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„Kriege in Echtzeit“ Zum Wandel der int. Kriegsberichterstattung Janni Tsiatsios & Max von Viereck

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„Kriege in Echtzeit“Zum Wandel der int. Kriegsberichterstattung

Janni Tsiatsios & Max von Viereck

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Kriegsberichterstattung – Einstieg

- heutige Berichterstattung im Fernsehen bildet Weltgeschehen nicht nur ab, sondern konstruiert Weltbilder

- starke Auswirkung auf internationales Geschehen

- in der heutigen massenmedialen Welt muss die Politik auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen

- Auslandsberichterstattung heute überwiegend reduziert auf Konflikte, Kriege oder Katastrophen – Verengung auf Kriegs- und Krisenberichterstattung

- es werden nach jedem Krieg für alle Beteiligten Lehren daraus gezogen, was die Nachrichtenkommunikation angeht (Militär und Journalismus) kein Krieg ist wie der andere

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Somalia 1992-1993 – Beispiel für Medienwirkung

- US-Präsident Bush zielte bei der Entsendung der Truppen im Dezember 1992 auf die zu erwartende Berichterstattung (Landung wurde live durch CNN übertragen Wirkung in der Öffentlichkeit)

- US-Präsident Clinton musste wegen der Berichterstattung die Truppen im Oktober 1993 wieder abziehen (CNN hatte zuvor gezeigt, wie somalische Rebellen die Leichen gelynchter US-Soldaten durch die Straßen schleiften) dadurch große Wirkung auf die US-Bevölkerung

- dieses Trauma der 18 getöteten US-Soldaten in Mogadischu wurde später in Hollywood unter dem Titel „Black Hawk Down“ verfilmt

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Entwicklung – Antike bis frühes 19. Jh.

- Kriegsberichterstatter gibt es, seit es Kriege gibt

- Feldherrn, Schreiber und Boten als Kriegsberichterstatter

- z.B der Läufer von Marathon

- Ziele Desinformation des Gegners, Beeinflussung der öffentlichen Meinung, Erzeugung von Ruhm

- Kriegsberichterstatter waren angehörige des Militärs

- Napoleon erkannte die Wirkung erfolgreicher Pressepolitik er führte Ende des 18. Jh. Armee-Zeitungen ein, in denen überwiegend über erfolgreiche Schlachten berichtet wurde

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Entwicklung – Frühes 19. Jahrhundert

- Qualitativer Sprung in der Entwicklung der Kriegsbericht-erstattung mit Entstehung des Massenmediums „Tageszeitung“

- Entwicklung von „Massen“medien und „Massen“krieg koevolutionärer Prozess

- erste „unabhängige“ Kriegsberichterstatter (William Howard Russell im Krimkrieg für die London Times)

- Zielerweiterung Auflagensteigerung durch Kriegsberichte

- Krimkrieg als erster „Pressekrieg“

- Präzedenzfall die Zensur im Krimkrieg

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Entwicklung – Das „Goldenen Zeitalter“ (1860-1914)

- „Goldenes Zeitalter“ der Kriegsberichterstattung Zeit war Reich an Kriegen, Konflikten und Aufständen

- Institutionalisierung des Berufsstandes der Kriegskorres-pondenten

- im amerik. Sezessionskrieg (1861-1865) waren allein für den Norden über 500 Journalisten im Einsatz

- große Konkurrenz zwang Journalisten zu Exklusivität

- mediale Inszenierung von Krieg als „fernes Abenteuer“

- neue Technologien (Fotografie, Telegrafie) neuer Aktualitätshorizont

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Entwicklung – Erster Weltkrieg (1914-1918)

- Aufbau großer Propagandaapparate zur „geistigen Kriegsführung“

- vor allem in Großbritannien und Frankreich „Greuelpropaganda“

- Kaiserreich verschlief diesen Trend der Informationspolitik

- Großbritannien bereitete mit Öffentlichkeitsarbeit gezielt den Kriegseintritt der USA vor

- starre und restriktive Handhabung von Zensur und Presselenkung

- Wirkungshypothese Versagen der Publizistik bei der Erzeugung von Kriegsbegeisterung

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Entwicklung – Zweiter Weltkrieg (1939-1945)

- Expansion und Perfektionierung der Informationslenkung

- von Zensur und Nachrichtensperre zum „Informationsmanagement“

- seit 1933 deutsches Propagandaministerium unter Goebbels

- „Propaganda-Kompanien“ berichten von der Front

- Professionelle Medienarbeit lieferte der Öffentlichkeit umfangreiche und technische perfekte Kriegsberichte

