man muss eine plaudertasche sein - hotel sternen · bier und plauder n ! die klassisc he barsit...

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Freitag, 13. Juli 2012 7 Sommerserie: Frühschicht oder Spätschicht in... In diesem Jahr werfen die Redaktorinnen und Redaktoren einen Blick in Tätigkeiten, die entweder nur für Frühaufsteher oder für Nachtschwärmer geeignet sind. Bier und Plaudern – die klassische Barsituation. Gehört auch zu Charlyn Richters Job: Harrassen schleppen. Pommes-Frites werden im Restaurant abgeholt für die Gäste in der «Chuglä». Ein Glas mit Gästen. In Charlyn Richters Glas ist kein Wein, sondern Flauder. Fotos: Hansruedi Kugler Ende Spätschicht: Türe zu – im Dorf ist es um ein Uhr nachts stockdunkel. Unterwasser: Charlyn Richter betreut die Bar in der Chuglä – oft bis nach Mitternacht «Man muss eine Plaudertasche sein» Lang kann sie werden, die Spätschicht von Charlyn Richter: Von Dienstag bis Samstag steht sie ab 17 Uhr in der «Chuglä», der durchsichtigen Iglubar vor dem Hotel Sternen in Unterwasser. Feierabend ist zwar meist um Mitter- nacht herum und offiziell lauten die Öffnungszeiten 17 bis 23 Uhr. «Aber es kommt gelegentlich auch vor, dass Gäste bis vier Uhr früh bleiben», sagt die 22jährige gebürtige Berlinerin. Seit letztem Oktober ist die gelernte Res- taurationsfachfrau im Hotel Restaurant Sternen Unterwasser angestellt. Nach wenigen Wochen im Service hat sie die «Chuglä» übernommen. Sie liebe die- sen Job, denn: «Hier kann ich so sein wie ich bin», sagt sie. Nämlich eine «Plaudertasche», fröhlich und schlag- fertig. Der Beruf liege bei ihr ohnehin in den Genen: Schon ihre Mutter und ihre Schwester seien Kellnerinnen ge- wesen, erzählt sie. «Brave Jungs in Unterwasser» Schlagfertigkeit und Coolness sind denn auch Voraussetzungen für diesen Beruf, vor allem wenn die überwiegend männlichen Gäste um die Wette flirten: «Die Charlyn hat das schönste Bäuch- lein im Toggenburg» – dieser Spruch des jungen Stammgastes am vergange- nen Dienstag Abend liegt für sie ein- deutig noch im «grünen Bereich». Charlyn Richter lacht und klopft dem jungen Mann auf die Schulter. «Naja, die Charlyn ist sowieso unerreichbar, leider», seufzt der Stammgast. So ist die Spielregel in der Bar. «Völlig uner- reichbar bin ich natürlich nicht», er- gänzt sie. Sprüche unter der Gürtellinie klemmt sie ab: «Das kommt hier kaum vor, meine Gäste in Unterwasser sind brave Jungs.» Und so kommen denn auch querbeet Leute in die «Chuglä»: Die Biker-Grup- pe auf Bier und Pommes-Frites nach der allwöchentlichen Bergtour (ange- führt von Velo Metzg-Chef Roger Fuchs), der Jodelclub, die Feuerwehr und viele andere, in kleinen Gruppen oder einzeln. Auch am Dienstag Abend sitzen immer zwischen 6 und 14 Gäste in der «Chuglä». Im Sommer sind es vor allem Einheimische, im Winter überwiegend Apr ` es-Ski-Gäste: «Die muss man gelegentlich erziehen», sagt Charlyn Richter, «sonst tanzen die nämlich mit den Skischuhen auf der Bartheke herum. Und das kann gefähr- lich werden». Toggenburg? Keine Provinz! Als Barfrau steht Charlyn Richter zwar sehr oft am Zapfhahn, denn Bier ist das mit Abstand am häufigsten bestellte Getränk. Und der Sommer-Wettbewerb von Schützengarten animiert noch dazu: Auf einer Rubbelkarte kann man ein Gratisbier oder sogar eine Kühlbox gewinnen. Am Dienstag gewann zwar niemand eine Kühlbox, Gratisbiere je- doch schon. Barfrau sein heisst neben dem Ausschank auch: Pommes-Frites- Teller balancieren, Bierharrasse stem- men, Spülmaschine einfüllen da bleibt ihr selbst keine Zeit zum Essen, es reicht höchstens für eine kurze Ziga- rettenpause vor der «Chuglä» (in der Bar ist striktes Rauchverbot) oder aus- nahmsweise ein Glas mit Stammgästen trinken. Allerdings ist dann kein Weiss- wein in Charlyn Richters Glas, sondern Flauder. Alkohol trinke sie grundsätz- lich keinen während der Arbeit. Die Plaudereien zwischen ihr und den Gästen drehen sich um Gott und die Welt und um viel Persönliches. Bei den Smartphone-Fotos ihrer Stammgäste ist sie jeweils auf dem Laufenden und kennt darum deren Hobbies, Vorlieben, Freizeit und Ferien. Verblüfft sei sie über die immer gleiche erste Frage, er- zählt Charlyn Richter. Beim Kennen- lernen wollten die meisten immer gleich wissen, warum sie denn aus dem tollen Berlin in die tiefe Provinz nach Unterwasser gekommen sei. Nicht we- gen dem Schweizer Franken und nicht wegen einem Mann, sagt sie, sondern weil ihre Schwester in der Ostschweiz wohnt. «Die Frage muss ich immer noch jeden Tag dreimal beantworten», schmunzelt sie. Und provinziell findet sie das Toggenburg überhaupt nicht. Im Gegenteil: «Aufgeschlossen, fröhlich, nett» – Charlyn Richters Meinung über die Toggenburger ist schmeichelhaft. An ihrem wohlwollenden Urteil ändert auch der provakativ gemeinte Spruch eines ihrer Stammgäste nichts: «Das Toggenburg geht nur bis Starkenbach, weiter abwärts fängt schon Zürich an.» Churfirsten und Bodensee Die «Chuglä» ist Charlyn Richters Reich: «Ich fühle mich hier sehr wohl», sagt sie und spielt ihr Lieblingslied ein: Zuccherros «Baila morena.» Hier wird kein Endlosband ständig wiederholt, sondern auf dem Computer stellt sie von AC/DC bis Zucchero ihr musikali- sches Abendprogramm zusammen. Und wenn dann gegen ein Uhr tatsäch- lich der Feierabend kommt und Unter- wasser schon stockdunkel ist, schliesst sie die «Chuglä» ab und verschwindet im Hotel, wo sie unter der Woche ein Personalzimmer bewohnt. Sonntag und Montag fährt sie dann in ihre Wohnung in Altstätten und geniesst ausnahms- weise nicht die Aussichten auf die Churfirsten, sondern den Blick auf den Bodensee. Hansruedi Kugler «Chuglä»-Bar in Unterwasser. Bitte Smartphone nicht vergessen! Charlyn Richter hat natürlich völ- lig recht: Eine Plaudertasche muss man sein, sonst fühlt man sich in einer Bar irgendwie fehl am Platz. Das gilt nicht nur für die Barmaid, sondern auch für die Gäste. Als Journalist ist man ganz gut aufgehoben – schliesslich ist unser Berufsstand prädestiniert für endlose Gespräche. Neben den Dauerbrennerthemen Frauen, Ausländer und Toggenburg hört man aber auch Überraschendes: Zündet mich doch mein Barho- cker-Nachbar an: «Hey, Du hast auch eine für das Tabakschnupfen prädestinierte Nase.» Ich habe es trotzdem nicht probiert, den «Ap- penzeller» hingegen schon. Ein weiterer Tip: Ohne Smartphone geht man heute auch nicht mehr in den Ausgang – man könnte sie ja sonst nicht austauschen: Die Ferienbilder vom australischen Mähdrescher oder von Bundesrat Ueli Maurer am 1. August-Brunch im Wildhauser Stall. hak

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Freitag, 13. Juli 2012 7

Sommerserie: Frühschicht oder Spätschicht in... In diesem Jahr werfen die Redaktorinnen und Redaktoreneinen Blick in Tätigkeiten, die entweder nur für Frühaufsteher oder für Nachtschwärmer geeignet sind.! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! !

