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1 Echt sein in einer Zeit des Scheins – Grundlagen für ein gesundes und erfülltes Leben Ausgabe Nr. 44/2012 Kompetenz. Und Gottvertrauen. magazin Interview mit Judy Bailey Der ewige Zweite erapiegrundlagen Ein Leben im Rampenlicht Wenn man den Sprung an die Spitze nicht schafft Seite 6 Seite 11 Seite 45 Die Auswirkungen der Fremdbestimmung – Borderline

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Echt sein in einer Zeit des Scheins – Grundlagen für ein gesundes und erfülltes Leben

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Page 1: magazin44

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Echt sein in einer Zeit des Scheins –Grundlagen für ein gesundes und erfülltes Leben

Ausgabe Nr. 44/2012

Kompetenz. Und Gottvertrauen.

magazin

Interview mit Judy Bailey

Der ewige Zweite Th erapiegrundlagen

Ein Leben im Rampenlicht

Wenn man den Sprung an die Spitze nicht schaff tSeite 6 Seite 11 Seite 45

Die Auswirkungen derFremdbestimmung –Borderline

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Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Psychotherapie,

Psychiatrie, Psychosomatik.

Auf christlicher Basis.

In der de’ignis-Fachklinik behandeln wir psychische und

psychosomatische Erkrankungen, z. B. Depressionen, Ängste

und Zwänge – sowohl stationär als auch ambulant. Grund-

sätzlich können die Kosten für eine Behandlung in unserer

Klinik von allen Kostenträgern übernommen werden.

de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik

Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen · Telefon 07453 9391- 0 · [email protected] www.deignis.de

Nutzen Sie auch unsere Präventionsangebote, bei denen die

gesundheitliche Vorsorge im Mittelpunkt steht. Das Angebot

reicht von individuellen Gesundheitswochen bis hin zu Kursen

zur Stressbewältigung.

Page 3: magazin44

3

Ich sitze auf dem Motorrad und fahre Richtung

Süden. Je länger ich mich auf dem Weg befinde,

desto mehr träume ich vor mich hin und verliere das

Gefühl für Raum und Zeit. Ich genieße den Duft

der Wiesen, die wunderbare Luft , den Wind und

die traumhaft e Landschaft . So denke ich vor mich

hin und gewinne den Eindruck, Stunden oder gar

Tage lang in dieser Weise zu fahren, ohne ein Ziel

vor mir zu haben, sondern lediglich die Umwelt

und jeden einzelnen Moment zu genießen. Doch

dann, urplötzlich aus dem Nichts heraus, erwachen

in mir die Gedanken: Du musst ja bald wieder

umdrehen, da sind noch diese und jene Dinge zu

erledigen, wie löst du die anstehenden Fragen die

dir auferlegt wurden?

Derzeit bin ich von lieben, freundschaftlichen,

partnerschaft lichen und älteren Persönlichkeiten

umgeben, die in ihrem Leben sehr viel für andere

Menschen gegeben haben und nun im hohen Alter

extrem gesundheitlich leiden. Da ich sie persönlich

sehr gut kenne, weiß ich, dass sie für die Gesellschaft

viel geleistet und in diese investiert haben, aber

auch genießen konnten. Somit taucht dann schon

die Frage nach der Grundlage für ein gesundes und

erfülltes Leben auf.

Wenn es hart auf hart kommt, werden wir nur

dahin gelangen, wohin uns die Sehnsucht zieht.

Wir stehen vor einer Wahl, die mit jedem Tag,

der vergeht, dringlicher wird: Wollen wir unsere

eigene Geschichte hinter uns lassen und Gott dahin

folgen, wo die Erfüllung unserer Herzenssehnsucht

wartet? In jedem Moment unseres Lebens ergeht

ein Ruf an uns, wenn wir nur zuhören. Es ist der Ruf

Gottes, der uns in eine Geschichte, zu einem Weg

mit ihm führen möchte. Er fl üstert uns im Wind

(der Lebenssituationen) zu, er lädt uns durch das

Lachen guter Freunde ein und durch die Berührung

eines Menschen, den wir lieben, streckt er uns die

Hand entgegen. Wir hören den Ruf durch unsere

Lieblingsmusik, wir spüren ihn durch die Geburt

unseres Kindes, wir werden zu ihm hingezogen,

wenn wir die Pracht der Landschaft beobachten.

Sogar in Zeiten großen persönlichen Leids ist er

gegenwärtig.

Durch solche Erfahrungen erweckt der Ruf tief

in unserem Herzen eine unstillbare Sehnsucht,

eine Sehnsucht nach Intimität, Schönheit und

Abenteuer. Sie treibt uns an, bei unserer Suche nach

Sinn, nach Ganzheitlichkeit, nach dem Gefühl,

wahrhaft lebendig zu sein. Wie auch immer wir

dieses tiefe Verlangen beschreiben mögen, es ist das

Wichtigste was wir haben: unser innerstes Herz, die

Leidenschaft unseres Lebens.

Wir möchten mit dieser Magazin-Ausgabe eine

gesellschaft liche Situation aufgreifen, die derzeit

sehr präsent ist und viele Menschen beschäft igt.

Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft und was

bestimmt unser Leben bzw. von was lassen wir unser

Leben bestimmen? Das fängt mit den allgemeinen

Erwartungen unserer Leistungsgesellschaft an und

führt hin zur Frage der geistlichen Entwicklung.

Es gibt, wie bereits kurz beschrieben, einiges zu

entdecken, was uns dabei hilft , die Sehnsucht nach

einem gesunden und erfüllten Leben zu stillen.

Darüber hinaus haben wir im de’ignis-Aktuell-Teil

wieder interessante Entwicklungen und Neuig-

keiten bei de’ignis für Sie zusammengestellt.

Besonders zu erwähnen wäre dabei der Klinik-

anbau in Egenhausen, der für uns eine große

Herausforderung darstellt. Deshalb sind wir für

Unterstützung sehr dankbar.

Wir wünschen Ihnen gute Anregungen und Impulse,

Ihr

Claus J. Hartmann

Liebe Leserinnen und Leser,

EDITORIAL

Die Herausgeber:

Claus Jürgen Hartmann Winfried Hahn

Geschäft sführer, de’ignis-Fachklinik Geschäft sführender Heimleiter, de’ignis-Wohnheim

und de’ignis-Institut Vorstandsvorsitzender Christliche Stift ung de’ignis-Polen

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Titelthema: Echt sein in einer Zeit des Scheins Grundlagen für ein gesundes und erfülltes Leben

INHALTSVERZEICHNIS

Interview mit Judy Bailey

Ein Leben im RampenlichtDankbarkeit als Quelle der Kraft

Winfr ied Hahn

Der ewige Zweite – wenn man den Sprung an die Spitze nicht schafft

Dr. Herbert Scheiblich

Die ICHMICHMEINMIR-Gesellschaft

Peter Hahne

Freiheit ohne Ethik wird zur WillkürDer Maßstab der Bibel auch für Staat und Gesellschaft

ZUR DISKUSSION

Winfr ied Hahn

Von der Entweltlichung der KircheDie vieldiskutierte Papstrede von Freiburg – Versuch einer Interpretation

Dr. Gerhard Maier, Landesbischof i.R.

Die Aufgabe der Kirche in einer sich verändernden Gesellschaft

S. 11

S. 14

S. 18

S. 23

S. 27

S. 6

S. 29S. 6

Page 5: magazin44

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IMPRESSUM

Redaktion:Rainer Oberbillig, Winfried Hahn,Claus J. Hartmann

Layout, Gestaltung & Druckvorstufe:AD Dipl.-Ing. Rainer HaasTel. 07 11 48 23 31 · [email protected]

Druck:Gedruckt auf LuxoArt Samt New vonHenkel GmbH Druckerei, Stuttgart

Auflage16.000

Herausgeber:de’ignis-Fachklinik gGmbHauf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, PsychosomatikWalddorfer Straße 2372227 EgenhausenTelefon: 07453 9391- 0Telefax: 07453 9391-193E-Mail: [email protected]

Volksbank Nordschwarzwald eGKonto 62 168 002 · BLZ 642 618 53

de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Taborzur außerklinischen psychiatrischen BetreuungFred-Hahn-Straße 3072514 EngelswiesTelefon: 07575 92507-0Telefax: 07575 92507-30E-Mail: [email protected]

Sparkasse Pfullendorf-MeßkirchKonto 105 338 · BLZ 690 516 20

de’ignis-Institut gGmbHfür Psychotherapie und christlichen GlaubenMarkgrafenweg 1772213 AltensteigTelefon: 07453 9494-0Telefax: 07453 9494-396E-Mail: [email protected]

Volksbank Nordschwarzwald eGKonto 66 624 002 · BLZ 642 618 53

Christliche Stift ung de’ignis-PolenFred-Hahn-Straße 3072514 EngelswiesTelefon: 07575 92507-0Telefax: 07575 92507-30E-Mail: [email protected]

Sparkasse PforzheimKonto 7 26 05 12 · BLZ 666 500 85

Alle de’ignis Einrichtungen sind gemeinnützig undarbeiten überkonfessionell. Spendenbescheinigungenwerden auf Wunsch gerne ausgestellt.

Titelbild: thinkstockphotos.de.

IMPULS

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein

Gesunder GlaubeVom richtigen Umgang mit dem altmodisch klingenden, aber immer

noch aktuellen Phänomen Sünde

THERAPIEGRUNDLAGEN

Dr. med. Rainer Kloß

Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb …Wie sehr ist unser Leben fremdbestimmt?

Anne Lamm/Angelika Heinen

Wollen und nicht könnenDas Aufmerksamkeitsdefi zit-/Hyperaktivitätssyndrom bei

Erwachsenen

Achim Sörgel

Die Auswirkungen der Fremdbestimmung – Borderline

DE’IGNIS AKTUELL

Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

S. 29

S. 39

S. 45

S. 50

S. 34

S. 34 S. 39

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TITELTHEMA

Ein Leben im RampenlichtDankbarkeit als Quelle der Kraft

Interview mit Judy Bailey

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ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

„Das Leben ist wunderschön. Das Leben ist schwer. Beides ist wahr. Und beides steht

nebeneinander. Am Ende kommt die Lebenskraft auch aus beidem. Ich glaube, dass

Menschen, die große Lebensfreude in sich tragen, auch die Tiefen des Lebens kennen.“

Judy Bailey

Judy Bailey singt. Mit acht im Kirchenchor auf

Barbados, mit 17 erste eigene Lieder mit Gitarre,

mit 21 in London für ihr erstes eigenes Album. Sie

singt ihre Lieder lebensmutig und freudestrahlend,

mit einer nicht unterzukriegenden Hoff nung. Sie singt

in Flüchtlingslagern und Gefängnissen, in alten Kirchen

und neuen Clubs, auf Festivals und Festen. In Singapur und

in Namibia, in Kanada, Tansania, Australien und immer

wieder in Deutschland, wo sie heute lebt. Judy ist eine Welt-

musikerin und eine Weltbürgerin. Ihre musikalische Reise

führte sie auf jeden Kontinent, zu neun eigenen Alben,

Kooperationen mit Musikern von Eddy Grant bis zu den

„Söhnen Mannheims“, auf das offi zielle Fußball-WM

Album 2010 und zu ihren größten Auft ritten vor Hundert-

tausenden. Wenn Judy Bailey Musik macht, dann spürt man

die Sonne ihrer Heimat Barbados: Die Leichtigkeit und

Freude der Karibik, gepaart mit Rhythmus und Power aus

Afrika, aber auch innovative Sounds und Refl exionen aus

ihrer neuen Heimat Europa. Ihre Musik ist schon immer be-

wegend und persönlich. Judy singt Lieder, von denen man

denkt: „Das hat sie nur für mich geschrieben.“ Und würde

man sie fragen, würde sie sicher sagen: „Ja – es ist deins!“

BIOGRAFIE

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TITELTHEMA

de’ignis-Magazin: Frau Bailey, der Titel dieser Ausgabe

des de’ignis-Magazins lautet „Echt sein in einer Welt des

Scheins“. Als international bekannte Sängerin sind Sie auf

vielen Bühnen dieser Welt zuhause. Wie gelingt es Ihnen,

bei Ihren vielen Auft ritten echt und authentisch zu blei-

ben?

Judy Bailey: Vielleicht liegt es daran, dass ich so komme,

wie ich bin. Wenn ich auf der Bühne stehe, versuche ich,

mit meiner Person ganz da, ganz anwesend zu sein. Dies

gelingt mir, weil mir meine Tätigkeit sehr viel Freude be-

reitet, denn ich darf das machen, was mir entspricht. An-

gestellte müssen meistens das tun, was der Chef oder die

Firma vorgibt und sind damit abhängig. Ich darf jedoch

in Unabhängigkeit das verwirklichen, was mir ein inneres

Anliegen ist. Ich darf sein, wie ich bin und befi nde mich

deshalb im Einklang mit mir selbst. Auch meine Platten-

fi rma lässt mir sehr viel Freiheit. Ich glaube, die Leute

merken, dass ich authentisch bin, weil ich mich nicht ver-

stellen muss. Auch das Programm bei unseren Auft ritten

gestalten wir oft spontan, indem wir während den Kon-

zerten auf das Publikum eingehen und die Lieder aussu-

chen, die nach unserem Empfi nden gerade passen.

de’ignis-Magazin: Das setzt aber doch sehr viel Sponta-

neität und ein aufeinander eingespieltes Team voraus und

ist auch sehr mutig.

Judy Bailey: Ich liebe die Spontaneität, das macht jeden

Moment während des Auft ritts authentisch, weil es aus

einem echten, aktuell vorhandenem Empfi nden kommt.

Aber das klappt nur, wie Sie sagen, weil wir ein eingespiel-

tes Team sind und miteinander gute Beziehungen pfl egen.

de’ignis-Magazin: Was ist Ihre innere Triebkraft , Ihre

Motivation für den ungeheuren Kraft aufwand, den man

braucht, um sich bei den vielen Auft ritten und Terminen

der Öff entlichkeit zu stellen?

Judy Bailey: Unser Anliegen ist es, die Botschaft weiter-

zugeben: Gott ist da, er liebt dich, er lässt dich nie im

Stich. Das ist eine so wertvolle Aufgabe. Es ist unglaublich

wunderbar zu wissen, dass man mit Musik dabei helfen

kann eine Seele zu heilen und jemand eine andere Perspek-

tive anbieten kann: Das wir nicht alleine sind! Vielleicht

kann das dann auch eine Motivation werden eine eigene

Entdeckungsreise mit Gott zu machen und in Ewiges zu

investieren.

de’ignis-Magazin: Diese Botschaft der Hoff nung scheint

mir sehr wichtig zu sein, besonders in einer Zeit, die mit

Negativbotschaft en geradezu überfl utet wird.

Judy Bailey: Wir brauchen Hoff nung. Nur so können wir

erkennen, dass die Dinge nicht so aussichtslos sind, wie sie

Foto

: Pat

rick

Depu

hl

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ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

scheinen. Es ist wichtig, dass wir über den Tellerrand un-

serer eigenen kleinen Welt und über die Umstände hin-

wegsehen können.

de’ignis-Magazin: Das bedeutet, dass Sie auch eine Art

von stellvertretender Hoff nung für Menschen haben, die

für sich selbst oder ihre Umwelt keine Hoff nung mehr

empfi nden.

Judy Bailey: Ja, so kann man es sagen. Es ist mein Anlie-

gen, Hoff nung in die Seelen der Menschen zu singen. Wir

möchten vermitteln: Sei unterwegs, bleibe unterwegs! Im

Prozess des Unterwegsseins, des Weitermachens wird man

stärker. Ich selbst bin auch durch Nöte gegangen, aber ich

wurde stärker. Das vermitteln wir auch in vielen persön-

lichen Gesprächen nach unseren Konzerten. Wir freuen

uns, dass wir auch auf diese Weise Mut machen dürfen

zum Unterwegssein.

de’ignis-Magazin: Wie sind Sie dazu gekommen, Ihre

Kraft , Ihre Zeit, ja eigentlich Ihr ganzes Leben für diese

Ziele einzusetzen? Gab es dafür in Ihrer Biografie be-

stimmte auslösende Ereignisse?

Judy Bailey: Ich bin eigentlich schon immer, auch als

Kind, in die Kirche gegangen und habe auch im Kirchen-

chor mitgesungen. Singen war schon immer meine Lei-

denschaft . Aber mit 17 Jahren habe ich eine tiefe innere

persönliche Erfahrung gemacht: ich bin geliebt, nicht

nur von meinen Eltern, sondern auch von Gott. Ich habe

mich dann in meinem Schlafzimmer hingekniet und ge-

sagt: „Gott komm in mein Leben.“ Von außen betrachtet

passierte nicht viel, kein Blitz und kein Donner kam vom

Himmel, aber tief in meinem Inneren erlebte ich, Gott hat

mich unendlich lieb. Ich habe dann angefangen, Psalmen,

die mich besonders angesprochen haben, zu vertonen,

ja, es wurden richtige Liebeslieder an Gott daraus. Es ist

schon eine sehr persönliche, innige Beziehung, die Gott

mit uns eingeht. Er ist ja nicht irgendjemand, er ist Gott!

de’ignis-Magazin: Könnte man also sagen, Sie lassen bei

Ihren Konzerten den Strom der Liebe Gottes durch Sie

hindurch zu den Menschen strömen?

Judy Bailey: Das geht mir fast ein bisschen zu weit, denn

so übermäßig heilig oder als etwas Besonderes empfi nde

ich mich gar nicht. Wissen Sie, jeder ist von Gott geliebt

und ist von daher etwas Besonderes. Jeder ist von Gott

angenommen, egal welchen Hintergrund er hat, egal ob

schwarz oder weiß, reich oder arm, erfolgreich oder nicht

so erfolgreich …

Man muss kein perfektes Leben haben, um von Gott ge-

liebt zu sein, es ist allein seine Gnade. Auf diese Weise sind

wir alle Beschenkte, es ist unverdiente Gnade.

ass wir über den Tellerrand un-

und über die Umstände hin-

denschaft . Aber mit 17 Jahren habe i

persönliche Erfahrung gemacht: ich

Foto

: Pat

rick

Depu

hl

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TITELTHEMA

de’ignis-Magazin: Sie haben ja auch, wenn ich richtig

informiert bin, Psychologie studiert.

Judy Bailey: Ich habe in der Tat einige Jahre als Psycho-

login in einer Einrichtung gearbeitet, und da war es mir

ein wichtiges Anliegen, den Menschen vor allem diese

Wertschätzung zu vermitteln. Ich möchte aber betonen,

und das ist mir jetzt sehr wichtig: Es genügt nicht, den

Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen, ohne sich

gegen Ungerechtigkeit zu engagieren. Deshalb arbeite ich

eng mit „World Vision“ zusammen. Dies ist eine Hilfsor-

ganisation, die in vielen Ländern Hungernde unterstützt

und für Veränderung eintritt. Wir leisten dort Hilfe und

Anleitung zur Selbsthilfe. Es ist doch so, dass nicht nur die

Seele Nahrung braucht, sondern auch der Körper. Wenn

wir den Menschen Essen geben, dann ist das auch Liebe.

Wir dürfen nicht nur von der Liebe sprechen, wir sollten

auch was tun.

de’ignis-Magazin: Gab es Situationen, in den Sie sich von

Journalisten, der Presse oder anderen Medien unfair be-

handelt fühlten?

Judy Bailey: Das könnte ich für mich so nicht sagen.

Sicher, es gab schon mal kritische Berichte über die eine

oder andere CD, aber eigentlich waren die Journalisten

immer ganz nett zu mir und ich bin auch dankbar für die

vielen guten Berichte über unsere Konzerte.

de’ignis-Magazin: Das liegt vielleicht an Ihrem ehrlichen

und natürlichen Auft reten.

Judy Bailey: Ja, ich liebe es, wenn etwas ehrlich gemeint

ist und die Leute haben ein Gespür dafür. Aber es ist auch

wichtig, die Fähigkeit zu entwickeln, Negatives nicht zu

hoch zu bewerten und sich nicht zu sehr davon irritieren

zu lassen. Wie heißt es doch in der Bibel: den Staub von

den Füßen schütteln und weitergehen.

de’ignis-Magazin: Hätten Sie vielleicht zum Schluss für

unsere Leser noch einige Tipps, wie man sich in unserer

stressreichen Zeit vor Überlastung – Stichwort Burnout –

schützen kann?

Judy Bailey: Ich denke, es ist gut, intensiv zu arbeiten,

aber genau so wichtig ist es auch, intensiv auszuruhen

und sich Zeit zu nehmen für die Familie und für Freunde.

Wenn man das, was man tut, gerne tut, besteht die Gefahr,

immer weiter und weiter zu arbeiten. Das ist eine Gefahr,

man muss sich die Zeit nehmen, auszuruhen. Und wenn

man dann nichts macht, sollte man nicht denken, man

tut nichts und sich nicht mit einem schlechten Gewissen

belasten. Nichts tun ist wichtig, um kreativ zu bleiben.

Das kann manchmal auch weh tun und ein Opfer bedeu-

ten, wenn man Termine absagt, um genügend Zeit zur

Erholung zu haben. Aber es lohnt sich, Opfer für die see-

lische Gesundheit zu bringen und die damit verbundenen

Grenzen zu akzeptieren.

de’ignis-Magazin: Haben Sie noch einen weiteren Tipp

zur Erhaltung der seelischen Gesundheit?

Judy Bailey: Ich denke, man sollte die Prioritäten rich-

tig setzen. Man braucht nicht zwei Fernseher und fünf

Autos, um glücklich zu sein. Wichtig ist eine Einstellung

der Dankbarkeit. Ich bin dankbar, dass die Menschen mei-

ne Songs hören wollen. Dankbarkeit ist eine Einstellung,

die uns Menschen gut tut. Wichtig ist auch, dass man das

Leben so gut es geht zu einem Fest macht. Wir sollten viel

mehr das Leben feiern. Neulich haben wir 100jährigen

Geburtstag gefeiert. Wir haben festgestellt, wenn wir die

Lebensalter unserer Familie zusammenzählen, sind wir

miteinander 100 Jahre. Also haben wir recht spontan

unsere Freunde und alle Nachbarn in unserer kleinen

Strasse eingeladen und haben mit über 100 Leuten

unseren 100jährigen Geburtstag gefeiert. Das war toll!

Sich die Dankbarkeit bewahren und aus seinem Leben

mit der Hilfe Gottes ein Fest machen, so gut es geht – ich

denke, das fördert unser Wohlbefi nden.

de’ignis-Magazin: Vielen Dank für dieses interessante

und sehr anregende Gespräch.

Die Fragen für das de’ignis-Magazin stellte unser Redak-

tionsmitglied Winfried Hahn.

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ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINSECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

Der ewige Zweite – wenn man den Sprung

an die Spitze nicht schafft

Vor kurzem starb Neil Armstrong, der Mensch,

der zum ersten Mal einen anderen Himmels-

körper, den Mond, betrat. Kaum jemand weiß

und ahnt, dass sein Kollege Edwin Albin, der

zweite Mensch auf dem Mond, fast daran zerbrach, „nur“

Zweiter gewesen zu sein.

Der eine kann sich locker damit abfinden, in seiner

Raumkapsel den Mond „nur“ umkreist zu haben wie

Mike Collins, der andere zerbricht fast daran, „nur“ der

zweite Mensch auf dem Mond gewesen zu sein. Die nach-

folgenden Ausführungen beschäft igen sich mit der Frage,

warum Menschen an ihrem Schicksal, ihrem Lebensweg,

ihren Umständen zerbrechen können und wie man sein

Schicksal bewältigen kann.

Auszug aus dem Artikel „Der ewige Zweite“ von Peter Meinert, dpa/Südkurier Nr. 15 vom 20.01.2012:

„Neil sollte der erste Mann sein, der auf dem Mond

herumläuft , ich bin der erste Mann, der auf dem Mond in

die Hose pinkelte“, sagte Aldrin einmal. Nach turbulenten

VON WINFRIED HAHN

Edwin „Buzz“ Aldrin auf dem Mond am 20. Juli 1969 (Foto: NASA)

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TITELTHEMA

und schwierigen Jahren scheint sich der alte Mann gefan-

gen zu haben. 39 Jahre war Aldrin an jenem denkwürdigen

21. Juli 1969 alt, mit Erfolgen überschüttet wurde er be-

reits zuvor: Er war der erste Astronaut mit Doktorwürde.

zudem war Aldrin derjenige, der als Pilot die Landefähre

„Eagle“ sicher auf den Mond bugsierte.

