen Einfluss auf die Wahrheitsbedingungen
eines geäußerten Satzes, in dem diese Ausdrücke vorkommen, haben.8 Das heißt, jeder
geäußerte Satz stellt den Vollzug eines zentralen Sprechakts dar, mit dem genau und nur
dann nicht-zentrale Sprechakte (und damit einhergehend konventionale Implikaturen)
verknüpft sind, wenn in ihm Ausdrücke vorkommen, die sich als Trägerstrukturen
konventionaler Implikaturen eignen.9
Nehmen wir als Beispiel noch einmal die Äußerung
(3) Paul ist arm, aber er ist ehrlich.
um uns Klarheit darüber zu verschaffen, worin genau das Gesagte besteht und was genau
das konventional Implizierte umfasst. Zum Gesagten zählt, dass die Person, auf die der
Ausdruck Paul referiert, arm ist, und – vorausgesetzt, der Ausdruck er ist koreferent zu
Paul – dass Paul ehrlich ist. Der Ausdruck aber wird zwar auch artikuliert, aber er
gehört nicht zum Gesagten, das heißt, die Bedingungen (oder vorstellbaren Situationen
oder möglichen Welten), unter denen die unter (3) genannte Äußerung wahr ist oder sich
als zutreffend erweist, bleiben die gleichen: Sie sind unabhängig davon, ob sich was
auch immer mit aber ins Spiel gebracht wird als zutreffend oder als unzutreffend
erweist.
Der Ausdruck aber für sich genommen behauptet gar nichts, nur in Verbindung mit
zwei Propositionen,10
die er verknüpft, macht er einen Sinn. Welchen genau, dass ist nur
unter Rückgriff auf die beiden Propositionen und die durch aber angezeigte und damit
anzunehmende Erwartungshaltung des Sprechers ermittelbar. Im vorliegenden Fall
könnte man der Auffassung sein, mit der Verwendung des Ausdrucks aber würde kon-
ventional impliziert,
(i) dass Paul im Gegensatz zu anderen armen Menschen, die der Sprecher in der
Mehrzahl für unehrlich hält, ehrlich ist, oder
(ii) dass der Sprecher Paul als Ausnahme von der Regel sieht, dass arme Men-
schen unehrlich sind.
Beides sind zwar mögliche Angaben der Gesamtbedeutung der Äußerung, aber keine
dezidierten Angaben des konventional Implizierten. Das konventional Implizierte ist ein
8 „In a word, conventional implicature depends on what is said, but it is insensitive to the truth values of
what is said.“ (Feng: 2010, 107) 9 Diese Auffassung teilt auch Vanderveken (1990), der ausgehend vom Merkmal der (Nicht-)Abtrennbar-
keit zu dem Schluss kommt: „conventional implicatures are only secondary aspects of sentence meaning.
In virtue of its linguistic meaning, every sentence expresses in each context a literal illocutionary act but
many sentences do not express any conventional implicature in any context.“ (Ebd., 70) 10
Vallée (2008, 424f.) macht darauf aufmerksam, dass es schlecht möglich oder schlicht unmöglich ist,
mehr als zwei Propositionen hintereinander mit aber zu verknüpfen. Entsprechend stuft er sein Beispiel
Paul is sick, but Mary went to see a movie but Peter is watching television als „cognitively dissonant“
(ebd., 408) ein.
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Inhalt, der unabhängig von Bezugnahmen auf die Person, auf die der Ausdruck Paul
referiert, anzugeben ist,11
nämlich:
(iii) dass der Sprecher arme (oder mittellose) Menschen grundsätzlich (oder
mehrheitlich) für unehrlich hält.
Der Grund hierfür ist, dass das konventional Implizierte dasselbe bleibt, auch wenn Ar-
mut und Unehrlichkeit als Eigenschaften nicht Paul, sondern dem Papst oder Lieschen
Müller zugeschrieben werden. Dass der Sprecher arme Menschen grundsätzlich für un-
ehrlich hält oder erwartet, bei armen Menschen auf Unehrlichkeit zu stoßen (= iii), sagt
der Sprecher einer Äußerung wie (3) nicht (explizit), aber er deutet es an, er impliziert es
konventional, wobei konventional hier nicht heißt, dass (iii) eine generelle Bedeutungs-
angabe von aber wäre. Konventional ist diese Implikatur deswegen, weil sie von der
Bedeutung des Ausdrucks aber getragen wird (und ebenfalls von der Bedeutung anderer
Kontrast-anzeigender Konnektoren wie dennoch, allerdings etc. getragen würde), jedoch
entfällt, wenn die Satzverknüpfung mit Hilfe einer Konjunktion wie etwa und bewerk-
stelligt wird. So gesehen weisen konventionale Implikaturen doch eine gewisse Kontext-
Sensitivität auf: Trägerstrukturen konventionaler Implikaturen sind „indicative of the
speaker’s possession of a certain thought concerning the proposition expressed. The
precise content of the thought is what is conveyed in a given utterance at a given place
and time of utterance“ (Feng: 2010, 108).
Der Kontrast, den das Vorkommen von aber anzeigt, bezieht sich – das wird an (iii)
deutlich – nicht einfach auf die beiden Propositionen, die mit Hilfe eines solchen Aus-
drucks verknüpft werden, sondern vielmehr auf das Zutreffen der beiden Propositionen
und die diesbezüglichen Erwartungshaltungen des Sprechers. Um es einmal an einem
anderen Beispiel zu veranschaulichen: Bei einer Äußerung wie
(8) Tom ist da, aber er hat seine Trompete vergessen.
