neuronenmetaphern, die kurative beziehung und die behandlungstechnik

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| Psychotherapeut 6·99 Diskussion 384 der Regel per Zufall zugewiesen wer- den. In der psychotherapeutischen Praxis ist die Suche nach einem Psy- chotherapeuten kein Zufallsprozeß (vgl. Strauß u. Kächele 1998). Die Utopie einer allgemeinen oder einheitlichen Psychotherapie impliziert, daß es möglich sein könn- te, Handlungsregeln in einer Weise zu formulieren, daß sie die „situations- spezifischen Vorgänge innerhalb von Therapiesitzungen“ tatsächlich steu- ern können. Diese Utopie bereitet auch etwas Unbehagen, weil sie impli- ziert, daß der psychotherapeutische Prozeß tatsächlich ausschließlich auf reflektierte Handlungen reduziert werden kann. Die Praxis der allgemei- nen Psychotherapie, so wie sie derzeit in Bern angewandt wird, scheint nach den vorliegenden Berichten eher ein Mehrpersonenunternehmen zu sein. Die dyadische Beziehung zwischen Patient und Therapeut wird vielfältig reflektiert und supervidiert, um den allgemein-psychotherapeutischen Kontext um eine psychotherapiespe- zifische Szene aufzubauen. Dies ist in der psychotherapeutischen Routine- Literatur Ambühl H, Strauß B (1999) Therapieziele. Hogrefe, Göttingen Orlinsky DE, Howard KI (1987) A generic model of psychotherapy.J Integrative Eclectic Psychother 6:6–27 Krause R (1997/1998) Allgemeine psychoanaly- tische Krankheitslehre,Teil 1 und 2. Kohlham- mer, Stuttgart Strauß B, Kächele H (1998) The writing on the wall – Comments on the current discussion about empirically validated treatments in Germany. Psychother Res 8:158–170 Strupp HH (im Druck) Ein zeitgemäßer Blick auf die psychodynamische Psychotherapie und die Zukunft der Psychotherapie. Psychotherapeut praxis kaum denkbar. Psychothera- peuten werden auch in Zukunft ihre bevorzugten und ihrer Persönlichkeit entsprechenden Strategien und Inter- ventionen in der Praxis realisieren und damit – vorausgesetzt, sie sind wirklich gut ausgebildet und nicht engstirnig – für bestimmte Patienten bessere Therapeuten sein als für an- dere. Vermutlich wird dieser Unter- schied auch durch die „Grundstö- rung“ eines jeweiligen Therapeuten mitbestimmt, die im Modell der allge- meinen Psychotherapie nicht berück- sichtig wird. Das Leitbild einer all- gemeinen Psychotherapie, so ver- lockend und kreativ es für die wissen- schaftliche Betrachtung und die Aus- bildung auch sein mag, mutet bezogen auf die Praxis eher an wie eine Grö- ßenphantasie, in der die Stärken und Schwächen, Eigenheiten und Vorlie- ben von Psychotherapeuten und Pati- enten negiert werden. Letztere werden aber dafür sorgen, daß bei allem Stre- ben nach Einheit die Vielfalt erhalten bleiben wird und all jenen Behand- lungssuchenden eine Chance bietet, die gerade diese Vielfalt brauchen. Rainer Krause · Fachrichtung Psychologie,Universität des Saarlandes Neuronenmetaphern, die kurative Beziehung und die Behandlungstechnik Auf die Frage wie einheitlich Psy- chotherapie ist oder sein kann, kann man, wie an den drei Ankerartikeln deutlich wird, viele Antworten finden. Das liegt u.a. daran, daß man sie ganz unterschiedlich stellen kann. Was soll denn einheitlich sein? Das die Theorie tragende Menschen- bild? Dem würden sich die meisten Leute – ich schließe mich selbst ein – nicht anschließen. Ohne beispielsweise die Bedeutung von Klaus Grawes neu- ronalem Modell schmälern zu wollen finde ich, daß es wesentliche antropo- logische Grunddimensionen nicht ab- deckt, ohne die ich beispielsweise nicht behandeln kann. Ich erwähne nur so eine Kleinigkeit wie die Sexua- lität, die im Stichwortregister des mo- numentalen Urtexts gar nicht auf- scheint. Für mich hängt diese Mißach- tung mit der Konzeptualisierung des Menschen als informationsverarbei- tendem System und dem damit ver- bundenen windelweichen Kogniti- onsbegriff zusammen. Das wird sich langfristig alles nicht halten lassen. Ei- ne stärkere Anbindung an die Hu- manethologie und die Biologie wird eine andere Sichtweise erzwingen. Für mich ist die Vorstellung von neurona- len Netzwerken so wenig biologisch wie die sog. biologische Psychiatrie. Eine psychotherapeutisch relevante Prof. Dr. pil. Dipl. Psych. R. Krause Universität des Saarlandes, Fachrichtung 6.4 Psychologie, Universitätscampus Bau 1.1, D-66041 Saarbrücken& / f n - b l o c k : & b d y :

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Page 1: Neuronenmetaphern, die kurative Beziehung und die Behandlungstechnik

| Psychotherapeut 6·99

Diskussion

384

der Regel per Zufall zugewiesen wer-den. In der psychotherapeutischenPraxis ist die Suche nach einem Psy-chotherapeuten kein Zufallsprozeß(vgl. Strauß u. Kächele 1998).

