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MENSCHEN FÜR ANDERE Nr. 1 | 2015 Das Magazin der Jesuitenmission Mitten am Rand

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Page 1: Heft 01, 2015

MENSCHEN FÜR ANDEREN

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Das Magazin der Jesuitenmission

Mitten am Rand

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Liebe Freundinnen und Freundeunserer Missionare und Partner weltweit!

Besuche bei unseren Projektpartnern machen mir immer wieder bewusst: Die Kirche ist lebendig und wirkt. Gemeindearbeiter in Afrika, Priester und Schwestern in China und Freiwillige in Lateinamerika machen deutlich: wir sind mitten drin in den Rand-gebieten der Gesellschaft und unserer Welt. Tatsächlich engagieren sich immer wieder Ordensleute und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gerade da, wo den Menschen keine andere Hilfe zukommt. Wenn staatliche Gesundheits- und Schulsysteme noch nicht oder nicht mehr funktionieren, oder wenn Gewalt und Willkür herrschen, dann sind oft kirchliche Gemeinschaften für die Menschen da.

Mitten am Rand. Das vorliegende Heft führt Sie hinein in Erfahrungen von Jesuiten, Jesuit Volunteers, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihrem Engagement für Menschen in Not auf der ganzen Welt. Solidarität bekommt im Südsudan eine neue Dimension, wo Ordensgemeinschaften zusammen leben und wirken, um der Not Einhalt zu gebieten und die Entwicklung anzukurbeln. Mitbrüder und Helfer engagieren sich aber auch im Nahen Osten. Flüchtlinge in Syrien und im Nordirak brauchen Nothilfe. Die können wir gewährleisten, weil wir Jesuiten bereits dort tätig sind, wo Menschen vertrieben wurden. Wir gehen mit ihnen, begleiten sie und können so effektiv helfen.

Erfahrungen mit der Entwicklungsarbeit der Jesuiten machen jedes Jahr unsere Jesuit Volunteers. Doch wie fühlt es sich an, wenn man ein Jahr lang Mitten am Rand gelebt hat und nun wieder in den gewohnten Alltag Österreichs zurückkehrt?

Bei der Redaktionsarbeit zum vorliegenden Heft ist uns erneut deutlich geworden, wie vielfältig und intensiv das Engagement der Jesuiten in der Welt ist. Dafür legen wir gerne Rechenschaft ab. Gleichzeitig wissen wir, dass ohne die Unterstützung unserer Freunde und Gönner alle unsere Bemühungen nicht finanziert werden könnten.

Ich danke Ihnen für all Ihre Hilfe!

Hans Tschiggerl SJ MENSCHEN FÜR ANDERE

EDITORIAL

ImpressumMENSCHEN FÜR ANDERE Das Magazin der Jesuitenmission, 2015 – Heft 1Medieninhaber und Herausgeber: Missionsprokur der Gesellschaft Jesu in Österreich, Mag. Johann Tschiggerl SJ, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1, A-1010 Wien, Tel +43 01 5125232-56, [email protected], www.jesuitenmission.atRedaktion und Gestaltung: Hans Tschiggerl, Katrin Morales, Magdalena Weber, Pascal Meyer. Druck: LDD CommunicationZiel der Publikation: Information der Spender über die aktuellen Entwicklungen in den Hilfsprojekten.Bildnachweis: Titelbild: Benjamin Furthner SJ im Flüchtlingslager Kakuma in Kenia, Ruth Zenkert Romaprojekt Elijah in Rumänien, Markus Inama SJ Concordia in Bulgarien, Michael Ströhle Schulprojekt in Nordindien, Luis Gutheinz SJ Lepradorf in China. Rücktitel Nordirak: Jesidische Flüchtlinge in einem verfallenen Bauernhof. Jesuitenmission.

Österreichische Post AG / Sponsoring Post, 13Z039521S. ZVR Zahl 530615772, SO 1345

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Papst Franziskus hat das Jahr 2015 zum »Jahr der Orden« erklärt. „Die Gegenwart mit Leidenschaft zu le-

ben und die Zukunft voll Hoffnung ergrei-fen“, sind für ihn dabei zwei Ziele. Trotz Nachwuchsproblemen in vielen Ländern sind Orden eine sehr wichtige Säule der Weltkirche. Über 700.000 Ordensfrauen und mehr als 180.000 Ordensmänner ar-beiten weltweit in Pfarreien sowie in Bil-dungs- und Sozialeinrichtungen.

Hilferuf aus dem SüdsudanEine Initiative, in der Männer und Frauen verschiedener Orden auf neue Art und Weise zusammenarbeiten, findet sich im Südsudan. »Solidarity with South Sudan«, Solidarität mit Südsudan, nennt sich das Projekt. „Den Anstoß für Solidarity gaben die südsudanesischen Bischöfe im Jahr

2004“, erzählt Anne Carthy, die als Direk-torin für Entwicklung und Fundraising von London aus für »Solidarity« arbeitet. „Die Bischöfe baten die katholischen Ordensgemeinschaften um Unterstützung für ihr Land. Denn es mangelte an allem: an Infrastruktur, Bildung, an einem funk-tionierenden Gesundheits- und Land-wirtschaftssystem. Die Antwort auf den Hilfeschrei der südsudanesischen Kirche war beeindruckend: Neunzehn Ordens-gemeinschaften machten sich auf den Weg in den Südsudan, wo sie als Kran-kenschwestern und Lehrer Unterstützung leisteten. Die Initiative ist seitdem immer weiter gewachsen. Inzwischen kooperieren wir mit über 260 Frauen- und Männer- orden und vielen internationalen Hilfsor-ganisationen.“

Verschiedene Ordensgemeinschaften setzen sich in der Initiative „Solidarity with South Sudan“ gemeinsam für die Menschen im Südsudan ein.

Mit Leidenschaft leben

Ordensleute im Süd-

sudan: Sr. Celine aus

Kanada (oben)

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Eine bestechende IdeeDie Idee hinter »Solidarity« ist beste-chend: Anstatt dass jede Ordensgemein-schaft ihr eigenes Projekt im Südsudan aufbaut, schließen sie sich zusammen und leben auch gemeinsam in ordensüber-greifenden Kommunitäten. „Wir sind an fünf Orten im Südsudan: in Juba, Yambio, Wau, Riimenze und Malakal“, zählt Schwester Yudith Pereira Rico auf. Die zupackende Spanierin hält in Rom die Fäden der Initiative zusammen. „Wenn wir für unsere Projekte einen Lehrer, eine Ärztin, eine Hebamme, eine Verwaltungs-fachkraft oder jemanden mit Erfahrung in der Landwirtschaft brauchen, schicken wir eine Mail an unsere Mitglieder, und die Orden, die jemanden schicken kön-nen, melden sich bei uns.“ In den Kom-munitäten von »Solidarity« stoßen ganz verschiedene Kulturkreise und Ordens-traditionen aufeinander: Schwestern aus Tansania, Myanmar, Vietnam, Kanada und Brasilien leben mit Ordensmännern aus Kenia, Indien, Sri Lanka und den USA zusammen. „Das ist für uns alle sehr bereichernd“, strahlt Schwester Yudith. „Natürlich brauchen einige etwas mehr Zeit, um sich einzugewöhnen. Wir hatten zum Beispiel einen Pater aus Indien, der nicht damit klar kam, sich selbst um seine Wäsche zu kümmern. Das war gar keine böse Absicht, sondern er war aus Indien gewohnt gewesen, dass so etwas selbstver-ständlich die Schwestern für ihn machen.“

