planung richtig herum_ dänemark = radverkehr_

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Planung richtig herum, DI Martin Schönherr, 1 24.8.2013 Dänemark = Radverkehr? Martin Schönherr Im diesjährigen Radurlaub ging es ins „verheißene Land“ der radfahrergerechten Verkehrsplanung. Dieser Erfahrungsbericht soll anhand fünf exemplarischer Episoden zeigen, was so Besonderes an diesem Land ist, zeigen, warum so gerne Lösungen von dort zitiert werden (Copenhagenization: http://en.wikipedia.org/wiki/Cycling_advocacy#Copenhagenization) und dass auch manches nur durchschnittlich gelöst ist. Episode I: Auf Überlandstraßen von Niebüll über die dänische Grenze Eigentlich beginnt schon weiter südlich in einer Art und Weise, wie es wohl auch in den Niederlanden stattfindet, dank der Flachheit des Landes, die radfahrergerechte Planung. Man sieht an den Radwegen und Beschilderungen dass (Nord)Deutschland hier auch schon einiges geleistet hat. Doch ist dort der Ansatz in gewohnter Weise (wie auch bei uns gemacht) am Verkehrsablauf selbst orientiert –am Verhalten der Verkehrsteilnehmer untereinander merkt man noch wenig. Zudem bietet die Flachheit des Landes dort, wo bei uns nur unwegsames Gelände ist, etliche bequeme meist sogar asphaltierte Güterwege und Nebenstraßen an, auf denen man radelnd ohne große Umwege schnell weiterkommt und nur selten Autos begegnet. Dass ein anderer Wind weht (auch wenn er wie in Schleswig Holstein meist real von Nordwesten kommt), merkt man kurze Zeit nach passieren des Grenzbalkens, der im Übrigen für sich unauffällig ist. Westlich von Tønder: Kurz nach der dänische Grenze merkt man, die hier die Uhren etwas anders gehen.

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Page 1: Planung richtig herum_ Dänemark = Radverkehr_

Planung richtig herum, DI Martin Schönherr, 1 24.8.2013

Dänemark = Radverkehr?

Martin Schönherr

Im diesjährigen Radurlaub ging es ins „verheißene Land“ der radfahrergerechten Verkehrsplanung. Dieser Erfahrungsbericht soll anhand fünf exemplarischer Episoden zeigen, was so Besonderes an diesem Land ist, zeigen, warum so gerne Lösungen von dort zitiert werden (Copenhagenization: http://en.wikipedia.org/wiki/Cycling_advocacy#Copenhagenization) und dass auch manches nur durchschnittlich gelöst ist.

Episode I: Auf Überlandstraßen von Niebüll über die dänische Grenze

Eigentlich beginnt schon weiter südlich in einer Art und Weise, wie es wohl auch in den Niederlanden stattfindet, dank der Flachheit des Landes, die radfahrergerechte Planung. Man sieht an den Radwegen und Beschilderungen dass (Nord)Deutschland hier auch schon einiges geleistet hat. Doch ist dort der Ansatz in gewohnter Weise (wie auch bei uns gemacht) am Verkehrsablauf selbst orientiert –am Verhalten der Verkehrsteilnehmer untereinander merkt man noch wenig. Zudem bietet die Flachheit des Landes dort, wo bei uns nur unwegsames Gelände ist, etliche bequeme meist sogar asphaltierte Güterwege und Nebenstraßen an, auf denen man radelnd ohne große Umwege schnell weiterkommt und nur selten Autos begegnet.

Dass ein anderer Wind weht (auch wenn er wie in Schleswig Holstein meist real von Nordwesten kommt), merkt man kurze Zeit nach passieren des Grenzbalkens, der im Übrigen für sich unauffällig ist.

Westlich von Tønder: Kurz nach der dänische Grenze merkt man, die hier die Uhren etwas anders gehen.

