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Sonntag, 13. Mai 2018 REPORT 3 Zum Muttertag danken wir mal explizit der Zweit-Mami Wer denkt schon an Wer denkt schon an die Stiefmütter? die Stiefmütter? D ie Gebrüder Grimm ha- ben das Bild der fiesen, eifersüchtigen Schwie- germutter geprägt, die Aschenputtel niedermacht oder Schneewittchen töten will. Doch auch 200 Jahre spä- ter haben Stiefmütter immer noch keine Lobby, obwohl der Kreis immer größer wird. In Amerika wird deshalb seit dem Jahr 2000 – auf Initiative einer Elfjährigen, die ihre Stiefmutter über alles liebte – an jedem dritten Mai-Sonntag der „Stepmom-Day“ gefeiert. „Wenn man damit erreichen könnte, dass Stiefmütter mehr Beachtung bekommen wür- den, sollte man vielleicht dar- über auch in Deutschland nachdenken“, sagt Katharina Grünewald zum Sonntag-EX- PRESS. Denn der „Job“ ist heutzutage nicht einfach. „Zum einen sollen sie eine mütterliche Bezugsperson sein, ohne der Mutter den Platz streitig zu machen. Zum anderen sollen sie selbst als Wochenendmutter in das klassische Familienbild pas- sen, dass Männer unbewusst abgespeichert haben“, erklärt Katharina Grünewald. Dazu komme, dass viele Stiefmütter, besonders nach einem Rosenkrieg, sich das Leben selbst schwermachen. „Sie tun oft alles, damit es dem Kind gutgeht, wollen dem Bild der »guten Mutter« entspre- chen. Doch so stürzen sie das Kind in einen Loyalitätskon- flikt. Das schlägt sich auf die Seite der leiblichen Mutter.“ Und in vielen Fällen können Stiefmütter da leider nicht auf Rückendeckung des Partners zählen. Problematisch sei, dass Männer Konflikte tabui- sieren, statt klar Position zu beziehen. „Einige Stiefmütter erzählten mir bei der Bera- tung, dass Sie auf der Rück- bank Platz nehmen müssen, wenn der Teenie am Wochen- ende da ist, weil er das so ge- wohnt sei nach der Trennung. Immer zurückstecken Buhlen um die Gunst des Partners – und immer zurück- stecken müssen. Das tut weh. Kein Wunder, dass laut Statis- tik doppelt so häufig Bezie- hungen in Patchworkfamilien scheitern als Beziehungen oh- ne Kinder. Oft sind es ver- meintliche Kleinigkeiten, die zum Pulverfass für die Bezie- hung werden. Die Psycholo- gin: „ In der einen Familie gab es strikte Grenzen, da wurde im Bad die Tür zugemacht und die Tür abgeschlossen, in der anderen duscht man vor den Augen aller. So etwas er- zählt man sich ja nicht beim Kennenlernen. Das gibt natür- lich Konflikte...“ Deshalb rät sie Stiefmüt- tern, einfach mal mehr an sich zu denken. „Wenn ich den Kindern die aufwendige Spe- zial-Bolognese koche mit ab- gebrühten Bio-Tomaten, ärge- re ich mich, wenn es heißt: »Schmeckt bei Mama viel bes- ser«. Wenn ich etwas koche, worauf ich Lust habe, ist es das Sahnehäubchen obendrauf, wenn die Kinder es loben.“ Sollte man Frauen da nicht den Ratschlag geben, Vätern aus dem Weg zu gehen? „Es ist auf jeden Fall viel Arbeit – an sich und in der Beziehung. Ich selbst habe zeitweise vier Kin- der und erlebe es als große Be- reicherung.“ Der Seilspringreim, der auf Schulhöfen angestimmt wird, spricht Bände: „Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden – aber wie viele Kinder wirst du kriegen?“ Das Famili- enministerium schätzt, das mindestens jedes achte Kind in einer Patchworkfamilie aufwächst. Sonntag-EXPRESS sprach mit der Kölner Psychologin Katharina Grünewald (47), die diese Familien berät. Denn am Sonntag wird wieder ein Loblied auf die Mütter gesungen – aber was ist eigentlich mit den Tausenden von Stiefmüttern? Blumen hat nicht immer nur die leibliche Mutter verdient. In Deutschland dominieren nach einer Statistik des Fami- lienministeriums übrigens Stiefvaterfamilien. So gibt es in knapp der Hälfte der Stief- und Patchworkfa- milien einen Stiefvater, knapp ein Drittel hat eine Stiefmutter. Fotos: Thinkstock, Jurga Graf, Heribert Corn, Facebook Lob auf die Nachfolgerin erobert das Netz Autorin Barbara Toth skiz- ziert in ihrem Buch „Stief- mütter“die Vorurteile: „Auf- opfernd, gebend, zurückste- ckend, selbstlos soll die Mut- ter sein, natürlich auch be- rufstätig und Familienma- nagerin. Von Stiefmüttern wird all das wie von Müttern erwartet – und noch mehr. Sie ist ja die, die sich auf das „Du wolltest es ja nicht anders...“ Abenteuer Patchworkfami- lie eingelassen hat, schwingt da oft als leiser Vorwurf mit. Du hättest ja eine eigene Familie gründen oder bei deinem alten Mann und der Familie bleiben können. Du wolltest doch diese neue Beziehung, mit dem Neuen, der Kinder hat. Jetzt zeige, dass du es im Griff hast.“ E in Lob für die Nachfolgerin. Der Facebook-Post von Audrey Nicole an Whitney, die „Stiefmutter“ ihrer kleinen Tochter, sorgte im Netz für Fu- rore: „Ich bin so dankbar, sie zu haben, denn wenn meine Tochter ihren Dad besucht, macht sie ihr Essen, passt auf sie auf, kauft ihr Geschenke und kümmert sich schlicht- weg um sie, als sei es ihre eige- ne Tochter. Warum sind all diese Mütter so gehässig und eifersüchtig gegenüber ande- ren Frauen? Niemand hat ge- sagt, dass es einfach sein wür- de, für ein Kind, das nicht deins ist, die Mutter zu sein. Also schubst sie nicht einfach weg, wenn sie es versuchen! Sie brauchen das Drama nicht... Ein Kind kann zwei Mütter haben, weil es – mei- ner Meinung nach – besser ist, je mehr Menschen es lieben.“ Katharina Grünewald schrieb „Glückliche Stiefmütter“. VON ANDREA KAHLMEIER [email protected]

