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MIGRATION UND BILDUNG IM 21. JAHRHUNDERT

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INHALT……………………………………….…

DIE BEHANDLUNG DER AUSLÄNDERTHEMATIK AUF DEM 17. ORDENTLICHEN DGB-BUNDESKONGRESS VOM 27.-31. MAI 2002 IN BERLIN

BESCHLÜSSE

Antrag 21: Bundes-Jugendausschuss, Gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit 4

Antrag 34: IG Metall, Arbeitnehmerüberlassung 5

Antrag 35 (Material zu Antrag 34): Deutscher Gewerkschaftsbund Nordrhein-Westfalen, Zeitarbeit durch Tarifierung

und Gütesiegel regulieren 6

Antrag 36 (Material zu Antrag 34): Deutscher Gewerkschaftsbund-Bezirk Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt, Initiative gegen

Sozial-, Lohn- und Preisdumping von Zeitarbeitsfirmen 7

Antrag 38: Deutscher Gewerkschaftsbund-Bezirk Nordrhein-Westfalen, Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen für Bauleistungen und

Verkehrsdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr 8

Antrag 39 (Material zu Antrag 38): Bundes-Jugendausschuss, Vergabegesetz 8

Antrag 55: Bundesvorstand, Solidarität und soziale Gerechtigkeit in einer globalen Wirtschaft 9

Antrag 56: IG Bauen-Agrar-Umwelt, EU-Osterweiterung, ein Europa des Friedens, der Demokratie und des sozialen Fortschritts 14

Antrag 79: Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft e.V. (ver.di), Arbeitsrecht zukunftsweisend gestalten 15

Antrag 81: Bundesvorstand, Zukunftsprojekt Bildung: Eine Weiterbildungsoffensive, damit Menschen die Zukunft gestalten können 17

Antrag 82: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften, IG Metall, Das 21. Jahrhundert muss ein Jahrhundert der

Bildung werden 23

Antrag 83: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften, IG Metall, Für eine Berufsbildungsreform 26

Antrag 84 (Material an den Bundesvorstand): Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Anstöße für notwendige

Bildungsreformen – Konsequenzen aus PISA 28

Antrag 85 (Material zu Antrag 82): Deutscher Gewerkschaftsbund-Bezirk Baden Württemberg, Bildung und Ausbildung

entscheiden über unsere Zukunft 31

Antrag 87 (Material zu Antrag 83),: Bundes-Jugendausschuss, Novellierung BBiG II 32

Antrag 89 (Material zu Antrag 83): IG-Metall, Zukunft Berufliche Bildung 33

Initiativantrag 1: Klaus Zwickel, Frank Bsirske, Klaus Wiesehügel, Jürgen Walter und Kolleginnen und Kollegen, Zuwanderung 35

Abänderungsantrag 6 (zu Antrag 53): Wolfgang Rhode und Kolleginnen und Kollegen Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert 37

Anlage zu Antrag 21: Antrag 29 des 16. Ordentlichen DGB-Bundeskongresses 1998 in Düsseldorf 39

ANTRAGSBERATUNG

Jörg C. Stein, Sprecher der Antragsberatungskommission, Zu Antrag 21 41

Tanja Globig, Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft e.V. (ver.di), Zu Antrag 21 41

Tobias Hanson, IG Bergbau, Chemie, Energie, Zu Antrag 21 42

Claudia Wörmann-Adam, Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft e.V. (ver.di), Zu Antrag 21 42

Claudia Wörmann-Adam, , Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft e.V. (ver.di), Zu Antrag 25 43

Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes, Zu Antrag 81 44

Eva-Maria Stange, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Zu Antrag 82 45

Wolf-Jürgen Röder, IG Metall, Zu Antrag 82 47

MÜNDLICHER GESCHÄFTSBERICHT DES GESCHÄFTSFÜHRENDEN DGB-BUNDESVORSTANDES

Heinz Putzhammer, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes 49

GRUßWORTE AUS DER POLITIK

Gerhard Schröder, Bundeskanzler 50

Dr. Edmund Stoiber, Kanzlerkandidat der CDU/CSU 50

IMPRESSUM 51

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17. Ordentlicher DGB-Bundeskongress 27.-31.05.2002 in Berlin KONGRESS – BESCHLÜSSE

ANTRAG 21: BUNDES-JUGENDAUSSCHUSS GEGEN RASSISMUS, RECHTSEXTREMISMUS UND FREMDENFEINDLICHKEIT

Antrag ist angenommen mit den Änderungen durch Abänderungsantrag 1, Änderungen in Absatz 3 und in Absatz 6, im ersten Spiegelstrich. Der DGB mit seinen Mitgliedsgewerkschaften tritt für eine Gesellschaft ein, in der die Würde und die demokratischen Rechte aller Menschen gewahrt werden. Der DGB fordert von allen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen, dass Ausländerfeindlichkeit bekämpft und rechtsextremistische Gewalttaten verhindert werden. Der DGB mit seinen Mitgliedsgewerkschaften wird aufgefordert, sich weiterhin gegen Fremdenfeindlichkeit zu engagieren und den von rechter Gewalt bedrohten Opfern zur Seite zu stehen. Dazu gehören verstärkte Seminarangebote, die öffentliche Stellungnahme etwa durch Pressemitteilung und Diskussion sowie Beteiligung an Bündnissen, Aktionen und den Diskussionen über auch bei Gewerkschaftsmitgliedern immer wieder vorgekommene rechte Orientierungen. Die Gewerkschaften lehnen darüber hinaus jegliche Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzungen kompromisslos ab. Alle Mitglieder der DGB-Gewerkschaften sind aufgerufen, in dem Sinne in Betrieben, Schulen, Ausbildungszentren, in Vereinen und in der Öffentlichkeit für ein solidarisches Mit einander einzutreten. Wir fordern den DGB zu folgenden Aktivitäten auf:

Entwicklung und Veröffentlichung weiterer Publikationen zum Thema Rechtsextremismus gemeinsam mit anderen Organisationen.

Behandlung des Themas in Betriebsräte- und JAV- Schulungen, Fachgruppensitzungen, Arbeitskreissitzungen sowie auf Betriebs-, Jugend- und Ausbildungs-Versammlungen.

Abschluss von Betriebsvereinbarungen und ggf. tariflichen Regelungen zur Verurteilung von Rassismus, Diskriminierung und rechtsextremen Aktivitäten in Betrieben.

Initiierung, Unterstützung und aktive Mitarbeit bei anti-faschistischen Bündnissen vor Ort.

Aktiver Schutz und Unterstützung der Opfer von Rassismus und Rechter Gewalt. Alle DGB-Büros sowie das Gebäude des Bundesvorstandes, die Bildungsstätten und sonstige Einrichtungen der DGB Jugend sollen sich an der Aktion „Noteingang“ beteiligen.

Die DGB-Jugend wird umgehend einen bundesweiten Preis für Personen und Gruppen, die Zivilcourage zeigen, ausschreiben.

Der DGB fordert die Mitgliedsgewerkschaften auf, umgehend alle Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen auszuschließen.

Der DGB führt regelmäßig Weiterbildungen für politisch Beschäftigte zum Thema Rechtsextremismus durch.

Der DGB-Bundesvorstand begrüßt ausdrücklich die Verbote der Neonazi-Kameradschaften „Hamburger Sturm“ und des neofaschistischen Netzwerkes „Blood & Honour“ und bezeichnet sie als richtigen Schritt. Die Verbote weiterer Kameradschaften sowie neofaschistischer Verbindungsstellen wie des Clubs 88 müssen folgen.

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ANTRAG 34: IG METALL ARBEITNEHMERÜBERLASSUNG

Antrag ist angenommen. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) dahin gehend zu ändern, dass

die materiellen Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft der Einsatzbetriebe als Mindestarbeitsbedingungen auch für Leiharbeitnehmer ab dem ersten Tag ihres Einsatzes zu gewähren sind;

eine Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten von Leiharbeitnehmern auf Fälle eines sachlich begründeten, vorübergehend erhöhten Personalbedarfes erfolgt;

bei allen Verstößen gegen Schutzbestimmungen des AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzbetrieb entsprechend § 10 AÜG fingiert wird;

die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 14 Abs. 3 AÜG auch bei Einsatz von Fremdfirmenbeschäftigten auf werk- oder dienstvertraglicher Basis gelten.

Begründung: Mit dem Job-AQTIV-Gesetz wurde in § 10 Abs. 5 AÜG erstmals eine Regelung getroffen, nach der Leiharbeitnehmern ab dem 13. Monat einer Beschäftigung bei einem Entleiher die materiellen Arbeitsbedingungen des Einsatzbetriebs zu gewähren sind. Diese Regelung schützt den Leiharbeitnehmer nur unzureichend gegen eine Ungleichbehandlung und greift zu kurz, um den Geltungsbereich der Tarifverträge in den Einsatzbetrieben zu sichern. Die Arbeitsverhältnisse von Leiharbeitnehmern dauern nur zu einem Drittel drei Monate oder länger. In der Praxis wird daher die Neuregelung kaum Bedeutung haben, da die Dauer der Überlassungszeit von Leiharbeitnehmern regelmäßig weniger als dreizehn Monate beträgt. Leiharbeitnehmer werden daher gegenüber Stammarbeitnehmern, die an demselben Arbeitsplatz die gleiche Arbeit verrichten, ohne eine Gleichstellung ab dem ersten Tag ihres Einsatzes diskriminiert. Dem Gesetzeszweck entsprechend dürfen Leiharbeitnehmer nur zur Überbrückung eines vorübergehend erhöhten Personalbedarfs eingesetzt werden. Die seit dem 01.01.2002 auf 24 Monate verlängerte Überlassungsdauer verstößt gegen diesen Grundsatz. Der Gesetzgeber muss zum Schutz der Dauerarbeitsplätze in den Einsatzbetrieben sicherstellen, dass ein Einsatz von Leiharbeitnehmern nur in sachlich begründeten Ausnahmefällen zulässig ist. Hierzu muss u.a. die derzeit geltende Überlassungsdauer verkürzt werden. Gleichzeitig ist durch Maßnahmen des Gesetzgebers sicherzustellen, dass die Verleihunternehmen nicht durch kurzzeitig befristete Arbeitsverhältnisse das Beschäftigungsrisiko (§ 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG) auf die Arbeitnehmer verlagern. Nach Aufhebung des § 13 AÜG a.F. hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung im Jahr 2000 geändert und dabei gleichzeitig entschieden, dass trotz des entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers bei Verstößen von Verleiher und Entleiher gegen die Höchstüberlassungsdauer oder die typischen Arbeitgeberpflichten kein Arbeitsverhältnis mehr zum Entleiher zustande kommt. Danach hat der Einsatzbetrieb bei illegalen Formen der Arbeitnehmerüberlassung weder arbeitsrechtliche noch bußgeldrechtliche Sanktionen zu befürchten, wenn gegen wesentliche Schutzbestimmungen des AÜG verstoßen wird. Leidtragender ist der Arbeitnehmer, dem die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses zu einem illegal tätigen Arbeitnehmer zugemutet wird. Der Gesetzgeber ist daher gefordert, eine dem § 13 AÜG a.F. entsprechende Neuregelung zu treffen, nach der bei allen Verstößen gegen Vorschriften des AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzbetrieb zustande kommt. Dabei ist dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht einzuräumen, ob er das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber fortsetzt oder sich auf das Arbeitsverhältnis zum Entleiher beruft. Die vorhandenen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Einsatz von Leiharbeitnehmern reichen weder zum Schutz der betroffenen Leiharbeitnehmer noch zum Schutz der Interessen der Stammbelegschaft aus. Durch eine Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats muss sichergestellt werden, dass Leiharbeitnehmer in allen Belangen die Rechtsstellung erhalten, die auch Stammarbeitnehmern beim Entleiher zukommt. Hierzu ist u.a. eine umfassende Zuständigkeit des Betriebsrats des Einsatzbetriebes in allen sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG festzuschreiben. Dabei sind die vorhandenen Mitbestimmungsrechte bei Einstellung von Leiharbeitnehmern auf alle Formen des Einsatzes betriebsfremder Arbeitnehmer zu erweitern. U.a. durch den Einsatz von Fremdfirmenarbeitnehmern auf werk- oder dienstvertraglicher Basis können die Unternehmen z.Zt. mitbestimmungsfrei über den Erhalt von Dauerarbeitsplätzen und das Unterlaufen betrieblicher und tariflicher Regelungen zu den Arbeitsbedingungen entscheiden. Sowohl die Interessen der Fremdfirmenbeschäftigten als auch die Interessen der Stammbelegschaft sind wie bei Leiharbeit gleichermaßen betroffen, wenn Beschäftigte auf werkvertraglicher Basis in den Betrieben eingesetzt werden. Dem Betriebsrat müssen daher dieselben Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden, die bei Einstellung von Leiharbeitnehmern gelten. Nur so kann auch sichergestellt werden, dass mit den überwiegend illegalen Schweinwerkverträgen Formen illegaler Beschäftigung im Betrieb wirksam bekämpft werden können.

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ANTRAG 35 (MATERIAL ZU ANTRAG 34): DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND NORDRHEIN-WESTFALEN ZEITARBEIT DURCH TARIFIERUNG UND GÜTESIEGEL REGULIEREN

Antrag angenommen als Material zu Antrag 34. Die Zeitarbeit boomt und dieser Trend soll auch noch einige Zeit anhalten. Bundesweit wurden Mitte 2000 340.000 Zeitarbeitskräfte gegenüber 140.000 im Jahre 1994 gezählt. 1994 waren erst 7.000 Betriebe im Arbeitnehmerverleih tätig, 2000 waren es schon 12.500. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ergeben sich enorme Wachstums-potenziale für die Verleihbranche. In den Niederlanden arbeiten 4,6 % aller abhängig Beschäftigten als Zeitarbeitskräfte, bei uns sind es rund 0,7 % (1998). In Großbritannien arbeiten 3,7 % und in Frankreich 2,2 % aller abhängig Beschäftigten als Zeitarbeitskräfte (1998). Vor dem Hintergrund des Bedeutungszuwachses von Zeitarbeit wächst die Dringlichkeit, dass die DGB-Gewerkschaften eine sozialverträgliche Gestaltung von Zeitarbeit einfordern sowie einen eigenständigen Beitrag zur Regulierung dieser Branche leisten. Die DGB-Gewerkschaften dürfen die Beschäftigten in dem Wachstumsmarkt Zeitarbeit nicht im Regen stehen lassen. Sie müssen Schutz vor schlechten Arbeitsbedingungen und vor Lohndumping gewähren. Zur Regulierung der Branche haben die DGB-Gewerkschaften IG Metall und verdi in Nordrhein-Westfalen eine Tarifgemeinschaft gegründet, bis Mitte 2001 haben sie 15 Zeitarbeitsbetriebe tarifiert. Darüber hinaus vergeben die DGB-Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen seit März 2001 das Gütesiegel Zeitarbeit, das den Betriebs- und Personalräten die Genehmigung notwendiger Zeitarbeit er-leichtern soll. Das Gütesiegel wurde bis Sommer 2001 an sechs Unternehmen vergeben. Bei der Entwicklung bundesweiter Aktivitäten kann somit auf nordrhein-westfälische Erfahrungen zurückgegriffen werden. Der 17. Ordentliche Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes fordert den DGB-Bundesvorstand auf, die positiven Erfahrungen, die in Nordrhein-Westfalen mit der Tarifierung und – ausgehend von der erfolgreichen Marktplatzierung des sozialverträglichen Zeitarbeitsunternehmens START Zeitarbeit NRW GmbH – mit dem DGB-Gütesiegel Zeitarbeit gemacht wurden, auf das gesamte Bundesgebiet zu übertragen.

Dies bedeutet im Einzelnen:

1. Unterstützung zur Zusammenarbeit der die Branche tarifierenden DGB-Gewerkschaften (IGM, Verdi, u. a.), die die bundesweit agierenden Branchenführer tarifieren sollen.

2. Unterstützung von Zeitarbeitsfirmen, die wie START Zeitarbeit NRW GmbH streng sozialverträglich und gewinnbringend arbeiten und damit einen realen Beurteilungsmaßstab einer ganzen Branche bilden.

3. Vergabe eines bundesweiten DGB-Gütesiegels Zeitarbeit an Unternehmen, die mindestens die in NRW bewährten acht Vergabekriterien einhalten. Die acht Kriterien des gewerkschaftlichen Gütesiegels für Zeitarbeitsunternehmen in NRW lauten:

1. Arbeitslose

Zeitarbeitsfirmen können eine wichtige arbeitsmarktpolitische Funktion übernehmen, indem sie Arbeitslosen mit Hilfe der Zeitarbeit eine Rückkehrchance in reguläre Betriebe eröffnen. Daher verlangt das gewerkschaftliche Gütesiegel, dass Zeitarbeitsfirmen überwiegend Arbeitslose bzw. von Arbeitslosigkeit Bedrohte einstellen.

2. Problemgruppen des Arbeitsmarktes

Gerade für die sog. Problemgruppen des Arbeitsmarktes (zurzeit Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose, Berufsrückkehrerinnen, Ältere, Ausländer, Jugendliche unter 25 Jahren, gesundheitlich Beeinträchtigte) kann Zeitarbeit den Zugang zu regulärer Beschäftigung ermöglichen. Daher fordert das gewerkschaftliche Gütesiegel, dass mindestens 20 % der Neueinstellungen aus diesen Personengruppen vorgenommen werden.

Bei der Bestimmung der sog. Problemgruppen sowie bei der Auswahl der betreffenden Personen ist eine intensive Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern unabdingbar.

3. Übergang in reguläre Beschäftigung fördern

In kommerziellen Zeitarbeitsfirmen ist der Übergang in reguläre Betriebe bisher eher ein zufälliges, manchmal auch unerwünschtes Nebenprodukt der Verleihtätigkeit. Das gewerkschaftliche Gütesiegel fordert daher eine gezielte Förderung der Übergangsmöglichkeiten durch die Zeitarbeitsfirma.

4. Tarifvertrag

Es können nur die Zeitarbeitsfirmen das gewerkschaftliche Gütesiegel erhalten, die ihre Arbeitsbedingungen tarifvertraglich mit einer DGB-Gewerkschaft geregelt haben.

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5. Weiterbildung

Leiharbeitskräfte haben oft Qualifikationsdefizite. Daher verlangt das gewerkschaftliche Gütesiegel, dass die Zeitarbeitsfirmen gezielt Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, um die Einsatz- und Vermittlungschancen sowie die Verdienstmöglichkeiten der Zeitarbeitskräfte zu erhöhen.

6. Betriebliche Interessenvertretung

Das gewerkschaftliche Gütesiegel wird nur an die Betriebe verliehen, die die Einrichtung und Existenzfähigkeit einer betrieblichen Interessenvertretung (Betriebsräte) aktiv befördern.

Bei mehr als 100 Beschäftigten wird darüber hinaus die Einrichtung und Existenzfähigkeit eines Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG und bei Betrieben unter 100 Beschäftigten die Möglichkeit zur Wahrnehmung der Rechte eines Wirtschaftsausschusses durch den Betriebsrat gefordert.

Sollten sich nachweislich keine Beschäftigten finden, die das Amt eines Betriebsrates übernehmen wollen, so hat das Zeitarbeitsunternehmen den zuständigen Gewerkschaften so weit Einblick in seine Geschäftstätigkeit zu geben, wie es zur Kontrolle der Einhaltung der hier genannten Kriterien notwendig ist.

7. Frauenförderung

Zur Erhöhung des weiterhin sehr niedrigen Anteils von Frauen in der Zeitarbeitsbranche wird grundsätzlich der Abschluss eines betrieblichen Frauenförderplans zur Voraussetzung der Vergabe des gewerkschaftlichen Gütesiegels gemacht.

8. Nachweis der Einhaltung von Gesetzen

Das „Gütesiegel Zeitarbeit“ kann nur an die Betriebe vergeben werden, die nachweislich die einschlägigen Gesetze wie z.B. das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsschutzgesetz sowie die Bestimmungen des SBG IV einhalten. Hierbei handelt es sich um eine Grundvoraussetzung, deren Einhaltung an sich noch nicht die Vergabe des Gütesiegels gerechtfertigt.

ANTRAG 36 (MATERIAL ZU ANTRAG 34): DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND-BEZIRK NIEDERSACHSEN – BREMEN – SACHSEN-ANHALT INITIATIVE GEGEN SOZIAL-, LOHN- UND PREISDUMPING VON ZEITARBEITSFIRMEN

Antrag ist angenommen als Material zu Antrag 34. Der DGB-Bundeskongress fordert den DGB- Bundesvorstand auf eine koordinierte Initiative unter Einbeziehung aller für den Industrie- und Dienstleistungssektor zuständigen Einzelgewerkschaften zu starten mit dem Ziel der Schaffung von Mindeststandards für Zeitarbeitsfirmen und deren Koppelung des Entgeltes an die durchschnittliche jährliche Tarifentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich die Zahl von Zeitarbeitsfirmen ständig erhöht. Damit verbunden ist die Beschäftigtenzahl dieser Branche stark angestiegen. Aufgrund der vorherrschenden Verhältnisse bei Leihfirmen unterliegen die dort Beschäftigten nur zu einem geringen Teil den Bedingungen einer tariflichen Regelung oder gesetzlichen Mindestnormen. Die ursprüngliche Idee Auftragsspitzen abzubauen, geht immer mehr zugunsten einer permanenten Personalkostensenkung und einer massiven Reduzierung von Stammarbeitsplätzen, verloren. Teilweise kehren über diesen Weg Arbeitnehmer von Zeitfirmen in ihren ursprünglichen Betrieb, der sie entlassen hat wieder zurück, jedoch im Durchschnitt zu einem um ein Drittel reduzierten Einkommen. Darüber hinaus sind Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, das Kündigungsschutzgesetz und Nichtbezahlung von Urlaub sowie für Nichteinsatzzeiten keine Seltenheit. So ergab eine Überprüfung von 1.300 Zeitfirmen, dass gegen 25 % der Firmen ein Bußgeldverfahren wegen Gesetzesverstößen eingeleitet wurde. Die derzeitigen Verhältnisse verschärfen die Wettbewerbssituation. Aus diesem Grund lehnen wir alle Konzepte zur Stabilisierung und Ausweitung von Niedriglohnsektoren ab. Für Unternehmen mit Tarifbindung wird es immer schwieriger aufgrund des permanenten Preisdumpings am Markt zu bestehen. Häufig werden Belegschaften und Betriebsräte mit den weitestgehend rechtlosen Leiharbeitern unter Druck gesetzt und erpresst.

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ANTRAG 38: DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND-BEZIRK NORDRHEIN-WESTFALEN TARIFTREUE BEI ÖFFENTLICHEN AUFTRÄGEN FÜR BAULEISTUNGEN UND VERKEHRSDIENSLEISTUNGEN IM ÖFFENTLICHEN PERSONENNAHVERKEHR

Antrag ist angenommen mit Streichung des letzten Absatzes. Bei der öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland und in Europa geht es um ein beachtliches Auftragsvolumen. In der Bundesrepublik Deutschland liegt dieses bei Bund, Ländern und Gemeinden bei rund 205 Mrd. Euro jährlich. In den 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union liegt die entsprechende Summe für öffentliche Aufträge bei 0,72 Billionen Euro jährlich. Die DGB-Gewerkschaften erwarten vom Staat, dass er bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Unternehmen bevorzugt, die sich verpflichten, Tarifverträge einzuhalten. Der auch vom Staat grundsätzlich gewollte Abschluss von Tarifverträgen und das Einhalten der Tarifverträge dienen innerhalb einer Branche als Instrument zur Erzielung gleicher Wettbewerbschancen von Betrieben bei den Lohnkosten. Das Unterlaufen von Tarifverträgen und der zunehmende Einsatz von Billiglohnkräften führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Insbesondere bei rückläufiger Wirtschaftsentwicklung wären mit der „Tariftreue“ ruinöse Angebote nach unten auszuschließen, an dessen Ende häufig das Aus für den Betrieb und damit auch für die Beschäftigten steht. Darüber hinaus sind die Beschäftigten vor Dumpinglöhnen und vor Verdrängung durch Billig- und Billigstlohnkräften zu schützen. Dies würde auch die Sozialsysteme durch Mindereinnahmen und Mehrausgaben belasten. Ohne gesetzliche Regelungen würden Steuergelder in Milliardenhöhe dazu verwendet, Arbeitsplätze zu vernichten und Lohndumping zu finanzieren. Tariftreueerklärungen sind zentraler Bestandteil der sozialen Gerechtigkeit. Daher fordert der 17. Ordentliche Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Bundesregierung auf, ein Vergabegesetz für alle öffentlichen Aufträge bei Bauleistungen und Verkehrsdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr noch in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden. Folgende Mindestregelungen sind hierbei aufzunehmen:

1. Vergabe nur an Unternehmen mit eigenem sach- und fachkundigem Personal, die die Kernleistungen auch mit eigenem, qualifiziertem Personal ausführen und die arbeits- sowie sozialrechtlichen Bestimmungen einhalten.

2. Nachunternehmereinsatz nur an Betriebe, die diese Leistung ebenfalls nur mit eigenem qualifizierten Personal im eigenen Betrieb ausführen.

3. Die eingesetzten Unternehmen müssen zuverlässig und zu angemessenen Preisen arbeiten, d.h. die Einhaltung der jeweiligen am Ort der Leistungserbringung maßgeblichen Flächentarifverträge ist von den Unternehmen schriftlich zu versichern.

4. Sowohl die Vergabe als auch die Durchführung der Aufträge ist durch entsprechende Kontrollen des Gesetzgebers sicherzustellen.

ANTRAG 39 (MATERIAL ZU ANTRAG 38): BUNDES-JUGENDAUSSCHUSS VERGABEGESETZ

Antrag ist angenommen als Material zu Antrag 38. Die DGB-Jugend begrüßt den Beschluss des Bundesrates für ein Vergabegesetz für öffentliche Aufträge und fordert den Bundestag auf, dafür Sorge zu tragen, dass ein Vergabegesetz schnellstmöglich in Kraft treten kann. Sollte die Bundesratsinitiative im Bundestag scheitern, fordert die DGB-Jugend die Landtage auf, eigene Vergabegesetze zu beschließen. Begründung: Flucht in gesenkte Tarife durch Rechtsformänderung, Konzessionsvergabe an private Unternehmen oder eine enge Interpretation der EU-Vergabeordnung zur Ausschreibung öffentlicher Aufträge bieten verschiedene Möglichkeiten, bestehende Tarifverträge auszuhebeln. Neben einheitlichen „Spartentarifverträge“, mit denen die Schere zwischen den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten privater und öffentlicher Unternehmen geschlossen werden soll, ist ein „Vergabegesetz“, mit dem Mindestkriterien hinsichtlich der Sozialstandards und Löhne bei der Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge fixiert werden sollen, notwendig geworden. Betroffen sind vor allem Bauleistungen und der öffentliche Personennahverkehr. Während es in der Bauwirtschaft vor allem die Überausbeutung durch illegale Beschäftigung ist, die die Bindungswirkung des Flächentarifvertrages aushöhlt, ist es im öffentlichen Nahverkehr die wechselseitige Verstärkung von mehreren Faktoren: das mit einem Blick auf die unterschiedlichen Organisationsgrade schnell erklärte Tarifgefälle, Privatisierungsdruck in den durch Haushaltsdefizite finanziell unter Druck stehenden Kommunen und die Liberalisierungsankündigungen der europäischen Union.

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Der sich zunehmend dynamisierende europäische Wettbewerb gefährdet überdies mittelfristig den Fortbestand von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wenn private Konkurrenten deutlich niedrigere Löhne zahlen dürfen. Die weitere Entfesselung von Wettbewerb und Privatisierungsdruck durch europäische Rahmensetzung (z.B. Querverbund im ÖPNV, Zwang zur europaweiten Ausweitung von Beförderungsleistungen etc.), deren konkrete Ausgestaltung noch umkämpft ist, erfordert dringend politische Rahmenbedingungen, die verbindliche soziale Standards sichern, den Fortbestand kommunaler Unternehmen ermöglichen und die Konfliktfähigkeit gewerkschaftlicher Interessenvertretung sicherstellen. Während die von Nordrhein-Westfalen gestartete Bundesratsinitiative jetzt den Weg des Gesetzgebungsverfahrens bestreitet, werden in den Kommunen (auch wegen der bestehenden Vergaberichtlinien) Fakten geschaffen, die die Durchsetzung einer an die Tarifverträge gekoppelten Vergabe immer mehr erschweren.