Erst im Frühjahr, vergleichsweise kurz vor der Mission,

entschied die Nasa, dass Kommandant Armstrong den

Vortritt haben sollte. Der dritte Mann der Apollo-11-

Mission, Michael Collins, der damals im Mutterschiff

bleiben musste und das ganz Mondspektakel nur beo-

bachten konnte, berichtete von echten Verstimmungen

zwischen Aldrin und Armstrong beim Ausstieg – so etwas

durft e natürlich offi ziell niemals bekanntwerden.

Den vermeintlich süßen Ruhm konnte Aldrin nur

kurz genießen – innere Leere und Perspektivlosigkeit be-

mächtigten sich seiner nach der Heldentat. Was kann ein

Mann, der auf dem Mond wandelte, noch tun im Leben?

Aldrin bekam Depressionen, begann zu trinken, wur-

de alkoholabhängig. Eine weitere Enttäuschung war, dass

die Beförderung zum General ausblieb. Er erlitt einen

Nervenzusammenbruch, zwei Ehen scheiterten. Ihm hät-

ten schlicht neue Ziele gefehlt, schrieb er 1973 in einem

Buch, das seine Leidengeschichte schilderte. Das Buch

hatte den sinnigen Titel „Rückkehr zur Erde“ – die Rück-

kehr war das Schwierigste.“

Warum wollen Menschen immer etwas Besonderes sein?

Off ensichtlich fällt es den Menschen schwer, an zwei-

ter, dritter Stelle oder gar im Mittelfeld zu stehen. Julius

Cäsar soll einmal gesagt haben, als er mit seiner Armee ein

kleines Gebirgsdorf durchquerte: Lieber hier der erste als

in Rom der zweite.

Keiner hätte es gerne, wenn bei seiner Beerdigung ge-

sagt würde: „Er wurde geboren, lebte und starb. Er war

einer unter vielen.“

Warum hat der Mensch das off ensichtliche Bestreben,

etwas Besonderes zu sein?

Kriege werden aufs Brutalste geführt, nur weil ein

Politiker, Diktator, Feldherr, eine Nation etc. historische

Größe erreichen will. Gewinnstreben wird zur hem-

mungslosen Gier, nur weil einige immer reicher werden

wollen, Fernsehsendungen werden peinlich, und die Zu-

schauer bekommen ein Gefühl des „Fremdschämens“

nur weil einige Menschen meinen, ihr Privatleben vor

laufender Kamera entblößen zu müssen – Hauptsache

im Fernsehen. Das böse Erwachen kommt häufig erst hin-

terher, wenn man durch den Spott der Freunde, Nachbarn,

Kollegen etc. merkt, dass man sich bis auf die Knochen bla-

miert hat. Aber auch routinierten Medienleuten scheint

das Gespür für Stil und Niveau verlorengegangen zu sein,

wie die jüngste Entwicklung um Th omas Gottschalk

zeigt. Hauptsache auf Sendung, Hauptsache Quote –

auch wenn Werte und Moral auf der Strecke bleiben.

Der Mensch scheint unter einer Art inneren Leere zu

Edwin „Buzz“ Aldrin fotografi erte seinen Fußabdruck auf der Mondoberfl äche am 20. Juli 1969 mit einem Carl Zeiss Biogon Objektiv an einer Hasselblad Kamera. Das Foto entstand aus wissenschaftlichen Zwecken um die Boden-mechanik der Mondoberfl äche zu untersuchen. Es wurde später zum Synonym für die Eroberung des Weltraums durch den Menschen. (Foto: NASA)

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leiden, die ihn dazu bringt, vor keiner Grenze halt zu

machen, oder man stürzt seelisch ab wie der Astronaut

Aldrin. Wenn ich nur der zweite bin und mein Leben

ansonsten nicht mehr toppen kann, dann hat für mich

alles keinen Sinn mehr!

Ja, es ist schon so, wie Jesus es empfand: Tief bewegt

war er über die Menschen, denn sie waren und sie sind

„wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Markus 6,34).

Auch Augustinus seufzte rückblickend auf sein ausschwei-

fendes Leben: Unruhig ist meine Seele bis dass sie Ruhe

fi ndet in dir, oh Gott.

Auch die Psychologie hat das Th ema Sinn und Sinn-

losigkeit entdeckt. So brachte Viktor Frankl in seiner

Logotherapie zum Ausdruck, dass Menschen, denen es ge-

lingt, ihrem Leben einen über die bloße Existenzsicherung

und Lustgewinn hinausgehenden Lebenssinn zu entwi-

ckeln, belastungsfähiger und psychisch gesünder sind als

solche, die nur nach Bedürfnisbefriedigung im Hier und

Jetzt streben. Auch Aaron Antonovski bringt in seinem

Modell der Salutogenese zum Ausdruck, dass es für die

seelische Gesundheit eines Menschen von evidenter Be-

deutung ist, wenn er die Umstände und Ereignisse seines

Lebens nicht nur verstehen und handhaben, sondern auch

eine Sinnperspektive erkennen kann.

Der Mensch hat im Vergleich mit der Tierwelt wenige

Instinkte, dafür aber das Bedürfnis nach höherem, nach

Sinn und Ziel zu streben. Wenn die Fragen nach dem

Woher, Wohin und Wozu seines Lebens unbeantwortet

bleiben, können auch die größten Erfolge den Hunger der

Seele nicht stillen. Hier bekommt der Glaube eines Men-

schen als sinngebende Komponente eine entscheidende

Bedeutung. Die Botschaft des Evangeliums lautet nämlich,

ich muss nicht erfolgreich, berühmt, wohlhabend sein,

um Bedeutung zu haben. Ich brauche bei dem Tanz ums

goldene Kalb reicher, schneller, höher, mächtiger, schöner

etc. nicht mitzumachen. Gott schaut uns liebevoll an und

sagt: Ich kenne den Hunger deines verborgenen Menschen

und den ungestillten Durst deiner Seele. Ich weiß auch,

welche Anstrengungen du unternimmst, diesen inneren

Mangel zu stillen. Ich weiß um deine Verirrungen und Ver-

fehlungen auf diesem Weg. Aber ich will dich mit meinem

Frieden beschenken und deiner Seele Ruhe geben.

In Jesus finden wir inneren Frieden, denn er weiß um

den tiefen Mangel in unserem Herzen. Die Begegnung

mit Ihm, die Erfüllung mit seinem Geist, die in uns strö-

mende Liebe Gottes macht uns ausgeglichen und erfüllt

unsere Seele mit tiefem Frieden. Dies ist ein verborgenes

Geheimnis, das man immer wieder neu erfahren und ent-

decken darf: Die Begegnung mit der Liebe Gottes bringt

unserer Seele diese tiefe Erfüllung, die unsere Sehnsucht

stillt. Aber nicht nur das. Sein Zuspruch: „Ich vergebe dir

alle deine Verfehlungen“ macht uns frei von dem Druck,

beweisen zu müssen, dass wir gut sind. Weil Er „ja“ zu mir

sagt, darf ich „ja“ zu mir selbst sagen, ohne meine Fehler,

Schwächen und Unvollkommenheiten verstecken oder

vertuschen zu müssen. Ich muss mir selbst oder ande-

ren nicht mehr beweisen, dass ich gut, fähig und erfolg-

reich bin. Das befreit von Erfolgs- und Leistungsdruck.

Das „Ja“ Gottes zu uns gibt uns die Größe, zu unseren

Fehlern und Schwächen zu stehen. Auf diese Weise fällt

es uns leichter zu akzeptieren, wenn wir nicht der erste,

sondern zweiter, dritter oder nur mittelmäßig oder gar

Schlusslicht sind. Gottes Ja gibt uns die Größe, zu unseren

Unzulänglichkeiten, Fehlern und Grenzen zu stehen.

Auf diese Weise werden wir unabhängig von unserer Lei-

stungsfähigkeit zu charakterlich reifen Menschen, für die

das Sein mehr zählt als der Schein.

Winfried Hahn

(Biographische Angaben siehe Seite 26)

ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

Rechts:Astronaut Edwin Aldrin, links: Ast-ronaut Neil Armstrong. (Foto: NASA/Bill Ingalls)

„Psychische Erkrankungen

im Licht der Bibel“.

SCM Hänssler, 2. Auflage 2009

„Worüber man nicht spricht –

Tabus in Seelsorge und Gemeinde“

von Ute Horn und Winfried Hahn

SCM Hänssler Verlag, 2010

Vom Autor erschienene Bücher:

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14

Die ICH MICH MEIN MIR-Gesellschaft

TITELTHEMA

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15

ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

Der heutige Zeitgeist ist aus meiner Sicht

gekennzeichnet von der Sucht nach dem

permanenten Überschreiten von Grenzen

sowie dem Wahn, dass alles erreichbar sein

muss. Ein weiteres Kennzeichen besteht in einer ausge-

prägten Ego-Ideologie, die die Gesellschaft maßgeblich

beeinflusst: alles ist für mich bzw. alles steht mir zu.

Das profundeste Beispiel hierfür ist auch der Wandel

des Gefühles für Nullen. Vor der Finanzkrise war eine

Million Euro eine sehr große Summe, zur Zeit ist eine

Milliarde Euro gegenüber dem Schuldenstand von Billi-

arden ein „peanut“.

Hier stellt sich die Frage, womit hängt diese Entwick-

lung zusammen – mit der Technik von heute, den Men-

schen, ihren Psychodynamiken oder der Philosophie?

Folgende gesellschaft liche Entwicklungen, die ich im fol-

genden näher ausführen werde, habe ich im Zusammen-

hang damit beobachtet:

Die Veränderungen der Kommunikationsstrukturen

in unserer Zeit verlaufen rasend schnell, fast versteckt

und vor allem unter der Oberfl äche des (öff entlichen) Be-

wusstseins. Diese Entwicklung ist dem technischen Fort-

schrittes dreier Megatrends geschuldet:

google mit Wikipedia

Der schnelle Zugriff auf Wissen über das Internet sowie

die Demokratisierung des Zuganges zu Informationen

verführt zu einer Ansammlung von zahlreichen Einzel-

fakten, verbunden mit dem trügerischen Gefühl, (all)wis-

send zu sein. Es fehlt jedoch oftmals der philosophische

Verstehenshorizont als Grundlage, auf dem Einzelfakten

einzuordnen sind und der notwendige Prozess, Informati-

onen über Nachdenken zur eigenen Erkenntnis und zum

Wissen zusammenzufügen – die intellektuelle Bildung

wird durch intellektuelles Fastfood ersetzt.

iPhone und iPad in Zusammenhang mit derdrahtlosen Telekommunikation

Mit der Entwicklung dieser beiden Kommunikations-

geräte gelang es dem verblichenen Applechef Steve Jobs,

seine Vision der Medien nachhaltig umzusetzen. Diese

Geräte haben dadurch einen stark suchtfördernden Cha-

rakter, indem sie einfach zu bedienen und einfach in den

Alltag einzubinden sind. Zudem vermitteln sie dem Be-

nutzer das Gefühl, cool und im Trend der Zeit zu sein. Die

Konsequenz dieses Trends ist, dass ein maßgeblicher

Teil des Denkens auf ein Werkzeug verlagert wird, was

wiederum – vergleichbar mit der Erfindung des Buch-

drucks – einen weiteren technischen Quantensprung in

der Entwicklung der Informationsverarbeitung darstellt.

Soziale Netzwerke wie facebook und andere

Die Tatsache, ohne sich zu bewegen mit fast der ganzen

Welt verbunden zu sein, erzeugt in dem Einzelnen ein

Pseudo-Lebensgefühl – nämlich geliebt, geborgen, geach-

tet, nützlich, wichtig etc. zu sein. Bleiben soziale Interak-

tionen jedoch auf den Mausklick beschränkt und beste-

hen keine weiteren realen Kontakte bzw. die Möglichkeit,

echte d. h. auf Gegenseitigkeit angelegte Beziehungen zu

leben, besteht die Gefahr, einen ausgeprägten Narzissmus

und reinen Selbstbezug zu entwickeln. Dies zeigt sich

darin, dass diese Menschen jede noch so banale Kleinig-

keit aus ihrem Leben zu einem weltbewegenden Ereignis

hochstilisieren. Es ist faszinierend, diese Interaktionen

zu beobachten; sie laufen alle nach folgendem Muster

ab: „Stell dir vor, liebe Umwelt, ich bin wach geworden

und sage: Guten Morgen. Ich teile dies vielen, ob sie es

wollen oder nicht, mit – in der Absicht, herauszufinden,

was dann passiert.“ In der Vergangenheit schrieb man eine

Biographie im hohen Alter, weil man etwas erlebt hat und

dies für mitteilungswürdig hielt. Heute schreiben 17-jäh-

rige eine Biographie, damit sie etwas erleben. Kurzum:

das Internet ist zu einem psychosozialen Pseudo-Entwick-

lungsraum geworden.

Andere Megatrends wie die Globalisierung sind hier in

diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, da sie

nicht in der subjektiven, unmittelbaren und alltäglichen

Entscheidungsgewalt des Individuums liegen. Auch der

Eindruck einer ausschließlich negativen Bewertung der

neuen Techniken ist nicht berechtigt; diese neuen Medien

sind hilfreich, beinhalten aber unabhängig vom Reifungs-

zustand des Gehirns die Gefahr der einseitigen Organisa-

tion desselben mit visueller Vernetzung etc.

Ein gutes Beispiel hierfür ist, dass unser jüngster Enkel,

etwas über ein Jahr alt, Opa’s iPhone präzise bedient – und

das ohne Einweisung und obwohl er noch nicht einmal

sprechen kann. (Zuletzt eine sozialkritische Bemerkung:

diese Revolution der Kommunikation passt haargenau zur

VON DR .HERBERT SCHEIBLICH

Adam

Rad

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hoto

s.co

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16

Entwicklung einer postkapitalistischen Gesellschaft . Also

hatte Karl Marx mit seinem Kapital, ökonomisch betrach-

tet, kapital recht.) Schlussfolgernd könnte man also sagen:

Willkommen im Land der Internet-Hirnatrophie.

Als Psychiater und aus Sicht der Psychopathologie

stelle ich mir diesbezüglich die Frage, durch welchen

ICH-Aufbau und welche Persönlichkeitsstruktur dieser

Nivellierungsprozess gehemmt bzw. gefördert werden

kann. Die Antwort ist aus meiner Sicht bei der ICH-

Struktur recht einfach zu beantworten. Es ist egal, welche

Komplexität das ICH hat, ob es chaotisch, ambivalent

oder hochorganisiert ist, die Gefahr einer Abhängigkeit,

das Suchtpotential bei der Nutzung dieser Trends ist für

alle Menschen gleich ausgeprägt. Die Techniken sind

einfach zu erlernen, machen vieles bequemer, vieles kann

schnell erledigt werden. Da ein Großteil der Gesellschaft

die neuen Techniken bereits nutzt, entsteht aus diesem

kollektiven Verhalten eine Pseudosolidarität. Die Grund-

bedürfnisse des Individuums werden auf diese Art und

Weise voll befriedigt. Immer online zu sein ist cool und

hip, zudem entfällt die Mühe, sich mit anderen und sich

selber auseinandersetzen zu müssen.

Bei der Art der Persönlichkeit scheint das Bild diff e-

renzierter zu sein. In der vorletzten Ausgabe des Spiegels

(wohlgemerkt einem Druckerzeugnis, dessen Benut-

zung Denken erfordert, es kann heutzutage jedoch aber

auch als ePaper auf einem iPad gelesen werden) war der

Leitartikel den Stillen und Introvertierten im Land ge-

widmet. Das Fazit dieses Artikels bestand darin: Diese

Introvertierten werden in ihrer Effi zienz verkannt. Diese

Behauptung trifft sicherlich in einigen Bereichen zu,

aber dennoch unterscheiden sie sich in der Benutzung

der oben genannten Megatrends sicher nicht gravierend

von den anderen. Auch die Introvertierten von der heu-

tigen Weise der Kommunikation begeistert, es ermöglicht

ihnen schließlich, im Anonymen zu arbeiten, was wiede-

rum der Introversion entgegen kommt. Dies zeigt sich

zum Beispiel auch am Phänomen der Piratenpartei. Auch

wenn viele Menschen sich nicht bewusst mit den Inhalten

und politischen Zielen auseinandergesetzt haben, hielt

sie dieses Nichtwissen nicht davon ab, ihre Meinung dies-

bezüglich in den einschlägigen Medien wiederzugeben –

es chatteten, bloggten, gefälltmirten, skypten, facten und

twitterten Menschen, die ohne das digitale Medium in

der schweigenden Mehrheit auf- und untergingen.

Den Gegenpol zur Introversion stellt die Extraversion

in all ihren Facetten dar. Man gewinnt in der letzten Zeit

zunehmend den Eindruck, als sei das IT System gerade für

diese Personengruppe als Superplattform der Selbstdar-

stellung kreiert. Exaltierte Fernsehsendungen wie DSDS

(Doofe suchen den Superdeppen??) off erieren alle Spiel-

arten der Extroversion: Sensitive, Hysterische, Borderliner

und Narzissten. Imposant dabei ist der Innungsmeister der

Selbstinszenesetzer Dieter Bohlen. Der sogenannte „Pop-

titan“ brilliert mit Sprüchen, die an Menschenverachtung

und Arroganz schwer zu überbieten sind. Auch wenn

viele Menschen dieses Verhalten kritisieren und darüber

empört sind, bleibt doch insgeheim der Neid auf das dabei

verdiente Geld.(Hätten sie eine ähnliche Chance, würden

sie sicher genauso handeln wie Bohlen.)

TITELTHEMA

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17

Hiermit sind wir zum Kernproblem durchgestoßen:

die Megatrends sind vergleichbar mit Geld, unabhän-

gig von der Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen. Geld

korrumpiert über die Länge und Höhe des fi nanziellen

Angebotes. Es wird zum beherrschenden Motiv. Diese

psychische Bewegung bedeutet für den Nutzer immer das

Potenzial zur Einseitigkeit.

Zu allen Zeiten gab es Menschen mit psychischen Pro-

blemen. Die Organisation des gesellschaft lichen Lebens

erhöht die Möglichkeiten zum Ausleben dieser psychi-

schen Probleme: der junge Mensch entwickelt sich unter-

optimal, der Erwachsene wird neurotisch, der Gestörte

steigert sich ins Extrem.

Zusammenfassend sind die Gesellschaft und damit der

Einzelne primär nicht durch Persönlichkeitsgestörte oder

gefährliche Techniken gefährdet, sondern durch das Para-

doxon einer riesigen Freiheit der Wahlmöglichkeiten und

einem fehlenden Maßstab, einer Mitte. Anders formu-

liert: alle sind verschieden, aber doch gleich. Willkommen

im Club der Egoisten.

Aus Sicht des Th eologen spekuliere ich, welche Persönlich-

keit JESUS hatte und ob er ein iPhone zur Organisation

seiner Jünger oder ein iPad zur Verkündigung genutzt hätte?

Die Aussagen der Evangelien lassen oberfl ächlich wi-

dersprüchliche Schlussfolgerungen zu. War er ein Rebell

wie bei der Tempelreinigung, war er ein Träumer oder war

er depressiv?

Ich glaube, die Persönlichkeit des HERRn, ihre Psy-

chodynamik ist nicht zu beschreiben. Mit dieser Aussage

soll jedoch nicht legitimiert werden, sich ein Idealbild wie

in den zahlreichen Hollywoodproduktionen von JESUS

zu erschaff en: ein weißer junger Mann, Mitte 30, mit an-

drogynem Gesicht und wallenden blonden Haaren sowie

einem von überwältigender Liebe geprägten Blick (aus

blauen Augen selbstverständlich). Dies kann und darf da-

raus nicht abgeleitet werden.

Ich glaube der HERR war von seiner Persönlichkeit her

so konfi guriert, dass er ein Spiegelbild für jeden Mensch

war, in dem sich dieser wiederfand, sicher geborgen wert-

geschätzt und angenommen.

Warum ist dies so? Meine Erfahrung ist: JESUS hat

seine Mitte von GOTT, seinem Vater, und tat nur das, was

er beim Vater sah. Mit dieser konsequenten Abhängigkeit

von GOTT und dem damit verbundenen Maßstab war er

allen, die etwas von IHM erwarteten, ein Gegner, den es

zu bekämpfen galt.

Als Christen sind wir nicht in der Lage, eine ähnliche

Kommunikationsstruktur wie JESUS zu entwickeln, aber

wir sind befähigt, im Sinne GOTTES zu handeln. Dann

geht es uns aber ähnlich wie JESUS, dann sind wir anders,

dann sind wir revolutionär – und dies unabhängig von un-

serer Persönlichkeit. Dann sind wir also nicht Mitglied im

Club der Egoisten.

Für den alltäglichen Gebrauch umgesetzt bedeutet dies:

ICH habe eine Mitte;

Alles ist euer, ihr seid Christus 1. Kor. 3,23

die jeden Tag zu fi nden ist, damit ich lerne, unabhängig von mir selbst zu werden.

ICH habe den Maßstab:

Vieles ist nützlich, aber weniges erbaulich.

1. Kor. 10,23

mit dem ich verhindere, Techniken etc.einseitig zu nutzen.

Die entscheidende Antwort auf den oben genannten Zeit-

geist ist die Entscheidung zwischen einer ICH-Philoso-

phie oder privaten Th eologie, die sich z. B. in folgendem

Motto ausdrückt:

ICH MICH MEIN MIR,Gott segne diese vier,

oder der Solidaritätsphilosophie:

Wie ich auch bin, was ich mache, ich tue es im Namen des HERRnund nicht jeder schaue auf das Seine, sondern auf den anderen.

Dann sind unsere Persönlichkeiten mit den heutigen

Techniken ein Segen für andere.

ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

ÜBER DEN AUTORDr. Herbert Scheiblich ist Arzt für Psychiatrie,

Psychotherapie, Suchtmedizin, Verkehrs-

medizin, Ernährungsmedizin, Kinder- und

Jugendpsychotherapie und Lauftherapie.

Habilitation als Privatdozent und akademi-

scher Abschluss in evangelischer Theologie.

Psychotherapieausbildungen in Systemischer

Familientherapie, Individualpsychologie, Rational-Emotiver Thera-

pie und Logotherapie. Er wohnt in Altensteig.

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TITELTHEMA

Der Maßstab der Bibel

Die Grundfrage unseres Th emas ist, woher wir als Chris-

ten unsere Maßstäbe nehmen, woran wir uns bei unserem

staatsbürgerlichen Verhalten orientieren wollen. Ob wir

uns im „Second-hand-Verfahren“ ein paar Modemeinun-

gen zu eigen machen und unsere eigenen (Vor-)Urteile

mit einem frommen Lorbeerkranz versehen; ob wir uns

im „Do-it-yourself-Verfahren“ eine christliche Ideologie

zusammenbasteln und die Bibel zu einer losen Zitaten-

sammlung degradieren …

Wenn wir als Christen unser Verhalten gegenüber Staat

und Politik bestimmen wollen, dann fragen wir nicht zu-

erst nach unserer Meinung oder der anderer wohlmeinen-

der Zeitgenossen. Wir fragen nach dem Wort Gottes. Wir

fragen nach dem Willen Gottes und suchen ihn da, wo er

am eindeutigsten formuliert ist: in der Bibel.1

Und wir werden erkennen, dass die uralte biblische

Nachricht alles andere als von gestern ist. Sie hat zum

Beispiel den Christen in den deutschen Diktaturen der

jüngeren Geschichte Halt und Hoff nung gegeben und

ihnen geholfen, auf der Gratwanderung zwischen „Wider-

stand und Ergebung“ (Dietrich Bonhoeff er) zu leben.

Nicht unsere Meinungen, Erfahrungen und Möch-

tegern-Richtigkeiten sind Maßstab zur Urteilsbildung.

Für Christen ist die Bibel die Orientierungsmarke. In ihr

begründet sich die „Freiheit eines Christenmenschen“

(Martin Luther) gegen die von Papst Benedikt XVI. zu

recht beklagte „Diktatur des Relativismus“.

