klassiker des europäischen denkens · identität. lege ich die auch in diesem buch verwendete...

16
Nomos Klassiker des europäischen Denkens Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte Winfried Böttcher [Hrsg.]

Upload: others

Post on 09-Jan-2020

2 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Nomos

Klas

sike

r des

eu

ropä

isch

en D

enke

ns

Im Jahre 1306 hat zum ersten Mal in der Geschichte der Franzose Pierre Dubois einen vollständigen Euro-paplan vorgelegt. In den seither vergangenen Jahrhunderten haben Persönlichkeiten immer wieder über den Zustand Europas in ihrer Zeit und über die Zukunft des Kontinents nachgedacht. Das große Lexikon „Klassiker des europäischen Denkens“ stellt den Kanon zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des europäischen Denkens dar. Der Band versammelt und vereint dabei die Friedens- und Europavorstellungen von über 100 herausragenden Persönlichkeiten aus mehr als 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte. Renommierte Philosophen, Historiker, Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaftler aus über 40 Universitä-ten und Forschungseinrichtungen in ganz Europa sowie – mit Jean-Claude Juncker und Martin Schulz – zwei bekennende Europäer im aktiven Politikbetrieb laden den Leser zu einem neuen Diskurs über den Frieden ein, der immer auch ein Diskurs über Europa war und ist.

Der Herausgeber:

Professor (em.) Dr. Dr h.c. mult. Winfried Böttcher, geb. 1936, Erststudium: Maschinenbau für Gewerbe-lehramt an der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 1. und 2. Staatsexamen, ordentl. Zweitstudium in Aachen und London (LSE) in: Erziehungswissenschaft, Neuere Geschichte, Politik und Ökonomie, von 1973 bis 2001 Professor für Politische Wissenschaft an der RWTH mit Schwerpunkt Inter-nationale Beziehungen und Europapolitik, seit 2005 Leiter des postgradualen Europastudiengangs an dem von ihm gegründeten Europainstitut Klaus Mehnert der Staatlichen Technischen Universität Kaliningrad, Russland.

Mit Beiträgen von:

Mariano Barbato, Alexander W. Belobratow, Winfried Böttcher, Peter Brandt, Karl-Heinz Breier, Klaus Bringmann, Gunilla Budde, Maurizio Cau, Heinz Duchhardt, Carl Antonius Lemke Duque, Jürgen Elvert, Alexander Erochin, Martin Espenhorst, Bernd Faulenbach, Fabian Fechner, Christine Frohn, Wladimir Gilmanov, Karl Hahn, Philip Hahn, Waltraud Hakenberg, Dominik Hammer, Angelina Hermanns, Marina Ortrud Hertrampf, Jean-Claude Juncker, Ralf Junkerjürgen, Peter Kainz, Andreas Kalina, Christoph Kann, Max Kerner, Franz Knipping, Irene Kögl, Stephan Koppelberg, Johanna Krawczynski, Josef Langer, Doris Lauer, Jürgen Lauer, Jürgen Linden, Lazaros Miliopoulos, Ursula Münch, Jürgen Nielsen-Sikora, Peter Nitschke, Antje Nötzold, Eckart Otto, Erich Pelzer, Annabelle Petschow, Teresa Pinheiro, Anita Prettenthaler-Ziegerhofer, Volker Reinhardt, Joachim Rogall, Wilfried Röhrich, Enno Rudolph, Jens Ruppenthal, Thomas Schölderle, Barbara Schommers, Martin Schulz, Wolfram Siemann, Marc Stegherr, Gotthard Strohmaier, Edit Szegedi, Thomas A. Szlezák, Klaus H. Tacke, Alexander Thumfart, Felix Unger, Rüdiger Voigt, Klaus Peter Walter, Werner Weidenfeld, Martin Winter, Stephanie Wolff-Rohé und Wichard Woyke.

ISBN 978-3-8329-7651-4

Klassiker des europäischen DenkensFriedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte

Winfried Böttcher [Hrsg.]Böttcher

BUC_Böttcher_7651-4_PKH.indd 1 08.05.14 09:03

Page 2: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte

Klassiker des europäischen Denkens

Nomos

Winfried Böttcher [Hrsg.]

BUT_Böttcher_7651-4.indd 3 08.05.14 09:02

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 3: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

1. Auflage 2014© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8329-7651-4

Bildquelle/Titelcover: Fotolia/Mopic © “Night view of Europe”

BUT_Böttcher_7651-4.indd 4 08.05.14 09:02

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 4: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Geleitwort