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Auf Designerschildern (das Verkehrszeichen hängt im allgemeinen in einer einem Spazierstock ähnlichen gekrümmten Stange; ein Formelement, dass man immer wieder an der Straßenseite sieht) ist dort längsseits an einen mehrere Kilometer langen schnurgeraden, übersichtlichen Straße vom Deich zum Festland das Limit 30 km/h angebracht. Mit einem Nordwestwind im Rücken muss man da als Radler auch schon aufpassen im Limit zu bleiben. Man denkt, unser „Qualität“ der Verkehrsabwicklung gewohnt, dass da wohl ein Scherzbold dahintersteckt. Doch merkt man schnell: In Dänemark bestimmt der Langsamverkehr1 wie es läuft. An der konkreten Stelle hatte das Limit wohl eher Naturschutzgründe, da man auch einen Feuchtgebiet passiert, in dem in der Vogelzugzeit tausende Vögel ausruhen. 30km/h lange vor der Ortseinfahrt sieht man jedoch öfter, ebenso, wie man auf Überlandstraßen häufig Kinder im Volksschulalter und ältere Leute auf Elektrorollstühlen sieht. Damit muss man als Verkehrsteilnehmer rechnen.

Wind ist sicher kein zu vernachlässigender Faktor. Doch entscheidend ist, wie viel Rückenwind die Radfahrer durch den verkehrswegebau bekommen. Hier schneiden Dänemarks Siedlungen besonders gut ab.

Episode II: Linksabbiegen.

Das steht in nahezu jedem (nicht nur Rad-spezifischen) Reiseführer. Wenn man in Dänemark mit dem Rad links abbiegt, bleibt man am rechten Fahrbahnrand (am Rand gibt es in der Regel, nicht der Ausnahme, zumindest einen breiten Randstreifen, auf dem an radeln muss), quert zuerst die kreuzenden Straße und bleibt am rechten Ecke stehen. Dann quert man Längstraße erneut am rechten Rand der kreuzenden Straße. Man ist so kurze Zeit den Rechtsabbiegern auf der kreuzenden Straße im weg – aber gut sichtbar und so ist das Arrangement im Fahrbetrieb sicherer. Natürlich ist dieser doppelte Abbiegevorgang, genannt indirektes Abbiegen2, mühsamer, da man zweimal Absteigen-Aufsitzen-Anfahren muss – doch steht in keinem Reiseführer, was geschieht, wenn man sich als Radfahrer im Rechtsabbiegereck der kreuzenden Straße anschickt

1 Dazu sei auch die Homepage der Europäische Bürgerinitiative "30kmh – macht die Straßen lebenswert!" hingewiesen: http://de.30kmh.eu/liebe-verbuendete/unterschriftenlisten-unterstutzungsbekundungen/

2 Schematische Darstellungen des indirekten Abbiegevorgangs:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Auffangradweg.svg,

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stehen zu bleiben: Der eindeutig im Vorrang befindliche entgegenkommende Längsverkehr bleibt stehen, wenn kein Längsverkehr aus der Fahrrichtung, aus der der Radfahrer kam, stattfindet. Man fühlt sich mit einem Male als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer und beginnt binnen weniger Tage sich an das respektvolle Miteinander so zu gewöhnen, dass man durchaus einmal trotz Vorrecht einem im Verkehrsablauf abgewerteten Autofahrer freiwillig den Vorrang gibt. Das Recht des Stärkeren scheint also in Dänemark gesellschaftlich wesentlich mehr geächtet als anderswo3.

Episode III: Ampelgeregelte Stadtkreuzungen

Man kennt es aus Innsbruck: Die Ampel am Radweg steht auf Rot. Man kann sich also Zeit lassen mit dem Ausrollen und hofft, dass sie noch, vor dem man das Gleichgewicht mit dem Rad verliert, auf Grün springt. In Dänemark wird dieses Verhalten von Rad- und Autofahrern nicht gern gesehen. Denn die Radfahrspur hat oft eine eigene Induktionsschleife für Radfahrer. D.h. wenn der Radfahrer dort drauf fährt bekommt er (man lernt das recht schnell) innerhalb einer Zeit von wenigen Sekunden Grün und etwas zeitverzögert (wegen der Rechtsabbieger über den Radweg) wird dann auch der Autoverkehr freigeschalten. Überall, wo sich einen Radfahrer der Kreuzung nähert, hat der Autoverkehr in Fahrtrichtung des betr. Radfahrers eine Chance auf einen frühere Grünphase. Vor solchen Ampeln sollte man als Radler nicht trödeln. Kreuzungen dieser Art sind zwar nicht die Regel, aber doch so häufig, dass man sein Verhalten darauf ausrichten kann.