(das Beispiel stammt von Blakemore: 2000, 465) zeigt der Sprecher mit aber an, dass er
Toms Erscheinen und die Tatsache, dass dieser seine Trompete nicht mit dabei hat, im
Kontrast zu seiner Erwartung sieht, dass Tom mit Trompete erscheint. Hier zeigt sich,
dass ein Kontrast-anzeigender Ausdruck wie aber nicht notwendigerweise auf eine
grundsätzliche Überzeugung oder Erwartungshaltung des Sprechers bezogen sein muss,
sondern durchaus auch einen Bezug zu einer partikularen oder sogar einmaligen Erwar-
tungshaltung aufbauen kann.
Nach dieser Abgrenzung der konventionalen Implikaturen vom Gesagten ist nun auch
klar formulierbar, worin der Unterschied zu Präsuppositionen im Grunde genommen
besteht: In Bezug auf konventionale Implikaturen stellt sich nämlich gerade nicht die
Frage „nach dem Verhältnis zwischen dem, was eine Aussage behauptet, und dem, was
sie zu diesem Zweck voraussetzt“ (Astroh: 1996, 1403), sondern vielmehr die nach dem
Verhältnis zwischen dem, was ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes anzeigt, und
dem, was er zu diesem Zweck sagt.
Was ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes anzeigt, hängt nicht zuletzt an den
Ausdrücken und Formaten, die ein Sprecher zur Äußerung verwendet. Sofern ein Spre-
11
Das sieht Bach (1994, 146) anders; er ist der Überzeugung, dass schon das Gesagte „can and should
include the relevant connective“, und dass das konventional Implizierte noch nicht einmal „in a seperate
clause“ angegeben werden müsste (oder könnte).
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cher zurechnungsfähig ist, sind die von ihm verwendeten Ausdrücke, oder zumindest ein
großer Teil von diesen, als ‚gewählte Worte‘ aufzufassen12
(nicht im Sinne von ‘hochtra-
bendʼ gemeint). Was derart Ergebnis eines Auswahlverfahrens ist, ist zwar nicht not-
wendig intentional,13
wenngleich prinzipiell bewusstseinsfähig wie Präsupponiertes.14
Es
ist aber davon auszugehen, dass die meisten Ausdrücke zumindest so vorsätzlich gewählt
sind oder werden, dass mit der Wahl eines bestimmten Ausdrucks entweder die
mögliche Wirkung der Nichtverwendung dieses Ausdrucks oder die gleichzeitige
Abwahl eines vergleichbaren Ausdrucks im Bewusstseinshorizont auftaucht, welcher –
und das ist der entscheidende Punkt – gerade nicht etwas konventional Impliziertes zur
Schlussfolgerung im Verstehen des Hörers freigeben würde. Dass dies ein
entscheidender Punkt ist, der oft übersehen wird, betont auch Saul (2002, 245): „The
notion of information which the speaker makes available to the audience is an important
and useful one, and one which all too easily goes unnoticed in discussions of
implicature.“ In Bezug auf den Bewusstseinsstatus, welcher dem Verwender eines
Ausdrucks, mit dem eine konventionalen Implikatur einhergeht, zu unterstellen erlaubt
ist, vertritt Feng (2010) eine ähnlich starke Auffassung: „To conventionally implicate
something presupposes the speaker’s sincere expression of his knowledge of his thought
with respect to the proposition expressed.“ (Ebd., 101)
Im nächsten Abschnitt werde ich zwei Positionen zum Phänomen der konventionalen
Implikatur etwas genauer unter die Lupe nehmen. Beide Positionen stellen extreme Auf-
fassungen dar, womit klar sein dürfte, dass weitere dazwischen liegende unterschieden
werden könnten, von denen allerdings aufgrund des Rahmens des vorliegenden Beitrags
keine Rede sein wird. Die erste, die eng mit dem Namen Kent Bach verknüpft ist, stellt
in Abrede, dass es konventionale Implikaturen überhaupt gibt. Die zweite Auffassung,
die ich anhand der Ausführungen von Christopher Potts und Richard Vallée diskutieren
werde, plädiert im Gegensatz dazu sogar für eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs.
3. Konventionale Implikaturen in der Forschungsdiskussion
3.1. Bach
Bach (1994, 1999) vertritt contra Grice die radikale Auffassung, dass es so etwas wie
konventionale Implikaturen gar nicht gibt (Bach: 1999, 327). Seiner Meinung nach hat
sich Grice, wie bereits in der Vorbemerkung erwähnt, mit der Kategorie der konventio-
nalen Implikatur selbst ein Kuckucksei ins Nest gelegt, das es zu entfernen gilt: „Grice’s
category of conventional implicature throws a monkey wrench into his distinction, inas-
much as conventional implicatures derive from the meaning of particulare expressions
rather than from conversational circumstances.“ (Ebd.) Seine Argumentation läuft darauf
hinaus nachzuweisen, dass „to the extent that putative conventional implicatures really
12
Vgl. Verschueren (2009, 19): „communicating with language […] consists essentially in the continuous
making of communicative choices, both in speaking and in interpreting“. 13
„Not all choices are made equally consciously or purposefully. Some are virtually automatic, others are
highly motivated“ (Verschueren: 2009, 21). 14
Vgl. Astroh (1996, 1404): „Was ein Satz anzeigt, aber nicht explizit sagt, kann nicht zuletzt eine
Voraussetzung einer Äußerung sein, die sie unabhängig davon impliziert, ob es in der Absicht des Spre-
chers liegt, zu verstehen zu geben, was sie anzeigt“.
