provision3d — eine virtual reality workbench zur modellierung, kontrolle und steuerung von...

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1 Einleitung Zur prozeßorientierten Organisationsge- staltung und -durchführung haben rech- nergestützte Ansätze in letzter Zeit erheb- lich an Bedeutung gewonnen. Hinsicht- lich der Tatsache, daß die Gewährleistung dieser Aufgaben maßgeblich von der Be- herrschung heterogener und komplexer Organisationsdaten und der effektiven In- teraktion mit den DV-Werkzeugen ab- hängt, werden leistungsfähige Benutzer- schnittstellen zur Darstellung und Mani- pulation komplexer Organisationsdaten gefordert. Dies wurde jedoch von den jet- zigen windowbasierten 2D-Benutzer- schnittstellen nicht befriedigend erfüllt. Im Hinblick auf diesen speziellen An- wendungsbereich eröffnen die Ansätze der Virtual Reality (VR) eine neue Per- spektive der Mensch-Maschine-Interakti- on. Die hier vorgestellte VR Workbench ProVision 3D stellt dafür einen ersten An- satz dar. Bei ProVision 3D werden Modell- daten dreidimensional visualisiert und die Interaktion zwischen der Workbench und den Benutzern wird direkt im virtuellen Raum ausgeführt. Mit Hilfe entsprechen- der Ein-/Ausgabegeräte werden alle Ob- jekte in der VR-Workbench stereobildlich dargestellt und die Szenarien je nach aktu- eller Betrachterposition in Echtzeit er- zeugt. Dieser Beitrag beschreibt zunächst die Aufgaben zur Modellierung, Kontrolle und Steuerung von Geschäftsprozessen. In bezug auf die Aufgabenstellungen in die- sem Bereich werden die Schwachstellen windowbasierter 2D-Benutzerschnittstel- len analysiert und gleichzeitig Ansatz- punkte der VR-basierten 3D-Schnittstellen abgeleitet. Anschließend wird die Archi- tektur von ProVision 3D unter Berücksich- tigung des kooperativen Arbeitens vorge- stellt und Funktionen einzelner Kompo- nenten erläutert. Die Schwerpunkte in der Entwicklung von ProVision 3D liegen vor allem in der Visualisierung von Modellda- ten und der Navigation und Interaktion im virtuellen Raum. Anschließend werden zwei objektorientierte Hierarchiestruktu- ren für die Gegenstände und Tätigkeiten in den Organisationsmodellen präsentiert, die zur Gestaltung der 3D-Metaphern ver- wendet werden. Der erste Prototyp von ProVision 3D bie- tet eine Plattform zur Präsentation von Modelldaten und zur Navigation und In- teraktion in der virtuellen Organisations- welt. Bei den Modelldaten im Prototyp handelt es sich um ein Beispiel aus der öf- fentlichen Verwaltung – die Entstehung eines Gesetzes in den Bundesbehörden. Dieser Prototyp enthält zunächst zwei wichtige Modelle – das Geschäftsprozeß- modell und das Organigramm. 2 Modellierung, Kontrolle und Steuerung von Geschäftsprozessen Das Hauptaugenmerk der Rechnerunter- stützung zur prozeßorientierten Organisa- tionsentwicklung ist auf die Modellie- rung, Kontrolle und Steuerung von Ge- schäftsprozessen gerichtet. Dabei werden zwei wesentliche Phasen in der Abwick- lung dieser Aufgaben unterschieden (vgl. Bild 1). In der sogenannten build-time- Phase werden Ist- bzw. Soll-Vorgangsmo- delle für eine gegebene Organisation er- stellt und gegebenenfalls optimiert. Die er- stellten Vorgangsmodelle werden dann in der run-time-Phase zur Vorgangssteue- rung genutzt. Im Rahmen der build-time-Phase kom- men Anwendungen aus der Klasse der so- genannten Organisationsmodellierungs- werkzeuge zum Einsatz, mit welchen nach den Prinzipien der Organisationsge- staltung [Kort93; Hilg94] die für die run- time-Phase notwendigen Ist- bzw. Soll-Or- ganisationsmodelle erstellt oder optimiert werden können. Ein zentrales Ziel der Sy- stemanalyse ist die Reduzierung von Durchlaufzeiten. Neue Forschungsbestre- bungen gehen jedoch dahin, neben den Durchlaufzeiten auch Kosten-, Qualitäts- und ökologische Kriterien der Ge- schäftsprozeßoptimierung zu berücksich- tigen. Modellierungswerkzeuge bieten in der Regel eine methodische und rechnerge- stützte Anleitung zur Modellierung von Organisationsstrukturen. Ebenso verfügen sie über Analyse- und Simulationskompo- nenten, die eine iterative Optimierung der Organisationsmodelle ermöglichen. Die so mit Hilfe von Modellierungswerkzeu- 48 ProVision 3D – Eine Virtual Reality Workbench zur Modellierung, Kontrolle und Steuerung von Geschäftsprozessen im virtuellen Raum Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz WI – Aufsatz WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 1, S. 48 – 57 Prof. Dr. Hermann Krallmann; Feng Gu, M.Sc.; Dipl.-Inform. Arno Mitritz; Techni- sche Universität Berlin, Fachbereich Infor- matik, Institut für Wirtschaftsinformatik, Fachgebiet Systemanalyse und EDV, Sekr. FR 6-7, Franklinstraße 28/29, D-10587 Ber- lin, E-Mail: {hkr|gu|am}@cs.tu-berlin.de

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1 Einleitung

Zur prozeßorientierten Organisationsge-staltung und -durchführung haben rech-nergestützte Ansätze in letzter Zeit erheb-lich an Bedeutung gewonnen. Hinsicht-lich der Tatsache, daß die Gewährleistungdieser Aufgaben maßgeblich von der Be-herrschung heterogener und komplexerOrganisationsdaten und der effektiven In-teraktion mit den DV-Werkzeugen ab-hängt, werden leistungsfähige Benutzer-schnittstellen zur Darstellung und Mani-pulation komplexer Organisationsdatengefordert. Dies wurde jedoch von den jet-zigen windowbasierten 2D-Benutzer-schnittstellen nicht befriedigend erfüllt.

