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Öffnung von Anfang an - Möglichkeiten und Grenzen aufgabenbasierten Unterrichtens im Anfängerbereich Michael Schart Keio Universität Tokio/ Yokohama FaDaF 2013 Universität Bamberg 1

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Öffnung von Anfang an - Möglichkeiten und Grenzen

aufgabenbasierten Unterrichtens im Anfängerbereich

Michael Schart

Keio Universität Tokio/ Yokohama

FaDaF 2013 Universität Bamberg 1

Inhalt

• Rahmenbedingungen/ Kurskonzeption

• Konzeption einer aufgabenbasierten

Unterrichtseinheit auf A0/A1

• Umsetzung in Unterrichtspraxis

• Erforschung der Unterrichtspraxis

FaDaF 2013 Universität Bamberg 2

Rahmenbedingungen Intensivsprachprogramm an der Juristischen Fakultät der

Keio Universität Tokio/ Yokohama:

Kontinuität und Intensität:

• 4 Jahre, 4 Unterrichtseinheiten pro Woche (à 90 Minuten)

Integration von fachlichem und sprachlichem Lernen:

• Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Politik und Jura von

Beginn an wichtiger Bestandteil des Unterrichts

aufgaben- und themenbasierte Unterrichtskonzeption

FaDaF 2013 Universität Bamberg 3

• thematischer Syllabus

• alle Aktivitäten aufgabenbasiert

(Samuda & Bygate 2008, Schart 2013, Willis & Willis 2007)

• reichhaltiger L2-Input

• bedeutungsvoller und kreativer Sprachgebrauch

• kollaboratives Lernen/ kollaborative Interaktion

(Alexander 2008, Haneda & Wells 2008, Swain 2000 )

• “focus on form” („reactive approach to form“ Lyster 2007)

4 FaDaF 2013 Universität Bamberg

Kurskonzeption

5

A0

A2/B1

B1/B2/C1

FaDaF 2013 Universität Bamberg

• personale Identität und soziale Rollen

• Bedeutung der Dinge

• Glück und Wohlstand

• Familie und Familienpolitik

• Werte und Wertewandel

• …

• Spiel mit der Menschenkenntnis

• Prominenente beurteilen Menschen auf der Straße aufgrund kurzer

Interviews

6 FaDaF 2013 Universität Bamberg

Fernsehsendung “Straßenstars” (HR)

„Straßenstars 2050“ Zielgruppe:

• 15 Studierende im 1. Studienjahr (7 weiblich, 8

männlich) aus den Fachbereichen Jura & Politik

• davon 3 Studierende mit Vorkenntnissen (mehrjährige

Deutschlandaufenthalte im Kindergarten- bzw.

Grundschulalter: S10, S12 und S15)

Zeitraum:

• 3 Unterrichtseinheiten (UE) à 90 Minuten

• Beginn nach 20 UE (2. Lernmonat)

FaDaF 2013 Universität Bamberg 7

Ziele

• „Öffnung“ des Unterrichts

• inhaltsorientiertes Lernen und aktive Interaktion

ermöglichen

• kreativen Gebrauch des Deutschen trotz

eingeschränkter sprachlicher Mittel anregen

• kollaboratives Lernen/ kollaborative Interaktion fördern

Aufgabe:

• eigenen Lebensweg reflektieren

• nach dem Beispiel der Fernsehsendung „Straßenstars“

Interviews im Jahr 2050 führen

• Interviews im Unterricht vorstellen und besprechen

FaDaF 2013 Universität Bamberg 8

Aufbau:

FaDaF 2013 Universität Bamberg 9

Interviews vorbereiten

•HV

•Fragen ergänzen

Interviews durchführen

•in Gruppen teilen

•Fragen/ Antworten formulieren

Interviews nachbereiten

•Transkriptionen

•Selbstvorstellungstexte

Interviews präsentieren

•Austausch im Plenum und in Gruppen

• Interviews aus der Sendung “Straßenstars” ansehen und analysieren

• HV und sprachliche Mittel/ Modell für eigene Interviews erarbeiten

FaDaF 2013 Universität Bamberg 10

Unterrichtsphase 1: Vorbereitung

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FaDaF 2013 Universität Bamberg 12