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Page 1: REPORT Wer denkt schon an die Stiefmütter? · 2018. 12. 18. · Katharina Grünewald. Dazu komme, dass viele Stiefmütter, besonders nach einem Rosenkrieg, sich das Leben selbst

Sonntag, 13. Mai 2018 REPORT 3Zum Muttertag danken wir mal explizit der Zweit-Mami

Wer denkt schon anWer denkt schon andie Stiefmütter?die Stiefmütter?

D ie Gebrüder Grimm ha-ben das Bild der fiesen,eifersüchtigen Schwie-

germutter geprägt, dieAschenputtel niedermachtoder Schneewittchen tötenwill. Doch auch 200 Jahre spä-ter haben Stiefmütter immernoch keine Lobby, obwohl derKreis immer größer wird. InAmerika wird deshalb seitdem Jahr 2000 – auf Initiativeeiner Elfjährigen, die ihreStiefmutter über alles liebte –an jedem dritten Mai-Sonntagder „Stepmom-Day“ gefeiert.„Wenn man damit erreichen

könnte, dass Stiefmütter mehrBeachtung bekommen wür-den, sollte man vielleicht dar-über auch in Deutschlandnachdenken“, sagt KatharinaGrünewald zum Sonntag-EX-PRESS. Denn der „Job“ istheutzutage nicht einfach.

„Zum einen sollen sie einemütterliche Bezugspersonsein, ohne der Mutter denPlatz streitig zu machen. Zumanderen sollen sie selbst alsWochenendmutter in dasklassische Familienbild pas-sen, dass Männer unbewusstabgespeichert haben“, erklärtKatharina Grünewald.

Dazu komme, dass vieleStiefmütter, besonders nacheinem Rosenkrieg, sich dasLeben selbst schwermachen.„Sie tun oft alles, damit es demKind gutgeht, wollen dem Bild

der »guten Mutter« entspre-chen. Doch so stürzen sie dasKind in einen Loyalitätskon-flikt. Das schlägt sich auf dieSeite der leiblichen Mutter.“

Und in vielen Fällen könnenStiefmütter da leider nicht aufRückendeckung des Partnerszählen. Problematisch sei,dass Männer Konflikte tabui-sieren, statt klar Position zubeziehen. „Einige Stiefmüttererzählten mir bei der Bera-tung, dass Sie auf der Rück-bank Platz nehmen müssen,wenn der Teenie am Wochen-ende da ist, weil er das so ge-wohnt sei nach der Trennung.

Immer zurücksteckenBuhlen um die Gunst des

Partners – und immer zurück-stecken müssen. Das tut weh.Kein Wunder, dass laut Statis-tik doppelt so häufig Bezie-hungen in Patchworkfamilienscheitern als Beziehungen oh-ne Kinder. Oft sind es ver-meintliche Kleinigkeiten, diezum Pulverfass für die Bezie-hung werden. Die Psycholo-gin: „ In der einen Familie gabes strikte Grenzen, da wurdeim Bad die Tür zugemachtund die Tür abgeschlossen, inder anderen duscht man vorden Augen aller. So etwas er-zählt man sich ja nicht beimKennenlernen. Das gibt natür-lich Konflikte...“

Deshalb rät sie Stiefmüt-tern, einfach mal mehr an sichzu denken. „Wenn ich denKindern die aufwendige Spe-zial-Bolognese koche mit ab-gebrühten Bio-Tomaten, ärge-re ich mich, wenn es heißt:»Schmeckt bei Mama viel bes-ser«. Wenn ich etwas koche,worauf ich Lust habe, ist es dasSahnehäubchen obendrauf,wenn die Kinder es loben.“

Sollte man Frauen da nichtden Ratschlag geben, Väternaus dem Weg zu gehen? „Es istauf jeden Fall viel Arbeit – ansich und in der Beziehung. Ichselbst habe zeitweise vier Kin-der und erlebe es als große Be-reicherung.“

Der Seilspringreim, der auf Schulhöfen angestimmt wird,spricht Bände: „Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden– aber wie viele Kinder wirst du kriegen?“ Das Famili-enministerium schätzt, das mindestens jedes achte Kindin einer Patchworkfamilie aufwächst. Sonntag-EXPRESSsprach mit der Kölner Psychologin Katharina Grünewald(47), die diese Familien berät. Denn am Sonntag wirdwieder ein Loblied auf die Mütter gesungen – aber wasist eigentlich mit den Tausenden von Stiefmüttern?

Blumen hat nicht immer nurdie leibliche Mutter verdient.In Deutschland dominierennach einer Statistik des Fami-lienministeriums übrigensStiefvaterfamilien. So gibt esin knapp der Hälfteder Stief- und Patchworkfa-milien einen Stiefvater,knapp ein Drittel hat eineStiefmutter. Fotos: Thinkstock, JurgaGraf, Heribert Corn, Facebook

Lob auf die Nachfolgerin erobert das Netz

Autorin Barbara Toth skiz-ziert in ihrem Buch „Stief-mütter“die Vorurteile: „Auf-opfernd, gebend, zurückste-ckend, selbstlos soll die Mut-ter sein, natürlich auch be-rufstätig und Familienma-nagerin. Von Stiefmütternwird all das wie von Mütternerwartet – und noch mehr.Sie ist ja die, die sich auf das

„Du wolltest es ja nicht anders...“Abenteuer Patchworkfami-lie eingelassen hat, schwingtda oft als leiser Vorwurf mit.Du hättest ja eine eigeneFamilie gründen oder beideinem alten Mann und derFamilie bleiben können. Duwolltest doch diese neueBeziehung, mit dem Neuen,der Kinder hat. Jetzt zeige,dass du es im Griff hast.“

E in Lob für die Nachfolgerin.Der Facebook-Post von

Audrey Nicole an Whitney,die „Stiefmutter“ ihrer kleinenTochter, sorgte im Netz für Fu-rore: „Ich bin so dankbar, siezu haben, denn wenn meineTochter ihren Dad besucht,macht sie ihr Essen, passt aufsie auf, kauft ihr Geschenkeund kümmert sich schlicht-weg um sie, als sei es ihre eige-ne Tochter. Warum sind all

diese Mütter so gehässig undeifersüchtig gegenüber ande-ren Frauen? Niemand hat ge-sagt, dass es einfach sein wür-de, für ein Kind, das nichtdeins ist, die Mutter zu sein.Also schubst sie nicht einfachweg, wenn sie es versuchen!Sie brauchen das Dramanicht... Ein Kind kann zweiMütter haben, weil es – mei-ner Meinung nach – besser ist,je mehr Menschen es lieben.“

Katharina Grünewald schrieb„Glückliche Stiefmütter“.

VON ANDREA [email protected]