Unser Glaube baut weder auf Gefühlen noch auf from-

men Erlebnissen, weder auf visionären Privatoff enbarun-

gen noch auf ideologischen Zeitgeistanalysen. Christli-

cher Glaube basiert allein auf dem Fundament biblischer

Tatsachen. In seinem Wort sagt uns Gott, was er von uns

Freiheit ohne Ethik wird zur Willkür

Der Maßstab der Bibel auch für Staat und Gesellschaft

VON PETER HAHNE

Frei

heit

Ethik

BibeG

Je

Christen

Bibelspruch

IdeologieNachricht

Zeitgeistanalysen

Thema

OriZeitgenossenHandeln

Volk Realität

DiskussionenVerhalten

1 Zur aktuellen Gültigkeit der Bibel mehr in: Peter Hahne, Kein Grund zur Resignation, Verlag Johannis, Lahr

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ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

will. Und die geschieht meist eindeutiger, als es manchem

lieb ist. Auch und gerade zu unserem Th ema.

Wenn wir nach dem politischen Verhalten entschiede-

ner Christen fragen, müssen wir zunächst diese Grundent-

scheidung fällen: Orientierung gibt uns Gott in seinem

Wort. Die hilfl ose Frage ratloser Zeitgenossen: „Gibt es

eigentlich absolute, letztverbindliche Maßstäbe?“ ist für

Christen beantwortet: „Ich glaube, dass die Bibel allein

die Antwort auf alle unsere Fragen ist. Es bleibt also nichts

als die Entscheidung, ob wir dem Wort der Bibel trauen

wollen wie keinem anderen Wort“ (Bonhoeff er).

Nur die „Gebrauchsanweisung Gottes“ für Leben und

Welt macht lebensgemäßes Handeln möglich. „Wandelt

in allen Wegen, die euch der Herr, euer Gott, geboten

hat, damit ihr leben könnt und es euch wohlgeht …“

(5. Mose 5,33)

Th eodor Heuss, erster deutscher Bundespräsident,

zitierte in seiner Rede zum Amtsantritt 1949 das Bibel-

wort: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ (Sprüche 14,34) –

dessen logische Fortsetzung lautet: „ … und Sünde ist der

Leute Verderben.“

Die Bibel ist der Maßstab. So selbstverständlich das

für Christen klingen mag, die Realität selbst frommer

Diskussionen sieht oft anders aus. Da werden vollmundig

in Stammtischmanier weltpolitische Problem gewälzt,

Zitate aus Zeitschrift en und Talkshows hin und her ge-

schoben und schließlich als Zuckerguss ein bisschen

biblische Garnitur beigegeben. So wird die Bibel zur Ver-

zierung unserer längst felsenfest zementierten politischen

Fundamente pervertiert.

Dies hat bis tief in christliche Kreise hinein zu einer

Totaldemontage der biblisch-politischen Ethik geführt.

Wo die Bibel sich herrschenden Modetrends anpassen soll,

ist schon alles verloren. In manchen Diskussionen kriegt

man zu viel von den Kanonaden modernen Pharisäertums,

wo einem ein wahrer Bibelspruch-Cocktail zur Rettung

ideologischer Visionen feilgeboten wird. „Die Bibel de-

gradiert zum Selbstbedienungsladen, zur frommen Über-

tünchung unserer selbst gemachten politischen Ideologie.

(Künneth). Man sucht sich eben das heraus, was einem

passt. Fein historisch-kritisch abgefeilt oder schwärme-

risch-utopisch aktualisiert. Aber auf jeden Fall selektiv aus

dem Zusammenhang gerissen. Jeder nach seiner Fasson.

Eine wahre Märtyrerin politischer Manipulation ist

die Bergpredigt geworden. Schwärmerisches Erbauungs-

buch für die einen, tagespolitisches Kampfi nstrument für

die anderen. Wir werden im Verlauf dieses Buches darauf

noch zu sprechen kommen.

lott

sus Maßstab

GesellschaftStaat

Politik

Diktaturen

Verhaltenentierung Le

ben

GerechtigkeitSünde

FundamenteTotaldemontage

WortWillkür

Manipulation

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20

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstgerechtig-

keit von theologischer Seite zu hören ist, Paulus hätte sein

staatsethisches Römerbriefk apitel 13 im „Atomzeitalter“

anders geschrieben. Dieselben Leute, die an der Berg-

predigt kein Jota geändert sehen wollen, spielen sich bei

den apostolischen Briefen zum Bibelzensor auf. Und die

Verwirrung, die die politisch-korrekte Bibeldemontage

durch ideologisch motivierte „Übersetzungen“ wie die

sogenannte „Bibel in gerechter Sprache“ ausgelöst hat,

spricht doch Bände.

Es stimmt: Alles steht und fällt an der Bibelfrage. Die

Dogmatik entscheidet die Ethik. Ist das Wort Gottes zum

Steinbruch exegetischer Willkür degradiert, wackelt alles

unter der Detonation theologischer Dilettanten. Deshalb

lautet die zentrale Frage: Wollen wir zuerst auf die Bibel

hören und dann unsere Meinung bilden, oder umgekehrt?

Und: Welche Bibel meinen wir denn überhaupt? Das von

unserer Kritik gnädig übrig gelassene Gerippe theologi-

scher Allgemeinplätze oder das ewig gültige Wort Gottes?

Ich jedenfalls möchte es – besonders in den heißen Debat-

ten um die politische Ethik – mit dem großen dänischen

Philosophen Sören Kierkegaard halten: „Nicht wir kriti-

sieren die Bibel; die Bibel kritisiert uns.“

Nicht von dieser Welt

Nehmen wir also die Bibel als gültige, verbindliche Richt-

schnur, so sind die Hauptsätze biblischer Staatsethik eine

einzige Provokation: „Jedermann sei untertan der Obrig-

keit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit

außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott

angeordnet.“ (Römer 13,1)

Kopfschütteln ist das Mindeste, glühende Antistim-

mung das Äußerste, was diesem Wort des Apostels Pau-

lus entgegenschlägt. Und doch ist und bleibt es einer der

Hauptsätze der Bibel in der Frage nach christlicher Ver-

antwortung für Staat und Politik, für Regierung und Par-

lament. Die Bibel spricht konkret zu konkreten Menschen

in ihrem konkreten Staat.

Aber bereits hier beginnt ja das Problem. Statt „Staat“

sagt man heute lieber „Gesellschaft “. Und das (biblische!)

Wort „Vaterland“ auszusprechen, gilt als verpönt. Es muss-

ten erst Ereignisse wie die Fußball-WM oder die Hand-

ball-WM kommen, damit wir erkennen, dass wir eine

Nationalhymne und eine Nationalfl agge haben. Endlich

kann uns das Ausland bestätigen, dass „die verklemmten

Deutschen in der Normalität eines unverkrampft en und

TITELTHEMA

VaterlandPatriotismus

StaatGesellschaft

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21

ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

fröhlichen Patriotismus angekommen sind“ (Neue Zür-

cher Zeitung). „Ein guter Patriot ist, wer sein Vaterland

liebt; Patriotismus ist etwas Gesundes. Das Fehlen von Pa-

triotismus würde zu einem neuen Nationalismus führen“,

so Paul Spiegel, langjähriger Präsident des Zentralrats der

Juden in Deutschland.

Wer darüber nicht off en und „unverkrampft “ (Roman

Herzog) redet, der überlässt diese Begriff e bewusst genau

den falschen Leuten, die (bis in deutsche Landtage hin-

ein) meinen, mit Parolen von vorgestern Politik für mor-

gen machen zu können. Patriotismus ist kein Sondergut

von Extremisten! Ganz zu schweigen von Begriff en wie

„Ordnung“ und „Obrigkeit“. Man gebraucht sie aber lie-

ber nicht, weil man nicht in den Verdacht kommen will,

nicht fortschrittlich genug zu sein. Dabei ist das „untertan

der Obrigkeit“, also der Gehorsam gegenüber staatlicher

Autorität und Ordnung, modern gesprochen nichts ande-

res als Loyalität.

Auch das andere darf man nur mit einem halben Dut-

zend Verklausulierungen sagen, dass Jesus Christus näm-

lich dem Vertreter damaliger Staatsgewalt entgegnete:

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ ( Johannes 18,36)

Die Herrschaft Gottes ist also nicht von dieser Welt. Die

Leute Gottes unterstehen in dieser Welt zwar den Ord-

nungen, Strukturen und Herren dieser Welt. Ihre Heimat

ist jedoch der Himmel, das ewige Reich des ewigen Gottes

(Philipper 3,20); und dennoch leben sie bewusst und ver-

antwortlich in dieser Welt. Sie sind nicht von dieser Welt,

aber in dieser Welt. Ihr Herr ist der lebendige Gott; und

dennoch stellen sie sich verantwortlich unter die von Gott

gesetzte Obrigkeit. Der frühere Bundespräsident Gustav

Heinemann brachte das auf die einprägsame Formel: „Die

Herren dieser Welt gehen. Unser Herr aber kommt.“

Wer diese Spannung nicht aushält, sollte die Finger von

unserem Th ema lassen. Schnelle Patentrezepte zu unserer

Frage hat die Bibel nicht parat. Sie nimmt uns hinein in

einen uns vielleicht ungewöhnlichen Prozess des Nach-

denkens. Modemeinungen werden wir dort nicht bestä-

tigt bekommen. Die biblische Erkenntnis zur Frage von

Staat und Politik ist unpopulär. Aber ohne sie bleibt unser

Reden über die politische Verantwortung des Christen

bodenloses Gerede – nämlich ein Gerede, dem der Bo-

den, das Fundament, entzogen ist. Wir aber wollen auf die

Bibel hören. Die Rede Gottes ist uns Orientierung gegen

alles Gerede dieser Welt. Sie gibt uns Menschen Maß und

Mitte.

Orientierung

VerantwortungBibelOffenbarung

Gott

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22

Die verbindliche Orientierung christlichen Lebens an

der Off enbarung Gottes legt auch den letztlichen Bestim-

mungsort und Bezugspunkt fest. Christen sind demnach

nicht in erster Linie durch ihre Nationalität, ihr soziales

Umfeld oder die Staatsform ihres Landes geprägt, sondern

durch die Herrschaft Gottes über ihr Leben. Nicht ihr ei-

genes Urteilen, Werten und Wählen ist das Entscheidende,

auch nicht ihr eigenes Interesse oder das ihrer Gruppe,

sondern der Wille Gottes. Das hat die Konsequenz, dass

politisches Handeln von Christen vom Unpolitischen her

bestimmt wird. Dadurch wird politisches Engagement

von Christen erst christlich, dass die Motivation dazu

nicht menschengemachte Ideologie, sondern gottgesetz-

ter Maßstab ist.

Erst so sind die christlich geprägten Widerstandskämp-

fer des Dritten Reiches wie die Grafen Stauff enberg und

Moltke, wie Goerdeler oder Gerstenmaier zu verstehen.

Der Aufstand für die Würde des Menschen führte in die

Verschwörung. Viele verloren das eigene Leben, weil sie

das Leben anderer retten wollten. Glaubenskraft war ihre

Energiequelle. Mit Bonhoeff er sahen sie sich gedrängt

„dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Sie sahen es

als Schuld an, wären sie untätig geblieben, wo sie um der

Nächsten willen hätten handeln müssen. Von diesem (un-

politischen) Standpunkt aus taten sie einen politischen

Dienst.

„Nur wenn der Christ für seine Rechtfertigung vor

Gott und für die Heiligung seines Lebens keinen anderen

Weg sucht als den über Jesus Christus, kann von einem

politischen Dienst der Kirche und von der Weltaufgabe

des Christen Recht geredet werden.“ (Ex-EKD-Vizeprä-

sident Erwin Wilkens). Als bekennender, aktiver Christ

meinte der langjährige Bundesminister Werner Dollin-

ger: „Für mich ist die klare, christliche Auff assung, der

christliche Glaube, entscheidende Voraussetzung für die

Gewinnung eines festen Standpunktes im Leben, auch in

der politischen Arbeit.“

Diese Grundhaltung wirft übrigens auch ein völlig

neues Licht auf die Behauptung, Politik sei ein „schmut-

ziges Geschäft “. Denn Christen gehen doch mit völlig an-

derer Motivation an ihr jeweiliges, in der gefallenen Welt

eben nicht vollkommenes „Geschäft “. Sie sind Realisten,

indem sie die Vorläufi gkeit politischen Engagements in

ihre Rechnung einkalkulieren. Das bewahrt vor Ideolo-

gisierung und Verabsolutierung, vor Fanatisierung und

Kreuzzugsdenken.

Es sollte uns aber auch vor dem dummen Gerede von

„kleineren Übel“ bewahren, was eine Beleidigung all

derer ist, die sich in politischen Ämtern und Funktio-

nen bewähren. „Politik ist ein Feld der Sünde, wie alles

Leben, solange es nicht bekehrt ist. Politisches Handeln

der Christen kann also nur ein Handeln sein, dass aus der

Bekehrung kommt. Von politischem Handeln der Chris-

ten kann nur insofern programmatisch die Rede sein, als

es wie alles christliche Handeln aus der Buße kommt“

(Wolfh art Schlichting).

Von daher ist es keine fromme Weltflucht, sondern

biblische Weltgewandtheit, wenn der Tübinger Univer-

salgelehrte Karl Heim schreibt: „All unser soziales und

politisches Arbeiten ist ein nervöses Hasten und Jagen,

das innerlich zermürbt, wenn nicht jeder von uns jeden

Morgen aus der Versöhnung mit Gott kommt und von

daher ans Werk geht.“

Praktisch wird dies zum Beispiel in der weltweiten

parlamentarischen Gebetsfrühstücks-Bewegung, die ih-

ren Anfang (und nach wie vor jährlichen Höhepunkt)

im „National Prayer Breakfast“ in Washington hat. Im

Deutschen Bundestag, in den Landtagen, verschiedenen

Großstädten oder unter der Schweizer Bundeskuppel

treff en sich regelmäßig christliche Politiker quer durch

die Parteien zu Andacht und Gebet sowie zu informellen

Abenden unter dem Motto „In Verantwortung vor Gott

und den Menschen“ (Präambel des Grundgesetzes). Der

pietistisch geprägte Vorsitzende der CDU-Fraktion im

Sächsischen Landtag, Dr. Fritz Hähle, beginnt seit der

Wiedervereinigung jede Fraktionssitzung mit Losung und

Lehrtext der Herrnhuter Brüdergemeinde, verliest Bibel-

wort und Gebet jedoch vor Eintritt in die Tagesordnung.

Luther und seine „Zwei-Reiche-Lehre“ hätten ihre Freude

daran!

TITELTHEMA

Peter Hahne ist Diplomtheologe, Hörfunk-

moderator, Fernseh- und Buchautor. Arbeitet

in der Hauptredaktion „Aktuelles“ des ZDF,

wo er als Moderator und Redakteur des

„heute-journal“ und der Nachrichtensendung

„heute“ tätig ist. Hahne ist stellvertretender

Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin,

außerdem Kolumnist der Bild am Sonntag. Bis Oktober 2009 Mit-

glied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Genehmigter Abdruck aus

dem Buch: Hahne, Peter:

Suchet der Stadt Bestes.

Werte wagen – für Politik

und Gesellschaft .

Lahr: Verlag Johannis,

5. Aufl. 2008; S. 12 – 24

ÜBER DEN AUTORf

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ZUR DISKUSSION

Die hier getroffenen Aussagenspiegeln nicht zwangsläufi g dieMeinung der Redaktion wider.

Ihre Meinung ist gefragt.Antworten Sie uns anE-Mail: [email protected]

Von der Entweltlichung der KircheDie vieldiskutierte Papstrede von Freiburg –

Versuch einer Interpretation1

VON WINFRIED HAHN

Ein Weg zu lebendigem, sinnerfüllten und gesundem Glauben

Auf seiner Deutschlandreise im Jahr 2011 hielt der Papst in

Freiburg eine Rede, die für viel Gesprächsstoff sorgte. Eine aus-

führliche Beschäftigung mit den Ausführungen des Papstes an

dieser Stelle bedeutet keine theologische Stellungnahme für

oder gegen das Papsttum an sich. Vielmehr beinhaltet diese

Rede unabhängig aller konfessioneller Unterschiede grund-

sätzliche Aussagen bezüglich eines lebendigen und gesun-

den Glaubens, so dass eine Auseinandersetzung mit diesen

Gedanken sehr gewinnbringend erscheint. Unserer überkonfes-

sionellen Ausrichtung folgend ist es uns ein Anliegen, diese

wertvollen Impulse aufzugreifen und weiterzuentwickeln.

Was hat er bloß damit gemeint? Die Kirche

sollte sich entweltlichen. Hunderte von Jour-

nalisten und Tausende von Gläubigen rätsel-

ten monatelang – die Kommentare vieler Zeitschriften

beschäftigten sich intensiv mit dieser Frage, das Internet

ist bis heute voll davon. Aber was hat er denn tatsächlich

und in welchem Zusammenhang gesagt?

So wie ich seine Aussagen verstehe, geht es dem Papst

nicht primär um Äußerlichkeiten oder Modernisierung

oder Strukturveränderungen wie die viel diskutierte Ab-

schaffung oder Beibehaltung der Kirchensteuer etc.. Ihm

geht es um die Sendung der Kirche, die die Botschaft von

der Erlösung in der Welt zu bezeugen hat.

1 Originaltitel der Rede: „Begegnung mit engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft “

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24

Diese Botschaft kann nur durch eine enge persönliche Be-

ziehung zu Jesus Christus, also durch einen persönlichen,

engagierten und gesunden Glauben weiterverbreitet wer-

den. Diese Aspekte spielen auch in seinen Büchern eine

zentrale Rolle und werden deshalb über Konfessionsgren-

zen hinweg sehr geschätzt. Nachfolgend möchte ich drei

für mich wichtige Kernaussagen anhand von Zitaten aus

dieser Rede herausstellen.2

1. Die christliche Botschaft ist Sendung und Skandal zugleich

„Der christliche Glaube ist für den Menschen allezeit,

nicht erst in unserer Zeit, ein Skandal. Dass der ewige

Gott sich um uns Menschen kümmern, uns kennen

soll, dass der Unfassbare zu einer bestimmten Zeit

fassbar geworden sein soll, dass der Unsterbliche am

Kreuz gelitten haben und gestorben sein soll, dass uns

Sterblichen Auferweckung und Ewiges Leben verhei-

ßen ist – das zu glauben ist nun einmal für uns Men-

schen eine Zumutung. …“

„Die Sendung gründet in der persönlichen Erfahrung:

„Ihr seid meine Zeugen“ (Lk 24,48); sie kommt zum

Ausdruck in Beziehungen: „Macht alle Menschen zu

meinen Jüngern“ (Mt 28,19); und sie gibt eine uni-

versale Botschaft weiter. „Verkündet das Evangelium

allen Geschöpfen“ (Mk 16,15).“ …

„Zum Christusgeschehen gehört das Unfassbare, dass

es – wie die Kirchenväter sagen – ein commercium, ei-

nen Tausch zwischen Gott und den Menschen gibt, in

dem beide – wenn auch auf ganz verschiedene Weise

– Gebende und Nehmende, Schenkende und Emp-

fangende sind.“ …

„ … Zugleich ist dem Menschen klar, dass dieser

Tausch nur dank der Großmut Gottes möglich ist,

der die Armut des Bettlers als Reichtum annimmt,

um das göttliche Geschenk erträglich zu machen,

dem der Mensch nichts Gleichwertiges zu bieten ver-

mag.“ …

Kommentar: Die Botschaft von der Erlösungsbedürftigkeit

des Menschen durch den Erlösungstod Jesu ist für den mo-

dernen Menschen in seinem humanistischen Autonomie-

und Selbstwertsteigerungsstreben kränkend, unannehmbar

und skandalös. Aber sie ist und bleibt das Kernstück der

christlichen Botschaft und darf nicht verwässert werden.

Auch wenn es dem modernen Menschen schwer fällt, sich

als Sünder zu erkennen und seine Erlösungsbedürftigkeit zu

akzeptieren, ist es Aufgabe der Christen, diese unbequemen

Wahrheiten zu verkündigen.

Die Erkenntnis von der Erlösungsbedürftigkeit des Men-

schen bewirkt Raum für Ehrlichkeit, weil er seine dunklen

und verletzten Seiten nicht länger verstecken muss. Da wo

der Mensch es sich eingestehen darf, ich kann aus mir selbst

heraus nicht „edel, hilfreich und gut sein“ ( frei zitiert nach

Goethe), auch in meinem Leben gibt es Versagen, auch ich

habe meine dunklen Seiten, da entsteht der Freiraum, ehr-

lich über sich selbst sprechen zu können ohne mühsam den

Anspruch erheben zu müssen, erfolgreich, stark und mora-

lisch hochstehend zu sein.

Das Skandalon, das Ärgernis, der Erlösungsbedürftigkeit

befreit den Menschen von dem Druck, eine glänzende Fas-

sade aufrecht erhalten zu müssen und gibt ihm den Mut,

ehrlich und damit echt zu werden. Echtheit und damit

Selbstfindung ist eine wichtige Voraussetzung für seelische

Gesundheit. Sie wird gefördert durch die Liebe Gottes, der

sich uns Menschen in seiner grenzenlosen Liebe zuwendet

und uns immer wieder die Chance für einen Neuanfang

gibt. Da wo der Mensch die Kränkung seines Stolzes zulässt,

um sich ehrlich einzugestehen, auch ich brauche Barmher-

zigkeit, Nachsicht, Vergebung, da entsteht die Grundlage

für psychische Heilungsprozesse. Es ist gut, wenn wir als

Christen, egal zu welcher Konfession wir gehören, an diesem

Punkt dem Zeitgeist widersprechen und bekennen: Ja, wir

Menschen sind erlösungsbedürftig und schaffen es nicht aus

ZUR DISKUSSION

2 Es lohnt sich, diese Rede im Gesamtzusammenhang zu lesen. An dieser Stelle können nur einzelne Kernpunkte widergegeben und kommentiert werden. Man fi ndet sie unter

www.papst-in-deutschland.de

Page 25: magazin44

25

eigener Kraft, uns positiv zu verändern. Wir brauchen im-

mer wieder die Vergebung, immer wieder die Chance zum

Neuanfang. Nur so können sich Menschen als gesunde Per-

sönlichkeiten entwickeln. Eine wichtige Botschaft in einer

Zeit, in der der Schein mehr gilt als das Sein.

2. Entweltlichung

„Durch Ansprüche und Sachzwänge der Welt wird

aber immer wieder das Zeugnis verdunkelt, werden

die Beziehungen entfremdet und wird die Botschaft

relativiert. … Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird

sie immer wieder auf Distanz zu ihrer Umgebung

gehen, sie hat sich gewissermaßen zu entweltlichen.“ …

„Um so mehr ist es wieder an der Zeit, die wahre Ent-

weltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche

beherzt abzulegen. Das heißt nicht, sich aus der Welt

zurückzuziehen. Eine vom Weltlichen entlastete Kir-

che vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich

den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die

besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens ver-

mitteln.“ …

„Allerdings haben sich auch die karitativen Werke der

Kirche immer neu dem Anspruch einer angemessenen

Entweltlichung zu stellen, sollen ihr nicht angesichts

der zunehmenden Entkirchlichung ihre Wurzeln ver-

trocknen. Nur die tiefe Beziehung zu Gott ermöglicht

eine vollwertige Zuwendung zum Mitmenschen, so

wie ohne Zuwendung zum Nächsten die Gottesbezie-

hung verkümmert.“ …

Kommentar: Die Christenheit kann nur Licht und Salz

hier in der Welt sein, wenn sie sich vor jeder Form von

Verweltlichung schützt und da, wo es nötig ist, sich wieder

entweltlicht. Der christliche Glaube wird nicht dadurch

attraktiv, dass er sich dem modern denkenden Menschen

anpasst, sondern unser Glaube gewinnt seine Überzeu-

gungsfähigkeit dadurch, dass wir aus den Quellen des ewig

gültigen Wortes Gottes, des heiligen Geistes und der inne-

ren Begegnung mit Gott Kraft und Orientierung gewinnen

und so die Liebe Gottes in die Welt hineinströmen lassen.