Unterrichtsphase 2: Interviews durchführen

FaDaF 2013 Universität Bamberg 13

S3 S4 S7 S8

S9

S10

S11 S12

S13

S5

S6

S1

S14

S2

S15

S1 S2 S3 S4 S5 S6 S7 S8

S9 S10 S11 S12 S13 S14 S15

Reporterteams:

Erstellung von Fragen für

das Interview

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Interviewte:

Überlegungen zum eigenen

Leben im Jahr 2050

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- Protokolle der Videoaufnahmen (Moodle Wiki) - Selbstvorstellungstext (Moodle Aufgabe)

18

Unterrichtsphase 3: Interviews nachbereiten

FaDaF 2013 Universität Bamberg

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… …

- Vorstellung der Interviews im Plenum - Fragen von Reportern/ Fragen an Interviewte

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Unterrichtsphase 4: Präsentation

Forschungsfragen

I. kreativer Sprachgebrauch/ selbstständiges Lernen

II. aktive Teilnahme

III. inhaltsorientiertes Lernen/ Interaktion

IV. kollaboratives Lernen/ Interaktion

V. Wahrnehmung der Studierenden/ Anzeichen für Über-

oder Unterforderung

FaDaF 2013 Universität Bamberg 21

Datengrundlage

• die Transkriptionen der Interviews (Unterrichtsphase 3)

• die Selbstvorstellungstexte (Unterrichtsphase 3)

• die Transkription der Präsentation im Plenum (Unterrichtsphase 4)

• die Reflexionen der Studierenden am Ende der Aufgabensequenz (Unterrichtsphase 4)

Transkriptionen und Unterrichtsmaterial:

www.id-keio.net/forschung

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I. Kreativer Sprachgebrauch

• Flexibilität bei der Aufgabenbewältigung

• Maß an Originalität

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o „eigene Fragen“ in den Interviews

o spontane Reaktionen in den Interviews

o „eigene Informationen“ in den Selbstvorstellungstexten

o Komplexität der Formulierungen in den Selbstvorstellungstexten (Nebensatzstrukturen)

Interviews:

• ein Reporterteam (S3 und S4) ohne oder mit sehr

wenigen eigenen Fragestellungen

• in 6 Interviews zwischen 25 und 44 Prozent aller

Fragen selbst formuliert

Selbstvorstellungstexte

o Inhalt: 2 Studierende ohne eigene Ideen, bei 7 Studierenden 20-30% der Informationen selbstständig erarbeitet

o Form: 4 Studierende ohne Nebensatzstrukturen, bei 5 Studierenden 10-20 % der Sätze mit Nebensatzstrukturen (aber, weil)

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Gescheiterte Interaktion (5):

S8: Wohin willst du gehen?

S11: Noch einmal, bitte.

S8: Wohin willst---.Wohin willst du

gehen?

S11: Nein.

(Interview 6)

Aushandlung mit Hilfe des

Lehrers (4) und Japanisch (6):

S10: Oh. Warum lieben Sie das

Mann?

S2: Warum? (lacht) Ich liebe

mein Mann, weil - was ist やさし

い (zum Lehrer)? Ah, schön und

やさしい (zum Lehrer)?

L: freundlich.

(Interview 4)

Interaktionsformen in den Interviews

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Aushandlung mit Hilfe von Deutsch (24),

Japanisch (6) und Gestik (8):

S7: Ja. Wohin willst du gehen?

S14:Wohin?

S7:Wohin (Handbewegung für

„weggehen“) どこにー („wohin“)

S14: Ah. (überlegt) Noch einmal, bitte.

S7: Ja. Wohin wohin willst du gehen?

S14: Willst?

S7: Willst. (überlegt)

S8: Machen machen zu gehen. Machen zu

gehen. Ah, möchten.

S14: Ja, ja, ja. Ah. Ja. Ich ich habe Deutsch,

Deutsch, France gehen ah gegehen. So, so,

so. Amerika. Ja.

(Interview 8)

Aushandlung auf Deutsch (24):

S10: Was heißt dei- eh deinem Frau?

S12: Sie heißen Mariko.

S10: Gut! Was ist sein Beruf ?

S12: Ich bin der Angestellte.

S10: Angestellte. Ah ne ne, deine Frau.

S12: Ah Frau?

S10: Fraus Beruf.

S12: Ah mein Frau? Sie ist Lehrerin.

S13: Ah ja.