Waffen und Gewalt»Solidarity« engagiert sich im Südsudan in vier Bereichen: Bildung, Gesundheit, Pastorales und Landwirtschaft. Es gibt zwei Ausbildungszentren für Lehrer, ein Gesundheitsinstitut, in dem Kranken-schwestern und Hebammen ausgebildet werden, zwei Landwirtschaftsprojekte und ein Pastoralprogramm, das sich vor allem

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auf Friedens- und Versöhnungsarbeit kon-zentriert. „Die Situation im Land ist nach wie vor sehr instabil“, beobachtet Schwe-ster Yudith, die erst kürzlich alle Projekte im Südsudan besucht hat. „Sowohl die Regierungspartei als auch die Armee sind in verschiedene Fraktionen unterteilt und alle haben sich wieder bewaffnet. Es ist im Südsudan so leicht an Waffen zu kom-men, dass jede Streiterei auf der Straße mit einem Schusswechsel endet. Die politische Situation ist sehr komplex: während die Regierung Wahlen für den 30. Juni aus-gerufen hat, halten die Opposition und die USA das für verfrüht, weil vereinbarte Schritte des Friedensprozesses noch nicht umgesetzt wurden. In drei Provinzen wird weitergekämpft und auch in anderen Regionen leidet die Bevölkerung unter fehlender Sicherheit. Alle fürchten neue bewaffnete Konflikte.“

Bilder links:

Dr. Mariana aus Italien, P. Callistus aus Sri

Lanka und Sr. Dorothy aus Neuseeland.

Bilder rechts:

Kinder durchsuchen die Asche zerstörter Häuser.

Blauhelme auf Patrouille.

Lalob-Blätter gegen den Hunger.

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Ein geplündertes CollegeEs sind schwierige Bedingungen, un-ter denen die Ordensleute von »Solida-rity« arbeiten. Aber sie geben nicht auf. Schwester Barbara schreibt im November 2014 von ihrer Rückkehr in das zerstörte Malakal: „Ich konnte nicht einmal die Straßen in der Stadt wiedererkennen, so zugewachsen ist alles, nur ein Pfad zwi-schen Gestrüpp und Trümmern ist ge-blieben. Unser College ist zerstört, alle Türen und Fenster sind zerbrochen und alles wurde mitgenommen, sogar die So-larpanel, Computer, Bücher und Möbel. Offensichtlich hatten Soldaten oder Re-bellen hier Unterschlupf gefunden und es gab heftige Kämpfe. Auf dem Markt sah ich, dass einige unserer Bücher zum Kauf angeboten wurden. Wir haben eine Siedlung aus Bambus- und Zelthütten be-sucht, in denen Flüchtlinge untergekom-men sind. Inmitten dieser unerträglichen Armut wurden wir so herzlich begrüßt und aufgenommen. Wir haben unter ih-nen mindestens zehn unserer Lehrer wie-dergetroffen. Die Leute sagen uns, dass sie beginnen, jegliche Hoffnung zu verlieren und dass wir sie nicht vergessen mögen. Wir haben viele weitere Flüchtlingslager besucht und wir werden Lehrer finden und ausbilden, damit sie in den Lagern unter-richten können. 60 Prozent der Jugend-lichen zwischen 16 und 24 Jahren können nicht lesen und schreiben. Und die meisten Frauen hatten ebenfalls nie eine Chance. Ja, es ist eine riesige Herausforderung, aber wir werden mutig vorangehen und unseren Fähigkeiten vertrauen.“

Freude über ErfolgeDie anderen Projekte von »Solidarity« wa-ren nicht so stark von den jüngsten Ge-waltausbrüchen betroffen wie das College zur Lehrerausbildung in Malakal. „In Wau haben unsere Krankenschwestern

Sehr instabile LageDie erst im Januar 2015 ausgehandelte Waffenruhe zwischen den Konflikt- parteien ist durch verschiedene Rebellen-gruppen bereits wieder gebrochen worden. Dabei hatte der jüngste Staat der Welt am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit nach 22 Jahren Bürgerkrieg mit so viel ausgelas-sener Freude und hoffnungsvoller Zuver-sicht gefeiert. Doch im Dezember 2013 führte ein politischer Machtkampf zwi-schen dem Präsidenten und seinem Vize-Präsidenten zu neuen Gefechten und einer Massenflucht. Fast eine Million Men-schen suchten Zuflucht in Flüchtlings- lagern. Hilfsorganisationen warnten bereits im April 2014, dass ausfallende Ernten zu einer dramatischen Hungerkrise führen werden.

Aufbau von Hütten für

Flüchtlinge.

Bilder rechts:

Sr. Felistus aus Kenia

spricht mit wartenden

Patientinnen im

Gesundheitszentrum

von »Solidarity« in Wau.

Sr. Rosa Le Thi Bong aus

Vietnam, die für

»Solidarity« im Süd-

sudan arbeitet, mit-

Kindern im Flüchtlings-

lager Makpandu.

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SÜDSUDAN

und Hebammen ihre Ausbildung erneut mit Top-Ergebnissen abgeschlossen“, freut sich Schwester Yudith, „und in Yam-bio am Lehrerinstitut gab es zwei Klassen an Absolventen. Dort werden wir die Ka-pazitäten erweitern. In Riimenze in dem Projekt der gemeinschaftlichen Landwirt-schaft hatten wir eine gute Ernte und die Farm wächst. Darüber freuen sich alle in der Umgebung, denn die Familien sind Teil des Projektes. Es werden Erdnüsse, Mais, Hirse, Reis, Kürbisse, Bohnen, Linsen und Yucca angebaut und Familien können die Pflugochsen, Maschinen und die Mühle nutzen und lernen Methoden der Konservierung.“

Das Trauma sitzt tiefEin weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit von »Solidarity« ist die pastorale und psy-chologische Begleitung. Das Trauma in der Bevölkerung sitzt sehr tief. Während des Bürgerkrieges litten die Menschen un-ter extremer Gewalt, Frauen wurden miss-braucht, Familien wurden auseinanderge-rissen, Männer und sogar Kinder wurden zum Militär geschickt. Mehr als 90 Pro-zent der Südsudanesen mussten aus ihrer Heimat flüchten – viele wurden sogar mehrfach vertrieben. „Das geht nicht spurlos an den Menschen vorbei“, sagt Anne Carthy. „Aus diesem Grund ist die Arbeit von »Solidarity« auch eine psycho-logische. Wir unterrichten beispielsweise Schüler, die extrem talentiert und zugleich zutiefst traumatisiert sind. In jeder un-serer Einrichtungen arbeiten Ordensleute und Priester, die die Betroffenen psycholo-gisch betreuen und ihnen dabei helfen, ihr Trauma zu überwinden.“