Unsere heutige Zeit ist geprägt von einem starken Hang zur

Oberflächlichkeit. Schönheit (Körperkult ist in), Erfolg und

Karrierestreben sind die Ziele vieler Menschen. Aber Geld,

Ansehen und Konsumgüter stillen die inneren Bedürfnisse

des Menschen nicht. Diese Welt mit all ihren Zielen lässt den

Menschen in seinem Innersten leer. Jeder Mensch braucht

Antworten auf Fragen wie diese: Welchen Sinn hat mein

Leben, welche Ziele, die über meine materielle Existenz-

sicherung hinausgehen, beschäftigen und leiten mich? Wer

die Sinnfrage für sein Leben beantworten kann, fördert

seine seelische Gesundheit. Schon C. G. Jung, Viktor Frankl,

Aaron Antonovsky und viele andere erkannten die Bedeu-

tung von Religion und Lebenssinn für die psychische Ge-

sundheit des Menschen. Deshalb ist für die Verkündigung

der Kirchen von entscheidender Bedeutung, sich nicht nur

gesellschaftlich relevanter Themen zuzuwenden, so wichtig

Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Weltfriedens, des Um-

weltschutzes etc. auch sein mögen. Wie gesagt, es handelt sich

dabei um wichtige Themen, die auch im Bereich der Kirchen

ihren Platz und ihre Bedeutung haben. Allerdings besteht

der Auftrag primär in der Verkündigung von Wahrheiten,

die das Seelenheil der Menschen betreffen. Mein Reich ist

nicht von dieser Welt, hat unser Herr gesagt. Es ist wichtig,

dass wir Christen eine Botschaft verkündigen, die ihre Wur-

zeln nicht im Diesseits hat, sondern in der Begegnung mit

dem lebendigen Gott. Nur von Ihm inspirierte Worte stillen

den Hunger der Seele und sind heilend für die Psyche des

Menschen.

Nur wenn wir Christen in diesem Sinn entweltlicht sind,

weil wir nicht aus diesseitigen, zeitgeistbedingten, sondern

aus ewigen Quellen schöpfen, haben wir eine Botschaft für

diese Welt voller Hoffnung und lebensspendender Kraft. Ent-

weltlichung hat nichts mit frommer Weltfremdheit zu tun,

sondern mit vollem Einsatz für die Nöte dieser Welt, eben

wie Jesus schon sagte: In der Welt, aber nicht von der Welt.

3. Nicht Institutionalisierung und formaler Glaube, sondern Innerlichkeit

Nur durch diese klare Standortbeziehung nicht von

der Welt, aber in der Welt zu sein, und in tiefer und

inniger Gemeinschaft mit Gott kann die Kirche ih-

rer Sendung, nämlich die sich verströmende Liebe

Gottes zu empfangen und weiterzugeben, gerecht

werden. Allerdings sei es im Verlauf der Kirchen-

geschichte immer wieder zu Tendenzen gekommen ...

„ … dass nämlich die Kirche sich in dieser Welt ein-

richtet, selbstgenügsam wird und sich den Maßstäben

der Welt angleicht. Sie gibt Organisation und Insti-

tutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung

zur Offenheit. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu

genügen, muss die Kirche die Anstrengung unterneh-

men, sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen.“

ZUR DISKUSSIONIch denke, dass...

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26

ZUR DISKUSSION

ÜBER DEN AUTORWinfried Hahn, ist Pastor und Pädagoge.

Der Vater von zwei erwachsenen Kindern,

Damaris und Daniel, studierte Pädagogik, war

Pastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden

und machte eine Ausbildung zum Christlichen

Therapeuten.

Heute leitet er das de’ignis-Wohnheim –

Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung und

ist Vorsitzender der Christlichen Stiftung de’ignis-Polen.

Als Pastor im übergemeindlichen Dienst und Buchautor hält er

Predigten, Vorträge und Seminare im In- und Ausland.

Auf diese Weise träte das missionarische Zeugnis der ent-

weltlichten Kirche klarer zutage.

„Die von ihrer materiellen und politischen Last be-

freite Kirche kann sich besser auf wahrhaft christliche

Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen

sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbe-

tung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder

unbefangener leben.“

Dabei gehe es nicht um eine Taktik, um der Kirche

wieder Geltung zu verschaffen. „Vielmehr geht es,

jede bloße Taktik abzulegen und nach der totalen

Redlichkeit zu suchen … , indem sie das von ihm ab-

streift, was nur scheinbar Glaube, in Wahrheit aber

Konvention und Gewohnheiten sind.“

Das bedeutet, es geht ihm nicht darum, „ … die Men-

schen für eine Institution mit eigenen Machtansprü-

chen zu gewinnen…“.

Die Kirche soll durch die innere Begegnung mit Chris-

tus zu sich selbst und ihrer missionarischen Pflicht und

christlichen Anbetung finden. Dies bedeute eine Verin-

nerlichung des Glaubens, von der Augustinus sagte: „Er

ist mir innerlicher als ich mir selbst (vgl. Conf. 3,6,11).

Er, der unendlich über mir ist, ist doch so in mir, dass er

meine wahre Innerlichkeit ist.“

Dadurch entstehe eine Art von Weltoffenheit, die den

Einzelnen befähige, in die Welt hineinzuwirken, ohne

von ihr vereinnahmt zu sein.

Kommentar: Der Papst bringt zum Ausdruck, dass es nicht

darum gehen darf, Menschen für eine Institution und deren

Interessen zu gewinnen, sondern um die Christusbegegnung

im Herzen der Menschen. Dies sei keine neue Taktik, um

der Kirche wieder Geltung zu verschaffen, sondern es gehe

um totale Redlichkeit. Man sieht sehr deutlich, dass hier die

Kirchengeschichte selbstkritisch durchleuchtet und frühere

Fehlentwicklungen erkannt und ehrlich reflektiert wurden.

Ein Prozess, der wichtig für alle Kirchen und auch Freikir-

chen ist, um Fehlentwicklungen, theologischen Einseitigkei-

ten und die oftmals unbemerkte Institutionalisierung wahr-

zunehmen. Wenn Kirchen nicht mehr in Bewegung sind

und in Stagnation geraten, ist das häufig ein Indiz dafür,

dass formale Denkweisen und institutionelle Eigendynamik

das eigentliche Leben verdrängen.

So kann man in vielen Gemeinden und Bewegungen eine

Institutionalisierung beobachten, die einer ehrlichen „Inner-

lichkeit“ im Wege steht.

Schon C. G. Jung hat in seiner Schrift „Religion und Psy-

chologie“ darauf hingewiesen, dass der Glaube nur dann

eine persönlichkeitsfördernde Wirkung hat, wenn er verin-

nerlicht ist. Äußere Formen, religiöse Rituale, Traditionen,

in denen der Glaube formal erstarrt, könnten den Menschen

zwar stabilisieren, stünden aber einer tiefen, lebendigen

Gottesbeziehung eher im Wege. Mit seinen Ausführungen

über Redlichkeit und Innerlichkeit spricht der Papst die Ge-

fahr an, dass Lehrmeinungen zum Selbstzweck werden kön-

nen und damit letztlich zu einem formalen Glauben führen,

der nicht lebendig ist. Echter Glaube lebt aus der Christus-

begegnung. Er lebt davon, dass wir immer wieder neu im

Inneren ergriffen und berührt werden von der lebensspen-

denden Liebe Gottes, die sich in uns hineinverströmt und

von uns ausfließt in die Welt. Nur so wird der Glaube zu

einer Quelle echten inneren Lebens mit seiner erfrischenden

und heilenden Wirkung auf Geist, Seele und Leib. Auf diese

Weise wird auch das karitative und soziale Engagement

der Kirchen und Gemeinden ein lebendiger Ausdruck der

Liebe Christi. Letztlich geht es um die Erkenntnis, dass nicht

Institutionen und Kirchen helfen können, so notwendig sie

als Organisationsstrukturen auch sein mögen, sondern Men-

schen mit brennenden Herzen aus denen die Liebe Christi

strömt.

Soweit meine Interpretation dieser bemerkenswerten

Rede, die in aller Kürze mit prägnanten Worten viele

grundsätzliche Aussagen über einen lebendigen Glauben

sowie die psychische Gesundheit enthält.

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27

ECHT SEIN IN EINER ZEIT DES SCHEINS

Die Aufgabe der Kirche in einer sich

verändernden Gesellschaft

VON DR . GERHARD MAIER , LANDESBISCHOF I.R .

Eine alte Anekdote erzählt von einem gläubigen

Mann, der sein Abendgebet sprach. Ein neu-

gieriger Reisegenosse wollte wissen, was dieser

Gläubige denn so alles in seinem Gebet ausdrü-

cken würde, und hörte ihn dann laut und vernehmlich nur

einen einzigen Satz beten: „Lieber Herr, es bleibt dabei“.

„Es bleibt dabei“. Das ist das Erste, was man über den Auf-

trag der Kirche auch in der heutigen Gesellschaft sagen

muss. Gegenüber allen Veränderungsbesessenen erklärt

2. Johannes 9 sehr kühl: „Jeder, der darüber hinausgeht

(pro-agon = „progressiv ist“) und bleibt nicht in der

Lehre Christi, der hat Gott nicht. Adolf Schlatter schreibt

dazu in seinen Erläuterungen: „Die stolzen Geister gehen

aber ihren eigenen Weg, laufen ohne seine Führung nach

den Gedanken ihres eigenen Herzens voran und sind

stark und weise, um sich selbst zu führen“. Das Bleiben am

Auft rag Jesu inmitten aller Stürme und Bewegungen der

Gegenwart ist also unser entscheidender Anker.

Das heißt ganz praktisch: Wir bleiben dem „Great

Commandment“ des Auferstandenen in Matthäus 28,19

treu: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“. Die

Kirche ist also nicht in erster Linie ein netter Dialogpart-

ner, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die alle

anderen Menschen für das Himmelreich und deshalb als

Nachfolger Jesu werben wollen. Je mehr die Gesellschaft

sich verändert und das heißt doch auch: über sich selbst

unsicher wird, desto wichtiger wird ein nachhaltiges, ver-

lässliches Zeugnis. Nicht das Mitschwimmen macht die

Kirche interessant, sondern das Angebot eines Ufers (vgl.

Joh. 21,4).SVLu

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Page 28: magazin44

28

Weiter bedeutet das Bleiben im obigen Sinn: Wir

lassen uns weiterhin die Liebe untereinander schenken

( Joh 13,34 – 35). Es wird ein Zeichen der Endzeit sein,

wenn diese Liebe untereinander erkaltet (Mt. 24,12). Wir

können einander nicht immer verstehen, aber einander

immer lieben. Sicher geschieht christliche Liebe oft als

Ermahnen, als Ablehnung mancher Wege, als Leiden am

anderen. Aber der tragende Grund muss spürbar bleiben,

nämlich, die Verbindung mit Jesus und die Abhängigkeit

von unserem Erlöser. Das bedeutet natürlich, dass wir als

Christen eine Kontrast-Gesellschaft gegenüber der übri-

gen Gesellschaft bilden.

Eine bleibende, zentrale Aufgabe liegt im Gebet. Das

wird ganz stark in Apg. 2,42 herausgestellt: „Sie blieben

aber beständig im Gebet“. Wir werden entweder eine be-

tende Kirche sein oder nur noch das schwache Abbild

einer Kirche. In Korea beeindruckten mich die „Gebets-

berge“: einfache Hütten auf irgendwelchen Bergen, in

die einzelne Christen sich tagelang zurückzogen, um sich

ganz dem Gebet widmen zu können. Wir brauchen eine

Art von „Gebetsbergen“ mitten in einer sich verändern-

den und immer schneller rotierenden Welt. Dabei geht es

um beide Möglichkeiten des Gebets: das einsame Gebet

(= unter vier Augen mit Gott) und das gemeinsame Ge-

bet mit anderen zusammen. Deshalb sind Gebetskreise,

Gebetsbünde, Gebetszeiten heute schon so wichtig. Hin-

zu kommt ein Faktor, der uns erst in letzter Zeit richtig

bewusst wird: Wir werden weltweit immer mehr zu einer

verfolgten Kirche. Und gerade für die verfolgte Kirche

gelten die wichtigen Gebetsanweisungen Jesu in der Berg-

predigt (Mt. 5,43ff ; 6,5ff ; 7,7ff ).

Es wird aber auch an der Kirche selbst zu Verände-

rungen kommen. Sie sind äußerst schwer vorauszusehen,

obwohl ein Heer von Experten um uns herumschwärmt,

die alle wissen wollen, was da auf uns zukommt. Für falsch

halte ich es, wenn die Kirche in einer Art „vorauseilen-

dem Gehorsam“ gegenüber angeblichen Entwicklungen

von sich aus Positionen räumt. Sie sollte zum Beispiel

die besondere Stellung, die sie aufgrund der Geschichte

und durch opfervollen Einsatz vieler Glaubender in den

europäischen Staaten erhalten hat, nicht einfach von sich

aus wegwerfen. Sie sollte auch misstrauisch bleiben ih-

ren eigenen Zukunft sprognosen gegenüber. Wer von uns

weiß wirklich, was 2040/2050 sein wird? Die Führungen

Gottes erfolgen schrittweise und nicht en gros.

Eine sich verändernde Gesellschaft wird uns als Chris-

ten manche Türen zuschließen, berauscht von dem Ge-

danken, sie stünde über den Religionen. Sie wird uns aber

auch manche Türen öff nen, die bisher geschlossen waren.

Das gilt voraussichtlich für technische Entwicklungen,

für Medien, für neue Schichten von Menschen. Das gilt

vor allem angesichts der fast verzweifelten Suche nach

einer lohnenden Lebensperspektive, nach dem Ewigen,

nach der Wahrheit. Ich rechne damit, dass die Frage nach

dem Erlöser dringlicher wird. Wir können nichts Besseres

tun, als Menschen mit Jesus, diesem Erlöser, bekannt zu

machen.

ÜBER DEN AUTORDr. Gerhard Maier war von 2001 bis 2005

Landesbischof der Evangelischen Landes-

kirche in Württemberg. Er war Prälat in Ulm

und Studienleiter des Albrecht-Bengel-Hauses

in Tübingen. Außerdem ist er Autor vieler weg-

weisender Bücher und einschlägiger theologi-

scher Fachliteratur. Derzeit Gastprofessor an

der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel und an

der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Heverlee/Leuven (Belgien).

TITELTHEMA

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29

Vergebung der Sünden – Von der Rückkehr ins Wir

Eine Auslegung der zentralen Aussagen des Glaubensbe-

kenntnisses enthält heute so manche Herausforderung –

sicherlich für die, die sie entfalten, mehr wahrscheinlich

noch für die, die sie lesen. „Jungfrauengeburt“, „Auferste-

hung von den Toten“, „Kommen Jesu Christi, zu richten

die Lebenden und die Toten“ – da könnten wir anneh-

men, dass die Th emen des dritten Glaubensartikels zum

göttlichen Wirken in der menschlichen Gemeinschaft

und im Leben der Gläubigen leichter nachvollziehbar

sind: „Ich glaube an den Heiligen Geist … Vergebung der

Sünden!“ Doch gerade uns als neuzeitlichen Menschen

mag die Rede von „Sünde“ und „Vergebung“, so sehr sie

uns unmittelbar betrifft , noch fremder und schwieriger er-

scheinen als die Aussagen über Gott, den Vater, und über

seinen Sohn, Jesus Christus, über die Transzendenz und

die lange zurückreichende Heilsgeschichte.

Eine Frage des Menschenbildes Mit unserem neuzeitlichen Menschenbild ist die Proble-

matik von Sünde und Schuld bekanntermaßen nur schwer

zu verbinden, so dass wir den ganzen Fragenkomplex in

der Regel lieber ausblenden und – bis hinein in unsere

Predigten, Gespräche und Veröff entlichungen – eher um-

gehen. Wie viel vertrauter erscheint uns da das „humanis-

tische Menschenbild“, das den Menschen nicht auf seine

Schuld und Sünde anspricht, sonder ihn als grundsätzlich

gut und als prinzipiell lebens- und beziehungsfähig ver-

steht? Gewiss, auch hier wird von der Notwendigkeit der

menschlichen Entwicklung gesprochen, aber es geht um

die Entwicklung der grundsätzlich guten eigenen Anla-

gen, mit denen der Mensch auf die Welt kommt. Gewiss,

auch hier kommt zur Sprache, dass Menschen hinter ihren

moralischen, sozialen und vernünft igen Möglichkeiten

zurückbleiben mögen. Aber dies wird so gedeutet, dass sie

durch die Einfl üsse der sie bestimmenden Umgebung bis-

IMPULS

Gesunder GlaubeVom richtigen Umgang mit dem altmodisch klingenden,

aber immer noch aktuellen Phänomen Sünde

VON PROF. DR . HANS-JOACHIM ECKSTEIN

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Page 30: magazin44

30

her an der Entfaltung ihrer eigenen Unmündigkeit gehal-

ten worden sind. Wird der Mensch „an sich“ und „selbst“

als grundsätzlich gut und zum Guten angelegt verstanden,

so gründen seine Fehlentwicklungen vor allem in den äu-

ßeren Umständen von Erziehung, Ausbildung und Gesell-

schaft , die ihn von seiner natürlichen Selbst-Entfaltung

bisher abgehalten haben. Von „Schuld und Versagen“ ist

in diesem Zusammenhang vielmehr in Hinsicht auf die

gesellschaft lichen Verhältnisse zu sprechen, die der eige-

nen Persönlichkeitsentwicklung und der Verwirklichung

des wahren „Selbst“ entgegenstehen.

Doch mag unsere Verlegenheit bei dem Th ema „Sünde

und Vergebung“ auch gerade durch das gegenteilige

traditionelle Menschenbild bestimmt sein, das sich im

Widerspruch und in Abgrenzung zur humanistischen

Sicht in kirchlichen und frömmigkeitsbestimmten Zu-

sammenhängen bis in die Gegenwart erhalten hat. Wenn

der Mensch im entgegengesetzten Extrem einseitig als

„Sünder“ in den Blick kommt, dessen „Dichten und

Trachten von Jugend auf böse ist“ (vgl. 1. Mose 8,21)

und der deshalb als grundsätzlich unzulänglich erscheint,

dann kann aus dem Gegenüber von Gott und Mensch ein

Dualismus von Gut und Böse, Licht und Finsternis, Kraft

und Schwachheit, Wahrheit und Lüge werden, der den

Menschen jeweils auf sein Unvermögen, seine Vergäng-

lichkeit und Schuld reduziert. Eine Erziehung in diesem

Geiste konnte es sich lange Zeit zum Ziel setzen, den Kin-

dern den angeborenen Geist der Aufl ehnung auszutreiben

und sie zur konsequenten Ein- und Unterordnung anzu-

halten. Unter der Voraussetzung, dass das „Selbst“ des

Menschen als das eigentliche Problem gesehen wurde,

lagen in der Unterwerfung des „Ich“ und in der „Selbst-

verleugnung“ die wahren Ziele der Persönlichkeitsent-

wicklung. Und wenn der eigene Wille und die Selbstän-

digkeit als Aufl ehnung verstanden wurden, dann galt es

als erklärtes pädagogisches Ziel, dem Kind „den Willen zu

brechen“ und es mit allen Mitteln – gegebenenfalls auch

mit Anwendung von körperlicher Züchtigung – zum Ge-

horsam gegenüber einem übergeordneten Willen anzu-

halten.

Aber auch dann, wenn wir uns weder als „frömmig-

keitsgeschädigt“ verstehen wollen noch auch als durch

humanistische Illusionen „verbildet“ entschuldigen mö-

gen, stellt sich bei dem Th ema „Schuld und Vergebung“

vielleicht ein gewisses Unbehagen ein. Auch in unseren

Freundeskreisen, Partnerschaft en und Familien kennen

wir den Widerspruch zwischen unserer vernünft igen Ein-

sicht in die Notwendigkeit von Problemgesprächen und

Auseinandersetzungen und der wirklichen Bereitschaft ,

die Einsicht auch zur Tat werden zu lassen. So mögen wir

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Page 31: magazin44

31

auch zugeben, dass es sinnvoll und geboten ist, für eine

notwendige Zahnbehandlung den Zahnarzt aufzusu-

chen, und dennoch werden wir beim Verdrängen des an

sich Vernünft igen um Ausreden und Entschuldigungen

nicht verlegen sein. Freilich geht es bei unserem Th ema

um viel mehr als nur um ein einzelnes Problem, das einen

zeitweiligen Aufschub duldet. Denn das Verdrängen und

Verleugnen unserer grundsätzlichen Situation und Ver-

legenheit würde ganz umfassende und bleibende Folgen

haben. So wollen wir neu – und jenseits der skizzierten

möglichen Extreme – nach dem fragen, was ursprüng-

lich und eigentlich mit dem christlichen Bekenntnis zur

„Vergebung der Sünden“ gesagt und gemeint ist. Was

haben wir uns eigentlich und unter Rückbesinnung auf die

christlichen Quellen unter „Sünde“ vorzustellen? Worin

besteht ihr Wesen, ihre Faszination und Macht, und worin

gründet ihr Rätsel, ihre Täuschung und ihre unheilvolle

Wirkung? Worin besteht demgegenüber das Geheimnis

und die Kraft der Vergebung und wie verändert und er-

neuert sie nun das Verhältnis des Menschen zu Gott, zu

anderen Menschen und zu sich selbst?

Faszination und Enttäuschung der Sünde

Wenn Sünde Distanzierung von Gott bedeutet – und

wenn wir Gott als den Ursprung des Lebens und als den

Schöpfer und Geber der Liebe erkannt haben –, welchen

Sinn macht es dann noch, zu sündigen? – Gar keinen!

Es ist nicht sinnvoll, sondern geradezu absurd, wenn wir

Menschen das Gegenteil von dem tun, was wir eigentlich

wollen. Denn indem wir uns in unserem Streben nach

Glück und Erfüllung von Gott als unserem Leben und

unserer Liebe lösen, schaden wir uns selbst und anderen.

So ist es – wie wir sahen – das wesentliche Merkmal und

Erkennungszeichen jeder Sünde, dass sie von Gott trennt

und gelingendes Leben und echte Liebe verhindert, ge-

fährdet und zerstört.

Warum geht dann von der Sünde oft eine solche Fas-

zination aus, wenn sie doch in letzter Konsequenz für

unser Leben und Erleben abträglich ist? – Weil es die

Sünde, wenn sie attraktiv erscheinen will, vermeidet, ihr

Wesen und ihr Ziel zu off enbaren. Sie knüpft , wie einst

die Schlange im Gespräch mit Eva viel lieber an dem an,

was Gott der Schöpfer selbst ist und was er allein seinen

Geschöpfen geben kann (1. Mose 3,1–5; Röm 7,11). Sie

verspricht nicht etwa Tod, sondern Leben; sie wirbt nicht

mit Gottverlassenheit und Einsamkeit, sondern mit der

Gottgleichheit. Sie verrät dem naiven Menschen nicht,

dass er mit seiner Aufl ehnung gegen Gott unmittelbar in

die Abhängigkeit und Verblendung gelockt werden soll,

sondern sie gaukelt ihm Erkenntnis, Reife und Freiheit

vor.

Das ist aber doch Betrug! – Gewiss, und diesen Betrug

begeht die Sünde seit Beginn der Menschheit, seit Adam

und Eva, sehr erfolgreich (1. Mose 3,13; Röm 7,11).

Der Mensch, der sich von der Sünde verführen lässt, ist

insofern betrogen, als er aufgrund der Täuschung in der

Trennung von Gott sucht, was er gerade bei Gott fi nden

würde, und bei der Sünde fi ndet, was er gar nicht gesucht

hat. So lebt die Faszination der Sünde allein davon, dass

sie in Aussicht stellt, was lediglich Gott geben kann, und

verspricht, was nur Gott halten kann.

Aber vor diesem Schwindel müssen die Menschen

doch gewarnt werden! – Das sind sie schon, wiederum

seit Adam und Eva (1. Mose 2,17). Gott hat die Men-

schen doch von Anfang an und – durch Propheten und

Apostel – immer wieder neu davor gewarnt, sich als Ge-

schöpfe von ihm als dem Schöpfer abzuwenden; da doch

die Abkehr vom Leben in letzter Konsequenz niemals

Lebensentfaltung bringen kann, sondern in jedem Fall

Verlust an Leben und Minderung von Lebenskraft bedeu-

tet, und da die Aufl ehnung gegen die Liebe schwerlich

Zuneigung und Einklang bringen wird, sondern nur noch

mehr Selbstsucht und Angst, Abwertung und Verzweif-

lung.

Wie kann es der Sünde denn immer wieder gelingen,

den Menschen zu betrügen, obwohl er doch zuvor von

Gott vor dem Betrug gewarnt worden ist? – Indem sie

durch skeptische, verfängliche Fragen und glatte Falsch-

aussagen im Menschen Zweifel, Unsicherheit und Versu-

chung weckt: „Sollte Gott gesagt haben…?“ – „Ihr werdet

keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß, an dem

Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan und

ihr werdet sein wie Gott, indem ihr wisst, was gut und

böse ist“ (1. Mose 3,1-5).