(Interview 2)

27

Unterricht am 13. Mai 2010

nach 33 Stunden (22 UE)

Thema: Präsentation &

Diskussion der Interviews

Dauer der UE: 1:30 h

S = mit

Vorerfahrungen

S = 272

L = 128

II. Aktivität (Anzahl der Redebeiträge im Plenum)

FaDaF 2013 Universität Bamberg

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Lehrer

Studierende

Qualität der Redebeiträge Grundlage: AS-units (Foster, Tonkyn & Wigglesworth 2000)

• die Anzahl der Wörter insgesamt

• die durchschnittliche Länge der Redebeiträge

• die Anzahl der Redebeiträge mit 3-5 und mit mehr

als 5 Wörtern

• die Lexikvarianz (type-token-ratio)

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• von 347 Äußerungen der Studierenden 199

unmittelbare Reaktionen auf andere Studierende

(Lehrer = 25)

• 20 Situationen, in denen semantische Probleme von

Studierenden geklärt werden (vom Lehrer = 12).

• 5 Situationen mit grammatischen Korrekturen, alle

vom Lehrer initiiert

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II./III. Inhaltsorientierung &

Kollaboration

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S14: was ist

weltkulturerbe?

S2: auf japanisch?

S14: ja

S2: 世界遺産

Ss: eh

S10: was ist auftritt

S2: (unverständlich

Japanisch)

L: auf deutsch

S2: einmal spiele einmal

tanze

S14: sie liebt schokolade

essen aber ich weiß nicht,

was gemüse ist

S2: gemüse ist (überlegt)

L: zum beispiel

S2: (unverständlich)

L: to-

S2: tomaten oder (fragend an

alle)

Kategorie Beispiel

Äußerungen bestätigen 26 S4: sie ist hausfrau

S13: ja

auf direkte Fragen an die

Person antworten

34 S9: was ist er lieblingsessen?

S14: ich liebe ich liebe ah kuchen

Rückfragen stellen

35 S9: weil ich habe keine attraktiv

S2: für frau?

Informationen geben 49 S3: welche information haben sie?

S1: er liebt isobe mochi.

33

Weitere Kategorien: um Wiederholung bitten (4), Verstehen signalisieren (8), Erstaunen äußern (9), sich bedanken (10), lachen (11), Äußerungen kommentieren (13)

FaDaF 2013 Universität Bamberg

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Organisation (Erklärung,

Lob)

Aktivierung (Verständnis

sichern, Frage an alle, Frage

weitergeben, Aufrufen)

inhaltsbezogene

Interaktion

sprachbezogene

Interaktion

IV. Wahrnehmung der Studierenden

• Was denken Sie konkret über diese

Aufgabensequenz?

• Was haben Sie als schwierig oder einfach

empfunden? Bitte begründen Sie!

• Denken Sie, dass diese Aufgabensequenz für Ihren

Lernprozess sinnvoll war? Bitte begründen Sie!

• Möchten Sie wieder einmal so eine Aufgabe

machen?

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Ergebnisse Fragebögen

Straßen- stars 2050

Lernen

Interaktion

Probleme Inhalt/

Aufgabe

Gefühle

TN =15

FB =11

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• Gefühle o andere sehen: Spaß

o gesehen werden: unangenehm

o anstrengend

o motivierend, einander zu interviewen o überrascht, dass so etwas schon möglich ist

„Es war zwar beschämend, die eigenen Fehler zu sehen, aber ich denke, das ist eine Erfahrung, die man nur im Unterricht machen kann.“(FB 1)

• Deutsch lernen o spontan antworten/ auf Deutsch kommunizieren können

o einzelne Wörter und Wendungen kennen lernen

o Aussprache verbessern

o eigene Fehler erkennen, eigene Fähigkeiten einschätzen lernen (durch Ansehen der Videoaufnahmen)

o das Gelernte anwenden können

o über das Lernen reflektieren können

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• Interaktion o Verstehen und Sprechen sind zwei verschiedene Fähigkeiten

o Wichtigkeit von Gesten

o einstellen auf die Partnerin/ den Partner

„Aber das ist eine gute Erfahrung, denn wenn man in der realen Gesellschaft Gespräche führt, kann man sich auch nicht vorbereiten.“ (FB 11)

