intelligibles = sinnliches? simplikios’ differenzierter

24
INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter Umgang mit Aristoteles’ Parmenides-Kritik* Während wir dem Neuplatoniker und wohl wichtigsten spät- antiken Aristoteles-Kommentator Simplikios die Überlieferung großer Teile der vorsokratischen Fragmente verdanken, steht der Autor Simplikios selbst weitaus weniger im Fokus der Forschung, wie jüngst Han Baltussen festgestellt hat. 1 Indes hat bereits Leo- nardo Tarán auf die Bedeutung von Simplikios’ Parmenides-Inter- pretation für die Geschichte des Neuplatonismus hingewiesen. 2 Im Folgenden soll mit der Diskussion der Rezeption der aristote- lischen Parmenides-Kritik durch Simplikios ein kleiner Beitrag zu seiner Würdigung geleistet werden. 1. Aristoteles’ Parmenides-Kritik Aristoteles’ Einschätzung der Vorsokratiker 3 und insbeson- dere des Parmenides 4 hat ihrerseits in der Forschung vielfältige Kritik erfahren. Im Hinblick auf das gleich noch genauer zu erör- ternde Problem schreibt Tarán über *) Für wesentliche Hinweise und Korrekturen danke ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Bernd Manuwald, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Bernard sowie Herrn Niels Grewe, M.A. und Herrn Steffen Kammler, M.A. 1) Baltussen 2008, 3: „The larger picture of Simplicius’ reception confirms the relative neglect his works have suffered. [. . .] There was little or no interest in his own philosophical ideas, because he appeared to have none. [. . .] We need to move beyond such prejudice and misguided views to appreciate the importance of Simplicius as a philosopher and scholar.“ 2) Tarán 1965, 295: „The Neoplatonic interpretation of Parmenides deserves a special treatment which cannot be given here. [. . .] In any case, such a study would be valuable more for the history of Neoplatonism itself than for the interpretation of Parmenides.“ 3) Vgl. Cherniss 3 1983 [1935]. Eine kritische Perspektive auf Cherniss (und die ältere Forschung allgemein) wird jetzt eingenommen von Palmer 2009, 7–8, 44. 4) Vgl. jetzt Abbate 2010. Abbate kritisiert im Besonderen, dass Aristoteles in seiner Parmenides-Interpretation eine „Plurivozität des Seins“ voraussetze, wel-

Upload: others

Post on 12-Apr-2022

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

INTELLIGIBLES = SINNLICHESSimplikiosrsquo differenzierter Umgang mit Aristotelesrsquo

Parmenides-Kritik

Waumlhrend wir dem Neuplatoniker und wohl wichtigsten spaumlt -antiken Aristoteles-Kommentator Simplikios die Uumlberlieferunggroszliger Teile der vorsokratischen Fragmente verdanken steht derAutor Simplikios selbst weitaus weniger im Fokus der Forschungwie juumlngst Han Baltussen festgestellt hat1 Indes hat bereits Leo-nardo Taraacuten auf die Bedeutung von Simplikiosrsquo Parmenides-Inter-pretation fuumlr die Geschichte des Neuplatonismus hingewiesen2Im Folgenden soll mit der Diskussion der Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik durch Simplikios ein kleiner Beitrag zuseiner Wuumlrdigung geleistet werden

1 Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik

Aristotelesrsquo Einschaumltzung der Vorsokratiker3 und insbeson-dere des Parmenides4 hat ihrerseits in der Forschung vielfaumlltigeKritik erfahren Im Hinblick auf das gleich noch genauer zu eroumlr-ternde Problem schreibt Taraacuten uumlber

) Fuumlr wesentliche Hinweise und Korrekturen danke ich sehr herzlich HerrnProf Dr Bernd Manuwald Herrn Prof Dr Wolfgang Bernard sowie Herrn NielsGrewe MA und Herrn Steffen Kammler MA

1) Baltussen 2008 3 bdquoThe larger picture of Simpliciusrsquo reception confirmsthe relative neglect his works have suffered [ ] There was little or no interest inhis own philosophical ideas because he appeared to have none [ ] We need tomove beyond such prejudice and misguided views to appreciate the importance ofSimplicius as a philosopher and scholarldquo

2) Taraacuten 1965 295 bdquoThe Neoplatonic interpretation of Parmenides deservesa special treatment which cannot be given here [ ] In any case such a study wouldbe valuable more for the history of Neoplatonism itself than for the interpretationof Parmenidesldquo

3) Vgl Cherniss 31983 [1935] Eine kritische Perspektive auf Cherniss (unddie aumlltere Forschung allgemein) wird jetzt eingenommen von Palmer 2009 7ndash8 44

4) Vgl jetzt Abbate 2010 Abbate kritisiert im Besonderen dass Aristotelesin seiner Parmenides-Interpretation eine bdquoPlurivozitaumlt des Seinsldquo voraussetze wel-

[ ] Aristotlersquos notion that the Presocratics did not distinguish betweensensation and thought That this notion of Aristotle cannot be accept-ed is shown to refer only to Parmenides by fr VII3ndash6 where senseperception and reasoning are contrasted and Parmenides is bidden bythe goddess to refrain from the way of the senses which is identified asthe way of non-Being [ ] That in fr XVI sense perception is not distinguished from knowledge is undeniable but fr XVI is not part ofParmenidesrsquo doctrine of truth5

In gleicher Weise schreibt Bruce Millard Perry in seiner Simpli kiosund Parmenides gewidmeten Dissertation uumlber Aristoteles

The most interesting point in Aristotlersquos summary is that he takes boththe Aletheia and the Doxa as referring to the material world6

Taraacuten und Perry weisen Aristotelesrsquo Kritik an Parmenides also alsunzutreffend zuruumlck Worin besteht nun Aristotelesrsquo KritikpunktDazu sei die folgende Passage aus De caelo zitiert

390 Fr i edemann Drews

che mit Parmenidesrsquo Ontologie unvereinbar sei bdquoOccorre comunque sottolineareche la critica aristotelica muove di fatto da un presupposto assolutamente inammis-sabile et assurdo nellrsquoottica ontologica parmenideo-eleatica vale a dire lrsquoassunto della pluravocitagrave dellrsquoessere [ ] Occorre pertanto concludere che allrsquointerno dellaontologia parmenidea la critica aristotelica non ha alcun senso si tratta infatti di dueprospettive filosofiche assolutamente incompatibili fra loro entro le quali la nozio-ne stessa di essere risulta radicalmente diversaldquo (69ndash70)

5) Taraacuten 1965 262ndash3 Die Kritik dass Aristoteles den δξα-Teil von Parme -nidesrsquo Lehrgedicht zu Unrecht als dessen eigene Meinung betrachte und ferner Par-menides (wie den Vorsokratikern uumlberhaupt) eine undifferenzierte Identifikation vonDenken und (sinnlicher) Wahrnehmung unterstelle wurde in aumlhnlicher Weise bereitsvon Cherniss 1983 221 201 Anm 227 374 65 formuliert An anderer Stelle laumlsstCherniss die Moumlglichkeit offen dass Aristoteles Parmenidesrsquo Seinsbegriff nicht reinphysikalisch-materiell verstanden haben koumlnnte bdquoAristotle [ ] whether he consid -ered the Eleatic One to be material or not raises difficulties which would follow upon its physical application [ ]ldquo (ebd 66) bdquoMetaphysics 986b18 ff shows that Aristotle felt Parmenides may have had something more than a purely physical theo-ry in mindldquo (ebd 66 Anm 270) wenngleich es grundsaumltzlich bei Aristotelesrsquo bdquotend -ency [ ] to consider the doctrine of Parmenides as a positive physical theoryldquo (ebd384) bleibe ndash Gegen eine pauschal-ablehnende Sicht auf Aristotelesrsquo Parmenides-In-terpretation (bdquoAristotle has mistaken Parmenides as usual [ ]ldquo Cherniss ebd 81)vgl jetzt Palmer 2009 44 bdquoCertainly Cherniss was right that Aristotle does not fur-nish the kind of objective historical evidence that can be excerpted and employed asbuilding blocks for a history of early Greek thought [ ] Although the kind of naiumlvereliance on Aristotle and to a lesser extant Plato evident in Zeller and Guthrie is nolonger defensible there is no good reason to reject altogether Platorsquos and Aristotlersquostreatment of the Presocratics generally and of Parmenides in particularldquo Gegen Cher-nissrsquo und Taraacutens negative Interpretation des δξα-Teils siehe Palmer 2009 43 161ndash2

6) Perry 1983 34 ebenso 42

Ο μν γρ α13τν λως νελον γνεσιν κα φθορν ο13θν γρ οτεγγνεσθα φασιν οτε φθερεσθαι τν $ντων λλ μνον δοκεν μνοampον ο περ Μλισσν τε κα Παρμενδην ο+ς ε- κα τλλα λγουσικαλς λλrsquo ο13 φυσικς γε δε νομσαι λγειν τ0 γρ ε1ναι 2ττα τν$ντων γνητα κα λως κνητα μ3λλν 4στιν 5τρας κα προτρας 6τ7ς φυσικ7ς σκψεως κενοι δ δι τ0 μηθν μν 2λλο παρ τν τνα-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν ε1ναι τοιαgtτας δ τινας νο7σαιπρτοι φgtσεις επερ σται τις γνσις 6 φρνησις ο+τω μετAνεγκαν 4πταBτα τοCς 4κεθεν λγουςDenn die einen von ihnen haben Werden und Vergehen ganz aufge -hoben Nichts naumlmlich sagen sie werde oder vergehe von dem Seien-den sondern es scheine uns nur so [sc dies sagen] z B die Anhaumlngervon Melissos und Parmenides von welchen wenn sie auch im Uumlbrigen angemessen reden man aber nicht glauben darf dass sie in naturwis-senschaftlicher Hinsicht (φυσικς) reden Dass naumlmlich bestimmte derSeienden ungeworden und gaumlnzlich unbewegt sind gehoumlrt eher zu einer anderen und fruumlheren als der naturwissenschaftlichen Betrach-tung Jene aber ndash weil sie annehmen es sei nichts anderes neben demWesen (ο13σαν) der wahrnehmbaren Dinge aber bestimmte solche [scungewordenen und unbewegten] Naturen (φgtσεις) als erste erkennenwenn denn eine bestimmte Art von Erkenntnis (γνσις) oder Einsicht(φρνησις) moumlglich sein soll (σται) ndash haben so auf das Hiesige [sc dassinnlich Wahrnehmbare] die rationalen Bestimmtheiten (λγους) vondort [sc aus dem Intelligiblen] uumlbertragen (μετAνεγκαν) (AristotelesCael 31 298b14ndash24)

Aristoteles bezieht sich auf die bdquoAnhaumlngerldquo von Parmenides undseinem Schuumller Melissos dadurch mittelbar auf die beiden Vor -sokratiker selbst und ihre philosophische Interpretation Diese haumlt-ten das Werden und Vergehen geleugnet wobei Aristoteles vor-wegschickt dass man die eleatische Negation von Werden und Ver-gehen nicht im Hinblick auf die Physik bzw Naturwissenschaft (diesich ja mit veraumlnderlichen physikalischen Wesen befasse) sondernhinsichtlich der metaphysischen Entitaumlten verstehen muumlsse Denndie Ergruumlndung unvergaumlnglicher ewiger Wesen ordnet Aristoteleswissenschaftssystematisch einer bdquoanderenldquo und houmlheren Disziplinals der Naturwissenschaft zu der Metaphysik die sich mit intelli-giblen Substanzen also rein begrifflich erfassbaren und nur fuumlr dashoumlchste Erkenntnisvermoumlgen den Intellekt erkennbaren Wesen-heiten beschaumlftigt Aristotelesrsquo Vorwurf gegenuumlber Parmenides(bzw zumindest gegenuumlber einer bestimmten Parmenides-Inter-pretation) besteht nun darin dass dieser (angeblich) nicht zwischendem bdquodortigenldquo d h transzendenten Sein rein intelligibler Wesen-heiten und dem bdquohiesigenldquo Sein des sinnfaumllligen Wahrnehmbarenunterschieden und so das ewige Sein welches nur dem Intelligiblen

391Intelligibles = Sinnliches

zukomme dem Wahrnehmbar-Empirischen zugesprochen und bei-des miteinander identifiziert habe7

2 Simplikiosrsquo Sicht auf Parmenides aus der Perspektiveneuplatonischer Ontologie

Bevor Simplikiosrsquo Rezeption der aristotelischen Kritik be-trach tet werden soll sei zunaumlchst die Basis von Simplikiosrsquo Par-menides-Verstaumlndnis kurz skizziert8 Parmenidesrsquo Unterscheidungzwischen den Bereichen des unvergaumlnglichen Seins9 (τ0 4ν) der ewi-gen Wahrheit (ληθεη) einerseits und der vergaumlnglichen Meinung(δξα) der keine bdquowahre Uumlberzeugungskraftldquo innewohne10 be-greift Simplikios im Rahmen neuplatonischer Ontologie so dass dieληθεη das ewige Sein der intelligiblen Ideen umfasse waumlh rend dieδξα den Bereich des veraumlnderlichen Seins des Werdens und Verge-hens beschreibe Zur Illustration sei folgendes Beispiel gewaumlhlt

Waumlhrend aumluszligerliche Kreise von bestimmter Groumlszlige zum einenimmer einen bestimmten Einzelfall von sbquoKreislsquo darstellen (unter-schieden nach der Groumlszlige ihres Radius) und zum andern der Ver-gaumlnglichkeit unterliegen (ein in Sand gezeichneter Kreis laumlsst sichverwischen ein Kreis bzw ein Rad aus Holz zersaumlgen usw) ist fuumlrden Neuplatoniker das Kriterium des sbquoKreis-Seinslsquo selbst weder etwas sinnlich Wahrnehmbares noch etwas bildlich Vorstellbaressondern etwas begrifflich Einsehbares also Intelligibles definier-

392 Fr i edemann Drews

7) Zur Stelle aus De caelo vgl Cherniss 1983 23 Anm 85 63 Anm 258 Stevens 1990 69 und Bormann 1979 30 Siehe ferner Palmer 2009 34 347 der Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation bdquothat there was no other substance apart fromthe substance of perceptibles that is no immaterial substanceldquo als berechtigt erach-tet (ebd 152) ndash vor dem Hintergrund dass nach Palmer auch Aristoteles Parme -nides als bdquogenerous monistldquo ansieht (ebd 38 320)

8) Das juumlngst erschienene Werk von Abbate 2010 ist Parmenides Platonund den Neuplatonikern Plotin Proklos und Damaskios gewidmet klammert jedoch Simplikios vorerst aus ndash Abbate verweist auf eine im Entstehen begriffeneseparate Monographie zu Simplikios (ebd IX 76 Anm 19)