Läuft es darauf hinaus, dass man das Reden und Wer-

ben der Sünde am besten einfach nicht beachtet, sich

IMPULS

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32

schleunigst von ihr abwendet und sie zu vergessen sucht? –

Wenn das so einfach aufginge, wäre es ja vielleicht zu emp-

fehlen. Die Dinge liegen aber in der Regel komplizierter.

Da die Sünde häufi g mit dem wirbt, was Gott als Schöpfer

seiner Schöpfung in Liebe zugedacht hat, kann die Lösung

nicht in der Verachtung dessen liegen, was die Sünde in

Aussicht stellt. Die Sehnsucht nach Zuwendung und An-

erkennung, das Verlangen nach Bestätigung und Glück,

das Streben nach Erfüllung und Entfaltung, all diese

Bedürfnisse sind ja nicht an sich verfänglich oder falsch,

sondern schöpfungsgemäß und lebensbejahend. Kritisch

zu beurteilen sind allein die Versuche, das Verlangen nach

Leben lebensmindernd zu befriedigen und die Sehnsucht

nach Liebe und Anerkennung auf Kosten anderer zum ei-

genen Schaden auszuleben. Die Hoff nung, die in uns ge-

weckt wird, ist weder verwerflich noch lebenshinderlich,

sondern allein die Fehlentscheidung, unabhängig von

Gott suchen zu wollen, was wir nur bei und in Gott fi n-

den können. So erweist sich manche Sünde in ihrer letzten

Konsequenz als eine fehlgeleitete Sehnsucht nach Gott.

Wenn dies aber zutrifft , dann geht es bei der Überwin-

dung des Betruges, dem wir als Menschen seit Urzeiten

erliegen, weniger um das Abwenden von der uns off en-

sichtlich überlegenen Sünde als vielmehr um das Hinwen-

den zu dem einen Gott , der allein unsere Sünde in seiner

Liebe und durch seien Zuwendung erübrigen kann. Dann

hilft und nicht das verzweifelte und halbherzige „Nein!“

zu allen Wünschen nach erfüllendem und erfülltem Le-

ben, sondern allein das ganz entschiedene und hoff nungs-

volle „Ja!“ zu dem, der selbst das Leben ist und uns auf

viele Weisen Leben in Fülle geben will: „Ich bin gekom-

men, damit sie Leben haben – und zwar im Überfl uss“

( Joh. 10,10).

Leben aus der Vergebung

Nun sind wir von diesem Ziel einer uneingeschränkten

und unangefochtenen Erfahrung der vollkommenen Got-

tesgemeinschaft auch als an Christus Glaubende noch

weit entfernt und bringen uns bewusst – oder häufi ger

noch, ohne es uns einzugestehen – in Situationen, die

nicht unser Leben und unsere Beziehungen in Liebe för-

dern, sondern diese vielmehr einschränken und uns selbst

und anderen schaden.

Wie fi nden wir zu Gott zurück, wenn wir erkennen müs-

sen, dass wir uns von ihm durch ein bestimmtes Verhalten

oder durch allmähliche Entfremdung getrennt – d. h. ge-

sündigt – haben? Zu unserer Überraschung brauchen wir

nichts zu tun, als uns umzudrehen und uns Gott neu zu-

zuwenden. Denn wie weit wir uns auch von Gott entfernt

haben mögen, er hat sich nicht von uns entfernt. Auch

wenn wir uns selbst und ihm immer wieder untreu wer-

den, so bleibt Gott uns und sich selbst beständig treu. Er

kann sich selbst nicht verleugnen (2. Tim. 2,13). So sehr

wir unsere Beziehung zu Gott als dem Leben und der Lie-

be vernachlässigen mögen und sooft wir auch vergessen,

was er uns in Christus bereits geschenkt hatz, hält Gott

doch an seiner Zusage fest und holt uns auf unseren We-

gen wieder und wieder ein. Denn Gottes Gaben und Be-

rufung können ihn nicht gereuen (Röm 11,29).

Die Folgen unserer Abwege und Fehlentscheidungen mö-

gen uns durchaus noch lange zu schaff en machen. Der

entscheidende Beginn des Neuanfangs aber liegt in dem

Augenblick der Hinwendung zu dem, der uns längst zuge-

wandt ist. Mögen wir uns auch tausend Schritte von Gott

weg entfernt haben, so bedarf es dank der Liebe und Ver-

IMPULS

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33

gebungsbereitschaft Gottes nicht mehr als eines einzigen

Schrittes, um zu ihm zurückzukehren.

Wir vertrauen zu recht darauf, dass wir Gott auch in

unseren persönlichen Lebensentscheidungen um sei-

ne Führung bitten dürfen und ihm unseren eigenen Le-

bensweg anvertrauen können. Was ist aber mit Gottes

Willen für unser Leben, wenn wir – durch off ensichtli-

che Fehlentscheidungen oder durch unvorhergesehene

Entwicklungen, durch eigene oder fremde Schuld – in

auswegslose Situationen geraten? Ist mit einer falschen

Lebensentscheidung defi nitiv über unser Leben entschie-

den? Kommt Gottes Führung damit an ihr Ende, dass wir

uns einmal bei unserer Suche nach seinem Willen geirrt

haben? Es ist das Geheimnis der Liebe und Güte, dass

Gott uns nicht nur entlang eines als Ideallinie gedachten

Weges zum erfüllenden Leben führen kann, sondern dass

er uns jeweils abholt, wo wir und wie wir gerade sind, und

uns von dort aus neue Wege ebnet, auf denen wir nach

seinem Willen leben dürfen. Gottes Zuspruch der Verge-

bung ist immer zugleich die Zusage eines Neuanfangs in

seiner Begleitung.

Wenn dies aber alles zutrifft , dann könnte unser Bekennt-

nis zu der „Vergebung der Sünden“ in Christus doch ei-

gentlich ein uns beglückendes und befreiendes Th ema

sein, das wir weder zu verdrängen noch zu umgehen

brauchten. Vielleicht ist es unser Stolz und unser altes

Problem der Isolation von dem Leben und der Liebe, dass

wir das Th ema der Sünde – und damit unweigerlich auch

das der Vergebung – lieber zurückstellen. Denn wir wollen

Vergebung, weil wir vergessen wollen; Gott aber vergibt

uns, damit wir uns erinnern: wie sehr er uns beschenkt,

indem er uns bedingungslos annimmt, wie wenig wir uns

von den anderen unterscheiden, die wir sonst so leicht ver-

urteilen, und wie weit unsere Vorstellung von uns selbst

von der Wirklichkeit entfernt ist. So wird unsere Schuld

gerade nicht vergeben, damit wieder ganz die Alten sein

können, sondern damit wir Gott, den anderen und uns

selbst neu und anders begegnen. Der Sinn der Vergebung

liegt nämlich nicht darin, dass wir wieder besser dastehen,

sondern dass wir Gott gegenüber dankbarer, anderen ge-

genüber barmherziger und uns selbst gegenüber wahrhaf-

tiger werden.

IMPULS

Dr. Hans-Joachim Eckstein, geb. in Köln, ist

seit 2001 Professor für Neues Testament an

der Evangelisch-theologischen Fakultät

der Universität Tübingen, zuvor an der

Universität Heidelberg. Mit seinen lyrischen

und aphoristischen Texten spricht er

zugleich auch viele Menschen an, die sich

dem Glauben gegenüber eher distanziert empfi nden. Für seine

pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten erhielt er vom Land

Baden-Württemberg den Landeslehrpreis.

ÜBER DEN AUTOR

Genehmigter Abdruck aus

dem Buch von Hans-Joachim

Eckstein: „Gesund im Glauben“,

SCM Hänssler 2011,

S. 69 – 72, S. 76 – 79, S. 83 – 85.

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Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb nehmen mich gefangen, jagen mich.

Dieser Vers aus dem bekannten Lied „Mei-

ne Zeit steht in Deinen Händen“ von

Peter Strauch hat mich spontan ange-

sprochen, als ich über das Th ema „Fremd-

bestimmung in unserem Leben“ nachgedacht habe. Pe-

ter Strauch, damals schon bekannt als Evangelist und

Jugendpastor, später Präses des Bundes Freier evangeli-

scher Gemeinden, schreibt in einem kleinen Büchlein

„Entdeckungen in der Einsamkeit“ (Bundes-Verlag eG,

Witten), unter welchen Umständen das Lied entstan-

den ist: Nach einer Zeit von ständigem Termindruck

und vielen Anforderungen fühlte er sich erschöpft

und ausgelaugt. Er gönnte sich eine Auszeit, in der er

allein einige Wochen in Holland verbrachte, ohne Termine,

ohne Vorträge und Predigten, nur mit Gott allein. In sei-

nen Gesprächen mit Gott in dieser Zeit wurde ihm vieles

deutlich, was zu seiner inneren Leere und Erschöpfung

geführt hatte. Das beschreibt er in seinem Buch, und diese

Erfahrungen sind auch in sein Lied eingefl ossen.

Was mich aufmerken ließ, war die Jahreszahl, in der das

Lied entstanden ist: 1982. Wenn der Begriff damals schon

so bekannt gewesen wäre wie heute, hätte Peter Strauch

sicher seinen Zustand als „Burnout-Syndrom“ bezeich-

net. Das dahinter stehende Phänomen entspricht nämlich

genau dem, was er erlebt hat.

Wir klagen darüber, dass sich die Lebensumstände in

den letzten ein bis zwei Jahrzehnten dramatisch verändert

haben, insbesondere was den Umgang mit Zeit angeht.

Subjektiv habe ich den Eindruck, dass sich alles immer

mehr beschleunigt. Fax, E-Mail, Twitter- und Facebook-

Posts ersetzen immer mehr Brief, Telefonat oder persön-

liche Gespräche. Informationen stehen via Internet und

Smartphone inzwischen jederzeit und überall zur Verfü-

gung. Arztberichte in der Klinik werden nicht mehr wie

früher diktiert und von einer Sekretärin geschrieben, auf

Papier korrigiert und schließlich per Post versandt, son-

dern gleich mit Diktiersystem von Sprache in Text umge-

wandelt, verbessert und per Mail oder Datenübertragung

an die Empfänger verschickt. Die durchschnittliche Auf-

enthaltsdauer von Patienten in unserer Klinik sinkt von

Jahr zu Jahr, nicht weil die Patienten schneller „geheilt“

wären, sondern weil die Kostenträger die Behandlungs-

zeiten immer kürzer genehmigen. Schüler müssen den

gleichen Lehrstoff in acht statt neun Gymnasialjahren be-

wältigen. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortset-

zen, jeder kennt aus seinem Lebensbereich wieder andere

Beispiele dieser Beschleunigung.

Die Veränderung des Tempos, mit dem wir Dinge er-

ledigen, die früher wesentlich mehr Zeit in Anspruch

genommen haben, hat zur Folge, dass wir – scheinbar –

THERAPIEGRUNDLAGEN

VON DR . MED. RAINER KLOSS

Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb …Wie sehr ist unser Leben fremdbestimmt?

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THERAPIEGRUNDLAGEN

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„eff ektiver“ werden mit der in einem Zeitabschnitt ge-

leisteten Arbeit. Im Sinne des in der Wirtschaft vorherr-

schenden Wachstumsgedankens ist das ein notwendiger

Prozess, der dazu führt, dass Ressourcen immer besser

genutzt werden, kaum noch Zeit „verschwendet“ wird

und die Produktivität gesteigert wird. Die Kehrseite ist

eine immer größere „Verdichtung“ der Arbeit, ein Prozess,

der inzwischen auch auf unsere Freizeit und auf alle an-

deren Lebensbereiche übergegriff en hat. Und gleichzeitig

werden die Anforderungen hinsichtlich Qualität unserer

Arbeit nicht reduziert, sondern im Gegenteil ständig er-

höht, wenn man sich den Boom an „Qualitätssicherungs-

programmen und -anforderungen“ vor Augen führt.

Nun hat Peter Strauch sein Lied schon 1982 geschrie-

ben bzw. schon damals die Erfahrung gemacht, dass er in

einen Zustand von Erschöpfung und Ausgebrannt-Sein

geraten ist. Aus unserer Sicht herrschten damals noch

geradezu paradiesische Zustände, was Zeitabläufe und

Anforderungen angeht. Ist es daher nur eine Täuschung,

dass wir uns so eingezwängt in ein immer enger werdendes

Zeit- und Anforderungskorsett erleben? Oder ergibt sich

nicht durch eine genauere Betrachtung der Erfahrungen

von Peter Strauch damals und uns heute ein Grundprin-

zip, das hinter der Problematik steht?

Es ist weniger die Menge an Arbeit oder an Aktivitäten,

die darüber entscheidet, ob wir damit in einem Gleichge-

wicht bleiben können oder ob wir darunter in einem Zu-

stand von Erschöpfung geraten, ausbrennen und schließ-

lich krank werden. Es kommt nach allen Untersuchungen,

die zur Entstehung von Erschöpfungs- und Burnout-

Syndromen vorgenommen wurden, vielmehr auf den

Grad an Freiheit, den wir uns den Anforderungen gegen-

über bewahren oder bewahren können, an.

Wir alle kennen es, dass wir zu bestimmten Zeiten von

einer Aufgabe begeistert sind, Zeit und Energie einsetzen,

um etwas, was uns wichtig ist, zu erledigen, eine Lösung zu

fi nden, ein Ergebnis zu erreichen. Dabei ist es nicht so ent-

scheidend, ob wir diese Aufgabe uns selbst gestellt haben

(z. B. ein Zimmer in meiner Wohnung zu renovieren, ein

Musikstück zu lernen, etwas Schönes für jemand anderen

zu basteln …), oder ob sie uns von anderen gestellt wurde

(eine Aufgabe im Beruf zu erledigen, eine Andacht in ei-

nem Hauskreis zu halten, im Sportverein ein Trainingsziel

zu erreichen …). Entscheidend über das Maß an Belastung

ist eher, wie sehr ich mich dabei in einer inneren Freiheit

fühle, mit den Erwartungen umzugehen, die mit dieser

Aufgabe verknüpft ist.

Diese Erwartungen können aus zwei Richtungen kom-

men: von außen oder von innen, mir selbst.

Erwartungen von außen erleben wir vor allem durch

den oder die Auft raggeber: Im Beruf ist es der Kollege

oder Vorgesetzte, der mir meine Arbeit zuweist oder sie

bewertet, aber auch jemand, der vom Ergebnis meiner

Arbeit abhängig ist. Entspricht die Aufgabe meinen

Fähigkeiten und Kenntnissen? Werden mir die notwen-

digen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, um die Aufgabe

zu erfüllen? Wird mir genügend Zeit eingeräumt, in

der ich die Aufgabe erledigen kann? Kann ich mich auf

diese Aufgabe konzentrieren oder werde ich durch meh-

rere gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben abgelenkt? Je

mehr diese Fragen in einer negativen Richtung beantwor-

tet werden müssen, umso eher besteht die Gefahr, dass mir

die Aufgabe das Gefühl vermittelt, in einer Falle zu sitzen,

aus der ich nicht heraus kann: Eigentlich sollte ich diese

Aufgabe erledigen, andererseits schaff e ich es nicht. In

dieser Situation kommt der Grad an Freiheit zum Tragen,

der mir gegenüber der Aufgabe gegeben ist: Kann ich die

Aufgabe ablehnen? Kann ich darum bitten, dass mir mehr

Mittel oder Zeit oder Freiraum gegeben wird, um die Auf-

gabe zu erfüllen? Kann ich die Aufgabe mit einem weniger

optimalen Ergebnis erledigen?

Ganz entscheidend ist es, wie mein Umgang mit der

THERAPIEGRUNDLAGEN

Die Erwartungenkönnen aus zwei

Richtungen kommen: von außen oder

von innen,mir selbst.

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Aufgabe von anderen bewertet wird: Reagiert mein Kol-

lege, mein Vorgesetzter mit positiver Unterstützung, An-

erkennung und Lob, wenn ich die Aufgabe erledige oder

auch meinen Fähigkeiten entsprechend angehe? Oder

werde ich abgewertet, negativ kritisiert, wenn ich die Auf-

gabe ablehne oder um Hilfe bitte? Bekomme ich Hilfe-

stellung, meine Aufgabe doch noch zu erledigen, oder sie

so zu verändern, dass ich sie bewältigen kann?

Ähnliches gilt für Aufgaben in anderen Lebensberei-

chen: Werde ich in der Gemeinde, im Hauskreis unter-

stützt, anerkannt, gelobt für meine Beiträge, oder werde

ich off en oder „hintenrum“ schlechtgemacht? Herrscht in

einem Sportverein ein starkes Konkurrenzdenken, so dass

ich befürchten muss, bei Misserfolgen „vom Platz gestellt“

zu werden? Wenn in einem Betrieb, einem Verein, einer

Gemeinde ein Klima von gegenseitiger Unterstützung,

Wertschätzung und Wohlwollen vorherrscht, ergibt sich

für jeden, dem eine Aufgabe übertragen wird, ein höherer

Grad an Freiheit, wie er mit dieser Aufgabe umgehen kann,

und damit erhöht sich sogar die Wahrscheinlichkeit, dass

die Aufgabe gut erledigt wird. Dies setzt Energie, Fantasie

und Kräft e frei, die in einem Klima von Angst, Druck und

Abwertung blockiert werden.

In vielen Fällen sind es aber nicht oder nicht nur die äu-

ßeren Erwartungen, die das Maß an Freiheit oder Fremd-

bestimmung festlegen, sondern meine innere Einstellung:

Setze ich mir selbst ein hohes Ziel, das ich unbedingt er-

reichen will? Schätze ich meine eigenen Fähigkeiten und

Mittel richtig ein, um die Aufgabe erledigen zu können?

Kann ich an einem einmal gesetzten Ziel auch wieder Ab-

striche machen oder es ganz aufgeben?

Gerade leistungsorientierte Menschen und Menschen,

die zum Perfektionismus neigen, sind am ehesten gefähr-

det, in eine innere Falle zu laufen: Eigentlich müssten sie

die selbstgesetzten Ziele gar nicht unbedingt erreichen,

eigentlich verlangt niemand von ihnen die Erfüllung aller

Aufgaben, und wenn, dann nicht in der Vollkommenheit,

wie sie selbst das von sich erwarten. Aber sie erleben sich

in ihrer Freiheit eingeengt, der Freiheit, zu sich selbst zu

sagen: Ich lasse das Ziel los. Ich bin mir selbst gegenüber

gnädig und barmherzig. Ich kann mir erlauben, auch ein-

mal schwach zu sein und etwas gar nicht oder nicht so gut

hinzubekommen. In diesem Fall herrscht eine Fremdbe-

stimmung vor, die gar nicht von außen kommt, sondern

eine „innere“ Fremdbestimmung. Meist ist es ein über-

strenges Gewissen, das diese Menschen bestimmt. Oder sie

haben in der Kindheit erfahren, dass sie nur Anerkennung

und Liebe bekommen haben, wenn sie brav und ange-

passt, erfolgreich und strebsam, problemlos und bequem

zu leiten waren. Dann kann sich eine – meist irrationale –

Angst entwickeln, nicht geliebt und angenommen zu sein,

wenn sie eine Aufgabe nicht oder nicht perfekt erledigen,

wenn sie sich mit weniger zufrieden geben oder auch

einmal Nein sagen. Fatalerweise sind solche Menschen

meistens beliebt und erhalten viel Lob und Anerkennung,

wenn sie ihre Aufgaben klaglos und mit hoher Qualität

erfüllen, so dass sie genau das vermeiden, was ihnen Angst

macht, nämlich einmal zu versagen oder Aufgaben nicht

optimal zu erfüllen. Würden sie das einmal erleben, ver-

knüpft mit der Erfahrung, dann trotzdem noch beliebt

und anerkannt zu sein, könnte sich ihre Angst reduzieren.

Die Tendenz, immer mehr Aufgaben zu übernehmen oder

zugeteilt zu bekommen („Das kannst Du doch so gut!“),

nimmt bei ihnen im Gegenteil eher zu, bis sich Überlas-

tungs- und Überforderungssymptome einstellen.

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Peter Strauch,

so dass sein Büchlein (und sein Lied) auch heute noch

aktuell ist. Es sind also nicht nur die veränderten Be-

schleunigungs- und Anforderungsbedingungen, die uns

die Freiheit nehmen, sondern vor allem unser Umgang

damit. Das Lied beginnt mit dem Psalmvers: „Meine Zeit

steht in deinen Händen“ (Ps. 31,16), den er als Silvester-

Zuspruch kurz vor seiner „Burnout-Erfahrung“ gezogen

hat. Es war für ihn ein Prozess der Befreiung, sich mit

THERAPIEGRUNDLAGEN

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THERAPIEGRUNDLAGEN

dem Inhalt dieser Aussage auseinanderzusetzen: Meine

Zeit wird letztlich nicht von den äußeren Anforderungen,

vom Druck der Arbeitswelt, von Qualitätssicherungzielen

bestimmt. Meine Zeit wird auch nicht von den inneren

Zwängen meines Gewissens, meines Pfl ichtgefühls und

meiner Angst vor Ablehnung bestimmt. Aus der Falle der

inneren und äußeren Zwänge kann ich nur herausfi nden,

wenn ich mich meinen Ängsten stelle, die mich im Um-

gang mit diesen Zwängen bestimmen. Das aber setzt vor-

aus, dass ich etwas habe, auf das ich mich verlassen kann,

wenn ich mir selbst und anderen gegenüber ehrlich und

ungeschminkt gegenübertrete. Hier gewinnt der Psalm-

vers eine tiefere Bedeutung: Nicht nur meine Zeit, meine

ganze Existenz steht in den Händen Gottes. Wenn das

einmal nicht mehr nur intellektuelle Erkenntnis, sondern

gefühlsmäßige Realität und Erfahrung geworden ist, habe

ich eine Chance, aus dem Gefängnis herauszufi nden.

Wage ich es, mich auf die Zusage Gottes zu verlassen,

dass Gott mein Versorger ist, und auf meiner Arbeitsstelle

das Risiko einzugehen, nicht allen Anforderungen zu ge-

nügen, mich schwach zu zeigen, mich manchem „Irrsinn“

an Anforderungen und immer noch schnelleren Auft rags-

wünschen entgegenzustellen, auch wenn das bedeuten

könnte, abgelehnt und schlechter bewertet zu werden,

bei der nächsten Beförderung übergangen zu werden, ei-

nen Auft rag zu verlieren? Wage ich es, meinen Wert nicht

von meiner Leistung und der Anerkennung von anderen

bestimmen zu lassen, sondern Gott zu glauben, wenn er

mich jetzt schon als wertvoll bestätigt ( Jes. 43,4), und

dann auch mir selbst gegenüber zuzugeben, dass ich diese

Aufgabe jetzt nicht übernehmen und mit allem Einsatz

erledigen muss? Wage ich es, andere Menschen zu enttäu-

schen, ihnen zuzumuten, mich schwach und nicht perfekt

vorbereitet zu erleben, ihnen ein Nein zu geben, wenn sie

mich um etwas bitten?

Es gibt keinen stärkeren Schutz gegenüber einer

Fremdbestimmung als das Bewusstsein, dass meine Zeit –

meine gesamte Existenz – weder von außen noch von in-

nen bestimmt wird, sondern allein von Gott. „Man muss

Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg. 5,29) ist

ein Satz, der wie eine Burnout-Prävention wirken kann:

Wenn ich meinen Alltag weniger von den Anforderungen

und Erwartungen anderer fremdbestimmen lasse, wenn

ich meine eigenen Grundsätze und Ängste von ihm verän-

dern lasse, dann kann ich der Falle entgehen.

ÜBER DEN AUTOR

Dr. med. Rainer Kloß, Arzt für Neurologie und

Psychiatrie, Psychotherapie, Rehabilitati-

onswesen, Weiterbildung in Systemischer

Therapie und Familientherapie, Supervisor -

Oberarzt an der de’ignis Fachklinik.

Hast und Eile,Zeitnot und Betrieb

nehmen mich gefangen,jagen mich. Herr ich rufe:

Komm und machmich frei! Führe du

mich Schritt fürSchritt!

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Wollen und nicht könnenDas Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom

bei Erwachsenen

AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefi zit-/Hyperakti-

vitätssyndrom) – wenn von diesem Phäno-

men die Rede ist, assoziieren wir häufi g den

kleinen Jungen, der seinem Lehrer immer

wieder ins Wort fällt und scheinbar ohne Grund mitten

im Unterricht aufspringt und durch die Klasse läuft . Oder

wir haben das kleine Mädchen vor Augen, das beim Essen

einfach nicht still sitzen kann, sein Saft glas umkippt und

anschließend vergeblich versucht, sich auf seine Hausauf-

gaben zu konzentrieren.