Seit mehr als 3.000 Jahren prägen Kultur, Frieden und Krieg ganz wesentlich unsere europäischeIdentität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko ausdem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in ihrem weitesten Sinne die Gesamtheit der einzig-artigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gemeinschaft kenn-zeichnen“. Eine solche Definition schließt nicht nur „Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebens-formen, die Grundrechte der Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“.Im Gegensatz zur Natur, in die der Mensch hineingeboren wird, die er vorfindet, bedeutet Kulturdas, was das Individuum aus seinem Leben macht und es von seinem Mitmenschen unterscheidet,aber auch ihm ähnlich macht.Auf Völker übertragen, zeigt sich dieses in der Differenz der Kulturen. Auf Europa angewendet, gibtes so etwas wie eine spezifische europäische Kultur, zu der alle Völker Europas, kleine wie große,ihren Anteil beigesteuert haben.Die Auswahl der „Klassiker des europäischen Denkens“ betrifft herausragende Persönlichkeitenihrer Zeit, die einen besonderen Beitrag aus unserer vergangenen, zu unserer heutigen und damit zuunserer zukünftigen Selbstvergewisserung geleistet haben und immer noch leisten. Sie haben Wertegeschaffen, von denen wir heute leben, die uns zu überzeugten Europäern machen.Diesem „gemeinsamen europäischen Fundus“ gehe ich stichwortartig nach:– die Würde und Freiheit des Individuums als Bindungsprinzip des Staates, wobei Freiheit in die-

sem Sinne immer „Freiheit des anders Denkenden“ (Rosa Luxemburg) bedeutet;– Rechtsstaatlichkeit als Pendant, Ergänzung und Garantie der Freiheit;– das dritte übergreifende Element, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Würde der Per-

son und der Rechtsstaatlichkeit steht, ist die soziale Verantwortung, die Solidarität.Seit der Französischen Revolution beherrschen diese drei europäischen Grundwerte: Freiheit,Gleichheit, Brüderlichkeit unser Denken. Ihre Ursprünge reichen jedoch weit in die Geschichte zu-rück, wie auch das vorliegende Lexikon überzeugend aufzeigt.Als institutionelle Form des Zusammenlebens, um diese drei Grundwerte zur vollen Verwirklichungzu bringen, entspricht der „Mission Europas“, „… daß man nach dem Reichtum der Verschieden-heit zu streben und den allumfassenden Drang zur Einförmigkeit abzuweisen hat …; daß man dasPostulat von der sich alles unterwerfenden Gemeinschaft ebenso ablehnt wie den abstrakten Indivi-dualismus, der den Menschen von jeder Gemeinschaft zu lösen sucht. Der politische Ausdruck die-ser Haltung ist der Föderalismus“ (aus: Vorläufer des Hertensteiner Programms 1946).Wie Europa und Kultur, so sind auch Europa und Frieden zwei Seiten derselben Medaille. Der indiesem Buch dokumentierte europäische Diskurs der ausgewählten Klassiker ist auch immer einfriedenspolitischer. Die hier vorgestellten Friedenspläne sind immer auch Europapläne. Es dreht sichin den Vorschlägen, Ideen und Visionen darum, einen „ewigen Frieden“ (Kant) zu begründen.Solange unser kollektives Gedächtnis reicht, ist die europäische Geschichte geprägt durch ständigekriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Völkern, unterbrochen durch wenige friedlicheZwischenzeiten.Zwar hat mit der Entstehung des modernen Staatensystems im Westfälischen Frieden 1648 dieHoffnung auf eine dauernde europäische Friedensordnung zugenommen, aber mehr oder wenigerblieb es bei der Hoffnung.Erst 300 Jahre später, nach vielen Kriegen und der „doppelten Urkatastrophe“, dem Ersten undZweiten Weltkrieg, haben weitsichtige Staatsfrauen und -männer der europäischen Völker zu einergemeinsamen Vernunft gefunden.So bleibt es das herausragende Verdienst der Europäischen Gemeinschaft, bis heute 28 europäischeVölker zu einen. Konflikte werden durch Diskurs und Kompromiss geregelt. Aus eigener Erfahrungweiß ich, dass der Integrationsprozess nicht immer reibungslos vonstattengeht. Im Gegenteil: Oft-

5

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 5: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

mals ist es zermürbend, kostet viel Energie, verläuft schleppend und ist mit Rückschlägen verbun-den. Aber: Es ist der Mühe wert! Willy Brandt hat es einmal so ausgedrückt: „Frieden ist nicht alles,aber ohne Frieden ist alles nichts“.Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union bedeutet für uns Europäer einenAnsporn, unser Engagement im europäischen Einigungsprozess zu erneuern. Denn weder der euro-päische Integrationsprozess noch der durch ihn geschaffene Frieden und Wohlstand sind unumkehr-bar. Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine zeigen, wie zerbrechlich der Frieden ist und wie schnellsich mitten in Europa eine Eskalationsspirale entwickeln kann.Zum ersten Mal in dieser Form wurden „Klassiker des europäischen Denkens“ mit dem Ziel ausge-wählt, einen Beitrag zu leisten, das heutige Europa mit Hilfe ganz besonderer Gedanken der Ver-gangenheit zu verstehen, um uns davor zu bewahren, planlos in die Zukunft zu stolpern.

Martin Schulz, Brüssel

Geleitwort

6

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 6: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

InhaltsverzeichnisGeleitwort ......................................................................................................... 5

Idee, Plan und Aufbau des Buches ......................................................................1. 13Winfried Böttcher

Das europäische Erbe ......................................................................................2. 19

Das griechische Erbe .................................................................................2.1 19Thomas Alexander Szlezák

Das römische Erbe ....................................................................................2.2 34Klaus Bringmann

Das jüdisch-christliche Erbe ........................................................................2.3 47Eckart Otto

Was Europa dem Islam verdankt und was den Byzantinern ................................2.4 52Gotthard Strohmaier

Das Erbe Karls des Großen .........................................................................2.5 59Max Kerner

Die ausgewählten Klassiker ...............................................................................3. 75

Auf dem Wege in die Frühe Neuzeit (1306–1648) ............................................3.1 75

Pierre Dubois (ca. 1255–ca. 1321) ................................................................ 75Doris Lauer

Enea Silvio Piccolomini, Papst Pius II. (1405–1464) .......................................... 82Volker Reinhardt

Georg von Podiebrad (1420–1471) ............................................................... 89Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) ................................................... 96Alexander Thumfart

Erasmus von Rotterdam (1466/67/69–1536) ................................................... 109Philip Hahn

Niccolò Machiavelli (1469–1527) ................................................................ 116Volker Reinhardt

Sebastian Münster (1488–1552) ................................................................... 123Philip Hahn

Maximilien de Béthune, Duc de Sully (1559–1641) .......................................... 131Klaus Peter Walter

Hugo Grotius (1583–1645) ......................................................................... 136Waltraud Hakenberg

Eméric Crucé (ca. 1590–1648) ..................................................................... 142Doris Lauer

7

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 7: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Die Aufklärung und ihre Folgen (1649–1815) .................................................3.2 150

Thomas Hobbes (1588–1679) ..................................................................... 150Rüdiger Voigt

John Locke (1632–1704) ............................................................................ 156Peter Kainz

William Penn (1644–1718) ......................................................................... 164Winfried Böttcher

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) ........................................................ 174Peter Nitschke

Charles Irénée Castel, Abbé de Saint-Pierre (1658–1743) ................................... 179Doris Lauer

Peter I., der Große (1672–1725) ................................................................... 187Alexander W. Belobratow

Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689–1755) ....... 193Karl-Heinz Breier

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ............................................................. 199Peter Kainz

Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717–1771) .............................................. 209Martin Espenhorst

Immanuel Kant (1724–1804) ...................................................................... 216Vladimir Gilmanov

August Ludwig (von) Schlözer (1735–1809) ................................................... 223Martin Espenhorst

Antoine Marquis de Condorcet (1743–1794) .................................................. 230Jürgen Lauer

Johann Gottfried Herder (1744–1803) .......................................................... 237Barbara Schommers

Anacharsis Cloots (1755–1794) ................................................................... 243Klaus Peter Walter

Johann Gottfried Schindler (1756–1811) ........................................................ 247Klaus H. Tacke

Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) ............................................................. 254Karl Hahn

Germaine de Staël-Holstein (1766–1817) ....................................................... 261Jürgen Lauer

Napoleon Bonaparte (1769–1821) ................................................................ 268Erich Pelzer

Der Umbruch zur Moderne (1816–1913) .......................................................3.3 277

Jeremy Bentham (1748–1832) ..................................................................... 277Winfried Böttcher

Karl Freiherr vom und zum Stein (1757–1831) ................................................ 284Heinz Duchhardt

Inhaltsverzeichnis

8

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 8: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Henri de Saint-Simon (1760–1825) ............................................................... 289Jürgen Lauer

Conrad Georg Friedrich Elias von Schmidt-Phiseldek (1770–1832) ...................... 297Jürgen Nielsen-Sikora

Clemens von Metternich (1773–1859) ........................................................... 302Wolfram Siemann

Joseph Görres (1776–1848) ........................................................................ 309Lazaros Miliopoulos

Juan Francisco Siñeriz (1778–1857) .............................................................. 316Teresa Pinheiro

Carlo Cattaneo (1801–1869) ....................................................................... 323Fabian Fechner

François Pierre Guillaume Guizot (1787–1874) ............................................... 329Jürgen Lauer

Théodore Simon Jouffroy (1796–1842) ......................................................... 336Klaus Peter Walter

Victor Hugo (1802–1885) .......................................................................... 341Klaus Peter Walter

Alexis de Tocqueville (1805–1859) ............................................................... 347Ralf Junkerjürgen

Giuseppe Mazzini (1805–1872) ................................................................... 353Lazaros Miliopoulos

Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) .......................................................... 359Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) ............................................................ 365Jürgen Lauer

Constantin Frantz (1817–1891) ................................................................... 373Jürgen Elvert

Jacob Burckhardt (1818–1897) .................................................................... 377Winfried Böttcher/Martin Schulz

Karl Marx (1818–1883) ............................................................................. 387Peter Brandt

Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1821–1881) ........................................... 393Alexander Erochin

Nikolaj Jakovlevič Danilevskij (1822–1885) ................................................... 401Alexander W. Belobratow