„Wir werden bleiben“In den fünf Projekten und Kommuni-täten von »Solidarity« leben momentan 29 Ordensleute und drei Laien. Es ist beein-

druckend, was sie gemeinsam aufgebaut und auch durchgestanden haben. Für alle ist klar, dass sie auch in Zukunft die Menschen im Südsudan nicht alleinlassen werden. „Der Südsudan braucht unsere Solidarität“, sagt Schwester Yudith. „Wir werden bleiben.“

Judith Behnen

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SÜDSUDAN

MAJIS unterhält ein nachhaltiges Land-wirtschaftsprojekt in dem kleinen Dorf Akol Jal, das den Bewohnern eine Aus-bildung in moderner und sachgerechter Landwirtschaft mit lokalen Ressourcen ermöglicht. Nach Jahren des Krieges be-müht sich Akol Jal wieder auf die Beine zu kommen. Trotz aktueller Phasen der Un-sicherheit setzt das Projekt „Multi-educa-tional and Agricultural Jesuit Institute of South Sudan“ (MAJIS) seine Arbeit fort: Wir wollen den Menschen der Region ein sicheres Leben und Hoffnung zurück-geben. Da viele Männer das Dorf verlas-sen haben, waren die Teilnehmer des Pro-gramms 2014 ausschließlich Frauen.

GartenbauDie Haupttätigkeiten auf der Farm um-fassen die Bewirtschaftung mit Papaya-, Guave-, Zitronen-, Mango-, Cherimoya- und Cashewbäumen. Die Farm verfügt über Anschauungsgärten für Saatkörner

und Gemüse, eine Baumschule und eine Geflügelzucht. Die Frauen können die Ernte aus den Gärten auch für den per-sönlichen Gebrauch verwenden.

WassertankAußerdem gibt es einen 20.000 Liter Wassertank, der den Dorfbewohnern und der Farmschule zur Verfügung steht. Die Bewohner verwenden ca. 5.000 Liter pro Tag. Ohne diesen Wasserzugang müssten die Menschen täglich 6 Kilometer zum Nachbardorf gehen, um Wasser für das Eigenheim und die Gärten zu schöpfen.

HausgärtenDie Farmschule etabliert auch ein Feld- erweiterungsprogramm. Damit einher geht die Ausbildung durch professionelle Feldarbeiter, die den Bewohnern zusätz-liches Knowhow verschafft und ihnen er-möglicht kleine Anbauprojekte in ihren persönlichen Gärten zu starten. MAJIS stellt Saatgut und Werkzeuge für alle Pro-jekte zur Verfügung. Daneben erhalten die Teilnehmerinnen von lokalen Experten Einblicke in moderne Anbautechniken. Diese Workshops werden von den Jesuiten des MAJIS-Programms in Kooperation mit dem von den Franziskanern betriebenen Adraa Agricultural College in Nord- uganda durchgeführt. Ein Notfallmedi-zinprogramm gewährleistet, dass Frauen und Kinder in einer lokalen Klinik medi-zinische Versorgung erhalten.

Rob Osborne

Trainingseinheit in

der MAJIS Landwirt-

schaftsschule

Wir unterstützen in Kooperation mit BIOMIN das Landwirtschaftsprojekt MAJIS im Südsudan. P. Richard O’Dwyer SJ leitet es. Ihm assistiert P. Tomasz Nogaj SJ in Zusammenarbeit mit vier lokalen Mitarbeitern, die sich tagtäglich um die Farm-schule bemühen.

Hoffnung in unsicheren Zeiten

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INTERVIEW

Mit grausamer Menschenverachtung wü-tet der sogenannte Islamische Staat. Wie lässt sich das erklären? Ist das der Islam? Die Formel »Das ist Islam« hilft nicht weiter. Genauso wenig weiterführend ist allerdings das Gegenschlagwort: »Das ist nicht Islam«. Denn solche Parolen erre-gen die Gemüter, erklären und klären aber nichts. Wer etwa sagt, die Untaten des »Islamischen Staates« seien nicht der Islam, kann damit ganz Unterschiedliches meinen. Mancher will damit das Ansehen des Islam retten: Die Grundtexte des Islam rechtfertigen keine Gewalt, heißt es. So verhindert man aber, dass sich Muslime heute kritisch mit schwierigen Koranworten auseinandersetzen. Andere wollen damit den Kämpfern ins Gewissen rufen: Ihr legt den Koran falsch aus! Wer hier gut be-gründet, kann vielleicht den einen oder anderen noch schwankenden Gewalt- Sympathisanten zur Besinnung bringen. Wieder andere wollen mit »ist nicht Islam« feststellen: Ein Muslim muss, wenn er seine Religion ernstnimmt, trotz kriegerisch klingender Grundtexte, keineswegs gewalt-tätig werden. Parolen helfen nicht weiter. Hilfreicher ist Kenntnis: Textkenntnis und Geschichtskenntnis. So lässt sich sehen, dass sich der Koran an manchen Stellen zwar wie ein Aufruf zur Gewalt anhört; dass Muslime aber, wenn sie islamtreu leben wollen, gerade nicht brutal, sondern rücksichtsvoll handeln müssen.

Begeisternder EinheitsimpulsMuhammad hat bei seinem Tod (632 n. Chr.) seinen Gefolgsleuten einen begeis-ternden Einheitsimpuls hinterlassen, aber auch ein Problempaket. Der Einheitsim-puls besteht in der Einfachheit der Lehre vom einen Gott: Abkehr von der Viel-götterei und Neuausrichtung des ganzen Lebens als »Gottesdienst«: in Gebet und Welthandeln; Beendigung religiöser Spannungen durch Rückführung aller Prophetie auf die Verantwortung vor dem Gericht Gottes; Überführung von Stammesstreitigkeiten in die Vereinigung aller zur Glaubensgemeinschaft. Doch diese gewinnend einfache Einheits-Ver-kündigung trägt ihre Schwierigkeiten schon in sich.

Wer soll Kalif sein?Sie stellt einen konkurrenzlosen Gott vor – und weil allein Gott beruft, bestellt Muhammad keinen Nachfolger. Wer soll denn nun an seine Stelle treten – arabisch: »Kalif« sein? So alt ist der innerislamische Machtkampf. Einige wollen ‘Alī aus dem »Hause Muhammads« als Haupt des Ge-meinwesens sehen. Sie überwerfen sich mit der Mehrheit, die den erprobten Abū Bakr wählt. Auch diese Mehrheit verliert schließlich 1924 einen breit anerkannten

Für mehr Geschichtskenntnis statt Parolen plädiert der Islamwissenschaftler Pater Felix Körner, der an der Päpst-lichen Universität Gregoriana in Rom lehrt und als exzellenter Islamkenner gilt.

