kooperativ oder selbstbezogen – kann ein elektron wählen?

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© 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2009 (40) | Phys. Unserer Zeit | 7 | TREFFPUNKT FORSCHUNG Atomgittern auftreten und die Super- lubrizität unterbinden. Obwohl die Experimente mit den Antimonteil- chen unter extrem sauberen Vakuum- bedingungen durchgeführt wurden, lassen sich geringfügige Kontamina- tionen nicht ausschließen. Offenbar reichte diese molekulare Verunreini- gung aus, um bei der Mehrzahl der Teilchen „normale“ Reibung zu erzeugen, während ein Viertel der Partikel superlubrisch blieb, was zur beobachteten Dualität der Nanorei- bung führte. Literatur [1] D. Dietzel et al., Phys. Rev. Lett. 2008, 101, 125505. [2] M. Dienwiebel et al., Phys. Rev. Lett. 2004, 92, 126101. [3] M. Müser et al., Phys. Rev. Lett. 2001, 86, 1295. André Schirmeisen, Universität Münster wobei sich nicht unterscheiden lässt, von welchem Atom das Photo- elektron ursprünglich emittiert worden ist. Es zeigt stattdessen Eigenschaften einer kohärenten Überlagerung zweier Wellen, die von beiden Seiten „gleichzeitig“ emittiert worden sind. Dieses kohärente, nicht-selbstrefe- rentielle Verhalten bleibt erhalten, wenn das emittierte Elektron am Nachbaratom gestreut wird. Das gestreute Elektron überlagert sich weiter mit der vom Nachbaratom emittierten Elektronenwelle. Wegen des Tunneleffekts wird zeitintegriert gewissermaßen immer ein halbes Elektron von jeder Seite emittiert. Nun überlagert sich die Welle des halben gestreuten Elektrons mit der Welle des halben nichtgestreuten Elektrons vom Nachbaratom, nicht aber mit seiner eigenen, nicht ge- streuten Welle. Diese Überlagerung ist jedoch destruktiv, da die Streuung eine Phasenverschiebung um π verur- sacht. Sie verändert damit die Ampli- tude der ursprünglichen Welle. Ihr kohärenter Charakter bleibt aber grundsätzlich erhalten, die Elektro- nen bleiben Teil einer kohärenten, nicht-selbstreferentiellen Umgebung. Gilt dieses Prinzip der Kohärenzer- haltung aber für alle Elektronen, den gestreuten und ungestreuten, unab- hängig von ihrer jeweiligen Energie? Dieser Frage ist unsere Gruppe zusammen mit Kollegen von der Universität Frankfurt nachgegangen. Dazu bestrahlten wir im HASYLAB des DESY in Hamburg und bei BESSY in Berlin N 2 -Moleküle mit monochro- matischer Röntgenstrahlung, deren Energie über einen weiten Bereich variiert wurde. Dies führte zur Emission von Photoelektronen mit entsprechend unterschiedlichen kinetischen Energien. Die Intensität dieser Elektronen sollte nun in Abhängigkeit von der jeweiligen kinetischen Energie in einer Weise oszillieren, wie es von einer kohärenten Überlagerung von zwei Wellen zu erwarten wäre, die von zwei räumlich getrennten Orten Fläche/10 3 nm 2 Reibungskraft/nN ABB. 3 | REIBUNGSWERTE Die Reibungswerte als Funktion der Kontaktfläche zwischen Insel und Oberfläche zerfallen in zwei Äste. Drei Viertel der Teilchen zeigen einen linearen Anstieg der Reibung mit der Kontaktfläche (schwarz), während beim Rest der Partikel die Reibung fast komplett verschwindet (rot). QUANTENPHYSIK | Kooperativ oder selbstbezogen – kann ein Elektron wählen? Das klassische Doppelspaltexperiment, das Thomas Young 1802 mit Licht ausführte, ist heute in vielen Varianten möglich. Zum Beispiel kann man als „Doppelspalt“ die beiden Atome eines Moleküls verwen- den, an denen Elektronen gestreut werden, die das Molekül selbst emittiert. Eine deutsch-amerikanische Forschergruppe unter maßgeb- licher Beteiligung des Fritz-Haber-Instituts in Berlin konnte jüngst zei- gen, dass das Interferenzverhalten von der Energie der ausgesandten Elektronen abhängt. Ab einer kritischen Energie überlagert sich das gestreute Elektron nicht mehr mit seinem Nachbarelektron, sondern mit sich selbst [1]. Wellen besitzen neben ihrer Amplitu- de eine Phase bezüglich derer sie untereinander gekoppelt werden können. Es entsteht eine kohärente Überlagerung der Einzelwellen, bei der sie ihre jeweilige Identität verlie- ren. Lediglich ihre Summen- und Differenzeigenschaften bleiben erhalten. Dies gilt sowohl für klassi- sche als auch für Materiewellen. Ein analoges Verhalten zeigen homonukleare, zweiatomige Molekü- le, wie N 2 , wenn sie nach der Absorp- tion eines hochenergetischen Photons ein Elektron emittieren. Dieses Elektron kann gleichermaßen von dem einen oder dem anderen Atom des Moleküls emittiert werden, da beide Atome spiegelsymmetrisch und ununterscheidbar sind. Dies wies unsere Gruppe am Fritz-Haber- Institut der Max-Planck-Gesellschaft experimentell vor drei Jahren nach [2]. Die Elektronen tunneln zwischen den beiden Atomen hin und her,

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Page 1: Kooperativ oder selbstbezogen – kann ein Elektron wählen?

© 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 1/2009 (40) | Phys. Unserer Zeit | 7

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

Atomgittern auftreten und die Super-lubrizität unterbinden. Obwohl dieExperimente mit den Antimonteil-chen unter extrem sauberen Vakuum-bedingungen durchgeführt wurden,lassen sich geringfügige Kontamina-tionen nicht ausschließen. Offenbarreichte diese molekulare Verunreini-gung aus, um bei der Mehrzahl derTeilchen „normale“ Reibung zuerzeugen, während ein Viertel derPartikel superlubrisch blieb, was zurbeobachteten Dualität der Nanorei-bung führte.

Literatur[1] D. Dietzel et al., Phys. Rev. Lett. 22000088, 101,

125505.[2] M. Dienwiebel et al., Phys. Rev. Lett. 22000044,

92, 126101.[3] M. Müser et al., Phys. Rev. Lett. 22000011, 86,

1295.

André Schirmeisen,Universität Münster

wobei sich nicht unterscheiden lässt,von welchem Atom das Photo-elektron ursprünglich emittiertworden ist. Es zeigt stattdessenEigenschaften einer kohärentenÜberlagerung zweier Wellen, die vonbeiden Seiten „gleichzeitig“ emittiertworden sind.

Dieses kohärente, nicht-selbstrefe-rentielle Verhalten bleibt erhalten,wenn das emittierte Elektron amNachbaratom gestreut wird. Dasgestreute Elektron überlagert sichweiter mit der vom Nachbaratomemittierten Elektronenwelle. Wegendes Tunneleffekts wird zeitintegriertgewissermaßen immer ein halbesElektron von jeder Seite emittiert.Nun überlagert sich die Welle deshalben gestreuten Elektrons mit derWelle des halben nichtgestreutenElektrons vom Nachbaratom, nichtaber mit seiner eigenen, nicht ge-streuten Welle.

Diese Überlagerung ist jedochdestruktiv, da die Streuung einePhasenverschiebung um π verur-sacht. Sie verändert damit die Ampli-tude der ursprünglichen Welle. Ihrkohärenter Charakter bleibt abergrundsätzlich erhalten, die Elektro-nen bleiben Teil einer kohärenten,nicht-selbstreferentiellen Umgebung.Gilt dieses Prinzip der Kohärenzer-haltung aber für alle Elektronen, dengestreuten und ungestreuten, unab-hängig von ihrer jeweiligen Energie?

Dieser Frage ist unsere Gruppezusammen mit Kollegen von derUniversität Frankfurt nachgegangen.Dazu bestrahlten wir im HASYLABdes DESY in Hamburg und bei BESSYin Berlin N2-Moleküle mit monochro-matischer Röntgenstrahlung, derenEnergie über einen weiten Bereichvariiert wurde. Dies führte zurEmission von Photoelektronen mitentsprechend unterschiedlichenkinetischen Energien.

Die Intensität dieser Elektronensollte nun in Abhängigkeit von derjeweiligen kinetischen Energie ineiner Weise oszillieren, wie es voneiner kohärenten Überlagerung vonzwei Wellen zu erwarten wäre, dievon zwei räumlich getrennten Orten

Fläche/103nm2

Reibungskraft/nN

A B B . 3 | R E I B U N G S W E R T E

Die Reibungswerte als Funktion derKontaktfläche zwischen Insel undOberfläche zerfallen in zwei Äste. DreiViertel der Teilchen zeigen einenlinearen Anstieg der Reibung mit derKontaktfläche (schwarz), währendbeim Rest der Partikel die Reibung fastkomplett verschwindet (rot).

Q UA N T E N PH YS I K |Kooperativ oder selbstbezogen – kann ein Elektron wählen?Das klassische Doppelspaltexperiment, das Thomas Young 1802 mitLicht ausführte, ist heute in vielen Varianten möglich. Zum Beispielkann man als „Doppelspalt“ die beiden Atome eines Moleküls verwen-den, an denen Elektronen gestreut werden, die das Molekül selbstemittiert. Eine deutsch-amerikanische Forschergruppe unter maßgeb-licher Beteiligung des Fritz-Haber-Instituts in Berlin konnte jüngst zei-gen, dass das Interferenzverhalten von der Energie der ausgesandtenElektronen abhängt. Ab einer kritischen Energie überlagert sich dasgestreute Elektron nicht mehr mit seinem Nachbarelektron, sondernmit sich selbst [1].

Wellen besitzen neben ihrer Amplitu-de eine Phase bezüglich derer sieuntereinander gekoppelt werdenkönnen. Es entsteht eine kohärenteÜberlagerung der Einzelwellen, beider sie ihre jeweilige Identität verlie-ren. Lediglich ihre Summen- undDifferenzeigenschaften bleibenerhalten. Dies gilt sowohl für klassi-sche als auch für Materiewellen.

Ein analoges Verhalten zeigenhomonukleare, zweiatomige Molekü-le, wie N2, wenn sie nach der Absorp-

tion eines hochenergetischenPhotons ein Elektron emittieren.Dieses Elektron kann gleichermaßenvon dem einen oder dem anderenAtom des Moleküls emittiert werden,da beide Atome spiegelsymmetrischund ununterscheidbar sind. Dieswies unsere Gruppe am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaftexperimentell vor drei Jahren nach[2].

Die Elektronen tunneln zwischenden beiden Atomen hin und her,

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emittiert werden. Dies sollte sowohlfür die ungestreuten als auch für diegestreuten Elektronen gelten.

Überraschenderweise tritt dieseskohärente Verhalten für die gestreu-ten Elektronen jedoch nur auf, wennderen Materie- oder De-Broglie-Wellenlänge größer als der Abstandzwischen den beiden Emitter-Atomenist. Ist die Materiewellenlänge kleinerals dieser Abstand, so geht die Kohä-renz zwischen den beiden Emissions-orten verloren, und die gestreuteWelle überlagert sich selbst-referen-tiell mit ihrer eigenen ungestreutenWelle.

Dieses unerwartete experimentel-le Ergebnis konnten anschließendForscher des California Instituts ofTechnology in Pasadena, Kalifornien,mit theoretischen Berechnungenbestätigen. Bleibt die Frage, warumes zu dieser Änderung vom koopera-

tiv kohärenten zum selbst-referentiel-len Verhalten kommt.

Die Antwort ist das örtlicheAuflösungsvermögen der gestreutenElektronenwelle. So lange die Wellen-länge der gestreuten Welle größer alsder Abstand zwischen den beidenEmissionszentren ist, bleibt dieursprüngliche Kohärenz auch beiStreuung erhalten. Sobald jedoch dieMateriewellenlänge kleiner als derAbstand zwischen den beiden Ato-men wird und das Elektron diesenAbstand im Sinne eines „Heisenberg-Mikroskops“ räumlich auflösen kann,geht diese Kohärenz verloren. Dasnunmehr ortsauflösende Elektronwird phasenunabhängig bezüglichdes Nachbaratoms zurückgestreutund überlagert sich anschließend mitseiner eigenen ungestreuten Welle.