Joseph-Ernest Renan (1823–1892) ................................................................ 406Jürgen Lauer

Bertha von Suttner (1843–1914) .................................................................. 413Stephanie Wolff-Rohé

Friedrich Nietzsche (1844–1900) .................................................................. 419Enno Rudolph

Inhaltsverzeichnis

9

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 9: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Leonid Alekseevič Kamarovskij (1846–1912) .................................................. 427Alexander W. Belobratow

Die doppelte Katastrophe (1914–1945) .........................................................3.4 431

Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) ......................................................... 431Josef Langer

Georges Sorel (1847–1922) ......................................................................... 438Wilfried Röhrich

Friedrich Naumann (1860–1919) ................................................................. 445Edit Szegedi

Aristide Briand (1862–1932) ....................................................................... 452Dominik Hammer/Irene Kögl

Aurel Constantin Popovici (1863–1917) ........................................................ 458Marc Stegherr

Max Weber (1864–1920) ........................................................................... 466Wilfried Röhrich

Romain Rolland (1866–1944) ..................................................................... 470Marina Ortrud M. Hertrampf

Rosa Luxemburg (1871–1919) .................................................................... 476Stephanie Wolff-Rohé

Paul Valéry (1871–1945) ............................................................................ 480Marina Ortrud M. Hertrampf

Johan Huizinga (1872–1945) ...................................................................... 486Christoph Kann

Winston Churchill (1874–1965) ................................................................... 493Antje Nötzold

Gustav Stresemann (1878–1929) .................................................................. 499Werner Weidenfeld

Oswald Spengler (1880–1936) ..................................................................... 504Annabelle Petschow

Alcide De Gasperi (1881–1954) ................................................................... 510Maurizio Cau

José Ortega y Gasset (1883–1955) ................................................................ 516Carl Antonius Lemke Duque

Carl Friedrich Goerdeler (1884–1945) ........................................................... 526Joachim Rogall

Jacob ter Meulen (1884–1962) .................................................................... 531Winfried Böttcher

Der Phönix aus der Asche (1946–2011) .........................................................3.5 537

Konrad Adenauer (1876–1967) ................................................................... 537Werner Weidenfeld

Rudolf Pannwitz (1881–1969) ..................................................................... 542Barbara Schommers

Inhaltsverzeichnis

10

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 10: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Karl Jaspers (1883–1969) ........................................................................... 548Annabelle Petschow

Robert Schuman (1886–1963) ..................................................................... 554Stephan Koppelberg/Christine Frohn

Joseph Bech (1887–1975) ........................................................................... 560Jean-Claude Juncker

David Mitrany (1888–1975) ....................................................................... 566Mariano Barbato

Jean Monnet (1888–1979) .......................................................................... 574Franz Knipping

Carl Schmitt (1888–1985) .......................................................................... 581Rüdiger Voigt

Christopher Dawson (1889–1970) ................................................................ 587Lazaros Miliopoulos

Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894–1972) ........................................ 592Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Arnold Bergstraesser (1896–1964) ................................................................ 598Thomas Schölderle/Ursula Münch

Carlo Schmid (1896–1979) ......................................................................... 607Jens Ruppenthal

Paul-Henri Spaak (1899–1972) .................................................................... 613Martin Winter

Charles de Gaulle (1890–1970) .................................................................... 619Wichard Woyke

Kurt von Raumer (1900–1982) .................................................................... 628Heinz Duchhardt

Walter Hallstein (1901–1982) ..................................................................... 635Jürgen Elvert

Hannah Arendt (1906–1975) ...................................................................... 640Gunilla Budde

Denis de Rougemont (1906–1985) ............................................................... 647Teresa Pinheiro

Hendrik Brugmans (1906–1997) .................................................................. 655Angelina Hermanns

Altiero Spinelli (1907–1986) ....................................................................... 661Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Hans Georg Max Joachim von der Groeben (1907–2005) .................................. 668Jürgen Elvert

Otto von Habsburg (1912–2011) ................................................................. 673Felix Unger

Willy Brandt (1913–1992) .......................................................................... 679Bernd Faulenbach

Inhaltsverzeichnis

11

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 11: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Pierre Werner (1913–2002) ......................................................................... 687Jean-Claude Juncker

François Mitterand (1916–1996) .................................................................. 694Wichard Woyke

Karol Wojtyła, Papst Johannes Paul II. (1920–2005) ......................................... 702Jürgen Linden

Ernst B. Haas (1924–2003) ......................................................................... 712Winfried Böttcher/Johanna Krawczynski

Walter Lipgens (1925–1984) ....................................................................... 717Johanna Krawczynski

Rolf Hellmut Foerster (1927–1990) .............................................................. 724Johanna Krawczynski

Bronisław Geremek (1932–2008) ................................................................. 730Joachim Rogall

Václav Havel (1936–2011) ......................................................................... 735Andreas Kalina

Europa – quo vadis? ........................................................................................4. 743

Anhang ............................................................................................................. 761

Historisches Personenverzeichnis ........................................................................ 761

Die ausgewählten Klassiker nach Alphabet ........................................................... 773