Im Hinblick auf diesen speziellen An-wendungsbereich eröffnen die Ansätzeder Virtual Reality (VR) eine neue Per-spektive der Mensch-Maschine-Interakti-

on. Die hier vorgestellte VR WorkbenchProVision3D stellt dafür einen ersten An-satz dar. Bei ProVision3D werden Modell-daten dreidimensional visualisiert und dieInteraktion zwischen der Workbench undden Benutzern wird direkt im virtuellenRaum ausgeführt. Mit Hilfe entsprechen-der Ein-/Ausgabegeräte werden alle Ob-jekte in der VR-Workbench stereobildlichdargestellt und die Szenarien je nach aktu-eller Betrachterposition in Echtzeit er-zeugt.

Dieser Beitrag beschreibt zunächst dieAufgaben zur Modellierung, Kontrolleund Steuerung von Geschäftsprozessen. Inbezug auf die Aufgabenstellungen in die-sem Bereich werden die Schwachstellenwindowbasierter 2D-Benutzerschnittstel-len analysiert und gleichzeitig Ansatz-punkte der VR-basierten 3D-Schnittstellenabgeleitet. Anschließend wird die Archi-tektur von ProVision3D unter Berücksich-tigung des kooperativen Arbeitens vorge-stellt und Funktionen einzelner Kompo-nenten erläutert. Die Schwerpunkte in derEntwicklung von ProVision3D liegen vorallem in der Visualisierung von Modellda-ten und der Navigation und Interaktion imvirtuellen Raum. Anschließend werdenzwei objektorientierte Hierarchiestruktu-ren für die Gegenstände und Tätigkeiten

in den Organisationsmodellen präsentiert,die zur Gestaltung der 3D-Metaphern ver-wendet werden.

Der erste Prototyp von ProVision3D bie-tet eine Plattform zur Präsentation vonModelldaten und zur Navigation und In-teraktion in der virtuellen Organisations-welt. Bei den Modelldaten im Prototyphandelt es sich um ein Beispiel aus der öf-fentlichen Verwaltung – die Entstehungeines Gesetzes in den Bundesbehörden.Dieser Prototyp enthält zunächst zweiwichtige Modelle – das Geschäftsprozeß-modell und das Organigramm.

2 Modellierung, Kontrolleund Steuerung vonGeschäftsprozessen

Das Hauptaugenmerk der Rechnerunter-stützung zur prozeßorientierten Organisa-tionsentwicklung ist auf die Modellie-rung, Kontrolle und Steuerung von Ge-schäftsprozessen gerichtet. Dabei werdenzwei wesentliche Phasen in der Abwick-lung dieser Aufgaben unterschieden (vgl.Bild 1). In der sogenannten build-time-Phase werden Ist- bzw. Soll-Vorgangsmo-delle für eine gegebene Organisation er-stellt und gegebenenfalls optimiert. Die er-stellten Vorgangsmodelle werden dann inder run-time-Phase zur Vorgangssteue-rung genutzt.

Im Rahmen der build-time-Phase kom-men Anwendungen aus der Klasse der so-genannten Organisationsmodellierungs-werkzeuge zum Einsatz, mit welchennach den Prinzipien der Organisationsge-staltung [Kort93; Hilg94] die für die run-time-Phase notwendigen Ist- bzw. Soll-Or-ganisationsmodelle erstellt oder optimiertwerden können. Ein zentrales Ziel der Sy-stemanalyse ist die Reduzierung vonDurchlaufzeiten. Neue Forschungsbestre-bungen gehen jedoch dahin, neben denDurchlaufzeiten auch Kosten-, Qualitäts-und ökologische Kriterien der Ge-schäftsprozeßoptimierung zu berücksich-tigen.

Modellierungswerkzeuge bieten in derRegel eine methodische und rechnerge-stützte Anleitung zur Modellierung vonOrganisationsstrukturen. Ebenso verfügensie über Analyse- und Simulationskompo-nenten, die eine iterative Optimierung derOrganisationsmodelle ermöglichen. Dieso mit Hilfe von Modellierungswerkzeu-

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ProVision3D – Eine VirtualReality Workbenchzur Modellierung,Kontrolle und Steuerungvon Geschäftsprozessenim virtuellen Raum

Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz

WI – Aufsatz

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 41 (1999) 1, S. 48 – 57

Prof. Dr. Hermann Krallmann; Feng Gu,M.Sc.; Dipl.-Inform. Arno Mitritz; Techni-sche Universität Berlin, Fachbereich Infor-matik, Institut für Wirtschaftsinformatik,Fachgebiet Systemanalyse und EDV, Sekr.FR 6-7, Franklinstraße 28/29, D-10587 Ber-lin, E-Mail: {hkr|gu|am}@cs.tu-berlin.de

gen erstellten Prozeßmodelle, könnendann für die run-time-Phase in sogenannteVorgangssteuerungssysteme, welche inder Literatur auch unter dem BegriffWorkflow-Management-Systeme (WfMS)[Heil94; Jabl95; Ober94] zu finden sind,als Grundlage für die Steuerung verwen-det werden. Die meisten der heute ver-breiteten WfMS (z.B. Flowmark1, Work-party2) verfügen über Komponenten, dieeine rudimentäre Ablauf-Modellierung er-lauben. Diese Komponenten offerierenz.Z. jedoch noch nicht die umfassendenFunktionen, die aktuell von Modellie-rungswerkzeugen angeboten werden. Esist jedoch zu erwarten, daß standardisierteSchnittstellen, wie sie von der Workflow-Management-Coalition (WfMC)3 erarbei-tet werden, die beiden Werkzeugweltenintegrieren werden.

Über eine Protokollierung der Prozes-se, welche das WfMS durchlaufen, kön-nen Rückschlüsse auf Schwächen imReal-Verhalten des Ist-Systems der be-trachteten Abläufe gewonnen werden. Siefließen in eine Revision und damit in ei-nen erneuten Durchlauf des Regelkreisesder Prozeßbearbeitung ein.

Um die Konsistenz zwischen model-lierten und tatsächlichen Prozessen zu ge-währleisten, soll ein permanenter Soll-/Ist-Abgleich ermöglicht werden. Die Kon-trolle von Geschäftsprozessen dient dies-bezüglich zur dynamischen Überwachungder Abweichungen zwischen den Soll-und Ist-Prozessen, während die Steuerungvon Geschäftsprozessen eine aktive Inter-vention und Änderung des Ist-Prozessesermöglicht.

3 Benutzerschnittstellenvon Organisations-werkzeugen

Computerunterstützte Werkzeuge, die be-züglich unterschiedlicher Aspekte dieAufgaben zur Modellierung, Kontrolleund Steuerung von Geschäftsprozessenunterstützen, werden als Organisations-werkzeuge (Org-Werkzeuge) bezeichnet.Dazu gehören vor allem Prozeßmodellie-rungstools sowie Workflow-Manage-ment-Systeme.

Im folgenden werden zunächst die dar-stellungsbezogenen Eigenschaften vonOrganisationsmodellen geschildert. ImHinblick darauf werden Schwachstellen

der aktuellen Benutzerschnittstellen derOrg-Werkzeuge analysiert. Dementspre-chend werden die Vorteile und Ansatz-punkte der VR-Technik zur Gestaltungvon Benutzerschnittstellen für Org-Werk-zeuge herausgearbeitet.

3.1 Die darstellungs-bezogenen Eigenschaften vonOrganisationsmodellenAus der Perspektive der Informationsdar-stellung und -manipulation werden die

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Eine Virtual Reality Workbench

Interaktion mit Anwendernund externen Applikationen

Prozeß-definitionen

Prozeßänderungen

Build Time

Run Time

Prozeßinstanziierungund -kontrolle

Prozeßdesignund -definition

Workflow-Ausführungsservice

externeAnwendungenund IT-Tools

Bild 1 Build- und Run Time-Phasen [WfMC94]

Kernpunkte für das Management

Dieser Beitrag beschreibt eine Virtual Reality-basierte dreidimensionaleBenutzerschnittstelle zur Modellierung, Kontrolle und Steuerung vonGeschäftsprozessen. Das Hauptaugenmerk wird auf die 3D-Darstellungvon Organisationsinformation und die Navigation und Interaktion imvirtuellen Raum gerichtet.• Relevante Organisationsmodelle werden in einem virtuellen Raum

integriert dargestellt. Dies ermöglicht eine einheitliche Betrachtung dergesamten Organisationswelt und ist insbesondere für die Betrachtungmodellübergreifender dynamischer Relationen geeignet.

• Die 3D-Visualisierung erhöht die Verständlichkeit von komplexenGeschäftsprozessen und Organigrammen. Des weiteren werdenModellelemente durch passende 3D-Metaphern, die objektorientiert undstufenweise gestaltet werden, repräsentiert.

• Offene Schnittstellen erlauben den Austausch von Modelldaten mitanderen kommerziell verfügbaren Modellierungswerkzeugen.

Stichworte: Virtuelle Realität, Mensch-Maschine-Interaktion, dreidimen-sionale graphische Benutzerschnittstelle, Informationsvisualisierung,Geschäftsprozesse, Geschäftsprozeßmodellierung

Organisationsmodelle durch die folgen-den Eigenschaften gekennzeichnet:

■ MehrdimensionalitätDie meisten Organisationsmodelle sinddurch Mehrdimensionalität gekenn-zeichnet. In Tabelle 1 werden die Infor-mationsdimensionen in Prozessen undanderen Organisationsmodellen aufge-listet.In bezug darauf werden zur einheitli-chen und vollständigen Darstellungder zu betrachtenden Modelldaten Be-nutzerschnittstellen mit möglichst vie-len Darstellungsdimensionen gefor-dert. Im Idealfall sollten die Darstel-lungsdimensionen den Informationsdi-mensionen entsprechen.

■ QuantitätDie Quantität von Organisationsdatenist durch die große Datenmenge dermeisten Modelle bedingt. Diese kön-nen nur auf einer ausreichenden Dar-stellungsfläche und durch eine geeig-nete Komprimierung dargestellt wer-den.

■ AbhängigkeitHinsichtlich der übergreifenden Ver-knüpfungen zwischen verschiedenenOrganisationsmodellen führt eine Än-derung in einem Modell häufig zu An-passungen in allen relevanten Model-len. Die Visualisierung dieser Komple-xität bildet einen der Schwerpunktebei der Gestaltung der Benutzerschnitt-stellen.

■ HeterogenitätDie Organisationsmodelle sind häufigdurch unterschiedliche Strukturen ge-kennzeichnet. Diese Vielfalt erfordert

eine individuelle Strukturvisualisie-rung der Organisationsmodelle.

3.2 SchwachstellenderzeitigerBenutzerschnittstellenZur Zeit erfolgt die Entwicklung von Be-nutzerschnittstellen für Org-Werkzeugeim wesentlichen noch nach den Gestal-tungsrichtlinien des sogenannten„WIMP“-Interfaces, welches durch das Zu-sammenspiel von Windows, Icons,Mouse und Pointer gekennzeichnet ist.Darin werden unterschiedliche Informati-onselemente in mehreren neben- oderübereinanderliegenden Fenstern darge-stellt und die Interaktion wird durch einMenü oder Tastatur-Shortcuts ausgeführt.Einige Werkzeuge ermöglichen auch diedirekte Manipulation der dargestelltenModelle und Modellelemente.

Bei den heutigen Org-Werkzeugenwerden zur Darstellung der Modellstruk-turen in der Regel zwei Dimensionen ver-wendet. Zusätzliche Inhalts- sowie Struk-turdimensionen werden meistens in zu-sätzlichen Fenstern dargestellt. Dies kannin vielen Fällen zur drastischen Steigerungder Fensteranzahl führen und beeinträch-tigt dadurch sowohl die Übersichtlichkeitbei der Modelldarstellung und beim Win-dow-Management als auch die vollständi-ge und einheitliche Betrachtung einer Or-ganisationsumgebung.

Hinsichtlich der beschränkten Bild-schirmgröße ist in den meisten Fällen nurein Ausschnitt des Modells sichtbar, derdurch Scrollen oder stufenweises Zoomenverändert werden kann. Die Betrachtung

eines komplexen Modells unter Beibehal-tung seiner Inhalts- und Strukturvollstän-digkeit kann bei diesem Vorgehen nichtgewährleistet werden.

Bei der Visualisierung dynamischerProzeßabläufe gilt die Animation als einesder effektivsten Mittel. Die bisherigenOrg-Werkzeuge bieten jedoch lediglichprimitive Methoden, wie textuelle Proto-kollierung bzw. Blinken oder Markierenvon Elementen.

Im Hinblick auf die im Abschnitt 3.1geschilderten Eigenschaften von Organi-sationsmodellen ist deutlich zu sehen, daßdie jetzigen Benutzerschnittstellen vonOrg-Werkzeugen die Organisationsaufga-ben nicht adäquat gewährleisten können.Daher besteht die Notwendigkeit zur tech-nischen und methodischen Verbesserung.

3.3 VR-basierteBenutzerschnittstellenVirtual Reality (VR) ist ein neues Schnitt-stellenparadigma. Hierbei wird mit Hilfevon Computern und Mensch-Maschine-Schnittstellen der Eindruck einer dreidi-mensionalen Welt erzeugt, in der die Be-nutzer mit virtuellen Objekten interagie-ren können [Brys96, 62]. Ein wichtigesEinsatzgebiet der VR-Technik liegt in derdreidimensionalen Visualisierung von In-formationen. Visualisierung ist eine dergrößten Perspektiven zur effektiverenNutzung von Informationen [Eric93, 5ff].

Bei der Visualisierung sind reale undabstrakte Objekte zu unterscheiden. RealeObjekte beziehen sich auf Gegenstände,die physikalisch existieren und konkreteFormen besitzen (Gebäude, Straße, Werk-statt, Maschine, Auto, ...), während ab-strakte Objekte als physikalisch formloseGegenstände (Daten, Prozeß, Organisa-tion, ...) nur mittels passender Metapherndargestellt werden können. Bei den VR-Ansätzen zur Gestaltung von Benutzer-schnittstellen der Org-Werkzeuge handeltes sich um die Visualisierung von Modell-daten, die überwiegend aus abstraktenObjekten bestehen.

Zur Visualisierung abstrakter Objektewurden bereits in Anwendungsbereichenwie Dateimanagement [CaRM91], Wis-sensdatenbankdarstellung [PaSu93], Visu-elle Programmierung [Reis94; RCBF95],Börseninformationsmanagement [Flan92;DoRo93], Netzwerkrepräsentation [Ei-Wi93] sowie Visualisierung multivarian-ter Relationen [BeFe92] die ersten Er-

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Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz

Informationen Anzahl der Dimensionen

lineare Strukturen 1*

einfache Graphen 2*

verschachtelte Graphen 4*

modellübergreifende Relationen Summe der Dimensionen der in Relation zu setzendenModelle

Eigenschaften/Leistungskriterien Anzahl der Eigenschaften/Leistungskriterien

* 1 z.B. Personalbibliothek2 z.B. Prozesse ohne Unterprozesse und andere Organisationsmodelle4 z.B. für Prozesse mit Unterprozessen

Tabelle 1 Mehrdimensionalität von Organisationsmodellen

kenntnisse gewonnen. Mit dem „Informa-tion Visualizer“ [CaRM91; RoMC91;MaRC91] wurde zum ersten Mal eine voll-ständige Umgebung zur VR-basierten Vi-sualisierung abstrakter Informationen ge-schaffen. In der Arbeit von [BSGI95] wur-de zum kooperativen Informationsretrie-val eine verteilte VR-basierte Umgebungrealisiert.

Zur Entwicklung spezieller Benutzer-schnittstellen für Org-Werkzeuge stelltder VR-Ansatz einen technischen Fort-schritt dar. Die Leistungsmerkmale derVR-Schnittstellen – drei räumliche Dimen-sionen für die Informationsdarstellung, In-teraktion in Echtzeit sowie besseres Wahr-nehmungsgefühl – tragen dazu bei, die Fä-higkeiten zur Beherrschung komplexerOrganisationsdaten zu verbessern. Es wur-de prognostiziert, daß die Visualisierungorganisatorischer Funktionalitäten in derZukunft ein aussichtsreicher Applikations-bereich der Virtual Reality Technik seinwird [Gran93, 220].

Des weiteren ermöglicht eine VR-Um-gebung methodische Neuentwicklungenzur Leistungsverbesserung von Benutzer-schnittstellen. Durch dreidimensionaleVisualisierung von Modelldaten, Datenin-terpretation durch graphische Metaphern,Verbesserung der Animationsfunktionen,integrierte Darstellung von Modelldatenund andere Ansätze können die Organisa-tionsaufgaben aus der Perspektive der Be-nutzerschnittstelle effizienter gestaltetwerden.

Aktuelle Forschungsinteressen an derVR-basierten Organisationsentwicklungliegen überwiegend in der Visualisierungvon Prozeßdaten [StBL94; StBL97;LeSc96]. Darin wird vor allem versucht,die Prozeßstruktur dreidimensional zu vi-sualisieren und die Prozeßelemente mitgraphischen Metaphern darzustellen. Diebisherigen Ansätze in diesem Bereich kon-zentrieren sich jedoch lediglich auf Teillö-sungen von Problemen. Systematischeund vollständige Ansätze zur einheitli-chen Unterstützung einer durchgehendenGestaltung und Ausführung von Ge-schäftsprozessen sind noch nicht abseh-bar.

4 Konzeption einerVR-Workbench zurModellierung, Kontrolleund Steuerung vonGeschäftsprozessen

4.1 EntwicklungszieleUm für die Organisationsgestaltung einebenutzergerechte innovative Perspektivezu entwickeln und um zu untersuchen, in-wieweit Virtual Reality die Bewältigungkomplexer Organisationsaufgaben unter-stützen kann, wurde ein Forschungspro-jekt am Institut für Wirtschaftsinformatikder Technischen Universität Berlin einge-richtet. Das Projekt ProVision3D (ProcessVisualization in 3-Dimensions) unter-sucht die Möglichkeiten der VR-Unterstüt-zung zur kooperativen Gestaltung, Kon-trolle und Steuerung von Geschäftsprozes-sen an einem Beispiel aus dem Verwal-tungsbereich. Ziel des Projektes ist es, eineoffene Virtual Reality Workbench unterBerücksichtigung der folgenden Aspektezu entwickeln:

■ dreidimensionale Visualisierung vonProzessen und anderen Organisations-modellen,

■ Modellierung von Geschäftsprozessenim virtuellen Raum,

■ Entwicklung von Animationsfunktio-nen zur Unterstützung der Simulationvon Prozeßabläufen,

■ Möglichkeit der Kontrolle (Frühwarn-system) und Manipulation der Prozeß-abläufe direkt im virtuellen Raum,

■ kooperatives Arbeiten im virtuellenRaum und

■ offene Schnittstellen zu kommerziellverfügbaren Organisationswerkzeu-gen.

Durch die Auswertung bei der Einführungvon ProVision3D in der Praxis sollen Aus-

sagen zur Sinnhaftigkeit, Machbarkeit undWirtschaftlichkeit vom VR-Einsatz zur Ge-staltung und Ausführung von Geschäfts-prozessen getroffen werden.

4.2 Inhalte von ProVision3D

Zur Inhaltsgestaltung von Organisations-modellen werden überwiegend bereitsexistierende betriebswirtschaftliche Me-thoden verwendet. Basierend auf derKommunikationsstrukturanalyse (KSA)[Hoye88; Scho90] wurde ProVision3D zu-nächst zur Unterstützung der Organisati-onsmodellierung konzipiert. Die Funktio-nen von ProVision3D dienen vor allem derGestaltung von Organisationsmodellensowie der Analyse und Simulation von Ge-schäftsprozessen.

In Anlehnung an das auf der KSA basie-rende Modellierungswerkzeug BONA-PART4 [Kral94, 255ff; BONA96] werdendie Inhalte von ProVision3D in Tabelle 2aufgelistet.

4.3 Kooperatives Arbeiten inProVision3D

Prozeßorientierte Organisationsentwick-lung ist durch Teamarbeit und multidiszi-plinäre Beteiligung geprägt. Zur Unterstüt-zung des kooperativen Arbeitens wirdProVision3D als ein verteiltes System kon-zipiert. Dadurch können Benutzer an ver-schiedenen Rechnern in einer gemeinsa-men virtuellen Organisationswelt mitein-ander kooperieren. Um zu vermeiden, daßunterschiedliche virtuelle Welten bei denBenutzern zu Mißverständnissen führen,wird eine für alle Beteiligten identischeVisualisierung der abstrakten Modellweltgeneriert.

Eine virtuelle kooperative Arbeitsum-gebung in ProVision3D besteht aus zweiTeilen – ein für alle Benutzer identischesModellszenario und ein individueller Me-chanismus für die Interaktion. Während

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Eine Virtual Reality Workbench

Aufbauorganisation Ablauforganisation Ressourcen

■ Organigramm ■ Prozeß ■ Sachmittel

■ Organisationseinheiten (Org-Einheiten) ■ Information ■ Speicher

■ Stellen ■ Informationsträger

■ Leiter ■ Transportmittel

Tabelle 2 Inhalte von ProVision3D

die Organisationsmodelle von allen betei-ligten Benutzern zur Betrachtung und Ma-nipulation zur Verfügung stehen, sind dieEntscheidungen über Auswahl vonEin-/Ausgabegeräten, Dialogmenüs undandere spezifische Systemeinstellungenvom jeweiligen Benutzer individuell zutreffen.

Die Betrachterpositionen aller Beteilig-ten werden erfaßt und durch geeignete Vi-sualisierung im virtuellen Raum darge-stellt. Die von einem Kooperationspartnervorgenommenen Änderungen müssen füralle Beteiligten sichtbar sein und alle loka-

len Umgebungen müssen gemäß dieserÄnderung aktualisiert werden.

4.4 Aufbau von ProVision3D

Die Architektur von ProVision3D wird inBild 2 gezeigt.

Das Metadatenmodell in ProVision3D

dient zur Speicherung und Verwaltungvon Organisationsdaten. Darin werdenProzesse und andere Organisationsmodel-le formal beschrieben. Die Modelldatenkönnen entweder direkt in ProVision3D

modelliert oder durch Schnittstellen zwi-

schen ProVision3D und anderen kommer-ziell verfügbaren Modellierungswerkzeu-gen importiert werden. Des weiteren kön-nen Modelldaten zur Durchführung vonGeschäftsprozessen durch Schnittstellenzwischen ProVision3D und Workflow-Ma-nagement-Systemen in die Vorgangssteue-rung überführt werden. Die zur Revisionvon Geschäftsprozessen benötigten Infor-mationen können ebenso durch dieseSchnittstelle aus dem Workflow-Manage-ment-System in ProVision3D importiertwerden.

Zur Visualisierung einzelner Grundob-jekte in ProVision3D werden passende gra-phische Metaphern entwickelt. Alle gra-phischen Metaphern werden in einer VR-Metaphernbibliothek zentral verwaltet.Basierend auf einzelnen Metaphern wer-den Strukturen und Szenarien im virtuel-len Raum erzeugt. Die Metaphern in derVR-Metaphernbibliothek werden je nachAufgabenstellung ausgewählt und in denentsprechenden Szenarien positioniert.Schwerpunkte zum Aufbau von Szenarienliegen vor allem in der Auswahl geeigne-ter Visualisierungsmethoden für Struktu-ren sowie der Anordnung verschiedenerObjekte im virtuellen Raum.

Die Interaktion zwischen dem Benut-zer und ProVision3D erfolgt mittels passen-der 3D-Ein-/Ausgabegeräte. Als Eingabe-geräte bietet ProVision3D eine 3D Mausund einen Sensorstift als Alternative. AlsAusgabegerät wird ein Stereo ShutterGlass mit Tracking System benutzt. ProVi-sion3D ermöglicht unterschiedlichen Be-nutzern mit eigenen Ein-/Ausgabekonfigu-ration kooperativ zu arbeiten. Die Schnitt-stellen von ProVision3D zu Ein-/Ausgabe-geräten werden offen gehalten, damit an-dere Peripheriegeräte, wie Head-Moun-ted-Display (HMD) nachträglich an ProVi-sion3D angeschlossen werden können.

5 VR-basierteVisualisierung inProVision3D

Die Visualisierungsaufgaben in ProVisi-on3D beziehen sich grundsätzlich auf zweiBereiche – Objektvisualisierung undStrukturvisualisierung. Bei der Objektvi-sualisierung handelt es sich um die Reprä-sentation von Objekten durch Metaphern,während sich die Strukturvisualisierungmit der optimalen räumlichen Anordnung

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Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz

Präsentation Interaktion Präsentation Interaktion

virtuelleOrganisations-welt

Szenarien

Auswahl einzelner VR-Objekte Einrichtung objektüber-greifender Verbindungen

Integration mehrererGrundelemente zu einer Zeiteinheit

spezielle graphische Effekte(Rendering, Beleuchtung, ...)

statischeGraphikattributeForm, Größe, Farbe,Position, Transparenz,Textur

dynamischeGraphikattribute– Änderung graphi-

scher Eigenschaften– Animation– Video/Audio

objektübergreifendeGraphikattribute– Anordnung– Formänderung– Verweis/Relation

statischeEigenschaften

dynamischeEigenschaften

objektüber-greifende

Eigenschaften

Pars

er

Pars

er

Metaphern-bibliothek

Metadaten-modell

externeDatenmodelle

Metadatenmodell fürdie Geschäftsprozeß-

modellierung

Metadatenmodell fürdas Workflow-management

Werkzeug zumWorkflowmanagement

Werkzeug zurGeschäftsprozeß-

modellierung

Bild 2 Architektur von ProVision3D

von Strukturelementen im Darstellungs-raum beschäftigt.

5.1 ObjektvisualisierungDie Objekte in ProVision3D umfassen Ele-mente aus Organisationsmodellen sowieObjekte, die zur Steuerung der Work-bench und zur Präsentation anderen Infor-mationen verwendet werden. Zur Objekt-visualisierung werden zunächst gemäßden charakteristischen Eigenschaften ei-nes Objektes ein oder mehrere passendeMetapern entwickelt. Durch das Aussehenvon Metaphern soll der Objektinhalt ein-deutig und unverwechselbar graphisch re-präsentiert werden. Des weiteren werdenzusätzliche Eigenschaften und Leistungs-merkmale des Objektes zur Visualisierungdes Objektes berücksichtigt. Zur Erzeu-gung von Metaphern werden verschiede-ne Graphikmittel (Geometrie, Farbe, Grö-ße, Texturen, ...) eingesetzt.

Zur Gestaltung von Objektmetaphernin ProVision3D wird die sogenannte „De-gree of Interest“ (DOI) Methode [Furn86,16] eingeführt. Für ein Objekt werdenmehrere Metaphern mit unterschiedli-chem Abstrahierungsgrad entwickelt. Jenach Betrachtungsentfernung und Interes-senrelevanz wird dafür eine passende Me-tapher dynamisch ausgewählt und im Sze-nario dargestellt (siehe Bild 3). Dies ge-währleistet ein ausgewogenes Verhältniszwischen lokalen Details und dem Ge-samtkontext [Furn86, 16].

In ProVision3D werden jeweils für Ge-genstände und Tätigkeiten der Organisati-onsmodelle eine Reihe von graphischenMetaphern entwickelt. Die Gegenständesind hauptsächlich Elemente von Prozes-sen und Modellen (Stellen, Organisations-einheiten, Informationen, Materialien, ...),während Tätigkeiten Funktionen be-schreiben, die zur Durchführung von Or-ganisationsaufgaben notwendig sind. Dar-über hinaus läßt sich eine Organisations-aufgabe durch die folgende Formel be-schreiben:

Aufgabe = Tätigkeit [+ Gegenstand | Ge-genstände]

In Tabelle 3 werden einige typische Bei-spiele aufgeführt.

In ProVision3D wird eine Metapher füreine Aufgabe (im Geschäftsprozeß auchals Prozeßschritt genannt) durch die Kom-bination einer Tätigkeitsmetapher und ei-ner oder mehrerer Gegenstandsmeta-phern erzeugt.

Die Metapherngestaltung für Gegen-stände und Tätigkeiten wird objektorien-tiert und hierarchisch durchgeführt. Dafürwird jeweils ein Hierarchiebaum für Ge-genstände und einer für Tätigkeiten einge-richtet. In Bild 4 werden die zwei Hierar-chien auszugsweise dargestellt.

5.2 StrukturvisualisierungZur Strukturvisualisierung in ProVision3D

kommen überwiegend dreidimensionaleLösungen in Betracht. Als Kriterien für dieVisualisierung stehen Rationalisierung derRaumbelegung sowie die Verbesserungdes strukturellen Verständnisses im Vor-dergrund. Für jede Struktur werden unter-schiedliche Präsentationsformen entwik-kelt, die adaptierbar von den Benutzernausgewählt werden können.

Im folgenden werden die einzelnenAnsätze zur Strukturvisualisierung be-schrieben.

5.2.1 Visualisierung von Prozessen

Ein Prozeß oder Vorgang ist die ablaufor-ganisatorische Zusammenfassung mehre-

rer Organisationsaufgaben [Kral94], diedurch Informationsflüsse zu einer Prozeß-kette verbunden werden. Bei einem Pro-zeß muß mindestens ein Eingang und einAusgang vorhanden sein. Jede Aufgabekann nach Bedarf detailliert beschriebenwerden, bis eine atomare Beschreibungs-stufe erreicht ist. Strukturtechnisch gese-hen ist ein Prozeß ein Ablauffluß, der Kno-ten (davon mindestens ein Startknotenund ein Endknoten) und Kanten enthält,wobei ein Knoten selbst wiederum durcheinen Ablauffluß auf einer detaillierterenEbene ersetzt werden kann.

Zur Visualisierung rekursiver Prozessewurde in [StLB97] eine Methode entwik-kelt, wobei der übergeordnete Prozeß-schritt um jeweils eine Stufe angehobenwurde (siehe Bild 5). Bei der Struktursichtsind die Nachrichtenverbindungen sicht-bar und es entsteht so ein Abbild der Kom-munikationstopologie [StLB97, 134]. Da-durch wird eine übersichtliche und klareAnordnung der Prozeßstruktur erreicht.Eine Schwachstelle dieser Methode liegtdarin, daß sie die Elementdarstellung ver-nachlässigt und dadurch die Identifizie-rung einzelner Prozeßschritte erschwert

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Eine Virtual Reality Workbench

Bild 3 Metapherngestaltung nach Entfernung und Interessenrelevanz(Beispiel an einem Archiv-Objekt)

Aufgaben Tätigkeit Gegenstand (Gegenstände)

Auftrag bearbeiten bearbeiten Auftrag

Gesetzentwurf billigen billigen Gesetzentwurf

Datei 1 und Datei 2 kombinieren kombinieren Datei1, Datei 2

recherchieren recherchieren

Tabelle 3 Beispiele der Formelbeschreibung für Aufgaben im Geschäftsprozeß

wird. Außerdem wird zur Darstellung deszu visualisierenden Prozesses eine großeräumliche Kapazität benötigt.

Ein ausgewogenes Verhältnis zwischenStruktur- und Elementansichten bei derProzeßvisualisierung kann durch ein dy-namisches Gestaltungsvorgehen gewähr-leistet werden. Angepaßt an die menschli-chen Betrachtungsweise von realen Ob-jekten wurde in ProVision3D eine soge-nannte „Graph im Graph“ Methodeentwickelt, die eine stufenweise detaillier-tere Darstellung einzelner Unterprozesseim Prozeßmodell beinhaltet. Für den Pro-zeß wird zunächst die oberste Prozeßebe-

ne (die obersten Prozeßschritte und derenVerbindungen) dargestellt. Durch dieVorwärtsbewegung des Benutzers gegen-über dem Prozeß im virtuellen Raum wer-den die Metaphern der Prozeßschrittetransparenter und die Unterprozesse, diesich innerhalb der Metapher des überge-ordneten Prozeßschritts befinden, sind abeiner bestimmten Distanz sichtbar. DieserVorgang kann wiederholt werden, biseine der untersten Ebenen des Prozesseserreicht ist.

5.2.2 Visualisierung desOrganigramms

Das Organigramm beschreibt die Organi-sationsstruktur eines Unternehmens. DieStruktur eines Organigramms entsprichthäufig der eines hierarchischen Baumes.Moderne Organisationsformen weisen je-doch komplexere Strukturen auf. Dahin-gehend werden nicht nur die fachlichenKompetenzen und Aufgabenstellungeneinzelner Org-Einheiten, sondern auch dieWeisungs- und Koordinationsrelationenzwischen Org-Einheiten beschrieben. Sol-che Strukturen können nur mit Hilfe des„Multibaums“ interpretiert werden (sieheBild 6).

Eine 3D-Lösung zur Visualisierung ei-ner Baumstruktur wurde in [RoMC91] vor-gestellt. In diesem „Cone Tree“ werdenalle Vater-Kind(er)-Relationen als Kegelvisualisiert. Der Vaterknoten befindet sichan der Spitze eines jeden Kegels, währendalle Kinderknoten am Rand des unterenKegelkreises hängen. Die verdeckten Ele-mente können durch Drehen des entspre-chenden Kegels in den Vordergrund be-wegt werden. Details von Unterstruktu-ren können je nach Bedarf ein- bzw. aus-geblendet werden.

5.2.3 Visualisierung andererStrukturen

Die Strukturen anderer Organisationsmo-delle in ProVision3D, wie Ressourcenmo-delle, Informationsmodell oder Informa-tionsträgermodell, können als einfacheGraphen ohne Unterstrukturen bezeich-net werden. Ein 3D-Ansatz zur Visualisie-rung solcher Modelle ist nicht zwingend,falls die 2D-Visualisierung zur Darstellungeines Aufbaumodells ausreicht.

6 Ein Prototyp vonProVision3D zur Navi-gation und Manipulationin der virtuellenOrganisationswelt

6.1 Prozeßgestaltung und-ausführung in der VerwaltungDer Verwaltungsbereich eines Unterneh-mens ist ein durch Informationsverarbei-

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Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz

GegenstandOrganisation

Information

Ressourcen

GeschäftsführungBereichStelle

LeiterMitarbeiter

Lieferanten

Sachbearbeiter(in)Sekretärin

Dokument

DatenPersonaldaten

NameAdresse

AntragAuftrag

AnfrageNachfrage

MaterialdatenAktenzeichenBestellnummer

ZeitTerminFrist

GerätKopiererComputer

SpeicherDatenbankOrdner

Transportmittel

InformatiosträgerBüromaterial

Warentransport

InformationstransportPKW/LKW

PostFax

TätigkeitBearbeitung

Kommunikation & Austausch

Management

suchenauswählenändern

einfügenkorrigierenoptimieren

Austauschneutral

exportieren

übertragenimportieren

organisieren

analysierenrecherchierenuntersuchen

steuern

entscheidenerteilen

prüfenkontrollieren

unterzeichnenablegen

erhalten

sendenKommunikation

besprechenanrufenberaten

informierenerkundigen

planen

Import/Export

einrichten

speichernschließen

eröffnenerzeugen

Bild 4 Hierarchische Strukturen von Tätigkeiten und Gegenständen (Auszug)

tung und Kommunikation geprägter Ort[Kral94, 238]. Die Organisationsentwick-lung in der Verwaltung wird sich deshalbmit Aufgaben wie Kommunikation, Koor-dination und Kooperation zwischen Orga-nisationseinheiten sowie Verarbeitung be-trieblicher Informationen auseinanderset-zen.

Durch die Initiative „Schlanker Staat“gewinnt die Reorganisation und Optimie-rung von Verwaltungsstrukturen und Ge-schäftsprozessen in Bundesbehörden zu-nehmend an Bedeutung. Die vorläufigenArbeiten [IVBB93; Nolt95; MaRo96;PrKo96] konzentrieren sich vor allem aufdie DV-unterstützten Ansätze zur Automa-tisierung des Workflow-Abwicklungsvor-gangs und die Verbesserung des koopera-tiven Arbeitens. Angelehnt an die oben er-wähnten Ergebnisse wurde zunächst einklassisches Szenario für kooperations- undkommunikationsrelevante Geschäftspro-zesse in Bundesorganen – die Entstehungeines Gesetzes in den Bundesbehörden –zum Testzweck für ProVision3D model-liert.

6.2 Komponenten des erstenPrototyps von ProVision3D

Der erste Prototyp von ProVision3D wur-de für einen einzelnen Arbeitsplatzentwickelt. Bild 7 zeigt einen Bildschirm-ausschnitt von ProVision3D, welcher ei-nen Gesamtüberblick über die VR-Umge-bung von ProVision3D verschafft.

Im Prototyp wurden zunächst ein Ge-schäftsprozeß, ein Organigramm und eineLandkarte visualisiert. Die drei Kompo-nenten lassen sich im virtuellen Raum un-abhängig voneinander bewegen, um un-terschiedliche Ansichten zu erhalten.

6.2.1 Der Entstehungsprozeß einesGesetzes in den Bundesbehörden

Der Prozeß über die Entstehung eines Ge-setzes in den Bundesbehörden wird imPrototyp nach der im Abschnitt 5.2.1 dar-gestellten „Graph im Graph“ Methode vi-sualisiert. Prozeßschritte und -relationenwerden jeweils durch passende Meta-phern interpretiert. Die Farben und Grö-ßen der Metaphern für die Prozeßschrittedienen der Darstellung des sich dyna-misch ändernden Leistungszustandes (z.B.Durchlaufzeit und Kosten) des jeweiligenProzeßschrittes. Eine dunklere und größe-re Metapher weist auf große Abweichun-

gen zwischen Ist- und Soll-Werten hin,während der normale Ablauf eines Pro-zeßschrittes durch eine hellere bzw. klei-nere Box bezeichnet wird.

Im Prototyp wurden zur Darstellung ei-nes Prozesses zwei Dimensionen belegt.Die dritte Dimension dient ausschließlichzur Darstellung der Metaphern.

6.2.2 Organigramm

Das Organigramm in ProVision3D definiertdie fundamentale hierarchische Organisa-

tionsstruktur von Bundesbehörden. Darinwird das gesamte Organigramm zunächstnach Bundesrat, Bundestag und Bundesre-gierung unterteilt. In ProVision3D wurdedie Struktur mit einem Org-Cone-Treevisualisiert, welcher auf dem in [RoMC91]dargestellten Grundkonzept (siehe Ab-schnitt 5.2.2) basiert und mit organisati-onsspezifischen Merkmalen erweitertwurde. Die Kegel im Org-Cone-Tree be-zeichnen die disziplinären Beziehungenzwischen übergeordneten und unterge-

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Eine Virtual Reality Workbench

Bild 5 Konzept des 3D-Layout [StLB97]

Bild 6 Einfacher Baum und Multibaum für Organigramme

ordneten Org-Einheiten. Alle Unterbäumeund dessen Elemente sind drehbar.

Die Org-Einheiten im Org-Cone-Treewerden mit Hilfe der Metaphern visuali-siert. In der Unterstruktur für den Bundes-tag dienen die Farben in erster Linie derZuordnung der Org-Einheiten zu Parteien.Die Zuordnung der Farben entspricht derin der Öffentlichkeit üblichen Farbidenti-fizierung – rot für SPD, schwarz fürCDU/CSU, grün für Bündnis 90/Grüne so-wie dunkelrot für die PDS. Die verschiede-nen Metapherflächen stehen zur Beschrif-tung für die verschiedenen Eigenschaftender Org-Einheiten zur Verfügung. In Pro-Vision3D wird die vordere Fläche mit demName der Org-Einheit beschriftet, wäh-rend der Name des Org-Einheitslei-ters/-mitarbeiters auf der hinteren Fläche

zu sehen ist. Durch die Drehung einer Me-tapher werden die Informationen auf denverschiedenen Flächen sichtbar.

6.2.3 Landkarte

Die Landkarte ermöglicht eine intuitivegeographische Bestimmung der realenStandorte von Organisationseinheiten.Die im Organigramm enthaltenen Org-Einheiten sind auf der Landkarte nach ih-ren Standorten plaziert. In ProVision3D

wurde zunächst eine Berliner Landkarteerstellt, um ansatzweise die Org-Einheitenin Bundesbehörden geographisch darzu-stellen. Dies dient vor allem dazu, die sichständig ändernden Standorte von Bundes-behörden in Berlin zu überwachen.

6.3 Interaktion in derWorkbenchDer erste Prototyp konzentriert sich imwesentlichen auf die Darstellung wichti-ger Organisationskomponenten im virtu-ellen Raum. Neben Funktionen zur Mani-pulation von Komponenten bietet dieserPrototyp den Benutzern die Möglichkeit,die Relationen zwischen Prozeßschritten,Org-Einheiten und der Landkarte zu ermit-teln. Zum einen kann der Standort einerOrg-Einheit und zum anderen die für dieBearbeitung eines Prozeßschrittes zustän-digen Org-Einheiten abgefragt werden.

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Hermann Krallmann, Feng Gu, Arno Mitritz

Bild 7 Der erste Prototyp von ProVision3D (Ausschnitt)

Anmerkungen1 Flowmark ist ein Produkt von IBM.2 Workparty ist ein Produkt der Siemens Nix-

dorf Informationssysteme AG.3 Die WfMC ist eine Hersteller-Vereinigung un-

ter Mitarbeit diverser Forschungseinrichtun-gen mit dem Sitz in Brüssel. Eine Beschreibungder Arbeiten der WfMC ist in [Vers95] zu fin-den.

4 BONAPART ist ein Produkt der Firma UBISGmbH zur objektorientierten Organisations-modellierung im Verwaltungsbereich.

Danksagung

Wir danken unseren studentischen Mitar-beitern – Herrn Thomas Bendig und FrauNicole Henseler – für ihre wertvollen An-regungen am gesamten Systemkonzeptund ihre maßgebliche Beteiligung bei derEntwicklung des ersten Prototyps.

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Eine Virtual Reality Workbench