9) α13τρ κνητον μεγλων 4ν περασι δεσμν στιν 2ναρχον 2παυστον4πε γνεσις κα $λεθρος τ7λε μλrsquo 4πλχθησαν πσε δ πστις ληθAς τα13τν τrsquo 4ν τα13τι τε μνον καθrsquo 5αυτ τε κεται χοτως μπεδον αEθι μνει(Parm fr B 8 26ndash30a DK) 4στι γρ ο13λομελς τε κα τρεμς Fδrsquo τλεστον(Parm fr B 8 4 DK)

10) χρεG δ σε πντα πυθσθαι Fμν Hληθεης ε13κυκλος τρεμς Iτορ Fδ βροτν δξας τας ο13κ νι πστις ληθAς (Parm fr B 1 28bndash30 DK)

bar als sbquodie Selbigkeit der Relation aller Teile eines Selbigen zu einem Selbigenlsquo Diese begriffliche Unterscheidung laumlsst sich in dieVorstellung ausfalten als das geometrische Bild von sbquoKreislsquo naumlm-lich als eine Linie die so liegt dass alle potentiell auf ihr befind -lichen Punkte in ihnen gemeinsamer Weise denselben Abstand(denselben Radius) zu demselben Punkt (dem Zentrum) haben Beider rein begrifflichen Unterscheidung der Sache sbquoKreislsquo spielt diefuumlr die Unterscheidung einzelner Kreise ausschlaggebende Aus-dehnung des Radius keine Rolle da diese erst auf der Ebene derImagination der Vorstellung auftritt Waumlhrend alle aumluszligerlichenKreise potentiell oder aktual der Veraumlnderung unterliegen gilt die-se Veraumlnderung fuumlr das begrifflich-intelligible Sein von sbquoKreislsquonicht Auch wenn z B ein kreisrunder Tisch zersaumlgt wird ist damitdas Kriterium gemaumlszlig welchem er Kreis ist bzw war nicht auf -gehoben sondern besteht als etwas Intelligibles unvergaumlnglich weiter Letzteres ist neuplatonisch betrachtet jedoch keine bloszlig sekundaumlr von konkreten Einzelkreisen gewonnene Abstraktionsondern liegt diesen als ihr eidetisches Prinzip vielmehr voraus istontologisch primaumlr und sbquowahrhaft seiendlsquo und sogar sbquolebendiglsquo11

Das hier in aller Kuumlrze nur angedeutete sbquoneuplatonische Welt-bildlsquo steht unmittelbar im Hintergrund von Simplikiosrsquo Rezeptionsowohl des Parmenides als auch der aristotelischen Kritik die nuneroumlrtert werden soll

3 Simplikiosrsquo differenzierte Rezeption der aristotelischenParmenides-Kritik

31 Simplikios zu Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretation Werden sei nur sbquoscheinbarlsquo

Wenn Aristoteles sagt gemaumlszlig der Schule des Parmenides gebees kein Werden es scheine uns nur so (μνον δοκεν μν) so liegtder Schluss nahe sbquoAlles Werden ist also nur Schein folglich gibt es

393Intelligibles = Sinnliches

11) Zur Prinzipienhaftigkeit des begrifflich erschlieszligbaren ε1δος sbquoKreislsquo wel-ches gemaumlszlig platonischem Mathematikverstaumlndnis allen konstruierten Einzelkreisenals seinen sekundaumlren Instanzen nicht nur vorausliegt sondern auch allein nur dasbestimmte Sein was sbquoKreislsquo ist begruumlnden kann vgl jetzt Schmitz 2010 426ndash7ndash Zur oben angesprochenen Lebendigkeit und Personalitaumlt des Intelligiblen imNeuplatonismus vgl Bernard 1990 95ndash164

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 2: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

[ ] Aristotlersquos notion that the Presocratics did not distinguish betweensensation and thought That this notion of Aristotle cannot be accept-ed is shown to refer only to Parmenides by fr VII3ndash6 where senseperception and reasoning are contrasted and Parmenides is bidden bythe goddess to refrain from the way of the senses which is identified asthe way of non-Being [ ] That in fr XVI sense perception is not distinguished from knowledge is undeniable but fr XVI is not part ofParmenidesrsquo doctrine of truth5

In gleicher Weise schreibt Bruce Millard Perry in seiner Simpli kiosund Parmenides gewidmeten Dissertation uumlber Aristoteles

The most interesting point in Aristotlersquos summary is that he takes boththe Aletheia and the Doxa as referring to the material world6

Taraacuten und Perry weisen Aristotelesrsquo Kritik an Parmenides also alsunzutreffend zuruumlck Worin besteht nun Aristotelesrsquo KritikpunktDazu sei die folgende Passage aus De caelo zitiert

390 Fr i edemann Drews

che mit Parmenidesrsquo Ontologie unvereinbar sei bdquoOccorre comunque sottolineareche la critica aristotelica muove di fatto da un presupposto assolutamente inammis-sabile et assurdo nellrsquoottica ontologica parmenideo-eleatica vale a dire lrsquoassunto della pluravocitagrave dellrsquoessere [ ] Occorre pertanto concludere che allrsquointerno dellaontologia parmenidea la critica aristotelica non ha alcun senso si tratta infatti di dueprospettive filosofiche assolutamente incompatibili fra loro entro le quali la nozio-ne stessa di essere risulta radicalmente diversaldquo (69ndash70)

5) Taraacuten 1965 262ndash3 Die Kritik dass Aristoteles den δξα-Teil von Parme -nidesrsquo Lehrgedicht zu Unrecht als dessen eigene Meinung betrachte und ferner Par-menides (wie den Vorsokratikern uumlberhaupt) eine undifferenzierte Identifikation vonDenken und (sinnlicher) Wahrnehmung unterstelle wurde in aumlhnlicher Weise bereitsvon Cherniss 1983 221 201 Anm 227 374 65 formuliert An anderer Stelle laumlsstCherniss die Moumlglichkeit offen dass Aristoteles Parmenidesrsquo Seinsbegriff nicht reinphysikalisch-materiell verstanden haben koumlnnte bdquoAristotle [ ] whether he consid -ered the Eleatic One to be material or not raises difficulties which would follow upon its physical application [ ]ldquo (ebd 66) bdquoMetaphysics 986b18 ff shows that Aristotle felt Parmenides may have had something more than a purely physical theo-ry in mindldquo (ebd 66 Anm 270) wenngleich es grundsaumltzlich bei Aristotelesrsquo bdquotend -ency [ ] to consider the doctrine of Parmenides as a positive physical theoryldquo (ebd384) bleibe ndash Gegen eine pauschal-ablehnende Sicht auf Aristotelesrsquo Parmenides-In-terpretation (bdquoAristotle has mistaken Parmenides as usual [ ]ldquo Cherniss ebd 81)vgl jetzt Palmer 2009 44 bdquoCertainly Cherniss was right that Aristotle does not fur-nish the kind of objective historical evidence that can be excerpted and employed asbuilding blocks for a history of early Greek thought [ ] Although the kind of naiumlvereliance on Aristotle and to a lesser extant Plato evident in Zeller and Guthrie is nolonger defensible there is no good reason to reject altogether Platorsquos and Aristotlersquostreatment of the Presocratics generally and of Parmenides in particularldquo Gegen Cher-nissrsquo und Taraacutens negative Interpretation des δξα-Teils siehe Palmer 2009 43 161ndash2

6) Perry 1983 34 ebenso 42

Ο μν γρ α13τν λως νελον γνεσιν κα φθορν ο13θν γρ οτεγγνεσθα φασιν οτε φθερεσθαι τν $ντων λλ μνον δοκεν μνοampον ο περ Μλισσν τε κα Παρμενδην ο+ς ε- κα τλλα λγουσικαλς λλrsquo ο13 φυσικς γε δε νομσαι λγειν τ0 γρ ε1ναι 2ττα τν$ντων γνητα κα λως κνητα μ3λλν 4στιν 5τρας κα προτρας 6τ7ς φυσικ7ς σκψεως κενοι δ δι τ0 μηθν μν 2λλο παρ τν τνα-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν ε1ναι τοιαgtτας δ τινας νο7σαιπρτοι φgtσεις επερ σται τις γνσις 6 φρνησις ο+τω μετAνεγκαν 4πταBτα τοCς 4κεθεν λγουςDenn die einen von ihnen haben Werden und Vergehen ganz aufge -hoben Nichts naumlmlich sagen sie werde oder vergehe von dem Seien-den sondern es scheine uns nur so [sc dies sagen] z B die Anhaumlngervon Melissos und Parmenides von welchen wenn sie auch im Uumlbrigen angemessen reden man aber nicht glauben darf dass sie in naturwis-senschaftlicher Hinsicht (φυσικς) reden Dass naumlmlich bestimmte derSeienden ungeworden und gaumlnzlich unbewegt sind gehoumlrt eher zu einer anderen und fruumlheren als der naturwissenschaftlichen Betrach-tung Jene aber ndash weil sie annehmen es sei nichts anderes neben demWesen (ο13σαν) der wahrnehmbaren Dinge aber bestimmte solche [scungewordenen und unbewegten] Naturen (φgtσεις) als erste erkennenwenn denn eine bestimmte Art von Erkenntnis (γνσις) oder Einsicht(φρνησις) moumlglich sein soll (σται) ndash haben so auf das Hiesige [sc dassinnlich Wahrnehmbare] die rationalen Bestimmtheiten (λγους) vondort [sc aus dem Intelligiblen] uumlbertragen (μετAνεγκαν) (AristotelesCael 31 298b14ndash24)

Aristoteles bezieht sich auf die bdquoAnhaumlngerldquo von Parmenides undseinem Schuumller Melissos dadurch mittelbar auf die beiden Vor -sokratiker selbst und ihre philosophische Interpretation Diese haumlt-ten das Werden und Vergehen geleugnet wobei Aristoteles vor-wegschickt dass man die eleatische Negation von Werden und Ver-gehen nicht im Hinblick auf die Physik bzw Naturwissenschaft (diesich ja mit veraumlnderlichen physikalischen Wesen befasse) sondernhinsichtlich der metaphysischen Entitaumlten verstehen muumlsse Denndie Ergruumlndung unvergaumlnglicher ewiger Wesen ordnet Aristoteleswissenschaftssystematisch einer bdquoanderenldquo und houmlheren Disziplinals der Naturwissenschaft zu der Metaphysik die sich mit intelli-giblen Substanzen also rein begrifflich erfassbaren und nur fuumlr dashoumlchste Erkenntnisvermoumlgen den Intellekt erkennbaren Wesen-heiten beschaumlftigt Aristotelesrsquo Vorwurf gegenuumlber Parmenides(bzw zumindest gegenuumlber einer bestimmten Parmenides-Inter-pretation) besteht nun darin dass dieser (angeblich) nicht zwischendem bdquodortigenldquo d h transzendenten Sein rein intelligibler Wesen-heiten und dem bdquohiesigenldquo Sein des sinnfaumllligen Wahrnehmbarenunterschieden und so das ewige Sein welches nur dem Intelligiblen

391Intelligibles = Sinnliches

zukomme dem Wahrnehmbar-Empirischen zugesprochen und bei-des miteinander identifiziert habe7

2 Simplikiosrsquo Sicht auf Parmenides aus der Perspektiveneuplatonischer Ontologie

Bevor Simplikiosrsquo Rezeption der aristotelischen Kritik be-trach tet werden soll sei zunaumlchst die Basis von Simplikiosrsquo Par-menides-Verstaumlndnis kurz skizziert8 Parmenidesrsquo Unterscheidungzwischen den Bereichen des unvergaumlnglichen Seins9 (τ0 4ν) der ewi-gen Wahrheit (ληθεη) einerseits und der vergaumlnglichen Meinung(δξα) der keine bdquowahre Uumlberzeugungskraftldquo innewohne10 be-greift Simplikios im Rahmen neuplatonischer Ontologie so dass dieληθεη das ewige Sein der intelligiblen Ideen umfasse waumlh rend dieδξα den Bereich des veraumlnderlichen Seins des Werdens und Verge-hens beschreibe Zur Illustration sei folgendes Beispiel gewaumlhlt

Waumlhrend aumluszligerliche Kreise von bestimmter Groumlszlige zum einenimmer einen bestimmten Einzelfall von sbquoKreislsquo darstellen (unter-schieden nach der Groumlszlige ihres Radius) und zum andern der Ver-gaumlnglichkeit unterliegen (ein in Sand gezeichneter Kreis laumlsst sichverwischen ein Kreis bzw ein Rad aus Holz zersaumlgen usw) ist fuumlrden Neuplatoniker das Kriterium des sbquoKreis-Seinslsquo selbst weder etwas sinnlich Wahrnehmbares noch etwas bildlich Vorstellbaressondern etwas begrifflich Einsehbares also Intelligibles definier-

392 Fr i edemann Drews

7) Zur Stelle aus De caelo vgl Cherniss 1983 23 Anm 85 63 Anm 258 Stevens 1990 69 und Bormann 1979 30 Siehe ferner Palmer 2009 34 347 der Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation bdquothat there was no other substance apart fromthe substance of perceptibles that is no immaterial substanceldquo als berechtigt erach-tet (ebd 152) ndash vor dem Hintergrund dass nach Palmer auch Aristoteles Parme -nides als bdquogenerous monistldquo ansieht (ebd 38 320)

8) Das juumlngst erschienene Werk von Abbate 2010 ist Parmenides Platonund den Neuplatonikern Plotin Proklos und Damaskios gewidmet klammert jedoch Simplikios vorerst aus ndash Abbate verweist auf eine im Entstehen begriffeneseparate Monographie zu Simplikios (ebd IX 76 Anm 19)

9) α13τρ κνητον μεγλων 4ν περασι δεσμν στιν 2ναρχον 2παυστον4πε γνεσις κα $λεθρος τ7λε μλrsquo 4πλχθησαν πσε δ πστις ληθAς τα13τν τrsquo 4ν τα13τι τε μνον καθrsquo 5αυτ τε κεται χοτως μπεδον αEθι μνει(Parm fr B 8 26ndash30a DK) 4στι γρ ο13λομελς τε κα τρεμς Fδrsquo τλεστον(Parm fr B 8 4 DK)

10) χρεG δ σε πντα πυθσθαι Fμν Hληθεης ε13κυκλος τρεμς Iτορ Fδ βροτν δξας τας ο13κ νι πστις ληθAς (Parm fr B 1 28bndash30 DK)

bar als sbquodie Selbigkeit der Relation aller Teile eines Selbigen zu einem Selbigenlsquo Diese begriffliche Unterscheidung laumlsst sich in dieVorstellung ausfalten als das geometrische Bild von sbquoKreislsquo naumlm-lich als eine Linie die so liegt dass alle potentiell auf ihr befind -lichen Punkte in ihnen gemeinsamer Weise denselben Abstand(denselben Radius) zu demselben Punkt (dem Zentrum) haben Beider rein begrifflichen Unterscheidung der Sache sbquoKreislsquo spielt diefuumlr die Unterscheidung einzelner Kreise ausschlaggebende Aus-dehnung des Radius keine Rolle da diese erst auf der Ebene derImagination der Vorstellung auftritt Waumlhrend alle aumluszligerlichenKreise potentiell oder aktual der Veraumlnderung unterliegen gilt die-se Veraumlnderung fuumlr das begrifflich-intelligible Sein von sbquoKreislsquonicht Auch wenn z B ein kreisrunder Tisch zersaumlgt wird ist damitdas Kriterium gemaumlszlig welchem er Kreis ist bzw war nicht auf -gehoben sondern besteht als etwas Intelligibles unvergaumlnglich weiter Letzteres ist neuplatonisch betrachtet jedoch keine bloszlig sekundaumlr von konkreten Einzelkreisen gewonnene Abstraktionsondern liegt diesen als ihr eidetisches Prinzip vielmehr voraus istontologisch primaumlr und sbquowahrhaft seiendlsquo und sogar sbquolebendiglsquo11

Das hier in aller Kuumlrze nur angedeutete sbquoneuplatonische Welt-bildlsquo steht unmittelbar im Hintergrund von Simplikiosrsquo Rezeptionsowohl des Parmenides als auch der aristotelischen Kritik die nuneroumlrtert werden soll

3 Simplikiosrsquo differenzierte Rezeption der aristotelischenParmenides-Kritik

31 Simplikios zu Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretation Werden sei nur sbquoscheinbarlsquo

Wenn Aristoteles sagt gemaumlszlig der Schule des Parmenides gebees kein Werden es scheine uns nur so (μνον δοκεν μν) so liegtder Schluss nahe sbquoAlles Werden ist also nur Schein folglich gibt es

393Intelligibles = Sinnliches

11) Zur Prinzipienhaftigkeit des begrifflich erschlieszligbaren ε1δος sbquoKreislsquo wel-ches gemaumlszlig platonischem Mathematikverstaumlndnis allen konstruierten Einzelkreisenals seinen sekundaumlren Instanzen nicht nur vorausliegt sondern auch allein nur dasbestimmte Sein was sbquoKreislsquo ist begruumlnden kann vgl jetzt Schmitz 2010 426ndash7ndash Zur oben angesprochenen Lebendigkeit und Personalitaumlt des Intelligiblen imNeuplatonismus vgl Bernard 1990 95ndash164

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 3: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Ο μν γρ α13τν λως νελον γνεσιν κα φθορν ο13θν γρ οτεγγνεσθα φασιν οτε φθερεσθαι τν $ντων λλ μνον δοκεν μνοampον ο περ Μλισσν τε κα Παρμενδην ο+ς ε- κα τλλα λγουσικαλς λλrsquo ο13 φυσικς γε δε νομσαι λγειν τ0 γρ ε1ναι 2ττα τν$ντων γνητα κα λως κνητα μ3λλν 4στιν 5τρας κα προτρας 6τ7ς φυσικ7ς σκψεως κενοι δ δι τ0 μηθν μν 2λλο παρ τν τνα-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν ε1ναι τοιαgtτας δ τινας νο7σαιπρτοι φgtσεις επερ σται τις γνσις 6 φρνησις ο+τω μετAνεγκαν 4πταBτα τοCς 4κεθεν λγουςDenn die einen von ihnen haben Werden und Vergehen ganz aufge -hoben Nichts naumlmlich sagen sie werde oder vergehe von dem Seien-den sondern es scheine uns nur so [sc dies sagen] z B die Anhaumlngervon Melissos und Parmenides von welchen wenn sie auch im Uumlbrigen angemessen reden man aber nicht glauben darf dass sie in naturwis-senschaftlicher Hinsicht (φυσικς) reden Dass naumlmlich bestimmte derSeienden ungeworden und gaumlnzlich unbewegt sind gehoumlrt eher zu einer anderen und fruumlheren als der naturwissenschaftlichen Betrach-tung Jene aber ndash weil sie annehmen es sei nichts anderes neben demWesen (ο13σαν) der wahrnehmbaren Dinge aber bestimmte solche [scungewordenen und unbewegten] Naturen (φgtσεις) als erste erkennenwenn denn eine bestimmte Art von Erkenntnis (γνσις) oder Einsicht(φρνησις) moumlglich sein soll (σται) ndash haben so auf das Hiesige [sc dassinnlich Wahrnehmbare] die rationalen Bestimmtheiten (λγους) vondort [sc aus dem Intelligiblen] uumlbertragen (μετAνεγκαν) (AristotelesCael 31 298b14ndash24)

Aristoteles bezieht sich auf die bdquoAnhaumlngerldquo von Parmenides undseinem Schuumller Melissos dadurch mittelbar auf die beiden Vor -sokratiker selbst und ihre philosophische Interpretation Diese haumlt-ten das Werden und Vergehen geleugnet wobei Aristoteles vor-wegschickt dass man die eleatische Negation von Werden und Ver-gehen nicht im Hinblick auf die Physik bzw Naturwissenschaft (diesich ja mit veraumlnderlichen physikalischen Wesen befasse) sondernhinsichtlich der metaphysischen Entitaumlten verstehen muumlsse Denndie Ergruumlndung unvergaumlnglicher ewiger Wesen ordnet Aristoteleswissenschaftssystematisch einer bdquoanderenldquo und houmlheren Disziplinals der Naturwissenschaft zu der Metaphysik die sich mit intelli-giblen Substanzen also rein begrifflich erfassbaren und nur fuumlr dashoumlchste Erkenntnisvermoumlgen den Intellekt erkennbaren Wesen-heiten beschaumlftigt Aristotelesrsquo Vorwurf gegenuumlber Parmenides(bzw zumindest gegenuumlber einer bestimmten Parmenides-Inter-pretation) besteht nun darin dass dieser (angeblich) nicht zwischendem bdquodortigenldquo d h transzendenten Sein rein intelligibler Wesen-heiten und dem bdquohiesigenldquo Sein des sinnfaumllligen Wahrnehmbarenunterschieden und so das ewige Sein welches nur dem Intelligiblen

391Intelligibles = Sinnliches

zukomme dem Wahrnehmbar-Empirischen zugesprochen und bei-des miteinander identifiziert habe7

2 Simplikiosrsquo Sicht auf Parmenides aus der Perspektiveneuplatonischer Ontologie

Bevor Simplikiosrsquo Rezeption der aristotelischen Kritik be-trach tet werden soll sei zunaumlchst die Basis von Simplikiosrsquo Par-menides-Verstaumlndnis kurz skizziert8 Parmenidesrsquo Unterscheidungzwischen den Bereichen des unvergaumlnglichen Seins9 (τ0 4ν) der ewi-gen Wahrheit (ληθεη) einerseits und der vergaumlnglichen Meinung(δξα) der keine bdquowahre Uumlberzeugungskraftldquo innewohne10 be-greift Simplikios im Rahmen neuplatonischer Ontologie so dass dieληθεη das ewige Sein der intelligiblen Ideen umfasse waumlh rend dieδξα den Bereich des veraumlnderlichen Seins des Werdens und Verge-hens beschreibe Zur Illustration sei folgendes Beispiel gewaumlhlt

Waumlhrend aumluszligerliche Kreise von bestimmter Groumlszlige zum einenimmer einen bestimmten Einzelfall von sbquoKreislsquo darstellen (unter-schieden nach der Groumlszlige ihres Radius) und zum andern der Ver-gaumlnglichkeit unterliegen (ein in Sand gezeichneter Kreis laumlsst sichverwischen ein Kreis bzw ein Rad aus Holz zersaumlgen usw) ist fuumlrden Neuplatoniker das Kriterium des sbquoKreis-Seinslsquo selbst weder etwas sinnlich Wahrnehmbares noch etwas bildlich Vorstellbaressondern etwas begrifflich Einsehbares also Intelligibles definier-

392 Fr i edemann Drews

7) Zur Stelle aus De caelo vgl Cherniss 1983 23 Anm 85 63 Anm 258 Stevens 1990 69 und Bormann 1979 30 Siehe ferner Palmer 2009 34 347 der Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation bdquothat there was no other substance apart fromthe substance of perceptibles that is no immaterial substanceldquo als berechtigt erach-tet (ebd 152) ndash vor dem Hintergrund dass nach Palmer auch Aristoteles Parme -nides als bdquogenerous monistldquo ansieht (ebd 38 320)

8) Das juumlngst erschienene Werk von Abbate 2010 ist Parmenides Platonund den Neuplatonikern Plotin Proklos und Damaskios gewidmet klammert jedoch Simplikios vorerst aus ndash Abbate verweist auf eine im Entstehen begriffeneseparate Monographie zu Simplikios (ebd IX 76 Anm 19)

9) α13τρ κνητον μεγλων 4ν περασι δεσμν στιν 2ναρχον 2παυστον4πε γνεσις κα $λεθρος τ7λε μλrsquo 4πλχθησαν πσε δ πστις ληθAς τα13τν τrsquo 4ν τα13τι τε μνον καθrsquo 5αυτ τε κεται χοτως μπεδον αEθι μνει(Parm fr B 8 26ndash30a DK) 4στι γρ ο13λομελς τε κα τρεμς Fδrsquo τλεστον(Parm fr B 8 4 DK)

10) χρεG δ σε πντα πυθσθαι Fμν Hληθεης ε13κυκλος τρεμς Iτορ Fδ βροτν δξας τας ο13κ νι πστις ληθAς (Parm fr B 1 28bndash30 DK)

bar als sbquodie Selbigkeit der Relation aller Teile eines Selbigen zu einem Selbigenlsquo Diese begriffliche Unterscheidung laumlsst sich in dieVorstellung ausfalten als das geometrische Bild von sbquoKreislsquo naumlm-lich als eine Linie die so liegt dass alle potentiell auf ihr befind -lichen Punkte in ihnen gemeinsamer Weise denselben Abstand(denselben Radius) zu demselben Punkt (dem Zentrum) haben Beider rein begrifflichen Unterscheidung der Sache sbquoKreislsquo spielt diefuumlr die Unterscheidung einzelner Kreise ausschlaggebende Aus-dehnung des Radius keine Rolle da diese erst auf der Ebene derImagination der Vorstellung auftritt Waumlhrend alle aumluszligerlichenKreise potentiell oder aktual der Veraumlnderung unterliegen gilt die-se Veraumlnderung fuumlr das begrifflich-intelligible Sein von sbquoKreislsquonicht Auch wenn z B ein kreisrunder Tisch zersaumlgt wird ist damitdas Kriterium gemaumlszlig welchem er Kreis ist bzw war nicht auf -gehoben sondern besteht als etwas Intelligibles unvergaumlnglich weiter Letzteres ist neuplatonisch betrachtet jedoch keine bloszlig sekundaumlr von konkreten Einzelkreisen gewonnene Abstraktionsondern liegt diesen als ihr eidetisches Prinzip vielmehr voraus istontologisch primaumlr und sbquowahrhaft seiendlsquo und sogar sbquolebendiglsquo11

Das hier in aller Kuumlrze nur angedeutete sbquoneuplatonische Welt-bildlsquo steht unmittelbar im Hintergrund von Simplikiosrsquo Rezeptionsowohl des Parmenides als auch der aristotelischen Kritik die nuneroumlrtert werden soll

3 Simplikiosrsquo differenzierte Rezeption der aristotelischenParmenides-Kritik

31 Simplikios zu Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretation Werden sei nur sbquoscheinbarlsquo

Wenn Aristoteles sagt gemaumlszlig der Schule des Parmenides gebees kein Werden es scheine uns nur so (μνον δοκεν μν) so liegtder Schluss nahe sbquoAlles Werden ist also nur Schein folglich gibt es

393Intelligibles = Sinnliches

11) Zur Prinzipienhaftigkeit des begrifflich erschlieszligbaren ε1δος sbquoKreislsquo wel-ches gemaumlszlig platonischem Mathematikverstaumlndnis allen konstruierten Einzelkreisenals seinen sekundaumlren Instanzen nicht nur vorausliegt sondern auch allein nur dasbestimmte Sein was sbquoKreislsquo ist begruumlnden kann vgl jetzt Schmitz 2010 426ndash7ndash Zur oben angesprochenen Lebendigkeit und Personalitaumlt des Intelligiblen imNeuplatonismus vgl Bernard 1990 95ndash164

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 4: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

zukomme dem Wahrnehmbar-Empirischen zugesprochen und bei-des miteinander identifiziert habe7

2 Simplikiosrsquo Sicht auf Parmenides aus der Perspektiveneuplatonischer Ontologie

Bevor Simplikiosrsquo Rezeption der aristotelischen Kritik be-trach tet werden soll sei zunaumlchst die Basis von Simplikiosrsquo Par-menides-Verstaumlndnis kurz skizziert8 Parmenidesrsquo Unterscheidungzwischen den Bereichen des unvergaumlnglichen Seins9 (τ0 4ν) der ewi-gen Wahrheit (ληθεη) einerseits und der vergaumlnglichen Meinung(δξα) der keine bdquowahre Uumlberzeugungskraftldquo innewohne10 be-greift Simplikios im Rahmen neuplatonischer Ontologie so dass dieληθεη das ewige Sein der intelligiblen Ideen umfasse waumlh rend dieδξα den Bereich des veraumlnderlichen Seins des Werdens und Verge-hens beschreibe Zur Illustration sei folgendes Beispiel gewaumlhlt

Waumlhrend aumluszligerliche Kreise von bestimmter Groumlszlige zum einenimmer einen bestimmten Einzelfall von sbquoKreislsquo darstellen (unter-schieden nach der Groumlszlige ihres Radius) und zum andern der Ver-gaumlnglichkeit unterliegen (ein in Sand gezeichneter Kreis laumlsst sichverwischen ein Kreis bzw ein Rad aus Holz zersaumlgen usw) ist fuumlrden Neuplatoniker das Kriterium des sbquoKreis-Seinslsquo selbst weder etwas sinnlich Wahrnehmbares noch etwas bildlich Vorstellbaressondern etwas begrifflich Einsehbares also Intelligibles definier-

392 Fr i edemann Drews

7) Zur Stelle aus De caelo vgl Cherniss 1983 23 Anm 85 63 Anm 258 Stevens 1990 69 und Bormann 1979 30 Siehe ferner Palmer 2009 34 347 der Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation bdquothat there was no other substance apart fromthe substance of perceptibles that is no immaterial substanceldquo als berechtigt erach-tet (ebd 152) ndash vor dem Hintergrund dass nach Palmer auch Aristoteles Parme -nides als bdquogenerous monistldquo ansieht (ebd 38 320)

8) Das juumlngst erschienene Werk von Abbate 2010 ist Parmenides Platonund den Neuplatonikern Plotin Proklos und Damaskios gewidmet klammert jedoch Simplikios vorerst aus ndash Abbate verweist auf eine im Entstehen begriffeneseparate Monographie zu Simplikios (ebd IX 76 Anm 19)

9) α13τρ κνητον μεγλων 4ν περασι δεσμν στιν 2ναρχον 2παυστον4πε γνεσις κα $λεθρος τ7λε μλrsquo 4πλχθησαν πσε δ πστις ληθAς τα13τν τrsquo 4ν τα13τι τε μνον καθrsquo 5αυτ τε κεται χοτως μπεδον αEθι μνει(Parm fr B 8 26ndash30a DK) 4στι γρ ο13λομελς τε κα τρεμς Fδrsquo τλεστον(Parm fr B 8 4 DK)

10) χρεG δ σε πντα πυθσθαι Fμν Hληθεης ε13κυκλος τρεμς Iτορ Fδ βροτν δξας τας ο13κ νι πστις ληθAς (Parm fr B 1 28bndash30 DK)

bar als sbquodie Selbigkeit der Relation aller Teile eines Selbigen zu einem Selbigenlsquo Diese begriffliche Unterscheidung laumlsst sich in dieVorstellung ausfalten als das geometrische Bild von sbquoKreislsquo naumlm-lich als eine Linie die so liegt dass alle potentiell auf ihr befind -lichen Punkte in ihnen gemeinsamer Weise denselben Abstand(denselben Radius) zu demselben Punkt (dem Zentrum) haben Beider rein begrifflichen Unterscheidung der Sache sbquoKreislsquo spielt diefuumlr die Unterscheidung einzelner Kreise ausschlaggebende Aus-dehnung des Radius keine Rolle da diese erst auf der Ebene derImagination der Vorstellung auftritt Waumlhrend alle aumluszligerlichenKreise potentiell oder aktual der Veraumlnderung unterliegen gilt die-se Veraumlnderung fuumlr das begrifflich-intelligible Sein von sbquoKreislsquonicht Auch wenn z B ein kreisrunder Tisch zersaumlgt wird ist damitdas Kriterium gemaumlszlig welchem er Kreis ist bzw war nicht auf -gehoben sondern besteht als etwas Intelligibles unvergaumlnglich weiter Letzteres ist neuplatonisch betrachtet jedoch keine bloszlig sekundaumlr von konkreten Einzelkreisen gewonnene Abstraktionsondern liegt diesen als ihr eidetisches Prinzip vielmehr voraus istontologisch primaumlr und sbquowahrhaft seiendlsquo und sogar sbquolebendiglsquo11

Das hier in aller Kuumlrze nur angedeutete sbquoneuplatonische Welt-bildlsquo steht unmittelbar im Hintergrund von Simplikiosrsquo Rezeptionsowohl des Parmenides als auch der aristotelischen Kritik die nuneroumlrtert werden soll

3 Simplikiosrsquo differenzierte Rezeption der aristotelischenParmenides-Kritik

31 Simplikios zu Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretation Werden sei nur sbquoscheinbarlsquo

Wenn Aristoteles sagt gemaumlszlig der Schule des Parmenides gebees kein Werden es scheine uns nur so (μνον δοκεν μν) so liegtder Schluss nahe sbquoAlles Werden ist also nur Schein folglich gibt es

393Intelligibles = Sinnliches

11) Zur Prinzipienhaftigkeit des begrifflich erschlieszligbaren ε1δος sbquoKreislsquo wel-ches gemaumlszlig platonischem Mathematikverstaumlndnis allen konstruierten Einzelkreisenals seinen sekundaumlren Instanzen nicht nur vorausliegt sondern auch allein nur dasbestimmte Sein was sbquoKreislsquo ist begruumlnden kann vgl jetzt Schmitz 2010 426ndash7ndash Zur oben angesprochenen Lebendigkeit und Personalitaumlt des Intelligiblen imNeuplatonismus vgl Bernard 1990 95ndash164

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 5: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

bar als sbquodie Selbigkeit der Relation aller Teile eines Selbigen zu einem Selbigenlsquo Diese begriffliche Unterscheidung laumlsst sich in dieVorstellung ausfalten als das geometrische Bild von sbquoKreislsquo naumlm-lich als eine Linie die so liegt dass alle potentiell auf ihr befind -lichen Punkte in ihnen gemeinsamer Weise denselben Abstand(denselben Radius) zu demselben Punkt (dem Zentrum) haben Beider rein begrifflichen Unterscheidung der Sache sbquoKreislsquo spielt diefuumlr die Unterscheidung einzelner Kreise ausschlaggebende Aus-dehnung des Radius keine Rolle da diese erst auf der Ebene derImagination der Vorstellung auftritt Waumlhrend alle aumluszligerlichenKreise potentiell oder aktual der Veraumlnderung unterliegen gilt die-se Veraumlnderung fuumlr das begrifflich-intelligible Sein von sbquoKreislsquonicht Auch wenn z B ein kreisrunder Tisch zersaumlgt wird ist damitdas Kriterium gemaumlszlig welchem er Kreis ist bzw war nicht auf -gehoben sondern besteht als etwas Intelligibles unvergaumlnglich weiter Letzteres ist neuplatonisch betrachtet jedoch keine bloszlig sekundaumlr von konkreten Einzelkreisen gewonnene Abstraktionsondern liegt diesen als ihr eidetisches Prinzip vielmehr voraus istontologisch primaumlr und sbquowahrhaft seiendlsquo und sogar sbquolebendiglsquo11

Das hier in aller Kuumlrze nur angedeutete sbquoneuplatonische Welt-bildlsquo steht unmittelbar im Hintergrund von Simplikiosrsquo Rezeptionsowohl des Parmenides als auch der aristotelischen Kritik die nuneroumlrtert werden soll

3 Simplikiosrsquo differenzierte Rezeption der aristotelischenParmenides-Kritik

31 Simplikios zu Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretation Werden sei nur sbquoscheinbarlsquo

Wenn Aristoteles sagt gemaumlszlig der Schule des Parmenides gebees kein Werden es scheine uns nur so (μνον δοκεν μν) so liegtder Schluss nahe sbquoAlles Werden ist also nur Schein folglich gibt es

393Intelligibles = Sinnliches

11) Zur Prinzipienhaftigkeit des begrifflich erschlieszligbaren ε1δος sbquoKreislsquo wel-ches gemaumlszlig platonischem Mathematikverstaumlndnis allen konstruierten Einzelkreisenals seinen sekundaumlren Instanzen nicht nur vorausliegt sondern auch allein nur dasbestimmte Sein was sbquoKreislsquo ist begruumlnden kann vgl jetzt Schmitz 2010 426ndash7ndash Zur oben angesprochenen Lebendigkeit und Personalitaumlt des Intelligiblen imNeuplatonismus vgl Bernard 1990 95ndash164

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 6: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

gemaumlszlig Parmenides kein Werdenlsquo Im Rahmen seiner neuplatoni-schen Interpretation gelangt Simplikios dagegen zu einem anderenErgebnis

Simplikios greift zunaumlchst Aristotelesrsquo Praumlzisierung auf dassdiese Aussage nicht in physikalisch-naturwissenschaftlicher Hin-sicht aufgefasst werden duumlrfe sondern im Hinblick auf metaphy-sisch-intelligible Entitaumlten verstanden werden muumlsse und nur aufdiese zutreffe Folglich gebe es kein Werden in Bezug auf die in-telligible Wahrheit (πρ0ς λAθειαν) gleichwohl in Bezug auf un-bestaumlndige Meinung (πρ0ς δξαν)12 Das Resultat ist also ein an-deres nicht dass gemaumlszlig Parmenides uumlberhaupt kein Werden sei13

sondern nur nicht in Bezug auf das ewige Sein der Wahrheit DassSimplikios Aristotelesrsquo Worte in einem zunaumlchst uumlberraschen-den Sinn interpretieren kann liegt darin begruumlndet dass das grie-chische Wort fuumlr sbquoMeinunglsquo (δξα) auf dieselbe Wortwurzel wieδοκεν (sbquoscheinenlsquo) zuruumlckgeht14 Im Griechischen ist also etymo-logisch zumindest nachvollziehbar warum sbquoMeinunglsquo als etwassbquoScheinbareslsquo gelten kann welchem gemaumlszlig Parmenides bdquokeinewahre Uumlberzeugungskraft inhaumlriertldquo15 Philologisch tut Simpli kiosAristoteles keine Gewalt an wenn er dessen Worte sbquogemaumlszlig Par-menides ist Werden nur ein Scheinlsquo so deutet dass es Werden nurin Bezug auf die Meinung bzw das sbquowahr-Scheinendelsquo aber ebennicht in Bezug auf das sbquowahr-Seiendelsquo insofern dieses immer undunveraumlnderlich wahr ist gebe Das philosophische Resultat diffe-riert jedoch nicht dass es nur scheinbar der Sache nach aber uumlber-haupt kein Werden gebe sondern dass das Werden sich auf etwasbeziehe welches gemaumlszlig dem aumluszligerlichen Schein etwas Bestimm-tes zu sein vorgibt der Sache nach aber seine Bestimmtheit staumln-dig veraumlndert und insofern nur etwas Wahres zu sein scheint aberim Letzten nicht ist

394 Fr i edemann Drews

12) [ ] τοCς περ Μλισσον κα Παρμενδην Jν K μν ο13δ λως γνεσινε1να φησι Παρμενδης δ ο13 πρ0ς λAθειαν λλ πρ0ς δξαν δι τοBτο προσθη-κε τ0 λλ μνον δοκεν μν (Simplikios in Cael III 556 12ndash14) Zu SimplikiosrsquoInterpretation Parmenides habe das Werden nicht grundsaumltzlich aufgehoben vglPerry 1983 88 92 136 173 209 214 261

13) Zur modernen Diskussion daruumlber inwiefern es gemaumlszlig Parmenides kei-nen Bereich des Werdens gebe vgl Curd 1998 79 84 Rapp 22007 14 und Palmer2009 343 209ndash210 320

14) Vgl Mourelatos 2008 195 f15) Parm fr B 1 30 DK (Zitat siehe oben Anm 10)

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 7: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Simplikios faumlhrt fort dass bdquovon dem immerzu im Fluss Seien-den keine wissenschaftliche Erkenntnis (4πιστAμη)ldquo sei16 Damitist gemeint dass gemaumlszlig platonischem Verstaumlndnis von etwas sichstaumlndig Veraumlnderndem keine Wissenschaft im s t r e ng e n Sinnmoumlglich ist weil von einem proteus-artigen Gebilde aus platoni-scher Sicht nicht zu sagen waumlre was es eigentlich ist waumlhrend umgekehrt nur von etwas grundsaumltzlich als mit sich selbst Iden -tischem17 eine feststehende Erkenntnis moumlglich ist (vgl oben dasBeispiel der nur begrifflich fassbaren Idee von sbquoKreislsquo) Auch diesentspricht der griechischen Etymologisierung von 4πιστAμη (4π +Mσταμαι sbquodarauf- feststehenlsquo) 4πιστAμη waumlre also das sbquoin-sich-selbst-Stehen des reinen Wissenslsquo welches gemaumlszlig Platon nur demIntelligiblen also dem begrifflich als mit sich selbst in IdentitaumltVerharrenden und deshalb fuumlr den Intellekt (νοBς) Einsehbarenzukomme Simplikios houmlrt diese platonischen Annahmen bereitsaus Parmenidesrsquo Worten heraus weil dieser von dem bdquouner-schuumlt t e r l i chen Herz der wohluumlberzeugenden Wahrheitldquo18

spricht Die lebendige19 Wahrheit ruht in sich selbst ist daher bdquoun-

395Intelligibles = Sinnliches

16) κα τ0 μ δgtνασθαι 4πιστAμην ε1ναι τν 4ν γενσει τε κα κινAσει $ντωνNτε Oεντων ε (Simplikios in Cael III 556 17ndash18)

17) Mit Selbst-Identitaumlt ist in diesem Zusammenhang gemaumlszlig (neu-)platoni-schem Verstaumlndnis keine simple Tautologie gemeint denn es geht hier nicht um eineAlltags-Vorstellung dass alles was existiert irgendwie auch mit sich identisch waumlresondern um die Frage ob bestimmte begrifflich erschlieszligbare Sachbestimmtheiten(εδη) a l s s i e s e lbs t eine begriffliche Einheit sind (wie sbquoKreislsquo sbquoDreiecklsquo) wel-che ontologisch nicht vom denkenden Subjekt hervorgebracht oder gar abhaumlngigwaumlre sondern in diesem begrifflichen Sein selbst begruumlndet ist vgl Verf 2009 254ndash5 Eine solche Selbst-Identitaumlt insofern sie begrifflich-eidetischer Natur ist ist dannkeine Tautologie sondern bezeichnet neuplatonisch ein houmlheres (im eigentlichenSinne sbquoseiendeslsquo) Sein welches die Veraumlnderlichkeit des Bereichs des sinnlich-wahr-nehmbaren Seins gerade transzendiert in welchem Selbstidentitaumlt bestenfalls etwasVoruumlbergehendes und haumlufig nur in der subjektiven Vorstellung Gesetztes bzw Praumldiziertes ist Eidetische Identitaumlt gehoumlrt dagegen ontologisch zum Wesen einerSache die nur und ganz sie selbst ist wird also nicht erst sekundaumlr einfach uumlber siepraumldiziert sondern liegt in ihr selbst begruumlndet sbquobegruumlndetlsquo aber im starken Sinneinsofern sbquoSelbst-Identitaumltlsquo auch im Intelligiblen keine einfach so gegebene Tatsacheist sondern sich als von dem houmlchsten Einen verursachte und begruumlndete Wirkungin den εδη und davor in dem sbquoseienden Einenlsquo bzw dem Prinzip sbquoSeinlsquo zeigt (siehedazu auch unten Anm 20)

18) Parm fr B 1 29 DK (Zitat siehe oben Anm 10)19) Fuumlr die Lebendigkeit der Wahrheit koumlnnte ein Neuplatoniker wie Sim-

plikios etwa den Begriff des sbquoHerzenslsquo den Parmenides verwendet geltend machender von der Wa hr he i t ausgesagt wird ndash nicht von dem κοBρος wie es aber inter-pretiert wird von Stemich 2008 81 bdquoDoch der Eleate legte ndash mit der Wortwahl

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 8: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

erschuumltterlichldquo und bdquowohl- bzw gut-uumlberzeugendldquo wuumlrde sie sichstaumlndig veraumlndern waumlre sie fuumlr Parmenides nicht sbquoWahrheitlsquo undfuumlr Simplikios nicht mit der platonischen Ideenwelt assoziierbar20

396 Fr i edemann Drews

Iτορ ndash fest dass die Wahrheit der Goumlttin in Bezug zum Menschen steht der sie er-kennen kannldquo Zumindest wird in Stemichs Deutung der Aspekt dass die Wahrheitdeshalb ein Herz haben koumlnnte weil sie selbst als lebendige denkende Person auf-zufassen sein koumlnnte so nicht mehr deutlich

20) Abbate 2010 vertritt die Auffassung dass fuumlr Parmenides der Konnex zwischen sbquoWahrheitlsquo und sbquoSeinlsquo aufgrund der Identitaumlt beider sbquounmittelbar(er)lsquo sei alsim platonischen Denken wo sbquoWahrheitlsquo eine bdquoCharaktereigenschaftldquo des Seins (inAbhaumlngigkeit vom Guten selbst) sei (bdquoper Parmenide la veritagrave coincide in modo im-mediato con lrsquoidentitagrave [ ] e lrsquounitagrave assolute dellrsquoessere mentre in Platone la veritagrave nonegrave lrsquoessere di per se stesso bensigrave essa si delinea come un carattere dellrsquoessere autenticoe vero che risulta tale per riprendere la metafora solare platonica in quanto egrave illumi-nato dalla luce-veritagrave irradiata dallrsquoIdea del Beneldquo Abbate 2010 74 f aumlhnlich 266281) Dabei bleibt jedoch zu fragen inwiefern auch bei Parmenides die sbquounmittelbareKoinzidenzlsquo von Wahrheit Identitaumlt und Einheit des Seins der Sache nach bdquodurch eineVielheit von unterschiedenen aber zugleich konstitutiv aufeinander bezogenenen on-tologischen Bestimmungenldquo erreicht wird (Halfwassen 2004 271) Ebenso ist die Fra-ge inwiefern das neuplatonische Pν $ν Wahrheit und Sein aus sich heraus hat oder die-se nur abgeleitet aus dem absoluten Qν empfaumlngt zumindest vor dem systematischenHintergrund bei Proklos dass das Pν $ν das ers te Se iende ist dem Identitaumlt mitsich selbst und daher Wahrheit zugesprochen werden kann nicht leicht zu entschei-den (Identitaumltlsquo verstanden als [erste] geeinte Vielheit insofern der Bezug zu sich selbstschon eine erste Form von Andersheit darstellt so dass sbquoIdentitaumltlsquo einen ersten unter-scheidbaren Aspekt mit sich bringt und Differenz nicht ohne Identitaumlt denkbar istund diese also gerade nicht negiert vgl aber Abbate 2010 92) Denn Proklos sprichtdas α13θυπστατον das sbquoSein aus sich selbst herauslsquo gerade nicht () dem uumlberseien-den Einen sondern ers t dem seienden Einen zu (vgl Elementatio Theologica 40)Auch wenn das uumlberseiende Eine neuplatonisch Voraussetzung von allem also auchdes Pν $ν ist ist dies noch nicht gleichbedeutend damit dass Letzteres Sein IdentitaumltWahrheit nicht aus sich selbst heraus hat ndash jedenfalls gemaumlszlig Proklos muumlsste es dieseBestimmungen aus sich selbst heraus erzeugen wenn der Begriff des α13θυπστατονeinen Sinn haben soll vgl dazu Verf 2009 409ndash410 Wenn aber allgemein das neu-platonische Qν sogar positive Bestimmungen wie Authypostasie Autarkie SeinWahrheit etc transzendiert dann ist mit ihm kaum eine paradoxe Inklusion von sbquoSeinlsquoundsbquoNicht-Seinlsquo in Verbindung zu bringen (vgl aber Abbate 2010 271 ff bdquo[ ] la pa-radossalitagrave del Principio Primissimo ha originariamente a che fare anche con la para-dossalitagrave di una nozione di sbquoesserelsquo che ammette in se stessa il non-essere pur se inte-sa come differenzaldquo) da sbquoDifferenz zwischen verschiedenen Seiendenlsquo auf der Ebenedes Intelligiblen nicht aus einem impliziten Dualismus zwischen Sein und Nicht-Seinsondern aus einer inneren Ausdifferenzierung des e inen Seins (Pν $ν) in die vie-len νοητ hervorgeht die deshalb absolute Gegensatzpaare wie sbquoSeinlsquo und sbquoNicht-Seinlsquo aufgrund der (im Vergleich zum Wahrnehmbar-Existierenden) houmlheren Geeint-heit des Intelligiblen gerade transzendiert sbquoSeinlsquo ist auch hier als Fuumllle des Seins undnicht als sbquoleerer Begrifflsquo oder gar als das sbquoreine Nichtslsquo gedacht wie Abbate 2010 281selbst in Abgrenzung des parmenideischen Seins-Begriffs zu Hegel deutlich macht

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 9: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Als Zwischenergebnis fuumlr Simplikiosrsquo Rezeption der aristote-lischen Parmenides-Kritik kann zunaumlchst konstatiert werden dassSimplikios Aristoteles beipflichtet dass die eleatische Negationvon Werden und Vergehen nicht in physikalischer Hinsicht zu verstehen sei Die Scheinbarkeit des Werdens und Vergehens wirduumlber die konzeptuell-begriffliche sowie auch etymologische Bruuml -cke zwischen sbquoscheinenlsquo (δοκεν) und sbquoMeinunglsquo (δξα) begruumlndetDa bereits Parmenides zwischen den Bereichen sbquoWahrheitlsquo undsbquoMeinunglsquo differenziere schraumlnkt Simplikios die Verneinung vonWerden und Vergehen auf den ontologischen Bereich der Wahrheitein und umgeht in seiner Parmenides-Interpretation damit einevoumlllige Negation des Vergaumlnglichen Vielmehr bestehe auch fuumlrParmenides im Rahmen der meinungshaften Welt ein Bereich desWerdens und Vergehens der aber ndash gemessen an dem unvergaumlng -lichen Sein des wahrhaft-seienden Intelligiblen ndash eben nur einsbquoscheinbares Seinlsquo beanspruchen koumlnne Fuumlr Simplikios gleicht da-mit Parmenidesrsquo Unterscheidung zwischen δξα und ληθεη derplatonischen zwischen dem sinnlich-veraumlnderlichen Sein des Phy-sikalischen und dem wahrhaft Seienden der ewigen Ideen

32 Simplikiosrsquo Zuruumlckweisung und Integration von Aristotelesrsquo Kritik an einer (angeblichen) Identifikation

von Sinnlichem und Intelligiblem gemaumlszlig Parmenides

Waumlhrend Simplikios Aristotelesrsquo Worten uumlber Parmenidesund seine Anhaumlnger bisher ohne groumlszligere systematische und inter-pretatorische Huumlrden zu folgen vermochte wuumlrde AristotelesrsquoKritik daran dass jedenfalls gemaumlszlig einem bestimmten Parmenides-Verstaumlndnis Sinnliches und Intelligibles miteinander identifiziertwerde zumindest vordergruumlndig Simplikiosrsquo Perspektive auf Par-menides widersprechen mit welcher Simplikios diesen in das neuplatonische System integriert Ist Aristotelesrsquo Kritik also unbe-rechtigt und irrt er diesbezuumlglich bzw sbquodarflsquo er gemaumlszlig Simplikiosuumlberhaupt irren

λλrsquo περ Hριστοτλης α13τος 4γκαλε τν α-ταν τ7ς διαμαρτας4ξελγχων σκληρ0ν $ντως Iν επερ ληθς Iν 4κενοι γρ φησνο13δν μν 2λλο παρ τν τν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνοντες 4νltποστσει ε1ναι πρτοι δ 4ννοAσαντες τι νγκη τοιαgtτας τινςγενAτους κα κινAτους ε1ναι φgtσεις επερ στι γνσις 4πιστημονικAτν γρ ε Oεντων ο13κ στιν 4πιστAμη κα λγει κα K παρ τR

397Intelligibles = Sinnliches

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 10: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Πλτωνι Παρμενδης τι ο13δ ποι τρψει τις τν δινοιαν Qξει μ τνιδων ε-δν ltποτιθεμνων ε1ναι ταBτα οEν 4ννοAσαντες μετAνεγκαν4π τ α-σθητ κα γενητ τοCς τος νοητος κα κινAτοις 4φαρμζον -τας λγουςAber was Aristoteles ihnen [sc Parmenides und Melissos21] vorwirftindem er die Ursache des Fehlers widerlegend ans Licht bringt waumlrewohl in der Tat ($ντως22) hart wenn es denn wahr waumlre Jene naumlmlichsagt er indem sie nichts anderes neben dem Wesen der Wahrnehmba-ren [sc Dinge] in einer Hypostasis zu sein23 annehmen als erste aberintellektiv erkannten (4ννοAσαντες) dass notwendig bestimmte derar-tige ungewordene und unbewegliche Naturen s ind wenn uumlberhauptwissenschaftliche Erkenntnis [sc moumlglich] i s t ndash denn von den immerim Fluss Seienden i s t keine Wissenschaft (4πιστAμη) und [sc so] sagtauch der platonische Parmenides [sc in dem nach ihm benannten Dia-log Platons] dass man sbquokeinen Bezugspunkt haben werde woraufhinman das rationale Denken (δινοιαν) wenden sollelsquo24 wenn nicht vor-ausgesetzt werde dass ewige Ideen sind ndash Dieses nun intellektiv er-kennend (4ννοAσαντες) haben sie die rationalen Bestimmtheiten(λγους) die dem Intelligiblen und Unbewegten zukommen auf dieWahrnehmbaren und Gewordenen [sc Dinge] uumlbertragen (μετAνεγ -καν) (Simplikios in Cael III 557 1ndash9)

Simplikios argumentiert dass Parmenidesrsquo etwaige faumllschlicheUumlbertragung dessen was nur dem Intelligiblen wesensmaumlszligig zu-komme auf das empirisch Wahrnehmbare nur darin bestanden ha-ben koumlnne dass bei der Beurteilung von sinnlich-wahrnehmbaren

398 Fr i edemann Drews

21) Anders als oben (Simplikios in Cael III 556 12ndash14 vgl Anm 12)scheint Simplikios hier ndash soweit sich aus dem Kontext des unmittelbar Vorherge-henden schlieszligen laumlsst wo es um die Werke des Parmenides und des Melissos undderen Titel geht ndash nicht mehr mit der Einschraumlnkung sbquoAnhaumlnger von Parmenidesund Melissoslsquo zu sprechen In Analogie jedoch zur oben genannten Passage (und in-sofern besteht hier kein methodischer Unterschied) wendet sich Simplikios gleichParmenides und Melissos selbst zu Es geht ihm um die Frage ob der von Aristo-teles herausgestellte Kritikpunkt Parmenides (und Melissos) selbst trifft oder nicht

22) Im Griechischen ist mit $ντως (woumlrtlich bdquoauf seiende Weise dem Seinentsprechendldquo) sowie in den folgenden in der Uumlbersetzung jeweils gesperrt gesetz-ten Formen des Vollverbs ε1ναι (bdquoseinldquo) der fuumlr den neuplatonischen Zusammen-hang von Ontologie und Erkenntnistheorie wichtige Bezug zum Sein direkt prauml-sent

23) Ich uumlbersetze 4ν ltποστσει ε1ναι bewusst nicht mit sbquoexistierenlsquo weil dies zu leicht ein modernes Verstaumlndnis von aumluszligerlicher Existenz evozieren koumlnn-te welches Simplikios aber gerade nicht meint da er zwischen der Hypostasis ewi-gen rein intelligiblen Seins (welches auch nach neuplatonischem Verstaumlndnis nichtsbquoaumluszligerlich existentlsquo ist sondern ein rein geistiges Sein intellektiver Denk-Wesen bezeichnet) und der Hypostasis aumluszligerlicher sinnlich-wahrnehmbarer Dinge unter-scheidet (vgl Stevens 1990 70 79) wie im Folgenden noch deutlich werden wird

24) Platon Prm 135b8

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 11: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Dingen ndash gemaumlszlig platonischer Auffassung die Simplikios mit demRekurs auf den platonischen Parmenides explizit bemuumlht ndash ohne -hin immer schon Kriterien aus dem Intelligiblen bzw aus dem begrifflichen Denken zurate gezogen werden muumlssen Denn z Bauch sinnlich wahrnehmbare Kreise koumlnnen wie oben ausgefuumlhrtgemaumlszlig Simplikios auf der Ebene der 4πιστAμη also wissenschaftli-cher Erkenntnis nur dann als Kreise identifiziert werden wenn einbegriffliches Kriterium fuumlr das Kreis-Sein i s t also auf wahrhaftseiende Weise Bestand hat Diese wissenschaftliche Betrachtung im(neu-)platonischen Sinn beurteilt das Empirisch-Wahrnehmbareim Unterschied zur bloszligen taumluschungsanfaumllligen Meinung nichtnach seinem aumluszligerlichen Schein sondern richtet sich nach begriff-lichen Maszligstaumlben die unabhaumlngig von dem aumluszligerlich Sichtbarenbestehen und insofern transzendent sind und bdquovon dortldquo auf bdquodasHiesigeldquo also das Sichtbare uumlbertragen werden25 Andernfallswuumlsste man gemaumlszlig platonisch-aristotelischer Auffassung nichtworauf man das rationale Denken richten muumlsse wie Simplikiosmit den Worten sagt die Platon seiner Parmenides-Figur im gleich-namigen Dialog in den Mund legt26

Aristotelesrsquo Vorwurf wauml r e also fuumlr Simplikios berechtigtwenn Parmenides und seine Anhaumlnger den Unterschied welchermit der platonischen Differenzierung zwischen Intelligiblem undSinnlichem gemeint ist tatsaumlchlich nivelliert hauml t t e n Davon kanngemaumlszlig Simplikios aber keine Rede sein ndash Simplikios wendet nochbevor er Aristoteles vollstaumlndig zitiert hat bereits dessen Vorwurfab indem er die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung des Intel-ligiblen auf Wahrnehmbares nicht mehr als Identifikation von bei-dem auffasst sondern im Sinne der platonischen Wissenschafts -systematik gemaumlszlig welcher Sinnliches ohne die (zumindest impli-zite) Hypothesis bestimmter intelligibler Wesen nicht wissen-schaftlich beurteilt werden kann Dabei ist wiederum auffallenddass Simplikios ndash aumlhnlich wie oben auf der Basis des sprachlichenZusammenhangs von Meinung und Schein (δξα) ndash auch hier den