• Inhalt/ Aufgabe o Interessant, motivierend

o über sich selbst nachdenken ist eine gute Erfahrung und zugleich schwierig

o alle 11 Studierenden insgesamt mit positiver Einschätzung

„Ich wollte wirklich verstehen, wie welches Bild sich die anderen von ihrer Zukunft machen.“ (FB 11)

„Es hat Spaß gemacht, ganz frei über mich im Jahr 2050 nachzudenken. Ich hätte gerne noch tiefgründiger darüber gesprochen.“ (FB 5)

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• Probleme

o spontanes Antworten/ unerwartete Fragen

o Flüssigkeit des Interviews vs. grammatische Richtigkeit

o Missverstehen zwischen Reportern und Interviewten, 2 Gründe:

• Ablesen vom Blatt

• vorbereitete Informationen passen nicht („Aber so ist

alltägliche Kommunikation!“)

o genaueres Nachfragen

o fehlender Wortschatz

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Konsequenzen

• Überarbeitung der Arbeitsblätter, längere

Vorbereitungsphase

• Vorbereitung der Interviews anhand der Daten

aus dieser Studie

• Einbeziehen der Studierenden in den

Forschungsprozess

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Literatur Alexander, R.J. (2008). Towards Dialogic Teaching: Rethinking Classroom Talk (4th ed.),

York: Dialoges.

Foster, P. Tonkyn, A. and Wigglesworth, G. (2000) A unit for all reasons: the analysis of

spoken interaction'. Applied Linguistics 21, 354-374.

Haneda, M. & Wells, G. (2008). Learning an additional Language through Dialogic

Inquiry. Language and Education, 22:2, 114-136

Lyster, R. (2007), Learning and Teaching Languages Through Content : A Counter-

balanced Approach. Amsterdam: J. Benjamins Publ.

Samuda, V. & Bygate, M. (2008). Tasks in Language Learning. Basingstoke: Palgrave.

Swain, M. (2000). The output hypothesis and beyond: Mediating acquisition through

collaborative dialogue. In Lantolf (ed.) Sociocultural Theory and Second Language

Learning (pp. 97-114). Oxford: Oxford University Press.

Willis, D. & Willis, J. (2007), Doing Task-Based Teaching. Oxford: University Press.

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Forschung zum Intensivsprachprogramm Mori, T. (2007). 大学初年次における授業デザインの構築 – 協調学習のエス ノグラフィーより –

[Foreign language course design for university freshman education. An ethnographic study of collaborative learning]. Unpublished Ph.D. thesis, Osaka University.

Sambe, S. (1996). Das neue Konzept für die Deutschkurse an der juristischen Fakultät der Keio-Universität. In: Gad, G. (Hg.). Deutsch in Japan. Interkulturalität und Skepsis zwischen Vergangenheit und Zukunft. Bonn: DAAD, 197-206.

Schart, M. (2008): What matters in TBLT – Task, teacher or team? An action research perspective from a beginning German language classroom. In: Eckerth, J. & Siekmann, S. (eds.). Research on task-based language learning and teaching. New York: Lang, 47-66.

Schart, M.; Hamano, H., Schütterle, H. & Meyer, A. (2010). Wie viel Aufgabenorientierung ist zu viel Aufgabenorientierung? Antworten aus dem Deutschunterricht für japanische Studierende. In: Altmayer, Claus u.a. (Hrsg.). Grenzen überschreiten: sprachlich – sprachlich – kulturell. Dokumentation zum 23. Kongress für Fremdsprachendidaktik der DGFF, 231-242

Schart, M. (2010). Programmevaluation und Aktionsforschung im Zusammenspiel – theoretische Grundlagen und Ergebnisse eines longitudinalen Forschungsprojekts in einem Intensivsprachprogramm für Deutsch an der Juristischen Fakultät der Keio Universität. Kyoyo-Ronso, Hogaku-Kenkyu-Kai, Faculty of Law, Keio University, Tokyo: 131, 1: 3-107.

Schart, M. (erscheint 2013). „Straßenstars 2050“ – ein Aktionsforschungsprojekt zu einer Aufgabensequenz im Unterricht für Anfänger. In: Schart, M.; Hoshii, M. & Raindl, M. (Hrsg). Lernprozesse verstehen – empirische Forschungen zum Deutschunterricht an japanischen Universitäten. Iudicium: München.

Transkriptionen und Unterrichtsmaterial: www.id-keio.net/forschung

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