219
are implicatures, they are not conventional, and to the extent that they are conventional
they are not implicatures.“ (Ebd., 338)
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Annahme, dass grundsätzlich zwischen
Implikaturen (im Griceschen Sinne, also konversationale Implikaturen) und den von ihm
so genannten Implikituren zu unterscheiden ist. Implikaturen folgen dem Muster p + q,
Implikituren dem Muster p q. Das heißt, im Falle von Implikaturen sagt und kommuni-
ziert ein Sprecher p und kommuniziert dabei noch etwas Zusätzliches (q). Bei Implikitu-
ren sieht das anders aus: Ein Sprecher sagt p und kommuniziert stattdessen q, wobei q
jedoch – anders als das zusätzlich kommunizierte q der Implikaturen (vgl. Bach: 1994,
140) – in einer sehr engen oder sogar unmittelbaren Verbindung zu p steht (vgl. ebd.,
126). Ich werde in den folgenden Abschnitten zeigen, dass konventionale Implikaturen
nicht zu den Implikituren zu rechnen sind und insofern ein Phänomen darstellen, mit
dem weiterhin zu rechnen ist.
Bach (1994, 125ff.) unterscheidet zwei Implikiturarten: die Vervollständigung und die
Expansion. Als Beispiel für eine Vervollständigung führt er u. a. eine Äußerung wie (9)
an.
(9) Stahl ist nicht hart genug.
Ohne eine Bestimmung dessen, wofür Stahl nicht hart genug ist, lassen sich die Wahr-
heitsbedingungen einer solchen Äußerung nicht festlegen. „Something must be added for
the sentence to express a complete and determinate proposition (something capable of
being true or false).“ (Bach: 1994, 127) Das heißt, ein Sprecher sagt zwar (9), kommuni-
ziert aber stattdessen, dass z. B. (je nach Kontext) Stahl nicht hart genug ist, um dem
Wasserdruck in 1000 Metern Tiefe standzuhalten. Bei einer Äußerung wie
(3) Paul ist arm, aber er ist ehrlich.
ist eine solche Vervollständigung nicht notwendig, um angeben zu können, unter wel-
chen Bedingungen dieser Satz wahr ist. Konventionale Implikaturen sind demzufolge
nicht zu dieser Implikiturart zu rechnen.
Als Beispiel für eine Implikitur, die Resultat einer Expansion ist, dient Bach die Äu-
ßerung
(10) Du wirst nicht sterben.
mit der eine Mutter ihren Sohn, der sich ein wenig in den Finger geschnitten hat, zu
trösten oder zu beruhigen versucht. Die Äußerung (10) drückt zwar eine vollständige
Proposition aus (und muss, um Wahrheitswerte zugeschrieben bekommen zu können,
nicht noch vervollständigt werden); kommuniziert werden soll aber anstelle dieser
Proposition (Du bist unsterblich) die folgende: Du wirst nicht an dieser Verletzung ster-
ben. „The proposition being communicated is a conceptually enriched or elaborated
version of the one explicitly expressed by the utterance itself.“ (Bach: 1994, 133) Als
weiteres Beispiel für eine Implikitur nach Art der Expansion nennt Bach die schon von
Austin (1996, 141) ins Spiel gebrachte Äußerung
220
(11) Frankreich ist sechseckig.15
Eine Äußerung dieses Satzes drückt zwar eine vollständige (wahrheitswertfähige) Propo-
sition aus, kommuniziert werden soll aber anstelle dieser Proposition eine andere, und
zwar: Frankreich ist, grob gesprochen (oder: so in etwa), sechseckig. Die durch die Äu-
ßerung eines Satzes ausgedrückte Proposition ohne deren jeweilige Expansion fasst Bach
(1994, 135) als eine Art „skeletal proposition“ auf.
Eine Implikitur in Form einer Expansion ist weniger lexikalisch determiniert als
vielmehr das Resultat eines Prozesses der konzeptuellen Sättigung (oder gedanklichen
Verstärkung), „because it is not necessary for the hearer to identify the exact words the
speaker has in mind but only what those words would contribute if they were used“
(Bach: 1994, 134). Bach/Harnish (1979, 231) sprechen in diesem Zusammenhang von
einer ‚lexikalischen Auslassung oder Unterlassung‘, Bach (1987, 77ff) von unterdrück-
tem Ausdrucksmaterial, das der Hörer rekonstruieren muss. „Completion and expansion
are both processes whereby the hearer supplies missing portions of what is otherwise
being expressed explicitly.“ (Bach: 1994, 154)
Wenn Expansionen begriffliche Anreicherungen sind, deren lexikalische Füllung
nicht fixiert ist, dann hat ein Hörer einen Sprecher richtig verstanden, wenn er z. B. über
die Äußerung (10) Du wirst nicht sterben denkt: Der Sprecher meint (im gegebenen
Kontext) nicht das, sondern: Du wirst nicht an der Verletzung sterben oder der Wunde,
nicht an dem Schnitt oder an dem erlittenen Blutverlust, an der Durchtrennung einiger
Hautzellen etc. Und ein Hörer hat einen Sprecher richtig verstanden, wenn er über die
Äußerung (11) Frankreich ist sechseckig denkt: Der Sprecher meint (im gegebenen
Kontext) nicht das, sondern Frankreich ist so in etwa, grob gesprochen, annäherungs-
weise, in groben Zügen, wenn man mit zusammengekniffenen Augen auf eine Europa-
Karte sieht, nicht ganz präzise ausgedrückt oder übliche Präzisionsstandards einmal
außer Acht lassend etc., sechseckig.16
Grices Überlegungen zu den konventionalen Implikaturen, die auch auf Ausdrücke
wie z. B. grob gesprochen, offen gesagt oder nebenbei bemerkt anwendbar sind (vgl.