- erster Kriegseinsatz von Hörfunk und Film

- USA treten ähnlich professionell in den Krieg

- General Eisenhower prägt Maxime „public opinion wins war“

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Entwicklung – Der Vietnamkrieg (1963-1973)

- Fernsehberichterstattung ermöglicht ersten „Krieg im Wohnzimmer“

- erster (und bisher einziger Krieg) ohne offizielle Zensur

- nach offiziellen Kriegseintritt der USA start einer internationalen PR-Kampagne und Akkreditierung von Journalisten

- Journalisten hatten den Rang eines Majors und bekamen Unterkunft, Verpflegung und Transport durch die US-Army

- 1967 schon 700 Reporter in Südvietnam Militär verlor Kontrolle

- Medienereignis Ende 1968 Berichte über das Massaker von My Lai

- Wirkungshypothese Medienberichterstattung erzeugt Anti-Kriegs-Stimmung in den USA

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Entwicklung – Falklandkonflikt bis 2. Golfkrieg

- nach Vietnam Veränderung der intern. Militär-Kommunikation

- Devise nur eine zensierte Kriegsberichterstattung erlaubt eine Kontrolle der öffentlichen Meinung

- Kriege und Konflikte finden ohne journalistische Zeugen statt

- so wurde z.B. im Grenada-Konflikt (1983) allen Journalisten der Zugang zum Kampfgebiet verweigert

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2. Golfkrieg (1991)

Der heutige Außenminister Colin Powell war während des Golfkriegs US-Generalstabschef

General Norman Schwarzkopf – Oberbefehlshaber "Operation Wüstensturm"

Bilder des „High-Tech Krieges

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2. Golfkrieg (1991)

CNN Live-Bilder aus BagdadPeter Arnett –

berichtete exklusiv für CNN aus Bagdad

Brennende Ölfelder bei Basra

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2. Golfkrieg – Berichterstattung

- Systematischer Einsatz der Massenmedien zur psychologischen Kriegsvorbereitung. Erzeugung von Feindbildern und Stereotypen

- Massive Maßnahmen der Informationskontrolle, Propaganda und Zensur von beiden Konfliktparteien

- Bilderarmut bei gleichzeitigem hohen Erwartungsdruck der Zuschauer

- Bilder vom Kriegsgeschehen begrenzt auf wenige Darstellungs-schemata

- Konstruktion eines Krieges als „High-Tech-Spiel“ „und Live-Krieges“ mit 24Stunden Berichterstattung. Leid und Opfer wurden kaum gezeigt.

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2. Golfkrieg – Berichterstattung

- Berichterstattung vornehmlich durch CNN-Bilder geprägt

- Berichterstattung durch „Beschleunigung“, „Fiktionalisierung“ und „Entertainisierung“ gekennzeichnet

- Folge von quantitativen und strukturellen Veränderungen im Mediensystem (Kommerzialisiertes Mediensystem)

- Verharmlosende Sprachwahl – Zivile Opfer werden zu „Kolleteralschäden“

- Imageverlust des Journalismus

- Auslandsberichterstattung erlebt Tiefpunkt ihrer Glaubwürdigkeit

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3. Golfkrieg (2003)

„Eingebettete Journalisten“ berichten via Satellit live vom Kriegsschauplatz

Auch arabische Sender berichten live aus dem Irak – hier Al Dschasira

5-Sterne General Tommy Franks

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3. Golfkrieg – Veränderte Rahmenbedingungen

- Aktion nicht durch eine große int. Koalition gedeckt - macht Kritik am „Alleingang“ leichter.

- Veränderte globale Medienlandschaft - Neue internationale Nachrichtenanbieter wie Al Dschasira, Al Arabija und Abu Dhabi

- Nach dem 11. September höhere „Opfertoleranz“ in den USA

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3. Golfkrieg – Wandel der Berichterstattung

- Keine Pools mehr wie 1991, sondern Konzept des eingebetteten Journalisten

- In den Printmedien avancierten subjektive Erfahrungsberichte von Journalisten zur akzeptierten Darstellungsform („Kriegstagebücher“)

- Im Internet zum Massenphänomen gewordene sog. „Weblogs“

- Wie in keinem Konflikt zuvor haben sich die Medien selbst zum Thema gemacht

- Mehr „Militainment“ (v.a in den USA – in Deutschland N24)

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3. Golfkrieg – Pressearbeit des Pentagon

- Ziel der militärischen Medienarbeit ist eine vorteilhafte Berichterstattung

- Wichtigste Säule auf der die Medienstrategie des US – Militärs ruht ist die Kooperation mit den Medien in Washington und an der Front

- Pressearbeit an der Front, die maximale Kooperation zwischen Medien und Streitkräften erreichen soll, nennt das Pentagon Embedded Media