ANTRAG 55: BUNDESVORSTAND SOLIDARITÄT UND SOZIALE GERECHTIGKEIT IN EINER GLOBALEN WIRTSCHAFT

Antrag ist angenommen. Die Globalisierung ist eine neue Stufe der seit langem anhaltenden Internationalisierung der Weltwirtschaft. Sie bietet Chancen und Risiken. So können individuelle Emanzipation und solidarische Kooperation durch technologischen Fortschritt und die informationstechnische Revolution weiterentwickelt werden. Aber die möglichen positiven Seiten weltweiter Vernetzung können sich nicht entfalten, solange die Bedingungen der Globalisierung allein von Finanzmarktakteuren und multinationalen Konzernen gesetzt werden. Hunger und Armut in den größten Teilen der Welt, Rezession und Arbeitslosigkeit in den Industrieländern, Finanzkrisen mit drohendem Staatsbankrott, Kriege und nicht zuletzt auch Terrorismus zeigen, wie anfällig der globale Kapitalismus ist. All diese Krisensymptome machen überdeutlich, dass eine an der neoliberale Wirtschaftsideologie orientierte Globalisierung zum Scheitern verurteilt ist. Bisher überwiegen insbesondere in den Entwicklungsländern die Risiken, weil die nationale und internationale Politik dem Irrtum anhängt, dass soziale Mindeststandards und soziale Gerechtigkeit Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Doch nach europäischen Erfahrungen ist das Gegenteil der Fall: Ein funktionierender und ausgleichender Sozialstaat, eine ausgebaute Infrastruktur und eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung sind die Voraussetzungen für sozialen Frieden, hohe Beschäftigung und befriedigendes Wachstum. Nur wenn diese Erkenntnis die nationale und internationale Politik leitet, lassen sich in Zukunft aus der Globalisierung für alle Beteiligten der Weltwirtschaft Vorteile ziehen. Nur dann wird es gegen eine weitere Globalisierung keine nationalen und internationalen Widerstände mehr geben. Die Globalisierung muss schließlich für die Menschen auch Demokratie in der Politik und Partizipation in der Wirtschaft einschließen. Der DGB fordert, dass in einer globalisierten Wirtschaft die Grundsätze von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit umgesetzt werden. Die Beschäftigungschancen sind zu erhöhen und die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit ist abzubauen. Globalisierung darf nicht zum Abbau des Sozialstaates führen, vielmehr sind sozialstaatliche Elemente die Voraussetzung für eine gleichgewichtige Globalisierung. Die Politik und die weitere internationale Gewerkschaftsarbeit stehen vor großen Herausforderungen, um die sehr ungleiche Bilanz der sozialen Gerechtigkeit und die weltwirtschaftliche Integration fair zu gestalten. Dazu gehört, dass die Regelungen des internationalen Miteinanders demokratisch legitimiert und kontrolliert werden. Solidarität und Gerechtigkeit sind auch in einer globalen Welt möglich. Der Prozess der Globalisierung muss aber gestaltet werden. Die deutschen Gewerkschaften werden sich daran aktiv beteiligen. Sozialer Ausgleich und Beschäftigungschancen in Deutschland Kapitalorientierte Globalisierung hat die in Deutschland vorherrschende Wahrnehmung von Internationalisierung als Standortkonkurrenz geprägt. Internationale Wettbewerbsfähigkeit wird dabei an der Attraktivität der Standortbedingungen für die Unternehmen gemessen. Vorrangiges Ziel von Politik und Wirtschaft in Deutschland muss es sein, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Deshalb braucht Deutschland eine grundlegende Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik und in der Standortdebatte. Ein hoher Beschäftigungsstand und ein hoher Lebensstandard sind mit schlichten Kostensenkungsstrategien, Sozialabbau und Deregulierung nicht zu erreichen. Wichtig sind vielmehr die Produktivitätsentwicklung, die Produkt- und Dienstleistungsinnovation und die Bereitstellung günstiger gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Nicht die Globalisierung ist die maßgebliche Ursache der sozialen Schieflagen in Deutschland. So weist der deutsche Armuts- und Reichtumsbericht aus, dass die soziale Ungleichheit bei den Markteinkommen bereits seit Anfang der siebziger Jahre zugenommen hat und durch die Steuer- und Sozialpolitik nur unzureichend korrigiert wurde.

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Allerdings geraten auch in einem Land, das wie Deutschland zu den Gewinnern des internationalen Handels gehört, die Einkommen der ArbeitnehmerInnen und die sozialen Sicherungssysteme unter Druck. Um das steigende Einkommensgefälle zu reduzieren, fordert der DGB:

qualifizierte Arbeitskräfte,

berufliche Weiterbildung und Eingliederung von Arbeitslosen und der vom Strukturwandel betroffenen Arbeitnehmer,

Ausbau und Modernisierung von betrieblicher Ausbildung,

mehr Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen,

sozial- und familienorientierte flexible Arbeitszeiten,

die Förderung der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Die Grundlagen gewerkschaftlichen Handelns dabei sind:

arbeitnehmerInnengerechtere Arbeitszeitmodelle und gerechte Verteilung der Arbeit,

Vermeidung von Mehrarbeit und Überstunden,

wirksame Bekämpfung von Sozial- und Einkommensdumping,

die regulierte Zuwanderung,

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenngleich die Globalisierung nicht als exklusive Erklärung der zunehmenden sozialen Ungleichheit in Deutschland gelten kann, darf der Zusammenhang zwischen Globalisierung und wachsendem Einkommensgefälle nicht übersehen werden. Es gibt Globalisierungsgewinner und –verlierer. Ein Ausgleich zwischen den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung findet allerdings in Deutschland nur unzureichend statt. Für den solidarischen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft ist deshalb ein verteilungspolitischer Richtungswechsel notwendig:

Die bestehenden sozialen Schieflagen müssen überwunden, dazu das Einkommensgefälle ausgeglichen und die sozialen Ausgrenzungen bei den niedrigen Einkommen und die Armut beseitigt werden. Um Deutschland auf den Entwicklungspfad einer demokratischen Gesellschaft zu halten, müssen durch sozialen Ausgleich allen die gleichen gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt werden.

Gleichzeitig müssen die Instrumente des sozialen Ausgleichs geschärft werden, damit die Voraussetzungen für Wachstum und Strukturwandel gestärkt werden. Dies gilt insbesondere für die sozialstaatlichen Fürsorge- und Sicherungssysteme. Bei all dem gilt, dass in Deutschland nicht weniger, sondern mehr Solidarität gefordert ist. Um die Arbeitnehmer von übermäßigen Finanzierungsabgaben zu entlasten und den notwendigen sozialen Ausgleich sicherzustellen, müssen alle sozialen Gruppen in den sozialen Ausgleich einbezogen werden.

Für eine Politik des sozialen Ausgleichs tragen die Gewerkschaften als Tarifpartei eine besondere Verantwortung. Eine Einkommensverteilung, die zu Gunsten der Arbeitnehmer die Steigerung der Realeinkommen verbessert, ungerechte Einkommensdifferenzen zwischen Arbeitern und Angestellten sowie zwischen Frauen und Männern abbaut und durch geeignete tarifpolitische Regelungen die Qualifizierungsanstrengungen der Beschäftigten unterstützt, ist anzustreben.

Verteilungspolitischer Handlungsbedarf besteht für die Gewerkschaften, aber auch bei der Sozial- und Steuerpolitik. Gerade auf diesen politischen Feldern ist ein verteilungspolitischer Richtungswechsel erforderlich. Erst dadurch kann die Leistungsfähigkeit des über den Staat organisierten sozialen Ausgleichs wiederhergestellt werden. Durch geeignete Sozialtransfers und öffentliche Infrastruktur ist dabei der soziale Ausgleich so zu gestalten, dass Humankapital in erforderlichem Umfang gebildet wird und zum Einsatz kommen kann.

Das europäische Sozialmodell weiterentwickeln Der DGB fordert die Regierungen der Europäischen Union und die Europäische Kommission auf, die Idee eines europäischen Sozialstaates zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen mit der einseitig angebotsorientierten Politik der neunziger Jahre zeigen, dass allein mit Strukturreformen die erhofften Wachstumsimpulse nicht erzielt werden können. Die Überwindung der Beschäftigungskrise benötigt vielmehr auch gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die ein nachhaltiges Wachstum ohne Inflation ermöglichen. Erforderlich ist dabei eine neue Balance zwischen Arbeitsumverteilung, sozialer Sicherheit und Flexibilität. Die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik hat sich zukünftig vermehrt auf expansive Strategien für mehr Beschäftigung zu konzentrieren.

Die Europäische Zentralbank muss den notwendigen geldpolitischen Flankenschutz für ein kräftigeres Wachstum liefern. Sie muss ihrer Konjunkturverantwortung verstärkt nachkommen. Eine gleichgewichtige Berücksichtigung des Beschäftigungs- und

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Wachstumsziels neben dem Stabilitätsziel ist eine wichtige Voraussetzung für die Europäische Währungsunion und für den Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland und in Europa. Dafür ist Artikel 105 der konsolidierten Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft entsprechend zu ändern.

Bedingung für die Umsetzung der Wohlstandsgewinne aus Produktivitätsfortschritten in gesamtwirtschaftliches Wachstum sowie in eine soziale und gerechte Verteilung sind starke Gewerkschaften und die Tarifautonomie. Dies gilt national und international. Nur eine ausreichend hohe Massenkaufkraft ist auf Dauer ein Rezept zum Abbau der Arbeitslosigkeit.

Die Finanzpolitik ist aufgerufen, die Fehler der neunziger Jahre zu vermeiden und einen im Konjunkturverlauf atmenden Haushalt zuzulassen. Das heißt, konjunkturbedingte Mindereinnahmen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen müssen ebenso wie Mehrausgaben bei der Arbeitsmarktpolitik hingenommen werden. Um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten, muss die öffentliche Infrastruktur verstärkt ausgebaut werden. Öffentliche Investitionen sind nötig für eine moderne und ökologisch verträgliche Infrastruktur, für die Deckung sozialer Bedarfe sowie für die Sicherung der Umwelt. Hierfür muss dringend die Finanzkraft der Kommunen gestärkt werden.

Der DGB fordert, dass die einseitigen Kürzungen auf der Ausgabenseite und vor allem bei den Sozialleistungen und öffentlichen Investitionen beendet werden. Auf der Einnahmenseite muss eine gerechte Besteuerung hergestellt werden. Große Vermögen und Erbschaften sind unter Beachtung des Prinzips der Leistungsfähigkeit der Besteuerung, etwa durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer bzw. die Verschärfung der Erbschaftsteuer, zu unterwerfen. Zudem sind die geltenden Steuergesetze konsequent anzuwenden, z. B. durch die Erfassung aller Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie durch regelmäßige steuerliche Betriebsprüfungen. Steuerschlupflöcher sind, auch im Wege internationaler Vereinbarungen, zu stopfen. Internationale Steuersenkungswettläufe, wie sie z. B. bei der Unternehmensbesteuerung feststellbar sind, müssen unterbunden werden, um die staatliche Finanzkraft zu sichern und die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten. Der Trend, den Arbeitnehmern immer mehr Steuerlasten aufzubürden, muss beendet werden. Bei der Finanzierung von öffentlichen Investitionen ist zu beachten, dass hier die Vorfinanzierung über Kredite nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist, wenn sich der Nutzen aus diesen Investitionen über mehrere Generationen verteilt. Die Beseitigung von Hunger und Armut Die Erträge der Globalisierung sind sehr ungleich verteilt. Große Teile der Weltbevölkerung haben keine Aussicht auf Steigerung ihres Lebensstandards, Entwicklungsländer holen ihren ökonomischen und sozialpolitischen Rückstand nicht auf. Viele Länder sind nicht zuletzt deshalb von politischer Stabilität und Demokratie noch weit entfernt. Dies fördert auch die Oligarchiebildung, Korruption und ungleiche Einkommensverteilung innerhalb der Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer müssen mehr als bisher von der Globalisierung profitieren. Deshalb fordert der DGB die Bundesregierung und die Europäische Union auf, einen aktiven Beitrag zu leisten, der globalen Wirtschaft einen menschlichen und ökologisch verantwortbaren Rahmen zu setzen. Die globale Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Die Beseitigung von Armut und Hunger und die Sicherung des Friedens sind für den DGB die obersten Ziele internationaler Politik. Der Erhalt und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Boden, sind die Basis sicherer Ernährung für die Menschen in vielen Entwicklungsländern. Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik sind gleichermaßen gefordert, ökologische Krisen zu vermeiden. Der DGB fordert die Bundesregierung auf, sich auf allen betroffenen Politikfeldern für den Klimaschutz, die Bekämpfung der Wüstenausbreitung, die Förderung erneuerbarer Energien und die Sicherung des Zugangs zu sauberem Wasser einzusetzen. Der DGB unterstützt die Bundesregierung und ihr Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung:

Das Ziel, die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren, kann jedoch nur erreicht werden, wenn weltweit mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden.

Die Bundesregierung muss das politische Ziel von 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe mit einem konkreten Zeitplan zügig umsetzen.

Die Einnahmen aus einer Devisenumsatzsteuer sollten für Entwicklungshilfe verwendet werden.

Die konkrete Umsetzung der Initiative für die hochverschuldeten Entwicklungsländer (HIPC) ist zu beschleunigen. Den verschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländern sollte ermöglicht werden, ihren Schuldendienst zu begrenzen. Mehr Entwicklungsländer als bisher müssen die HIPC-Initiative in Anspruch nehmen können.

Die soziale Ausgestaltung der Globalisierung erfordert eine stärkere Beteiligung und Mitsprache der Entwicklungsländer bei den internationalen Organisationen. Dies gilt für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ebenso wie für die Welthandelsorganisation.

IWF und Weltbank müssen ihre Verpflichtung zur weltweiten Armutsbekämpfung in konkrete Maßnahmen umsetzen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass Gewerkschaften bei der Formulierung und Durchführung von Programmen beteiligt werden. Auf internationaler Ebene müssen Gewerkschaften den Dialog mit den internationalen Finanzinstitutionen (IWF und Weltbank)

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und der Welthandelsorganisation intensivieren, um langfristig eine permanente gewerkschaftliche Vertretung bei diesen Institutionen zu erreichen.

Für die Umsetzung der sozialen Dimension der Globalisierung tritt der DGB für eine Stärkung der Rolle der Internationalen Arbeitsorganisation und die weltweite Achtung der von ihr verabschiedeten Konventionen zur Vereinigungsfreiheit, dem Recht auf Tarifverhandlungen sowie zur Ächtung von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung ein.

Für eine soziale Gestaltung der internationalen Wirtschaft Der DGB tritt für eine soziale Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene ein und fordert:

eine Integration grundlegender Arbeitnehmer- und Menschenrechte in das multilaterale Handels- und Investitionsregime;

ein ständiges Forum zwischen Internationaler Arbeitsorganisation, Welthandelsorganisation und anderen internationalen Institutionen, um das Verhältnis zwischen Welthandel und sozialer Entwicklung zu klären und Ungleichgewichte aufzuheben;

die Aufnahme der Kernarbeitsnormen auf die Agenda der bilateralen Handelspolitik der Europäischen Union. Der DGB setzt sich für eine gerechte Teilhabe der Entwicklungsländer am Weltwirtschaftssystem ein. Dies beinhaltet:

die Aufhebung von Handelshemmnissen gegenüber Entwicklungsländern;

die Möglichkeit von Ausnahmen bei bestimmten Liberalisierungsverpflichtungen, um eine nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern zu fördern;

Zugeständnisse für geistiges Eigentum, der Schutz der Artenvielfalt und die Ausnahmeregelungen für lebenserhaltende Medikamente (wie z.B. für AIDS und für Malaria);

die Berücksichtigung von Umweltaspekten im internationalen Handels- und Investitionsregime;

die gleichrangige Behandlung von Handels- und Umweltbelangen auf internationaler Ebene. Der DGB fordert für den Handel mit Dienstleistungen die Einhaltung klarer Marktordnungsprinzipien. Öffentliche Dienste und wichtige soziale Dienstleistungsbereiche, wie z. B. Bildung, Gesundheit, Umwelt sowie innere und äußere Sicherheit, müssen vom allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ausgenommen werden. Die WTO-Länder müssen weiterhin das Recht haben, ihre öffentlichen Dienste selbst regeln zu können. Die Marktöffnung für Finanzdienstleistungen soll nur bei Volkswirtschaften mit entwickelten Finanzinstitutionen erfolgen, die eine Liberalisierung des Finanzmarktes managen können. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit erschwinglichen und qualitativ hochwertigen Dienstleistungen durch das Prinzip der Universaldienste (wie z. B. Telekommunikationen) ist zu garantieren. Eine soziale und ökologische Gestaltung des Wettbewerbs im Transportsektor ist notwendig, um externe Kosten auszugleichen. Eine nachhaltige Marktordnung für Tourismusdienstleistungen ist anzustreben, die dem Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt verpflichtet ist. Soziale Ordnungsprinzipien beim elektronischen Handel, bei der Niederlassungsfreiheit, beim öffentlichen Beschaffungswesen und bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit müssen einen unfairen Handel über Sozial- und Lohndumping unterbinden. Sektoren, die in Deutschland heute durch besonders hohe Arbeitslosigkeit oder häufig prekäre Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, wie zum Beispiel das Baugewerbe, das Gebäudereinigergewerbe und die Forstwirtschaft, sollten bis zur Änderung dieser Situation nicht für grenzüberschreitend entsandte Arbeitskräfte aus den WTO-Ländern geöffnet werden. Generell muss im GATS-Abkommen das Arbeitsorts- und Günstigkeitsprinzip bezüglich Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten verankert werden. Für die Gewerkschaften ist deshalb eine europäische Politik der öffentlichen Daseinsvorsorge unabdingbar. Die internationalen Finanzmärkte reformieren Der DGB hält einen offenen und globalen Finanzmarkt für notwendig, um eine nachhaltige Entwicklungsfinanzierung zu sichern. Doch in ihrer gegenwärtigen Verfassung neigen die internationalen Finanzmärkte dazu, Instabilitäten und Krisen zu erzeugen und zu verstärken. Deshalb fordert der DGB Reformen der internationalen Finanzmärkte:

strengere Offenlegungspflichten der Banken, risikoangepasste Mindestreserven und härtere Bankaufsichtsregeln, um ein größeres Risikobewusstsein zu fördern. Dabei dürfen jedoch Klein- und Mittelbetriebe von der Kreditversorgung nicht abgeschnitten und im Vergleich zu größeren Unternehmen durch eine schlechtere Bonitätseinstufung nicht diskriminiert werden.

Gläubiger müssen einen größeren Teil der Verschuldungslast tragen, wenn durch ihr Verhalten Staaten in Finanzmarktkrisen oder Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Entwicklung eines internationalen Konkurs- und Insolvenzrechts, die Bildung von Gläubigerausschüssen, Umschuldungsverpflichtungen und die Hinnahme von Moratorien kann diesem Zweck dienen. Notwendig sind auch eine verschärfte Überwachung und Kontrolle von Derivaten und außerbörslich gehandelten Geschäften.

eine verbesserte währungspolitische Kooperation und Regeln für den Devisenmarkt, um die Wechselkursrelationen zwischen den Weltwährungen zu stabilisieren. Ein marktwirtschaftliches Instrument zur Begrenzung der Finanzschwankungen besteht in einer

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Erhöhung der Transaktionskosten der Kapitalströme. Dies hat durch eine Devisenumsatzbesteuerung, härtere Eigenkapitalvorschriften für Banken, ein Kredit- bzw. Unternehmensregister bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sowie eine Aufsicht der Finanz- und Steueroasen zu erfolgen.

die zügige Umsetzung der schwarzen Liste der OECD, auf der Finanzdienstleister mit problematischem Verhalten aufgenommen sind, durch die Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus müssen die internationalen Finanzinstitutionen die Möglichkeit erhalten, eine Nicht-Kooperation der Finanzplätze in ihrer Kreditvergabe zu sanktionieren.

Ethisches Investment, welches neben Rendite, Sicherheit und Liquidität auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt, ist zu fördern.

Europäische und internationale Gewerkschaftsarbeit ausbauen Der Erhalt und der Ausbau des europäischen Sozialmodells sind das Ziel der europäischen Gewerkschaftsarbeit. Gemeinsam mit dem EGB wird der DGB eine Initiative entwickeln, mit der demokratische Mitbestimmung gestärkt und auf europäischer Ebene ausgestaltet und weiterentwickelt wird. Dazu sind vor allem die Beratungs- und Mitwirkungsrechte der Euro-Betriebsräte auszubauen und wirkungsvolle Voraussetzungen für die Umsetzung der Mitbestimmung in den Unternehmen zu schaffen. Der DGB muss mit den europäischen Gewerkschaften versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, das europäische Sozial- und Ökologiemodell deutlich zu verbessern. Der Prozess der EU-Erweiterung ist zu unterstützen und es muss darauf hingewirkt werden, dass die sozialen und ökologischen Interessen der Menschen in den Mitglieds- und Beitrittsländern besondere Beachtung finden. Aber auch auf internationaler Ebene müssen Gewerkschaften mehr Durchschlagskraft erlangen, um den Prozess der Globalisierung mitgestalten zu können:

Die internationalen Gewerkschaftsorganisationen sind durch die Entwicklung gemeinsamer Aktionen und Kampagnen zu stärken. Dabei sind Gewerkschaften aus Entwicklungsländern stärker als bisher in die internationalen Gewerkschaftsorganisationen einzubinden.

Die Gewerkschaften müssen aber auch strategische Bündnisse und Kooperationen mit Nichtregierungsorganisationen (Umweltorganisationen, Entwicklungshilfeorganisationen, Basisinitiativen etc.) suchen, um gemeinsame Ziele besser umsetzen zu können.

In der globalisierten Welt fallen immer mehr Entscheidungen im Rahmen europaweiter und transkontinentaler Konzerne. Die Gewerkschaften müssen ihr Profil auch als international aktive Interessenvertretung schärfen. Auf Unternehmensebene sind sogenannte Codes of Conducts, d. h. Verhaltensregeln für soziale und ökologische Mindeststandards, zu vereinbaren.

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ANTRAG 56: IG BAUEN-AGRAR-UMWELT EU-OSTERWEITERUNG, EIN EUROPA DES FRIEDENS, DER DEMOKRATIE UND SOZIALEN FORTSCHRITTS

Antrag ist angenommen mit folgenden Änderungen in Absatz 1, 3, 4, 5, 6 (gestrichen), 7, 10, 11, 12 und 13 (ersatzlos gestrichen). Ein halbes Jahrhundert nach Beendigung des zweiten Weltkrieges bietet sich die einmalige historische Chance, die Völker Europas auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer Grundwerte zu vereinigen. Dies dient der Sicherung des Friedens, der politischen Stabilität in Europa und trägt zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bei. Die Völker Mittel- und Osteuropas selbst haben Diktaturen abgeschüttelt und damit ihren Willen bekundet, der Europäischen Union anzugehören. Ohne sie bliebe die europäische Einigung unvollständig. Der Erweiterungsprozess wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union und der Beitrittsländer ihn unterstützen. Dazu bedarf es vor allem einer Beteiligung der Gewerkschaften auf europäischer und nationaler Ebene. Für diese Politik gibt es im wesentlichen zwei Ansatzpunkte. Der eine liegt in der Einflussnahme auf die „große“ Politik vor Beitritt der neuen Länder in die Europäische Union. Der andere liegt in unserer eigenen Herangehensweise als Gewerkschaft an die neue Situation. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern werden häufig trotz teilweise hoher formaler Qualifikation in Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationsanforderungen eingesetzt, weil ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen. Aus den Erfahrungen mit der Süderweiterung der EU wissen wir, dass sich die Unternehmen gezielter Strategien des Anwerbens von Arbeitskräften in deren Herkunftsländern bedienen. Als Interessenvertretung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen wir dieses Feld nicht ausschließlich der unternehmerischen Entscheidung überlassen. Wir brauchen eine übergreifende Regelung der Zuwanderung, bis die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreizügigkeit nach ausreichenden Übergangsfristen für die Beitrittsländer hergestellt ist. Was wir aber verhindern wollen, sind ruinöse Wettbewerbsverhältnisse. Diese führen letzten Endes dazu, dass Arbeitsbedingungen einschließlich Entlohnung untergehen und – dass gleich, ob es einheimische oder ausländische Arbeitnehmer trifft – niemand mehr in diesen Branchen arbeiten kann. Daher brauchen wir ein Lenkungsinstrument, das unabhängig von Arbeitgeberinteressen die Rekrutierung und Wanderung der Arbeitnehmer regelt. Besonders die Grenzregionen werden im Rahmen der EUErweiterung vor neuen Herausforderungen stehen. Sie werden praktisch zu "Bewährungsregionen" für das Gelingen des Beitrittsprozesses. Durch gezielte Maßnahmen wie ein verstärkter Infrastrukturausbau, eine enge Zusammenarbeit in Bildung und Forschung, die Entwicklung von Dienstleistungen sowie im Aufbau von Kooperationsstrukturen bei Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern, kommunalen Gebietskörperschaften und Wirtschafts- und Sozialverbänden könnte eine Sogwirkung für neue Arbeitsplätze, beidseitig der Grenze, entstehen. Die Grundlagen, die durch die Arbeit der interregionalen Gewerkschaftsräte gelegt wurden, müssen unterstützt und weiterentwickelt werden. Es ist wünschenswert, in Zukunft gewerkschaftliche Regionen entstehen zu lassen, die auf die nationalen Grenzen keine Rücksicht mehr nehmen. Für diese Art der Zusammenarbeit müssen nationale Dünkel und Vorbehalte abgebaut werden. Gewerkschaftliche Arbeit wird dann in einer solchen Region als europäisch erfahren werden können, weil sie sich auf die gemeinsamen Erfahrungen der in dieser Region beschäftigten Arbeitnehmer stützt. Kommunikation ist der Schlüssel hin zu einer Europäisierung unserer Gewerkschaft. Es geht darum, die Sorgen unserer Mitglieder wie auch die der Beitrittsländer ernst zu nehmen, und in einem funktionierenden Dialog gemeinsame Lösungen zu finden. Dieser Prozess muss schnellstens eingeleitet werden, um die Arbeitnehmer aus den potentiellen Beitrittsländern auf die künftigen Umstrukturierungen vorzubereiten. Es ist bereits im Vorfeld der Osterweiterung wichtig und nützlich, partnerschaftliche Signale an die zukünftigen Kooperationsgewerkschaften zu geben. Das Ziel unserer grenzüberschreitenden Gewerkschaftsarbeit muss sein, die Probleme der Kolleginnen und Kollegen zu erkennen und dort Regelungen zu treffen, wo es notwendig und machbar ist. Dazu bedarf es der Zusammenarbeit aller Beteiligten. Grenzüberschreitende Gewerkschaftsmaßnahmen und Aktionen werden in Zukunft genauso wichtig sein wie Aktivitäten auf dem nationalen Sektor. Nun sind aber noch längst nicht in jedem Beitrittsland die sozialen Rahmenbedingungen für die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit fest verankert. Wir fordern in diesem Zusammenhang erneut, die Angleichung der sozialen Rechte als zentrales Kriterium für den Fortschritt im Beitrittsprozess heranzuziehen. Wir müssen in Zukunft mehr Wert darauf legen, dass Gewerkschaftspolitik ihr Augenmerk nicht nur auf die nationalen Belange richtet.