Hagemann/Rolf 1997), markieren genau die entgegengesetzte Perspektive oder Argu-
mentationsrichtung: Sie gehen nicht vom Hörer aus und was dieser über eine gegebene
Äußerung denken sollte, um zu verstehen, was der Sprecher statt des Gesagten meinte
(um also anstelle von p q für wahr zu halten). Vielmehr gehen sie vom Sprecher aus und
was dieser mit Hilfe der konventionellen Bedeutung der von ihm gewählten und ver-
wendeten Wörter und Ausdrücke dem Hörer andeutet hinzuzudenken. Wenn ein Spre-
cher in einer Äußerung das-und-das lexikalische Material (wie z. B. aber, grob gespro-
chen etc.) verwendet, dann gibt er dem Hörer einen verbalen Hinweis darauf, mit Hilfe
welcher Ausdrücke er das vom Hörer zu Expandierende auf den Begriff gebracht wissen
15
Austin dient u. a. diese Äußerung dazu, nachvollziehbar zu machen, inwiefern es ebenso wie bei der
Beurteilung der Angemessenheit sprachlicher Handlungen auch bei der Beurteilung der Wahrheit eine
ganze Menge „zu betrachten und zu wägen gibt – die Tatsachen sicherlich, aber auch die Situation des
Sprechenden, die Absicht, die er beim Reden verfolgt, seine Zuhörer, Fragen der Genauigkeit usw.“
(Austin: 1996, 142). 16
Potts (2007, 668) sagt über die hier zum Ausdruck kommende mangelnde Bestimmtheit (oder positiv
ausgedrückt: Variationsmöglichkeit): „this sort of ineffability is common for CIs [gemeint sind konventi-
onale Implikaturen, J.H.], and it might further bolster the case that they constitute a separate meaning di-
mension.“
221
möchte.17
Das heißt, aus dem konzeptuellen Sättigungs-Potential à la Bach, das lexika-
lisch nicht fixiert ist und dennoch vom Hörer aktualisiert werden soll, wählt ein Spre-
cher, wenn er etwas konventional impliziert, einen bestimmten Ausdruck und deutet so
an, in welche Richtung die gedankliche Expansion zu erfolgen hat.18
Dies kann unter Umständen notwendig sein, wenn der Kontext – anders als im Falle
der Äußerung (10) Du wirst nicht sterben – keinen so eindeutigen Hinweis wie eine
kleine blutende Wunde am Finger bereithält. Aber selbst wenn ein Sprecher eine sprach-
liche Spur legt, indem er beispielsweise grob gesprochen artikuliert, gehört das Artiku-
lierte, das – Grices Auffassung folgend – Träger der konventionalen Implikatur ist, nicht
zum Gesagten, und zwar aus zwei Gründen. Erstens verändert es, wie weiter oben bereits
dargelegt, nicht die Wahrheitsbedingungen des geäußerten Satzes, in dem der Ausdruck
vorkommt; und zweitens gibt das Artikulierte lediglich die Richtung an, in der das Hin-
zuzudenkende vom Hörer gefunden werden kann, es handelt sich also eher um eine An-
deutung.
Um den Unterschied zwischen konventionalen Implikaturen und konversationalen
Implikituren nach Art einer Expansion auf den Punkt zu bringen: Träger konversationa-
ler Implikituren ist der Kontext, Resultat der Expansion ist q statt p. Träger konventio-
naler Implikaturen sind bestimmte sprachliche Ausdrücke, Resultat bei mitverstandenem
Implikatum ist p und q. Hier wird deutlich, dass konventionale Implikaturen à la Grice
keine Implikituren (nach Art der Expansion) à la Bach sein können,19
wohl aber dem
allgemeinen Muster von Implikaturen (siehe oben: p + q) à la Grice folgen.
Das heißt, um auf die Äußerung
(3) Paul ist arm, aber er ist ehrlich.
zurückzukommen: Ein Sprecher, der einen solchen Satz äußert, sagt, dass Paul arm ist,
und er sagt, dass er ehrlich ist, und er kommuniziert noch zusätzlich, indem er es andeu-
tet, ohne es zu sagen, dass er arme Menschen grundsätzlich für unehrlich hält. Letzteres
kommuniziert er allerdings keineswegs anstelle des Gesagten, es handelt sich vielmehr
um eine „additional proposition“ (Bach: 1999, 351ff.).
Bach scheint also – wenn er annimmt, dass es so etwas wie eine ‚additional proposi-
tion‘ überhaupt geben kann – letztlich nicht ausschließen zu wollen (oder zu können),
dass die von ihm so genannten ACIDs (alleged conventional implicature devices) einen
propositional gehaltvollen Beitrag leisten: „If what is said can comprise more than one
proposition, the presence of an ACID can be responsible for one of them.“ (Ebd., 351)
Allerdings rechnet er diesen ‚Import‘ im Zuge seiner Entfernung des Kuckuckseis dann
doch dem Gesagten (à la Grice) zu.
Die (Rest-)Klasse dieser Ausdrücke, die weder zum Gesagten beitragen noch eine
Implikitur darstellen und dennoch einen Beitrag zur Gesamtbedeutung einer Äußerung
17
Vgl. auch Blakemore (2000, 472), die Ausdrücke wie aber als „linguistically encoded means for
constraining the interpretation process“ behandelt wissen möchte. 18
Das sieht auch Potts (2005, 7) so: „CI expressions [gemeint sind Trägerstrukturen konventionaler Im-
plikaturen, J.H.] are used to guide the discourse in a particular direction or to help the hearer to better un-
derstand why the at-issue content is important at that stage.“ 19
Das legt Bach (1999, 349) am Ende seiner Argumentation, die darauf abzielt, das Kuckucksei der
konventionalen Implikatur zu knacken, selbst nahe, wenn er sagt: „So context sensitivity is irrelevant to
conventional implicature“.