Dass die landläufi g auch als „Zappelphilipp-Syndrom“

bekannte Störung der Aufmerksamkeit und Aktivität

aber keine „Kinderkrankheit“ ist, sondern durchaus auch

vielen Erwachsenen Leidensdruck bereitet, rückt uns erst

seit einigen Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein. Schät-

zungen gehen davon aus, dass bei bis zu 80 % der Kinder

mit AD(H)S die Symptomatik teilweise oder sogar voll-

ständig bis ins Erwachsenenalter hinein fortbesteht und

dass insgesamt ca. 2 – 6 % der Bevölkerung betroff en sind

(www.adhs-kompetenznetz.de). Ein Grund für diese

vagen Schätzungen ist, dass AD(H)S bei Erwachsenen

häufig in anderer „Gestalt“ auft ritt als bei Kindern, sich

häufi g hinter anderen – eindeutigeren – Störungsbildern

verbirgt und nur durch eine umfangreiche und spezifi sche

Diagnostik entdeckt werden kann. Ein typisches Erschei-

nungsbild von AD(H)S bei Erwachsenen wird im folgen-

den Fallbeispiel aus der Klinik skizziert:

VON ANNE LAMM UND ANGELIKA HEINEN

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THERAPIEGRUNDLAGEN

27-jährige Studentin, hat Probleme ihr Studium abzu-

schließen; fi nanziert sich durch mehrere Jobs gleichzeitig.

Wiederkehrende „Winterdepressionen“ mit Suizidimpul-

sen; schädlicher Gebrauch von Alkohol (10 Flaschen Bier

täglich); starke Schlafstörungen seit der Kindheit. Inter-

net-, Fernseh- und Lesesucht (6 Bücher an einem Wo-

chenende), wechselnde Männerbeziehungen, die auch als

Suchtverhalten beschrieben werden. Mehrere ambulante

Th erapien wegen Depression und Sucht, aber bisher mit

nur sehr kurzfristigen Erfolgen. Kindliche Entwicklung

verzögert, sehr spätes Laufen lernen und Sprechen erst mit

3 Jahren. Verschiedene Unfälle als Kind mit Knochen-

brüchen und Gehirnerschütterungen (sog. „Unfaller“).

Schulische Entwicklung: Lese-Rechtschreib-Schwäche,

„Sonderschule“ wegen starker Konzentrationsprobleme

und Impulsivität. Wird im Verhalten als „Träumerchen“

beschrieben. Nach dem Abschluss Wechsel auf die Haupt-

schule mit Abschluss. Danach Abschluss einer Ausbil-

dung und Mittlere Reife. Im Anschluss daran Fachabitur

und Beginn des Studiums. (Dieser Verlauf lässt auf eine

überdurchschnittliche Intelligenz schließen.) Sie habe

sich schon immer „anders“ gefühlt. Betäubungsspritzen

(z. B. beim Zahnarzt) wirken kaum.

Aktuelle Problematik: Extreme Ablenkbarkeit, starke

Stimmungsschwankungen mit Suizidimpulsen, bringt

Studienarbeit nicht zu Ende, schläft sehr schlecht ein,

benutzt das Internet gar nicht mehr, weil sie sonst nicht

mehr damit aufh ören kann, Einkaufen geht nur noch mit

einer Liste, häufi ges Zuspätkommen.

DIAGNOSE:

ADS ohne Hyperaktivität

THERAPIE: Psychoedukation, praktische Übungen, Trauerarbeit über

die falsche Beschulung und verpasste Chancen. Beginn

einer medikamentösen Behandlung mit Methylphenidat.

ERGEBNIS: Die Patientin sagte: „Zum ersten Mal im Leben bin ich

ich! So hätte ich schon lange sein können. Ich weiß jetzt,

dass ich krank bin und nicht blöd!“

Die Depressivität nahm deutlich ab, es kam zu keinen

Suizidimpulsen mehr, die Stimmung war wesentlich aus-

geglichener, es bestand kaum noch Suchtdruck, Impuls-

kontrolle, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit

waren deutlich erhöht.

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Grundsätzlich ist AD(H)S durch folgende drei Kernsym-

ptome gekennzeichnet:

1. Störung der (Dauer-) Aufmerksamkeit Betroff ene können ihre Aufmerksamkeit oft besser

als andere kurzfristig auf ein Geschehen fokussieren,

das sie fesselt und interessiert. Es gelingt ihnen jedoch

kaum, die Aufmerksamkeit über eine Dauer von ca. 20

Minuten und länger aufrechtzuerhalten, wie z. B. beim

Lesen von langweiligen Texten oder in langen Gesprä-

chen. Sie lassen sich leicht von Umgebungsreizen ab-

lenken oder verlieren sich in Tagträumereien.

2. Hyperaktivität Was bei Kindern häufi g als „Herumzappeln“ oder plötz-

liches Aufspringen und Umherlaufen auff ällt, wird von

erwachsenen Betroff enen sehr häufi g zu unterdrücken

versucht und vielmehr als eine starke „innere Unruhe“

und ein „unter Strom Stehen“ beschrieben. Sie haben

einen permanenten Bewegungsdrang, der auch in Fin-

gertrommeln und Fußwippen Ausdruck fi nden kann.

Viele können kaum entspannen.

2. Impulsivität Betroff ene neigen dazu, spontanen Impulsen unmittel-

bar nachzugeben, spontane und unüberlegte Entschei-

dungen zu treff en, ohne sich über die Konsequenzen

und Gefahren bewusst zu sein. Auch Wutausbrüche

und übermäßiges, schnelles Reden sind Zeichen erhöh-

ter Impulsivität.

Neben diesen drei Kernsymptomen sind folgende Kenn-

zeichen (Wender-Utah-Kriterien) typisch für AD(H)S

bei Erwachsenen und werden für die Diagnostik heran-

gezogen:

Desorganisiertes Verhalten:Fehlendes Zeitgefühl, fehlende Tagesstruktur, fehlende

Struktur beim Erledigen von Aufgaben.

Mangelnde Affektkontrolle:Gefühle wie z. B. Ärger können nicht unterdrückt oder

zurückgehalten werden, sondern werden unmittelbar ge-

äußert, auch wenn dies unangemessen ist.

Affektlabilität:Starke Stimmungsschwankungen.

Emotionale Überreagibilität/Stressintoleranz:Kleinigkeiten genügen, um Betroff ene „auf die Palme zu

bringen“. Sie reagieren schneller und heftiger emotional

als andere. Viele fühlen sich von Reizen schnell überfor-

dert und brauchen häufi ger Rückzugsmöglichkeiten.

Hochrisikoverhalten:Ebenfalls kennzeichnend ist eine Neigung zu Hoch-

risikoverhalten. Extremsport, fi nanzielle Risiken, schnel-

les Autofahren, Suchtverhalten (Spielsucht, Computer,

Kaufen), hohe Unfallgefahr, Alkohol- und Drogenmiss-

brauch (als Selbstmedikation), Arbeitssucht („Workaholic“).

Stärken und RessourcenSowohl für das Selbstverständnis des Betroff enen als

auch für eine psychotherapeutische Behandlung ist es

unbedingt notwendig, AD(H)S nicht nur von der reinen

Defi zitseite her zu betrachten, sondern genauso die Stär-

ken und Ressourcen zu berücksichtigen, die mit dem Syn-

drom verbunden sind.

Erwachsene mit AD(H)S zeichnen sich häufi g durch

hohe Kreativität und Fähigkeit zum divergenten Denken

aus sowie durch hohe Eloquenz und eine gute Aufnahme-

und Konzentrationsfähigkeit, wenn etwas sie persönlich

interessiert. Sie haben viel Fantasie, viel Energie, sind

risikobereit, fl exibel, spontan und neugierig. In Krisen-

und Notfallsituationen können sie schnell einen Über-

blick gewinnen und entschlossen handeln, sie haben einen

starken Gerechtigkeits- sowie einen guten Orientierungs-

sinn, sind multitasking- und sehr empathiefähig.

Wie in dem dargestellten Fallbeispiel deutlich wird,

ist AD(H)S bei Erwachsenen häufi g durch andere psy-

chische Erkrankungen überlagert, die nicht selten Folgen

von misslungenen Bewältigungsversuchen sind. So kann

beispielsweise der angestrengte Versuch, Ordnung und

Struktur in das eigene alltägliche „Chaos“ zu bringen, in

eine Zwangsstörung (Ordnungszwang, Kontrollzwang

etc.) führen. Oder die permanente innere Ruhelosig-

keit und Anspannung wird durch Alkohol, Drogen oder

Medikamente zu lindern versucht, was für den Betrof-

fenen langfristig in einer Suchterkrankung mündet.

Auch Depressionen treten häufi g in Zusammenhang mit

AD(H)S auf und können eine Folge sein von anhalten-

den Misserfolgserlebnissen, Minderwertigkeitsgedanken

(„Mit mir stimmt etwas nicht.“) und sozialem Rückzug

aufgrund von Beziehungsproblemen.

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Bis heute ist es schwierig und aufwändig, AD(H)S bei

Erwachsenen sauber zu diagnostizieren. Zum einen lie-

gen bislang keine Diagnosekriterien vor, wie sie für ver-

schiedenste andere Erkrankungen von der Weltgesund-

heitsorganisation herausgegeben wurden (International

Classifi cation of Diseases, ICD). Zum anderen muss sich

die Diagnostik auf Selbstauskünft e und Erinnerungen des

Betroff enen stützen, die üblicherweise sehr verzerrt sein

können.

Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Diagnose

AD(H)S ist das Verhalten des Betroff enen in den ersten

sechs Lebensjahren. Denn sollten in diesem Zeitraum

keinerlei Auff älligkeiten aufgetreten sein, kann AD(H)S

defi nitiv ausgeschlossen werden.

Neben ausführlichen Gesprächen (mit dem Betroff e-

nen selbst und mit Angehörigen, sogenannten Eigen- und

Fremdanamnese), Grundschulzeugnissen sowie Fragebö-

gen („Im Alter von sechs Jahren war ich …“) kommen in

der Diagnostik Tests zum Einsatz.

Tests zur Überprüfung der Aufmerksamkeit und Kon-

zentration sind z. B. TAP – Testbatterie zur Aufmerksam-

keits-Prüfung mit verschiedenen Untertests oder KLT –

Konzentrations-Leistungs-Test. Derweit läufi g bekannte

„d2-Test“ (Aufmerksamkeits-Belastungs-Test) dagegen ist

nicht aussagekräft ig, weil er innerhalb von weniger als 5

Minuten zu bearbeiten ist und so folglich nicht die Dau-

eraufmerksamkeit getestet werden kann. AD(H)S-Patien-

ten schneiden hier eher besonders gut ab!

Bei der Behandlung von AD(H)S gilt als übergeordne-

tes Ziel, dass der Betroff ene verstehen soll: „Ich bin nicht

schuld an meiner Störung, aber ich bin verantwortlich da-

für, wie ich damit umgehe!“

Die Th erapie sollte multimodal gestaltet sein, d. h. sie

sollte unterschiedliche Ansätze und Methoden mitein-

ander verbinden. Im Vordergrund steht die Psychothe-

rapie, die an den funktionellen Schwierigkeiten bezüg-

lich der Selbstorganisation, des Selbstwertgefühls und

der sozialen Interaktion ansetzt. Begleitend dazu kann

eine Behandlung mit Psychopharmaka erfolgen. Da die

Hauptsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und

Impulsivität durch Unausgewogenheiten im Neurotrans-

mitterhaushalt (vor allem Dopamin und Noradrenalin)

verursacht werden, kann durch spezifi sche Medikamente,

die auf diesen Haushalt einwirken, oft eine Besserung der

Symptomatik erreicht werden.

Psychotherapie bei AD(H)S kann sowohl im Einzel-

als auch im Gruppensetting durchgeführt werden. In der

Einzeltherapie werden die individuell festgelegten Ziele

bearbeitet. Gruppentherapie bietet den Vorteil, dass die

Betroff enen miteinander üben und sich austauschen kön-

nen. Sie kann eine zusätzliche psychische Entlastung brin-

gen, wenn die Betroff enen feststellen, dass es außer ihnen

selbst noch andere Menschen gibt, die auch „anders“ sind.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass der bei manchen

Betroff enen überzogene Status, „etwas Besonderes“ zu

sein, durch die Gruppe relativiert wird.

Sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie

ist Psychoedukation ein wichtiger erster Bestandteil. Hier

sollen Störungswissen (Informationen über die Störung)

und Änderungswissen (Informationen über die Behand-

lungsmöglichkeiten) vermittelt werden. Wie bei jeder

anderen Psychotherapie auch, ist es von sehr großer Be-

deutung, am Anfang die individuellen Ziele festzulegen:

Was soll sich verändern, aber was kann auch so bleiben,

wie es ist? Ausgehend davon werden besonders in der Ein-

zeltherapie ein individueller Behandlungsplan erstellt und

die entsprechenden Th erapiebausteine durchgeführt. Da-

durch sollen zum einen eine Steigerung der Kompetenz

(Können, Lernen) und zum anderen eine Verbesserung

der Performanz (Machen, Fertigkeiten) erreicht werden.

Im Folgenden werden Beispiele solcher Behandlungs-

bausteine aufgeführt. (Teilweise sind sie ausführlich

beschrieben bei Gerhard W. Lauth & Wolf-Rüdiger

Minsel: ADHS bei Erwachsenen. Diagnostik und

Behandlung von Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstö-

rungen (Hogrefe, 2009)):

• Vermittlung von Selbststeuerungsfertigkeiten: Geeignete Selbstanweisungen erst laut, später leise auf-

sagen; negative innere Dialoge beenden und später in

positive verändern können.

• Selbstmanagement und Selbstkontrolle: Kalender führen (Lose Blätter gibt es nicht mehr!);

Tagesplan erstellen mit genauen Tätigkeits- und Zeit-

angaben; die entsprechenden Vorkehrungen dafür tref-

fen (Menschen mit AD(H)S besitzen keine innere Uhr

und können deshalb kein automatisches Zeitgefühl

entwickeln); Wochenplan erstellen; Prioritäten setzen

lernen (wichtig/unwichtig, dringend/nicht dringend);

Umgang mit begrenzten finanziellen Mitteln erlernen.

DIAGNOSTIK

BEHANDLUNG

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Vermittlung vonSelbststeuerungsfertigkeiten

Selbstmanagement undSelbstkontrolle

EmotionsregulationstrainingProblemlösestrategien

Achtsamkeits-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationstraining

Einüben von angemessenemSozialverhalten

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THERAPIEGRUNDLAGEN

• Problemlösestrategien: „Was ist die Ausgangssituation? Was ist das Ziel? Wie

könnte ein Lösungsweg aussehen?“ Kleine Schritte pla-

nen und einzeln überprüfen, ob sie wirklich zum Ziel

führen; Erreichung oder Nichterreichung dokumentie-

ren und Erreichung sofort belohnen! Dies ist besonders

wichtig, da die Betroff enen im Laufe des Lebens keinen

Belohnungsaufschub lernen wie andere Erwachsene

und somit in diesem Bereich wie Kinder agieren. Ein

Th erapiefortschritt hängt bedeutend damit zusammen,

dass dies beachtet wird.

• Achtsamkeits-, Aufmerksamkeits- undKonzentrationstraining:

Nur mit einer Sache beschäft igen; beobachten, aber

nicht bewerten; einen eigenen inneren wohlwollenden

Beobachter installieren; Arbeit mit 2 „leeren Stühlen“,

wobei der eine den „inneren Antreiber“ und der andere

den „inneren Faulenzer“ symbolisiert, beide abwech-

selnd zu Wort kommen lassen; konzentrative Tech-

niken einüben z. B. mit Sudoku, Suchspielen, Körbe

fl echten, usw.

• Einüben von angemessenem Sozialverhalten: Pünktlichkeit auch in den Th erapiesitzungen (kein

Nachholen der verlorenen Zeit); Zuhören, Verstehen

und Wiedergeben trainieren (erst zuhören, dann mit

eigenen Worten wiederholen, dann antworten); Be-

wusstmachung von negativem non-verbalen Verhalten

(Mimik, Gestik, Laute); auf Zynismus hinweisen; Rol-

lenspiele zu ganz konkreten Situationen

• Emotionsregulationstraining: Lernen: Welche Grundemotionen gibt es (weltweit

gleich und an der Mimik und Gestik ablesbar: Freude,

Trauer, Wut, Angst, Ekel, Erschrecken bzw. Überra-

schung)? Welche Aufgaben haben sie? Welche Körper-

impulse und welchen Appell an das Gegenüber senden

sie? Mit welchen Emotionen kann ich gut umgehen?

Welche bereiten mir Schwierigkeiten? Entsprechende

Situationsanalysen erstellen, um ein besseres Selbstver-

ständnis zu bekommen.

Psychopharmakatherapie

In der medikamentösen Behandlung von AD(H)S kom-

men Psychostimulanzien und Antidepressiva zum Einsatz.

Das meist verschriebene Psychostimulans ist Methyl-

phenidat, teilweise als retardierte Form. Methylpheni-

dat ist auch bekannt unter den Handelsnamen Ritalin®,

Medikinet®, Equasym®, Methylphenidat® oder Concerta®.

Entgegen weit verbreiteter Befürchtungen besteht speziell

bei Menschen mit AD(H)S keine Gefahr für eine körper-

liche Abhängigkeit. Sie leiden dann sogar weniger unter

sonstigen Abhängigkeiten (Alkohol, Drogen) als ohne

die Einnahme von Methylphenidat. Es muss aber deutlich

darauf hingewiesen werden, dass bei der gleichzeitigen

Einnahme mit Alkohol das Risiko für das erste Auft reten

einer Psychose stark zunimmt.

Seit dem 14. April 2011 ist Methylphenidat auch für

Erwachsene in Deutschland zugelassen, „wenn andere

Maßnahmen alleine unzureichend sind und ADHS (seit

der Kindheit) besteht“; es unterliegt dem Betäubungs-

mittelgesetz (BtMG) (www.bfarm.de).

Als Alternative oder ergänzend zu Methylphenidat

kann Atomoxetin (Handelsname: Strattera®) gegeben

werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass es in

Einzelfällen zu erhöhter Suizidalität kommen kann. Wei-

tere Alternativen sind antriebssteigernde oder trizyklische

Antidepressiva.

„Wollen und nicht Können“ – bei dieser Erfahrung

muss es für Betroff ene nicht bleiben. Wenn nach einer

gründlichen Diagnostik eine spezifi sche und möglichst

multimodale Th erapie begonnen wird, können eine deut-

liche Linderung der erlebten Einschränkungen und eine

erhebliche Steigerung der Lebensqualität erreicht werden.

ÜBER DIE AUTOREN

Anne Lamm, Dipl.-Psychologin und

Psychologische Psychotherapeutin.

Verhaltenstherapeutin für Erwachsene,

Kinder und Jugendliche.

Arbeitet in der de’ignis-Fachklinik.

Angelika Heinen, Dipl.-Psychologin und

Psychologische Psychotherapeutin in

Ausbildung.

Arbeitet in der de’ignis-Fachklinik.

Page 45: magazin44

45

THERAPIEGRUNDLAGEN

Die Auswirkungen der

Fremdbestimmung – BorderlineVON ACHIM SÖRGEL

Ein (anonymisiertes) Fallbeispiel: Anna, 17 Jahre

Anna kam in unsere Wohngruppe, nachdem

sie zuvor bereits sechs verschiedene Jugend-

hilfemaßnahmen, angefangen von einer am-

bulanten Betreuung, über die geschlossene

Unterbringung in einer Mädchenwohngruppe, bis hin zu

einem Auslandsaufenthalt in Irland in einer Pflegestelle,

sowie mehre Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsy-

chiatrie durchlebt hatte. Die Mutter berichtete über mas-

sive Schwierigkeiten im Umgang mit ihrer Tochter. Diese

halte sich an keinerlei Absprachen, habe schon früh ange-

fangen Alkohol zu konsumieren und sehr intensive, auch

rasch intime Beziehungen einzulassen, die jedoch genauso

rasch wieder endeten. Oft wechselt Annas Stimmung von

einem Moment auf den anderen, sie reagiert auf kleinste prim

aer/

phot

ocas

e.co

m

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46

THERAPIEGRUNDLAGEN

Anlässe mit heft igen Vorwürfen und lautstarken Ausei-

nandersetzungen, oder zieht sich in anderen Momenten

völlig zurück. Immer wieder kommt es zu Selbstverlet-

zungen, das Mädchen ritzt sich dann an den Armen mit

einer Rasierklinge, oder schlägt den Kopf an die Wand.

Aus den bisherigen Wohngruppen liegen Berichte vor, die

Anna als „manipulativ und skrupellos“ in der Durchset-

zung ihres Willens beschreiben. Immer wieder schaff e es

das Mädchen, sich auch auf Helferebene Unterstützer zu

sichern, die sich mit erheblichem Aufwand für sie einsetz-

ten, was oft auch zu massiven Konfl ikten zwischen Mit-

arbeitern, Lehrern, der Mutter und anderen Beteiligten

geführt habe.

Ihre Eltern hatten sich getrennt, als Anna 10 Jahre alt

war, die Ehebeziehung war schon zuvor gekennzeichnet

gewesen von heft igen Auseinandersetzungen. Die Mutter

sah in ihrer Tochter aufgrund einer großen äußerlichen

Ähnlichkeit immer stärker den Vater, so dass es ihr zuneh-

mend schwerer fi el, Anna anzunehmen, was die ohnehin

schwierige Beziehung zwischen Mutter und Tochter noch

dramatisch verschlechterte. Die Wohngruppe sei nun ihre

„letzte Chance“. Wie lassen sich die massiven Verhalten-

sprobleme und Auff älligkeiten, unter denen Anna selbst

auch immer wieder massiv leidet erklären? Und wie kann

Anna tatsächlich geholfen werden?

Borderline – Begriffsklärung, Ursprünge, Symptomatik

Die Schwierigkeiten, unter denen Anna zu leiden hat,

lassen sich als eine beginnende Persönlichkeitsstörung

vom Borderline-Typ verstehen. Ursprünglich wurde der

Begriff „Borderline“ von dem amerikanischen Psycho-

analytiker Adolf Stern (1938) geprägt. Er charakterisierte

damit – einem von Sigmund Freud entwickelten psy-

choanalytischen Grundverständnis eines Kontinuums

zwischen „Neurosen“ und „Psychosen“ folgend – ein

(unscharfes) Grenzgebiet zwischen neurotischen und psy-

chotischen Störungsbildern. Menschen mit einer solchen

Borderline-Störung wurden demzufolge als „Grenzgän-

ger“ betrachtet, deren Krankheitsbild zwischen diesen

beiden Polen angesiedelt war. Inzwischen ist man zu der

Übereinkunft gelangt, es mit einem eigenständigen, in

sich relativ stabilen Komplex zu tun zu haben. Wesentlich

hierfür war die Arbeit des amerikanischen Psychoanalyti-

kers Otto Kernberg, Mitte der 70er Jahre des letzten Jahr-

hunderts.

Auf einer deskriptiven, beschreibenden Ebene können bei

der Borderlinepersönlichkeit Schwierigkeiten in verschie-

denen Bereichen gefunden werden und werden heute als

valide Kriterien zur Diagnose einer Borderlinestörung

verwendet. Nach Ansicht der meisten Forschungsgrup- rape

ronz

olo/

phot

ocas

e.co

m

Page 47: magazin44

47

THERAPIEGRUNDLAGEN

pen ist besonders eine Störung der Aff ektregulation von

zentraler Bedeutung. Menschen mit Borderlinepersön-

lichkeit reagieren sehr sensibel und in starkem Ausmaß

in ihrem Erleben von Situationen. Die Stimmung kann

daher innerhalb kurzer Zeit erheblichen Schwankun-

gen unterworfen sein, mit rasch einschießenden Gefüh-

len wie Niedergeschlagenheit, Verzweifl ung, Angst oder

auch Reizbarkeit und Wut, die kaum kontrolliert werden

kann. Oft erleben Patienten eine intensive, als unerträg-

lich empfundene innere Anspannung, die jedoch keinem

konkreten Gefühl zugeordnet werden kann. Zumeist dau-

ert es deutlich länger, als bei gesunden Personen, bis die

Anspannung aufgrund einer Belastungssituation sich wie-

der dem Normalwert annähert, so dass es leicht zu einem

Aufschaukeln der Anspannung kommt, bis dann der letzte

– vermeintlich harmlose- Tropfen das „Fass zum Überlau-

fen“ bringt. Daneben kennen die meisten Patienten mit

einer Borderlinestörung auch das Gefühl einer inneren

Leere, einer Art inneren Taubheit und Gefühlslosigkeit

das genauso unerträglich erlebt wird. Das Selbstbild und

die Selbstwahrnehmung sind ebenfalls ausgeprägten und

raschen Schwankungen unterworfen. Lebensziele, aber

auch Vorlieben und Ansichten wechseln häufi g, viele Be-

troff ene haben den Eindruck, sich selbst kaum zu kennen.

Kennzeichnend sind außerdem das verzweifelte Bemü-

hen, tatsächliches oder vermutetes Verlassen-werden zu

vermeiden, und eine intensive Angst vor dem Alleinsein

sowie Panik schon bei zeitlich begrenzten Trennungen.

Typischerweise kommt es im Lauf des Lebens zu einem

Muster aus intensiven, aber instabilen zwischenmensch-

lichen Beziehungen: mal idealisieren die Betroff enen ihr

Gegenüber, dann entwerten sie es – und das im schnel-

len Wechsel. Die für Borderlinestörungen häufi g als

typisch angesehenen selbstschädigenden Verhaltenswei-

sen, wie Ritzen, oder andere Formen von Selbstverletzun-

gen haben häufi g die Funktion, die als unerträglich erlebte

innere Spannung zu reduzieren. Neben den Selbstverlet-

zungen, Suiziddrohungen und -versuchen, schaden sich

viele Patienten auch durch impulsive Handlungen z. B.

im Bereich der Sexualität, durch Substanzmissbrauch,

rücksichtsloses Fahren, Geld ausgeben, oder beim Essen.

In Belastungssituationen kann es auch vorrübergehend zu

paranoiden Vorstellungen, z. B. dem Eindruck verfolgt zu

werden, oder zu sogenannten dissoziativen Symptomen

kommen, in denen die Wahrnehmungsfähigkeit einge-

schränkt ist, vom „Tunnelblick“ bis hin zu einer völligen

Abkapselung, die von den Betroff enen selbst meist als

extrem unangenehm erlebt wird und die nur durch sehr

starke Sinnesreize durchbrochen werden kann.

Die Entstehung der Borderlinestörung

Heute geht die Forschung davon aus, dass die Entstehung

einer Borderlinepersönlichkeitsstörung, wie bei den meis-

ten psychischen Erkrankungen, von mehreren Faktoren

abhängt, die miteinander in Wechselwirkung stehen und

die erst in ihrem Zusammenwirken die oft gravierenden

Folgen der Störung erklären können. Auch aufgrund von

Zwillingsstudien, bei denen der Einfl uss genetischer Fak-

toren abgeschätzt werden kann, weiß man, dass auch bei

der Borderlinestörung eine genetische Komponente für

die Entstehung der Störung der Aff ektregulation beteiligt

ist. Hierzu zählen Neurobiologische Faktoren, wie eine

Störung der Reizkontrolle und Aff ektmodulation und der

Dissoziationsneigung. Menschen mit einer Borderlineper-

sönlichkeit scheinen also bereits aufgrund ihrer körperli-

chen Voraussetzungen sensibler auf Reize zu reagieren und

größere Schwierigkeiten in der Emotionsverarbeitung zu

haben. Diese biologische Komponente alleine reicht aller-

dings nicht aus, um das Auft reten der Störung zu erklären,

sonst müssten in Studien mit eineiigen Zwillingen, die

also exakt die gleichen genetischen Merkmale aufweisen,

immer beide Geschwister gleichermaßen betroff en sein.

Dies ist jedoch nicht der Fall. In Studien zeigte sich, dass

die Wahrscheinlichkeit eines Menschen, dessen Zwilling

an einer Borderlinepersönlichkeiststörung erkrankt war,

bei „lediglich“ ca. 55 % lag.

Der zweite, erhebliche Faktor, der für die Krankheitsent-

stehung eine Rolle spielt, liegt in den psychosozialen Um-

ständen, in denen ein Kind aufwächst. Bei vielen – jedoch

nicht allen – Patienten fi nden sich sexuelle und körper-

liche Gewalterfahrungen in der Kindheit wieder. Bis zu

60 % der weiblichen Patienten berichten, in ihrer Kind-

heit sexuell missbraucht worden zu sein. Ob eine solche

Traumatisierung alleine eine Borderline-Persönlichkeits-

störung verursachen kann, ist unter Experten allerdings

strittig. Vor allem scheinen jedoch auch solche Formen

der emotionalen Vernachlässigung wesentlich zu sein,

bei denen die Gefühle und Wahrnehmungen des Kindes

lächerlich gemacht oder entwertet werden. Die Gefühle

und Wahrnehmungen der Kinder werden nicht geteilt

und bestätigt, statt dessen wird das Kind für Gefühls-

äußerungen bestraft , oder die Gefühle werden als falsch

abgestempelt.

Eine solche Invalidierung beginnt etwa, wenn der Spröss-

ling vor Schmerz weint und die Mutter entgegnet: „Tut

doch gar nicht weh – jetzt hab dich nicht so!“. Im Falle

von Anna kann die Ablehnung der Mutter, aufgrund der

Ähnlichkeit zum Vater eine solche Invalidierung darstel-

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48

THERAPIEGRUNDLAGEN

len. Die Erfahrung – völlig unabhängig vom eigenen Ver-

halten – „falsch“ zu sein, hinterlässt eine tiefe Wunde im

Selbstbild, die bei Anna – wie bei den meisten Patienten

mit einer Borderlinestörung – auch in ihrem weiteren

Lebensstationen bislang leider immer weiter vertieft e.

Behandlungsansätze – Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)

Lange Zeit galt die Borderlinepersönlichkeitsstörung als

kaum psychotherapeutisch behandelbar, Patienten mit

einer solchen Störung als „schwierig“. Mittlerweile gibt

es jedoch eine Reihe unterschiedlicher therapeutischer

Ansätze, die sich als hilfreich erwiesen haben. Neben ei-

ner Reihe psychodynamisch orientierter Verfahren, die

sich auf die Arbeiten von Kernberg stützen, ist dies ins-

besondere auch die verhaltenstherapeutisch orientierte

Dialektisch-Behaviorale Th erapie nach Marsha Linehan,

die auch die Grundlage für unsere Arbeit in Annas Wohn-

gruppe darstellt. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Th e-

rapie ist die Vermittlung und das Einüben von Fertigkei-

ten, sogenannten „skills“ in fünf verschiedenen Bereichen.

Im Modul Stresstoleranz sollen die Betroff enen lernen,

ihre Anspannung einerseits frühzeitig wahrzunehmen und

ohne sich selbst zu schaden regulieren zu lernen. Für Anna

bedeutet dies zum Beispiel, anstelle sich zu ritzen, einen

Gummiring um das Handgelenk schnalzen zu lassen, oder

eine „weinende Himbeere“, ein extra-scharfes Bonbon zu

essen. Ziel ist es dabei, starke Sinnesreize zu vermitteln, die

dabei helfen, die extreme innere Anspannung aushalten zu

können, die aber – anders als das Ritzen – keine negati-

ven Folgen mit sich bringen. Da viele Borderliner massive

Schwierigkeiten darin haben, ihre Gefühle diff erenziert

wahrzunehmen und zu unterscheiden und dann einen an-

gemessenen Umgang mit ihren Gefühlen zu finden, geht

es im Modul Emotions-Regulation darum, die verschiede-

nen Gefühle besser kennen zu lernen, zu überprüfen, ob

das Gefühl der Situation angemessen ist und bei zu starker

Ausprägung dementsprechend dann Gefühle durch ent-

gegengesetztes Handeln abzuschwächen, oder aber eine

dem Gefühl und der Situation angemessene Handlung

zu initiieren, bei adäquatem Gefühlserleben. Für Anna

könnte dies bedeuten, dass sie lernt, ihren oft überschießen-

den Ärger bei kleineren Frustrationserlebnissen – wenn sie

zum Beispiel kurz auf einen ihrer Betreuer warten muss –

selbst als unangemessen stark zu identifi zieren und das

Ärgergefühl z. B. durch eine bewusste Veränderung der

Körperhaltung, der Mimik, oder auch der Atmung zu re-

duzieren. Im Modul „Zwischenmenschliche Fertigkeiten“

geht es darum, die oft mangelhaft ausgebildete Sozialkom-

petenz der Betroff enen zu steigern und z. B. Strategien zur

Konfl iktklärung zu erarbeiten. Das Selbstwert-Modul soll

Patienten dabei helfen, einen etwas „faireren Blick“ auf sich

selbst zu entwickeln und auch eigene Stärken und positive

Seiten an sich selbst besser wahrnehmen zu können und

dysfunktionale Annahmen über sich selbst zu überprüfen

und anzupassen. Einen besonderen Stellenwert kommt in

der Dialektisch-Behavioralen Th erapie schließlich noch

dem Konzept der Achtsamkeit zu. Durch eine sehr be-

wusst wahrnehmende und beschreibende Haltung, ohne

jedoch das Wahrgenommene zu bewerten, kann einerseits

langfristig eine Absenkung des Anspannungsniveaus er-

reicht werden, andererseits ermöglichen entsprechende

Übungen auch eine diff erenziertere Selbstwahrnehmung

und eine gewisse Distanzierung von starken Gefühlen.

Häufi g erleben sich Patienten von einem Gefühl geradezu

überfl utet, so dass neben dem Gefühl nichts anderes mehr

Platz hat. Ziel der Achtsamkeitsübungen ist es von „Ich

bin ein Gefühl“ zu „Ich habe ein Gefühl“ zu kommen.

Neben der Vermittlung der verschiedenen Fertigkeiten,

die im Regelfall in der „skills-Gruppe“ erfolgt, geht es in

der Einzeltherapie darum, problematische Verhaltenswei-

sen zu identifi zieren, die gemeinsamen Ziele zu defi nieren,

das eigene Verhalten immer besser verstehen zu können,

alternative Handlungswege zu erarbeiten und die Patien- man

gost

ock

/Fot

olia

.com

Page 49: magazin44

49

ten weiter zu motivieren. Das Vorgehen in der Th erapie

ist dabei stark hierarchisch gegliedert. So wird immer mit

erster Priorität an der Verringerung suizidaler Tendenzen

und selbstschädigender Verhaltensweisen gearbeitet, da

die körperliche Unversehrtheit zunächst gewährleistet

sein muss. Dann stehen alle Verhaltensweisen im Fokus,

die eine Fortführung der Th erapie gefährden, wie z. B.

Versäumen von Th erapiesitzungen oder Nichterledigung

von therapeutischen Hausaufgaben. Damit soll die aus

anderen Behandlungen bekannte hohe Rate an Th era-

pieabbrüchen bei Patienten mit Borderline-Störungen

vermieden werden – schließlich kann nur mit Patienten

gearbeitet werden, die an der Th erapie von sich aus frei-

willig teilnehmen. Erst dann werden weitere Verhaltens-

weisen, die die Lebensqualität beeinträchtigen bearbeitet

und im weiteren Verlauf die Verbesserung der Verhaltens-

fertigkeiten. Aufgrund der meist entwertenden Erfahrun-

gen der Patienten in den Ursprungsfamilien und weiteren

Lebenserfahrungen, ist die annehmende und verstehende

Haltung des Th erapeuten ein wesentlicher Faktor um den

Patienten neue, korrigierende Erfahrungen zu vermitteln.

So ist es für Anna beispielsweise eine wichtige Erfahrung,

in ihrer Annahme, „sowieso irgendwann wieder raus ge-

schmissen“ zu werden und sie sich daher zunächst auch

kaum auf die Gruppe einlassen wollte, auf dem Hinter-

grund ihrer bisherigen negativen Erfahrung verstanden

zu werden. Zentral ist nun für die DBT jedoch, dass sie

im Sinne der Dialektik nicht bei diesem Verstehen stehen

bleibt, sondern zugleich auch nach Wegen der Verände-

rung sucht. Symbolisch lässt sich dies am besten mit dem

Bild der Wippe darstellen, mit den beiden Seiten „Akzep-

tanz“ und „Veränderung“. Ziel ist es, von dem Borderline-

typischen Schwarz-Weiß-Denken des „Entweder-oder“

zu einem „Sowohl-als-auch“ zu gelangen. Wichtige Bau-

steine für die Veränderung dysfunktionaler Verhaltenswei-

sen sind dabei Selbstbeobachtungsbögen und sogenannte

Verhaltensanalysen, die dabei helfen, das eigene Verhalten

mit seinen Bedingungen und Folgen besser verstehen zu

lernen. Für Anna bedeutet dies zurzeit, dass sie anhand

der Verhaltensanalysen versteht, wie sie aufgrund ihrer

oft impulsiven und aufbrausenden Reaktionen für sie

wichtige Beziehungen gefährdet und Ablehnung durch

andere provoziert. Die detaillierte Bearbeitung und Ana-

lyse vieler solcher Situationen hilft ihr dabei, die Folgen

ihres eigenen Handelns abschätzen zu lernen und die

Motivation für eine Verhaltensänderung aufzubauen.

Dieser Weg wird nicht leicht sein, Anna wird – wie alle

Menschen, die an einer Borderline-Störung leiden – hart

an der Überwindung ihrer Schwierigkeiten, an denen sie

selbst nicht schuld ist, arbeiten müssen. Unsere Aufgabe

als Th erapeuten und Betreuer ist es, Anna auf diesem Weg

immer wieder anzufeuern, zu motivieren, zu unterstützen

– aber auch herauszufordern, neues zu erproben und sich

auf das Wagnis einer Veränderung einzulassen.

Literatur:

Bohus, M. (2002): Borderline-Störung.

Göttinge, Hogrefe-Verlag

Bohus, M., Wolf, M. (2009): Interaktives SkillsTraining für

Borderline-Patienten.

Stuttgart, Schattauer.

ÜBER DEN AUTOR

Achim Sörgel, Dipl.-Psychologe und

Psychologischer Psychotherapeut in

Ausbildung. Leitet den Psychologischen

Fachdienst im CJD in Altensteig.

THERAPIEGRUNDLAGEN

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) – Die Wippe

AkzeptanzAkzeptanz Veränderung

Page 50: magazin44

50

FACH-KLINIK

AKTUELL

Für Donnerstag, 22. November

2012, um 19.30 Uhr laden wir

zu einem Konzert mit Judy Bailey

und Band in unsere Sporthalle in

Egenhausen ein.

Die Sängerin und Psychologin hat

bereits 2004 bei der Eröff nungsfeier

des Th erapiehauses in Egenhausen

unsere Gäste begeistert.

Wir feiern, dass die gemeinnützige

GmbH als Träger der Klinik vor 25

Jahren gegründet wurde. Der Ge-

sellschaft svertrag wurde am 21. Mai

1987 geschlossen. Bis zur Eröff nung

der Klinik im Oktober 1989 gab es

einiges zu tun und manche Schwie-

rigkeit zu überstehen. Interessierte

können darüber mehr in unserem

Magazin 37/38 erfahren.

Das Konzert soll ein Dankeschön

für alle sein, die mit unserer Arbeit

verbunden sind. Dazu gehören Ärzte,

Psychologen, Sozialarbeiter, Pastoren

und Seelsorger, die Hilfesuchenden

unsere Klinik empfehlen, Mitarbeiter

und Verantwortliche von Kranken-

und Rentenversicherungen, die ihren

Versicherten eine Behandlung in un-

serer Klinik ermögliche, Lieferanten,

Spender, die Bevölkerung und natür-

lich auch Sie, liebe Leserin/lieber Leser.

Bei der Gelegenheit werden wir

auch unseren jüngsten Arbeitszweig

für Kinder und Jugendliche vor-

stellen. Zunächst beginnen wir mit

ambulanter Beratung und Th erapie,

planen aber langfristig auch ein statio-

näres Angebot.

Wir würden uns freuen, Sie zum

Konzert in Egenhausen begrüßen zu

dürfen.

Konzert von Judy Bailey und Band

de'ignisaktuell

Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

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51

DE’IGNIS AKTUELL

Für das nächste Jahr planen wir

eine Erweiterung der Klinik

Egenhausen, die dringend erforder-

lich ist, um die Existenz der Klinik

langfristig zu sichern. Der Anbau an

das Hauptgebäude und der Pavillon

(siehe Pläne) sind mit hohen Inves-

titionskosten verbunden. Für uns

ist das eine sehr große Herausforde-

rung. Wir hoff en deshalb, dass ein

Teil der Kosten aus Spenden fi nan-

ziert werden kann. Für jeden Beitrag

sind wir dankbar.

2011 wurden in der de’ignis-Fach-

klinik insgesamt ca. 1.300 Menschen

mit psychischen, psychosomatischen

und psychovegetativen Erkrankun-

gen auf christlicher Basis sowohl sta-

tionär als auch ambulant behandelt.

Unser Ziel ist es, die Existenz die-

ses Angebots langfristig zu sichern.

Nach umfassender Renovierung und

Erweiterung der Klinik in Altensteig

(2009), haben wir 2011 in unseren

Standort in Egenhausen investiert

(siehe auch Bericht im Magazin 41).

Für das nächste Jahr planen wir nun

einen weiteren wichtigen und sehr

herausfordernden Schritt: die Erwei-

terung der Klinik in Egenhausen.

Die Anforderungen von Patienten

und Kostenträgern an eine Rehabilita-

tionsklinik sind in den letzten Jahren

deutlich gestiegen. Sowohl von Pati-

enten als auch von Kostenträgern wird

zunehmend ein gehobener Hotel-

standard erwartet. Gesetzgeber und

Kostenträger fordern außerdem, dass

öff entliche Einrichtungen behinder-

tengerecht sind. Die Strukturanfor-

derungen der Kostenträger wurden

in den letzten Jahren dahingehend

sukzessive erhöht. Sie fordern unter

anderem Barrierefreiheit, mehr Ein-

zelzimmer und mehr Aufenthalts-

möglichkeiten für die Patienten.

Um diese Anforderungen zu er-

füllen, ist die Erweiterung der Klinik

dringend erforderlich:

Ein Aufzug soll an das bestehende

Gebäude angebaut werden, um die

Klinik barrierefrei/behindertengerecht

zu machen. Ohne einen Anbau ist der

Einbau eines Aufzugs aufgrund der

baulichen Gegebenheiten nicht rea-

lisierbar.

Finanzierbar sind die erforderli-

chen Investitionen nur mit der Schaf-

fung zusätzlicher Behandlungskapa-

zität. Die geplante Klinikerweiterung

umfasst deshalb 11 Einzelzimmer.

Für die zusätzlichen Patienten wer-

den Funktions- und Gruppenräume

sowie Aufenthaltsräume benötigt

und realisiert.

Da in Egenhausen unsere Haupt-

küche ist und wir durch Erweite-

rungsmaßnahmen in den vergange-

nen Jahren in der Klinik Altensteig

und der Tagesklinik die Kapazitäts-

grenze unserer Küche erreicht bzw.

überschritten haben, ist es dringend

notwendig, die Küche zu erweitern,

um die Abläufe zu verbessern und zu

professionalisieren.

Mit einem neuen Blockheizkraft -

werk, das mit regenerativen Energie-

quellen betrieben werden soll, sollen

der Anbau und auch Teile des Altbaus

geheizt und mit Strom versorgt wer-

den. Damit wollen wir den ständig

steigenden Energiekosten entgegen-

wirken.

In der Planungsphase haben wir

bereits Gottes Wirken erleben dür-

fen. Besonders zu erwähnen ist z. B.

die Tatsache, dass wir die Baugeneh-

migung erhalten haben, obwohl ein

Nebengebäude (der Pavillon) auf

einem unter Naturschutz stehenden

Grundstück gebaut werden soll. Auch

wenn es sich dabei nur um ein Rand-

stück zwischen zwei Straßen handelt,

waren intensive Verhandlungen erfor-

derlich, die Gott sei Dank erfolgreich

waren. Dabei ist auch zu erwähnen,

dass der Bürgermeister von Egen-

hausen und die Gemeinderäte dieses

Vorhaben sehr unterstützten.

Durch sowieso geplante Straßen-

bauarbeiten des Landkreises in die-

sem Jahr war es möglich, die Straße

vor der Klinik um wenige Meter zu

verlegen und der Gemeinde Egenhau-

sen etwas Land abzukaufen, auf dem

dann der Anbau errichtet werden soll.

Die Straßenbauarbeiten konnten wir

dazu nutzen, bereits Leerrohre zu

verlegen, die wir später für die Versor-

gung des Nebengebäudes benötigen.

Erweiterung der Klinik Egenhausen

FACH-KLINIK

AKTUELL

Page 52: magazin44

52

Viele Interessenten an der Arbeit

der de’ignis-Fachklinik nutzen

heute das Internet. Auf unserer Home-

page unter www.deignis.de finden Sie

jederzeit viele Informationen über

uns, eine Behandlung in unserer Kli-

nik und auch darüber, wie man eine

Übernahme der Behandlungskosten

bei der zuständigen Krankenkasse

oder Rentenversicherung beantragen

kann. Dort steht Ihnen auch unser

Informationsmaterial zum Herunter-

laden bereit.

Manches ist aber nur im Gespräch

zu klären. Dafür stehen Ihnen unse-

re Verwaltungsmitarbeiter unter der

Rufnummer 07453 9391- 0 Montag

bis Freitag zwischen 8.30 Uhr und

12.30 Uhr und von 13.30 Uhr bis

17.00 Uhr zur Verfügung. Damit Sie

wissen, mit wem Sie es zu tun haben,

stellen wir Ihnen unser Verwaltungs-

Team hier kurz vor.

FACH-KLINIK

AKTUELL

Ansprechpartner

Hinten von links nach rechts: Monja Gerstheimer, Margarete von Hippel, Friederike Fräßle, Marko Jüttner, Tim Ließfeld

Vorne von links nach rechts: Corinna Weissert, Dorothea Bohnet, Ruth Oberbillig, Jens Rödel.

Die de’ignis-Fachklinik nimmt

in diesem Jahr (nach 2003/2004

und 2007/2008) bereits zum dritten

Mal an QS-Reha, dem Qualitäts-

sicherungsverfahren der Spitzenver-

bände der Krankenkassen, teil.

Rehabilitationskliniken sind gesetz-

lich zur Teilnahme an einrichtungs-

übergreifenden Maßnahmen der Qua-

litätssicherung verpflichtet.

Das QS-Reha-Verfahren beinhal-

tet eine externe, klinikvergleichende

Prüfung der Struktur-, Prozess- und

Ergebnisqualität einschließlich der

Patientenzufriedenheit.

Weitere Informationen werden wir

nach Abschluss der Studie veröff ent-

lichen.

Teilnahme QS-Reha

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53

DE’IGNIS AKTUELL

In einer Broschüre haben wir

die Ziele und die Basis unserer

Arbeit sowie unser derzeitiges und ge-

plantes Angebot dargestellt.

Die Broschüre können Sie im

Downloadbereich unserer Homepage

herunterladen:

www.deignis.de/148-0-Downloads.html

Oder einfach bei uns anfordern:

de’ignis-Institut, Markgrafenweg 17,

72213 Altensteig, Tel. 07453 9494-0,

E-Mail: [email protected]

Wissenswertes über das Kinder- und Jugendkonzept des de'ignis-Instituts

INSTITUT AKTUELL

In dem Konzept der Christlich-integrativen Beratung & Th erapie wenden wir wissenschaft lich

anerkanntes klinisch-psychotherapeutisches Fachwissen und fachlich bewährtes Beratungswis-

sen auf der Basis eines christlichen Menschenbildes an.

Unser Kurs richtet sich an Menschen, die allgemein eine Berufsbegleitende Ausbildung in

Christlich-integrativer Beratung & Th erapie suchen.

Unser Lehrgang ist konzipiert für Fachleute mit Vorkenntnissen in psychologischer/psycho-

therapeutischer Beratung. Diese wollen wir für ihre berufl iche Beratungspraxis weiterqualifi zieren in ressourcenorien-

tierter Beratung, besonders von Klienten mit christlich-religiöser Wertorientierung.

Auch für Laien mit solider praktischer Erfahrung und Schulung in der Beratung von Menschen mit psychischen

und anderen Problemen ist dieser Kurs geeignet.