Ist das der Islam?

Parolen helfen nicht

weiter. Hilfreicher ist

Kenntnis: Textkennt-

nis und Geschichts-

kenntnis.

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Kalifen. Der »Islamische Staat« will heute also an alte Machtverhältnisse anknüpfen.

Neigung zur WortwörtlichkeitWas durch Muhammads Mund ergeht, soll ver-einheitlichen. Es soll das letzte Wort im Streit religiöser Meinungen sein. Entscheidend ist der eindeutige Wortlaut. Zwar weiß schon die erste Generation nach Muhammad, dass manche Koranformulierung jetzt nicht mehr so gilt wie damals, aber eine Neigung zur geschichtslosen Wortwörtlichkeit ist dem Islam mitgegeben.

Kriegerisches VorbildMuhammad wird zum kriegerischen Vorbild. Um der noch schwachen Gemeinde materielle Sicherheit zu geben, ruft er die Seinen auf, ver-teidigend und erobernd zur Waffe zu greifen. Solche Aufrufe, selbst zum Töten, verkündet er auch als Gotteswort (Sure 2:191).

ProblempaketDas ist das Problempaket. Kann man es heute so auspacken, dass es ein Zusammenleben mit anderen in gegenseitiger Achtung nährt? Ja, das geht. Der Koran selbst sieht – wie später die Ringparabel – die Verschiedenheit der Bekenntnisgemeinschaften als gottgewollt und fordert sie auf: »Wetteifert nun nach den gu-ten Dingen!« (Sure 5:48). Der Blick in die Geschichte schließlich lehrt viererlei:

Umgang mit GewaltAlle Religionen müssen sich heute zu ihren ge-waltsamen Formulierungen und Phasen neu stellen. Hier haben die Muslime heute eine besonders große, schwierige Verantwortung. Denn bei ihnen tragen Stiftungsschrift und Stifter selbst Züge von Gewalt.

Keine Jetzt-AnweisungenMuhammad und die Muslime waren sich von Anfang an bewusst, dass jede Koranstelle in einem bestimmten Zusammenhang erging, der für Verständnis und Umsetzung entscheidend

ist. Es ist also nicht islamisch, einzelne koranische Aufforderungen aus dem da-maligen Zusammenhang herauszureißen und als Jetzt-Anweisungen zu lesen.

Lesung statt DeutungDer Koran wurde immer »gelesen«; dies war aber etwas anderes als das moderne Fragen: Was sagt mir der Text heute? Koran wurde vielmehr auf Arabisch auswendig gelernt, rezitiert, singend interpretiert, als kalligraphischer Schriftzug genossen: als schön erlebt. Muslime rührt es an, dass Gott sich sprachlich äußert. Aber man musste im klassischen Islam nun nicht die einzelnen Koranregelungen in lebens-praktische Entscheidungen, gerichtliche Urteile oder politische Weichenstellungen umsetzen. Da ging es vielmehr darum, »das Gute« zu tun. Eine Zurückbiegung des persönlichen Alltags auf den Koran-wortlaut und des gesellschaftlichen Le-bens auf die muslimische Frühzeit: das ist vielmehr eine moderne Reaktion. Worauf?

Moderne FalleDen wachsenden Erfolg des Westens emp-finden viele Muslime seit über 100 Jahren als schmerzliche Niederlage ihrer Glau-bensgemeinschaft. Zu neuer Bedeutung kann man nur gelangen durch Rückkehr zur Lebensweise der Gründer und zum Gründungstext, meinten sie. Dass sie da-bei selbst in eine moderne Falle traten, merkten sie kaum: Identität lässt sich ja nicht künstlich schaffen, sondern nur in Zuversicht kreativ und konstruktiv leben. Dazu hilft ein gesellschaftliches Umfeld, in dem Menschen zugleich selbstbewusst und selbstkritisch aufwachsen können. So lassen sich die modernen Verunsiche-rungen auch als spannende Fragen an die eigene Religion und Tradition verstehen und weiterentwickeln.

Felix Körner SJ

INTERVIEW

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RECHENSCHAFTSBERICHT

Durch Ihre großzügige Hilfsbereitschaft konnten wir im vergangenen Jahr wieder viele Projekte und Projektpartner för-dern. Dafür wollen wir im Namen aller, denen unser Einsatz ein Leben in Würde ermöglicht, von Herzen DANKE sagen.

Im Jahr 2014 beliefen sich die Einnahmen der Jesuitenmission MENSCHEN FÜR ANDERE auf 2.125 955, 21 Euro. 91 % der Ausgaben gehen direkt an unsere sozi-alen Projekte, 4 % wurden für Projektbe-gleitung und 5 % für administrative Auf-gaben verwendet.

Von den Projektüberweisungen 2014 gehen 37 % an Projekte in Asien, 27 % nach Mittel- und Südamerika, 21 % nach Afrika und 15 % an Sozialprojekte in Ost- und Westeuropa.

Das Jahr 2014 war geprägt vom weiteren Ausbau des Xavier Netzwerkes. Es ist der Zusammenschluss der Jesuitenmissionen, Missionsprokuren und jesuitischen Ent-wicklungshilfeorganisationen Europas, Ka-nadas und Australiens. Große Fortschritte haben wir in der Kooperation bei Katastro-phenhilfen gemacht. Die Unterstützung nach dem Taifun in den Philippinen wurde über das Netzwerk koordiniert. Auch der Einsatz für Flüchtlinge im Südsudan ge-schieht in europäischer Kooperation. Das Voluntariatsprogramm der Jesuiten hat im Xavier Netzwerk eine starke Plattform. Von 3.-6. Juni 2015 wird sich die europäische Arbeitsgruppe Volunteers in Wien treffen. Die Freiwilligenarbeit der Concordia wird an diesem Treffen teilnehmen.

Danke für Ihre Hilfe!