222
leisten, ohne als konventionale Implikatur aufgefasst werden zu müssen, bezeichnet
Bach (1999, 356ff.) als „utterance modifiers“: „As vehicles for performing second-order
speech acts, utterance modifiers characterize some aspect of the first-order speech act
performed in uttering the rest of the sentence.“ (Ebd., 356) Ihre Funktion besteht darin,
dass mit ihrer Verwendung ein Kommentar zur Äußerung, in der sie vorkommen, abge-
geben wird. In Bachs Taxonomie solcher Ausdrücke, die zweitrangige illokutionäre
Kräfte enkodieren (vgl. ebd., 360), finden sich
(a) topicals (nebenbei bemerkt),
(b) positionals (um es zusammenzufassen),
(c) additives (darüber hinaus),
(d) illustratives (zum Beispiel),
(e) conclusives (folglich),
(f) concessives (allerdings),
(g) contrastives (aber),
(h) formulationals (mit anderen Worten),
(i) emphatics (gelinde gesagt),
(j) veracitives (offen gesagt),
(k) secretives (unter uns),
(l) relationals (von Mann zu Mann),
(m) mitigatives (wenn ich kurz unterbrechen darf) und
(n) explanatories (bevor ich es vergesse).
Bach (ebd., 360ff.) zufolge fallen ‚utterance modifiers‘ aus dem semantischen Satzrah-
men, da sie eine Ebene darüber virulent oder operativ sind: „they encode speech act
information.“ (Ebd., 361) Welcher Art diese Verschlüsselung von Sprechaktinformation
ist und welche Auswirkungen sie auf die illokutionäre Kraft des jeweiligen zentralen
Sprechakts, in die sie eingeschrieben sind, haben, bleibt bei Bach letztlich ungeklärt.
Über seine Taxonomie, in der er „some Austinesque neologisms“ (ebd., 356) zur Kate-
gorisierung verwendet und die er sowohl für ausbaubar als auch für verfeinerbar hält,
sagt er lapidar: „The labels for the following categories should be self-explanatory.“
(Ebd.)
An anderer Stelle – und deswegen soll es hier nicht erneut geschehen – habe ich aus-
führlich dargelegt, inwiefern solche Ausdrücke in eine systematische Verbindung mit
den Griceschen Konversationsmaximen (verstanden als Maximen für assertive Sprech-
akte) zu bringen sind (vgl. Hagemann 1997; 2001); und mit Eckard Rolf zusammen, wie
sie als Ausdrucksmittel für spezielle Ausprägungen einer der Komponenten der illokuti-
onären Kraft des zentralen Sprechakts (des ‚first-order speech acts‘, wie Bach es nennen
würde) dafür sorgen, dass die Äußerung des Satzes, in dem sie vorkommen, als Vollzug
eines speziellen illokutionären Akts gilt (vgl. Hagemann/Rolf 1997; zu einer Analyse
unter Einschluss formulierungsdynamischer und sequentieller Aspekte vgl. Hagemann
2009).
223
Nachdem ich nun einige Punkte vorgebracht (und auf einige bereits vorgebrachte
verwiesen) habe, die zeigen sollten, dass Bachs Nicht-Existenz-Erklärung konventiona-
ler Implikaturen inakzeptabel oder zumindest überdenkenswert ist, sollen im folgenden
Abschnitt ausdrückliche und auf eine Erweiterung des Gegenstandsbereichs abzielende
Existenz-Erklärungen kurz dargestellt und im Anschluss ansatzweise systematisiert wer-
den.
3.2. Potts und Vallée
In seiner Monographie über konventionale Implikaturen ist es für Potts (2005, 5) von
Anfang an wichtig, das Phänomen der konventionalen Implikatur nicht auf die „textbook
examples (therefore, even, but and its synonyms)“ zu reduzieren. Ihre Allgegenwart
unterteilt er im vorangestellten Abstract seiner Dissertation in zwei Klassen oder Fami-
lien: „(i) supplements, including appositive relatives, nominal appositives, As-parentheti-
cals, speaker- and topic-oriented adverbs, and utterance modifiers […]; and (ii) ex-
pressives, including adjectives like damn, the descriptive content of epithets, some kinds
of subjunctive voice, and honorification.“ (Potts 2003b, ix) Gemeinsames Merkmal:
„They are speaker-oriented comments on a semantic core (at-issue entailments)“ (Potts
2005, 11) und gehören gerade deswegen nicht zum Gesagten à la Grice.20
Potts formal-
semantische Ausführungen, die letztlich in syntaktischen Modellierungen und ‚parse-
tree‘-Interpretationen münden, laufen darauf hinaus, das, was er unter konventionalen
Implikaturen subsumiert, als einen eigenständigen Bedeutungsaspekt aufzufassen, und
zwar neben Präsuppositionen, dem Gesagten und dem konversational Implizierten. Was
immer davon zu halten ist, meinen Vorschlag für eine Einteilung des Bedeutungsbe-
reichs werde ich am Ende dieses Beitrags vorstellen.
Bedenkenswert ist auf jeden Fall der Hinweis, auch Expressives (wie Interjektionen,
wertende Adjektive etc.) als mit konventionalen Implikaturen verknüpft aufzufassen
(vgl. schon Potts 2003a). So weist Potts (2005, 158f.) zufolge ein Ausdruck wie z.B.
damn in
(12) Ed refuses to look after Sheila’s damn dog.
exakt die gleichen Eigenschaften auf wie solche Ausdrücke, mit denen konventionale
Implikaturen einhergehen: Die konventionelle Bedeutung dieses expressiven attributiven
Adjektivs leistet keinen Beitrag bei der Festlegung der Wahrheitsbedingungen des geäu-
ßerten Satzes, in dem es vorkommt; obwohl artikuliert, zählt damn nicht zum Gesagten,
der Ausdruck zeigt vielmehr eine bestimmte emotionale Einstellung des Sprechers an;
die mit dem Vorkommen von damn einhergehende Andeutung ist abtrennbar; und sie ist
nichtannullierbar.