Bier und Plaudern – die klassische Barsituation.

Gehört auch zu Charlyn Richters Job: Harrassen schleppen.

Pommes-Frites werden im Restaurant abgeholt für die Gäste in der «Chuglä».

Ein Glas mit Gästen. In Charlyn Richters Glas ist kein Wein, sondern Flauder.

Fotos: Hansruedi Kugler

Ende Spätschicht: Türe zu – im Dorf ist es um ein Uhr nachts stockdunkel.

Unterwasser: Charlyn Richter betreut die Bar in der Chuglä – oft bis nach Mitternacht

«Man muss eine Plaudertasche sein»Lang kann sie werden, die Spätschichtvon Charlyn Richter: Von Dienstag bisSamstag steht sie ab 17 Uhr in der«Chuglä», der durchsichtigen Iglubarvor dem Hotel Sternen in Unterwasser.Feierabend ist zwar meist um Mitter-nacht herum und offiziell lauten dieÖffnungszeiten 17 bis 23 Uhr. «Aber eskommt gelegentlich auch vor, dassGäste bis vier Uhr früh bleiben», sagtdie 22jährige gebürtige Berlinerin. Seitletztem Oktober ist die gelernte Res-taurationsfachfrau im Hotel RestaurantSternen Unterwasser angestellt. Nachwenigen Wochen im Service hat sie die«Chuglä» übernommen. Sie liebe die-sen Job, denn: «Hier kann ich so seinwie ich bin», sagt sie. Nämlich eine«Plaudertasche», fröhlich und schlag-fertig. Der Beruf liege bei ihr ohnehinin den Genen: Schon ihre Mutter undihre Schwester seien Kellnerinnen ge-wesen, erzählt sie.

«Brave Jungs in Unterwasser»Schlagfertigkeit und Coolness sinddenn auch Voraussetzungen für diesenBeruf, vor allem wenn die überwiegendmännlichen Gäste um die Wette flirten:«Die Charlyn hat das schönste Bäuch-lein im Toggenburg» – dieser Spruchdes jungen Stammgastes am vergange-nen Dienstag Abend liegt für sie ein-deutig noch im «grünen Bereich».Charlyn Richter lacht und klopft demjungen Mann auf die Schulter. «Naja,die Charlyn ist sowieso unerreichbar,leider», seufzt der Stammgast. So istdie Spielregel in der Bar. «Völlig uner-reichbar bin ich natürlich nicht», er-gänzt sie. Sprüche unter der Gürtellinieklemmt sie ab: «Das kommt hier kaumvor, meine Gäste in Unterwasser sindbrave Jungs.»Und so kommen denn auch querbeetLeute in die «Chuglä»: Die Biker-Grup-pe auf Bier und Pommes-Frites nachder allwöchentlichen Bergtour (ange-führt von Velo Metzg-Chef RogerFuchs), der Jodelclub, die Feuerwehrund viele andere, in kleinen Gruppenoder einzeln. Auch am Dienstag Abendsitzen immer zwischen 6 und 14 Gästein der «Chuglä». Im Sommer sind esvor allem Einheimische, im Winterüberwiegend Apres-Ski-Gäste: «Diemuss man gelegentlich erziehen», sagtCharlyn Richter, «sonst tanzen dienämlich mit den Skischuhen auf der

Bartheke herum. Und das kann gefähr-lich werden».