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Unsere Projektpartner 2014

MITTEL- UND SÜDAMERIKA

Argentinien Centro San JoséBolivien Berufsschule CochabambaBolivien Sozialzentrum San CalixtoGuatemala Fe y Alegría Gesunde Schule Guatemala Fe y Alegría Berufsschule El LimonHaiti École de JérusalemHaiti Foi et Joie SchulprojektParaguay Guarani BuchPeru CPAL SozialprojektePeru Marcapata GemeinschaftsküchePeru CIPCA Landwirtschafts- und Entwicklungsprojekt

Summe der Projektüberweisungen: 282.648,87 Euro

EUROPA

Bulgarien ConcordiaKosovo Loyola Gymnasium Österreich Bauern für BauernÖsterreich China ZentrumÖsterreich Oper „San Ignacio“ Österreich Fachtagung Weltkirche Österreich Syrien-KonferenzÖsterreich Canisianum StudienstipendienRumänien Elijah Romaprojekt

Summe der Projektüberweisungen: 157.963,76 Euro

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Unsere Projektpartner 2014

AFRIKA

AFRIKA African Jesuit Aids Network AJAN Ägypten Kinder-Bildungsprojekt Luxor Elfenbeinküste Brunnenprojekt Diözese Bondoukou JRS Ostafrika JRS Südafrika Kenia St. Joseph the Worker Malawi Loyola School Niger Mikrokreditprojekt Maradi Simbabwe Car for Caritas Simbabwe Makumbi Kinderheim und Child Protection Simbabwe Makumbi Wadzanai Centre und Primary School Südsudan MAJIS Südsudan Loyola School Wau Studienstipendien

Summe der Projektüberweisungen: 223.653,73 Euro

ASIEN China Lepra Hilfe, Casa RicciChina Buchfinanzierung Chen BinshanChina Ausbildungen und ProjekteChina Hebei Faith PressIndien Child Friendly GuwahatiIndien Kompostierprojekt PuneIndien LEAD Kinder-Bildungsprojekt Tamil NaduIndien Sangram KinderheimprojektIndien St. Xavier’s School Bana Arunachal PradeshIndien Training para-legal personnel in Kamrup, NagalandIndien Trinkwasserprojekt DarjeelingJRS Sustainable Livelihood Mae SotJRS SyrienhilfeKambodscha Banteay Prieb Landwirtschaftsprojekt Kirgisien Issyk-kul Rehabilitation CentreMyanmar Labutta LandwirtschafsprojektPhilippinen Schulprojekt für indigene Völker, Davao CityPhilippinen Stipendien JCAP Syrien Fr. Frans van der Lugt SJ Centre and Emergency AidVietnam Spiritual Exercises

Summe der Projektüberweisungen: 386.615,40 Euro

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tiger helfen. So können wir den Neustart des Jesuitenflüchtlingsdienstes in Erbil / Nordirak kräftig unterstützen.

Ruth Zenkert und P. Georg Sporschill SJ haben das Projekt Elijah für Roma Kinder in Transsilvanien/Rumänien gestartet. Wir können als Projektpartner und in der Spen-denbetreuung behilflich sein.

Mit Biomin und der Erber Group unter-stützen wir drei landwirtschaftliche Pro-jekte: In Myanmar das Labutta-Land-wirtschaftsprojekt, im Südsudan das MAJIS-Projekt zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und der Nahrungsver-sorgung und in Peru das CIPCA-Projekt zur wirtschaftlichen und sozialen Förde-rung von Bauernfamilien. Es ist beeindru-ckend, wie die österreichische Firma ihren weltweiten Erfolg für nachhaltige Entwick-lungshilfeprojekte fruchtbar werden lässt.

Besonders ermutigend sind für mich Initiativen von Freundeskreisen oder Einzel-nen, die ein Jubiläum feiern und es nutzen, um ein Hilfsprojekt zu fördern. Der Süd-sudan Zirkel und der Kinder Caritas Laden Halbenrain unterstützen ein Stipendien-projekt für SchülerInnen und Studen-tInnen in Wau / Südsudan.

Mit der Hilfe von Dr. Richard Fischer konnte der Bau der technischen Schule in Guatemala „El Limon“ abgeschlossen wer-den. P. Gernot Wisser SJ ist seit einigen Monaten in den Fe y Alegría Schulen von Guatemala tätig.

Für jede Unterstützung und Ihre Treue, die unseren globalen Einsatz ermöglicht, bedanken wir uns auf diesem Wege herz-lich. Ihre Hilfe kommt an!

Hans Tschiggerl SJ

Die Jesuitenmissionen Europas vereinbar-ten engere Kooperationen bei der Förde-rung von strategischen Partnern wie die Afrika-Aids-Hilfe (AJAN) und die Flücht-lingshilfe der Jesuiten (JRS). Durch die Bündelung der Kräfte können wir nachhal-

RECHENSCHAFTSBERICHT

Das Team in der Jesuiten-

mission mit einem Projekt-

partner aus Myanmar: M.

Weber, H. Tschiggerl SJ, A.

Chinnappan SJ, P. Meyer

SJ, K. Morales.

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PERU

Peru gilt als Schwellenland mit einer aufstrebenden Wirtschaft, steigenden Exportumsätzen und

einer in den letzten Jahren deutlich gesunkenen Armutsrate der Gesamtbe-völkerung. Doch der wirtschaftliche Auf-schwung hat auch seine Schattenseiten. Im Nordwesten des Landes kann man ein massives Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land, Privatexporteuren und Familienbetrieben feststellen. Es fehlt den Menschen vor allem an technischem Knowhow. Die Wasserleitungen wer-den aus verunreinigten Bewässerungsan-lagen gespeist. Der Wasserzugang für die Bevölkerung ist auf drei Stunden täglich beschränkt. Die verfügbaren Nahrungs-mittel sind auf selbst angebaute Produkte reduziert, was oft zu Mangel- und Unter-ernährung führt.

Förderung der BauernIn Gemeinschaft mit BIOMIN unterstüt-zen wir ein Projekt zur Verbesserung der sozialen Lage und Wettbewerbsfähigkeit armer Familien in der Provinz Sullana. Durchgeführt wird es von der Jesuitenorga-nisation CIPCA (Centro de Investigación y Promoción del Campesinado). Die Landbevölkerung wird durch professio-nelle Ausbildungen in Organisations- und Ertragsmanagement geschult. Dadurch steigern kleine Familienbetriebe ihre

Wettbewerbsfähigkeit. Die Schulungen umfassen Unterrichtseinheiten zur Dorf- und Gemeindeverwaltung, worunter auch die Organisation und Konstruktion von sanitären Anlagen und Wasserleitungen fallen. Ein besonderes Augenmerk wird auf eine aktive Zusammenarbeit zwischen den Familienverbänden gelegt.

Selbstständig wirtschaftenDen Frauen und Männern werden Ein-blicke in den Umgang mit Mikrokrediten und Unternehmensmanagement geboten. Das Projekt bringt eine Verbesserung der Nahrungsversorgung und Bildungsange-

bote für Kinder. Das Ziel des Projektes ist die Förderung von Chancengleichheit armer Familien auf dem peruanischen Handelsplatz. Wir bieten somit eine kon-krete Hilfe zur Selbstentwicklung einer gesamten Region. Mehr als zweitausend Familien haben sich dem Projekt ange-schlossen.

Pascal Meyer SJ

Familienbetriebe

können ihren

Lebensunterhalt

wieder aus eigener

Kraft erwirtschaften.

Wirtschaftliches Wachstum ist kein Garant für Wohlstand. Von den hohen Umsätzen profitieren am Ende nur Konzerne. Ein vierjähriges Entwick-lungsprojekt soll den Menschen helfen, aus eigener Kraft wieder selbstständig zu wirtschaften.