399Intelligibles = Sinnliches

25) Dass damit jedoch n icht gesagt ist dass von dem veraumlnderlichen Seinuumlberhaupt kein Wissen moumlglich sei eroumlrtert (im Hinblick auf Platon selbst) vanAckeren 2004 108 bdquoMit jeder Erkenntnisweise werden also der ihr zugeordneteontologische Bereich und der davon kausal abhaumlngige tiefer liegende Bereich er-kannt Wissen ist demzufolge nicht nur Wissen vom reinen Sein der Ideen den Ur-bildern sondern auch von deren Abbildern [ ]ldquo

26) Zum Verhaumlltnis Parmenides ndash Platon vgl Rapp 2007 109 132ndash3

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 12: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

entscheidenden Begriff des sbquoUumlbertragenslsquo (μετAνεγκαν) zwar bei-behaumllt aber mit Hilfe des platonischen Systems anders als erwartetdeuten und integrieren kann Gemaumlszlig Simplikios muss auch dieserBegriff (wie oben der des δοκεν) in einer anderen Hinsicht ver-standen werden Dies ist jedoch fuumlr Simplikios kein bloszliger sbquoTricklsquosondern gemaumlszlig platonischer Wissenschaft deshalb legitim weil ereinerseits Aristotelesrsquo Ausfuumlhrungen sogar dem Wort nach ernstnimmt ihnen andererseits aber einen anderen Geltungsbereich zu-weist ndash der potentiell immer weiter fortschreitenden Differenzie-rung von Hinsichten sind fuumlr den platonischen Systematiker keineGrenzen gesetzt

Aber damit ist bisher nur der problematische Begriff dessbquoUumlbertragenslsquo ausdifferenziert worden Denn auch Simplikioskann nicht umhin erneut auf Aristotelesrsquo ersten Kritikpunkt einerangeblichen parmenideischen Identifikation von Intelligiblem undSinnlichem einzugehen da noch nicht geklaumlrt ist weshalb Aristo-teles diese Kritik formuliert In diesem Zusammenhang kann nunauch begruumlndet werden warum Aristotelesrsquo Vorwurf auch fuumlr Sim-plikios stichhaltig waumlre wenn er denn sachlich zutraumlfe

κα ταgtτT δ σως K Hριστοτλης ε1πεν α13τοCς μηδν 2λλο παρ τντν α-σθητν ο13σαν ltπολαμβνειν τR Pν λγειν τ0 $ν τοB γρ α-σθη-τοB 4ναργς ε1ναι δοκοBντος ε- Pν τ0 $ν 4στιν ο13κ Uν εη 2λλο παρτοBτο [ ] λλrsquo K μν Hριστοτλης Vς θος α13τR πρ0ς τ0 φαινμενονκα νBν τν λγων ltπAντησε προνον τοB μ τοCς 4πιπολαιοτρους πα-ραλογζεσθαι ο δ 2νδρες 4κενοι διττν ltπστασιν ltπετθεντο τνμν τοB $ντως $ντος τοB νοητοB τν δ τοB γινομνου τοB α-σθητοBπερ ο13κ Fξουν καλεν Wν Xπλς λλ δοκοBν $ν δι0 περ τ0 WνλAθειαν ε1να φησι περ δ τ0 γινμενον δξανUnd insofern aber hat vielleicht Aristoteles gemeint dass sie [sc Par-menides und Melissos] sbquonichts anderes neben dem Wesen der Wahr-nehmbaren [sc Dinge] annehmenlsquo weil sie das Seiende Eines nennenDenn da das Wahrnehmbare offensichtlich zu s e in scheint [sc und]wenn das Seiende Eines ist dann waumlre es wohl kein anderes neben diesem [ ] Aber Aristoteles wie es seiner Gewohnheit entspricht istim Hinblick a uf da s [sc gemaumlszlig dem ersten Eindruck] s c he inbarOffens i ch t l i che (πρ0ς τ0 φαινμενον) auch jetzt den Worten [scdes Parmenides und Melissos] entgegengetreten indem er vorausden-kend Sorge traumlgt (προνον) dass nicht die Oberflaumlchlicheren einenFehlschluss ziehen Jene Maumlnner aber haben eine zweifache Hyposta-sis vorausgesetzt die eine [sc Hypostasis] des wahrhaft-Seienden27 desIntelligiblen die andere [sc Hypostasis] des Werdenden des sinnlich

400 Fr i edemann Drews

27) Woumlrtlich bdquodes auf seiende Weise Seiendenldquo

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 13: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Wahrnehmbaren welches sie nicht einfach sbquoSeiendeslsquo zu nennen fuumlrwuumlrdig erachteten sondern sbquoSchein-Seiendeslsquo Deshalb sagt er [sc Par-menides28] dass in Bezug auf das Seiende Wahrheit (λAθεια) ist inBezug auf das Werdende aber Meinung (δξα) (Simplikios in Cael III557 12ndash1519ndash24)

Simplikios erklaumlrt Aristotelesrsquo Kritik an einem bestimmten Par-menides-Verstaumlndnis dadurch dass Aristoteles zwei Praumlmissenverbinde (1) Das Wahrnehmbare existiert offensichtlicherweise(2) Parmenides nennt das Seiende Eines Wenn aber das Seiende Eines ist und das Wahrnehmbare existiert dann laumlge der vor-schnelle Schluss nahe dass (3) nur das Wahrnehmbare i s t und in-sofern nicht zwischen diesem und einem intelligiblen Sein (als zweiHypostaseis des Seins) differenziert wird Der potentielle Einwandgegen eine Identifikation von Sinnlichem und Intelligiblem (durchwen auch immer) ist der Sache nach auch in Simplikiosrsquo Augen uneingeschraumlnkt berechtigt Er waumlre also auch gegenuumlber Parme -nides angemessen wenn er zu Recht gegen ihn erhoben werdenkoumlnnte Ist dies aber der Fall

Simplikios haumllt Aristoteles zugute dass es seine Gewohnheitsei dem was scheinbar so offensichtlich daherkomme in Wirklich-keit aber falsch sei entgegenzutreten weil er ein bdquoVorausdenken-derldquo ein προνον sei ndash im Griechischen scheint das Wort fuumlr sbquogoumltt-liche Vorsehunglsquo (πρνοια) durch die darauf bedacht ist Schlechtesund Falsches wieder zum Guten zuruumlckzufuumlhren29 Denn in Wahr-heit so Simplikios habe Parmenides eine zweifache Hypostasis desSeienden also zwischen den zwei Seinsbereichen des Vergaumlnglich-Wahrnehmbaren einerseits und der intelligiblen Wahrheit anderer-seits klar unterschieden und dies habe auch Aristoteles selbst ge -sehen Lediglich der Gefahr eines oberflaumlchlichen und ndash in seinenwie Simplikiosrsquo Augen ndash falschen Parmenides-Verstaumlndnisses habeer vorbeugend entgegentreten wollen30 Simplikiosrsquo Lesart von Aris -totelesrsquo Parmenides-Interpretation laumlsst sich von Aristoteles her in-

401Intelligibles = Sinnliches

28) Dass Parmenides gemeint ist geht aus dem Zusammenhang des Vorher-gehenden hervor vgl Simplikios in Cael III 556 12ndash14 (zitiert in Anm 12)

29) Zur Vorsehungsproblematik vgl Verf 2009 163 178 310 36930) Vgl analog in Cael III 640 20ndash32 wo Simplikios dasselbe Argument

wiederholt Auch dort gehe es nur um eine scheinbare letztlich aber um keine sach- liche Differenz (πραγματικ διαφωνα) in der Platon-Interpretation verschiedenerPhilosophen Aristoteles trete auch hier einem oberflaumlchlich-falschen bis schlech -teren Platon-Verstaumlndnis entgegen welches auf den ersten Blick leicht moumlglich seiund dem deshalb vorgebeugt werden muumlsse

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 14: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

sofern stuumltzen als dieser in der Metaphysik Parmenides im Gegen-satz zu Melissos eine begriffliche (und nicht materielle) Auffassungvom bdquoeinen Seinldquo und deshalb bdquogroumlszligere Einsichtldquo zugesteht31

Ist Aristotelesrsquo Parmenides-Kritik gemaumlszlig Simplikios aber ineiner vorausschauenden Abwehr eines falschen Parmenides-Ver-staumlndnisses motiviert dann kann der zunaumlchst so fundamental wir-kende Vorwurf entschaumlrft werden Er waumlre hart wenn er wahrwaumlre da er aber gemaumlszlig Simplikios Parmenides der Sache nach garnicht trifft kann Simplikios ihn einerseits zuruumlckweisen anderer-seits aber zugleich auch in seine eigene Parmenides-Interpretationinsofern integrieren als Simplikios ein ndash wie er Aristoteles ver-steht ndash oberflaumlchliches Parmenides-Verstaumlndnis und generell eineIdentifikation des Sinnlichen mit dem Intelligiblen ebenso abwen-den will und muss wie der sbquogroszlige Meisterlsquo selbst Der oben kon-statierte lediglich vordergruumlndige Widerspruch loumlst sich fuumlr Sim-plikios also aus sachlich-systematischen Gruumlnden auf ndash insofernbleibt unersichtlich warum Perry dies als bdquoclumsy attempt [ ] to justify Aristotlersquos refutationldquo32 bezeichnet hat Die Fragen ob Aris toteles sbquoirrtlsquo oder sbquoirren darflsquo stellen sich aus dieser Sicht jetztnicht mehr da der Stagirit sich gemaumlszlig Simplikios tatsaumlchlich nichtirrt Dieses Resultat verdankt sich gleichwohl einer ihm vorausge-henden erheblichen Differenzierungsleistung die Simplikios aufder Grundlage der neuplatonischen Ontologie vornimmt

4 Simplikiosrsquo und Aristotelesrsquo Parmenides-Interpretationen im Verhaumlltnis zur modernen Parmenides-Forschung

Simplikios nimmt sowohl seine Parmenides- als auch seineAristoteles-Interpretation auf der Basis neuplatonischer Ontologieund Erkenntnistheorie vor Diese hermeneutische sbquoVor-Einstel-lunglsquo muss mitbedacht werden wenn zum Schluss die Frage ge-

402 Fr i edemann Drews

31) Παρμενδης μν γρ οικε τοB κατ τ0ν λγον 5ν0ς Nπτεσθαι Μλισσοςδ τοB κατ τν +λην [ ] Παρμενδης δ μ3λλον βλπων οικ που λγειν παργρ τ0 Wν τ0 μ Wν ο13θν ξιν ε1ναι 4ξ νγκης Pν οεται ε1ναι τ0 $ν [ ] (Aristmetaph 986b18ndash29) Siehe zur Stelle Palmer 2009 184 und Cherniss 1983 66Anm 270 Zu Simplikios vgl bdquo[ ] Aristotlersquos refutation of only the apparent mean -ing in Parmenides is ultimately to be rejected in favour of his more favorable verdictin Metaphysics A 986b27ndash28ldquo (Perry 1983 206 aumlhnlich 218 99 240 244ndash5)

32) Perry 1983 206 217ndash8

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 15: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

stellt werden soll in welchem Verhaumlltnis Simplikiosrsquo Deutung zurmodernen Parmenides-Forschung gesehen werden koumlnnte derenFuumllle hier naturgemaumlszlig nicht mehr in der angemessenen Detailliert-heit diskutiert werden kann Es sei deshalb nur ein zentraler Punktim Hinblick auf das Verstaumlndnis des parmenideischen Seinsbegriffsbeispielhaft herausgegriffen

Gewichtige Teile der Forschung tendieren dazu ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne von sbquoExistenzlsquo zu verstehen so dass Par-menidesrsquo Argumentation gemaumlszlig Kirk Raven Schofield bdquoauf dieFeststellung hinaus[laufe] daszlig jeder beliebige Gegenstand desDenkens ein wirklicher Gegenstand sein muszligldquo bzw bdquodaszlig jederGegenstand den wir untersuchen existieren muszligldquo33 Diese Inter-pretation ist ferner von Jonathan Barnes und Gwil Owen vertretenworden34 Gegen ein bdquoexistential readingldquo des parmenideischenSeinsbegriffs und fuumlr einen bdquopraumldikativen Monismusldquo spricht sichPatricia Curd aus35 ndash eine Interpretation die jetzt sowohl von Mi-chele Abbate zuruumlckgewiesen wird weil sie ungerechtfertigterwei-se (auf der Basis des δξα-Teils) Vielheitlichkeit in ParmenidesrsquoSeinsbegriff hineinlese36 als auch von John Palmer der Parmenideszwar nicht als bdquostrict monistldquo sondern basierend auf seiner Inter-pretation der drei Wege bzw drei Modi des Seins als bdquogenerousmonistldquo ansieht und eine rein praumldikative Auffassung von τ0 4ν als

403Intelligibles = Sinnliches

33) Kirk Raven Schofield 2001 272 27434) Barnes 2000 [1982] 163 bdquoThus Road (A) says that whatever we inquire

into existsldquo Owen 1993 272 bdquo[ ] he [sc Parmenides] wants to reason about what -ever it is that can be a subject whatever it is that can be talked and thought aboutldquoZu dieser Parmenides-Interpretation in ihrer Abhaumlngigkeit von Bertrand Russel vgljetzt die Kritik von Palmer 2009 19ndash25 74ndash82

35) Curd 1998 bdquoI suggest that the στι is not to be read existentially and thatwhen the existential reading is abandoned Parmenidesrsquo claim that the route of what-is-not is unsayable and unthinkable becomes far less controversialldquo (34) bdquoPredica-tion monism asserts that each thing that genuinely is can hold only a single predi-cate and must hold it in an extremely strong way [ ]ldquo (94) bdquoI conclude then thatthe Parmenidean rejection of division and difference within what-is does not forceus to interpret Parmenides as a numerical monist [ ]ldquo (97)

36) Abbate 2010 54ndash55 Anm 30 bdquo[ ] P K Curd che nel suo citato volumeThe Legacy of Parmenides [ ] attraverso una interpretazione dellrsquoessere parme -nideo come intrinsecamente molteplice recupera la cosmologia della seconda partedel poema nel senso di una effettiva concezione della pluralitagrave degli enti allrsquointernodella doctrina parmenidea [ ] Infine come si egrave giagrave detto in precedenza nessun ele-mento nei frammenti tramandati legittima a concepire lrsquoessere di Parmenide comemoltepliceldquo

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 16: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

einseitig ablehnt37 Ein detaillierterer Blick auf die Forschungslagekann hier nicht erfolgen sie ist u a von Curd Palmer38 MartinaStemich39 und P A Meijer40 zusammengefasst worden