Toggenburg? Keine Provinz!Als Barfrau steht Charlyn Richter zwarsehr oft am Zapfhahn, denn Bier ist dasmit Abstand am häufigsten bestellteGetränk. Und der Sommer-Wettbewerbvon Schützengarten animiert nochdazu: Auf einer Rubbelkarte kann manein Gratisbier oder sogar eine Kühlboxgewinnen. Am Dienstag gewann zwarniemand eine Kühlbox, Gratisbiere je-doch schon. Barfrau sein heisst nebendem Ausschank auch: Pommes-Frites-Teller balancieren, Bierharrasse stem-men, Spülmaschine einfüllen – dableibt ihr selbst keine Zeit zum Essen,es reicht höchstens für eine kurze Ziga-

rettenpause vor der «Chuglä» (in derBar ist striktes Rauchverbot) oder aus-nahmsweise ein Glas mit Stammgästentrinken. Allerdings ist dann kein Weiss-wein in Charlyn Richters Glas, sondernFlauder. Alkohol trinke sie grundsätz-lich keinen während der Arbeit.Die Plaudereien zwischen ihr und denGästen drehen sich um Gott und dieWelt und um viel Persönliches. Bei denSmartphone-Fotos ihrer Stammgästeist sie jeweils auf dem Laufenden undkennt darum deren Hobbies, Vorlieben,Freizeit und Ferien. Verblüfft sei sieüber die immer gleiche erste Frage, er-zählt Charlyn Richter. Beim Kennen-lernen wollten die meisten immergleich wissen, warum sie denn aus demtollen Berlin in die tiefe Provinz nachUnterwasser gekommen sei. Nicht we-gen dem Schweizer Franken und nichtwegen einem Mann, sagt sie, sondernweil ihre Schwester in der Ostschweizwohnt. «Die Frage muss ich immernoch jeden Tag dreimal beantworten»,schmunzelt sie. Und provinziell findet

sie das Toggenburg überhaupt nicht. ImGegenteil: «Aufgeschlossen, fröhlich,nett» – Charlyn Richters Meinung überdie Toggenburger ist schmeichelhaft.An ihrem wohlwollenden Urteil ändertauch der provakativ gemeinte Sprucheines ihrer Stammgäste nichts: «DasToggenburg geht nur bis Starkenbach,weiter abwärts fängt schon Zürich an.»

Churfirsten und BodenseeDie «Chuglä» ist Charlyn RichtersReich: «Ich fühle mich hier sehr wohl»,sagt sie und spielt ihr Lieblingslied ein:Zuccherros «Baila morena.» Hier wirdkein Endlosband ständig wiederholt,sondern auf dem Computer stellt sievon AC/DC bis Zucchero ihr musikali-sches Abendprogramm zusammen.Und wenn dann gegen ein Uhr tatsäch-lich der Feierabend kommt und Unter-wasser schon stockdunkel ist, schliesstsie die «Chuglä» ab und verschwindetim Hotel, wo sie unter der Woche einPersonalzimmer bewohnt. Sonntag undMontag fährt sie dann in ihre Wohnungin Altstätten und geniesst ausnahms-weise nicht die Aussichten auf dieChurfirsten, sondern den Blick auf denBodensee. Hansruedi Kugler

«Chuglä»-Bar in Unterwasser.

Bitte Smartphonenicht vergessen!

Charlyn Richter hat natürlich völ-lig recht: Eine Plaudertaschemuss man sein, sonst fühlt mansich in einer Bar irgendwie fehlam Platz. Das gilt nicht nur für dieBarmaid, sondern auch für dieGäste. Als Journalist ist man ganzgut aufgehoben – schliesslich istunser Berufsstand prädestiniertfür endlose Gespräche. Neben denDauerbrennerthemen Frauen,Ausländer und Toggenburg hörtman aber auch Überraschendes:Zündet mich doch mein Barho-cker-Nachbar an: «Hey, Du hastauch eine für das Tabakschnupfenprädestinierte Nase.» Ich habe estrotzdem nicht probiert, den «Ap-penzeller» hingegen schon. Einweiterer Tip: Ohne Smartphonegeht man heute auch nicht mehrin den Ausgang – man könnte sieja sonst nicht austauschen: DieFerienbilder vom australischenMähdrescher oder von BundesratUeli Maurer am 1. August-Brunchim Wildhauser Stall. hak