Die zugrundeliegende Idee ist, „that CI items [gemeint sind Trägerstrukturen, mit de-
nen konventionale Implikaturen einhergehen, J.H.] comment upon an asserted core.“
(Potts 2005, 153) Gleiches gilt, wie oben bereits gezeigt, ebenfalls für Ausdrücke wie
aber, folglich etc. sowie für Ausdruckskomplexe wie grob gesprochen, offen gesagt oder
nebenbei bemerkt.
20
Feng (2010, 72) kritisiert allerdings Potts Folgerung, dass, wenn die konventionale Bedeutung einer
Äußerung aufteilbar sei in wahrheitsfunktionale Komponenten und konventional Impliziertes, „no lexical
items contribute to both“ (ebd.), als zu stark.
224
Was all diesen Ausdrücken gemeinsam ist, bringt Vallée (2008) schließlich auf den
Punkt: „[…] they qualify content without being part of it.“ (Ebd., 407) Vallée schlägt
deshalb zu Recht vor, die Gesamtheit möglicher Trägerstrukturen konventionaler Impli-
katuren unter der Rubrik „View on Content Devices“ (ebd.) zu fassen. Eine vergleich-
bare Auffassung vertritt auch Feng (2010), der das Merkmal der Subjektivität mit kon-
ventionalen Implikaturen verknüpft wissen will: “I have defined conventional implica-
ture as a private thought with regard to the proposition expressed.“ (Ebd., 84)
4. Zum illokutionslogischen Status konventionaler Implikaturen
Wenn nun nicht nur die ‚textbook-examples‘ aber, folglich etc. und solche ‚utterance
modifiers‘ wie grob gesprochen, offen gesagt etc., sondern auch Expressives (damn etc.)
nachweislich zum Gegenstandsbereich konventionaler Implikaturen zu zählen sind, dann
scheinen konventionale Implikaturen tatsächlich alles andere als ein Mythos (Bach 1999)
zu sein. Im Gegenteil: Es ist offenbar weiterhin davon auszugehen, dass die Trä-
gerstrukturen konventionaler Implikaturen nicht-zentrale Sprechakte realisieren, die an
den Vollzug eines zentralen Sprechakts geknüpft sind, mit dem wiederum der zentrale
propositionale Gehalt verknüpft ist. Sie sind Teil der Gesamtbedeutung einer sprachli-
chen Äußerung, sie bauen auf dem (präsematisch pragmatisch angereicherten) propositi-
onalen Gehalt auf oder knüpfen an diesen an und leisten einen Bedeutungsbeitrag, indem
sie dem Ganzen eine gewisse Richtung verschaffen: Als Indikatoren spezieller Aus-
prägungen der illokutionären Kraft des zentralen Sprechakts, den sie begleiten, stellen
sie Interpretationshilfen für das intendierte ‚uptake‘ (im Sinne Austins)21
durch den
Kommunikationspartner dar.
Ob nun modifizierend, qualifizierend oder kommentierend – in jedem Fall können die
‚View on Content Devices‘ (VCD) als Indikatoren für Illokutionskraft-Komponenten
identifiziert und der Illokutionslogik zufolge als Modifikatoren der jeweils zugrundelie-
genden illokutionären Kraft aufgefasst werden. Welche der sechs Illokutionskraft-Kom-
ponenten (illokutionärer Zweck, Durchsetzungsmodus des illokutionären Zwecks, Be-
dingungen des propositionalen Gehalts, vorbereitende Bedingungen, Aufrichtigkeitsbe-
dingung und Stärkegrad der Aufrichtigkeitsbedingung, vgl. Vanderveken 1991) auch
immer im konkreten Einzelfall eine Rolle spielen mag, involviert sind meiner Ansicht
nach immer auch zwei der Komponenten der Illokutionskraft des zentralen Sprechakts,
auf dem die VCD operieren, und zwar die Komponente der Aufrichtigkeitsbedingung
und die des propositionalen Gehalts.
Dass es die Komponenten der Aufrichtigkeitsbedingung und des propositionalen Ge-
halts sind, die in diesem Zusammenhang relevant sind, gesteht auch Feng (2010) zu –
unter der Voraussetzung, dass auf eine Weiterentwicklung der Sprechakttheorie, die den
Stand der klassischer Prägung überwindet, zurückgegriffen werden kann:
The import of expressions such as so and but cannot be accounted for within speech act theory (at least not in the standard conception of this notion), because by using such expression, the speaker is not performing any speech acts, but rather marking a mental state of his own with respect to the propositional content of the utterance. (Ebd., 91)
21
Vgl. hierzu z. B. Lanigan 1975; Petrus 2005 sowie Petrus 2011.
225
Die im relevanztheoretischen Paradigma arbeitende Blakemore (2000) merkt zwar kri-
tisch an:
[…] one would have to say that acts signalled by the non-truth conditional discourse con-nectives – for example, but, so, moreover and after all – are individuated not by their illocu-tionary properties but by their propositional content […]. That would mean that these ex-pressions are not after all being analysed as illocutionary force indicators, but are being treated as indicators of something propositional. (Blakemore: 2000, 466)
– dass aber der propositionale Gehalt auch als Komponente einer Illokutionskraft aufzu-
fassen ist, kommt für sie offenbar nicht in Betracht. Das sieht etwa Dascal (1994) –
Searle auslegend – anders:
Illocutionary acts have satisfaction conditions, which closely parallel truth conditions. These acts and their components are related via entailments and other logical relations, whose elu-cidation is the job of illocutionary logic. The meaning of certain expressions are character-ized in terms of their role in the performance of certain speech acts, to which they are linked either logically or quasi-logically. (Dascal: 1994, 329)
Im Rahmen der Illokutionslogik (vgl. hierzu Searle/Vanderveken 1985; Vanderveken
1990; Rolf 1997b) wird die illokutionäre Kraft als Eigenschaft einer Äußerung aufge-
fasst, die in Komponenten zerlegt bzw. aus Komponenten bestehend dargestellt werden
kann,22
deren (Vorliegen und) spezifische Ausprägung eine Erfassung spezieller
illokutionärer Akte ermöglicht. Die Erfassung spezieller illokutionärer Akte wiederum
erlaubt einen (gegenüber der Searleschen Einteilung in die fünf Klassen illokutionärer
Akte) möglichen tokens gerechter werdenden Blick und somit einen differenzierteren
Zugriff auf diesen Aspekt sprachlich geschaffener Realität. Mit illokutionären Kräften
mit besonderen Ausprägungen in einer ihrer Komponenten wird ein spezieller illokutio-
närer Akt vollzogen.
Dabei kann die besondere Ausprägung in einer der Komponenten der zugrundeliegen-
den Illokutionskraft mit dem konventional Implizierten koinzidieren. Nicht-zentrale
Sprechakte, mit denen konventionale Implikaturen einhergehen, „sind mögliche Reali-
sierungsformen einzelner Komponenten der illokutionären Kraft.“ (Hagemann/Rolf
1997, 159)
Nach Maßgabe ihrer Qualifikationsleistung lassen sich Trägerstrukturen konventio-
naler Implikaturen meines Erachtens zumindest in folgende Bereiche einteilen oder bün-
deln.
(i) Junktoren (oder zweistellige Konnektoren, vgl. Pasch et al:. 2003, 12) wie
aber, folglich etc., mit deren Einsatz propositionale Verknüpfungen unter-
schiedlicher Qualität angezeigt werden, die in einer bestimmten Relation zu
den diesbezüglichen Einstellungen oder Überzeugungen des Sprechers ste-
hen.
(ii) (Einstellige) Einstellungsausdrücke (Adverbien, Interjektionen, wertende
Adjektive etc.) wie leider, juhu, verdammt etc., mit deren Verwendung
propositionale Einstellungen unterschiedlicher Qualität indiziert werden.
22
Die zugrundeliegende Auffassung, nach der auch die so genannten elementaren sprachlichen Handlungen
komplexe Phänomene sind (vgl. z. B. Ehlich: 1989, 155), scheint allgemein akzeptiert bzw. unstrittig zu
sein.
226
(iii) ‚utterance modifiers‘ wie grob gesprochen, nebenbei bemerkt etc., deren
Verwendung anzeigt, dass dem propositionalen Gehalt der zugrundeliegen-
den Äußerung ein spezieller kommunikativer Status zuzuschreiben ist.
Um dies abschließend an einem Beispiel (in leichter Abwandlung des oben genannten
Blakemoreschen Beispiels) zu demonstrieren: Im Kontrast zu einer vergleichbaren il-
lokutionären Kraft, die sich von den nachfolgend genannten illokutionären Kräften nur
darin unterscheidet, die jeweilige Spezifizierung gerade nicht aufzuweisen, wie z. B. bei
der Behauptung
(13) Tom ist ohne Trompete angekommen.
stellen die folgenden Äußerungen
(14) Tom ist angekommen, aber ohne Trompete.
(15) Leider ist Tom ohne Trompete angekommen.
(16) Tom ist, nebenbei bemerkt, ohne Trompete angekommen.
der Reihe nach eine kontrastierende Behauptung (vgl. (i)), eine Bedauernsäußerung (vgl.
(ii)) und eine Nebenbemerkung (vgl. (iii)) dar – allesamt Äußerungen, mit denen im
Vergleich zu (13) speziellere illokutionäre Akte realisiert werden.
5. Partikeln-im-Sinn-erweiternde Illustration
Würde ich auf die Frage, ob es konventionale Implikaturen gibt, abschließend antworten,
würde ich sagen
(16) Aber ja.
oder mehr umgangssprachlich (oder auch etwas flapsiger)
(17) Klar doch.
Mit diesen (fast) kürzesten aller Antworten würde ich konventional implizieren: Meine
Überzeugung, dass es konventionale Implikaturen gibt, steht im Kontrast zu jener, von
der ich glaube, dass es die des Fragestellers ist (dieses Implikatum passt eher zu Antwort
(16)), bzw. meine Überzeugung, dass es konventionale Implikaturen gibt, steht im Kon-
trast zur erwarteten Antwort des Fragestellers, wenn ich ihn gefragt hätte (17).
6. Nachbemerkung
Grice sieht die Gesamtbedeutung einer Äußerung in zweierlei Weise aufteilbar:
First, one may distinguish, within the total signification, between what is said (in a favored
sense) and what is implicated; and second, one may distinguish between what is part of the conventional force (or meaning) of the utterance and what is not. (Grice: 1978, 113)
Dahinter steckt die Idee, dass es im Grunde genommen drei (welche auch immer) Sig-
nifikationsebenen zu unterscheiden gibt oder gilt: Laut Grice (1978, 113): „what is said,
what is conventionally implicated, and what is nonconventionally implicated“; nach
Recanati (1993, 236): „sentence meaning, what is said, and what is communicated“; oder
227
– um den in Abschnitt 3.1 besprochenen Vorschlag von Bach (1999) noch einmal
aufzugreifen – die Ansetzung eines „middle ground between what is said (explicit con-
tent) and what is implicated“ (Bach 1994, 141), wo die so genannten conversational
implicitures anzusiedeln sind.
Sparsamkeitsprinzipien hin, Ockhams Rasiermesser her: Was an den genannten Un-
terscheidungen meines Erachtens grundsätzlich problematisch ist, ist die Tatsache, dass
sie auf einer Verschränkung von Dimensionen beruhen, die besser auseinanderzuhalten
sind: dem Repräsentierten und dem Kommunizierten. Auseinanderzuhalten sind sie –
wie auch Bedeutung und Gebrauch auseinanderzuhalten sind (vgl. Rolf: 1994, 22) –
deswegen, weil nicht in allen Fällen (nur) das Repräsentierte auch kommuniziert werden
soll: in einigen Fällen soll etwas Zusätzliches, in anderen etwas das Repräsentierte Erset-
zendes kommuniziert werden.
In der Dimension des Repräsentierten lässt sich mit einigem Recht unterscheiden zwi-
schen
(I) der elementaren Proposition bzw. dem Propositionsradikal bzw. der Aus-drucksbedeutung, die die Wahrheitsbedingungen festlegt, und
(II) der konkreten (vervollständigten, kontexteingebundenen) Äußerungsbedeu-
tung, die die Zuordnung von Wahrheitswerten in Bezug auf eine Situation
oder mögliche Welt ermöglicht – an anderer Stelle (Hagemann 1997; 2001)
Diktum genannt.
Trägerstrukturen der Ausdrucksbedeutung (I) sind diejenigen sprachlichen Elemente,
Konstruktionen und Formate, die notwendig sind, damit wir angeben können, unter wel-
chen Bedingungen das Repräsentierte wahr ist. Zur Bestimmung der Äußerungsbedeu-
tung (II) sind alle wahrheitsfunktional nicht-notwendigen sprachlichen Elemente sowie
kontextuell determinierte Variablen relevant.
In der Dimension des Kommunizierten ergibt sich folgendes Bild: Was ein Sprecher
zu verstehen zu geben beabsichtigt (Untersuchungsgegenstände der Pragmatik in diesem
Sinne sind allesamt Sprecher-Bedeutungen), liefert den Input für drei unterscheidbare
Signifikationsebenen (vgl. Rolf o. J.):
(A) das Wörtliche (Sprechakte),
(B) das Indirekte oder Mit-Gemeinte (Implikaturen) und
(C) das Stattdessen-Gemeinte (Redefiguren).
Zu (A): Ein Sprecher meint, was er sagt, d. h., er sagt p und meint p. Der von einem
Sprecher vollzogene Sprechakt soll als genau der aufgefasst werden, als der er konventi-
onellerweise aufgefasst wird.
Zu (B): Ein Sprecher meint, was er sagt (p), und meint zusätzlich noch etwas darüber
Hinausgehendes (q). Das gilt für Searles indirekte Sprechakte und für Grices Implikatu-
ren. In beiden Fällen wird p gesagt und p + q gemeint (also q mitgemeint).
Zu (C): Ein Sprecher meint nicht, was er sagt (p), sondern an Stelle dessen etwas anderes
(q). Das trifft zum Beispiel auf Metaphern zu: Mit einer Äußerung wie Paul ist ein
228
Schwein meint ein Sprecher ja nicht, dass die Person, auf die mit Paul referiert wird, ein
Tier mit rosa Haut und Ringelschwänzchen ist, sondern statt dessen: Dass dieser Jemand
verfressen ist oder unordentlich oder – gegen die Etikette verstoßend – am Tisch beim
Mittagessen laut gerülpst hat. Der Signifikationsebene C zuzuordnen sind auch Bachs
Implikituren (zumindest die nach Art der Expansion). Mit einer Äußerung wie Du wirst
nicht sterben (wenn sich jemand ein wenig in den Finger geschnitten hat) meint ein
Sprecher ja nicht: Du bist unsterblich, sondern stattdessen: Du wirst nicht an dieser klei-
nen Verletzung sterben.
Der Unterschied der beiden Ausdifferenzierungen ist perspektivisch bedingt: (I) und (II)
sind potentielle Bedeutungen, (A), (B) und (C) aktual Kommuniziertes. Interessant ist
nun, wie die Schnittstelle zu modellieren ist. Ich plädiere dafür, sowohl (II) als auch
mindestens oder im einfachsten Fall (A) dem Geschehensfall zuzuordnen. Die konkrete
Äußerungsbedeutung ergibt sich mit der Bestimmung der Sprecher-Origo, der Fixierung
deiktischer Ausdrücke, der Disambiguierung mehrdeutiger Ausdrücke, der Ellipsen-Ex-
plikation und der Bestimmung des konventional Implizierten. Dies alles setzt aber vor-
aus, dass die Ausdrucksbedeutung (I) überhaupt um kontextuell determinierte Variablen
und konventionell Angezeigtes vervollständigt werden kann, was wiederum voraussetzt,
dass sie situationseingebunden ist, was letztlich bedeutet, dass sie von jemandem als der-
und-der Sprechakt (A) vollzogen sein muss.
Das heißt, nur im Geschehensfall – als Vorkommnis, als token, als Element aus der
Menge der „instantiated pragmatic acts (for short: ‚ipras‘ or ‚practs‘)“ oder „situated
speech acts“ in der Terminologie von Mey (2001, 220) – ist die Äußerungsbedeutung
bestimmbar und damit zugleich der vollzogene Sprechakt bestimmt. Genau an dieser
Stelle zeigt sich, warum zwischen der Äußerungsbedeutung (II) und wörtlicher Bedeu-
tung (A) weniger eine Grenze, nämlich die zwischen Semantik und Pragmatik, verläuft,
als vielmehr ein Überschneidungsbereich vorliegt, der eine wechselseitige Bezugnahme
von Semantischem und Pragmatischem anfordert – denn, um es auf den Punkt zu
bringen: „Man kann nichts sagen, ohne etwas zu meinen.“ (Rolf: 1994, 82)
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