- Bei Pressebriefings geht es darum die US-Bevölkerung und Weltöffentlichkeit zu informieren, dabei aber die interpretative Kontrolle zu wahren

- Das Pentagon weiß, dass Mobiltelefone, E-Mails und die Satellitentechnik die klassische Zensur sehr erschwert

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3. Golfkrieg – Konzept der „Embedded Media“

- „Einbettung“ soll die seit Vietnam übliche Feindschaft zwischen Militär und Medien überwinden

- Journalisten leben mit ihrer Einheit zusammen, was zu einer emotionalen Bindung, nicht nur zwischen Journalisten und Soldaten, sondern in der Folge auch zwischen Zuschauern und Soldaten führt

- Schaffe Nähe, schaffe Vertrauen, schaffe Vorteile und die Journalisten danken es dir mit einer loyaleren Berichterstattung

- Das Ergebnis könnte man Zensur im Kopf nennen

- Scheinbar neue Offenheit der Kriegsberichterstattung durch eingebettete Journalisten - faktisch setzte das Pentagon weiterhin jedoch auf klassische Abschottungs- und Kontrolltechniken

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3. Golfkrieg – Konzept der „Embedded Media“

- Berichterstattung aus der Teilnehmerperspektive dient zwei militärischen Zielen

- Der erste Effekt soll an der Heimatfront wirken. Journalisten identifizieren sich mit Soldaten

- Der zweite Effekt soll beim Gegner wirken - mit Hilfe der eingebetteten Journalisten sollte den Irakis ein schneller und Ehrfurcht einflößender Vormarsch vor Augen geführt werden

- Massenmedien als Element der psychologischen Kriegsführung gegen das Regime in Bagdad

- Konzept barg allerdings auch ein beträchtliches Risiko - Bilder militärischer Ohnmacht und massenhafter ziviler Opfer, live aus Bagdad, hätten die Zustimmung der amerikanischen Öffentlichkeit untergraben und den Widerstandswillen des Gegners gestärkt

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Beschleunigung, Fiktionalisierung & Entertainisierung

- Neu entwickelte Technologie erlaubt die Übertragung eines Krieges in „Echtzeit“

- Für die heutige Medienwelt stellt Aktualität (Schnelligkeit) ein zentrales Wettbewerbsargument dar

- Problem der Aktualität bei Live-Berichten ist eine sorgfältige Prüfung der Informationen nahezu unmöglich

- Fiktionalisierung These des „virtuellen Krieges“ im 2. Golfkrieg

- Zwischengeschaltete Technologien führen zu einer Distanzierung gegenüber dem als Individuum erkennbaren Feind

- Entertainisierung z.B. Krieg der Logos und Symbole - Fox und CNN überbieten sich mit Etiketten wie „Krieg dem Terrorismus“ oder wehenden US-Flaggen auf dem Bildschirm

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Symbiose von Krieg und Medien

- Massenmedien und Massenkrieg ohne das eine wäre das andere nicht denkbar

- Kriege ermöglichten den Medien entscheidende Entwicklungssprünge

- Entwicklung von Medientechnologie, sowie ökonomischen und politischen Medienstrukturen im Kriegseinsatz

- Medien sind technologisch militarisiert

- Medien sind unter ökonomischen Aspekten militarisierbar

- Medien sind politisch militarisiert

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Vier Phasen-Muster der Berichterstattung

Mediale Karrieren von Konflikten, die journalistisch als bedeutsam erachtet werden, folgen einem weitgehend standardisierten Muster:

Phase 1: Monopolisierung der Berichterstattung - kein anderes Thema hat eine Chance

Phase 2: Dominierung der Berichterstattung - erste Konkurrenz tritt auf

Phase 3: Normalisierung der Berichterstattung – schneller bei Regionalzeitungen und Hörfunk

Phase 4: Marginalisierung der Konfliktfolgen – unzureichende Beschäftigung mit Folgeschäden und Wiederaufbau

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Abschlußthesen:

- Eine unabhängige und objektive Kriegsberichterstattung ist unmöglich, da Regierungen und Militärs stets alle Mittel der Informationskontrolle ausüben werden

- Die Informationskontrolle im Golfkrieg von 1991 war nichts neues – nur die Form der Berichterstattung war neu

- Medien werden dazu instrumentalisiert Kriege vorzubereiten und zu begleiten

- Unter dem hohen Wettbewerbs- und Aktualitätsdruck der Medien leidet die Berichterstattung

- Deutsche Journalisten haben in einem bisher unbekannten Ausmaß die Bedingungen ihre Berichterstattung transparent gemacht und damit beim Publikum an Glaubwürdigkeit gewonnen