Dieser Prozess ist seit vielenJahrzehnten als Extended X-ray FineStructure (EXAFS) bekannt, jedochnur für heteronukleare Moleküle. Fürhomonukleare Systeme hat manwegen der Spiegelsymmetrie keineSelbstinterferenz erwartet, sondernnur Interferenz mit der jeweiligenNachbarwelle, die über den Tunnel-effekt vom Nachbaratom emittiertworden ist.

Die EXAFS-Analyse ist die Grund-lage einer der erfolgreichsten Metho-den zur Strukturanalyse fester Mate-rie, da das selbst-referentielle Verhal-ten der gestreuten Photoelektronendetaillierte Informationen über seineUmgebung liefert. In unserem Fall istes für seine räumlich lokale Umge-bung empfindlich, weil es seinenursprünglich nicht-lokalen, kohären-ten Charakter verloren hat unddeshalb in der Lage ist, Informatio-nen über seine Umgebung zu sam-meln. Es ist im Prinzip die „Welcher-Weg“-Information des Einzelteilchen-Doppelspaltexperiments, die in letzterKonsequenz zu einer holographischenAbbildung ihrer Umgebung führt.

Damit ist es unserer Kollabora-tion erstmalig gelungen, den Über-gang vom kooperativen kohärenten,zum selbst-referentiellen Verhaltenwechselwirkender Teilchen experi-mentell und theoretisch zu belegen.

Literatur[1] B. Zimmermann et al., Nature Physics

22000088, 4, 649.hasylab.desy.de/news__events/research_highlights.

[2] D. Rolles et al., Nature 22000055, 437, 711; U. Becker, Physik in unserer Zeit 22000066, 37 (1), 7.

Uwe Becker, Fritz-Haber-Institut der MPG, Berlin.

T R I B O LU M I N E S Z E N Z |Röntgenstrahlenvon der TesarolleBeim Abziehen eines Klebestreifensentsteht neben sichtbarem Lichtauch Röntgenstrahlung. Das konntenSeth Putterman und Kollegen vonder University of California in Los Angeles in einem Experiment nachweisen. Die kalifornischenWissenschaftler konnten die entste-hende Strahlung zeitlich und nachihrer Energie aufgelöst gemessen.Dadurch gewannen sie neue Einblicke in diese Art der Tribo-lumineszenz.

Die Röntgenphotonen entstandenstoßweise, wenn die zum Abwickelnnötige Kraft plötzlich und vorüberge-hend nachließ. In solchen Momentenwurde angesammelte mechanischeEnergie ruckartig frei. Wenn dieklebrige Unterseite des Bandes sichvon der darunter liegenden, glattenBandoberseite trennt, findet eineelektrostatische Ladungstrennungstatt. Die klebrige Seite lädt sichpositiv auf, die glatte Seite negativ. Esentsteht eine elektrische Spannung,in der es zur Gasentladung und damitzum sichtbaren Leuchten kommt.

Wenn sich das Klebeband ruckar-tig von der Unterlage löst, treten sehrhohe Spannungen zwischen derOber- und der Unterseite des Bandesauf. Bei sehr kleinem Gasdruckkönnen diese Spannungen Elektro-nen zu so hohen Energien beschleu-nigen, dass sie beim Auftreffen aufdie positiv geladene Seite des BandesRöntgen-Bremsstrahlung abgeben.

C. G. Camara et al., Nature 22000088, 455, 1089.

TB

ABB. 3 | ELEKTRONENINTERFERENZ

Zwei Elektronen (rot und blau) werdenkohärent aus einer spiegelsymmetri-schen Anordnung zweier Atome heraus-katapultiert. a) Ohne weitere Wechsel-wirkungen überlagern sich die beidenElektronenwellen. b) Ist die Materie-wellenlänge kürzer als der Abstand derbeiden Atome, so erfährt das Elektrondurch die Streuung eine Impulsände-rung, die so groß ist, dass es über dieHeisenbergsche Unschärferelationseinen Ursprungsort erfährt. Nun kannes sich mit seiner eigenen Welle, die esdurch die Streuung kennt, selbstüberlagern (Selbstinterferenz). c) Die Frequenz der Überlagerungswelleist doppelt so groß wie die einzelnenElektronen, da das Elektron zwischenseinem Entstehungsort und demNachbaratom einmal hin und herlaufen muss.