Weitere Klassiker des europäischen Denkens ......................................................... 775

Autorinnen und Autoren .................................................................................. 777

Danksagung ....................................................................................................... 781

Inhaltsverzeichnis

12

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 12: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

1. Idee, Plan und Aufbau des Buches

Den Wunsch, ein Lexikon „Klassiker des europäischen Denkens“ herauszugeben, habe ich schonfrüh als Professor für Politische Wissenschaft gehegt. Während meiner intensiven Beschäftigung mitEuropa – historisch, kulturell und politisch – fehlte immer wieder ein solches Nachschlagewerk. Essollte einen raschen Zugriff und Überblick gewähren und zur vertiefenden Beschäftigung mit denKlassikern anregen, die nicht zuletzt unser heutiges Bild von Europa geprägt haben.

Der Anspruch des Lexikons ist es, mit dieser Auswahl von Klassikern Einblicke in eine 700-jährigeKulturgeschichte zu wagen.

Bevor wir unseren Plan und Aufbau des Buches vorstellen, wollen wir noch kurz die beiden zentra-len Begriffe „Klassiker“ und „Kulturgeschichte“, wie wir sie verstehen, erläutern.

Aulus Gellius (130–180) – ein römischer Schriftsteller, der ältere Sprach- und Stilformen bevorzugte– unterschied zwischen „scriptor classicus“ und „scriptor proletarius“. Hierbei orientierte er sich ander Einteilung der römischen Gesellschaft des Servius Tullius (6.Jh. v. Chr.) in Klassen, in „classi-ci“, „intra classem“ und „proletarii“. In diesem Sinne wird „Klassiker“, wie wir ihn als Begriff ver-stehen, auf Autoren ersten Ranges angewendet, verbunden mit einer besonderen Wertschätzung.

Edwin Sandys (1561–1629) – britischer Staatsmann und Mitbegründer von Virginia – greift in sei-nem Buch über den religiösen Staat Europas Europae Speculum den Gedanken von Gellius auf. Erversteht unter einem Klassiker einen Autor „of the first rank or authority.“ Auch benutzt er „classi-cal and canonical“ in einem Zusammenhang (vgl. zu dieser kleinen Wortgeschichte: Britannica1910, 448).

Als Klassiker bezeichnen wir also eine Persönlichkeit, die in ihrer Zeit mit innovativen Gedankendiese geprägt, Diskurse angestoßen hat, aber deren Gedanken auch bis in unsere Zeit Wirkung zei-gen.

Somit haben wir bei unserer Auswahl folgende Kriterien angelegt:

– Was sind die bestimmenden Faktoren, die wir bei den ausgewählten Klassikern finden, die unserheutiges Denken über Frieden und Europa beeinflussen?

– Die ausgewählten Klassiker sollen ein Leitfaden sein für eine Vergangenheits-, aber auch Gegen-wartsvergewisserung und damit Zukunftsgestaltung. Die erzählte Vergangenheit durch unsereausgewählten Klassiker trifft auf unsere europäische Wirklichkeit und bietet uns Orientierungfür die Zukunft.

– Unsere Klassiker zeigen in der Zeit ihres Wirkens, wie unterschiedlich Phantasien sein können,um Zukunft zu beschreiben. Utopien von Phantasten können phantastische Utopien sein (vgl.Bieri, 34).

– Unsere Klassiker erzählen uns, wie unser Bild von Europa geworden ist. Sie helfen uns, es „inZukunft hinein fortzuschreiben. Um nicht nur von Tag zu Tag in die Zukunft hineinzustolpern,sondern die Zukunft als etwas zu erleben, dem wir mit einem selbstbestimmten Entwurf begeg-nen, brauchen wir ein [Europa-]Bild von dem, was wir sind und was wir werden wollen – einBild, das in einem stimmigen Zusammenhang mit der Vergangenheit stehen muß, wie wir sieuns erzählen“ (Bieri 2011, 23; das Selbstbild in dem Zitat von Peter Bieri haben wir durch Euro-pabild ersetzt).

– „Als ‚Klassiker‘ kann nur gelten, wer das utopische Denken um innovatorische Impulse berei-chert bzw. dessen Struktur epochenspezifisch geprägt hat“ (Saage 1991, 6).

Neben dem Anspruch des Buches mit Hilfe der hier ausgewählten Klassiker, Vergangenheit zu ver-stehen und dadurch aus unserer Gegenwart Zukunft zu gestalten, wollen wir einen kulturgeschicht-lichen Beitrag leisten. Der Untertitel des Buches lautet: „Friedens- und Europavorstellungen aus 700Jahren europäischer Kulturgeschichte.“

13

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 13: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Kulturgeschichte als Wissenschaft gibt es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. „Seit 1850 mehrtesich in Deutschland die ›Allgemeine Culturgeschichte‹“ (Hübinger, in: Jordan 2002, 198). „Es istdie wesentlichste Schwierigkeit der Kulturgeschichte, daß sie ein großes geistiges Kontinuum in ein-zelne scheinbar oft willkürliche Kategorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darstellung zubringen" (Burckhardt 1988, 3). In unserem Buch interessiert nicht die Entstehungsgeschichte desFaches „Kulturgeschichte“ in der Auseinandersetzung mit dem Historismus (vgl. Hübinger, in: Jor-dan 2002, 199), vielmehr geht es um die Kultur selbst, um ihren Beitrag zu unserem heutigen Euro-paverständnis.

Kultur ist der Ausdruck für alle Wirkungszusammenhänge, die uns zu dem werden ließen, was wirheute sind. Es versteht sich von selbst, dass wir Technik und Ökonomie auch als wichtige Teile derKultur verstehen. Die Gefahr, die wir heute in Europa sehen, liegt in der Dominanz der Ökonomieüber die Kultur. Kultur muss der Ökonomie gleichwertig sein. Politik, Ökonomie, Soziales und Kul-tur garantieren nur gemeinsam Fortschritt einer Gesellschaft. Jede Abgrenzung [einer „Potenz“ ausdieser Gemeinsamkeit] ist die „Negation des Ganzen“ (Baruch de Spinoza, 1632–1677).

Fortschreiten im Sinne einer gesellschaftlichen Höherentwicklung ist nur dann möglich, wenn Fra-gen beantwortet werden: Wie sollen wir uns verhalten, was sollen wir tun, wie wollen wir in Zu-kunft leben? Ohne eine ständige kulturelle Besinnung darauf, woher wir kommen, wie wir heute le-ben, können wir nicht wissen, wohin wir gehen.

Als Kultur in dem Sinne, wie es zeitunabhängig unsere ausgewählten Klassiker verstanden haben,wollen wir hier das UNESCO-Verständnis anführen. In der UNESCO-Erklärung von Mexiko-Stadtaus dem Jahr 1982 wird Kultur „in ihrem weitesten Sinne“ definiert, „als die Gesamtheit der einzig-artigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gemeinschaft kenn-zeichnen“. Eine solche Definition schließt nicht nur „Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebens-formen, die Grundrechte der Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“(UNESCO-Dienst).

So wichtig es ist, die spezifischen Werte europäischer Gesinnung und Gesittung auszumachen, so istes ebenso wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass Europa nicht nur ein „Schatzhaus vonIdealen“ ist (vgl. Sternberger 1980). Europa ist auch Ausprägung des totalen Staates. Europa hatdas Führungsprinzip bis zur vollendeten Perversion entwickelt, die Freiheit des Individuums der to-talen Kollektivität geopfert, unendliches Leid über die Völker dieser Erde durch Kolonialismus undImperialismus gebracht, Menschen zu Objekten im Sklavenhandel gemacht und das Gastrecht zurFremdenfeindlichkeit pervertiert. Auch das ist Europa. Wir können, ja, wir dürfen dies nicht ausunserem individuellen wie auch kollektiven Bewusstsein ausgrenzen. Wir müssen sie als dazugehöri-ge – wenn auch als hässliche – Wesenszüge der Europäer annehmen.

Nach den wenigen Hinweisen, was wir unter einem Klassiker und unter Kultur verstehen, kommenwir nun zur Auswahl und zum Aufbau des Buches.

Im Kapitel zum Erbe Europas mit fünf Unterkapiteln gehen die Autoren der Frage nach, was Euro-pa in seiner heutigen Gestalt den Griechen, den Römern, den Juden, dem Christentum, dem Islamund Karl dem Großen verdankt. Dieses Kapitel ist eine Art Einführung in die geistige Welt Europas,in der sich auch unsere ausgewählten Klassiker bewegen. Dort wird nach den bleibenden WertenEuropas geforscht, ohne die Europa heute nicht Europa wäre.

Die hier portraitierten 100 Klassiker stellen „nur“ eine Auswahl von mehr als 200 Persönlichkeitendar, die wir nach unseren oben aufgeführten Kriterien ebenfalls zu den „Klassikern des europä-ischen Denkens“ rechnen. Eine alphabetische Liste der weiteren in unsere Kategorie passendenKlassiker findet der Leser im Anhang. Ob in einem zweiten Band auch diese Klassiker präsentiertwerden, muss noch entschieden werden.

Das vorliegende Lexikon vereint eine Auswahl von 100 Persönlichkeiten aus mehr als 14 europä-ischen Ländern mit ihren Vorstellungen und Visionen zur Zukunft Europas. Etwa 65 Autorinnen

1. Idee, Plan und Aufbau des Buches

14

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 14: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

und Autoren: Philosophen, Historiker, Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaftler sowie zwei aktivePolitiker haben Beiträge verfasst. Sie arbeiten in 32 europäischen Universitäten und zwölf nichtuni-versitären Einrichtungen.

Vom Herausgeber wurden neben formalen nur zwei inhaltliche Vorgaben gemacht. Jeder der Klas-siker sollte kurz biographisch vorgestellt und in seine Zeit eingeordnet werden. Außerdem sollte derSchwerpunkt des Beitrags auf den Europa- und Friedensvorstellungen – in weiten Teilen sind dieszwei Seiten derselben Medaille – liegen. Aufgenommen wurden aber auch Klassiker, die keinen de-zidierten Europaplan vorgelegt haben, jedoch Spuren ihres Denkens in unserem heutigen europä-ischen Denken, bewusst oder unbewusst, hinterlassen haben.

Eine völlige Vereinheitlichung der Beiträge war weder möglich noch wünschenswert. So findet manin diesem Buch die gesamte Bandbreite wissenschaftlicher Ausdrucksformen vom Essay bis hin zurstreng wissenschaftlichen Darstellung. Dies spiegelt sich auch in der jedem Beitrag angeführten Lite-ratur, wo der interessierte Leser Anregungen zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Klassi-ker findet.

Von den verwendeten europäischen Sprachen, in denen die Klassiker geschrieben haben, werdennur die englischen Zitate nicht übersetzt.

Der Aufbau des BuchesDie grundlegende Frage, die durchgehend an jeden der 100 Klassiker zu stellen ist, gipfelt also da-rin: Was haben die ausgewählten Klassiker zu unserem heutigen Europaverständnis beigetragen? Esversteht sich von selbst, dass nicht jeder Klassiker gleich viel zu der Beantwortung dieser Frage bei-gesteuert hat.

Wie bereits erwähnt, steht diese Frage auch im Mittelpunkt zum Erbe Europas. Ein Desiderat ist,dass das Erbe der Germanen, Kelten und Slawen, bedingt auch der Ägypter, nicht einbezogen wird.

Die Einteilung des Kapitels 3 mit fünf Unterkapiteln und die darin vorgenommene Zuordnung un-serer Klassiker orientieren sich an den unter Historikern unstrittigen fundamentalen Veränderungenin der 700-jährigen Geschichte Europas.

Mit dem Jahr 1306 beginnen wir deshalb, weil der Franzose → Pierre Dubois (ca.1255–1321) denersten vollständigen Europa- resp. Friedensplan in der Geschichte vorgelegt hat. Auch aus einem an-deren Grund passt er in unsere Betrachtung und Systematik. Der Beginn des 14. Jahrhunderts stelltmit seinem Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit einen fundamentalen Einschnitt in die Ge-schichte Europas dar. Es ist der Beginn einer neuen Zeit – Renaissance, Reformation, Entdeckun-gen.

In den 342 Jahren bis zu unser nächsten Umbruchzeit – dem Westfälischen Frieden 1648 – hat sichEuropa grundlegend verändert, in seinem Verständnis zum Individuum, zum Staat, zur Religion,zur Kultur und zur außereuropäischen Welt.

Die zweite Umbruchzeit von 1648 bis zum Wiener Kongress 1815 ist durch zwei außergewöhnlicheEreignisse geprägt, die Aufklärung als Revolution des Geistes und in deren Folge die FranzösischeRevolution als Aufstand der Massen. Das eine war die Befreiung des Individuums aus der „selbst-verschuldeten Unmündigkeit“ (Kant, 1724–1804), das andere die Befreiung des Dritten Standes vonder Despotie der Fürstenherrschaft. Die Theorie der Gesellschaftsverträge (→ Hobbes, 1588–1679,→ Rousseau, 1712–1778) und der Idee der Gewaltenteilung (→ Locke, (1632–1704, → Montes-quieu, 1689–1755) sowie der Idee der Volkssouveränität (Rousseau) haben das Staatsverständnisrevolutioniert. Mit dem Fortschreiten in den Wissenschaften, insbesondere in der Mathematik, Phy-sik, Astronomie und Ökonomie, und deren praktischer Anwendung werden Spinn- und Dampfma-schine als Beginn der Industrialisierung erfunden. Sie und andere technologische Neuerungen verän-derten die gesellschaftlichen Verhältnisse.

1. Idee, Plan und Aufbau des Buches

15

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 15: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

Innereuropäische Kriege waren an der Tagesordnung, nicht selten entstanden sie durch den Kampfder europäischen Nationalstaaten um die Kolonien.

Die dritte Umbruchzeit umfasst für uns den Zeitraum zwischen 1816 und dem Ersten Weltkrieg,der 1. Urkatastrophe, durch die sich Europa selbst zerstörte.

Diese ist der Anfang vom Ende seiner weltweiten Dominanz. Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalterder Modernisierung. Die Städte wachsen an. Die Industrialisierung erreicht ungeahnte Fortschritte,durch Mechanisierung der Produktion, Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation, neue Kommunikati-onstechniken, Pressefreiheit und schnelle Ausweitung des Transportwesens, insbesondere der Eisen-bahnen. Diese zunehmende Mobilität verändert das Zeit- und Raumempfinden.

Im Zuge des technischen, ökonomischen und sozialen Fortschritts fordert die bisher von Politik aus-gegrenzte Mehrheit der Bevölkerung ihre Rechte ein.

Das 19. Jahrhundert ist auch ein Jahrhundert der Ideologien, der Ismen: Konservatismus, Liberalis-mus, Sozialismus, Nationalismus, Imperialismus, Parlamentarismus, Materialismus, Faschismus,Antisemitismus.

An dieser Diskussion nehmen unsere Klassiker regen Anteil.

Als vierten Umbruch betrachten wir die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Zweiten Weltkrieg, der2. Urkatastrophe. → Winston Churchill (1874–1965) spricht in diesem Zusammenhang von einemdreißigjährigen Krieg. Dies deutet darauf hin, dass man eigentlich die beiden Urkatastrophen imZusammenhang sehen muss. Viele Klassiker, die in unserem Unterkapitel 4, die doppelte Katastro-phe, aufgeführt werden, haben ihre wichtigsten Diskussionsbeiträge zu unserem Thema in der Zwi-schenkriegszeit formuliert.

Zwar wurden schon im 19. Jahrhundert Föderalismusentwürfe, z.B. von → Constantin Frantz(1817–1891) und → Victor Hugo (1802–1885) vorgelegt, jedoch verstärkt sich die Diskussion zu-nehmend im 20. Jahrhundert bis in unsere Tage.

Im Unterkapitel 5 – Der Phönix aus der Asche – geht es im Diskurs unserer Klassiker um dieGrundfrage, die bis heute nicht gelöst ist: Wie soll Europa verfasst sein? Es geht um die politisch-institutionelle Verfasstheit, die eng verknüpft ist mit der geistig-kulturellen. Nach dem ZweitenWeltkrieg bündeln sich die unterschiedlichen Auffassungen der politisch institutionalisierten Ver-fasstheit in dem Gegensatz Konstitutionalismus – Funktionalismus, die sich in den Europavorstel-lungen der Föderalisten auf der einen und den Unionisten auf der anderen Seite widerspiegeln.

Als Exponenten des föderativen Ansatzes nennen wir → Richard Coudenhove-Kalergi (1894–1972), mit seinem Eintreten für eine Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“, und auf derentgegengesetzten Seite → Charles de Gaulle (1890–1970), mit seinem „Europa der Vaterländer“.

Unabhängig davon, welcher Ansatz sich langfristig durchsetzt, darf keiner hinter den Gedanken→ Václav Havels (1936–2011), unseres letzten aufgeführten Klassikers, zurückfallen, wenn dieser1991 schreibt: „Ich bin für ein politisches System, dessen Grundlage der Bürger ist mit all seinengrundlegenden Bürger- und Menschenrechten in ihrer universellen Gültigkeit, […] ich bin also fürdas, was man Bürgergesellschaft nennt“ (Havel 1991, 25). Er vertritt eine „Politik von unten“. Poli-tik des Menschen, nicht des Apparates. Politik, „die aus dem Herzen kommt, nicht aus der These“(Havel 1984, 112).

In unserem Schlussbeitrag – Quo vadis Europa? – bewegen wir uns im Sinne des Buches, indem wireine Vision von einem anderen Europa entwickeln. Dieses Europa wird föderal, regional und huma-nistisch, oder es wird gar nicht sein.

Verwendete LiteraturBieri, Peter (2011), Wie wollen wir leben?, München | Burckhardt, Jacob (1988), Die Kultur der Renaissance inItalien, Stuttgart | Delouche, Frédéric (1992), Europäisches Geschichtsbuch, Stuttgart u.a. | Encyclopaedia Bri-

1. Idee, Plan und Aufbau des Buches

16

http://www.nomos-shop.de/19297

Page 16: Klassiker des europäischen Denkens · Identität. Lege ich die auch in diesem Buch verwendete Erklärung der UNESCO von Mexiko aus dem Jahre 1982 zugrunde, so bedeutet Kultur „in

tannica (1910), 11th Ed., Cambridge, darin: Classics, S. 448–461 | Havel, Václav (1984), Politik und Gewissen,in: ders., 1990, Am Anfang war das Wort, Texte von 1969 bis 1990, S. 81–113, Reinbek bei Hamburg | Ders.(1991), Herrschaft der Gesetze, in: ders., 1992, Sommermeditationen, S. 14–58, Reinbek bei Hamburg | Jordan,Stefan (Hrsg.) (2002), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart, darin: Gangolf Hübinger, Kulturgeschichte,S. 198–202, Stefan Jordan, Historismus, S. 171–174 | Meulen, Jacob ter (1917/1929/1940), Der Gedanke derInternationalen Organisation in seiner Entwicklung 1300–1889, 2 Bde, Haag | Saage, Richard (1991), PolitischeUtopien der Neuzeit, Darmstadt | Sternberger, Dolf (1980), Komponenten der geistigen Gestalt Europas, in:Merkur, 34. Jg., S. 228–238 | UNESCO-Erklärung von Mexiko-City über Kulturpolitik, in: SonderausgabeUNESCO-Dienst, September 1982

Winfried Böttcher, Aachen

1. Idee, Plan und Aufbau des Buches

17

http://www.nomos-shop.de/19297