In unserer berufsbegleitenden Fortbildung lernen Sie darum, Menschen mit tiefgreifenden seelischen Problemen oder

Störungen auf der Basis einer an der neutestamentlichen Th eologie orientierten „Th erapeutischen Anthropologie“

qualifi ziert zu beraten. Dabei werden Ihnen sowohl biblische Wahrheiten und Heilungswege als auch die wissenschaft -

liche, klinisch-psychotherapeutische Fachkenntnis sowie anerkannte Beratungskonzepte vermittelt. Methoden, die mit

dem biblischen Menschenbild nicht vereinbar sind, werden dabei nicht berücksichtigt.

Fortbildung in

Christlich-integrativer Beratung & Th erapie

de’ignis-Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben

Dipl. Psych. Rainer Oberbillig Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig

Telefon 07453 9494-0 oder 07453 9391-0 · [email protected] www.deignis.de

Christlich-integrative Beratung & Therapie – was ist das?Start

unseres neuenKurses im

Herbst 2013

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54

de'ignis-Wohnheim

– HausTabor

Seelsorge mit allenSinnen erlebenin Langenhart oder auf der Nordalb

11. – 13. Januar 2013 und 14. – 16. Juni 2013

Der Titel spricht für sich!

Ein sehr wichtiges, aktuelles und immer

wiederkehrendes Th ema.

Durch ressourcenorientierte Seelsorge

werden die Teilnehmerinnen gestärkt und

ermutigt.

Seminarleitung:

Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer

mit Team

de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung

Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: [email protected] www.deignis.de

07. – 08.12.2012 Umgang mit Leid

Eingeladen sind Christen,

die einen inneren Ruf zur

Seelsorge verspüren. Inter-

essierte sind ebenfalls einge-

laden. Gerade in unserer Zeit suchen immer

mehr Menschen mit psychischen Problemen

in christlichen Gemeinden Hilfe.

Veranstaltungsort:

Heu-Hotel Brigel-Hof, Meßkirch-Langenhart

mit dem Angebot von Seminarräumen,

freundlichen Zimmern, Heu-Hotel und

Verpfl egung vom eigenen Hof.

Schulung für Seelsorge in Langenhart

Einstieg

jederzeit

möglich!

Erfahrungsbericht über den de'ignis-Seelsorgekurs

Kann ja nicht schaden

Immer öft er haben Freundinnen bei

ganz alltäglichen Begegnungen ihr

Herz bei mir ausgeschüttet und im-

mer öft er wusste ich keine Antwort

mehr, mit der ich selbst zufrieden

war. Als ich dann von der de’ignis-

Seelsorgeschulung hörte, beschloss

ich diese mal mitzumachen. Kann

ja nicht schaden. Das ist jetzt neun

Jahre her. Seit dem hat sich Vieles in

meinem Leben verändert. In dieser

Schulung habe ich so manches gehört

und erlebt, was für mich selbst sehr

hilfreich und gut war. Gleichzeitig

wurde meine Berufung zur Seelsorge

für mich immer deutlicher. Danach

konnte ich anfangs viel Erfahrung bei

verschiedenen Seminaren und später

auch bei Gesprächen bei mir zuhause

sammeln. Zusätzlich habe ich in die-

sen Jahren noch andere Begabungen

in mir entdeckt und hatte die Mög-

lichkeit, diese zu vertiefen und auch

in den Seminaren und

bei der Seelsorgeschu-

lung mit einzubringen

und zu leben.

So ist aus dem anfäng-

lichen „kann ja nicht

schaden“ für mich selbst

– und auch für andere –

sehr viel Segensreiches

entstanden.

Verfasserin der Redak-

tion bekannt, Oktober

2012

Gottes Mühlen mahlen ...

Seit einigen Jahre arbeite ich in ver-

schiedenen Seelsorgeseminaren von

de’ignis als Techniker mit und bin

unter Anderem für Bild und Ton mit-

verantwortlich.

Schon einige Male wurde ich von

Verschiedenen angesprochen, ob ich

nicht auch an der Seelsorgeschulung

teilnehmen und bei der eigentlichen

Seelsorge mitarbeiten wollte. Das

habe ich mir aber nicht zugetraut,

weil ich dachte, dafür sei ich nicht ge-

eignet und meine Berufung nicht in

die Richtung gehen würde.

Aber Gottes Mühlen mahlen...

und seine Gedanken sind wohl

manchmal anders als unsere:

Und so war ich wieder als Techni-

ker während einer Seelsorgeveranstal-

tung tätig, als ein Ehepaar nach einer

Paarberatung fragte. Und „es ergab

sich“, dass meine Frau, die schon lan-

ge als Seelsorgerin arbeitet, und ich

gefragt wurden, ob wir das Gespräch

nicht gemeinsam führen wollten.

Gott gibt mir Wert und WürdeEin Seminar für Frauen

Page 55: magazin44

55

DE’IGNIS AKTUELL

Und so kam es, dass meine Frau und

ich als Ehepaar unser erstes Paar-

gespräch führten. Und das Erstaun-

liche für mich: Obwohl es um tief-

greifende, existenzielle Dinge ging,

war das Gespräch für uns „leicht“,

wir beide haben uns gegenseitig „die

Bälle“ zugeworfen und wir konnten

dem ratsuchenden Paar zuhören, auf

Impulse von oben warten und ihnen

Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. In der

Nachrefl exion fühlten wir uns beide

als die Beschenkten. Für mich war

dieser „Sprung ins kalte Wasser“ eine

Bestätigung und Vergewisserung, dass

es sich lohnt, meine Berufung in Rich-

tung Seelsorge nochmals anzuschau-

en. Somit war dann die Anmeldung

zur Seelsorgeschulung eine logische

Konsequenz aus dieser grundlegen-

den Erfahrung.

Nun bin ich gespannt darauf, was

sich aus dem Seelsorgekurs für mich

persönlich und eventuell für weitere

seelsorgerliche Aufgaben ergibt.

Ich bin sicher: Gottes Mühlen

mahlen zielorientiert und erfolgreich.

Dieter Burau, Oktober 2012

Die Seelsorgeschulung – eine per-

sönliche Oase und Sprungbrett für

mich

Seit Februar 2011 bin ich nun Teil-

nehmerin der de’ignis-Seelsorgeschu-

lung in Langenhart.

Auf die Schulung bin ich zufällig

bei Internetrecherchen zu ganz ande-

ren Th emen gestoßen. Da mein Herz

schon seit längerer Zeit für Seelsorge

schlug, fiel mir die Entscheidung für

die Teilnahme sehr leicht. In meinem

Eifer meldete ich mich auch gleich für

alle zehn Kurseinheiten an.

Nur kurze Zeit zuvor hatte ich

mich auf eine spannende Reise zum

Vaterherzen Gottes begeben, da ich

zuvor in einem eher religiös-gesetz-

lichen Gottesbild lebte, welches mich

immer wieder an meine Grenzen

führte.

Die Seelsorge-Schulung wollte

ich mit der Absicht besuchen, meine

Fähigkeiten im Bereich Seelsorge wei-

terzuentwickeln um damit Gott und

anderen Menschen dienen zu kön-

nen. Für mich hatten beide Punkte

zunächst wenig miteinander zu tun.

Doch schon bei Seminar 1 wurde

ich eines Besseren belehrt. Ich hatte

keine konkreten Vorstellungen, was

mich in dieser Schulung erwarten

würde, aber mit einer lebendigen

Predigt über das Th ema Gnade von

Winfried Hahn als Einstieg hatte

ich sicherlich nicht gerechnet. Seine

Worte haben mich tief berührt und

ich fand Bestätigung in grundlegen-

den Wahrheiten, die ich kurze Zeit

zuvor erstmalig vernommen hatte.

Und dieses Erlebnis war keinesfalls

die einzige Begegnung, die ich mit

Gott in dieser Schulung hatte.

In diesen anderthalb Jahren habe

ich persönlich schon sehr viel innere

Heilung erlebt. Mein neues Gottes-

bild hat sich in dieser Zeit immer wei-

ter gefestigt und bringt inzwischen

auch immer mehr Frucht.

Nach den Seminaren bin ich

immer gestärkt und ermutigt nach

Hause gekommen, was natürlich auch

meinem Ehemann nicht entgangen

ist. So wollte auch er sich ein eigenes

Bild über den Kurs machen und be-

suchte ihn inzwischen sogar schon

zum dritten Mal.

Die Wochenenden empfinde ich

in der Tat als eine Oase aus dem All-

tag. Auch die Zeit zwischen den Se-

minaren wurde für mich sehr wichtig

um das Gehörte und Gelernte richtig

aufnehmen und umsetzen zu können.

Besonders gut gefällt mir, dass die

Th emen anhand von vielen authen-

tischen Beispielen lebendig erzählt

werden und sich die Zuhörer deshalb

sehr gut darauf einlassen können.

Trotzdem oder gerade deshalb kön-

nen sehr viele hilfreiche und wert-

volle Informationen weitergegeben

werden. Viele dieser Informationen

können die Zuhörer direkt in ih-

ren persönlichen Lebenssituationen

umsetzen. Aber auch für die Arbeit

mit Menschen, die sich in seelischen

Nöten befi nden, gibt es viele hilfrei-

che Tipps, die praktisch gut umsetz-

bar sind.

Das ganze Seminar ist sehr gut vor-

bereitet und die Th emen ansprechend

gewählt.

Ich erlebe viele warmherzige, er-

mutigende und wertschätzende Be-

gegnungen an diesen Wochenenden

(unter anderem auch in den Klein-

gruppen). Viele Teilnehmer und Mit-

arbeiter habe ich inzwischen sehr in

mein Herz geschlossen, denn trotz

des umfangreichen Programms gibt

es beispielsweise in den Pausen viele

Möglichkeiten für einen guten Aus-

tausch.

Und auch die Anbetungszeiten

sind für mich eine besondere Begeg-

nung mit Gott.

Durch Kontakte, die ich während

des Kurses mit den Mitarbeitern

knüpfen konnte, war die Seelsorge-

Schulung für mich auch ein Sprung-

brett – zunächst in ehrenamtliche

Mitarbeit und mittlerweile sogar in

ein Praktikum, das ich im November

im de‘ignis-Wohnheim – Haus Tabor

beginnen werde und auf das ich mich

sehr freue. Sicherlich werde ich auch

das eine oder andere Gelernte aus der

Schulung in meinem Arbeitsalltag

umsetzen können.

Die nächsten Seminare werde ich

teilweise als Teilnehmerin, teilweise

als Mitarbeiterin besuchen. Ich freue

mich auf jedes einzelne Seminar.

Anita Holweger, Oktober 2012

Die Persönlichkeit des Seelsorgers –

Seminar 9 in Langenhart

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich

meinen ersten Seelsorgekurs bei

de’ignis besucht, aus Neugierde, weil

meine Frau schon seit geraumer Zeit

an den Kursen teilnimmt. Mittler-

weile bin ich bereits das dritte Mal

dabei. Das hat seinen Grund: Für

mich ist dies hier eine Zeit, in der

man so richtig geistliche Kraft tanken

und vom Alltag abschalten kann, in

der man Annahme erlebt und dazu

Page 56: magazin44

56

de'ignis-Wohnheim

– HausTabor

stoßen kann, so wie man ist. So habe

ich dies auch im dritten Kurs wahr-

genommen, der hauptsächlich die

eigene Persönlichkeit zum Th ema

hatte. Ich erhielt einen tiefen Einblick

in mich selbst, bei dem ich schon

das eine oder andere Mal schlucken

musste – Ehrlichkeit tut weh, aber ist

heilsam, wenn die Dinge, die in einem

nicht stimmen, erst mal aufgedeckt

sind. Die einzelnen Einheiten wur-

den immer wieder mit erfrischendem

Lobpreis eingeleitet. Bei der Grup-

penarbeit durft e (und wollte) ich den

Part des Ratsuchenden übernehmen.

Hier galt es, Mut aufzubringen, Hem-

mungen abzulegen und mitzuteilen,

was einem auf dem Herzen liegt. Aber

auch hier erfährt man stets Annah-

me und wird ernstgenommen. Die

Kurse sind für mich Balsam für die

Seele und bieten die Möglichkeit, tief

mit Gott in Kontakt zu kommen und

wunderbare Menschen zu erleben.

Ich bin gespannt auf den nächsten

Kurs.

Hans-Martin Holweger,

Oktober 2012

de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung

Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: [email protected] www.deignis.de

Schulung für Seelsorge 10-teilige Seminarreihe in Langenhart

Schulung für Seelsorge

Zur Begleitung von Menschen mit Lebenskrisen, psychischen Pro-

blemen und Krankheiten. Unsere Botschaft von Gnade und Liebe,

gepaart mit Glaube und Hoff nung, fundiert mit solidem Fachwissen

und dem Ziel einer prozesshaft en Entwicklung ist das Fundament

aller Seminarinhalte.

Diese Seelsorgeschulung umfasst insgesamt 10 Seminare.

Eingeladen sind Christen, die einen inneren Ruf zur Seelsorge ver-

spüren, aber auch solche, die sich einfach nur für seelsorgerliche Fragen interessieren.

Die Schulung soll zur qualifi zierten Begleitung von Menschen mit seelischen Nöten

befähigen. Darüber hinaus vermittelt der Kurs Einsichten in die verschiedenen Ent-

wicklungsphasen des menschlichen Lebens und bietet damit die Möglichkeit, sich selbst

besser verstehen und kennen zu lernen. Der Kurseinstieg ist jederzeit möglich, weil die

verschiedenen Lehreinheiten regelmäßig in weiteren Zyklen in Süddeutschland wieder-

holt werden.

SEMINAR 1:08./09.03.2013

Veranstaltungsort:

Heu-Hotel Brigel-Hof, Meßkirch-

Langenhart mit dem Angebot von

Seminarräumen, freundlichen Zim-

mern, Heu-Hotel und Verpfl egung

vom eigenen Hof.

Biblische Perspektiven für seelsorgerliches Handeln, Defi nition

psychischer Erkrankungen, Transaktionsanalyse

SEMINAR 2:19./20.04.2013

SEMINAR 3:21./22.06.2013

SEMINAR 4:13./14.09.2013

SEMINAR 5:22./23.11.2013

Methodische, inhaltliche und juristische Rahmenbedingungen

seelsorgerlicher Gesprächsführung

Psychopathologie – Psychische Krankheitsbilder einordnen

und verstehen lernen

Darstellung der gängigen Th erapieschulen und ihrer Behand-

lungsverfahren

Jugendseelsorge – Freundschaft , Liebe, Sexualität

SEMINAR 6:24./25.01.2014

Biblische Anthropologie, Th erapie des Herzens,

Hören auf Gott

SEMINAR 7:21./22.03.2014

SEMINAR 8:04./05.07.2014

SEMINAR 9:19./20.09.2014

SEMINAR 10:28./29.11.2014

Innere Heilung durch Klärung der Beziehung zu Gott,

zum Du und zum Ich in Vergangenheit und Gegenwart

Identitätsentwicklung und -störungen, Sucht,

Borderline-Persönlichkeitsstörung

Die Persönlichkeit des Seelsorgers, Fähigkeit zur

Selbstrefl exion, Selbstkritik und Introspektion

Umgang mit Leid, Th eodizee-Problematik, Posttraumatische

Belastungsstörung

Page 57: magazin44

57

DE’IGNIS AKTUELL

Mehr und mehr entfaltet sich

das neue Konzept des de’ignis

Wohnheims und nimmt Gestalt an.

Regelmäßig fi ndet die Gymnastik im

neuen und schön gestalteten Mehr-

zweckraum statt. Das Wohntraining

in seinen verschiedenen Ausprägun-

gen (siehe Skizze unten) entfaltet sich

unter fachkundiger Anleitung unse-

rer Mitarbeiterin Katrin Leinenbach.

Die gesamte Baufi nanzierung –

Zins und Tilgung – bestreiten wir

über Spen-

den. Das ist

nach wie vor

eine große

Herausfor-

derung.

de'ignis-Wohnheim Volle Belegung, neue Bewohner, motivierte Mitarbeiter

Pädagogische Arbeits-

trainingsmaßnahme

Pädagogisch/therapeutische

Angebote

Freizeitpädagogische

Angebote

Medizinische Betreuung

Sozialdienst

Kooperation mit der

Werkstatt für behinderte

Menschen

Notaufnahme und

Clearing-Bett

Zusätzliche wohn-

stufenspezifi sche Gruppen-

angebote in verschiedenen

Bereichen, z. B. Arbeit,

Bildung, Kultur

Betreuung

rund um die Uhr

Einüben

lebenspraktischer Fertig-

keiten im vollstationären

Setting

Festigung der lebens-

praktischen Fertigkeiten

Ausgelagerte Wohngruppe

Intensivbetreuung

durch eine Diplom-

Sozialarbeiterin

Zusätzliche wohn-

stufenspezifi sche

Gruppenangebote

(siehe Wohntrainingsstufe I)

Erste Übungs-

maßnahmen zur Teilnahme

am öff entlichen Leben,

z. B. VHS Kurse

Ausübung der lebens-

praktischen Fertigkeiten

Geringerer

Betreuungsschlüssel

Ausgelagerte

Wohngruppe

Betreutes Wohnen

auf Probe

Teilnahme am öff entlichen

Leben, z. B. Berufspraktika

Rückführung

in den Herkunft slandkreis

Stationärer Bereich

Wohntrainingsstufe I

Wohntrainingsstufe II

Wohntrainingsstufe III

de’ignis-Wohnheim

Kto. 105 338 · BLZ 690 516 20

Sparkasse Pfullendorf-Messkirch

+ Halbzeit bei unserem Seelsorge-

kurs in Warschau. Mit Seminar 5

haben wir die Hälft e des Seelsorge-

kurses mit anhaltend hoher Teil-

nehmerzahl überschritten!

+ Ständig entwickeln wir unser Seel-

sorgenetzwerk weiter, derzeit arbei-

ten 7 Seelsorgeberatungsstellen im

Land unter unserer Supervision.

+ Unsere polnische Zeitschrift „un-

ter 4 Augen“ ist im off iziellen Zeit-

schrift en- und Buchhandel im gan-

zen Land präsent.

+ Die Kooperation über den wissen-

schaft lichen Beirat unserer Zeit-

schrift mit der größten christlichen

Ärzte- und Psychologenvereini-

gung vertieft sich auf erfreuliche

Weise. Ein Austausch über fach-

liche und theologische Fragen

mit Professor Dr. Jaworski und

Dr. Tomasz Niemirowski – beides

sehr einflussreiche Wissenschaft ler

und Publizisten – mit dem Vorsit-

zenden der Christlichen Stift ung

de’ignis Winfried Hahn ergab

weitestgehende Übereinstimmung

mit der beiderseitigen Bereitschaft

größtmöglicher Zusammenarbeit!

Ein gemeinsam veranstalteter Kon-

gress ist in Planung.

+ Die Vorbereitungen für unser Reha-

Zentrum laufen in vollem Umfang

weiter.

Christliche Stiftung de'ignis-Polen

Spendenkonto:Christliche Stift ung de’ignis-PolenKonto 7 260 512BLZ 666 500 85Sparkasse Pforzheim

+++ Telegramm +++ Telegramm +++ Telegramm POLENAKTUELL

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58

ADRESSEN

Durchatmen, wenn die Luft raus ist.

Effektive Präventionsangebote.

Gesundheit ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Alle Maß-

nahmen, die dazu dienen, Gesundheit zu erhalten und Krankheiten

zu vermeiden, werden unter dem Oberbegriff „Gesundheitliche

Prävention“ zusammengefasst. Dabei ist viel Eigeninitiative

gefordert, denn jeder kann die eigene seelische und körperliche

Gesundheit stark beeinflussen.

Eine praktische Anleitung, wie Körper und Seele gesund gehalten

werden können, bieten unsere individuell gestaltbaren Gesund-

heitswochen und unser Kompaktkurs zur Stressbewältigung und

-prävention.

Detaillierte Informationen zu den Leistungen, Kosten und Terminen

der de’ignis-Präventions-Angebote senden wir Ihnen gerne zu.

Kompetenz. Und Gottvertrauen.

de’ignis-Fachklinik gGmbH

auf christlicher Basis für Psychiatrie,

Psychotherapie, Psychosomatik

Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen

Telefon 07453 9391-0

Telefax 07453 9391-193

[email protected] www.deignis.de

scot

tdun

lap/

isto

ckph

oto.

com

Ambulante Th erapie und Beratungsstellen (de’ignis)

de’ignis-GesundheitszentrumSommerstraße 172227 EgenhausenTelefon 07453 [email protected]

de’ignis-WohnheimFred-Hahn-Straße 3272514 EngelswiesTelefon 07575 [email protected]

de’ignis-InstitutBeratungsstelleLerchenstraße 4072213 AltensteigTelefon 07453 [email protected]

Gillian FlügelBeratungsstelleAm Bauschbergle 4572108 RottenburgTelefon 07472 7833gillfl [email protected]

Magdalena SchnabelBeratungsstelleMax-Liebermann-Straße 973257 Köngen/N.Telefon 07024 [email protected]

Dorothea ReutherBeratungsstelleDillweißensteiner Straße 975180 PforzheimTelefon 07231 [email protected]

Dagmar GöhringUlmenweg 2288605 Meßkirch-LangenhartTelefon 07570 [email protected]

Erika GasperBeratungsstelleAlte Jakobstraße 7510179 BerlinTelefon 030 [email protected]

Katrin Lehmann & Annette KuhnBeratungsstelleGroßenhainer Straße 13701129 DresdenTelefon [email protected]

Dr. med. Martina DickhautBeratungsstelleFlamweg 8925335 ElmshornTelefon 0175 [email protected]

Page 59: magazin44

59

Absender:

Name, Vorname

Straße, Haus-Nr.

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

de’ignis-Institut gGmbHMarkgrafenweg 1772213 Altensteig

Bitte frankieren,falls Marke zur Hand

Möchte ich das de'ignis-Magazin weiterhin?Bitte bestellen Sie das de’ignis-Magazin ab, wenn Sie es nicht mehr lesen oder sich nicht mehr dafür interessieren! Wir gestalten, drucken und versenden das Magazin kostenlos! Wenn es nicht mehr benötigt wird, einfach Postkarte ausfüllen, ausschneiden und diese in den Briefkasten werfen. Dann können wir unseren Verteiler aktualisieren. Vielen Dank, Sie helfen uns damit sehr! Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Verteilen an Interessenten oder zum Auslegen, wie z. B. in Arztpraxen oder Kirchengemeinden.

Natürlich geht das auch ganz einfach per E-Mail an: [email protected]

Ja, ich möchte das de’ignis-Magazin abbestellen.

Ich benötige Exemplare pro Ausgabe.

Bitte ankreuzen und ausfüllen. Vielen Dank!

Foto: Jupiterimages/thinkstockphotos.de

Zur Erweiterung unseres Teams suchen wir:

• Sozialpädagoge/-in

• Heilerziehungspfleger/-in

• Krankenpfl eger/-in

• Praktikanten/-innen

de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor

zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung

Fred-Hahn-Straße 30-32 · 72514 Engelswies ·

Tel. 07575 92507-0 · [email protected]

Berge, Bodensee und Donautal –Arbeiten wo andere Urlaub machen

www.deignis.de

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60

Bei Unzustellbarkeit oder Mängeln in der Anschrift senden

Sie bitte eine Benachrichtigungskarte an diese Adresse:

de’ignis-Institut gGmbH

Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig

Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Christliche Stiftung de'ignis-Polen• Schulung• Freizeit• Ambulante und stationäre Th erapie

(in Planung)

de'ignis-Fachklinik auf christlicher Basis für Psychiatrie – Psychotherapie – Psychosomatik• stationäre medizinische Vorsorge- und

Rehabilitationsmaßnahmen• ambulante/teilstationäre Rehabilitation• Anschlussrehabilitation• Sanatoriumsbehandlungen• ambulante Behandlungen• Nachsorge IRENA/ASP• Angebote zur gesundheitlichen Prävention/Vorsorge• Assessment-Center

de'ignis-Wohnheim – Haus TaborSozialtherapeutisches Wohnheim nach biblischen Grundsätzen

mit Einzel- und Gruppenangeboten:• Gesprächstherapie• Sozialtraining• Seelsorgeschulung• Arbeitstraining (z. B. im eigenen Verlag)• Freizeitpädagogik und individuelle Betreuung

de'ignis-Institut für Psychotherapie undchristlichen Glauben• Fortbildung in Christlich-integrativer Beratung & Therapie• Vernetzung von Fachleuten• Ambulante Dienste:

– Supervision

– Beratungsstellen für ambulante Beratung und Th erapie

– Sozialpädagogische Kinder- und Jugendambulanz

– Weitere Angebote zur Prävention und Rehabilitation