Kobenhagen, Nørrebrø: Bei diesen großzügigen Straßen (die unter anderem leider durch Herausreißen der Straßenbahn um 1960 so breit und leer erscheinen) und einer vergleichsweise kleinen Großstadt mit wenig Autoverkehr, geht es natürlich leichter, dem Radverkehr etwas vom Straßenraum abzugeben. Deutlich erkennbar sind die sehr großzügig vom Autoverkehr abgetrennten Radstreifen in Bildmitte. Alternativ (wie im Vordergrund) werden ganze Fahrstreifen den Radfahrern zur Verfügung gestellt. Wie aus früheren Publikationen von „Planung richtig herum“ ersichtlich leidet dies Leistungsfähigkeit der Straße unter einer solchen Maßnahme nicht.

3 P.S. Ich möchte nicht, wäre ich in Dänemark aufgewachsen, z.B. in Russland einen Fahrradurlaub machen.

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Episode IV: Pas På Blinde Vinkler

Gegenseitige Rücksichtnahme ist das Zauberwort (dieses Zeichen spricht sowohl Auto- als auch Radfahrer an). Doch das funktioniert nur, wenn bereits bei der Planung der Verkehrsanlagen ersichtlich ist, dass alle Verkehrsteilnehmer mit der gleichen Achtung behandelt werden.

Solche Warnschriften stehen mitunter an Kreuzungen, sofern die Radfahrspur bis in die Kreuzung getrennt verläuft. Man merkt als Radfahrer schnell: Die Autofahrer achten stärker als hierzulande (ich nehme nur zum Vergleich die Sonnparkkreuzung an der Amraserstraße stadtauswärts) darauf, dass zuerst der Radfahrer am Radstreifen durchzulassen ist. Natürlich gilt für Dänemark, dass in der Regel Auto und Radfahrer bedachter vorgehen. Und das geht leicht, da die Gleichberechtigung offensichtlich ist – es gibt nicht die erkaufte Rangordnung – und man achtet insbesondere auf die Fußgänger stärker, die dementsprechend auch ein höheres Selbstbewusstsein haben (dürfen).

Episode V: Nicht alles ist so toll?!

Es gibt Radrouten in Dänemark. Auf die wird man als Nichtpendler und Urlaubsradfahrer geschickt, wenn man es zulässt. Wenn man sich die vorangegangen Episoden ansieht, erkennt man: Infrastruktur für Radfahrer wurde zulasten des schnellen Vorankommens auf sehr hohe Betriebssicherheit ausgelegt.

Quelle: Polyglott-Reiseführer Dänemark, 17. Auflage, 1981/82, Polyglottverlag Dr. Bolte, München, ISBN 3.493-60714-8, Seite 12 – Interessant ist die Formulierung „auch heute“, die offen lässt, ob der hohe Radfahreranteil damals als nostalgische Marotte oder als beispielgebend anzusehen war.

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Ich denke, das hat auch etwas damit zu tun, dass Radfahren in Dänemark schon immer einen hohen Verkehrsanteil einnahm und trotz „lenkender“ Maßnahmen der Sechziger- und Siebzigerjahre nicht zurückging. Vielleicht liegt das am kultivierten Understatement der Dänen; vielleicht waren ihnen Autos als Statussymbole zuwider – wenn man durch das Land fährt, hat man den Eindruck, dass das wichtigste im Leben der Dänen Haus und Garten ist, während Kleidung und Autos eher als unnützer Tand betrachtet werden.

Zurück zu den Radrouten. Wird man durch einen solchen Wegweiser eingefangen, der am Radstreifen entlang einer stark befahren Straße lockt, landet man schnell in einem verwirrenden Netz von Nebenstraßen in ländlicher Idylle.

Da ich diesmal mit GPS fuhr, war es möglich, den Radrouten ohne aufkommende Zweifel über längere Zeit zu folgen, um festzustellen, dass diese ähnlich wie in Südeuropa angelegt sind. D.h., dass mit normalen Landkarten keine vernünftige Tagesplanung möglich ist, da die Radrouten nicht die kürzesten Verbindungen sondern eher die umständlichsten Verbindungen wählen. bei einem Routing auf kürzestem Weg von 80km sind tatsächlich 110 km anzusetzen und man muss weiters davon ausgehen, dass unterwegs zumindest ca. 20% auf faktisch nicht befahrbaren Wegen zu fahren ist (z.B. mit Rundrieselschotterung aus Feuersteinen). Dank GPS war es möglich die Begrenztheit dieser Abschnitte4 abschätzen zu können und nicht, wie bisher nach dem zweiten derartigen Vorfall nur mehr Haupt- und Schwerverkehrsstraßen zu wählen (die allerdings in Südeuropa auch kaum befahren werden).

Südlich von Trend, Jütland: Das ist ein überregionaler Radweg (Radroute). Hier war der Belag noch vergleichsweise gut.

4 Ich habe den Eindruck, dass man in Kauf nimmt, dass einzeln Radwegabschnitte für Räder unbefahrbar sind, damit sie für Abkürzungsverkehr von Autos unattraktiv sind, kann diese Annahme bisher jedoch nicht belegen.

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Zwischen Aalborg und Hadsund, idealtypische Radweganlage, leider auf der Trasse einer eingestellten Kleinbahn.

Es gibt also noch Verbesserungspotential im Langstreckenradverkehr Dänemarks. Allerdings nehmen die Züge (auch Schnellzüge) fast ausnahmslos Räder mit. Das kostet zwar dort mehr – wenn es aber verlässlich funktioniert, zahlt man es vergleichsweise gerne.

Radtransport im Intercity zwischen Nykøbing/Falster und Kopenhagen

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Wahrscheinlich ist die Forderung nach Fahrradautobahnen5 in Kopenhagen auch unter diesem Aspekt zu betrachten. Die Radweginfrastruktur Dänemarks ist, wie bereits ausgeführt, sehr sicherheitsbedacht6 geplant und muss aus diesem Grunde fast zwingend Gefahren umgehend geführt sein. Irgendwann stößt man aber mit solch einem System an eine Grenze. Der Massenverkehr wird erschwert, da der Verkehrsfluss des Radverkehrs gehemmt wird. Man könnte also sagen, dass das sichere Fahrradfahren in Dänemark über den eigenen Erfolg gestolpert ist und nun weitere Investitionen nach sich zieht. Diese Investitionen machen aber ein Bruchteile dessen aus, was die Folgeinvestitionen der „Erfolgsgeschichte Autoverkehr“ ausmachen.

Was man in jedem Fall von Dänemark lernen kann: Die Verkehrsteilnehmer werden von der Planungspolitik gleichwertig angesehen. Da sind wir noch ungefähr ein halbes Jahrhundert hinterher.

Vordingborg: Zur Abwechslung eine logisches Fahrverbot für Fahrräder (Fußgängerzone mit Radfahrverbot während der Geschäftszeit und eingeschränktem Lieferverkehr). Typisch sind ebenso die Sackgassenschilder, mit „Fortsatz“ die zeigen, dass für Radfahrer und Fußgänger das Durchkommen möglich ist.

alle Photos vom Verfasser

5 Genauer gesagt: Radschnellwege; http://de.wikipedia.org/wiki/Radschnellweg 6 Der Humanwissenschafter Dr. Volker Briese hat die nachteiligen Effekte einer rein auf Sicherheit gegenüber dem Autoverkehr bedachten und damit in eine defensive Lage gerbachten Planung von Radwegen in diese Publikationen ebenfalls behandelt. Bemerkenswert ist v.a. der bereicht über den Radwegebau bis 1940, der zeigt, wie einzelnen Länder (Niederlande) den beachtlichen technischen Vorsprung bei Radwegebau sichern konnten.

http://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/kw/institute-einrichtungen/humanwissenschaften/soziologie/personal/briese/Volker_Briese_Radwegebau.pdf

http://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/kw/institute-einrichtungen/humanwissenschaften/politische-wissenschaft/Aktuelles/Kinderkommission_herten_04.pdf