Die Utopie einer allgemeinenoder einheitlichen Psychotherapieimpliziert, daß es möglich sein könn-te, Handlungsregeln in einer Weise zuformulieren, daß sie die „situations-spezifischen Vorgänge innerhalb vonTherapiesitzungen“ tatsächlich steu-ern können. Diese Utopie bereitetauch etwas Unbehagen, weil sie impli-ziert, daß der psychotherapeutischeProzeß tatsächlich ausschließlich aufreflektierte Handlungen reduziertwerden kann. Die Praxis der allgemei-nen Psychotherapie, so wie sie derzeitin Bern angewandt wird, scheint nachden vorliegenden Berichten eher einMehrpersonenunternehmen zu sein.Die dyadische Beziehung zwischenPatient und Therapeut wird vielfältigreflektiert und supervidiert, um denallgemein-psychotherapeutischenKontext um eine psychotherapiespe-zifische Szene aufzubauen. Dies ist inder psychotherapeutischen Routine-

LiteraturAmbühl H, Strauß B (1999) Therapieziele. Hogrefe,

Göttingen

Orlinsky DE, Howard KI (1987) A generic model of

psychotherapy. J Integrative Eclectic Psychother

6:6–27

Krause R (1997/1998) Allgemeine psychoanaly-

tische Krankheitslehre,Teil 1 und 2. Kohlham-

mer, Stuttgart

Strauß B, Kächele H (1998) The writing on the wall

– Comments on the current discussion about

empirically validated treatments in Germany.

Psychother Res 8:158–170

Strupp HH (im Druck) Ein zeitgemäßer Blick auf die

psychodynamische Psychotherapie und die

Zukunft der Psychotherapie. Psychotherapeut

praxis kaum denkbar. Psychothera-peuten werden auch in Zukunft ihrebevorzugten und ihrer Persönlichkeitentsprechenden Strategien und Inter-ventionen in der Praxis realisierenund damit – vorausgesetzt, sie sindwirklich gut ausgebildet und nichtengstirnig – für bestimmte Patientenbessere Therapeuten sein als für an-dere. Vermutlich wird dieser Unter-schied auch durch die „Grundstö-rung“ eines jeweiligen Therapeutenmitbestimmt, die im Modell der allge-meinen Psychotherapie nicht berück-sichtig wird. Das Leitbild einer all-gemeinen Psychotherapie, so ver-lockend und kreativ es für die wissen-schaftliche Betrachtung und die Aus-bildung auch sein mag, mutet bezogenauf die Praxis eher an wie eine Grö-ßenphantasie, in der die Stärken undSchwächen, Eigenheiten und Vorlie-ben von Psychotherapeuten und Pati-enten negiert werden. Letztere werdenaber dafür sorgen, daß bei allem Stre-ben nach Einheit die Vielfalt erhaltenbleiben wird und all jenen Behand-lungssuchenden eine Chance bietet,die gerade diese Vielfalt brauchen.

Rainer Krause · Fachrichtung Psychologie, Universität des Saarlandes

Neuronenmetaphern, die kurative Beziehungund die Behandlungstechnik

Auf die Frage wie einheitlich Psy-chotherapie ist oder sein kann, kannman, wie an den drei Ankerartikelndeutlich wird, viele Antworten finden.Das liegt u.a. daran, daß man sie ganzunterschiedlich stellen kann.

Was soll denn einheitlich sein?Das die Theorie tragende Menschen-bild? Dem würden sich die meistenLeute – ich schließe mich selbst ein –nicht anschließen. Ohne beispielsweisedie Bedeutung von Klaus Grawes neu-ronalem Modell schmälern zu wollen

finde ich, daß es wesentliche antropo-logische Grunddimensionen nicht ab-deckt, ohne die ich beispielsweisenicht behandeln kann. Ich erwähnenur so eine Kleinigkeit wie die Sexua-lität, die im Stichwortregister des mo-numentalen Urtexts gar nicht auf-scheint. Für mich hängt diese Mißach-tung mit der Konzeptualisierung desMenschen als informationsverarbei-tendem System und dem damit ver-bundenen windelweichen Kogniti-onsbegriff zusammen. Das wird sich

langfristig alles nicht halten lassen. Ei-ne stärkere Anbindung an die Hu-manethologie und die Biologie wirdeine andere Sichtweise erzwingen. Fürmich ist die Vorstellung von neurona-len Netzwerken so wenig biologischwie die sog. biologische Psychiatrie.Eine psychotherapeutisch relevante