Chancengleichheit fördern

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Kamala weint. „Das Schlimmste ist, dass wir alles verloren haben“, sagt die 45-Jährige, „in Mossul hatten

wir ein Haus, ein Auskommen und wir haben so viel in die Ausbildung unserer Tochter investiert. Alles umsonst. Alles ist weg, auch unsere Identität. Das ist noch schlimmer als der Tod. Welche Zukunft haben wir denn hier?“ Mit einer Hand-bewegung deutet sie auf ihr jetziges Le-ben in einem Container. Sie hat versucht, ihn wohnlich einzurichten. Ein Teppich liegt auf dem Boden, eine Uhr hängt in der Ecke, die Kartons mit Kleidung und Lebensmitteln sind mit einem Tuch zuge-deckt, ein Fernseher steht in einem Regal, Matratzen und Decken liegen tagsüber ordentlich übereinander gestapelt an der Wand, um etwas Platz zu schaffen in dem kleinen Raum.

Wenn die Flüchtlinge

in der Container-

siedlung in Mangesh

von ihren Erlebnis-

sen erzählen, fließen

die Tränen.

NORDIRAK

Judith Behnen war im Januar gemeinsam mit P. Peter Balleis SJ, dem internationa-len Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS), im Nordirak. Sie berichtet von den Eindrücken und Begegnungen.

Verlorenes Vertrauen

Container im Kirchhof80 Flüchtlingsfamilien leben hier auf dem Kirchhof des kleinen Dorfes Mangesh. Es liegt im Nordirak, in der autonomen Region Kurdistan, in die seit vergange-nen Sommer mehr als 700.000 Christen, Jesiden und Moslems geflohen sind vor der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Aus ersten provisorischen Zelten ist mit Hilfe der Kirchengemeinde und finanziert von internationalen Organisationen eine Container-Siedlung entstanden. Die Flüchtlinge sind dankbar für die Auf-nahme, aber nach einem halben Jahr des Wartens stellt sich ihnen jetzt die bange Frage nach der Zukunft.

Militärische CheckpointsNur hundert Kilometer entfernt liegt Mangesh von Mossul, doch an eine

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Im Rohbau eines

Einkaufzentrums

in Erbil leben 420

Flüchtlingsfamilien.

Sr. Raeda vom JRS-

Team besucht sie.

schnelle Rückkehr in die vom IS eroberte Heimatstadt ist nicht zu denken. Kur-dische Peshmerga kämpfen gegen ein Vor-dringen des „Islamischen Staates“ und sie haben drei große Zufahrtsstraßen in Rich-tung Mossul bereits unter ihre Kontrol-le gebracht. Militärische Checkpoints auf den Wegen sollen verhindern, dass IS-Spi-one in kurdisches Gebiet eindringen. „Auf einmal ist es von Vorteil, Christ zu sein, das gab es bisher selten im Irak“, kommen-tiert Sarab Mikha lächelnd eine der vielen Kontrollen. „Als Christen stehen wir nicht im Verdacht, den IS zu unterstützen, des-halb können wir problemlos passieren.“

Von Syrien zurück in den IrakDie 39-Jährige leitet die Arbeit des Flücht-lingsdienstes der Jesuiten (JRS) im Irak. Aufgewachsen ist Sarab in Bagdad, hat dort Informatik und Psychologie studiert. „Im Jahr 2006 haben Islamisten meinen Bruder entführt und unsere ganze Fami-lie bedroht“, erzählt sie. „Wir haben Lö-segeld bezahlt und sind dann geflohen.“ Ihre Mutter lebt mittlerweile in Kanada, eine Schwester in den USA, ein Bruder

in Schweden. Sarab floh nach Syrien. „Es war nicht leicht, in Damaskus Fuß zu fas-sen. Ich habe anfangs als Putzfrau in einer Computerfirma gearbeitet und kam eines Abends mit dem Chef ins Gespräch. Er staunte, als ich ihm bei einem Computer-problem helfen konnte. Über ihn kam ich in Kontakt mit den Jesuiten in Damas-kus und habe begonnen, die Hilfsprojekte der Jesuiten für irakische und dann später für syrische Flüchtlinge mit aufzubauen. Aber es war immer mein Traum, in den Irak zurückzukehren und dort etwas für die Menschen tun zu können.“

Viel erreicht seit OktoberIm Oktober 2014 ist Sarab Mikha von Damaskus zurück in den Irak gezogen, um dort die Flüchtlingshilfe der Jesui-ten zu koordinieren. In der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil hat sie bereits ein Team mit zwanzig Mitarbeitern auf-gebaut, um über Familienbesuche, psy-chosoziale Begleitung und Bildungspro-jekte den vertriebenen Kindern, Frauen und Männern zu helfen. Fast alle im JRS-Team sind selbst Flüchtlinge, viele kom-

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men aus Karakosch oder Mossul, andere waren wie Sarab für einige Jahre in Syrien, bevor sie vor dem dortigen Bürgerkrieg zurück in die ebenso unsichere Heimat geflohen sind. Es sind zumeist junge und gut ausgebildete Leute, die sich mit viel Einfühlungsvermögen und großem Elan in die Arbeit stürzen.

Erfahrungen aus dem TeamAbeer, der Flüchtlingsfamilien in einer Containersiedlung in Erbil besucht, war in Karakosch Lehrer. Rupina ist Arme-nierin und hat ebenfalls in Syrien schon für den JRS gearbeitet. Sie und Sarab sind sich in Erbil zufällig wiederbegegnet. Mithal ist Künstlerin und hatte in Mossul eine Keramikwerkstatt. Von ihren Kunst-werken sind ihr nur ein paar Fotos auf dem Handy geblieben, die sie mit einer Mischung aus Stolz und Trauer zeigt. Sie betreut jetzt im psychosozialen Programm

die kreativen Aktivitäten mit den Kindern und Jugendlichen. Zu den Mitarbeitern des JRS in Erbil gehören mit Sr. Rajaa und Sr. Raeda auch zwei Kleine Schwe-stern von Charles de Foucauld. Die Ge-meinschaft in Mossul musste fliehen und ist bei Mitschwestern in Erbil unterge-kommen. Die Hilfsstrukturen der christ-lichen Ortskirchen haben viele Flücht-linge aufgefangen und funktionieren gut.

Geburt im HubschrauberDie Fahrt geht weiter nach Feshkha-bour, einem Dorf direkt an der irakisch-syrischen Grenze. Der Fluss Tigris trennt hier die beiden Länder. In einem verfal-lenen Bauernhof sind jesidische Großfa-milien untergekommen, erst vor kurzem wurden einige Zelte zusätzlich aufge-baut. Es ist kalt, der Wind peitscht über die kahle Landschaft, auf den Bergen liegt eine dünne Schneeschicht. Kleine Kero-sin-Öfen sind die einzige Wärmequelle für die Familien. Sie haben die zugigen Gebäude notdürftig mit Planen abgedich-tet. „Das hier war früher ein Stall.“ Nou-ra, eine der jesidischen Frauen, zeigt auf eines der Gebäude: „Hier waren Tiere untergebracht, keine Menschen.“ In ei-ner Ecke des dunklen Zimmers steht eine Wiege am Boden. Eine junge Frau nimmt das Baby auf den Arm, winzig und un-terernährt sieht es aus. „Es ist mein erstes Kind“, erklärt Hadiya, „wir waren auf der Flucht im Sindschar-Gebirge und wir hat-ten nichts mehr zu essen. Ein Hubschrau-ber hat uns gerettet. Im Hubschrauber ist er geboren worden. Wir haben ihn Beh-war genannt, das heißt in unserer Spra-che: ohne Heimat.“

Chancen in KurdistanDie Heimat zu verlieren, ist für alle Flüchtlinge schmerzhaft und schrecklich. Und doch sieht JRS-Direktor Peter Balleis

Mithal (oben) hatte

in Mossul eine

Keramikwerkstatt.

Hadiya (unten) hat

ihren Sohn auf der

Flucht geboren.

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Flüchtlingshilfe der Jesuiten

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien hat der Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) seine Arbeit im Nahen Osten deutlich ausgeweitet und ist seit Oktober 2014 auch im Nordirak aktiv. Auf unsere Spendenaktion im Herbst sind über 200.000 Euro für den Nordirak eingegangen. Allen Spenderinnen und Spendern ein herz-liches Dankeschön! Auf unserer Homepage finden Sie zusätzliche Informationen: www.jesuitenmission.at.

Chancen im Nordirak: „Im Vergleich zu anderen kriegszerrütteten Ländern mit Flüchtlingssituationen ist Kurdistan eine stabile Insel in einer turbulenten Region. Kurdistan entwickelt sich, hat eine auf-strebende Wirtschaft und bietet Arbeits-möglichkeiten. Die lokale Integration der Flüchtlinge, von denen viele eine gute Ausbildung und Berufserfahrung mitbrin-gen, ist hier möglich, wenn die Sprach-barrieren überwunden werden.“ Die mei-sten Flüchtlinge sprechen kein Kurdisch, sondern Arabisch. Deshalb können die Kinder nicht auf kurdische Schulen ge-hen und Eltern fällt es schwer, Arbeit zu finden. Hier setzen die Bildungsprojekte der Jesuiten an. „Eine unserer dringends-ten Aufgaben ist es, möglichst bald viele Kinder durch informelle Bildung und Er-lernen von Kurdisch und Englisch auf die reguläre Schule vorzubereiten“, sagt Pater Balleis. „Das Gleiche gilt für die Erwach-senen. Kurdisch zu lernen ist ein Schlüs-sel, um besser klarzukommen und sich hier eine Zukunft aufzubauen.“

Der Traum von SicherheitAfaaf, die aus Karakosch geflohen und gemeinsam mit 420 Flüchtlingsfamilien im Rohbau eines Einkaufszentrums in Erbil untergekommen ist, sieht ihre Zu-kunft nicht in Kurdistan. Sie will mit ih-rer Familie nach Deutschland. Einer ih-rer Brüder lebt seit zwölf Jahren in Köln,

hat Arbeit gefunden und ein Haus ge-baut. „Dort ist es sicher. Dort ist es wie im Himmel“, glaubt Afaaf. Nicht auf den fernen Himmel hoffen, sondern nahe Chancen sehen. Das ist etwas, was wohl vielen Flüchtlingen wie Afaaf und Ka-mala noch eine ganze Weile schwer fal-len wird. Denn sie haben die Hölle im ei-genen Land erlebt und ihr Vertrauen auf Frieden im Irak verloren.

Judith Behnen

Sarab Mikha

(rechts), hier

beim Besuch der

jesidischen Flücht-

linge in Feshkha-

bour, leitet die JRS-

Projekte.

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Vor sieben Monaten bin ich aus Simbabwe zurückgekehrt. Tief beeindruckt und inspiriert von all

den Erlebnissen und Erfahrungen meiner zehn Monate in Afrika, tauchte ich wie-der in mein neues, altes Leben ein. Ich hab mich so auf Zuhause gefreut. Auf mein bequemes Bett, auf unser Quellwasser, auf ein richtiges Vollkornbrot mit Butter und vor allem auf meine Familie natürlich. Trotzdem war ich mit meinen Gedanken und mit meinem Herzen noch nicht an-nähernd zu Hause angekommen. Das sollte auch noch einige Monate so bleiben.

Auf den Kopf gestelltSimbabwe hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Gemerkt habe ich das schon un-ter der großen Sonne auf der anderen Sei-te des Äquators. Aber richtig bewusst ge-worden ist es mir erst Zuhause, als ich

Die Kunst der Rückkehr

plötzlich vor neuen Entscheidungen stand und mir so viele gewohnte Dinge fremd erschienen. Was will ich und wie werden die Erfahrungen der letzten Monate mei-nen weiteren Lebensweg beeinflussen? Afrika war lange Zeit mein größtes Ziel. Was ist jetzt mein Ziel? Ich verspüre eine Verantwortung für die Menschen, die mir während des Einsatzes ans Herz gewach-sen sind. Soll ich mich davon leiten las-sen und mein Leben danach ausrichten? Ich fühle mich manchmal, als wäre ich in eine Sache eingeweiht worden, die mir die Augen geöffnet hat und die nun weiterhin meinen vollen Einsatz verlangt. Das kann einen durchaus überfordern.

Andere SichtweisenJetzt bin ich zu Hause, in einem Land, wo man mit wenig Glück vieles haben und tun kann; wo Grenzen überwindbar und

Simbabwe hat

Ann-Kathrins Leben

auf den Kopf

gestellt.Ann-Kathrin Ott war ein Jahr in Simbabwe in der Missionsstation Makumbi in einem Kindergarten tätig, aber auch im Wadzanai Frauenzentrum und im "Herbal Center". Sie schreibt über eine Phase des Freiwilligeneinsatzes, die oft unterschätzt wird: das Zurückkommen.

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Krieg und Hunger so weit weg sind. Hier kann man mit Egoismus viel erreichen und man muss darauf achten immer schön im Zeitplan zu bleiben. Da ist es verdammt schwierig weniger zu wollen, bewusst und nachhaltig zu leben, nicht bequem zu sein, aber sich Zeit zu nehmen. Andere Sicht-weisen, neue Gewohnheiten und der Ab-schiedsschmerz, der nicht von meiner Seite weichen wollte, konnten nicht ver-hindern, dass ich mich sehr schnell wie-der an mein altes Leben gewöhnte. Es ging mir zu schnell und oft hatte ich das Ge-fühl, als wäre ich nie weg gewesen. Meine Familie und meine Freunde freuten sich – aber mir tat es in der Seele weh. Monate später weiß ich nun, dass „Zurückkehren“ ein Prozess ist. Eine weitere Herausfor-derung mit Höhen und Tiefen, die viele Fragen aufwirft. „Zurückkehren“ ist min-destens so schmerzhaft wie „Weggehen“, wobei es nicht davon abhängt, wie lange man fort war, sondern wie intensiv man in dieser Zeit gelebt hat.

Sehnsucht nach EinfachheitDie letzten Monate in Österreich waren also alles andere als leicht. Fernweh macht mir nach wie vor zu schaffen. Mein Glau-be wurde erschüttert. Meine Ziele sind verschwommen und ich empfinde eine große Sehnsucht nach Einfachheit, Tra-dition und Langsamkeit, die in unserer Gesellschaft schwer gestillt werden kann. Wahrscheinlich bin ich noch mittendrin im „Zurückkehren“ und viele andere Frei-willige aus meinem Jahrgang bestimmt auch.

Trotzdem habe ich mein Jahr in Simbab-we nie bereut. Es war ein großer Segen für mich, für meine Persönlichkeit, für mei-nen Horizont und ich glaube auch für die Menschen, denen ich in Simbabwe begeg-net bin. Ich würde es jederzeit wieder tun!

Ann-Kathrin Ott

„Es war ein großer

Segen für mich…

und ich glaube auch

für die Menschen,

denen ich in Simbab-

we begegnet bin.“

„Zurückkehren

ist mindestens so

schmerzhaft wie

Weggehen.“

Weltbegeisterte Rückkehrer Das Team der Jesuit Volunteers bietet ein Netzwerk für ehemalige Freiwillige, die Kontakt zu anderen Welt-begeisterten suchen, sich bei Workshops oder Vorbereitungsseminaren einbringen wollen, im Rahmen von Exerzitien ihre Erfahrungen reflektieren möchten oder Unterstützung bei der Planung eigener Aktionen brauchen. Infos & Kontakt: [email protected]; www.jesuitenmission.at; www.jesuit-volunteers.org.

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IN KÜRZE

Exerzitien mit autobiografischem Schreiben

Flotte der NächstenliebeUnter der Leitung von Frau Prof. Mag. Ulrike Heimhilcher-Dohnal startete das Kol-legium Kalksburg eine besondere Adventaktion: „Wir bauen eine Flotte der Nächsten-liebe“ lautete das Motto. Mit den Spenden, die die Schülerinnen und Schüler für ihre selbstgebastelten Papierschiffchen gesammelt haben, unterstützen sie die Flüchtlings- hilfe der Jesuitenmission und der Caritas. Die Projekte kommen Menschen zugute, die aus Syrien und dem Nordirak vor Krieg und Terror flüchten müssen. Wir freuen uns über das Interesse und Engagement, das die Schülerinnen und Schüler im Religionsunter-richt für die Aktion gezeigt haben und sagen allen ein herzliches Danke und Vergelt's Gott für die Spenden von insgesamt € 2.547.

Magis Messe & Treffpunkt:

Einmal im Monat laden wir herzlich zur Messe in die Kapelle der Jesuitenkirche am Dr.-Ignaz-Seipel-Platz, 1010 Wien ein. Anschließend berichtet ein Projekt-partner aus Asien, Afrika oder Latein-amerika von einem Projekt, das wir be-gleiten und unterstützen. So erhalten Sie einen konkreteren Einblick in unse-re Arbeit.

Magis Messe & 20.03. um 18:30, Kapelle/JesuitenkircheHans Tschiggerl SJ, Missionsprokurator, Bericht von der Projektreise – Einsatz der Jesuiten im Südsudan.

Magis Messe & 08.05. um 18:30, Kapelle/JesuitenkircheBericht von einem Projekt der Jesuiten-mission.

Benefizkonzert09.05. um 19:30, JesuitenkircheDas Orchester des Vienna Konservatorium spielt für die Loyola School der Jesuiten in Prizren/Kosovo.

Magis Messe & 26.06. um 18:30, Kapelle/JesuitenkircheSommerfest im Garten der Jesuitenkom-munität.

Leitung / Anmeldung: Mag. Monika Tieber-Dorneger www.schreibflow.at0676 73 23 294

„… ich schreibe es auf ihr Herz" Jer 31 | 10. - 16. Mai 2015So, 18.00 Uhr – Sa, 13.00 Uhr, Propstei St. Gerold, 6722 St. Gerold.„… dass du, Mensch, Wort wirst" | 12. - 18. Juli 2015So, 17.00 Uhr – Sa 10.00 Uhr, Bildungshaus Stift Zwettl, 3910 Zwettl.„... begleitet zu werden und zu heilen“ Tobit | 8. - 14. August 2015Sa, 18.00 Uhr – Fr, 9.00 Uhr, Haus Werdenfels, Waldweg 15, 93152 Nittendorf. „... dass du, Mensch, Wort wirst“ | 1. - 7. November 2015So, 18.00 Uhr – Sa, 9.00 Uhr, Haus der Stille, Rosenthal, 8081 Heiligenkreuz am Waasen.

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Liebe Leserin, lieber Leser!

Eine vertriebene Frau betet während einer Messe in Agok. Seit 2006 ar-beitet die Ordensinitiative »Solidarity« mit den Menschen im Südsudan zusammen. Die jüngsten Gewaltausbrüche und die damit verbun dene Hungerkrise und neue Welle der Flucht sind ein herber Rückschlag. Aber gerade jetzt ist es wichtig, die Menschen im Südsudan nicht zu ver-gessen! Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung, damit die Projekte weiter-gehen und ausge baut werden können:• Um eine Lehrerin auszubilden, braucht es 175 Euro pro Monat. • Die Ausbildung von Krankenpflegern kostet 548 Euro pro Monat. • Mit 100 Euro pro Woche sichern Sie die Essensversorgung

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Spende!

Hans Tschiggerl SJMissionsprokurator

An dieJesuitenmissionDr.-Ignaz-Seipel-Platz 11010 Wien

Jesuitenmission IBAN: AT942011182253440000BIC: GIBAATWWMENSCHEN FÜR ANDERESpendenzweck: Südsudan

Ja, schicken Sie mir bitte „MENSCHEN FÜR ANDEREDas Magazin der Jesuitenmission“ ab der nächsten Ausgabe kostenlos zu (für neue AbonnentInnen).

Ihr Spende ist gemäß § 4a Z.3 und 4 EstG absetzbar! ZVR-Zahl 530615772 / SO 1345

UNSERE BITTE: Hilfe für Südsudan

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JESUITENMISSIONDr.-Ignaz-Seipel-Platz 1, A-1010 WienTel.: +43 1 512 5232 56 [email protected]: AT94 2011 1822 5344 0000BIC: GIBAATWWMENSCHEN FÜR ANDERE

Danke für Ihre Unterstützung!

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