Wenn die Deutung des parmenideischen τ0 4ν als sbquoExistenzlsquoim Sinne aumluszliger l i cher sinnlich-wahrnehmbarer Existenz zu ver-stehen waumlre so kaumlme dies fuumlr Simplikios wohl einer Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem sehr nahe weil so keine (neupla-tonische) Differenz zwischen verschiedenen Hypostaseis des Seinsvorgenommen wuumlrde Aus Aristotelesrsquo Kritik geht hervor dass ereine Parmenides-Interpretation mit einer solchen Identifikationvon Sinnlichem und Intelligiblem durchaus fuumlr moumlglich haumllt auchwenn er das philosophische Resultat an sich ablehnt Gemaumlszlig Sim-plikios unterstellt Aristoteles Parmenides aber diese Identifikationnicht sondern will ihr vielmehr vorbeugen Simplikios wuumlrde eineInterpretation von τ0 4ν im Sinne eines modernen positivisti-schen Existenzbegriffs41 also vermutlich ablehnen Wie waumlre einesolche Interpretation zu bewerten

Es gilt noch einmal darauf zu verweisen dass Simplikios neuplatonische Voraussetzungen mit sich bringt die nicht ohneWeiteres einfach fuumlr Parmenides schon vorausgesetzt und auf ihnappliziert werden koumlnnen Dass Simplikios diese Praumlmissen als hermeneutisches Vor-Verstaumlndnis ansetzt ist methodisch zunaumlchstnicht weniger legitim als wenn ein moderner Existenzbegriff mitParmenidesrsquo τ0 4ν in Verbindung gebracht wird ndash solange beidehermeneutischen Bezugsrahmen offen liegen Es kann deshalb andieser Stelle nicht darum gehen einseitig Simplikios entweder zukritisieren oder ihm einfach zuzustimmen Vielmehr soll in einemletzten Schritt kurz plausibilisiert werden warum Simplikios sichvielleicht berechtigt gesehen haben koumlnnte Parmenides mit sbquoneu-platonischen Augenlsquo zu lesen

404 Fr i edemann Drews

37) Palmer 2009 97 bdquoIn the end efforts to construe Parmenidesrsquo more sig-nificant uses of στι as exclusively predicative appear misguided For [ ] the effec-tive fusion of the existential and predicative senses in the Greek verb ε1ναι entailsthat it is a mistake to base an interpretation of Parmenides on either side exclusive-lyldquo Zu Curds bdquopredicational monismldquo siehe Palmer 2009 26ndash31 138 zu Parme ni -des als bdquogenerous monistldquo ebd 320 323 42ndash43 49 zur Drei-Wege-Interpretationebd 63 ff besonders 73

38) Palmer 2009 4ndash3239) Stemich 2008 10ndash1140) Meijer 199741) Zum Existenz-Begriff siehe oben Anm 23

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 17: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

Gemaumlszlig der Darstellung der Goumlttin von der Parmenides seineSeins-Offenbarung empfaumlngt42 liegt sein (Erkenntnis-)Weg bdquofern-ab der Menschenldquo43 Ein Platoniker wie Simplikios koumlnnte hierineinen ersten Hinweis erblickt haben dass Parmenidesrsquo Perspektiveauf τ0 4ν uumlber das sbquoauf den ersten Blick scheinbar Offensichtlichelsquoalso die aumluszligerliche sinnlich-wahrnehmbare Existenz44 hinaus-geht Auch fuumlr Parmenides ist τ0 4ν ndash das Sein selbst ndash offenbarnichts Offensichtliches Es soll dem Erkenntnisakt des νοεν zu-gaumlnglich sein das νοεν und das Sein (ε1ναι) seien auf bestimmteWeise identisch45 und ohne das Sein koumlnne das νοεν nicht gefun-den werden46 der νος trenne das Sein nicht vom Sein fuumlr ihn seisogar Abwesendes anwesend47 Alle diese Aussagen konnte Sim-plikios gemaumlszlig der neuplatonisch-aristotelischen Erkenntnistheorieunmittelbar auf die Erkenntnisweise des νοBς beziehen der im Er-kenntnisakt mit dem Sein einer intelligiblen Sache identisch wer-den soll48 welche in sich selbst unveraumlnderlich Bestand hat also imUnterschied zum Vergaumlnglich-Seienden weder zeitlich-raumlumlichenLimitationen unterliegt noch von ihrem eigenen Sein sbquogetrenntlsquo

405Intelligibles = Sinnliches

42) Im Kontext seiner Untersuchung zur philosophischen Mystik verstehtAlbert den parmenideischen Weg zur Offenbarung durch die Goumlttin als philoso-phischen Erkenntis- und Erfahrungsweg zugleich insofern damit ein bdquoZuruumlcklegendes Erkenntnisweges bis zum Erreichen des Zielesldquo gemeint ist (Albert 1996 18ndash19 aumlhnlich 126)

43) χαρrsquo 4πε οτι σε μορα κακ προπεμπε νεσθαι τAνδrsquo Kδν (I γρπrsquo νθρZπων 4κτ0ς πτου 4στν) λλ θμις τε δκη τε (Parm fr B 1 26ndash28aDK) Vgl Albert 1996 127

44) Parmenides selbst wird ndash unabhaumlngig von Simplikios ndash in dieser Weise interpretiert von Palmer 2009 179 bdquoThese are sbquoappearanceslsquo only in the sense thatthey are the things apparent to us in perceptionldquo

45) Vgl Abbate 2010 281 bdquoLrsquoessere parmenideo egrave la sua identitagrave con il pen-siero e con la veritagrave pensare se egrave autentico pensare vuol dire pensare lrsquoessere nellasua vera natura ovvero in base alla veritagrave autoevidente che afferma che lrsquoessere egrave enon puograve non essereldquo

46) τ0 γρ α13τ0 νοεν 4στν τε κα ε1ναι (Parm fr B 3 DK) τα13τ0ν δrsquo 4στνοεν τε κα ο+νεκεν στι νημα ο13 γρ 2νευ τοB 4ντος 4ν Jι πεφατισμνον4στιν εltρAσεις τ0 νοεν (Parm fr B 8 34ndash36a DK) Vgl bdquo[ ] nur das kann ge-dacht oder erkannt werden was im eigentlichen Sinne des Wortes ist Daher voll-zieht sich in der Parmenideischen Tradition die Erkenntniskritik immer auch alseine Kritik des Erkenntnisgegenstandesldquo (Rapp 2007 16ndash17)

47) λεBσσε δrsquo μως πεντα νωι παρεντα βεβαως ο13 γρ ποτμAξει τ040ν τοB 4ντος χεσθαι οτε σκιδνμενον πντηι πντως κατ κσμον οτε συν -ιστμενον (Parm fr B 4 1ndash4 DK)

48) Vgl Bernard 1988 181 f Siehe ferner Verf 2009 300 254 Anm 40

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 18: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

werden kann sondern in ewiger Ge g e nwa r t mit sich selbst iden-tisch ist so dass im Unterschied zu sinnlichen Gegenstaumlnden vonihr auch nicht gedacht werden kann sie sei sbquoabwesendlsquo

Ferner konnte Simplikios Parmenides aufgrund dessen all -gemeiner Aussagen uumlber die sbquounbestaumlndige Meinunglsquo und der spe-ziell kosmogonisch-naturwissenschaftlichen Ausfuumlhrungen49 auchzugestehen einen Bereich des Werdens angenommen zu haben50

Wenn man die bdquotruumlgerische Ordnungldquo der Worte51 der Goumlttin uumlberden Bereich der Meinung demnach nicht als absurd oder gar als rei-ne Taumluschung52 sondern als Worte uumlber einen Erkenntnisbereichversteht dem aufgrund seiner Wechselhaftigkeit in Re la t ionzum ewigen Sein der ληθεη keine vergleichbar feststehende Er-kenntnis eignet53 dann koumlnnte (1) die im Wahrheitsteil gewonne-ne Einsicht uumlber das unveraumlnderliche Sein einerseits als Erkennt-nis kr i t e r ium auch fuumlr die sinnliche Welt angewendet werdenohne dass (2) andererseits behauptet werden muumlsste die sinnlichexistierenden Gegenstaumlnde koumlnnten diesem Kriterium voll ent-sprechen

(1) Fuumlr Simplikios ermoumlglicht die Voraussetzung mit sichselbst identischer Ideen erst eine angemessene Beurteilung auch der wechselhaften Wirklichkeit des Sinnlichen weil die sbquoRatiosonst nicht wuumlsste wohin sie sich wenden solltelsquo wie er sagt ndash die mit sich selbst identische unveraumlnderliche Bestimmtheit desparmenideischen Seins konnte fuumlr Simplikios diese platonische erkenntnistheoretische Voraussetzung zumindest in ihrer Grund -

406 Fr i edemann Drews

49) Vgl Parm fr B 9ndashB 18 DK50) Vgl Bormann 1979 3351) 4ν τι σοι παgtω πιστ0ν λγον Fδ νημα μφς ληθεης δξας δrsquo π0

τοBδε βροτεας μνθανε κσμον 4μν 4πων πατηλ0ν κοgtων (Parm fr B 8 50ndash52 DK)

52) So aber Taraacuten 1965 31 bdquo[ ] a theory that not only reduces all humanconceptions to empty names but also tries to show that the world in which we liveis deceptive appearanceldquo Vgl im Unterschied dazu bdquoThere is consequently nogood reason to saddle him [sc Parmenides] with the view that the everyday worldof distinct and changing objects is a non-existent illusion and that we are deluded inbelieving in its existenceldquo (Palmer 2009 49 ebenso 106 161ndash3 323) bdquoThe point [ ]is not that mortalsrsquo thoughts might for all they know be mistaken but that givenwhat those thoughts are about mortals will inevitably fail to maintain their cogni-tive grasp of whatever they happen to be apprehending at any momentldquo (ebd 135)

53) Zu Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation bzgl des Verhaumlltnisses zwi-schen ληθεη- und δξα-Teil und ihrer Vorzeichnung bereits durch Plutarch vglPalmer 2009 39

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 19: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

saumltz lichkeit bereits vorzeichnen (2) Zugleich waumlre mit dieser Parmenides-Interpretation aber nicht behauptet dass das einzelneSinnlich-Seiende in gleicher Weise wie das noetische Sein in sichSeins-Bestimmtheit aufweise Das von Parmenidesrsquo Goumlttin ange-sprochene Miteinander von sbquoLicht und Nachtlsquo koumlnnte so inter -pretiert werden dass sinnlich-wahrnehmbare Bestimmtheiten mit -einander vermischt sind und wie Licht und Nacht miteinander imstaumlndigen Wechsel stehen54 trotzdem waumlre weder sbquoLichtlsquo nochsbquoNachtlsquo als essie selbst denk- und begreifbar wuumlrden beide nichteine gewisse Bestimmtheit in sich aufweisen aufgrund welcher sieals sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo identifizierbar sind55 Das Erkenntniskrite-rium des mit sich selbst identischen Seins waumlre also einerseits vor-ausgesetzt als Bas i s einer angemessenen Meinung uumlber das Sinn-liche ohne dass andererseits impliziert waumlre sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquowaumlren in gleicher Weise wie τ0 4ν ein in sich selbst ruhendes unvergaumlngliches Sein oder gar mit diesem identisch56 Eine solcheIdentifikation des Sinnlichen mit τ0 4ν waumlre vielmehr der grund -

407Intelligibles = Sinnliches

54) α13τρ 4πειδ πντα φος κα νCξ νμασται κα τ κατ σφετραςδυνμεις 4π τοσ τε κα τος π3ν πλον 4στ ν KμοB φεος κα νυκτ0ςφντου σων μφοτρων 4πε ο13δετρωι μτα μηδν (Parm fr B 9 1ndash4DK) α γρ στειντεραι πλ7ντο πυρ0ς κρAτοιο α δrsquo 4π τας νυκτς μετ δφλογ0ς M εται α 1σα (Parm fr B 12 1ndash2 DK)

55) Im Sinne der oben genannten Deutung vgl bdquo[ ] the fact that other en -tities are what they are only for a time or only contingently quite plainly does notmean that they are illusory or sbquomerelylsquo apparent phenomena They are certainlysbquoreallsquo if by this it is merely meant that they exist But they are not what they are inthe same way the entity Parmenides calls sbquorealitylsquo [sc i e ληθεη] is what it isldquo(Palmer 2009 323 ebenso 166)

56) Gegen Interpretationen die um Parmenidesrsquo δξα-Teil positiv (als zuParmenidesrsquo eigenem System gehoumlrige Kosmologie) zu interpretieren sbquoLichtlsquo undsbquoNachtlsquo in g l e i cher Weise wie τ0 4ν als unveraumlnderlich seiend und ungewordenannehmen siehe Palmer 2009 29ndash30 181 Da sbquoLichtlsquo und sbquoNachtlsquo fuumlr Parmenidesin Interdependenz stehen (Parm fr B 9 3 DK) kann auch nicht einfach eines vonbeiden allein genommen mit τ0 4ν gleichgestellt werden (μορφς γρ κατθεντοδgtο γνZμας νομζειν τν μ αν ο13 χρεZν 4στ ιν ndash 4ν Jι πεπλανημνοι ε-σνParm fr B 8 53ndash54 DK) vgl Mourelatos 2008 80ndash87 und Palmer 2009 174 Da τ04ν weder von seinem eigenen Sein zu trennen noch zu zerstuumlckeln sei (Parm fr B 4DK) entfaumlllt gemaumlszlig Palmer 2009 185 die Interpretationsmoumlglichkeit τ0 4ν undden sinnlich-vergaumlnglichen Kosmos als nur aspektue l l e Unterschiede ein undderselben Sache oder τ0 4ν als bdquounderlying substanceldquo des Sinnlichen aufzufassenbdquoIf it seems astounding that What Is is supposed to be everywhere around us eventhough we do not perceive it then we must recall the goddessrsquos directive evidentlypertaining to What Is for Parmenides to sbquobehold things that while absent are stead-fastly present to thoughtlsquo (fr 4 1)ldquo

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 20: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

saumltz liche bdquoIrrtum der Sterblichenldquo und ihres bdquoirrenden νοςldquo57

fass te man die Rede der Goumlttin in dieser Weise auf handelte es sichtatsaumlchlich nur um sbquotaumluschende Wortelsquo weil dann der Erkenntnis-pfad der bdquofernab der Menschenldquo zum Sein selbst fuumlhrt wieder ver-lassen bzw von vornherein verfehlt waumlre58

Im Hinblick auf die oben gestellte Frage ob ParmenidesrsquoSeinsbegriff im Sinne aumluszligerlich-empirisch-wahrnehmbarer Exis -tenz aufzufassen sei ergaumlbe sich gemaumlszlig dieser Lesart also dass sich aus der im Wahrheitsteil uumlber τ0 4ν gewonnenen Erkenntnisein heuristisches Kriterium ableiten laumlsst welches auch fuumlr die Beurteilung des Sinnlich-Wahrnehmbaren angewendet werdenkann auch wenn diese Beurteilung aufgrund der stets im Wandelbegriffenen und daher nicht im vollwertigen Sinne von τ0 4ν sbquoseiendenlsquo empirischen Gegenstaumlnde nur im Meinungshaften verbleibt Jedoch wuumlrde τ0 4ν damit nicht auf die Funktion einerlogischen Regel-Eigenschaft59 oder eines anwendbaren bloszligenGradmessers zur Ergruumlndung empirischer Gegenstaumlnde redu-ziert60 sondern waumlre vielmehr als eine houmlhere Form von Wirklich-keit61 in sich selbst auf voll-guumlltige Weise bestimmt und seiend daes selbst nicht der Veraumlnderung unterliegt Mit einer einfachenUumlbertragung des parmenideischen Seinsbegriffs auf sinnlich-wech-selhafte Gegenstaumlnde denen kein unveraumlnderliches Sein inhaumlriert

408 Fr i edemann Drews

57) α13τρ πειτrsquo π0 τ7ς ]ν δ βροτο ε-δτες ο13δν πλττονται δκρανοιμηχανη γρ 4ν α13τν στAθεσιν -θgtνει πλακτ0ν νον ο δ φοροBνται κωφοKμς τυφλο τε τεθηπτες 2κριτα φBλα οampς τ0 πλειν τε κα ο13κ ε1ναι τα13τ0ννενμισται κο13 τα13τν πντων δ παλντροπς 4στι κλευθος (Parm fr B 6 4ndash9DK)

58) Vgl Parm fr B 7 DK bdquoPart of Parmenidesrsquo achievement was to tran -scend the data of experienceldquo (Palmer 2009 134) Palmer ebd 117 verwendet dasBeispiel der staumlndig wechselnden Mondphasen die eine unveraumlnderliche Erkennt-nis uumlber den Mond auf der Basis der Sinneswahrnehmung unmoumlglich machen (vglParm fr B 14 DK)

59) In Abgrenzung gegen eine rein formal-logische Parmenides-Interpreta -tion und die aus ihr resultierenden Aporien (speziell gegen M Furth) vgl Palmer2009 93 bdquoIt should now be apparent [ ] that Parmenides was not concerned withtruth as a logical property and a fortiori that he was not concerned with isolatingthe conditions of true statements Parmenides was not in short an archaic logicianldquo

60) bdquoParmenides did not [ ] mean to specify either what any possible ob-ject of inquiry or any properly elemental principles of natures must be likeldquo (Pal-mer 2009 49) bdquo[ ] the carefully structured arguments [sc in fr 8] require some-thing more than the mere existence of the object of inquiryldquo (ebd 134)

61) Palmer 2009 91 versteht in diesem Sinne ληθεη als bdquo sbquotruthlsquo only in thesense of what truly is sbquotrue realitylsquoldquo

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 21: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

wuumlrde also gemaumlszlig einer solchen Interpretation erneut erstens dervon der Goumlttin kritisierte Irrtum der Menschen im Sinnlichennach einem unveraumlnderlichen Sein zu suchen begangen und zwei-tens die von Aristoteles kritisierte Uumlbertragung intelligibler Be-stimmtheit auf das Wahrnehmbare vorgenommen ndash gemaumlszlig Simpli-kios selbst (sowie seiner Aristoteles-Interpretation) eine Fehldeu-tung gegen die er im Rahmen seines neuplatonischen AnsatzesParmenides in Schutz nehmen will weil er ihm zugesteht ein Sein gefunden zu haben welches aufgrund seiner Unveraumlnderlich-keit und darin begruumlndeten Transzendenz der Vergaumlnglichkeit desSinnlichen platonisch mit dem intelligiblen Sein identifizierbar ist

Dass Parmenidesrsquo τ0 4ν (und insofern auch Parmenides selbstals Inbegriff dieser Lehre) fuumlr die Neuplatoniker mit dem plato-nisch-intelligiblen sbquoseienden Einenlsquo identifizierbar war62 hat nichtzuletzt eine Ursache bei Platon selbst Im Theaitetos laumlsst er Sokra-tes von bdquodem einen seienden Parmenidesldquo63 sprechen ndash der ZusatzQνα $ντα ist zumindest auffaumlllig und waumlre syntaktisch keineswegsnoumltig Aus dem dort Folgenden geht hervor dass schon Platon inBezug auf Parmenides und die Interpretation seiner Philosophie dieGefahr gesehen hat dass man ihn leicht missverstehen und ange-sichts der bdquoTiefeldquo des parmenideischen Denkens hinter ihm bdquoweitzuruumlckbleibenldquo koumlnne64 ndash eine Vorsicht die gemaumlszlig Simplikios Aris -toteles mit seiner bdquovorausdenkenden Sorgeldquo geteilt haben duumlrfte

409Intelligibles = Sinnliches

62) Stevens 1990 52 81 erachtet sowohl eine solche Identifikation des parmenideischen τ0 4ν mit dem neuplatonischen Pν ltπεροgtσιον wie auch mit demPν $ν fuumlr unmoumlglich und betrachtet Simplikiosrsquo Parmenides-Interpretation daher als anachronistisch (ebd 82 42 48 50) ndash Bormann 1979 38 zufolge identifiziertSimplikios Parmenidesrsquo τ0 4ν mit der Hypostasis des νοBς Dies wuumlrde der Inter-pretation Plotins entsprechen (vgl Bormann ebd 31) wird aber der spaumlteren Aus-differenzierung zwischen Pν $ν und νοBς die Simplikios kennt nicht in vollemMaszlige gerecht (vgl in Cael III 556 15ndash16)

63) Μλισσον μν κα τοCς 2λλους ο^ Pν 5στ0ς λγουσι τ0 π3ν α-σχυνμε-νος μ φορτικς σκοπμεν _ττον α-σχgtνομαι 6 Qνα $ντα Παρμενδην (Platon Tht183e3ndash5) Zur Stelle und ihrer neuplatonischen Interpretation vgl Radke 2006316ndash7 (mit Anm 516)

64) Παρμενδης δ μοι φανεται τ0 τοB `μAρου bdquoα-δος τ μοιldquo ε1ναι Nμαbdquoδεινς τεldquo συμπροσμειξα γρ δ τR νδρ πνυ νος πνυ πρεσβgtτT κα μοι4φνη βθος τι χειν παντπασι γενναον φοβοBμαι οEν μ οτε τ λεγμενα συν -ιμεν τ τε διανοοgtμενος ε1πε πολC πλον λειπZμεθα (Platon Tht 183e5ndash184a3)Im Kontext der behutsamen Kritik an Parmenides vgl die Worte des EleatischenFremden im Sophistecircs mit denen er den potentiellen Vorwurf des sbquoVatermordslsquo anParmenides abzuwehren beabsichtigt (Sph 241d) Abbate 2010 70 der zwar von

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 22: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

5 Zusammenfassung

Simplikios nimmt Parmenides sowohl vor dem potentiellenVorwurf er wuumlrde nicht hinreichend zwischen Intelligiblem undSinnlichem unterscheiden in Schutz als auch integriert er Aristo-telesrsquo Kritik im Sinne einer potentiellen Missverstaumlndnissen vor-beugenden Vorsichtsmaszlignahme in seine neuplatonische Parme ni -des-Interpretation und weist ihr so einen berechtigten Platz zuSimplikiosrsquo Gruumlnde dafuumlr erscheinen vor dem Hintergrund seinesneuplatonischen Denkens plausibel Ob seine Parmenides-Inter-pretation als solche dem Eleaten gerecht wird ist eine andere Fra-ge zumindest wuumlrde Simplikios gegenuumlber einer Deutung des par-menideischen Seins-Begriffs in dem Sinne dass bdquojeder Gegenstandden wir untersuchen existieren muszligldquo65 wohl einwenden wollendass dies einer Reduktion von Parmenidesrsquo τ0 4ν auf ein abstrak-tes Erkenntniskriterium gleichkaumlme dessen eigene nur fuumlr dasνοεν erkennbare Seinsfuumllle66 dann aus dem Blick geraten waumlre67

Auch erschiene es in dieser Perspektive fraglich warum zum Er-

410 Fr i edemann Drews

Platons Integration parmenideischer Ontologie spricht welche jedoch im Neu -platonismus letztlich zu einem bdquotentativo di superamentoldquo werde (ebd 71) ist derAnsicht dass die Neuplatoniker ndash mehr oder weniger im Unterschied zu Platonselbst (vgl ebd 93 99ndash103) ndash den sbquoVatermordlsquo an Parmenides nur bdquogetarntldquo haumltten(bdquoStravolgendo il senso della ontologia di Parmenide essi di fatto sbquomascherano ilparricidiolsquo ndash almeno tentato ndash del quale lo Straniero di Elea ovvero Platone stessonel Sofista dice di temere di venir accusatoldquo ebd 261) Der sbquoneuplatonische Parmenideslsquo sei letztlich bdquoun Parmenide sostanzialmente sbquoanti-parmenideolsquo ldquo (ebd258 261) Eine andere Sichtweise auf Platons Auseinandersetzung mit ParmenidesrsquoSeinsphilosophie bdquoderen ganzes Potential erst Platons nicht-vatermoumlrderische Kri-tik fruchtbar machtldquo formuliert Halfwassen 2004 278

65) Diese Voraussetzung ist in sich zweifelhaft bdquo[ ] for one certainly canthink about and speak of or indicate what does not existldquo (Palmer 2009 104 eben-so 110) Palmer versteht τ0 μ 4ν daher nicht im Sinne vonsbquonicht existierendlsquo (ebd103) sondern als Schlussfolgerung uumlber die modalen Bedingungen des Seins alsbdquoone of the earliest instances of a form of inference ndash that from inconceivability toimpossibilityldquo (ebd 104) Zu bdquoParmenidean modalitiesldquo als bdquoways things can beldquosiehe Palmer ebd 99

66) π3ν δrsquo μπλεν 4στιν 4ντος (Parm fr B 8 24b DK) Zu den Par-menides-Fragmenten uumlber das νοεν siehe oben Anm 46

67) Vgl mit Bezug auf Simplikios in Phys 144 2ndash8 bdquoAn abstract concept isneither ungenerated nor imperishable the universale in rebus is sensible and there-fore it belongs to the realm of Doxa and cannot be sbquonow all at oncelsquo not to mentionthat in it there is no unity of thinking and what is thought It would be absurd tomean by the Parmenidean being the individual substance The individual substancecomes to be and perishes it is changeable divisible [ ]ldquo (Bormann 1979 37ndash38)

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 23: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

schlieszligen eines allgemeinen Existenz-Postulats ein Weg bdquofernabder Menschenldquo eingeschlagen werden musste oder gar eine goumlttli-che Offenbarung des bdquounerschuumltterlichen Herzens der wohluumlber-zeugenden Wahrheitldquo von der Parmenides schreibt noumltig war68

Bibliografie

M Abbate Parmenide e i neoplatonici DallrsquoEssere allrsquoUno e al di lagrave dellrsquoUno Allessandria 2010

M van Ackeren Die Unterscheidung von Wissen und Meinung in Politeia V undihre praktische Bedeutung in ders (Hrsg) Platon verstehen Themen undPerspektiven Darmstadt 2004 92ndash110

K Albert Einfuumlhrung in die philosophische Mystik Darmstadt 1996H Baltussen Philosophy and Exegesis in Simplicius The Methodology of a Com-

mentator London 2008J Barnes The Presocratic Philosophers London 2000 [rev ed of 1982]W Bernard Rezeptivitaumlt und Spontaneitaumlt der Wahrnehmung bei Aristoteles Ver-

such einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmungbei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeitbei Descartes und Kant Baden-Baden 1988 (Saecula Spiritalia Bd 19)

W Bernard Spaumltantike Dichtungstheorien Untersuchungen zu Proklos Heraklei-tos und Plutarch Stuttgart 1990

K Bormann The Interpretation of Parmenides by the Neoplatonist Simplicius TheMonist 62 1979 30ndash42

H Cherniss Aristotlersquos Criticism of Presocratic Philosophy New York 31983[1935]

N-L Cordero Simplicius et lrsquoEacutecole Eacuteleacuteate in I Hadot (Hrsg) Simplicius sa vieson œuvre sa survie actes du colloque international de Paris (28 Sept ndash 1er

Oct 1985) Berlin 1987 166ndash181P Curd The Legacy of Parmenides Eleatic Monism and Later Presocratic Thought

Princeton 1998F Drews Menschliche Willensfreiheit und goumlttliche Vorsehung bei Augustinus

Proklos Apuleius und John Milton Frankfurt 2009 (Topics in Ancient Phil -osophy Vol 3 Ed by L Jansen C Jedan C Rapp)

M Furth Elements of Eleatic Ontology in A P D Mourelatos (Hrsg) The Pre-socratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993 [rev ed of 1974]241ndash270

J Halfwassen Platons Metaphysik des Einen in van Ackeren (Hrsg) Platon ver-stehen Themen und Perspektiven Darmstadt 2004 263ndash278

G S Kirk J E Raven M Schofield Die Vorsokratischen Philosophen Einfuumlh -rung Texte und Kommentare Stuttgart 2001

411Intelligibles = Sinnliches

68) bdquoThe goddessrsquos criticism of mortal haplessness focuses on their pre-sumption that genuine conviction and understanding can be had from directingonersquos attention to these essentially mutable entitiesldquo (Palmer 2009 323 ebenso 175)

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews

Page 24: INTELLIGIBLES = SINNLICHES? Simplikios’ differenzierter

P A Meijer Parmenides Beyond the Gates The Divine Revelation on Being Think -ing and the Doxa Amsterdam 1997

A P D Mourelatos The Route of Parmenides Las Vegas 2008 [Revised and ex pand -ed edition of 1970]

G E L Owen Plato and Parmenides on the Timeless Present in A P D Mourela-tos (Hrsg) The Presocratics A Collection of Critical Essays Princeton 1993[1974] 271ndash292

J Palmer Parmenides and Presocratic Philosophy Oxford 2009B M Perry Simplicius as a Source for and an Interpretator of Parmenides [Disser-

tation] Washington 1983G Radke Das Laumlcheln des Parmenides Proklosrsquo Interpretationen zur Platonischen

Dialogform Berlin 2006C Rapp Vorsokratiker Muumlnchen 22007M Schmitz Analysis ndash Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis Hrsg von

W Bernard und St Kammler Freiburg 2010M Stemich Parmenidesrsquo Einuumlbung in die Seinserkenntnis Frankfurt a M 2008A Stevens Posteacuteriteacute de lrsquoEcirctre Simplicius interpregravete de Parmeacutenide Bruxelles 1990L Taraacuten Parmenides Princeton 1965R Thiel Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen Stuttgart

1999

Rostock Fr i edemann Drews

412 Fr i edemann Drews