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ANTRAG 79: VEREINIGTE DIENSTLEISTUNGSGESELLSCHAFT E.V. (VER.DI) ARBEITSRECHT ZUKUNFTSWEISEND GESTALTEN

Antrag ist angenommen. Die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, die verstärkte Internationalisierung der Arbeitsteilung und der Weg in die Informationsgesellschaft wirken auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten zurück. Umstrukturierungen und neue Formen der Kooperationen im privaten und öffentlichen Bereich, die Privatisierung von staatlichen Einrichtungen und Verwaltungen, der Einsatz neuer Managementmethoden und ganzheitlicher Rationalisierungskonzepte führen zu erheblichen Veränderungen in der Arbeitswelt. Diese Entwicklungen sind nach wie vor eine große Herausforderung an die Politik und den Sozialstaat. Soll der Sozialstaat nicht im Wettbewerb der Märkte untergehen, muss die Politik das Sozialstaatsgebot in der Verfassung ernst nehmen und dafür sorgen, dass die Vorbedingungen für soziale Gerechtigkeit durch das errungene Arbeits- und Sozialrecht bestehen bleiben, soziale Ungerechtigkeiten abgebaut und der Schutz der Beschäftigten kontinuierlich weiter entwickelt wird. Die bisherige Politik der Bundesregierung hat wesentliche Verschlechterungen der Vorgängerregierung in den arbeits- und angrenzenden sozialrechtlichen Regelungen in den so genannten Korrekturgesetzen zurückgenommen. Darüber hinaus wurden die Arbeitnehmerrechte verbessert durch den generellen Teilzeitanspruch sowie für Erziehungsurlaubsberechtigte und Schwerbehinderte und die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und viele kleinere Gesetzesänderungen. Zwar sind einige Neuregelungen, wie die zur befristeten Beschäftigung nicht zufriedenstellend. Die Anzahl der positiven Veränderungen weist aber in die richtige Richtung. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. I. Sicherung und Stärkung der Tarifautonomie Mit der Tarifautonomie ist untrennbar das Recht auf freie Gestaltung von Tarifverträgen verbunden. Dies gilt es zu sichern und zu stärken. In diesem Zusammenhang sind im einzelnen unverzichtbar

die Verbindlichkeit und Unabdingbarkeit vereinbarter tarifvertraglicher Regelungen,

der Vorrang der Rechtssetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien im Verhältnis zu den Betriebsparteien,

die Abwehr aller Bestrebungen auf Einschränkung gewerkschaftlicher Betätigungsfreiheit,

die gesetzliche Verankerung eines Verbandsklagerechts der Gewerkschaften gegen Tarifbruch und den Verstoß gesetzlicher Mindestarbeitsbedingungen sowie

die Sicherung und der Ausbau des Streikrechts. Die Änderung von § 146 SGB III (§116 AFG) ist überfällig. II. Fortschrittliches Arbeitsvertragsgesetz muss neuen Schutzbedürftigkeiten Rechnung tragen Die Umbrüche in der Arbeitswelt machen ein transparentes und fortschrittliches Arbeitsvertragsgesetz erforderlich. Die bestehende Zersplitterung im Individualarbeitsrecht ist durch eine in sich abgestimmte und vollständige gesetzliche Regelung aufzuheben. Die grundsätzlichen Begrifflichkeiten im Arbeitsrecht sind zukunftsweisend zu fassen. Neue Formen der Schutzbedürftigkeit müssen vom Gesetzgeber dem herkömmlichen Arbeitnehmerbegriff gleichgestellt werden. Insbesondere gehört zu einem fortschrittlichen Arbeitsvertragsgesetz: 1. Grundrechte im Betrieb und Verwaltung besser wahrnehmen können Die Grundrechte müssen von den abhängig Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen tatsächlich und frei von Sanktionen ausgeübt werden können. So sind z.B. freie Meinungsäußerung in Betrieb und Verwaltung für alle Beschäftigtengruppen, auch in Tendenzbetrieben, eine wesentliche Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Gewerkschaftliche Betätigung ohne Benachteiligung sowie die Ausübung von Ehrenämtern ohne Benachteiligung sind in den einzelnen Gesetzen noch ausdrücklicher als bisher zu verankern. 2. Arbeitszeitrecht verbessern Das seit dem 1. Juli 1994 geltende arbeitnehmer- und familienfeindliche Arbeitszeitgesetz ist grundlegend zu verbessern und den heutigen gesundheits-, familien-, frauen- und gesellschaftspolitischen Anforderungen anzupassen. Die bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie ist besser als bisher zu ermöglichen. Insbesondere ist auch eine Einschränkung der Mehrarbeit und ihre Gestattung nur bei dringenden Ausnahmefällen und bei gleichzeitiger Abgeltungsmöglichkeit durch Freizeit vorzusehen. Nacht- und Schichtarbeit sind ebenfalls auf Ausnahmefälle zu begrenzen und auch die Sonn- und Feiertagsarbeit darf nur zugelassen sein, wo sie zur Versorgung der Bevölkerung oder zur Verhütung von Schäden an Produktionseinrichtungen notwendig ist. Entsprechend der

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Rechtsprechung des EuGH ist die ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist, und durch Bereitschaftsdienst Höchstarbeitszeit und Ruhezeitregelungen nicht weiter umgangen werden dürfen. Die gesetzliche Möglichkeit Banken an Feiertagen zu öffnen, muss korrigiert werden. 3. Kündigungsschutz garantieren und Weiterbeschäftigung sichern Dringender denn je ist es, den Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses zu verbessern und Arbeitnehmer gegen den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu schützen. Auch in Kleinbetrieben muss das Kündigungsschutzgesetz gelten, sodass eine Kündigung auch dort nur bei sozialer Rechtfertigung zulässig sein kann. Der Gekündigte muss bei einer ordentlichen Kündigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zu einer gerichtlichen Entscheidung weiterbeschäftigt werden. Zwar soll bei Betriebsänderungen der Erhalt von Arbeitsplätzen und die Sicherung der Beschäftigung vorrangig sein, wo dies aber nicht realisiert werden kann, ist den Entlassenen ein, wenn auch nicht adäquater, Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes durch Zahlung einer Abfindung ohne Anrechnung auf das Arbeitslosengeld zu zahlen. Abfindungen sind bei allen betriebs- und personenbedingten Kündigungen gesetzlich vorzusehen. 4. Altersteilzeit gesetzlich absichern - auch bei Insolvenz Die zunehmende Bedeutung der Altersteilzeit verlangt die gesetzliche Regelung Beschäftigten ab einem bestimmten Lebensalter auf ihren Antrag hin die Möglichkeit einzuräumen, die Arbeitszeit zu reduzieren. Dazu gehört ein einklagbarer Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages. Zudem muss eine sozialrechtliche Absicherung der Arbeitnehmeransprüche gewährleistet sein und durch geeignete Mittel müssen Einkommensverringerungen gemildert werden. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass in den Fällen, in denen Arbeitnehmer im Vorfeld der Altersteilzeit Arbeitszeit "ansparen", eine Insolvenzsicherung solche Anwartschaften absichert. 5. Sozialversicherungspflichtige Teilzeit voranbringen Die Ausweitung von sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit kann auch beschäftigungspolitisch einen Beitrag leisten; damit Teilzeitarbeit gerade in besonderen Lebenslagen, wie etwa zur Kinderbetreuung und Pflege naher Angehöriger tatsächlich ohne langfristige Nachteile aufgenommen wird, ist ein verbindliches Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich zu verankern und die bessere gerichtliche Durchsetzung des Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit, etwa durch einen vorläufig vollstreckbaren Anspruch auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, zu ermöglichen. 6. Befristungen auf sachliche Gründe beschränken Die Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes durch den massiven Abschluss befristeter Arbeitsverträge muss verhindert werden. Befristete Beschäftigungen führen mittelfristig nicht zu einem Beschäftigungszuwachs, sondern gefährden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten insgesamt. Deshalb bedürfen Befristungen grundsätzlich einer sachlichen Rechtfertigung und es ist der Anspruch auf unbefristete Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen oder Konzern verbindlich festzulegen. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur entsprechenden Prüfung ist ebenfalls zu normieren. Sachgrundlose Befristungen sollten ausschließlich aufgrund tarifvertraglicher Regelungen möglich sein. Zumindest die Bildung von Ketten befristeter Arbeitsverträge ohne und mit sachlichem Grund muss gesetzlich ausgeschlossen werden. 7. Arbeitnehmerrechte im Insolvenzfall stärken Die für Arbeitnehmer nachteiligen Regelungen der Insolvenzordnung, die zusammen mit der Reform der Insolvenzordnung in Kraft traten, müssen rückgängig gemacht werden. Die Abkürzung der Kündigungsfrist auf längstens drei Monate bedeutet gerade für ältere Arbeitnehmer eine nicht hinnehmbare Härte und muss in jedem Fall beseitigt werden. Ebenso ist die Beschränkung der Kündigungsschutzrechte und die Einschränkung der Betriebsratsrechte durch nichts gerechtfertigt. 8. Arbeitnehmerhaftung Die Haftung der Arbeitnehmer für Schäden, die sie in Ausübung ihrer Tätigkeit verursacht haben, ist zwar nach der Entscheidung des Großen Senats vom 27.9.1994 eingeschränkt worden. Die Haftungserleichterung ist nicht mehr auf gefahrgeneigte Tätigkeiten beschränkt. Gleichwohl besteht – auch nach der Modernisierung des Schuldrechts - die gewerkschaftliche Forderung weiter, dass die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu begrenzen ist und dass auch bei grober Fahrlässigkeit die Haftung der Höhe nach einzuschränken ist, und ein Monatsgehalt in Ausnahmefällen bis zu zwei Gehältern nicht überschreiten darf.

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ANTRAG 81: BUNDESVORSTAND ZUKUNFTSPROJEKT BILDUNG: EINE WEITERBILDUNGSOFFENSIVE, DAMIT MENSCHEN DIE ZUKUNFT GESTALTEN KÖNNEN

Antrag ist angenommen. 1. Ausgangslage 2. Grundlagen der Weiterbildung 3. Teilnahme an Weiterbildung 4. Allgemeine und politische Weiterbildung – demokratische Basis verbreitern 5. Berufliche Weiterbildung verbessern

5.1. Betriebliche Weiterbildung ausbauen

5.2. Geregelte Weiterbildung fort entwickeln 6. Infrastruktur ausbauen: Zugang – Transparenz – Qualitätssicherung

6.1. Zugang zu Weiterbildung erleichtern

6.2. Transparenz schaffen

6.3. Qualitätssicherung verankern

6.4. Professionalität und Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranche verbessern. 7. Weiterbildung als Aufgabe für Forschung und Lehre 8. Weiterbildungsfinanzierung: heute noch unzulänglich 9. Weiterbildung braucht günstige Rahmenbedingungen 10. Den Dialog führen: Zukunftsinitiative Weiterbildung 1. Ausgangslage Zunehmende wirtschaftliche Verflechtung wie internationale Konkurrenzsituationen, technologische Entwicklung und die demografische Entwicklung mit absehbaren Fachkräfteproblemen in Deutschland sind nur einige Stichworte zur Beschreibung des Strukturwandels, der hohe Qualifikationsanforderungen an die einzelnen Menschen stellt. Auch das Bildungssystem und seine Einrichtungen sind von dem Wandel betroffen. Die Bedeutung lebensbegleitenden Lernens ist national und international inzwischen unbestritten. Bildung ist dabei seit jeher mehr als arbeitsplatzbezogenes Wissen. Bildung soll zur gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Beteiligung und zur aktiven Mitgestaltung befähigen. Bildung fördert die individuelle Entwicklung und die individuellen Chancen, ist persönlichkeitsbildend und persönlichkeitsentwickelnd. Der internationale Vergleichstest PISA belegt, dass unsere Schülerinnen und Schüler in wesentlichen Bereichen schlechter abschneiden als Schülerinnen und Schüler anderer Länder. Der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Schicht ist in Deutschland weit auffälliger als anderswo. Dies ist auch eine Folge unzureichender Bildungsausgaben und sozialer Selektion in unserem Land. Eine besondere Bedeutung hat die Weiterbildung. Ohne lebensbegleitendes Lernen verlieren erworbene Fachkompetenzen immer schneller an Aktualität. Damit verschlechtern sich die Chancen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeitsplatz und Beschäftigungsmöglichkeiten zu erhalten und Berufskarrieren positiv zu gestalten. Hochschulen haben bisher den Bereich lebensbegleitenden Lernens kaum als Forschungs-, Qualifizierungs- und Beratungsaufgabe noch als Auftrag zur Qualifizierung des eigenen Lehrpersonals verstanden. Auch die Ausgestaltung der „Erstausbildung“ Studium in einer Weise, die zu Weiterbildung motiviert, steckt noch in den Anfängen. Schließlich ist die Beteiligung qualifizierter Praktiker an Weiterbildungsangeboten der Hochschulen noch immer die Ausnahme. DGB und Gewerkschaften haben sich kontinuierlich mit eigenen Angeboten umfassend in der beruflichen wie allgemeinen Weiterbildung engagiert.

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Vor diesem Hintergrund muss der Deutsche Gewerkschaftsbund seine Anforderungen an Weiterbildung und seine Vorstellungen über adäquate Weiterbildungsmöglichkeiten überdenken und neu ausrichten. In diesem Wandel bleibt Chancengleichheit unsere bildungspolitische Leitlinie. 2. Grundlagen der Weiterbildung Von dem Ziel des lebenslangen Lernens für alle sind wir noch weit entfernt. Doch wenn es richtig ist, dass die Bereitschaft zu kontinuierlichem Lernen in unserer Gesellschaft über Lebenschancen mehr denn je entscheidet, müssen wir jetzt sicherstellen, dass Betriebe und Öffentliche Hand Zugänge eröffnen und Freiräume für lebensbegleitendes Lernen schaffen. Die Anforderungen an die Organisation von Lernprozessen und an das individuelle Lernverhalten haben sich vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen massiv gewandelt. Weiterbildung wird sich zukünftig stärker an den Nachfragern ausrichten müssen. Das bedeutet auch eine stärkere Ausrichtung an Lernprozessen, weniger an Institutionen. Weiterbildung muss bedürfnis- und bedarfsgerecht sein. Die Lebens- und Arbeitswelt sowie die Lern- und Weiterbildungswelt müssen stärker miteinander verzahnt werden. Wiederentdeckt wird die Einsicht, dass Lernen nicht allein in den dafür vorgesehenen spezifischen Einrichtungen stattfindet, sondern nicht formalisiert in vielen anderen Lebenssituationen: am Arbeitsplatz, in sozialer und gewerkschaftlicher Arbeit, in Musik, Kunst und Sport, ganz zu schweigen von informellem Lernen, das nicht unbedingt beabsichtigt, aber faktisch im Lebensalltag vollzogen wird. Die dabei entwickelten Kompetenzen sind in den gegenwärtigen Strukturen unseres Bildungssystems nicht formalisiert nachweisbar und bisher kaum einbeziehbar. Ein Bildungspass, der Bildungsschritte breit angelegt dokumentiert und kompatibel mit vergleichbaren Bestrebungen im europäischen Ausland sein soll, wäre eine zentrale Hilfestellung. Die zunehmende Bedeutung non-formalen und informellen Lernens und die wachsende individuelle Verantwortung entbindet Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nicht von ihrer Verantwortung. Vielmehr bleibt es deren Aufgabe, den institutionellen Rahmen und die sozialen Bedingungen so zu gestalten, dass den wachsenden Anforderungen entsprochen werden kann und die nötigen Kompetenzen entwickelt werden können. Unternehmen und Weiterbildungsinstitutionen müssen Ressourcen und Angebote bereitstellen. Es ist auch zu verhindern, dass durch forciertes non-formales Lernen formale oder öffentliche Bildungsstrukturen unterlaufen werden. Lernen braucht immer auch Zeit und klar abgegrenzte (Zeit)Räume. Lernen in Institutionen hat auch in Zukunft seine Bedeutung. Längerfristig ist es nach Auffassung des DGB nötig, zu Weiterbildungsstrukturen und Bildungsverläufen zu kommen, die auch inhaltlich bzw. pädagogisch non-formale Lernprozesse einbeziehen. Dies bedeutet in aller Regel auch eine stärkere Individualisierung von Bildungsmaßnahmen, dabei darf aber die soziale Dimension von Lernprozessen nicht ausgeblendet werden. Die Grundlagen für lebenslanges Lernen werden früh gelegt. Wer erfahren hat, dass Lernen Freude und Sinn macht, lernt auch in Ausbildung, Studium und im weiteren Berufsleben gerne und motiviert. Der Kindergarten und die Vorschule haben deshalb ihre besondere Bedeutung, denn Motivation und die Fähigkeit zu kontinuierlichem Lernen entstehen hier. Schlechte Lernerfahrungen prägen ebenso. Wer sich aus Angst vor Misserfolg nicht weiterbildet, bleibt in Zukunft eher auf der Strecke. 3. Teilnahme an Weiterbildung Der allgemeine Anstieg der Weiterbildungsbeteiligung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beteiligung an Weiterbildung sehr unterschiedlich ist. Personen mit niedrigem schulischen Abschluss nahmen 1997 bundesweit nur zu 34 % teil, Beschäftigte mit Abitur zu 65 %. Haben sich 1997 72 % der Beamten an Weiterbildung beteiligt, lag die Teilnahmequote bei den Arbeitern bei 40 %. Die entsprechenden Quoten betrugen bei den Angestellten und Selbständigen 63 % bzw. 55 %. In der allgemeinen Weiterbildung sind Frauen wesentlich stärker präsent, ohne daraus für berufliche oder gesellschaftlich rentierte Aktivitäten Chancen herleiten zu können. Brüche und Hürden im Bildungssystem führen zu systemischen Problemen und strukturellen Benachteiligungen für immer wieder gleiche Bevölkerungsgruppen: trotz besserer schulischer Qualifikationen und guten Abschlüssen in der Erstausbildung bleiben Mädchen und Frauen von weiten

Bereichen beruflicher Weiterbildung ausgeschlossen, die ihnen ein entsprechendes Fortkommen ermöglichen würden. Wer teilzeitbeschäftigt ist oder Familienaufgaben wahrnimmt, ist besonders betroffen;

Migranten sind durch unzulängliche sprachliche und kulturelle Förderung in allen Bildungsabschnitten benachteiligt. Ihre besonderen Kompetenzen werden nur unzureichend anerkannt;

Menschen über 50 nehmen seltener an Weiterbildung teil als jüngere. Offenbar werden ihre Kenntnisse und Erfahrungen zu oft weder geschätzt noch weiterentwickelt;

Personen ohne schulische Abschlüsse und mit niedriger beruflicher Ausbildung sowie nicht-erwerbstätige werden von Weiterbildung fast nicht erreicht.

Benachteiligungen durch Geschlecht, Herkunft, Alter oder Bildungsgang müssen deshalb beseitigt werden.

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Die Green-Card für fehlende Fachkräfte jedweder Art ist für uns keine Lösung. Mehr denn je brauchen Menschen, die für ihre Beschäftigungsfähigkeit selbst Verantwortung übernehmen sollen, individuelle Beratung und Begleitung. Lebensbegleitendes Lernen muss vorschulische und schulische Bildung sowie alle Formen von Erstausbildung und Weiterbildung verknüpfen. Sie bauen aufeinander auf und ergänzen sich. Deshalb fordert der DGB, Erstausbildung und Weiterbildung, berufliche und allgemeine Weiterbildung miteinander zu verzahnen und dies in der Gesetzgebung, der politischen Planung und Steuerung zu berücksichtigen. Eine bundesweite Bildungsberichterstattung muss auch als Grundlage für politisches Handeln diesem Anliegen Rechnung tragen. 4. Allgemeine und politische Weiterbildung – demokratische Basis verbreitern Als Teil lebensbegleitenden Lernens muss allgemeine und politische Weiterbildung die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Teilhabe sowie der individuellen Lebensführung verbessern. Während berufliche oder arbeitsbezogene Bildung boomt, ohne dass sie den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedarfen wirklich gerecht wird, steckt politische Weiterbildung vielfach in der Nachfragekrise, aber auch in finanziellen Engpässen. Nicht allein die Nischensituation der entsprechenden Bildungsurlaubsmaßnahmen ist Ausdruck dieser Situation. Unter dieser Misere leidet vielfach die demokratische Handlungskompetenz von Teilen der Bevölkerung. Politische Weiterbildung auf der Grundlage einer pluralen Trägerstruktur stärkt dem gegenüber die Möglichkeiten für Partizipation in einer demokratischen Gesellschaft, fördert aber auch Toleranz und Offenheit. Sie hilft gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu verstehen, zu reflektieren und aktiv mitzugestalten. Bildungseinrichtungen für allgemeine und politische Weiterbildung müssen auch weiter ein flächendeckendes und plurales Netz von Bildungsangeboten vorhalten können. So sichern sie Auswahlmöglichkeiten für potenzielle TeilnehmerInnen. Sie sind letztlich entscheidende Gewährsträger für Angebotsvielfalt und entsprechend verstärkt zu fördern. Dabei müssen auch die geltenden Bildungsurlaubsregelungen so weiterentwickelt werden, dass sie heutigen Formen sozialen und politischen Engagements mit einbeziehen. Sie müssen mit anderen Formen der Qualifizierungsrechte - zum Beispiel Lernzeitkonten, flexible Freistellungsmöglichkeiten verbunden werden. Zur besseren Orientierung der Nutzer sind prozessbegleitende Bildungs- und Beratungsangebote zu schaffen. 5. Berufliche Weiterbildung verbessern Veränderte Strategien in der Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik (SGB III, Job-Aktiv-Gesetz) sind geeignet, die Abwärts-Spirale aus Arbeitslosigkeit und schrittweiser Dequalifizierung durch passgenaue Förderung künftig zu stoppen. Berufliches Wissen ohne soziale Bezüge ist blindes Spezialistentum ohne gesellschaftlichen Kontext und wird den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft nicht gerecht. Daher sollten über öffentlich geförderte Modellversuche arbeitsbezogene und soziale Kompetenzentwicklung in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise verbunden werden. 5.1 Betriebliche Weiterbildung ausbauen Die Weiterbildung im Betrieb ist zu verbessern und künftig aktiv durch die Beschäftigten und ihre Interessenvertretung mitzugestalten. Weiterbildung muss Teil der Unternehmenskultur werden. Handlungsbedarf liegt hier weiter im Bereich der Gestaltung von Tarifverträgen und im Ausbau von Betriebsvereinbarungen. Um Chancengleichheit von Männern und Frauen zu erreichen, müssen die betrieblichen Akteure gezielt Maßnahmen entwickeln und umsetzen. Die Frauenbeauftragte oder Genderbeauftragte muss beteiligt werden. Externe Gleichstellungsstellen sollen beratend einbezogen werden. Die bisherige betriebliche Weiterbildungspraxis muss auch für die einzelnen Branchen weiterentwickelt werden. Dabei sollten allgemein anerkannte Qualifikationsstandards entwickelt werden, die den Wert einer beruflichen Weiterbildung unabhängiger von der Produktpalette, von dem einzelnen Unternehmen sowie von der momentanen Arbeitsmarktsituation machen. Berufliche Weiterbildung als arbeitsplatznahe Qualifizierung ist grundsätzlich durch die Betriebe und Verwaltungen zu finanzieren. Durch Branchenvereinbarungen müssen auch für Berufspraktiker ohne einschlägige Abschlüsse, für Quereinsteiger, Studienabbrecher und andere Gruppen neue Möglichkeiten zur Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit und zur Nachqualifizierung geschaffen werden. Damit kann ein aktiver Beitrag zur Arbeitsmarktentwicklung und zur Überwindung spezifischen Fachkräftemangels geleistet werden. Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen ermöglichen überprüfbare und gestaltungsfähige kollektive Regelungen einschließlich entsprechender Finanzierungswege in Betrieben und Verwaltungen, die auch bisher weitgehend ausgegrenzte Beschäftigtengruppen einbeziehen. Lernen im Betrieb ist arbeitsnahes Lernen. Es kann eng auf die jeweilige Arbeitssituation bezogen sein, die Vorerfahrungen der Beschäftigten optimal einbeziehen und Schwellenängste gegenüber unbekannten Lernsituationen vermeiden. Deshalb fordert der DGB:

zeitliche Mindestansprüche für Lernphasen auf tarifvertraglicher und gesetzlicher Ebene zu sichern;

Arbeitszeitmodelle zum Kompetenzaufbau der Beschäftigten zu entwickeln;

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die Verpflichtung der Betriebe, bisher benachteiligte Beschäftigtengruppen bei der Weiterbildung bevorzugt zu behandeln;

Arbeitsprozesse lernfreundlich zu gestalten;

die Übernahme von Weiterbildungskosten bei innerbetrieblich angeordneten Maßnahmen durch die Betriebe;

die Bildungsplanung im Unternehmen als Teil der Personal- und Organisationsentwicklung sowie der Unternehmenskultur zu verankern;

betriebliche Weiterbildung auch an der Notwendigkeit beruflicher Mobilität auszurichten;

non-formale Lernprozesse sowie erfahrungsgestütztes Lernen zu berücksichtigen;

Weiterbildungsverbünde, die kleinen und mittleren Unternehmen eine aktive betriebliche Personalentwicklung und Weiterbildungspolitik zu ermöglichen.

5.2 Geregelte Weiterbildung fort entwickeln Anerkannte Abschlüsse für Weiterbildungsmaßnahmen bauen in der Regel auf der beruflichen Erstausbildung auf und bieten zusätzliche Qualifikationen, gerade auch im Sinne des beruflichen Aufstiegs. Ihre Entwicklung und Ausgestaltung ist ein ordnungspolitischer Prozess, um im Konsens zwischen den Sozialpartnern und der Bundesregierung moderne Fortbildungsordnungen zu schaffen. Die rechtlichen Grundlagen sind in einem novellierten Berufsbildungsgesetz weiter zu entwickeln. Den Sozialpartnern obliegt es, Fortbildungsprofile zu entwickeln, die den betrieblichen Bedarfen, aber zugleich auch der Arbeitsmarktmobilität der Beschäftigten zu gute kommen. Daher geht es nicht um kurzlebige Anpassung, sondern um zuverlässige Orientierungen, die einer längerfristigen Praxistauglichkeit standhalten. Deshalb muss der im Bündnis für Arbeit eingeschlagene Weg, möglichst bundesweite gültige Fortbildungsprofile qualitätssicher anzubieten, fortgesetzt werden. Zukünftig wird es auch darum gehen, die gewachsene Bedeutung des informellen und selbstgesteuerten Lernens für die berufliche Ordnungsarbeit zu erschließen. Zugleich muss sich die Ordnungsarbeit der beruflichen Fortbildung stärker als bisher mit den Möglichkeiten des Auf- und Umsteigens im Bildungssystem beschäftigen. Im Kern geht es darum, die qualifikatorische Attraktivität moderner Fortbildungsprofile im dualen System mit den übrigen Qualifikationswegen, insbesondere mit hochschulischen Abschlüssen als gleichwertig voranzubringen und unnötige Barrieren im deutschen Bildungssystem zu überwinden. Hier ist ein zukunftstauglicher Weg für die Berufsbildungspolitik angefangen worden, der zwar erst am Anfang steht, dessen Vorteile jetzt bereits sichtbar werden und mit aller Durchsetzungskraft von DGB und Gewerkschaften vorangebracht werden muss. 6. Infrastruktur ausbauen: Zugang – Transparenz – Qualitätssicherung 6.1 Zugang zu Weiterbildung erleichtern Das Recht auf Weiterbildung ist durch einen Rechtsanspruch auf grundsätzlich offene Zugänge und Lernzeitansprüche zu sichern. Der DGB fordert dazu ein Bundesrahmengesetz für die Weiterbildung und die Novellierung der Weiterbildungsgesetze der Länder zur Sicherung von Mindeststandards für Zugang, Finanzierung, Angebotsbreite, Qualitätssicherung und Transparenz im Weiterbildungssystem. Die erforderlichen Angebote erfolgen in den Regionen. Sie sind orientiert an einer bundesweiten Rahmenplanung, zu entwickeln und mit wirtschafts-, arbeitsmarkt-, technologie- und regionalpolitischen Maßnahmen abzustimmen. Das Konzept der „lernenden Regionen“ ist ein richtiger Ansatz. Zusätzlich fordert der DGB öffentlich finanzierte und gegenüber Bildungsbenachteiligten aktivierende, unterstützende Beratung. Sie ist wohnortnah anzubieten. 6.2 Transparenz schaffen Im Weiterbildungssystem ist mehr Transparenz nötig: es muss im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bildungsberatungskapazitäten künftig möglich sein, leicht zugängliche Informationen zu erhalten über

Weiterbildungsträger und deren Angebote,

spezifische Voraussetzungen,

angestrebte Abschlüsse oder Ergebnisse. Der DGB schlägt daher vor, ein allgemein zugängliches bundesweites unabhängiges Weiterbildungsinformations- und Datenbanksystem aufzubauen, das mit den Beratungsstellen auf regionaler Ebene verbunden ist. Es trägt zur Transparenz des Weiterbildungsangebotes und zur individuellen Entscheidungsfindung bei. Damit kann auch eine Steigerung der Qualität der Weiterbildung und eine Optimierung der Ressourcen erreicht werden. Gewerkschaften, Gleichstellungsstellen und lokale Arbeitsmarktaktivitäten sind zu berücksichtigen.

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6.3 Qualitätssicherung verankern Für die Nutzer muss die Qualität der Weiterbildungsangebote gewährleistet werden. Dies erfolgt durch Festlegung von Qualitätsstandards bezogen auf die Träger und Einrichtungen, die Durchführung und den Erfolg von Weiterbildung. Die Weiterbildungskonzepte sind so anzulegen, dass qualifizierte Teilnahme- bzw. Abschlussbescheinigungen ausgestellt werden können. In der beruflichen und allgemeinen Weiterbildung sollen Abschlüsse und Zertifikate miteinander verknüpfbar sein. Verfahren für die Bewertung und Zertifizierung non-formaler Weiterbildung sind zu erarbeiten und einzuführen. Erforderlich sind klare Mindestanforderungen, eine Evaluation und die Veröffentlichung erworbener Teilqualifikationen in einem Bildungs-Pass. Es ist ein umfassender Teilnehmerschutz sicherzustellen. Die Einhaltung der Qualitätskriterien wird durch sachverständige Gutachter überprüft. Der DGB fordert, die bisherigen Erfahrungen mit „Bildungstest“ zügig auszuwerten und so weiter zu entwickeln, dass sie flächendeckend angewandt werden können. 6.4 Professionalität und Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranche verbessern Für die Qualität des Weiterbildungsangebots ist die Sicherung der Professionalität des Personals ein wichtiges Element. Entsprechend werden Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung der Leitung sowie des haupt- und nebenberuflichen Personals durch Qualitätskriterien festgelegt. Grundlage dafür sollte ein Anerkennungsverfahren sein, in dem fachliche und pädagogische Eignung sowie Berufserfahrung und vertragliche und soziale Sicherung der Lehrkräfte geprüft werden. So heterogen wie die Struktur der Weiterbildungsträger sind die Beschäftigungsbedingungen bei den Trägern. Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist derart unreguliert wie die Weiterbildungsbranche. Dies ist nicht ohne Einfluss auf die Arbeitsbedingungen geblieben. Verlierer sind die Beschäftigten. Nur für einen kleinen Teil bestehen tarifvertraglich gesicherte Arbeitsbedingungen. Jede Schwankung bei den Aufträgen und jede Verschlechterung der öffentlichen Förderpolitik wird auf die Beschäftigten abgewälzt: Die wenigen bestehenden tarifvertraglichen Regelungen sind mit massiven Forderungen nach Abbau der bisherigen tariflichen Standards konfrontiert. Wir verfolgen das Ziel, tarifliche Standards in der Weiterbildungsbranche durchzusetzen. Wir wollen für gesicherte Arbeitsverhältnisse der hauptamtlich Beschäftigten bei Weiterbildungseinrichtungen sorgen und für Teilzeitbeschäftigte bzw. Honorarkräfte verlässliche Vertragsbedingungen erreichen. Alle Beschäftigten brauchen zudem garantierte ausgebaute und regelmäßige Weiterbildungsmöglichkeiten. Dadurch würden die Chancen steigen, den derzeitigen Preiswettbewerb in einen Qualitätswettbewerb zu wandeln. 7. Weiterbildung als Aufgabe für Forschung und Lehre Hochschulen sind vor allem gefordert, ihren gesetzlich festgelegten Weiterbildungsauftrag endlich wahrzunehmen. Angesichts der ungeklärten Fragen des Lernens Erwachsener und dessen curricularer Voraussetzungen ist eine Weiterbildungsforschung aufzubauen, die theoretische, konzeptionelle und modellmäßige Entwicklungen vorantreibt. Auf der Grundlage eines mittelfristigen Programms sollen Bund und Länder die Weiterbildungsforschung fördern. Die vorhandene Weiterbildungsstatistik ist weiter zu entwickeln und auszubauen. Nur dadurch stehen die benötigten Daten über Angebot und Nachfrage sowie der Bildungsbedarfe für die Weiterentwicklung zur Verfügung. Der DGB erwartet, dass die Hochschulen der Weiterbildung einen deutlich erkennbaren Stellenwert einräumen. Das betrifft die Motivation der Studierenden für lebenslanges Lernen, die Lehrangebote, auch für berufsbegleitende oder weiterbildende Studiengänge, die Vernetzung mit Weiterbildungsträgern der Region, der Gewerkschaften und der Wirtschaft und die Weiterbildung des Hochschulpersonals. 8. Weiterbildungsfinanzierung: heute noch unzulänglich Die zunehmende Bedeutung non-formalen und informellen Lernens und die wachsende individuelle Verantwortung entbindet Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nicht von ihrer Verantwortung. Vielmehr bleibt es deren Aufgabe, den institutionellen Rahmen und die sozialen Bedingungen so zu gestalten, dass den wachsenden Anforderungen entsprochen werden kann und die nötigen Kompetenzen entwickelt werden können. Unternehmen und Weiterbildungsinstitutionen müssen Ressourcen und Angebote bereitstellen. Der DGB erwartet deshalb eine Erhöhung der öffentlichen Mittel für Weiterbildung. Wer größere Finanzmittel in Anspruch nimmt, muss klare Zielvereinbarungen zur Qualitätssicherung eingehen, die wirtschaftliche Verwendung nachweisen und Transparenz des Mitteleinsatzes sicherstellen sowie Auskunft über die Nachhaltigkeit der Ergebnisse geben. Politische Weiterbildung mit dem Ziel gesellschaftlicher, demokratischer Beteiligung muss nach Auffassung des DGB in erheblichem Umfang aus öffentlichen Mitteln co-finanziert werden und gehört zu demokratischen Gemeinwesenkosten, die in einer offenen Gesellschaft politisch veranlasst sind. Der DGB erwartet von Bund, Ländern und Kommunen einen deutlichen Ausbau dieser Finanzierung. Die Finanzierung der betrieblichen Weiterbildung bleibt Aufgabe der Unternehmen und Verwaltungen. Weiterbildung, die auf den beruflichen Aufstieg oder den umfassenden Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit abzielt, ist mit Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit und Zuschüssen des Bundes zu fördern („Meister-BAföG“). Erwerbslose müssen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung haben aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit. Für Nicht-Erwerbstätige werden Finanzierungsmöglichkeiten beruflicher Weiterbildung aus

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Steuermitteln geschaffen. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die Arbeitgeberverbände auf, darüber hinausgehende Tarifverträge abzuschließen. 9. Weiterbildung braucht günstige Rahmenbedingungen Chancengleichheit ist unsere bildungspolitische Leitlinie auch für die Weiterbildung. Sie stellt sich nicht von selbst ein. Eher gibt es Tendenzen zur Ausgrenzung von Bildungschancen und damit von Lebenschancen. Der DGB fordert deshalb gesetzliche Regelungen zur Weiterbildung:

durch eine umfassende Novelle des Berufsbildungsgesetzes,

durch ein Bundesgesetz für die berufliche Weiterbildung,

durch die Novellierung der Weiterbildungsgesetze der Länder. Ziel ist die Sicherung von Mindeststandards für Zugang, Finanzierung, Angebotsbreite, Qualitätssicherung und Transparenz im gesamten Weiterbildungssystem. Dabei geht es insbesondere um Zugangssicherung für beide Geschlechter

Herstellung institutioneller Verlässlichkeit,

Qualitätssicherung und Transparenz,

ausgebaute Professionalität des Personals,

Lernzeitansprüche,

Möglichkeiten der Zertifizierung für non-formales Lernen,

Sicherung der Finanzierung sowie

Ausbau und Weiterentwicklung von Weiterbildungsstatistik und –forschung im Sinne umfassender, transparenter Bildungsberichterstattung.

Erweiterte Regelungen zum Bildungsurlaub sind in allen Bundesländern einzuführen, um den individuellen Bildungsanspruch der ArbeitnehmerInnen zu sichern. Der Anspruch auf Bildungsurlaub soll für längerfristige Weiterbildungsangebote verwendbar und inhaltlich breiter genutzt werden können. Ansätze zur Verbindung von Bildungsurlaub mit betrieblichen Weiterbildungskonzepten sowie Angeboten öffentlicher Weiterbildungsveranstalter sollen das Interesse der Beschäftigten an ihrer umfassenden Qualifizierung einbeziehen. 10. Den Dialog führen: Zukunftsinitiative Weiterbildung Der 17. Ordentliche Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes bekräftigt mit diesen Eckpunkten den gesellschaftlichen Diskussionsbedarf über Weiterbildung. Er bietet zudem an, gemeinsam mit anderen relevanten Akteuren Diskussionen, Modellprojekte oder Möglichkeiten zur Bildungsevaluierung zu fördern. Das Ziel des DGB ist dabei, seine Positionen zur Weiterbildung kritisch zu hinterfragen und so weiter zu entwickeln. Gleichzeitig soll die öffentliche Wahrnehmung des Weiterbildungssektors als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verbessert werden - im Sinne von Transparenz, Angebotsbreite und Partizipation. Die wissenschaftliche Aufbereitung soll intensiviert werden, um die Kenntnis von Datenlage und Strukturen zu vertiefen:

Informationen über Weiterbildungsbedarf sind regional, branchenspezifisch oder auch im Hinblick auf die Verhältnisse in den neuen Bundesländern oft noch nicht systematisch aufbereitet,

es gibt vor allem kein umfassendes Weiterbildungsmanagement mit einem universellen Zugang zu allen Trägern, Angeboten oder Finanzierungsmöglichkeiten.

Der DGB-Bundesvorstand wird deshalb beauftragt, im Rahmen einer "Zukunftsinitiative Weiterbildung" Diskussionen und Entwicklungen zu fördern, die über Politik, Träger, Anbieter, Nutzer und Finanziers hinweg zu grundsätzlichen gesellschaftlichen Verabredungen zur Weiterbildung führen.

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ANTRAG 82: GEWERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFTEN, IG METALL DAS 21. JAHRHUNDERT MUSS EIN JAHRHUNDERT DER BILDUNG WERDEN

Antrag ist angenommen. Ohne Bildung ist der Wandel in die Wissensgesellschaft nicht zu bewältigen; der Zugang zu Bildung, Qualifikation und Kompetenzerwerb, das Erlernen von Diskurs- und Konfliktfähigkeit entscheiden über die beruflichen und gesellschaftlichen Chancen jedes einzelnen Menschen und damit indirekt auch über seine Entlohnung und seinen Lebensstandard. Bildung wird in einer zunehmend globalen Welt immer wichtiger. Sprachkompetenzen und interkulturelle Kompetenzen ermöglichen den Menschen unterschiedlicher nationaler Herkunft aufeinander zu zugehen und gemeinsame Interessen zu vertreten. Das Zusammenwachsen der Völker im, geeinten Europa ist ohne Erwerb von Fremdsprachen schwer vorstellbar. Auch die Bildungspolitik entscheidet darüber, ob es gelingt, die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu Beginn des neuen Jahrhunderts, Armut und Arbeitslosigkeit, Klimakatastrophe und Globalisierung, in sozial verantwortlicher Weise zu gestalten. Das gewerkschaftliche Verständnis von Bildungspolitik orientiert sich am Leitbild einer sozial gerechten, demokratischen und ökologisch verantwortlichen Gesellschaft und einer sozial verpflichteten Ökonomie. Die Bildungspolitik ist auf die Emanzipation der Menschen gerichtet in dem doppelten Sinn der sozialen Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie der Entwicklung individueller Fähigkeiten und Kompetenzen. Bildungspolitik ist deshalb Grundlage und Voraussetzung für eine gestaltende Gesellschaftspolitik wie für die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen. Das Bildungsverständnis der Gewerkschaften ist ganzheitlich und umfassend, d.h. es bezieht sich auf die allgemeinen und berufsspezifischen, auf die politischen und kulturellen, auf die methodischen und die musischen Kompetenzen der Arbeitnehmer und ihrer Familien. Bildung verbindet die Befähigung zur kritischen Analyse der sozialen Bedingungen mit dem Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Kenntnissen, die Arbeitswelt und die Gesellschaft sozial und ökologisch zu gestalten. Bildung vermittelt historisches Wissen, soziale und ökologische Gestaltungskompetenz und ist die Voraussetzung für die Entwicklung sozialer Utopie. Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung des fachkundigen und reflexiven Umgangs mit neuen Technologien und neuen Medien. Bildung fördert Beschäftigung. Bildung und Qualifikation tragen zum erfolgreichen Strukturwandel zu einer Arbeitswelt bei, die hohe Produktivität durch Qualifikationsfördernde Arbeit realisiert. Die Innovationsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Betrieben baut auf einem Bildungssystem auf, in dem mathematisch – naturwissenschaftliche, soziale und musische, kulturelle und sprachliche Kompetenzen vermittelt werden. Die individuellen Erwerbschancen verbessern sich mit der Qualität der Ausbildung und den Möglichkeiten der beruflichen und politischen Weiterbildung. Neue Arbeitsformen erfordern ein ständiges Ausbalancieren arbeits- und lebensweltlicher Bedürfnisse. Bildung in der Wissensgesellschaft muss sich stärker als jemals zuvor auf die Entwicklung der Individuen beziehen; deshalb gehören soziales Lernen wie die Förderung personaler Kompetenzen an eine zentrale Stelle der bildungspolitischen Forderungen der Gewerkschaften. Das „Lernen zu lernen“ steht dabei im Vordergrund. Für den Bildungsprozess bedeutet dies, Lehr- und Lernprozesse in den Bildungseinrichtungen und in der Berufsausbildung an dem Ziel auszurichten, soziale und methodische Fähigkeiten ausbilden zu können, berufliche Anforderungen über den unmittelbaren Kontext hinaus interpretieren, sein Handeln einschätzen zu können und in Zusammenhang mit gesellschaftlicher Entwicklung ausrichten zu lernen. Anstelle bloßer Wissensvermittlung wird die Entwicklung fachlicher, politischer, methodischer und sozialer Kompetenzen immer wichtiger. Informelles Lernen in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft nimmt an Bedeutung zu. Eine neue Bildungsreform Die Reformansätze der 60er und 70er Jahre wurden nicht ausreichend realisiert, zum Teil wurden sie in den letzten Jahren sogar deutlich zurück gefahren. Wichtige Ziele aus dieser Zeit sind nach wie vor aktuell; andere sind hinzugekommen. Eine notwendige neue Bildungsreform muss sich deshalb an folgenden Zielen ausrichten:

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Nach wie vor ist das Bildungssystem von hoher sozialer Ungerechtigkeit geprägt. Soziale und nationale Herkunft, Einkommen, Geschlecht, Sprach- und Ausdrucksvermögen bestimmen über die Bildungschancen.

Gleiche Bildungschancen zu realisieren ist und bleibt daher oberstes Ziel von gewerkschaftlicher Bildungspolitik. Dabei geht es den Gewerkschaften nicht allein um formal gleiche Zugangsrechte, sondern auch um die besondere Förderung derjenigen, die in unserer Gesellschaft benachteiligt sind.

Wer die besondere Förderung von Begabungen will, muss auch mit gleichen Anstrengungen die Förderung von Benachteiligten unterstützen, um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht zu gefährden.

Wer „lebenslanges Lernen“ zu einer Realität auch für diejenigen machen will, die bisher von Weiterbildungsprozessen ausgeschlossen sind, muss Weiterbildungsrechte schaffen und die individuelle Förderung ausbauen.

Berufliche und allgemeine Bildung sind bis heute nicht wirklich gleichwertig. Die Abschlüsse, Wechselmöglichkeiten und Übergänge zwischen den Bildungssystemen müssen so gestaltet werden, dass die unterschiedlichen Bildungswege anerkannt werden und ein flexibles, den individuellen Wegen und gesellschaftlichen Bedarfes entsprechendes Bildungssystem entsteht. Die Berufserfahrung muss in Hochschule und Weiterbildung Anerkennung finden.

Die Fortsetzung des dualen Systems in der Berufsausbildung soll im Hochschulbereich erprobt werden. Berufspraktische Anteile sollen in das Studium integriert und durch die Hochschulen wissenschaftlich begleitet werden. Dabei werden die Interessen der Betriebe genauso wie die Eigenständigkeit der Hochschulen respektiert.

In einer zunehmend globalen Welt muss Bildung interkulturelle Kompetenzen vermitteln. Dazu gehört an erster Stelle der Fremdsprachenunterricht auf allen Ebenen des Bildungssystems und schon vom Kleinkindalter ab, die Förderung bilingualer und fremdsprachlicher Lehr- und Lernprozesse in Schule und Hochschule, die Weiterentwicklung muttersprachlicher Kompetenzen, aber auch die Förderung interkultureller Neugier und Toleranz.

Die Globalisierung der Ökonomie kann nur in einem sozial gestalteten Rahmen erfolgreich sein. Interkulturelle Kompetenz schließt daher den Blick auf die sozialen Auswirkungen von neoliberaler Globalisierung ebenso ein wie die Suche nach sozialen und ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten.

„PISA- Studie“ ernst nehmen! Das Bildungssystem in Deutschland ist selektiv und nach wie vor voller Barrieren. Die kürzlich veröffentlichte „PISA- Studie“ hat gezeigt, dass alle erfolgreichen Länder integrative Systeme haben. Deshalb kann die Antwort auf PISA nicht sein, die Barrieren noch höher zu machen und dem Erlernen von Prüfungswissen noch mehr Raum zu geben, wie dies konservative Schulpolitiker fordern und konservativ geführte Landesregierungen wie Hessen in die Tat umsetzen wollen, sondern:

Die Früherziehung muss stärker gefördert werden. Der Kindergarten muss als Teil des gesamten Bildungssystems begriffen werden.

Kinder und Erwachsene mit Lernproblemen müssen bevorzugt gefördert werden.

Besondere Anstrengungen in der Sprachförderung sind für die Kinder aus Migrantenfamilien notwendig.

Die gemeinsame Schulzeit sollte möglichst lange erhalten bleiben, mindestens bis einschließlich dem sechsten Schuljahr sollten Kinder in gemeinsamen Klassen bleiben.

Die Ganztagsschule muss realisiert werden, weil sie den Lernbedürfnissen und - Möglichkeiten der Kinder am nächsten kommt und die gleichberechtigte Berufstätigkeit von Frauen und Männern fördert. Die Gewerkschaften legen Wert darauf, dass die Ganztagsschule mit neuen Formen des Fächer übergreifenden, des Projektunterrichts und des integrierten Unterrichts einhergeht. Starre Unterrichtszeiten im 45-Minutentakt sind aufzulösen.

Die Schulen müssen darin unterstützt werden, eigenständige Profile auszubilden. Dazu gehört eine bessere Verankerung im Stadtteil und die Kooperation im regionalen Umfeld wie Schulübergreifende Formen der Zusammenarbeit z.B. im Fremdsprachenunterricht.

Die Schulen benötigen mehr und besser ausgebildete Lehrer/innen. Ihre Fortbildungsbereitschaft muss gefördert und durch Zielgerichtete Fortbildungsmöglichkeiten unterstützt werden. Im Bildungsbereich muss die Qualitätsentwicklung von Lernstoff und Lehrmethoden selbstverständlicher Bestandteil werden.

Mehr Gewicht der Gewerkschaften auf die Hochschulpolitik Der Anteil akademisch ausgebildeter Arbeitnehmer/innen nimmt zu. Die Gewerkschaften unterstützen deshalb den Ausbau der Hochschulen. Es reicht allerdings nicht aus, nur die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. Angesichts der veränderten individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen gilt es, die Ziele und Inhalte von Studium und Lehre, von Forschung und wissenschaftlicher Weiterbildung zu überprüfen. Dabei müssen neue Formen der Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung entwickelt und erprobt werden.

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Die Hochschulen sind nach wie vor in keinem guten Zustand; es fehlen Sachmittel und Lehrende. Die Ausbildungsgänge sind häufig praxisfern und didaktisch auf einem unzureichenden Niveau. Die Bafög – Reform hat erste Verbesserungen für die soziale Situation der Studierenden erbracht. Weitere Schritte müssen folgen. Die auch der Internationalisierung von Hochschule und Forschung geschuldete Einführung von Bachelor- und Master – Studiengängen werden die Gewerkschaften unterstützen, wenn damit nicht neue Barrieren und Hierarchien in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt begründet werden. Die Differenzierung der Studiengänge wird dann mit vertreten, wenn die Durchlässigkeit zwischen den Studiengängen gewährleistet ist. Eine inhaltliche Studienreform muss mit der Einführung der neuen Studiengänge verbunden werden. Deren Qualität soll durch ein Akkreditierungsverfahren sichergestellt werden, an dem die Gewerkschaften und die Studierenden beteiligt werden müssen. Auf Bundesebene soll der von der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eingesetzte Akkreditierungsrat gemeinsame und transparente Qualitätsstandards für die Arbeit der Akkreditierungsagenturen beschließen. Ziel ist es, die Studienangebote für die Studierenden transparent zu machen. Die Studiengänge müssen insgesamt mehr auf die Anforderungen der Arbeitswelt bezogen werden. Eine unkritische Anpassung an Vorgaben des Beschäftigungssystems darf dabei nicht heraus kommen. Insbesondere die Studiengänge für Ingenieure/innen und Informatiker/innen müssen für arbeitsweltliche, ökologische und gesellschaftliche Fragestellungen geöffnet werden. Praxisphasen und Praktika müssen aufgewertet werden und neben fachlichen auch überfachliche Anteile aufnehmen. Das berufsbegleitende Studium und das duale Studium benötigen einen größeren Anteil. Die Möglichkeiten für Frauen müssen durch geeignete Studienmodelle wie z.B. dem Teilzeitstudium und besondere Förderansätze in den technischen Fächern verbessert werden. Der Hochschulzugang für Berufserfahrene ohne akademischen Abschluss muss sowohl für das Studium als auch für die Weiterbildung verbessert werden. Ausbau der politischen, allgemeinen und kulturellen Weiterbildung Angesichts des tief greifenden Wandels in Arbeitswelt und Gesellschaft muss Bildung die Bedingungen dafür schaffen, dass sich die Menschen politische und soziale Orientierungen erarbeiten können. Deshalb darf der gegenwärtige Diskurs über Weiterbildung nicht auf berufliche Weiterbildung beschränkt bleiben. Die politische, allgemeine und kulturelle Weiterbildung muss durch geeignete Maßnahmen unterstützt und ausgebaut werden. Dazu gehört u.a. die Realisierung von Weiterbildungsansprüchen in den Ländern, die bisher kein Bildungs-urlaubsgesetz haben sowie die konzeptionelle Weiterentwicklung der Bildungsurlaubsgesetze an den gewandelten Bildungsinteressen, Bedürfnissen und Möglichkeiten der Arbeitnehmer/innen. Bildungsansprüche aus den Bildungsurlaubsgesetzen müssen auch im Rahmen Prozessbegleitender Bildungsarbeit und für Bildung und Beratung flexibel genutzt werden können. Politische Weiterbildung muss sich verstärkt um die neuen Interessen und Formen sozialen Engagements bemühen. Notwendig ist auch die Weiterentwicklung integrierter Konzepte politischer und beruflicher Weiterbildung. Die Arbeitsverhältnisse der Wissensgesellschaft verlangen von den Einzelnen gezielte Bildungs- und Berufsplanungen sowie eine Reflexion der Anforderungen in Bezug auf individuelle und familiäre Lebenskonzepte. Hierfür muss auch politische Bildung eine Hilfe geben. Dazu gehört die Förderung sozialer Kompetenzen, aber auch die Bereitstellung von Bildungsberatung. Als wichtige Träger politischer Bildung müssen die Gewerkschaften eigene Anstrengungen im gewerkschaftlichen Bildungsbereich verstärken. Die Gewerkschaften werden in ihren Reihen verstärkte Anstrengungen unternehmen, um den Stellenwert und die Qualität politischer Bildung zu erhöhen. Dies bezieht sich auch auf ihre konzeptionelle Weiterentwicklung. Gezielte Nachwuchsförderung, aufbauende Weiterbildung, maßgeschneiderte Bildung und Beratung und Zukunftswerkstätten sowie die Etablierung von Qualitätsentwicklung sollen hierfür die Elemente sein. Gewerkschaftliche Bildung lebt von der Mitarbeit ehrenamtlicher Kolleginnen und Kollegen. Deshalb müssen Qualifizierungen und Einsatzmöglichkeiten ehrenamtlicher Referenten/ innen weiterentwickelt werden. Qualitätssteigerungen gibt es nicht zum Nulltarif Forderung: 6 Prozent vom BIP Auch wenn eine Vermehrung der Bildungsausgaben allein keine Verbesserung bringt - ohne eine Mittelsteigerung wird es keinen Innovationsschub im Bildungsbereich geben. Die staatlich finanzierten Bildungsausgaben liegen zur Zeit in Deutschland unterhalb des Durchschnitts in den OECD-Ländern. Dies ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, der von den Gewerkschaften nicht hingenommen wird. Bund, Länder und Gemeinden müssen Bildung deutlich mehr Bedeutung und Geld geben.

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Die öffentlichen Bildungsausgaben am BIP sollen von aktuell ca. 4,4 Prozent auf sechs Prozent, mindestens aber auf den Anteil von 1975 (5,5 Prozent) erhöht werden. Die frühe Bildung in Kindertagesstätten und Grundschulen, die Förderung von Benachteiligten und Migranten müssen bei der Mittelvergabe besonders berücksichtigt werden. Um die Bildungsbeteiligung von Menschen aus sozial schwächeren Familien zu erhöhen, soll die staatliche Bildungs- und Ausbildungsförderung ausgebaut werden. Alternative Modelle können hierbei eine Ergänzung sein, wenn sie nicht zu einer weiteren Privilegierung der Besserverdienenden führen. Gebühren für Kindertagesstätten und Ausbildung sind in einem demokratischen, sozialen Rechtsstaat nicht tragbar. Die Bildung muss bis zum ersten berufsbildenden Abschluss generell gebührenfrei sein. Dies betrifft auch die Ausbildung in den Sozial- und Pflegeberufen. Studiengebühren zumindest für das Erststudium und die konsekutiven neuen Studiengänge lehnen die Gewerkschaften ab. Gewerkschaften müssen sich wieder verstärkt in Bildungspolitik einmischen Arbeitnehmer/innen müssen sich wieder verstärkt in Elternbeiräten engagieren. Die Schulpolitik muss in den Gewerkschaften wieder einen größeren Raum einnehmen. Arbeitnehmervertreter/ innen sind entsprechend zu qualifizieren. Die Hochschulen sind Ausbildungsinstitutionen. Deshalb muss auf die gewerkschaftliche Hochschulpolitik mehr Gewicht gelegt werden. Die Präsenz der Gewerkschaften an den Hochschulen ist zu verbessern. Gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung, den Kooperationsstellen Wissenschaft/Arbeitswelt und den Hochschulinformationsbüros ist ein „Wissensmanagement“ zwischen Arbeitswelt und Forschung aufzubauen. Es sind verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, die Studierenden als Mitglieder anzusprechen und zu werben. Dazu gehören Kompetenzen der Gestaltung und Beratung im Bereich der Ausbildung und der Praktika, in Fragen des Berufsübergangs und der Arbeitsverträge ebenso wie eigenständige Seminare und Veranstaltungen für Studierende an den Hochschulen und an den gewerkschaftlichen Bildungsstätten. Die Gewerkschaften werden ihren Einfluss im Akkreditierungsrat und in den Akkreditierungsagenturen verstärken und sich gezielt für Ziele der Studienreform einsetzen. Es wird vorgeschlagen, ein Netzwerk ehrenamtlicher Kollegen/innen einzurichten, die in den Auditierungsverfahren die Interessen der Gewerkschaften vertreten können. Der DGB wird aufgefordert, einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Reform des Bildungssystems zu initiieren. Der DGB-Bundesvorstand wird aufgefordert, im Rahmen eines zu entwickelnden bildungspolitischen Aktionsprogramms alle nötigen Schritte zur Durchsetzung der bildungspolitischen Programmatik zu gestalten.

ANTRAG 83: GEWERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFTEN, IG METALL FÜR EINE BERUFSBILDUNGSREFORM

Antrag angenommen mit Änderungen ab Absatz 1,Absatz 9 Punkte 1, 2, 3 und Absatz 8. Die Mehrheit der Berufsbildungsexperten in Deutschland ist sich darüber einig: eine Reform des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) von 1969 ist nach über 30 Jahren überfällig: Dies auch aufgrund der faktischen Weiterentwicklung und des Zustands der beruflichen Bildung in Deutschland, der spezifischen Entwicklungen in Ostdeutschland und nicht zuletzt auch im Hinblick auf europäische Entwicklungstrends. Die rot-grüne Bundesregierung war bisher nicht bereit, dieses bildungspolitische Vorhaben umzusetzen und hat stattdessen versucht, über das Bündnis für Arbeit einzelne Reformen für die berufliche Erstausbildung und die berufliche Weiterbildung einzuführen. Sozialdemokratische und grüne Bildungspolitiker/Innen im Parlament und Regierung haben wohl befürchtet, dass sich kein Konsens für ein solches Reformprojekt finden lässt und sind – nicht zuletzt vor dem Hintergrund anderer einschlägiger Erfahrungen – vor der damit möglicherweise verbundenen politischen Machtprobe zurückgeschreckt. Auch von Gewerkschaftsseite bestanden zunächst Bedenken gegen eine Novellierung des BBiG dahingehend, dass als Preis für den politischen Konsens über eine solche Reform partielle Verschlechterungen in Kauf genommen werden müssten und gewachsene Beteiligungsrechte der Gewerkschaften möglicherweise eher abgebaut werden könnten.

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Nach Auffassung des DGB müssen diese Argumente durchaus ernst genommen werden, halten jedoch vor dem dringenden Reformbedarf der beruflichen Bildung und damit auch des Berufsbildungsgesetzes letztlich nicht stand. Auch die verschiedenen Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit haben eher die Notwendigkeit bestätigt, Reformen grundsätzlicher anzugehen und sie auch auf der gesetzgeberischen Ebene zu verankern. Die Chancen für eine solche Reform sind insofern gestiegen, als sich inzwischen auch Berufsbildungspolitiker/Innen der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen dafür ausgesprochen haben, dieses Reformwerk in der nächsten Legislaturperiode anzugehen. Auch die zuständige Bundesministerin hatte gegenüber den Gewerkschaften erklärt, dass sie beabsichtigt das BBiG in der kommenden Legislaturperiode zu novellieren. Auf diese Novellierung müssen sich der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften sorgfältig vorbereiten und vor Beginn der gesetzgeberischen Arbeit ihre Vorstellungen diskutiert, erarbeitet und im Konsens vorgelegt haben. Der DGB wird diesen Diskussionsprozess gemeinsam mit den einzelnen Gewerkschaften organisieren, ihn auf den verschiedenen gewerkschaftlichen Ebenen – in den Kreisen, den Berufsbildungsausschüssen, der DGB-Jugend – initiieren und unterstützen und die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam nach außen vertreten. Die einzelnen Gewerkschaften werden diese Aktivitäten parallel in ihren eigenen Entscheidungs- und Willensbildungsstrukturen organisieren, wobei den jeweiligen Jugendorganisationen ein besonderes Gewicht zukommt. Das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses kann hier nicht vorweggenommen werden. Die Delegierten des DGB-Bundeskongress stellen aber fest, dass auch die folgenden inhaltlichen Punkte und Regelungsbereiche Gegenstand einer Novellierung sein müssen: 1. Die Erweiterung des Geltungsbereichs des BBiG. Das BBiG muss insbesondere auch für die vollzeitschulische Ausbildung, Berufsvorbereitende Maßnahmen und für Ausbildungsgänge für den Bereich des Gesundheitswesens gelten. Entsprechende Länderregelungen sind im Berufsbildungsgesetz zusammen zu fassen. Die Berücksichtigung der Vielfalt von privatschulischen Ausbildungen sowie die Überführung solcher Ausbildungsgänge in den Geltungsbereich des BBiG könnte stufenweise erfolgen. 2. Die Doppelfunktion der zuständigen Stellen (Kammern) als öffentlich-rechtliche Institutionen einerseits und Interessenvertretung der Unternehmen andererseits hat sich nicht bewährt. Die Aufgabe der zuständigen Stelle muss langfristig eine neutrale Institution übernehmen, deren Beratungs- und Beschlussorgane drittelparitätisch (Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Hand) besetzt sind. Dem Bundesinstitut für Berufsbildung müssen auf Landesebene Landesinstitute für Berufsbildung zur Seite gestellt werden. Bis dieses Ziel erreicht ist, sollte die Demokratisierung innerhalb bestehender Strukturen vorangetrieben werden. Dazu ist notwendig:

Die Aufgaben und Kompetenzen der zuständigen Stellen im Bereich der beruflichen Bildung deutlich hervorzuheben und sie gegenüber ihrer Lobbyfunktion abzugrenzen.

Die Regelungskompetenzen der Berufsbildungsausschüsse bei den zuständigen Stellen, hinsichtlich der Kontrolle der Ausbildungsbetriebe, sollen auf das Prüfungswesen und die Personal- und Finanzkompetenz ausgeweitet werden.

Die rechtlichen Grundlagen sind so zu ändern, dass die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei Verstoß gegen die Rechte des Berufsbildungsausschusses durch Kammervertreter Klagemöglichkeit erhalten. Auf Landesebene soll ein Schlichter in Konfliktfällen vermitteln.

Erhaltung des Konsensprinzips. Die Delegierten des 17. Ordentlichen Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes fordern den DGB-Bundesvorstand auf, in Kooperation mit den DGB-Bezirken und den Mitgliedern der Berufsbildungsausschüsse Verhandlungen mit den Kammern aufzunehmen mit dem Ziel, in einer Vereinbarung strittige Fragen wie z.B. die Auslegung des § 58 BBiG (wichtige Fragen der beruflichen Bildung) zu klären. 3. Verankerung von Grundsätzen für die Ausbildung, wie unter anderem

den Rechtsanspruch auf eine qualifizierte volle Berufsausbildung für alle jungen Menschen,

Regelungen zur Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung,

Verbesserung der Anschlussfähigkeit einzelner Ausbildungsgänge einschließlich der Berufsausbildungsvorbereitung,

die Anschlussfähigkeit und Anrechenbarkeit erworbener Qualifikationen (wie beispielsweise die Berufsvorbereitenden Maßnahmen),

verbesserte Zugangsmöglichkeiten zu Hochschulen sowie die Durchlässigkeit zur Weiterbildung,

Standards zur Qualitätssicherung für die Ausbildung unter Einbeziehung aller Lernorte.

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4. Einbeziehung der Berufsausbildungsvorbereitung in den Regelungsbereich des BBiG. 5. Neues Finanzierungssystem mit dem Ziel einer Beteiligung aller Betriebe an der Finanzierung der beruflichen Ausbildung. 6. Stärkung der Rolle der Berufsschule, Verbesserung der Lernortkooperation und Funktionsbestimmung der Lernorte. 7. Reform und Demokratisierung des Prüfungswesens. 8. Regelungen für die berufliche Fort- und Weiterbildung unter anderem mit dem Ziel der Verzahnung von Aus- und Weiterbildung; Einführung eines Qualifizierungspasses. 9. Erweiterung der sozialen Standards, wie z.B. zur Anrechnung der Berufsschulzeit auf die Ausbildungszeit. 10. Verbesserung der Berufsbildungsforschung und -statistik sowie des Berufsbildungsberichts. 11. Aufnahme von Bestimmungen zur Europäisierung und Internationalisierung der beruflichen Bildung mit dem Ziel der verbesserten Durchlässigkeit innerhalb Europas. Der DGB wird gemeinsam mit den Einzelgewerkschaften diese Punkte zu einem umfassenden Reformvorschlag konkretisieren, der dann Leitlinie einer entsprechenden Kampagne des DGB sein wird.

ANTRAG 84 (MATERIAL AN DEN BUNDESVORSTAND): GEWERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT ANSTÖßE FÜR NOTWENDIGE BILDUNGSREFORMEN – KONSEQUENZEN AUS PISA

Antrag angenommen als Material an den Bundesvorstand. PISA, die bislang größte internationale Schulleistungsstudie, hat zu einem für die deutsche Bildungspolitik beschämenden Ergebnis geführt. Verglichen mit anderen OECD-Staaten gibt die deutsche Schule einem unakzeptabel hohen Prozentsatz von jungen Menschen nicht die nötigen Voraussetzungen in zentralen Kompetenzen wie Lesefähigkeit, mathematische und naturwissenschaftliche Grundkompetenz. Der Anteil der 15-Jährigen mit niedrigster Lesefähigkeit liegt bei ca. 25%. Auch im Bereich mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundkompetenzen liegen Schüler in Deutschland weit unterhalb des OECD-Durchschnitts. In keinem anderen der untersuchten Industrieländer ist die Leistungsfähigkeit der Schüler und Schülerinnen so stark von der sozialen und familiären Herkunft abhängig wie in Deutschland. Besonders davon betroffen sind Kinder aus Migrantenfamilien. Dem deutschen Bildungssystem gelingt es offenbar nicht, die Nachteile der sozialen Herkunft auch nur annähernd zu kompensieren und somit Chancengleichheit herzustellen. PISA zeigt, dass Länder mit integrativen Bildungssystemen sowohl in der Breite wie auch in der Spitze wesentlich leistungsfähiger sind, als das deutsche hoch selektive System. Der DGB fordert daher von den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern:

Eine klare Analyse der Ergebnisse und Ursachen;

wirksame Maßnahmen für eine Reform des Bildungswesens zu ergreifen, die in folgenden Bereichen Schwerpunkte setzt:

Förderung der Chancengleichheit – Kompensation sozialer und familiär bedingter Benachteiligung,

Ausbau des frühkindlichen Bildungsbereichs,

neue Lern- und Lehrformen mit den Schwerpunkten Individualisierung, Förderung und Integration (Fördern statt Auslesen),

Ausbau von Ganztagsschulen,

Förderung von Bildungsbenachteiligten in der beruflichen Bildung und Weiterbildung,

Ausbau der Mitgestaltungsrechte und Beteiligung von Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften,

Abkehr vom Kürzungskurs und Erhöhung der Bildungsinvestitionen auf mindestens 6,0 % des BIP zur Umsetzung der Reformmaßnahmen.

Bildung muss in Deutschland wieder einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Gesellschaft und des/der Einzelnen erhalten. Dazu werden der DGB, seine Gewerkschaften und deren Mitglieder ihren Beitrag leisten.

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Begründung: Mehr Chancengleichheit bringt mehr Qualität Bildung hat die Aufgabe, alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Lernvoraussetzungen und ihren sozialen Milieus zu fördern. Maßnahmen zur Verbesserung von Chancengleichheit müssen sich gleichermaßen auf Persönlichkeitsbildung, auf gesellschaftliche Teilhabe sowie auf den Zugang zum Arbeitsmarkt beziehen. Weil Bildungschancen Lebenschancen sind, gehören Bemühungen um deutlich weniger Schulverweigerer und Jugendliche ohne Schulabschluss sowie um mehr Jugendliche mit höherwertigen Schulabschlüssen in den Mittelpunkt schulorganisatorischer, materieller und pädagogischer Anstrengungen. Der Benachteiligung von jungen Menschen mit Behinderungen, aus Migrantenfamilien und aus schwierigensozialen Verhältnissen, aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit, kultureller, religiöser und regionaler Herkunft ist mit gezielten Ausgleichsmaßnahmen zu begegnen. Diese müssen bereits im Vorschulbereich wirksam und mit Maßnahmen in Jugend-, Sozial-, Gleichstellungs- und Arbeitsmarktpolitik verbunden werden. Bildung von Anfang an In Deutschland wird die frühkindliche Bildung vernachlässigt. Die in der Regel nur halbtägigen Kindertagesstätten können einen umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht erfüllen. Dieser Auftrag ist jedoch umso wichtiger geworden, je mehr eine familienunfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt die Rolle der Familie verändert hat. Tageseinrichtungen für Kinder sind so auszubauen, dass sie in der Lage sind, den gesetzlich vorgesehenen Bildungsauftrag zu erfüllen. Bund, Länder, Gemeinden und Jugendhilfeträger sollen Vereinbarungen über qualitative Standards und deren Finanzierung treffen. Lebenslanges Lernen beginnt bereits im frühkindlichen Bereich. Defizite, die hier entstehen, können später nur schwer kompensiert werden. Dem tragen zum Beispiel die skandinavischen Länder, die bei PISA zur Spitzengruppe gehören, seit vielen Jahren Rechnung. In Anlehnung an die pre-school in Schweden schlägt der DGB daher vor, über eine neue Art frühkindlicher Bildung in der Kindertagesstätte zu diskutieren. Sie steht vom ersten Lebensjahr bis zum Eintritt in die Schule ganztägig zur Verfügung. Sie ist nicht Vorschule, sondern hat einen eigenen Bildungsauftrag und ein eigenständiges pädagogisches Konzept. Hier werden Kinder individuell gefördert, hier können sie alters angemessen lernen. Die KITA gehört deshalb in das Bildungssystem. Aus Kultusministerien, Schulbehörden und Jugendministerien werden Ministerien für Bildung und Erziehung. Erzieherinnen und Erzieher brauchen für die Erfüllung des Bildungsauftrages- ebenso wie Lehrkräfte - eine pädagogische Ausbildung auf Hochschulniveau. Wie die Schule muss auch die Kindertagesstätte gebührenfrei sein, um allen Kindern den Zugang zu öffnen. Neue Lehr- und Lernformen – Fördern statt Auslesen Die Förderung des einzelnen Kindes und Jugendlichen muss in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit gestellt werden. Statt Notenjagen und Stoffsammeln müssen Kinder lernen, ihren eigenen Lernprozess zu organisieren. Dabei hilft ihnen eine Pädagogik, die neben Basiskompetenzen und Grundwissen Vertrauen und Zuversicht in die eigene Lernfähigkeit vermittelt. Neugier und Spaß am Lernen entstehen durch Problemstellungen mit Bezug zur Lebenswirklichkeit, durch eigeninitiatives, entdeckendes Lernen. Lernkompetenz, Problemlösungs- und Handlungskompetenz sowie soziale Kompetenz sind für die Gegenwart und Zukunft junger Menschen unverzichtbare Bestandteile von Allgemeinbildung. Bereits in den Kindertagesstätten werden individuelle Lernentwicklungspläne in engem Kontakt mit den Eltern angelegt. Sie helfen, Stärken, Schwächen und Neigungen frühzeitig zu erkennen. Sie bilden die Grundlage für eine entsprechende Förderung und die Fortsetzung der pädagogischen Arbeit in den weiterführenden Bildungseinrichtungen. Qualitätsvoller Unterricht zeigt sich an kontinuierlichen Lernzuwächsen für alle - durch individuelle Förderung, nicht durch Lernen im Gleichschritt, dem Messen mit gleicher Elle, dem permanenten Auslesen und Zurückstellen sowie dem Konkurrieren um Noten. Das selektive Schulsystem führt zu sozialer Auslese und verstärkt vorhandene Benachteiligungen. Nicht die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen stehen im Blickpunkt, sondern die Zugehörigkeit zu einer Bildungsanstalt. Kaum ein anderes Land „sortiert“ seine Kinder so früh nach Schularten wie Deutschland. Entgegen dieser Tradition zeigen aber immer mehr Untersuchungen, dass Auslese nicht zur Steigerung von Qualität und zu besseren Schülerleistungen beiträgt, geschweige denn zum Ausgleich von Benachteiligungen. In den besten EU-Ländern der PISA- Studie besuchen die SchülerInnen mindestens bis zum 12. (Belgien und Irland), die meisten jedoch bis zum 16. Lebensjahr gemeinsam eine Schule für alle. Diese Länder zeigen: Eine breite Beteiligung an Bildungsgängen und eine große Zahl höherer Abschlüsse sind sehr wohl zusammen mit einem hohen Leistungsniveau realisierbar. Wer die Qualität unseres Schulsystems verbessern und den skandalösen sozialen Ungleichheiten begegnen will, muss sich intensiv mit den Selektionsmechanismen unseres Schulsystems auseinander setzen. Die Grundsätze des fördernden und individualisierenden Lernens sollen deshalb Maßstab für Schulentwicklung werden. Um alle Talente besser fördern zu können, soll Auslese möglichst durch langes gemeinsames Lernen in integrierten Systemen vermieden werden. Die Lehreraus- und -fortbildung muss nach endlosen Reformdebatten der vergangenen 30 Jahre endlich konkrete Veränderungsschritte einleiten. Pädagogische und diagnostische Kompetenzen müssen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, ebenso wie die frühzeitige Verbindung von theoretischer und praktischer Ausbildung. Fortbildung muss sich an den Bedürfnissen der Schulentwicklung und des individuellen Bedarfs orientieren.

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Lernen braucht Zeit – Ausbau der Ganztagsschulen In der EU haben außer Deutschland nur Griechenland und Österreich keine Ganztagsschulsysteme. Der Ausbau von Ganztagsangeboten für Kinder und Jugendliche gehört für den DGB zu den vorrangig zu lösenden Problemen. Ganztagsschulen werden:

dem Recht von Kindern und Jugendlichen auf Bildung und Erziehung, auf anregende und herausfordernde Freizeitaktivitäten, auf soziales Lernen unter Gleichaltrigen, auf Förderung und Unterstützung,

dem Streben nach Chancengleichheit sowie

dem Recht von Eltern auf Erwerbstätigkeit besser gerecht als das deutsche Halbtagsschulsystem und sind eine wichtige Voraussetzung für Schulreform insgesamt. Gute Ganztagsschulen sind Lern- und Lebensorte, die den starren Vormittagsunterricht im 45-Minuten-Takt überwinden, Lernprozesse rhythmisieren, außerschulische Lernorte und Freizeitaktivitäten einbeziehen, alternative Lernformen wie Projektlernen und altersgemischte Lern- und Freizeitgruppen ermöglichen, selbstständige und eigenverantwortliche Lernprozesse fördern, zusätzliche Interessensgebiete erschließen sowie Stütz- und Fördermaßnahmen einbeziehen. Vor allem durch die Kooperation von Lehrkräften und Sozialpädagogen können neue pädagogische Konzepte und veränderte Bedingungen für den Schulalltag geschaffen werden. Bestehende Ganztagsangebote der Jugendhilfe sind in die Ausbaukonzepte der Ganztagsschulen zu integrieren oder es ist mit ihnen zu kooperieren. Förderung der Bildungsbenachteiligten in der beruflichen Bildung und Weiterbildung Die soziale Selektivität bei Schulerfolg und Schulabschlüssen setzt sich in der beruflichen Bildung und Weiterbildung fort und verstärkt sich dort noch. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bildungsphasen, in die die untersuchten 15-Jährigen eintreten, ein besonderes Gewicht auf die Förderung von Bildungsbenachteiligten im weitesten Sinn setzen. Dazu gehören nicht nur die Fördermaßnahmen in den Benachteiligtenprogrammen über SGB III, sondern auch ergänzende Ausbildungsmaßnahmen im vollzeitschulischen Bereich und in außerbetrieblichen Einrichtungen. Vor dem Hintergrund der durch PISA aufgezeigten Defizite wäre es kontraproduktiv, wenn in den beruflichen Schulen der Bereich der allgemein bildenden Fächer abgebaut wird. Stütz- und Förderprogramme an den beruflichen Schulen, Ausbildungsbegleitende Hilfen für alle Ausbildungsgänge sind wichtiger den je. Der Instrumentalisierung der PISA– Ergebnisse durch die Arbeitgeber ist entschieden entgegenzutreten. Der Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist nicht primär Folge der nachlassenden Leistungen der Jugendlichen, sondern der unzureichenden Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und der spezifischen Situation in Ostdeutschland. PISA darf nicht missbraucht werden zur Legitimierung des Abbaus vollzeitschulischer (Berufsfachschulen) Ausbildungsgänge, nur weil sie teurer sind. Sie nehmen in erhöhtem Maße eine kompensatorische Funktion wahr und müssen qualitativ ausgebaut werden, soweit das betriebliche Angebot nicht ausreicht. Die Spirale fortgesetzter Bildungsbenachteiligung setzt sich insbesondere in der beruflichen Weiterbildung fort. Unzureichende finanzielle und zeitliche Regelungen behindern erneut die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung. Qualität durch Teilhabe Die innerschulischen Akteure - Schulleitung, LehrerInnen, SozialpädagogInnen, weitere MitarbeiterInnen, Schülerinnen und Eltern - sind gemeinsame Träger der Qualitätsentwicklung. Nicht Konkurrenz zwischen Menschen und Schulen, nicht Schulranking und Dauertest, sondern Kooperation und Dialog verbessern Qualität. Schulentwicklung hat nur dann eine Chance, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Schulen müssen deshalb Orte demokratischer Teilhabe und Mitgestaltung - für Lehrer, Eltern und Schüler -werden. Veränderungen der Schul- und Lernorganisation, des Schul- und Unterrichtsalltags sowie des Schullebens insgesamt gelingen nur, wenn sie durch Mitbestimmung Akzeptanz erfahren und Verbindlichkeit bekommen. Dies setzt die kontinuierliche Zusammenarbeit von Lehrern, Eltern und Schülern voraus. Qualität hat ihren Preis: höhere Bildungsinvestitionen Deutschland liegt auch bei den öffentlichen Bildungsinvestitionen im unteren Mittelfeld der OECD-Staaten. Lediglich 4,4 % des BIP werden von Bund, Ländern und Kommunen für Bildung ausgegeben. Grundschulen sind im OECD-Vergleich sowie im Verhältnis zur Sekundarstufe II deutlich unterfinanziert. Bildungsreformen werden nur dann eine Chance haben, wenn Bildungsinvestitionen deutlich erhöht werden. Eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben auf mindestens 6,0 % des BIP verbunden mit der Zielgerichteten Umsetzung der o. a. Reformmaßnahmen ist eine notwendige Grundlage für den Innovationsschub im deutschen Bildungssystem. Der in den östlichen Ländern bereits bestehende und in den westlichen Bundsländern beginnende Rückgang der Kinder- und Schülerzahlen muss deshalb zur qualitativen Verbesserung des Bildungssystems genutzt werden. Dem Ansinnen der Finanzminister, die frei werdenden Mittel zum Stopfen von Haushaltslöchern zu nutzen, ist eine Abfuhr zu erteilen.

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ANTRAG 85 (MATERIAL ZU ANTRAG 82): DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND-BEZIRK BADEN-WÜRTTEMBERG BILDUNG UND AUSBILDUNG ENTSCHEIDEN ÜBER UNSERE ZUKUNFT

Antrag angenommen als Material zu Antrag 82 bis einschließlich des Absatzes “Der Zugang zur Bildung darf nicht von der finanziellen Situation des Einzelnen abhängen.”, Änderung der Überschrift und Änderungen der Absätze 1, 9 und 14. In weit größerem Maße als bisher entscheiden Bildung und Ausbildung über unsere Zukunft. Bildung wird immer wichtiger für die Zuteilung von Lebenschancen und damit zu einem zentralen Element sozialer Gerechtigkeit. Deshalb ist die gerechte Teilhabe an Bildungschancen und damit an Arbeit und Beschäftigung, an Fortschritt und Wohlstand eine zentrale Aufgabenstellung künftiger Bildungspolitik. Insoweit ist es notwendig, eine konkrete Weichenstellung unter Berücksichtigung wichtiger gesellschaftlicher, ökonomischer und sozialer Überlegungen vorzunehmen. Welche Formen der Motivation und Verantwortung der Mitgestaltung und sozialen Gerechtigkeit diesen Weg begleiten werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es gelingt, die Menschen einzubinden statt auszugrenzen, ihre Menschlichkeit Ernst zu nehmen, ihre Gestaltungsfähigkeit einzufordern und in politische Realität umzusetzen. Deshalb orientiert sich die Bildungspolitik der Gewerkschaften am Leitbild einer sozial gerechten, demokratisch und ökologisch verantwortungsbewussten Gesellschaft. Unser Bildungsverständnis orientiert sich am Ziel der Emanzipation der Menschen. Bildung befähigt, das eigene Leben und die Gesellschaft mitzugestalten und ist die Basis für berufliche Existenzsicherung und beruflichen Aufstieg. Das Recht auf Bildung ist ein wesentlicher Bestandteil einer sozialstaatlich orientierten Demokratie. Um dieses Recht zu verwirklichen, reicht es nicht aus, die Infrastruktur für das Pflichtschulsystem bereitzustellen. Frühkindliche Bildung, berufliche Erstausbildung und hochschulische Ausbildung, berufliche, kulturelle Weiterbildung unterliegen ebenfalls der gesellschaftlichen und öffentlichen Kontrolle. Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe mit öffentlicher Verantwortung. Der Staat muss sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zur Bildung haben. Dazu bedarf es der Bereitstellung eines hochentwickelten Bildungssystems und besonderer Maßnahmen zur Beseitigung geschlechterspezifischer, sozialer, regionaler und ethnischer Benachteiligungen. Der Zugang zur Bildung darf nicht von der finanziellen Situation des Einzelnen abhängen. Die Sicherstellung eines ausreichenden, qualifizierten und zukunftsorientierten Ausbildungsplatzangebotes spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Einführung einer Umlagefinanzierung stellt aus gewerkschaftlicher Sicht ein wichtiges Element sowohl für die Sicherstellung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes als auch für die qualitative Weiterentwicklung der beruflichen Bildung dar. Im Hinblick auf den sich abzeichnenden Lehrermangel muss die Berufsschullehrerausbildung neu überdacht werden. Die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen in den Berufsbildungsausschüssen ist völlig unzureichend, wichtige Punkte sind ausgeklammert und die Kammerverwaltungen versuchen darüber hinaus, die Berufsbildungsausschüsse in wesentlichen Fragen zu umgehen. Zur qualitativen Weiterentwicklung der beruflichen Aus- und Fortbildung sind neben der Aktualisierung und Neugestaltung von Ausbildungsordnungen vor allem folgende Punkte umzusetzen und durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen von Bund und Land zu unterstützen. Der 17. Ordentliche DGB-Bundeskongress fordert von der Bundesregierung:

den Einstieg in die gesetzliche Umlagefinanzierung der Berufsausbildung;

die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes;

die Schaffung von integrierten Prüfungssystemen, die mehr den beruflichen Realitäten entsprechen;

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die Schaffung eines Bundesrahmenweiterbildungsgesetzes;

das Recht auf bezahlte Weiterbildungsangebote für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;

die Entwicklung spezieller Weiterbildungsangebote für Benachteiligte sowie für ausländische ArbeitnehmerInnen. Gerade für Benachteiligte sowie Jugendliche mit schulischen und sozialen Defiziten muss eine Integration in eine qualifizierte Berufsausbildung ermöglicht werden. Der Bundeskongress fordert, neben dem flächendeckenden Einsatz von Stütz- und Erweiterungsunterricht, die Einführung von Fördermaßnahmen, die auch Benachteiligten die Möglichkeit zu einem qualifizierten Facharbeiterabschluss geben. Hierfür favorisieren die Gewerkschaften die Modelle, wie sie in Offenburg bzw. wie sie von den Sozialpartnern IG Metall und Südwestmetall durchgeführt werden. Diese Modelle haben den Vorteil, dass die Auszubildenden einen regulären Ausbildungsvertrag über die volle Ausbildung erhalten und die Finanzierung der betrieblichen Ausbildung sowie der tariflichen Ausbildungsvergütung durch den Arbeitgeber erfolgt. Außerdem unterstützt der Bundeskongress auch Initiativen der Tarifpartner, wie z.B. der IG BCE und dem Bundesarbeitgeberverband der Chemie, die das Ziel haben, benachteiligte Jugendliche mit Grundausbildungs- und Förderungslehrgängen in eine qualifizierte Berufsausbildung im dualen System zu integrieren. Ausbildung im Betrieb hat absoluten Vorrang, da die Chancen für eine Übernahme nach der Ausbildung in ein reguläres Ausbildungsverhältnis bei diesen Modellen besser sind, als bei Maßnahmen außerbetrieblicher Träger. Der Bundeskongress erwartet daher im Interesse einer qualifizierten beruflichen Aus- und Weiterbildung, dass die dafür erforderlichen Schritte von der Bundes- und den Landesregierungen umgehend eingeleitet werden.

ANTRAG 87 (MATERIAL ZU ANTRAG 83): BUNDES-JUGENDAUSSCHUSS NOVELLIERUNG BBIG II

Antrag angenommen als Material zu Antrag 83. Um die Ausbildungsqualität zu sichern und weiterhin zu steigern, soll der DGB mit seinen Mitgliedsgewerkschaften darauf hinwirken, dass alle Rahmenbedingungen gesetzlich und tarifvertraglich festgeschrieben bzw. eingehalten werden. Laut § 1 BBiG hat die Berufsausbildung eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Diese hat ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen. Deshalb müssen alle Berufe auf der Grundlage des BBiG erstellt und durch das Duale Ausbildungssystem gesichert werden. Dazu sind besser qualifizierte und mehr hauptamtliche AusbilderInnen notwendig. Um diese Forderungen durchzusetzen, ist eine weiter gehende Mitbestimmung erforderlich. Das BBiG ist im Sinne des Bildungsanspruches der Auszubildenden zu novellieren. Um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Veränderungen der Arbeitswelt zügig und flexibel in vorhandene Ausbildungsordnungen sowie neue Berufsbilder eingearbeitet werden. Wir fordern eine aktive und konsequente Durchsetzung inklusive Bereitstellung der erforderlichen Ausstattung, wobei das Konsensprinzip bei der Entwicklung von Berufen auf keinen Fall ausgehebelt werden darf. Aus unserer Sicht können Schmalspurausbildungen, außerbetriebliche und vollschulische Ausbildungen keine fundierte, qualifizierte Ausbildung ersetzen, weil sie die Berufseinstiegsmöglichkeiten einschränken und oftmals der Weg in den Niedriglohnsektor sind. Die Betriebe und Verwaltungen dürfen nicht aus Ihrer Verantwortung zur qualifizierten Ausbildung entlassen werden. Im Rahmen der Europäisierung fordern wir gemeinsame Ausbildungsstandards, um allen Jugendlichen in Europa eine fundierte und qualifizierte Berufsausbildung zu ermöglichen. Zugleich wird der DGB aufgefordert, gemeinsam mit den Fachabteilungen des DGB und der Mitgliedsgewerkschaften konkrete Veränderungsvorschläge für eine umfassende Novellierung des BBiG zu entwickeln. Dabei müssen – sofern dies nicht bereits kurzfristig erfolgt – u.a. die Interessenvertretungsmöglichkeiten in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten und die Anrechnung der Berufsschulzeiten neu geregelt werden. Sollte eine grundlegende Reform des BBiG in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein, wird der DGB-Bundesvorstand aufgefordert, die Reform des BBiG nach den Bundestagwahlen 2002 zu einem Schwerpunktthema zu machen. Dies beinhaltet insbesondere eine breite Information aller Mitglieder sowie geeignete Mobilisierungsformen (Kampagnen und ähnliches).“

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ANTRAG 89 (MATERIAL ZU ANTRAG 83): IG-METALL ZUKUNFT BERUFLICHE BILDUNG

Antrag angenommen als Material zu Antrag 83. Berufliche Bildung war, ist und bleibt ein zentrales Politik und Handlungsfeld für den Deutschen Gewerkschaftsbund. Berufliche Bildung muss aber auch als grundsätzlicher Aspekt der Betriebs- und Tarifpolitik verstanden und umgesetzt werden. Lebens-, Arbeits- und Einkommenssituation der Menschen sind wesentlich von ihrer Qualifikation bestimmt. Die Qualifikation hat entscheidenden Einfluss auf die individuellen Arbeits-, Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten. Qualifikation hat aber nicht nur eine individuelle, sondern eine eminent (gesellschafts-)politische Bedeutung. In unserem Engagement dürfen wir uns nicht auf die einzelbetriebliche Sichtweise einengen (lassen). Bildung ist dem gesellschaftlichen Ganzen verpflichtet, sie kann emanzipatorischen Charakter haben, muss aber zumindest emanzipatorische Möglichkeiten erschließen. In diesem Sinne geht es nicht um die Anpassung an technische, organisatorische und ökonomische Bedingungen, sondern um die selbstbestimmte Gestaltung dieser Bedingungen. Die Auszubildenden müssen wieder Mittelpunkt berufspolitischer Diskussionen und Anstrengungen werden. Umlagefinanzierung jetzt! Der 17. Ordentliche DGB-Bundeskongress unterstützt das von der Bundesregierung aufgelegte Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (Jump). Es handelt sich dabei aber um ein seit drei Jahren aufgelegtes Notprogramm zur Bewältigung insbesondere fehlender betrieblicher Ausbildungsplätze, das eine langfristige und nachhaltige Regelung wie die Umlagefinanzierung nicht ersetzen kann. Von Januar 1999 bis Juli 2001 nahmen insgesamt bereits 330.000 Jugendliche an Maßnahmen des Sofortprogramms teil, davon lernten über 200.000 in außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen ihren Ausbildungsberuf. Nur wenige Jugendliche konnten in dauerhafte Arbeits- oder betriebliche Ausbildungsverhältnisse vermittelt werden. Ein Großteil von ihnen ist nach Auslaufen der Maßnahme erneut auf den Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt gedrängt worden. Unverändert schlecht ist vor allem die Lage in Ostdeutschland. Immer mehr Jugendliche müssen für einen Ausbildungsplatz ihre Heimat verlassen. Hinzu kommt eine jährlich ansteigende Anzahl von Schulabgängern (Prognose mindestens bis 2007 steigend) - im Jahr 2001 waren dies 925.780. Niemand kann deshalb davon ausgehen, dass die Probleme sich durch die veränderte Demographie von selbst lösen werden. Die Bilanz für drei Jahre rot-grüne Berufsbildungspolitik in Sachen Ausbildungsgarantie weist unverkennbare Mängel auf. Strukturell angelegte Fehlentwicklungen hat die Bundesregierung nicht korrigiert, ihre Aktivitäten zur Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation beschränkten sich grundsätzlich auf zwei Punkte:

Wie schon die Vorgängerregierung appellierte auch Rot-Grün regelmäßig an Unternehmen und Betriebe mehr auszubilden, allerdings genauso ohne durchschlagenden Erfolg.

Fehlende Ausbildungsplätze wurden durch staatlich finanzierte Maßnahmen kompensiert (z.B. Jump). Die Kosten für berufliche Qualifizierung wurden in noch größerem Umfang auf den Steuerzahler umgelegt.

Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge ist heute mit rund 630.000 im vereinten Deutschland sogar niedriger als in den 80er Jahren mit weit über 700.000 allein in Westdeutschland.

Der 17. Ordentliche DGB-Bundeskongress fordert deshalb die Bundesregierung erneut auf, umgehend ein Umlagefinanzierungsgesetz in den Deutschen Bundestag einzubringen. Die Unternehmen dürfen nicht aus ihrer Finanzierungspflicht für die berufliche Bildung entlassen werden. Wer nicht ausbildet, muss zahlen! Angesichts der anhaltend schlechten Ausbildungsplatzsituation steht fest: Eine Politik die auf Appelle an die Wirtschaft setzt, ist gescheitert. Es gibt bisher außer einer Umlagefinanzierung kein Konzept, mit dem die Ausbildungsplatzmisere gelöst werden kann und das bewährte duale System der Berufsausbildung sichert. Eine weitere Zunahme staatlich finanzierter Ausbildung ist nicht hinnehmbar. Bildung, die zentrale Herausforderung der Zukunft! Bildung ermöglicht dem Menschen die volle Entfaltung der eigenen Person und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wir fordern deshalb, endlich eine Chancengleichheit zu verwirklichen, die allen gleiche Zugangsmöglichkeiten im Bildungssystem unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation, dem Geschlecht, der sozialen, regionalen oder ethnischen Herkunft ermöglicht und die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen fördert. Wir fordern die Verwirklichung des Rechts auf Bildung und damit verbunden, ausreichende qualitativ gute Angebote zur vorschulischen und schulischen Bildung, beruflichen Erstausbildung und Hochschulausbildung sowie eine berufliche, kulturelle und politische Weiterbildung. Das Prinzip der Bildungssysteme muss lauten: Förderung statt Auslese! Vorschulische und schulische Ausbildung Der Anspruch auf Bildung, Erziehung und Betreuung muss für alle Kinder in einem Kindergarten ermöglicht werden. Es muss ein Konzept für den Bildungsauftrag des Kindergartens im Bildungssystem entwickelt werden. Bei der Reformierung des Schulsystems muss eine Neubestimmung der Aufgaben der Schulen erfolgen. Im Mittelpunkt des Schulsystems müssen neben dem Erlernen der Kulturtechniken, von Sachkompetenz auch soziale und methodische Kompetenzen stehen. Insbesondere muss das Schulsystem darauf ausgelegt sein, benachteiligte Gruppen wie z.B. ausländische Jugendliche oder schwächere Schüler/ innen zu fördern. Entsprechende Ressourcen sind zur Verfügung zu stellen. Es müssen die Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen geschaffen werden. Die Ergebnisse der PISA-Studie haben unsere Forderungen nachhaltig bekräftigt!

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Das Ziel der Berufsvorbereitung muss bereits in der Schulausbildung stärker verankert werden, damit Schüler die Befähigung erhalten, eine qualifizierte Berufswahl zu treffen. Die Kontakte zur Arbeitswelt müssen früher und intensiver genutzt werden. Betriebe müssen in die Pflicht genommen werden, Praktikumsplätze anzubieten. Die Veränderungen im Schulsystem bedürfen einer Qualifizierung des Lehrpersonals. Ebenso muss die personelle und sachliche Ausstattung der Schulen erheblich verbessert werden. Wir fordern Ganztagsschulangebote, da überwiegend beide Elternteile beruflich tätig sind, bzw. ihnen durch diese Schulangebote die Möglichkeit hierzu eröffnet wird. Berufliche Ausbildung als Basis lebenslangen Lernens Für jeden Menschen muss das Recht auf berufliche Bildung verwirklicht werden. Jedem muss der Zugang zu einer breit angelegten, qualifizierten Ausbildung ermöglicht werden. Durch eine gesetzliche Finanzierungsregelung kann dieses sichergestellt werden. Das duale Berufsbildungssystem hat sich bewährt. Mit grundlegenden Reformen zur beruflichen Bildung muss das duale Berufsbildungssystem stabilisiert und weiterentwickelt werden. Grundlage hierfür sind die folgenden Eckpunkte:

Berufliche Bildung darf nicht betriebswirtschaftlichem Denken untergeordnet werden.

Die Gleichberechtigung von beruflicher und allgemeiner Bildung muss sichergestellt werden. Die Durchlässigkeit zwischen betrieblicher Ausbildung und Hochschulausbildung ist zu erhöhen.

Im Rahmen der Neuordnung ist die Berufsstruktur den aktuellen und zukünftig zu erwartenden Arbeitsplatzanforderungen sowie den technischen, gesellschaftlichen und ökologischen Notwendigkeiten anzupassen. Darüber hinaus bleibt zu berücksichtigen, dass wenn der/die Arbeitnehmer/in nicht mehr nur Objekt technischer und arbeitsorganisatorischer Veränderungen sein soll, sondern aktiv auf die sich entwickelnden Anforderungen reagieren muss, sich seine/ihre Qualifikationen nicht mehr nur aus dem Produktionsprozess ableiten lassen. Vielmehr müssen sie ergänzt werden um eine Dimension, die das Interesse und die Fähigkeit der Arbeitenden zu autonomer, sozialer Gestaltung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen bezeichnet. Im Rahmen dieser Überlegungen gilt es, am Berufsprinzip mit mindestens 3jähriger Ausbildung festzuhalten und auf eine breite schlüsselqualifizierende Grundbildung zu orientieren. Dabei ist die Frage einzubeziehen, ob die Vielzahl bestehender Berufe auf sogenannte Kernberufe reduziert werden können. Konzept der „offenen dynamischen Beruflichkeit“ setzt die Verzahnung von Ausbildung und Weiterbildung i. S. des lebensbegleitenden Lernens voraus.

Hier sind verbindlich und systematisch bundeseinheitlich regulierte Fortbildungszentren und Weiterbildungsbausteine mit einem allgemein anerkannten Zertifizierungssystem notwendig. Mit bundesweit staatlich anerkannten Fortbildungsberufen eröffnen sich Karrierechancen, womit die Berufsbildung im Vergleich zur Allgemeinbildung an Prestige wieder zurückgewinnen könnte. Ein Bundesrahmengesetz und die Novellierung der Weiterbildungsgesetze der Länder zur Sicherung von Mindeststandards für Zugang, Finanzierung, Angebotsbreite, Qualitätssicherung und Transparenz im Weiterbildungssystem ist erforderlich. Parallel zur Modernisierung von Ausbildungsordnungen muss zugleich eine bundeseinheitliche Weiterbildungsordnung, die Lehrgangsinhalte und Prüfungsanforderungen enthält, entwickelt und umgesetzt werden.

Die Entwicklung eines einheitlichen Konzepts zur Förderung von sogenannten Lernschwachen und Menschen mit Behinderung auf der einen und sogenannter Begabter auf der anderen Seite. So sind beispielsweise Zusatzqualifikationen während der Ausbildung solange abzulehnen, wie befürchtet werden muss, dass sich die Situation von Schwächeren dadurch weiter verschlechtert. Ein einheitliches Konzept muss beide Interessen berücksichtigen. Wichtig ist, auf dem Ausbildungsmarkt Benachteiligten den Zugang zu einer qualifizierten mindestens 3jährigen betrieblichen Berufsausbildung zu sichern. Hierzu sind die Einstellungsverfahren und das Ausbildungsplatzangebot durch die betriebliche Interessenvertretungen entsprechend zu beeinflussen. Eine theoriegeminderte Kurzausbildung für sogenannte „praktisch Begabte“, wie sie immer wieder von Kammern und der Wirtschaft gefordert werden, lehnen wir ab. Abgesehen von den negativen Konsequenzen für die „praktisch“ Ausgebildeten (geringe Entlohnung, die Gefahr, in Krisensituationen als erste auf dem Arbeitsmarkt „herauszufallen“ und ein Berufsimage, nur einen Restberuf zu haben) haben mehrere Gutachten herausgefunden, dass die Mehrzahl der Betriebe keinen Bedarf an Mitarbeitern einer neuen Qualifikationsstufe haben.

Moderne Methoden der Aus- und Weiterbildung, wie z. B. Projektausbildung, Lerninseln, Leittext, Lernaufgabenkonzepte, Einsatz von „neuen“ Medien / Multimedia und Internet, Lernende Organisationen usw., müssen verbindlich und flächendeckend zur Anwendung kommen. Hier sind Ausbilder und Trainer entsprechend zu qualifizieren sowie die entsprechenden Voraussetzungen (z. B. Lernmaterialien, Raum etc.) zu schaffen.

Das bisherige Prüfungsverfahren in der Berufsbildung muss grundlegend reformiert und zu einem integralen Bestandteil der Berufsausbildung weiterentwickelt werden. Die jetzigen Prüfungen, in denen lediglich reines Fachwissen abgefragt wird, sind überholt.

Die Berufsschule muss reformiert werden. Die Situation in fast allen Berufsschulen ist zu verbessern. Es muss ausreichend Zeit für die theoretische Ausbildung bestehen. Dabei ist die Sicherstellung des Unterrichts ohne Ausfallstunden durch ausreichend qualifizierte Fachlehrer zu gewährleisten und die Schulstunde als volle Zeitstunde anzurechnen. Zudem ist es notwendig, Berufsschulen finanziell besser auszustatten, da viele Einrichtungen völlig veraltet sind. Die Abstimmung zwischen Berufsschule und betrieblicher Ausbildung muss verbessert werden. Hierzu ist die Verpflichtung zur Lernortkooperation in das Berufsbildungsgesetz aufzunehmen sowie die Umsetzung sicherzustellen. In den Berufsbildungsbericht muss die Situation an den Berufsschulen aufgenommen werden. Die

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wachsende Bedeutung der Schlüsselqualifikationen muss im Berufsschulunterricht berücksichtigt werden. Hierfür müssen auch neue Unterrichtsmethoden eingeführt werden. Allgemeinbildende Fächer und überfachliche Unterrichtsanteile in den Berufsschulen sind unverzichtbar. Sie fördern die Gleichwertigkeit des dualen Systems mit anderen Bildungswegen und verbessern die Durchlässigkeit im Bildungssystem. Englischunterricht muss flächendeckend gewährleistet werden. In Anbetracht wachsender sozialer Probleme an Berufsschulen ist die Einführung eines Ethikunterrichts notwendig, der sich mit den Fragen der Berufs- und Arbeitsethik, der sozialen und ethischen Grundwerte, der Gewalt- und Drogenprävention und der Konfliktbearbeitung befasst. Die Neukonzeption des Sportunterrichts an den Berufsschulen mit dem Ziel, den Gesundheitsschutz zu stärken und mehr Gesundheitsvorsorge zu betreiben, ist erforderlich. Das duale Prinzip der Berufsausbildung gewährleistet eine gute Verknüpfung von Theorie und Praxis, von Reflexion und Alltagserfahrungen. Eine Reduzierung des Berufsschulunterrichtes lehnen wir vor diesem Hintergrund ab.

Der internationale Austausch im Rahmen der Berufsausbildung und die internationale Gestaltung von Ausbildungsabschlüssen müssen ausgeweitet werden.

INITIATIVANTRAG 1: KLAUS ZWICKEL, FRANK BSIRSKE, KLAUS WIESEHÜGEL, JÜRGEN WALTER UND KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN ZUWANDERUNG

Antrag ist angenommen mit Änderungen in Absatz 5. Am 22. März 2002 hat der Bundesrat dem Zuwanderungsgesetz nach einer turbulenten Debatte zugestimmt. Statt einer sachlichen und mit Argumenten geführten Auseinandersetzung um die Neugestaltung der Migrationspolitik standen wahlkampftaktische Überlegungen im Vordergrund. Aus Sicht des DGB besteht - entgegen der Auffassung der Unionsparteien – der eigentliche Skandal nicht im Abstimmungsverfahren, sondern in der Tatsache, dass sich die Unionsparteien einem längst überfälligen Perspektivenwechsel in der Einwanderungs- und Integrationspolitik verweigern. Wider besseren Wissens lehnen sie eine Reform des Ausländer- und Einwanderungsrechts ab und halten – entgegen der tatsächlichen Regelungen – an dem Dogma fest, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert von den Parteien die Rückkehr zu einer konstruktiven Debatte. Er fordert einen Verzicht auf einen Wahlkampf, der auf dem Rücken der Migranten geführt wird und Ängste und Vorurteile in der Bevölkerung nutzt beziehungsweise noch weiter verstärkt. Der notwendige Perspektivenwechsel in der Einwanderungspolitik bedarf der Förderung der Akzeptanz in der Bevölkerung und der Veränderung rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen. Dazu gehören neben der Umsetzung der Nichtdiskriminierungsrichtlinien der EU und einer Veränderung des Ausländerrechts auch Verbesserungen bei der Anerkennung von allgemeinen und beruflichen Qualifikationen. Es besteht die Notwendigkeit zur Eingliederung der deutschen und ausländischen Migranten, die in den letzten Jahren eingewandert sind, in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Deutsche Gewerkschaftsbund setzt sich als Interessenvertretung und als international anerkannte Menschenrechtsorganisation für eine gestaltende Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ein, die folgende Anforderungen erfüllen muss: 1. Die Bundesrepublik Deutschland muss ihre Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte wahrnehmen. Die humanitären Verpflichtungen Deutschlands dürfen nicht eingeschränkt werden. Dabei muss die Aufnahme von Flüchtlingen, die aufgrund nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Gründe verfolgt werden gewährleistet und die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention der UN eingehalten werden. Insbesondere darf keine Aufrechnung der Einwanderung von Arbeitskräften mit der Aufnahme von Flüchtlingen erfolgen. 2. Die Einwanderung aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gründen muss als Teil einer aktiven Arbeitsmarktpolitik gestaltet werden. Daher haben der Abbau der Arbeitslosigkeit und die Aus- und Weiterbildung der in Deutschland lebenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – Vorrang vor der Anwerbung von Arbeitskräften. Bestimmte von besonders hoher Arbeitslosigkeit betroffene Branchen müssen von der Zuwanderung ausgeschlossen werden. 3. Der regulären und auf Dauer angelegten Einwanderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist der Vorzug zu geben, vor dem temporären Einsatz von entsandten Arbeitskräften und der kurzfristigen und befristeten Arbeitskräftezuwanderung. Dies liegt auch im Interesse der Stärkung der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung. 4. Die Steuerung der Einwanderungszahlen ist anhand von mittelfristigen Analysen des Arbeitskräftebedarfs und der wirtschaftlichen Entwicklung vorzunehmen. Bei der Entscheidung über die Einwanderungszahlen sind die Gewerkschaften zu beteiligen. Die Auswahl der Dauereinwanderer soll anhand eines Punktesystems vorgenommen werden.

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5. Eine Zuwanderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Deckung eines kurzfristigen Arbeitskräftebedarfs ist nur in Ausnahmefällen akzeptabel. Sie darf nur dann erfolgen, wenn Arbeitsplätze auf dem nationalen und europäischen Arbeitsmarkt nicht zu besetzen sind. 6. Ein Anspruch auf Familienzusammenführung muss für alle Einwanderergruppen gewährleistet werden. Insbesondere der Nachzug von minderjährigen Kindern darf nicht beschränkt werden. 7. Alle Neueinwanderergruppen muss – unabhängig von den Gründen der Zuwanderung – ein Rechtsanspruch zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen gewährt werden. Das gilt auch für Migranten, die bereits lange in Deutschland leben sowie für die Spätaussiedler. Ziel der Integration ist nicht die Aufgabe der eigenen Kultur, Religion oder Identität sondern die Schaffung von Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen, beruflichen und politischen Leben in Deutschland. Dazu ist ein umfassendes Integrationsprogramm zu entwickeln. Die Finanzierung der Kurse, einschließlich der sozialpädagogischen Beratung müssen von Bund, Ländern und Unternehmen gleichermaßen übernommen werden. 8. Kinder und Jugendliche aus Zuwanderungs-, Spätaussiedler- und Flüchtlingsfamilien müssen unabhängig von ihrem Alter und Aufenthaltsstatus eine intensive und adäquate individuelle Förderung im Bildungssystem erfahren. Das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Zuwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu einer modernen Einwanderungspolitik, auch wenn die Anforderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes nur teilweise erfüllt sind. Insbesondere in folgender Hinsicht besteht Nachbesserungsbedarf:

Die Dauereinwanderung über das Punktesystem muss zum Regelverfahren werden. Die Aufenthaltserlaubnis für die befristete Zuwanderung darf nicht an einen Betrieb, eine bestimmte Tätigkeit oder eine Region gebunden werden.

Statt einer generellen Senkung des Nachzugsalters für Kinder auf das 12. Lebensjahr muss eine Angleichung an den europäischen Standard von 18 Jahren stattfinden.

Die Finanzierung der Integrationsmaßnahmen muss sicher gestellt werden. Fachkräfte und Migranten, die bereits in Deutschland leben, dürfen nicht von der Teilnahme an den Kursen ausgeschlossen bleiben.

Alle Migranten, die bereits länger als 5 Jahre in Deutschland leben, müssen ein Bleiberecht erhalten. In vielen Bereichen sind zur Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes Rechtsverordnungen notwendig und es eröffnet den Ausländerbehörden einen großen Ermessensspielraum, z.B. beim Kindernachzug, bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert eine bundeseinheitliche Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes, die eine Schlechterstellung der bereits in Deutschland lebenden Migranten ausschließt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erwartet von der künftigen Bundesregierung weitere Schritte für eine Harmonisierung der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik. Die Folgen der Dienstleistungsfreiheit für die Tariftreue und für die Sicherung der Arbeitnehmerrechte sowie die Auswirkungen der Erweiterung der Europäischen Union müssen berücksichtigt werden.

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ABÄNDERUNGSANTRAG 6 (ZU ANTRAG 53): WOLFGANG RHODE UND KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN FRIEDEN UND SICHERHEIT IM 21. JAHRHUNDERT

Antrag ist angenommen. Antrag 53 ist dadurch erledigt. […] Für die unmittelbare Zukunft ergeben sich aus Sicht des DGB folgende Handlungsnotwendigkeiten: 1. Konfliktverhütung und Krisenprävention ausbauen

Die seit dem 11. September auf Initiative der USA zustande gekommene globale Allianz gegen den Terror, der neben den Nato- Mitgliedstaaten nicht nur die russische Föderation und China, sondern auch arabische und islamisch geprägte Staaten angehören, muss in eine dauerhafte Allianz für Frieden, weltweite soziale Gerechtigkeit und Entwicklung einmünden.

Die Vereinten Nationen bieten das notwendige Forum für den Aufbau einer solchen universalen Koalition. Sie allein verleihen der Reaktion auf den Terrorismus globale Legitimität und verfügen über die notwendigen politischen Instrumente zur Friedenssicherung und zur Überwindung politischer, ethnischer und religiöser Konflikte.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2001 an Kofi Annan und die UNO belegt die wachsende Bedeutung dieser oft unterschätzten und zu wenig unterstützten Weltorganisation.

Um den gestiegenen Anforderungen an die UNO gerecht zu werden, muss sie finanziell, administrativ und vor allem politisch gestärkt werden. Interne Reformen bei der Arbeitsweise und Zusammensetzung des Sicherheitsrats müssen hinzukommen.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung der Vereinten Nationen und zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ist die Ratifizierung des Statuts von Rom zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs. Militärtribunale sind kein geeignetes Mittel, um die Täter und ihre Hintermänner ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Dem Statut liegt die Überzeugung zugrunde, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine inneren Angelegenheiten einzelner Staaten sind. Der DGB fordert die Regierungen Russlands und der USA auf, sich zu beteiligen.

Die Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle muss weitergeführt werden. Dazu gehört, dass die internationalen Verträge zur Nichtweitergabe von Nuklearwaffen und von Trägerwaffen-Technologien, das Chemiewaffenübereinkommen und das Übereinkommen über biologische Waffen weiterentwickelt werden. Die Ratifizierung des Atomteststopp-Abkommens ist überfällig.

Der nuklearen Abrüstung kommt eine besondere Bedeutung bei. Der DGB begrüßt, dass sich Russland und die Vereinigten Staaten darauf verständigt haben, den Umfang ihrer strategischen müssen folgen.

Der DGB bedauert, dass der ABM-Vertrag (Vertrag von 1972 zwischen den USA und Russland zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen) von den Vereinigten Staaten gekündigt wurde. Das Festhalten der amerikanischen Regierung an einem neuen Raketenabwehrsystem birgt die Gefahr weiterer Aufrüstung in sich und wird von den meisten westeuropäischen Regierungen abgelehnt. Waffenexporte sind deutlich zu vermindern und Initiativen zur Rüstungskonversion zu ergreifen.

Die Bundesregierung muss an der restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands festhalten. Kriegswaffen dürfen nicht in Spannungsgebiete und nicht an Empfängerstaaten geliefert werden, die erwarten lassen, dass sie die Waffen nicht nur zu ihrer legitimen Verteidigung einsetzen. Der Kampf gegen den Terror darf nicht dazu dienen, diese Prinzipien auszuhebeln.

Deutschland hat vor dem Hintergrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Auch für den DGB ist das Existenzrecht Israels unantastbar. Seine Anerkennung und Respektierung durch die Palästinenser sind unabdingbare Voraussetzungen für eine dauerhafte Friedenslösung, ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und ihr Recht auf einen souveränen Staat Palästina. Die Menschen auf beiden Seiten haben das Recht auf ein Leben in Sicherheit und unter gerechten und sozial akzeptablen Lebensverhältnissen. Daher sind alle Kriegshandlungen und Selbstmordkommandos sofort zu beenden. Zur Deeskalation der Gewalt ist dringend eine internationale diplomatische Initiative für eine friedliche Lösung erforderlich, um die vorhandenen UN-Resolutionen umzusetzen und an den bereits vorliegenden Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinesern anzuknüpfen.

Die Lösung von Regionalkonflikten kann nur gelingen, wenn Selbstbestimmungsrecht, Volkssouveränität, sowie Demokratie und Menschenrechte Anwendung finden.

Der DGB setzt sich dafür ein, den interkulturellen Dialog zu intensivieren. Der Austausch zwischen den Kulturen und Religionen ist die einzige Möglichkeit, Feindbilder und Bedrohungsgefühle abzubauen. Dies gilt auch für das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Herkunft in Deutschland.

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2. Globalisierung gerecht gestalten

Armut und Unterentwicklung sind nicht die einzigen Ursachen für den Terrorismus. Aber Hunger und wirtschaftliche und soziale Perspektivlosigkeit tragen dazu bei, dem Terrorismus eine Grundlage zu bieten. Der Kampf gegen den Terrorismus kann ohne Überwindung der weltweiten Armut nicht gewonnen werden.

Die Überwindung des internationalen Terrorismus erfordert grundlegende Änderungen der Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Solidarität und Gerechtigkeit sind auch in einer globalen Welt möglich. Der Prozess der Globalisierung muss aber gestaltet werden und kann und darf nicht nur Finanzmarktakteuren und multinationalen Konzernen überlassen bleiben, das gebieten Moral und Menschlichkeit. Die gerechte Verteilung der Erträge in der Globalisierung ist jetzt zu einer zentralen Forderung einer umfassenden Sicherheitspolitik geworden.

Die nationale und multinationale Entwicklungszusammenarbeit muss stärker zur Konfliktprävention in den Empfängerländern beitragen. Politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität und damit auch Frieden sind ohne verantwortungsvolle Regierungsführung und den Schutz der Menschenrechte nicht denkbar. Hier muss die Entwicklungspolitik ansetzen und den Ausbau und die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen, die Achtung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten, den Zugang zu sozialen Diensten und die Bekämpfung der Korruption in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.

Der DGB unterstützt die von der Bundesregierung auf dem G 8 – Treffen in Köln 1999 eingebrachte Initiative zur Entschuldung der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder und fordert deren zügigere Umsetzung. Die dadurch erzielten Entlastungen müssen vor allem den armen Bevölkerungsschichten zugute kommen.

Entwicklungszusammenarbeit ohne eine konsequente Marktöffnung für die Produkte der Entwicklungsländer verfehlt ihr Ziel. Bereits heute nimmt die Europäische Union fast ein Drittel der Exporte der 48 am wenigsten entwickelten Länder auf. Ziel muss es sein, die Märkte der Europäischen Union, u. a. für Reis und Bananen, stärker für die Produkte dieser Länder zu öffnen. Damit werden sie als Handelspartner aufgewertet und ihre Rolle als Zuwendungsempfänger wird verringert.

Gleichzeitig müssen im Rahmen der Welthandelsorganisation soziale und ökologische Mindeststandards im Welthandel verankert werden. Als soziale Mindeststandards müssen die fünf von der Internationalen Arbeitsorganisation beschlossenen Kernarbeitsnormen gelten.

Die Politik und Funktionsweise des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation müssen transparenter und demokratischer gestaltet werden. Die Menschen in den Entwicklungsländern müssen von Betroffenen zu Beteiligten werden. Das Konzept der Bundesregierung zur ‚Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik’ weist in die richtige Richtung. Es wird zusehends wichtiger, globale Rahmenbedingungen in WTO, IWF, Weltbank und anderen internationalen Regelwerken mitzubestimmen, auch seitens nichtstaatlicher Akteure. Die Übermacht der OECD-Länder in den internationalen Verhandlungssystemen sollte verringert werden. Ziel muss die gleichberechtigte Teilhabe aller Beteiligten sein.

3. Europa international handlungsfähig machen

Die Europäische Union muss heute mehr denn je ihr politisches Gewicht einbringen, um internationale Konfliktlagen auch ohne militärische Gewalt zu lösen. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Weltpolitik und die soziale Gestaltung der Globalisierung müssen Kernstück eines neuen sicherheitspolitischen Denkens in der Europäischen Union werden.

Die Europäische Union muss die Anstrengungen für ein gemeinsames europäisches außen- und sicherheitspolitisches Konzept verstärken. Nur so können die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, im Bündnis und in der westeuropäischen Union sich gemeinsam für eine neue, sozial gerechtere und friedlichere Welt zu engagieren.

Zwischen den militärisch-technischen Möglichkeiten der USA und denen der Europäer liegen Welten. Jetzt die Forderung zu erheben, die Europäer müssten, um ihren Einfluss zu sichern, den USA vergleichbare militärische Fähigkeiten erwerben, ist abwegig. Die Europäische Union muss ihre eigenen Interessen definieren und ihre Ressourcen in den Aufbau von Fähigkeiten investieren, mit denen sich die Ursachen der Konflikte, die sie besonders tangieren, am besten bearbeiten lassen. Europa muss seine Rolle in der internationalen Konfliktbewältigung eigenständig bestimmen, um Perspektiven für die Überwindung von Gewalt zu öffnen. Das Krisenmanagement der EU auf dem Balkan seit dem Stabilitätspakt für Südosteuropa könnte dafür zum zukunftsweisenden Modell werden.

Statt den amerikanischen Unilateralismus zu beklagen, muss sich Europa für solide und neu gestaltete transatlantische Beziehungen engagieren. Die Europäische Union mit ihrer Erfahrung zwischenstaatlicher Kooperation und Integration ist besonders geeignet, der UNO zu dem ihr zustehenden Gewicht für die Sicherung des Weltfriedens zu verhelfen.

Die Europäische Union muss sich ihren Gründungsgedanken als Friedensobjekt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stärker vergegenwärtigen. Nationalismus, Rassismus und Fundamentalismus sind nicht ein für allemal überwunden. Der zunehmende Rechtspopulismus ist eine Herausforderung in Europa. Der Frieden hat auch eine innere Dimension.

Zu einer demokratischen Armee gehören aus Sicht des DGB die Sicherung und Stärkung jener zivilen Elemente innerhalb der Streitkräfte, die bereits in der Vergangenheit ihre demokratische Wirksamkeit bewiesen haben. Das Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“ und die „Innere Führung“ stehen für die Verankerung der Streitkräfte in der Demokratie. Auch bei einer stärkeren Europäisierung muss

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sichergestellt sein, dass die Einbindung der Bundeswehr in eine demokratische Gesellschaft ein wesentliches Element bleibt. Durch die staatsbürgerliche und gewerkschaftliche Betätigung der Soldatinnen und Soldaten, durch eine geregelte Interessenvertretung sowie durch politische Bildung wird die Integration in die Gesellschaft und in die Demokratie gewährleistet.

Der DGB hält es für notwendig, die Reform der Bundeswehr und ihre Aufgabenstellungen, insbesondere auch im Rahmen der NATO, in einer breiten gesellschaftlichen Debatte zu thematisieren. Das außen- und sicherheitspolitische Konzept, in das die zukünftige Rolle der Bundeswehr zu integrieren ist, muss auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhen.

ANLAGE ZU ANTRAG 21: ANTRAG 29 DES 16. ORDENTLICHEN DGB-BUNDESKONGRESSES 1998 IN DÜSSELDORF

Antrag ist angenommen.

Landesbezirk Berlin-Brandenburg: Rechtsextremistische Gewalt und Fremdenfeindlichkeit

Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist besorgt über die anhaltende rechtsextremistische und fremdenfeindliche Gewalt. Besonders auffällig ist hierbei die mancherorts zu beobachtende Gleichgültigkeit, ja sogar klammheimliche Zustimmung von Bürgerinnen und Bürgern anlässlich fremdenfeindlicher Taten. Zu beobachten ist auch, dass solche Gewalttaten immer häufiger von Personen ohne erkennbaren rechtsextremistisch organisierten Hintergrund verübt werden.

Der DGB verurteilt entschieden jede Art von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt. Kein gesellschaftlicher oder persönlicher Umstand kann und darf solche Taten rechtfertigen. Der DGB unterstreicht, dass mehr denn je gilt, “wer zuschaut, macht sich mitschuldig“.

Rassismus und fremdenfeindliche Gewalt sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, das unterschiedliche Ursachen hat. Dazu gehören der massive Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, der Sozialabbau, die Unsicherheit über die Folgen der Erweiterung der Europäischen Union, die Angst vor Kriminalität, sozialer Ausgrenzung und der Zukunft. Die Tatsache, dass es unter den gefassten Gewalttätern und ihren bekannten Drahtziehern aber auch sehr viele gibt, deren wirtschaftliche und soziale Lage nicht unmittelbar existenziell bedroht ist, zeigt, dass es auch übersteigert nationalistische und ethnisch diskriminierende Wertvorstellungen in der Bevölkerung gibt, die sich nicht vordergründig aus ihrer materiellen Situation ableiten lassen.

Der DGB fordert von der Bundesregierung eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik, um Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt den materiellen Boden zu entziehen. Ebenso fordert er die Politiker aller Parteien auf, durch Wort und Tat ein Klima der Toleranz und Achtung der Menschenwürde und Achtung jeglichen Rassismus und fremdenfeindlicher Gewalt zu schaffen. Politikerinnen und Politiker sind aufgerufen, sich in ihren Äußerungen zu mäßigen und in ihrer Wortwahl sorgfältig zu sein. Wir fordern nicht die Tabuisierung von Problemen. Wie aber die Diskussion um die innere Sicherheit und der Ausgang der Bürgerschaftswahlen in Hamburg im Herbst 1997 gezeigt haben, vergiften populistische Reden und das Schüren von Ängsten das gesellschaftliche Klima und geben rechtsextremen Kräften Auftrieb. Im Hinblick auf die Bundestagswahl im Herbst 1998 fordert der DGB alle politischen Parteien auf, rechtspopulistische Reden und ängsteschürende Strategien im Wahlkampf zu unterlassen. Der DGB ist sich bewusst, dass Polizei und Justiz allein Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt nicht bewältigen können. Aber ihr gezielter und entschlossener Einsatz dient nicht nur zur Erfassung und Bestrafung der Straftäter, sie ist auch ein Zeichen dafür, dass Staat und Gesellschaft es ernst meinen mit der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Der DGB stellt fest, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden sind. Rechtsradikale Aufmärsche müssen konsequent verhindert und Straftäter ziemlich zeitnah und hart bestraft werden. Die Bundesregierung, die Landesregierungen, die Kirchen, Jugend-, Sport- und Wohlfahrtsverbände müssen sich ihrer jugendpolitischen Verantwortung stellen. Die Schließung von Jugendfreizeitstätten, der Personalabbau im Bildungs- und Jugendbereich, die Kürzung von Zuschüssen für ehrenamtliche Jugendarbeit überlassen das Feld rechtsextremen Einflüssen. Die Politik der Bundesregierung muss endlich die notwendigen Schlussfolgerungen aus der in den letzten dreißig Jahren stattgefundenen Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland ziehen. Den Menschen weiterhin vorzumachen, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland, die rd. 7 Millionen Menschen nichtdeutscher Herkunft seien nicht Teil unserer Gesellschaft und somit verantwortlich für Missstände, fördert Fremdenfeindlichkeit. Eine neue Politik, die die vollzogene Einwanderung an erkennt, erfordert ein neues Staatsbürgerschafts-, ein Einwanderungs- und ein Anti-Diskriminierungsgesetz. Vorschläge des DGB liegen seit langem vor. Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Maßnahmen zur effektiven Umsetzung des durch Ratifizierung verbindlichen “Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ von 1996 zu ergreifen.

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Die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zu möglichen negativen Folgen der EU-Erweiterung müssen ernst genommen und darauf entsprechend reagiert werden. Hierzu gehören die Transparenz europäischer Entwicklungen und Entscheidungen, die Erweiterung der demokratischen Kontrolle der EU Institutionen, EU-weite Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und insbesondere Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping sowie Scheinselbständigkeit und weitere Formen prekärer Arbeitsverhältnisse. Der DGB unterstreicht die Notwendigkeit des weiteren Bestandes der Mindestlohnregelung und der Einführung einer Haftung für Generalunternehmer. Unternehmer, die den Mindestlohn nicht einhalten, müssen konsequent von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Allerdings befürwortet der DGB den Ausbau und die Erweiterung der Europäischen Union und sieht dazu keine Alternative. Nur diese Entwicklung verhindert den Rückfall in nationalstaatliches Denken und garantiert Frieden und gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt in der Zukunft. Ein so stark exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik ist wirtschaftlich besonders darauf angewiesen. Der DGB unterstützt regionale Bündnisse gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, die gemeinsam mit wichtigen gesellschaftlichen Institutionen, Organisationen und Verbänden dem Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit entgegenwirken. Er ruft alle gewerkschaftlichen Mitglieder dazu auf, sich aktiv für die Wahrung der Menschenwürde und gegen Gewalt und Rassismus, wo auch immer sie auftreten, einzusetzen.

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17. Ordentlicher DGB-Bundeskongress 27.-31.05.2002 in Berlin

KONGRESS – REDEN ANTRAGSBERATUNG

JÖRG C. STEIN SPRECHER DER ANTRAGSBERATUNGSKOMMISSION

ZU ANTRAG 21

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist für mich in meiner Abteilung - so will ich es mal bezeichnen - der schwierigste Antrag, weil wir uns hier durchgerungen haben, diesen Antrag als erledigt zu betrachten, weil wir bereits vor vier Jahren einen Antrag in ähnlicher Form angenommen haben und wir als Antragsberatungskommission der Auffassung sind, dass wir all den vielen Aktivitäten in den Kreisen, in den Bezirken, in den Ländern und den Tausenden von Kolleginnen und Kollegen, die sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen haben, nicht mehr gerecht werden würden und nach draußen das Signal gegeben würde, als wenn die DGB-Mitglieder und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren in dieser Richtung nichts getan hätten. Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir bei dem, was wir als DGB und als Einzelgewerkschaft in dieser Richtung getan haben, so wie bisher weitermachen sollten.

TANJA GLOBIG VEREINIGTE DIENSTLEISTUNGSGESELLSCHAFT E.V. (VER.DI)

ZU ANTRAG 21

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Position Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat sich sicherlich nicht erledigt. Das wollte die Antragsberatungskommission sicherlich auch nicht ausdrücken. Trotzdem können wir ihrer Empfehlung nicht folgen. (Beifall)

Dass der DGB gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist, ist unbestreitbar. Mindestens der Antrag 29 des 16. Bundeskongresses ist Beweis dafür. Einerseits gibt es genügend Beispiele dafür, dass Positionen und Forderungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer wieder erneuert wurden. Vor dem Hintergrund des Rechtsrucks in Europa und einer Ausweitung von rechtspopulistischen Rattenfängern ist es in unseren Augen jedoch notwendig, immer wieder Zeichen gegen Rechts zu setzen. (Beifall)

Darüber hinaus enthält der Antrag konkrete Betätigungsfelder, die nach Auffassung der DGB-Jugend die Haltung der Gewerkschaften deutlich machen.

Liebe Delegierte! Es wären im wahrsten Sinne des Wortes neue Zeiten, wenn sich der Kongress der Meinung der DGB-Jugend anschließen würde und entgegen der Empfehlung der Antragsberatungskommission diesen Antrag annehmen würde. - Danke schön. (Beifall)

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TOBIAS HANSON IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE

ZU ANTRAG 21

Hallo! Auch ich möchte mich dafür aussprechen, dass der Kongress entgegen der Empfehlung der Antragsberatungskommission abstimmt. Es ist zwar richtig, dass es diesen Antrag schon beim letzten Bundeskongress gegeben hat. Aber im DGB ist meiner Meinung nach nicht viel daraus entstanden.

So tagt der Arbeitskreis unter der Leitung des DGB nur noch sporadisch und wenn, dann nur mit geringer Beteiligung. Das ist mir einfach zu wenig.

Das Thema Extremismus ist aktueller denn je. So haben wir in der IG BCE eine Kampagne ins Leben gerufen mit dem Titel „Wir stehen auf Toleranz“. Diese Kampagne hat das Ziel, das Thema Toleranz zu einem ständigen Thema zu machen. So umfasst diese Kampagne einen Kreativwettbewerb, an dem sich Einzelpersonen oder Firmen - eigentlich ist es egal, wer das tut - aktiv an dem Thema Toleranz beteiligen können. Denn wir glauben, nur durch eine aktive Beteiligung und das ständige Arbeiten mit den Begriffen Toleranz usw. ist es möglich, die Leute davon zu überzeugen, dass Toleranz wichtig und Rechtsextremismus scheiße ist. (Beifall)

Diese Kampagne hat nämlich auch das Ziel, nicht nur über das Thema Rechtsextremismus zu sprechen, wenn es mal wieder von den Medien entdeckt worden ist. Daher sollte der Antrag dazu genutzt werden, eine neue Diskussion im DGB zum Thema Extremismus anzustoßen und gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie es eine kontinuierliche Arbeit an dem Thema im DGB geben kann.

Ich möchte mit einem kleinen gelebten Spruch an meine Gewerkschaft enden: Tu‘ was, dann tut sich was. - Glückauf. (Lebhafter Beifall)

CLAUDIA WÖRMANN-ADAM VEREINIGTE DIENSTLEISTUNGSGESELLSCHAFT E.V. (VER.DI)

ZU ANTRAG 21

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich jetzt zu euch zu dem Thema existenzsicherndes Mindesteinkommen spreche, dann spreche ich dazu aus zwei unterschiedlichen Erfahren heraus.

Ich war von Anfang der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre DGB-Kreis-Frauenausschussvorsitzende in Köln und habe damals schon damit begonnen, mich heftig mit der Thematik der so genannten ungeschützten Arbeitsverhältnisse auseinander zu setzen. Die haben mich auch in meiner Betriebsratstätigkeit durchgehend begleitet innerhalb des DGB und innerhalb der früheren ÖTV, jetzt ver.di. Immer zog sich wie ein roter Faden nicht nur die Frage der ganz ungeschützten Arbeitsverhältnisse, nämlich der befristeten legalen und illegalen Leiharbeit und ähnliche Geschichten durch, sondern auch die Frage: Können die Menschen mit dem, was sie bekommen, überhaupt existieren? Existenz möchte ich dabei ganz im Sinne wie auch mein Kollege Vorredner dahin gehend definieren, nicht nur ein Dach über dem Kopf zu haben, etwas zum Anziehen und etwas zu Essen und zu Trinken, sondern auch Existenz im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe an Kulturveranstaltungen, an Freizeitveranstaltungen, an Sport, was immer man persönlich auch benötigt oder was zum Beispiel auch die Kinder benötigen, um sich entsprechend darstellen und mitwirken zu können. Vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich Stellung nehmen.

Was bedeuten denn 1500 Euro, würden wir sie umrechnen in Lohn? Wenn man auf Stundenbasis arbeiten würde, hätten wir eine Stundenlohnbasis, vorausgesetzt, wir hätten eine 38-Stunden-Woche, von 9,18 Euro.

Welche Berufsgruppen gibt es, die deutlich darunter liegen? Auch das hat mein Vorredner schon kurz erwähnt. Er hat Bereiche wie Gastronomie und Hotel genannt, die dafür typisch sind. Ich ergänze dazu den Bereich Verkäufer und Verkäuferinnen und den Bereich der Frisörinnen und Frisöre. Ich denke auch an die BAT-Ost-Gehälter. Man denkt ja vielfach, die Menschen, die im Bereich des öffentlichen Dienstes arbeiten, haben es gut und sind gut abgesichert. Die niedrigen Einkommensgrenzen des Tarifs BAT Ost sind vielleicht nicht allen Delegierten bekannt; aber die liegen weit unter 1500 Euro.

Genauso gehört dazu ein Bereich, auf dessen Feld ich tätig bin, nämlich das Bewachungsgewerbe. Das gehört zu dem Bereich, der bei uns in ver.di in den so genannten sonstigen Dienstleistungen mit vertreten ist. Dazu gehören auch Lkw-Fahrer, aber auch Arzthelferinnen und viele andere mehr. Ich möchte dies an zwei Beispielen ganz konkret machen.

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Im Frisörhandwerk hier in Berlin verdienen Kolleginnen und Kollegen nach dem zweiten Berufsjahr, also nicht als Anfängerinnen, sondern nach dem zweiten Berufsjahr als Gesellinnen 850 Euro plus 8 Prozent vom Umsatz. In Sachsen sind es 650 Euro plus 30 Prozent vom Umsatz, wenn denn der Umsatz pro Angestellte 1750 Euro im Monat überschreitet.

Im Bewachungsgewerbe gibt es ganz andere Dimensionen. Im Bewachungsgewerbe beginnt der Tarifsatz bei 4,12 Euro in Thüringen und 4,46 Euro in Brandenburg. Das sind Dimensionen, die muss man sich eigentlich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Was bedeuten 4,12 Euro? Um 1500 Euro zu erreichen, muss der Kollege - in der Mehrheit sind es in dem Bereich Männer - 364 Stunden im Monat arbeiten gegenüber einer Normalarbeitszeit, 38 Stunden zu Grunde gelegt, von 167 Stunden in anderen Bereichen, die wir normalerweise vertreten. Das ist mehr als die doppelte Anzahl von Stunden, um auf 1500 Euro zu kommen.

Die Tarifverträge im Bewachungsgewerbe werden für allgemein verbindlich erklärt und trotzdem werden sie mit am häufigsten unterschritten.

Was bedeutet es denn für uns, die wir vielleicht in ganz anderen Bundesländern arbeiten, dass zum Beispiel das Bewachungsgewerbe in Thüringen so wenig verdient, 4,12 Euro zur Erinnerung? Die Kolleginnen und Kollegen, die in dem Bereich arbeiten, werden auch in anderen Bundesländern eingesetzt. So ist es uns vor zwei Jahren in Köln passiert. Damals gab es eine private Ausstellung - ich weiß nicht, wer sie besucht hat -, die hieß „Körperwelten“. Die fand in Köln auf einem großen zentralen Platz in einem Zelt statt und wurde von Kollegen aus Thüringen bewacht. Die verdienten - damals gab es noch die D-Mark - 6,80 DM die Stunde.

Unsere Kollegen in Köln, NRW - ich brauche noch eine Minute, dann bin ich durch -, verdienten zu dem Zeitpunkt 9,30 DM die Stunde. In dem Bereich, der da am meisten vertreten ist, gab es Massenentlassungen.

Das bietet im Prinzip auch den Übergang zu einem anderen Thema, das wohl nicht mehr heute, aber vielleicht morgen behandelt wird. Da geht es um die Frage des Tariftreuegesetzes. Auch das ist nur möglich, weil vor Ort Menschen eingesetzt werden, die sich nicht an die Gegebenheiten in dem jeweiligen Bundesland oder in dem jeweiligen Land halten müssen. Die können deshalb entsprechend eingesetzt werden und gefährden die Arbeitsplätze von anderen.

Ich bitte euch ganz massiv im Interesse aller beschäftigten Kollegen, die wir in allen Branchen finden, die hier über alle Gewerkschaftsgrenzen hinweg vertreten sind: Macht dieses Thema nicht nur an einzelnen Branchen fest; es ist ein Dauerthema nicht nur bei Frauen, nicht nur bei Männern, bei Ausländern und bei Deutschen. Schafft ein menschenwürdiges Einkommen. Dafür sind 1500 Euro ein Signal, das Vielen Hoffnung gibt. Stimmt für die 1500 Euro. (Lebhafter Beifall)

ZU ANTRAG 25

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich jetzt zu euch zu dem Thema Existenzsicherndes Mindesteinkommen spreche, dann spreche ich dazu aus zwei unterschiedlichen Erfahren heraus.

Ich war von Anfang der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre DGB-Kreis-Frauenausschussvorsitzende in Köln und habe damals schon damit begonnen, mich heftig mit der Thematik der so genannten ungeschützten Arbeitsverhältnisse auseinander zu setzen. Die haben mich auch in meiner Betriebsratstätigkeit durchgehend begleitet innerhalb des DGB und innerhalb der früheren ÖTV, jetzt ver.di. Immer zog sich wie ein roter Faden nicht nur die Frage der ganz ungeschützten Arbeitsverhältnisse, nämlich der befristeten legalen und illegalen Leiharbeit und ähnliche Geschichten durch, sondern auch die Frage: Können die Menschen mit dem, was sie bekommen, überhaupt existieren? Existenz möchte ich dabei ganz im Sinne wie auch mein Kollege Vorredner dahin gehend definieren, nicht nur ein Dach über dem Kopf zu haben, etwas zum Anziehen und etwas zu Essen und zu Trinken, sondern auch Existenz im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe an Kulturveranstaltungen, an Freizeitveranstaltungen, an Sport, was immer man persönlich auch benötigt oder was zum Beispiel auch die Kinder benötigen, um sich entsprechend darstellen und mitwirken zu können. Vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich Stellung nehmen.

Was bedeuten denn 1500 Euro, würden wir sie umrechnen in Lohn? Wenn man auf Stundenbasis arbeiten würde, hätten wir eine Stundenlohnbasis, vorausgesetzt, wir hätten eine 38-Stunden-Woche, von 9,18 Euro.

Welche Berufsgruppen gibt es, die deutlich darunter liegen? Auch das hat mein Vorredner schon kurz erwähnt. Er hat Bereiche wie Gastronomie und Hotel genannt, die dafür typisch sind. Ich ergänze dazu den Bereich Verkäufer und Verkäuferinnen und den Bereich der Frisörinnen und Frisöre. Ich denke auch an die BAT-Ost-Gehälter. Man denkt ja vielfach, die Menschen, die im Bereich des öffentlichen Dienstes arbeiten, haben es gut und sind gut abgesichert. Die niedrigen Einkommensgrenzen des Tarifs BAT Ost sind vielleicht nicht allen Delegierten bekannt; aber die liegen weit unter 1500 Euro.

Genauso gehört dazu ein Bereich, auf dessen Feld ich tätig bin, nämlich das Bewachungsgewerbe. Das gehört zu dem Bereich, der bei uns in ver.di in den so genannten sonstigen Dienstleistungen mit vertreten ist. Dazu gehören auch Lkw-Fahrer, aber auch Arzthelferinnen und viele andere mehr. Ich möchte dies an zwei Beispielen ganz konkret machen.

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Im Frisörhandwerk hier in Berlin verdienen Kolleginnen und Kollegen nach dem zweiten Berufsjahr, also nicht als Anfängerinnen, sondern nach dem zweiten Berufsjahr als Gesellinnen 850 Euro plus 8 Prozent vom Umsatz. In Sachsen sind es 650 Euro plus 30 Prozent vom Umsatz, wenn denn der Umsatz pro Angestellte 1750 Euro im Monat überschreitet.

Im Bewachungsgewerbe gibt es ganz andere Dimensionen. Im Bewachungsgewerbe beginnt der Tarifsatz bei 4,12 Euro in Thüringen und 4,46 Euro in Brandenburg. Das sind Dimensionen, die muss man sich eigentlich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Was bedeuten 4,12 Euro? Um 1500 Euro zu erreichen, muss der Kollege - in der Mehrheit sind es in dem Bereich Männer - 364 Stunden im Monat arbeiten gegenüber einer Normalarbeitszeit, 38 Stunden zu Grunde gelegt, von 167 Stunden in anderen Bereichen, die wir normalerweise vertreten. Das ist mehr als die doppelte Anzahl von Stunden, um auf 1500 Euro zu kommen.

Die Tarifverträge im Bewachungsgewerbe werden für allgemein verbindlich erklärt und trotzdem werden sie mit am häufigsten unterschritten.

Was bedeutet es denn für uns, die wir vielleicht in ganz anderen Bundesländern arbeiten, dass zum Beispiel das Bewachungsgewerbe in Thüringen so wenig verdient, 4,12 Euro zur Erinnerung? Die Kolleginnen und Kollegen, die in dem Bereich arbeiten, werden auch in anderen Bundesländern eingesetzt. So ist es uns vor zwei Jahren in Köln passiert. Damals gab es eine private Ausstellung - ich weiß nicht, wer sie besucht hat -, die hieß „Körperwelten“. Die fand in Köln auf einem großen zentralen Platz in einem Zelt statt und wurde von Kollegen aus Thüringen bewacht. Die verdienten - damals gab es noch die D-Mark - 6,80 DM die Stunde.

Unsere Kollegen in Köln, NRW - ich brauche noch eine Minute, dann bin ich durch -, verdienten zu dem Zeitpunkt 9,30 DM die Stunde. In dem Bereich, der da am meisten vertreten ist, gab es Massenentlassungen.

Das bietet im Prinzip auch den Übergang zu einem anderen Thema, das wohl nicht mehr heute, aber vielleicht morgen behandelt wird. Da geht es um die Frage des Tariftreuegesetzes. Auch das ist nur möglich, weil vor Ort Menschen eingesetzt werden, die sich nicht an die Gegebenheiten in dem jeweiligen Bundesland oder in dem jeweiligen Land halten müssen. Die können deshalb entsprechend eingesetzt werden und gefährden die Arbeitsplätze von anderen.

Ich bitte euch ganz massiv im Interesse aller beschäftigten Kollegen, die wir in allen Branchen finden, die hier über alle Gewerkschaftsgrenzen hinweg vertreten sind: Macht dieses Thema nicht nur an einzelnen Branchen fest; es ist ein Dauerthema nicht nur bei Frauen, nicht nur bei Männern, bei Ausländern und bei Deutschen. Schafft ein menschenwürdiges Einkommen. Dafür sind 1500 Euro ein Signal, das Vielen Hoffnung gibt. Stimmt für die 1500 Euro. (Lebhafter Beifall)

[…]

INGRID SEHRBROCK MITGLIED DES GESCHÄFTSFÜHRENDEN BUNDESVORSTANDES

ZU ANTRAG 81

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heiko hat das Geheimnis ja schon etwas gelüftet, das ich euch hier noch ein bisschen erläutern will.

Wir haben euch nicht nur einen Antrag zur Weiterbildung vorgelegt. Ich bin froh, dass die Antragsberatungskommission ihn euch zur Annahme empfiehlt. Ich will euch diesen Antrag auch deshalb besonders ans Herz legen, weil es mit diesem Antrag in der Tat eine Besonderheit gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn ihr heute nämlich zustimmt, dann beschließen wir einerseits Eckpunkte zur Weiterbildung und zum lebenslangen Lernen, aber wir wollen die Diskussion damit nicht beenden.

Eckpunkte sind wichtig, weil wir feststellen, dass es gerade in diesem Bereich Weiterbildung und lebenslanges Lernen eine große Diskrepanz gibt zwischen den öffentlichen Diskussionen und dem, was in der Praxis tatsächlich passiert. Das ist übrigens eine Erfahrung, die offenbar international vergleichbar ist. Ich habe vor wenigen Tagen mit Kolleginnen und Kollegen aus Kanada, aus Italien und aus den USA gesprochen; die machen ähnliche Erfahrungen. Lifelong learning ist ein Thema. Aber in der Praxis hapert es doch an vielen Ecken und Enden. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Eckpunkte hier vorlegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in diesem Bereich eine ganze Reihe von Tendenzen. Zum einen wird die Verantwortung für Weiterbildung und lebenslanges Lernen sehr viel stärker auf den Einzelnen verschoben. Ich habe gestern schon einmal gesagt: Beschäftigungsfähigkeit ist das neue Leitbild. Jeder Einzelne soll dafür verantwortlich sein. Und es gibt eine Tendenz, dass sich die Betriebe aus der Verantwortung ziehen. Das wollen wir natürlich nicht, dem wollen wir entgegen wirken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutlich muss auch werden, dass Weiterbildung nicht nur berufliche Weiterbildung sein kann, wie das die Arbeitgeber gerne hätten. Für uns gehören dazu auch die politische Bildung, die Allgemeinbildung, die kulturelle Weiterbildung. Dazu gehört sicherlich auch, weiter an den Konzepten des Bildungsurlaubs zu arbeiten. Wir verstehen Weiterbildung

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also viel breiter. Das kann nicht einfach nur eine Verengung auf die berufliche Weiterbildung sein. Es gehören viele weitere Bereiche dazu, die wir hier auch noch einmal unterstreichen wollen.

Außerdem gibt es eine weitere Tendenz, nämlich eine gewisse Vergesslichkeit in Bezug auf die Tatsache, dass Bildung, also auch Aus- und Weiterbildung, gerade auch eine öffentliche Aufgabe ist, die nicht immer öffentlich erledigt werden muss, aber öffentlicher Verantwortung unterliegen muss. Der Staat muss eben einen Rahmen schaffen, damit der Zugang für alle ermöglicht wird, damit es Transparenz bei den Angeboten gibt, damit es eine Sicherung der Qualität gibt. Ich denke, da ist der Staat gefordert, auch dazu wollen wir in diesem Antrag unsere Position deutlich machen.

Lasst mich noch eine weitere Tendenz beschreiben, wo wir gegensteuern müssen. Es ist eine Tatsache, dass gerade diejenigen, die es am nötigsten haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Zugang zur Weiterbildung am schlechtesten abschneiden. Das sind die gering Qualifizierten, das sind die Migranten. Interessanterweise gehören auch die Frauen dazu, denen man nicht die gleichen Chancen eröffnet. Auch diesen Tendenzen können wir uns als Gewerkschaften nicht entgegen stellen. Es kann nicht so sein, dass die gut Qualifizierten die besten Weiterbildungschancen haben und dafür auch nichts zu bezahlen haben, während diejenigen, die es nötig haben, außen vor bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben dieses Thema als Projekt verstanden. Wir wollen mit dem Beschluss dieses Antrages ein Fenster öffnen für die Diskussion mit den Akteuren in diesem Bereich, mit den Unternehmen, natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen, mit Bildungsträgern, mit Betriebs- und Personalräten, mit den Beschäftigten und natürlich auch mit den Wissenschaftlern, um in Teilbereichen mit Fachleuten und Betroffenen unsere Positionen weiterzutragen.

Wir tun das auch in neuen Formen. Zurzeit läuft im Übrigen eine Internet-Konferenz zur Weiterbildung, an der wir uns beteiligen. Wir haben hier draußen an unserem Stand Computer mit einer Verbindung zum Internet, um an dieser Internet-Konferenz zur Weiterbildung teilnehmen zu können. Wir versuchen das also auch mit neuen Formen zu machen, mit modernen Info-Diensten, mit kleinen Veranstaltungen zu Einzelthemen. Wir haben schon begonnen mit einer Initiative zur Finanzierung der beruflichen Weiterbildung; denn auch das ist ein heißes Eisen. Wir werden sicherlich weitermachen mit den Beschäftigungsbedingungen des Personals in Weiterbildungseinrichtungen. Dazu hat ja gestern Ursula Herdt schon sehr gut die Probleme geschildert. Ich glaube, auch das ist ein ganz wichtiger Arbeitsbereich für die Gewerkschaften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich hier nicht nur um einen Antrag, der hier beschlossen, gelocht und abgeheftet werden soll, sondern wir wollen an diesem Thema auch in den nächsten Monaten dranbleiben. Wir nutzen die Chance, uns auch als lernende Organisation darzustellen, um Weiterbildungskonzepte zu entwickeln, die den Menschen in einer wissensbasierten Gesellschaft nutzen.

Dazu lade ich euch alle ein. Ich bitte euch hier nicht nur, diesen Antrag anzunehmen, sondern auch darum, an diesem Projekt in der Zukunft mitzuarbeiten. - Vielen Dank. (Beifall)

EVA-MARIA STANGE GEWERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT

ZU ANTRAG 82

Danke, Dieter.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ein Wort vorwegschicken, weil einige vorhin, als wir unangenehmerweise auf den Kanzlerkandidaten warten mussten, darum gebeten haben, dass die Debatte fortgesetzt wird. Ich habe das Präsidium ausdrücklich darum gebeten, dass wir die Debatte um den Tagesordnungspunkt „Bildungspolitik“ nicht fortsetzen in einer Situation, in der sich die Kolleginnen und Kollegen zu Recht auf anderes konzentrieren und damit auch von diesem Punkt, der ohnehin der letzte Punkt unserer Debatte ist, abgelenkt werden. Ich hoffe, dass ihr dafür Verständnis hattet und sich die Verärgerung, die deshalb vorhin bei dem einen oder anderen aufgekommen ist, wieder gelegt hat.

Als wir gesehen haben, dass die Antragsberatungskommission für diesen gemeinsamen Antrag von IG Metall und GEW Annahme empfohlen hat, haben wir erst überlegt, ob es sich überhaupt noch lohnt oder ob es noch notwendig ist, diesen Antrag zu beraten, weil er ja offenbar konsensfähig zu sein scheint.

Wir haben uns dennoch entschieden, in diese Debatte einzusteigen und diesen Antrag vielleicht etwas tiefer zu erläutern, ihn aber vor allen Dingen auch hier zur Diskussion zu stellen, und zwar nicht deshalb, weil wir der Meinung sind, dass Bildung immer noch nicht zu einem wichtigen Thema geworden ist, sondern weil wir der Meinung sind, dass es an der Zeit ist, dass sich auch die Gewerkschaften, und zwar nicht nur die hier antragstellenden Gewerkschaften, intensiver mit Bildungspolitik als Ganzem beschäftigen und nicht nur mit Ausbildungspolitik oder mit Weiterbildungspolitik.

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1994 rief die GEW eine „Initiative Bildung“ ins Leben. Damals war weit und breit kein Land zu sehen in der Frage, dass Bildung wirklich zu einem zentralen gesellschaftlichen Thema wird. Damals hatten wir uns zum Ziel gesetzt: Wir haben unsere Kampagne dann erfolgreich beendet, wenn endlich der Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgibt oder der Bundespräsident eine wichtige Rede zum Thema Bildung hält und das Thema ins Zentrum rückt. Nun könnte man sagen, wir haben das Ziel endlich erreicht; denn sowohl unser Bundeskanzler als auch mehrere Bundespräsidenten - das muss man ja jetzt schon sagen - haben Bildung zu einem zentralen Thema ihrer Amtszeit gemacht und auch in den Mittelpunkt gerückt. Dennoch sind wir der Auffassung, dass es derzeit immer noch zu viele Sonntags- und zu viele Wahlreden gibt und zu wenig in der tatsächlichen Realität verändert wird. (Vereinzelt Beifall)

Pisa, die internationale Leistungsvergleichsstudie, von der ja hier schon mehrfach die Rede war, die wichtige Grundkompetenzen 15-jähriger Schüler in 32 OECD-Ländern verglichen hat, hat uns gezeigt, dass Deutschland zwei gravierende Probleme im Bildungssystem hat, die nicht allein dem Bildungssystem zuzuschreiben sind.

Das erste Problem ist sehr offensichtlich. Die 15-Jährigen in Deutschland liegen bei den zentralen Grundkompetenzen Lesefähigkeit, mathematische und naturwissenschaftliche Grundkompetenz unterhalb des OECD-Durchschnitts im unteren Drittel auf Platz 22 von 32 Ländern. Das ist ein beschämendes Ergebnis für ein Bildungssystem, das von sich lange Zeit behauptet hat und immer noch behauptet, zu einem der besten in der Welt zu gehören. Fast ein Viertel der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren ist in der Grundkompetenz Lesefähigkeit nur auf der untersten Niveaustufe ausgebildet beziehungsweise 10 Prozent sogar darunter. Insofern war es vielleicht vorhin sogar berechtigt, wenn der Kanzlerkandidat Stoiber behauptet hat, dass einige das Wahlprogramm der CDU/CSU nicht gelesen haben. (Vereinzelt Beifall)

Besonders betroffen von diesem Ergebnis - und das hat den Aufschrei in Deutschland überhaupt erst erzeugt - sind Kinder aus sozial schwachen Familien und aus Migrationsfamilien. Damit kommt ein zweites Ergebnis zum Tragen. In keinem anderen der vergleichbaren 32 Länder ist der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Leistungsniveau in diesen Grundkompetenzen so hoch wie in Deutschland. Das heißt, es gelingt dem deutschen Bildungssystem nicht, zumindest nicht bis zum 15. Lebensjahr, die Benachteiligung sozialer, ethnischer oder kultureller Herkunft auszugleichen.

Der Fairness halber muss man dazu sagen: Das gelingt auch den anderen Ländern nicht zu 100 Prozent. Aber - das ist das Positive an dieser Vergleichsstudie - es gibt Länder, auch in Europa, im unmittelbaren Umfeld von Deutschland, die es wesentlich besser schaffen, Kinder aus sozial benachteiligten Familien und Kinder aus Migrationsfamilien so zu fördern, dass sie bessere Startchancen nicht nur im Beruf, sondern im Alltagsleben insgesamt haben. Das Ergebnis führt eines der wichtigsten Ziele im Bildungssystem, das über viele Jahre im Westen, aber auch im Osten Deutschlands, vorangetragen wurde, ad absurdum. Das Bildungssystem in Deutschland schafft keine Chancengleichheit. Nein, es vertieft im Gegenteil die soziale Chancenungleichheit, die in der Gesellschaft existiert. Das ist das eigentlich dramatische und aus Sicht der Gewerkschaften auch dringend zu verändernde und zu diskutierende Ergebnis dieser Vergleichsstudie. (Vereinzelt Beifall)

Ich möchte, auch noch in Anbetracht des Eindrucks der Rede des Kanzlerkandidaten, hinzufügen: Es ist schon ein Kuriosum, dass man ausgerechnet in Deutschland, wo nun eindeutig feststeht, dass Deutschland nicht zur Spitzengruppe gehört, wie gebannt auf den Ländervergleich unter 16 Bundesländern schaut um zu erfahren, welches dieser 16 Bundesländer vielleicht ein paar Prozentpunkte besser oder schlechter ist. Das einzige Ziel dieses Abwartens auf den 30. Juni ist, noch etwas mehr an Wahlkampfmunition zu bekommen, vielleicht gegen die Gesamtschule, vielleicht gegen die Sozialdemokraten. Aber es ist nicht das Ziel, irgendetwas in diesem Bildungssystem zu verbessern. (Vereinzelt Beifall)

In Anbetracht dieses sicherlich die Sommerzeit bestimmenden Themas, des so genannten Pisa-E-Vergleiches, haben wir im Prinzip schon vorher, ohne zu wissen, wo eines der 16 Bundesländer liegt, gesagt: Für uns ist nicht Bayern und auch nicht Nordrhein-Westfalen der Maßstab; für uns ist der einzige Maßstab Finnland, Kanada, Schweden, also die Länder, die in der Spitzengruppe waren und die uns bewiesen haben, dass sie wesentlich mehr Chancengleichheit im Bildungssystem herstellen können, als das in Deutschland in irgendeinem Land der Fall ist. (Beifall)

Ich möchte ausdrücklich dafür werben und greife dabei gern das Wort eines hier sicherlich noch sprechenden bekannten Kollegen aus einer befreundeten Industriegewerkschaft auf: Bildung ist zu schade und zu wertvoll, um sie allein zum Thema einer einzelnen Gewerkschaft zu machen. Wir sollten uns, nicht nur weil ihr Gewerkschafter und damit Interessenvertretung von Beschäftigten, Arbeitslosen und Jugendlichen seid, sondern auch, weil der überwiegende Teil von euch und unseren Mitgliedern Eltern sind, dringend mit dieser notwendigen Veränderung unseres Bildungssystems beschäftigen.

Wenn ein Kind aus einer Akademiker-Familie heute vier Mal mehr eine Chance hat, ein Gymnasium zu besuchen als ein Kind aus einer Arbeiter-Familie, dann ist das ein sozialer Skandal in einem der reichsten Länder dieser Erde. (Beifall)

Ich will ganz kurz noch vier Punkte nennen.

(Unruhe)

[…]

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Ich mache es ganz kurz. Wir brauchen in diesem Bildungssystem mit den Eltern gemeinsam, mit euch als Gewerkschaftern, einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen mehr Förderung für die Kinder und weniger an Auslese, mehr an Integration, mehr an Investition in die nachwachsende Generation. Bildungsinvestitionen sind Investitionen und kein Konsumgut.

So müssen sie auch in den Haushalten endlich eingestellt werden. Es kann nicht sein, dass ein Autobahnbau wichtiger ist als der Bau einer Schule. Es kann nicht sein, dass der Bau des Transrapid wichtiger ist als die Einstellung der notwendigen Lehrerinnen und Lehrer. Dafür möchte ich euch gewinnen. - Danke. (Beifall)

WOLF JÜRGEN RÖDER IG-METALL

ZU ANTRAG 82

Schade, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Versuch war es wert.

Ich wage am Anfang eine Prognose. Ich glaube, dass beim nächsten Kongress die Bildungspolitik an ganz anderer Stelle diskutiert werden wird. Nicht als letztes Thema auf unserem Kongress, weil wir dann alle in der Gesellschaft verstanden haben, dass es das wichtigste Zukunftsthema ist neben der Sozialpolitik, was die Gerechtigkeitsfrage angeht. (Beifall)

„Von Finnland lernen, aber nichts ändern.“ So lautete die Überschrift eines Artikels der Frankfurter Rundschau über eine Reise der hessischen Kultusministerin Wolff nach Finnland.

Man kann sagen, es brechen geradezu ganze Expeditionen auf, um zu erkunden, was denn so fantastisch in Finnland, in Schweden oder in Kanada ist. Nun, reisen bildet. Aber es setzt voraus, dass man bereit ist, etwas von den eigenen Vorstellungen in Frage stellen zu lassen von dem, was man dort sieht. Das ist bei Frau Wolff nicht gelungen. Auch die Kultusminister-Konferenz auf der Wartburg in der vergangenen Woche zeigt keinen großen Lernerfolg.

Die Antwort ist nämlich: Tests, Tests, Tests. Noch mehr Leistungsdruck, noch mehr Aussonderung, noch mehr Ungerechtigkeit, weil die, die diese Tests nicht bestehen, nicht die Dümmsten in diesem Lande sein müssen, sondern vielleicht nur Testprobleme haben. (Beifall)

Es sieht im Moment nicht danach aus, als ob auf die erschreckenden Erkenntnisse, die für die Insider keine gewesen sein dürften, reagiert wird - die GEW hat halt nicht den Nachdruck gehabt mit ihren Botschaften -, sondern es ist mehr über die faulen Säcke geredet worden, auch von Spitzenpolitikern. Einer davon hat mir allerdings vor vier Wochen versichert, dass er diesen Ausspruch mittlerweile bereut. Immerhin.

Die Situation ist so, dass die Hürden eher weiter erhöht werden zwischen den einzelnen Bildungswegen, dass die Verschärfung des Leistungsdrucks zunimmt, zum Beispiel durch die ehrgeizigen Pläne eines Turboabiturs nach acht Jahren. Und dass auch im Bildungswesen die weitere Privatisierung durch Erhöhung oder Einführung von Gebühren für Kindergärten, Universitäten oder die Ausbildung in Sozialberufen auf der Tagesordnung steht.

In unserem gemeinsamen Antrag haben wir Schlussfolgerungen gezogen aus der Sicht beider Gewerkschaften. Ich hoffe, dass diese Diskussion mit ein bisschen hilft, dass es gemeinsame Positionen werden. Lest die Spiegelstriche auf der Seite 190 bitte noch einmal durch.

Diese Forderungen sind keine gewerkschaftsspezifischen Themen, sondern sie sind im Einklang mit all dem, was die Bildungsforschung heute für uns voraussagt und auf den Tisch legt. Jetzt aber das den Spezialisten zu überlassen, wäre die falsche Reaktion. Wir sind gefordert. Wir müssen uns wieder einmischen in die Bildungspolitik, denn Bildungspolitik ist ein ganz zentraler Punkt in der Gesellschaftspolitik und damit auch ein Thema für jede Industriegewerkschaft und andere Branchen unseres Bundes.

Michael Sommer hat zu Recht in seinem Grundsatzreferat darüber gesprochen, dass der Misserfolg im Leben in der Schule bereits entschieden werden kann. Deswegen geht es nicht darum, Bildungspolitik nur im wirtschaftlichen Kontext für die Qualität und die Zukunft der Arbeitsplätze zu diskutieren, sondern auch und gerade über das Menschenbild, über die Chancen für die Individuen, ihre Entwicklungschancen in der Gesellschaft.

Es hat auch keinen Sinn, immer nur die Grundschüler und die Grundschullehrer die Grundschule diskutieren zu lassen und so weiter. Die wichtigste Erkenntnis, die ich aus dieser Pisa-Studie gezogen habe: Wir müssen den Provinzialismus des dreigliedrigen Bildungssystems über Bord werfen. Es wird nur mit grundlegenden Reformen gehen, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall)

Wir dürfen nicht zulassen, dass mit dem Hinweis auf Gebühren in einem Bereich, bei Kindergärten und Sozialberufen, nun auch in anderen Bereichen Gebühren gefordert werden, zum Beispiel an den Hochschulen. Aus unserer Sicht wird umgekehrt ein Schuh

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daraus. Indem wir zunehmend den Gegensatz von privatem Reichtum und öffentlicher Armut thematisieren, wie das Frank Bsirske hier ja schon getan hat, bekommen wir die Legitimation, eine höhere Staatsquote und einen höheren Anteil der Bildungsausgaben zu fordern.

Die Schlussfolgerungen werden nicht zum Nulltarif zu haben sein. Die Frage ist, welche strukturellen Entscheidungen wir treffen müssen, vor welchen Herausforderungen wir stehen in der Gesellschafts- und Bildungspolitik.

Das setzt an im Kleinkinderbereich und muss sich über die gesamte Struktur fortsetzen. Es geht darum, Lernschwachen zu helfen und sie nicht in immer weitere Ecken, in untere Schichten abzuschieben. (Beifall)

Es ist schon so, dass es Stadtviertelentscheidungen gibt, wer welche Chancen hat. Es ist schon so, dass soziale Herkunft - und das nach so vielen Jahrzehnten Reformpolitik und Reformhoffnungen - immer stärker darüber entscheidet, wie der weitere Lebensweg ist. Rasse, nationale Herkunft, Einkommen, Geschlecht, Sprache und Ausdrucksvermögen bestimmen in unserer Gegenwart immer noch mehr über die Bildungs- und Erwerbschancen.

[…]

Ich komme zum Ende. Chancengleichheit im Bildungssystem ist deshalb keine überkommene Forderung, sie ist so aktuell wie nie. Wir sollten sie nicht nur in Wahlkampfzeiten lautstark erheben.

Wir müssen uns immer vor Augen halten: Wissen, Können und Engagement sind unsere wichtigsten Rohstoffe, auch und gerade für die Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass diese Rohstoffe mit zeitgemäßen Instrumenten und ausreichend qualifiziertem Personal veredelt werden.

Es geht um nicht weniger als um die Lebenschancen unserer Kinder. Es geht im wahren Sinne um die Zukunft Deutschlands. - Vielen Dank. (Beifall)

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17. Ordentlicher DGB-Bundeskongress 27.-31.05.2002 in Berlin

MÜNDLICHER GESCHÄFTSBERICHT DES GESCHÄFTSFÜHRENDEN DGB-BUNDESVORSTANDES

HEINZ PUTZHAMMER, MITGLIED DES GESCHÄFTSFÜHRENDEN BUNDESVORSTANDES

[…]

Kolleginnen und Kollegen, zwei, drei Anmerkungen zur Zuwanderungsdebatte. Ich erlaube mir das, weil ich die Ehre hatte, Mitglied der Süssmuth-Kommission zusammen mit Roland Issen zu sein. Die Debatte um die Ausländerpolitik in Deutschland begann in der jetzt ablaufenden Legislaturperiode mit der Debatte um das Staatsangehörigkeitsrecht. Und es war - ihr wisst es alle - die erste große Niederlage für die Regierungspolitik, als es im Zusammenhang mit einer absolut schmutzigen Kampagne durch den damaligen hessischen Ministerpräsidenten erreicht wurde, dass die Mehrheit in Hessen im Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit und mit einer ausländerfeindlichen Kampagne gewechselt hat und deshalb das Staatsangehörigkeitsrecht in einem verändert zusammengesetzten Bundesrat angepasst werden musste.

Wir hatten dann die Debatte um die Green-Card. Hierbei ging es den Gewerkschaften darum, dafür zu sorgen, dass nicht vorschnell ausländische hoch qualifizierte Fachkräfte auf Kosten der inländischen Bildungsanstrengungen ins Land geholt würden. Wir haben erreicht, dass mit der Regelung, die schließlich gefasst wurde, sowohl eine gewisse Zahl ausländischer Arbeitskräfte im hoch qualifizierten informationstechnologischen Bereich hereingeholt als auch Zusagen für Ausbildungsstellen gemacht wurden, die eingehalten worden sind. Zig Tausende zusätzliche Ausbildungsstellen sind geschaffen worden. Das ist ein Erfolg der gewerkschaftlichen Politik in diesem Zusammenhang.

In der Diskussion in der Süssmuth-Kommission haben die Gewerkschaften, Roland und ich, selbstverständlich versucht - und ich glaube, wir haben dies erfolgreich getan -, gewerkschaftliche Standpunkte einzubringen und zu verteidigen. Es war uns natürlich klar, dass vor allen Dingen vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland es überhaupt nicht darum gehen konnte, diese Situation durch Zuwanderung noch zu verschärfen, sondern dass Priorität der Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland haben musste und Priorität die Bildungs- und die Ausbildungsanstrengungen in Deutschland haben mussten, bevor man über zusätzliche Zuwanderungen aus Drittstaaten eintreten konnte.

Uns war auch klar - und darin haben wir uns ebenfalls durchgesetzt -, dass es überhaupt nicht darum gehen konnte, im Zuge vergangener Gastarbeiterpolitik aus den Frühzeiten der Bundesrepublik einfach ausländische Arbeitskräfte hereinzuholen und sie wieder nach Hause zu schicken, sondern wir sind dafür eingetreten, dass - wenn schon - Daueraufenthalt die Regel sein muss und dass es vor allen Dingen erforderlich ist, im Zusammenhang sowohl mit neuen Zuwanderern als auch mit schon hier befindlichen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Integrationsanstrengungen zu verstärken. Ich glaube, dass das der entscheidende Teil dieser Politik ist. Ohne Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger werden wir in Deutschland keinen gesellschaftlichen Frieden herstellen können. (Lebhafter Beifall)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese Debatte - auch wenn der Bundespräsident, was ich hoffe, das Gesetz unterschreibt - nicht zu Ende. Ich hoffe, dass dieses Gesetz unterschrieben wird. Es war ein schwieriger Weg von der Süssmuth-Kommission über diverse, aus unserer Sicht schlechte Entwürfe des Bundesinnenministeriums bis zum letztendlich beschlossenen Gesetz, zu dem der DGB einige Verbesserungen noch anzubringen imstande war. Aber auch wenn es unterschrieben sein wird, ist das Problem überhaupt nicht gelöst; im Gegenteil: Gerade im Zusammenhang mit dem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, mit dem Versuch, mit Antisemitismus und mit dem rechten Rand politische Mehrheiten anders zu gestalten, werden wir uns ganz offensiv auseinander setzen müssen. Die Gewerkschaften müssen jeden Versuch, hier ein braunes Süppchen zu kochen, massiv Widerstand entgegenstellen. (Lebhafter Beifall) Diese Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich auch in Zukunft zu unterstützen. - Danke schön.

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17. Ordentlicher DGB-Bundeskongress 27.-31.05.2002 in Berlin

GRUßWORTE AUS DER POLITIK

Alle Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien richteten Grußworte an die Delegierten des 17. Bundeskongresses. Die ausgewählten Grußworte von Bundeskanzler Gerhard Schröder und von Dr. Edmund Stoiber beziehen sich inhaltlich auf die in dieser Dokumentation zusammengefasste Ausländerthematik und werden im Folgenden auszugsweise zitiert (Anmerkung der Redaktion).

GERHARD SCHRÖDER, BUNDESKANZLER

[…]

Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt bei der Bildung Defizite. Das wissen wir übrigens nicht erst seit der PISA- Studie, aber diese Studie hat uns das noch einmal deutlich gemacht. Besondere Schwierigkeiten haben oft Kinder aus Familien von Zuwanderern. Sprachdefizite bei Beginn der Schullaufbahn können nur schwer ausgeglichen werden, mit allen negativen Auswirkungen, die das auf die späteren Berufschancen hat. Deshalb haben wir bei der Steuerung und bei der Gestaltung der Zuwanderung auch soviel Wert auf Integration derer gelegt, die hier bei uns leben. Denn hier geht es auch um Bildungs- und Berufschancen für Kinder und für Jugendliche. Dass die deutschen Gewerkschaften, die Kirchen, aber in dieser Frage auch die Wirtschaft bei der Zuwanderung an unserer Seite stehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist wichtig für unser Land, und dafür möchte ich euch besonders danken.

[…]

DR. EDMUND STOIBER, KANZLERKANDIDAT DER CDU/CSU

[…]

Niemand, weder die Gewerkschaften noch die Bundesregierung, kann ein Gesetz wollen, das die Realität in den ostdeutschen Ländern und unsere gemeinsame Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit dort übergeht und Arbeitsplätze vernichtet. (Zurufe) Schutz vor ausländischem Lohndumping! Für mich, meine Damen und Herren, war der Auslöser für die Tariftreueerklärung, dass 90 Prozent der Rohbausumme, die in den neuen Flughafen München II gesteckt worden ist, also mehr als eine Milliarde, alleine von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der Europäischen Union geschaffen worden sind und bayerische Arbeitnehmer der Bauindustrie sind spazieren gegangen, weil die ausländischen Firmen natürlich wesentlich billiger angeboten haben. (Pfiffe) Deswegen haben wir ja auch ein Tariftreuegesetz gemacht.

Ich muss aber heute sehen, dass Bayern oder Baden-Württemberg eine andere Situation haben als vielleicht Sachsen-Anhalt oder Sachsen oder Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern. (Zurufe) Deswegen, meine Damen, meine Herren, glaube ich auch - - (Anhaltende Zurufe und große Unruhe)

[…]

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IMPRESSUM……...……… ………

HERAUSGEBER DGB Bildungswerk e.V. Vorsitzender: Dietmar Hexel Geschäftsführer: Dr. Dieter Eich

VERANTWORTLICH…… ……… Für den Inhalt: Leo Monz

REDAKTION …………… ……… Esther Brauneis

GESTALTUNG / UMSCHLAG Foto: Photocase (Titel) Gitte Becker

DRUCK Der Setzkasten, Düsseldorf

ZUSCHRIFTEN / KONTAKT DGB Bildungswerk e.V. Bereich Migration & Qualifizierung Hans-Böckler-Straße 39 40476 Düsseldorf Telefon: 0211/4301-199 Telefax: 0211/4301-134 E-Mail: [email protected] Internet: www.migration-online.de

GEFÖRDERT DURCH Deutscher Gewerkschaftsbund Bundesministerium des Innern Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Die vorliegende Mitteilung ist auch als pdf-Datei auf der Site www.migration-online.de erhältlich. Dezember 2004

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