Prof. Dr. pil. Dipl. Psych. R. KrauseUniversität des Saarlandes, Fachrichtung 6.4

Psychologie, Universitätscampus Bau 1.1,

D-66041 Saarbrücken&/fn-block:&bdy:

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Biologie muß Aussagen zu den Trie-ben und den Affekten machen. DerRückgriff auf Motivation und die kog-nitivistischen Emotionsdefinitionenverkennt m.E. unsere Natur in wesent-lichen Bereichen. So weit meinehöchst persönliche von einiger Le-bens- und Therapieerfahrung getra-gene Meinung. Niemand muß sie tei-len. Allerdings werde ich auch im Na-men zukünftiger Patienten sehr böse,widerspenstig und renitent, wenn mir,wer auch immer per ordre der Wis-senschaft verbieten will, nach diesemModell zu handeln und zu behandeln.Da würde ich nicht nur vor das Bun-desverfassungsgericht gehen. Fürs er-ste sind die Probleme aber nicht sogravierend, weil eben diese Art vonTheoriebildung eigentlich den Statusvon Metaphern hat. Jetzt operierenwir eben in der Metaphorik von neu-ronalen Netzwerken. Eine direkte An-wendung für die Behandlung ist nichterkennbar, aber es ist sicher integrati-ver und weniger stoßend als die so oftverdammten Hydraulikmodelle. DieTheorie der Behandlungstechnik istnur lose mit der Allgemeinen Theorie

2. Diese verschiedenen Strukturen be-nötigen verschiedene spezifische„gute Beziehungen“. Was dem einengut tut, schadet dem andern.

3. In diese strukturspezifischen gutenBeziehungsformen kann man teil-weise symptomspezifische Behand-lungspakete einbauen. Das ist abernicht immer nötig, und es ist vor al-lem nicht immer richtig. Die Struk-tur übersteuert im Konfliktfall dieSymptomatik. In der Ergänzungs-reihe Symptom – Struktur – krank-heitsspezifische kurative Beziehung– Problemlösungstechniken wirdman sicher große Fortschritte ma-chen können und müssen. DiesesSchema würde ich als Rahmen füreine allgemeine Psychotherapieverstehen. Welche Strukturen aller-dings wünschenswert und welchebehandlungsbedürftig sind, ist nurbeschränkt Gegenstand einer allge-meinen Psychotherapietheorie, jawahrscheinlich nicht einmal derWissenschaft.

verbunden. Sie ist aber auch viel ein-heitlicher als viele Leute glauben. Dieguten Psychotherapeuten wissen, waseine gute therapeutische Beziehungist, und sie realisieren sie auch, aller-dings großenteils vorbewußt oder un-bewußt. Hier steckt die gemeinsameVarianz der verschiedenen Verfahrenund Theorien. Leider ist der Teil amwenigsten ausformuliert. Das istdurch Grawes Vorschlag nicht vielbesser geworden. Ressourcen zu akti-vieren ist ein Vorsatz, wie man dasmacht, ist die Technik oder die Kunst.Die ist wieder nicht ausformuliert. Esist überhaupt schwierig die Herstel-lung von Kunstwerken auszuformu-lieren. Die Herstellung einer kranken-heitsspezifischen kurativen Bezie-hung ist durchaus eine Kunst. Dieeigentlichen Behandlungstechnikensetzen sich auf diese „gute Bezie-hungsgestaltung“ oben auf. Ohne er-steres geht das zweite nicht. Im Mo-ment sehe ich den Horizont einer all-gemeinen Psychotherapie wie folgt.

1. Es gibt verschiedene Krankheits-gruppen, die nicht deckungsgleichmit der Symptomatik sind, sonderneine dahinterliegende Struktur re-flektieren.

Gottfried Lobeck · Städtisches Krankenhaus Dresden Neustadt, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie

Auseinandersetzung und Verständigung – der Weg sei das Ziel

Psychotherapie an einer Psychoso-matisch-Psychotherapeutischen Kli-nik eines Städtischen Krankenhauseswird aufgrund des Versorgungsauf-trags und der von den Überweisernerwarteten Möglichkeiten oft von Pa-tienten mit schwierigen Krankheits-verläufen aufgesucht.

Stationäre Psychotherapie istglücklicherweise nicht richtlinienge-

bunden, und so fällt es leichter, me-thodenimmanente Unzulänglichkei-ten durch Anleihen bei anderen The-rapieschulen auszugleichen. Erstaun-liche Behandlungsfortschritte, wie siebeispielsweise in der traumazentrier-ten Psychotherapie verzeichnet wer-den, wären ohne Methodenintegrati-on und kreative Weiterentwicklungnicht denkbar.

Aber noch einen weiteren Grund,Ansätze und Erfahrungen andererSchulrichtungen anzuschauen, willich erwähnen.

Dr. G. LobeckStädtisches Krankenhaus Dresden Neustadt,

Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie,

Heinrich-Cotta-Straße 12, D-01324 Dresden&/fn-block:&bdy: