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Skriptum zur Vorlesung Mengenlehre Klaus Gloede Mathematisches Institut der Universit¨ at Heidelberg Sommersemester 2004

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Skriptum zur VorlesungMengenlehre

Klaus GloedeMathematisches Institut der Universitat Heidelberg

Sommersemester 2004

i

Vorwort

Dieses Skriptum ist gedacht fur die Horer meiner Vorlesung im Sommerseme-ster 2004; es soll weder ein Lehrbuch noch den Besuch der Vorlesung ersetzen,sondern das Mitschreiben erleichtern und zum Nachschlagen der wichtigsten De-finitionen und Ergebnisse dienen.

Im ersten Teil wird die ZERMELO-FRAENKELsche Mengenlehre ZF als axio-matische Theorie entwickelt. Hier werden die wichtigsten mengentheoretischenBegriffsbildungen eingefuhrt, wie sie in den verschiedenen Gebieten der Mathe-matik benotigt werden. Dabei gehen wir vom zentralen Begriff der Wohlordnungaus, die im anschließenden zweiten Teil zu den Prinzipien der Induktion und Re-kursion fuhrt (welche leicht fur den Fall fundierter Relationen verallgemeinertwerden konnen). Mit dem Auswahlaxiom im Teil III wird wieder eine enge Ver-knupfung mit einzelnen mathematischen Gebieten angedeutet, es spielt aber aucheine entscheidende Rolle fur die Theorie der Kardinalzahlen (Teil IV). Das Konti-nuumsproblem ist der Ausgangspunkt fur die Entwicklung der Deskriptiven Men-genlehre, hier konnen nur die einfachsten Ergebnisse aufgefuhrt werden. Auch dieanschließenden Teile geben nur einen knappen und unvollkommenen Einblick inweitere mengentheoretische Themen:

• Axiomatisierungen der Mengenlehre mittels Reflexionsprinzipien, die sichbesonders flexible zu Abschwachungen oder auch Verstarkung der ZF-Men-genlehre einsetzen lassen und auch besonders gut geeignet sind, Model-le der Mengenlehre zu charakterisieren, welche mittels einer kumulativenHierarchie aufgebaut sind,

• Prazisierung des Begriffes der definierbaren Menge und damit eine Charak-terisierung innerer Modelle; die Hierarchie der konstruktiblen Mengen alsModell der Mengenlehre, in welcher das Auswahlaxiom und die Kontinu-umshypothese erfullt sind,

• einige grundlegende Ergebnisse aus der Theorie der großen Kardinalzahlen.

Heidelberg, im Juli 2004

INHALTSVERZEICHNIS ii

Inhaltsverzeichnis

I Mengen und Unmengen 1

1 Ordnungen und Wohlordnungen 41.1 Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2 Definition der Ordinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3 Charakterisierung der Ordinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 91.4 Die Ordnung der Ordinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Mengen und Klassen 122.1 Die Antinomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.2 Auswege aus den Antinomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.3 Die mengentheoretische Sprache mit Klassentermen . . . . . . . . 152.4 Variable fur Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.5 Uberblick uber verschiedene Axiomensysteme . . . . . . . . . . . 18

3 Extensionalitat und Aussonderung 203.1 Gleichheit von Mengen und Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . 203.2 Eigenschaften der Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223.3 Die Booleschen Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

4 Relationen und Funktionen 244.1 Paare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244.2 Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264.3 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

5 Axiome von ZF 295.1 Vereinigung, Durchschnitt und Ersetzung . . . . . . . . . . . . . 295.2 Potenzmenge und allgemeines Produkt . . . . . . . . . . . . . . . 325.3 Uberblick uber die ZF-Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

INHALTSVERZEICHNIS iii

II Mengen von Mengen von . . . 37

6 Induktion und Rekursion 386.1 Ordnungen auf Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396.2 Minimumsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406.3 Induktionsprinzip fur Wohlordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 406.4 Rekursionssatz fur Wohlordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 426.5 Kontraktionslemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436.6 Reprasentationssatz fur Wohlordnungen . . . . . . . . . . . . . . 446.7 Minimumsprinzip, transfinite Induktion und Rekursion . . . . . . 46

7 Normalfunktionen 477.1 Addition, Multiplikation, Potenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477.2 Monotonie-Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487.3 Verallgemeinerte Stetigkeit von Normalfunktionen . . . . . . . . 527.4 Fixpunkte von Normalfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

8 Die von-Neumannsche Hierarchie 578.1 Mengeninduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578.2 Mengen von Rang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608.3 Anwendungen des Ranges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

9 Die Rolle des Unendlichkeitsaxioms 649.1 Die Peano-Theorie PA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659.2 Die Theorie der endlichen Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . 679.3 Anwendungen der numerischen Rekursion . . . . . . . . . . . . . 68

III Mengen auswahlen 70

10 Das Auswahlaxiom 7110.1 Mengentheoretisch aquivalente Formen . . . . . . . . . . . . . . 7210.2 Der Zermelosche Wohlordnungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . 7210.3 Maximumsprinzipien von Zorn und Hausdorff . . . . . . . . . . . 7410.4 Anwendungen des Auswahlaxioms . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

INHALTSVERZEICHNIS iv

IV Die Große der Mengen 82

11 Machtigkeiten und Kardinalzahlen 8311.1 Endliche und abzahlbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8311.2 Uberabzahlbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8711.3 Satz von Cantor-Schroder-Bernstein . . . . . . . . . . . . . . . . 8811.4 Vergleichbarkeitssatz von Hartogs . . . . . . . . . . . . . . . . . 8911.5 Satz von Cantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9011.6 Alternative zum Großenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9011.7 Kardinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9011.8 Operationen auf den Kardinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 9411.9 Satz von Hessenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

12 Die Menge der reellen Zahlen 9712.1 Mengen von der Große des Kontinuums . . . . . . . . . . . . . . 9712.2 Die Cantorsche Kontinuumshypothese . . . . . . . . . . . . . . . 9812.3 Einige topologische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10012.4 Satz uber perfekte Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10112.5 Der Satz von Cantor-Bendixson . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10312.6 Die Borelschen Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10612.7 Verspielte Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

13 Potenzen von Kardinalzahlen 11013.1 Unendliche Summen und Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 11013.2 Satz von Konig-Jourdain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11313.3 Eingeschrankte Potenzmengenoperationen . . . . . . . . . . . . . 11513.4 Konfinalitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11713.5 Eigenschaften regularer Kardinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . 11813.6 Die wichtigsten Eigenschaften der Potenz . . . . . . . . . . . . . 120

V Reflexionen uber Mengen 124

14 Partielle Reflexion 12514.1 Die Levy-Hierarchie der mengentheoretischen Formeln . . . . . . 12514.2 Relativierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12714.3 Die Theorie KP von Kripke-Platek . . . . . . . . . . . . . . . . . 12814.4 Partielle Reflexionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

INHALTSVERZEICHNIS v

15 Vollstandige Reflexion 13215.1 Vollstandige Reflexionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 13215.2 Reflexion uber Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13415.3 Hierarchiesatze in ZF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

15.3.1 Hauptsatz uber kumulative und stetige Hierarchien . . . . 13715.3.2 Satz von Scott-Scarpellini . . . . . . . . . . . . . . . . . 13715.3.3 Satz von Lowenheim-Skolem . . . . . . . . . . . . . . . 138

VI Definierbare Mengen 139

16 Innere Modelle 14016.1 Definierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14016.2 Relative Konsistenzbeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

16.2.1 Satz uber Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14316.3 Godelisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

16.3.1 Kodierung der mengentheoretischen Formeln . . . . . . . 14516.3.2 Definierbarkeit des Wahrheitsbegriffes . . . . . . . . . . . 14616.3.3 Definierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14716.3.4 Bemerkungen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 147

16.4 Charakterisierung Innerer ZF-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . 14816.4.1 Hauptsatz uber innere ZF-Modelle . . . . . . . . . . . . . 150

17 Konstruktible Mengen 15217.1 Die Hierarchie der konstruktiblen Mengen . . . . . . . . . . . . . 15217.2 Absolutheit von L . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15317.3 Eine definierbare Wohlordnung von L . . . . . . . . . . . . . . . 15417.4 Das Kondensationslemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15517.5 Das Cohensche Minimalmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15817.6 GCH in L . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15817.7 Relative Konstruktibilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

VII Große Zahlen und nichtunterscheidbare Mengen 161

18 Große Kardinalzahlen 16218.1 Große endliche Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16218.2 Große unendliche Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

INHALTSVERZEICHNIS vi

18.3 Ideale und Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16618.4 Mahlosche Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16918.5 Meßbare Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

19 Homogene Mengen 17519.1 Das Schubfachprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17519.2 L kann sehr klein sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

20 Literatur 179

1

Teil I

Mengen und Unmengen

2

Vorbemerkung

Die Mengenlehre hat fur die Mathematik eine zweifache Bedeutung:

1. Als Grundlagentheorie stellt sie samtliche Objekte, die in den einzelnenmathematischen Disziplinen untersucht werden:

Zahlen, Funktionen, Operatoren, Relationen, Punkte, Raume . . .

unter dem einheitlichen Begriff der Menge dar.

2. Außerdem ist sie selbst eine mathematische Theorie des Unendlichen (ins-besondere der transfiniten Ordinal- und Kardinalzahlen).

Beide Aspekte lassen sich nicht vollig voneinander trennen; insbesondere dasAuswahlaxiom (mit seinen vielen aquivalenten Fassungen) hat zahlreiche Anwen-dungen in fast allen mathematischen Gebieten, ist aber auch wichtig fur die Ent-wicklung der Theorie der transfiniten Kardinalzahlen.

Als Einleitung in die Mengenlehre wollen wir dem Weg GEORG CANTORszur Einfuhrung der transfiniten Ordinalzahlen folgen und kurz in die Theorie derOrdnungen und Wohlordnungen einfuhren. Dabei gelangen wir uber die fruhe-ste mengentheoretische Antinomie zu einer axiomatisch neubegrundeten Men-genlehre nach ERNST ZERMELO und ABRAHAM A. FRAENKEL, wie sie heuteallgemein in Gebrauch als Grundlage fur die Mathematik ist. Fur den formal-axiomatischen Aufbau der Mengenlehre benotigen wir den Formelbegriff aus derMathematischen Logik, die zwar mit der Mengenlehre als Grundlagentheorie engverknupft ist, deren Kenntnis hier aber nicht vorausgesetzt wird. Allerdings wer-den wir die ublichen logischen Symbole als Abkurzungen benutzen und mit ihrerintuitiven Bedeutung verwenden:

3

¬ nicht

∨ oder

∧ und

−→ wenn . . . dann

←→ genau dann . . . wenn (im Englischen: iff)

∃ existiert

∃! es existiert genau ein

∀ fur alle

Auch die einfachsten mengentheoretischen Bezeichnungen, die wir spater for-mal einfuhren werden, durften bereits bekannt sein:

a ∈ A a ist Element von A

/0 leere Menge

a Einermenge von a

a,b (ungeordnetes) Paar von a und b

a∪b Vereinigung von a und b

a∩b Durchschnitt von a und b

⊆ Teilmenge

4

Kapitel 1

Ordnungen und Wohlordnungen

In seinen Untersuchungen uber die Konvergenz von Fourierreihen fuhrte CANTOR

den Begriff der Ableitung A′ einer Menge A von reellen Zahlen ein: A′ besteht ausden Elementen von A, welche Haufungspunkte von Elementen von A sind. Mankann nun nach der Menge der Haufungspunkte dieser neuen Menge fragen unddamit eine Menge A′′ bilden, die Menge der Haufungspunkte der Haufungspunktevon A. Iteriert man diese Operation, so erhalt man eine eine unendlich-absteigendeFolge

A⊇ A′ ⊇ A′′ ⊇ A′′′ . . .

deren “Limes” A∞, d. h. in diesem Fall der Durchschnitt, moglicherweise wiederisolierte Punkte enthalt, so daß man wieder die Menge ihrer Haufungspunkte bil-den kann. Auf diese Weise fortgesetzt, fuhrt der Zahlprozeß uber die naturlichenZahlen hinaus ins Transfinite, und zwar mit ω statt ∞ als neuer “Zahl”:

0,1,2,3, . . .ω,ω +1,ω +2,ω +3, . . .ω +ω,

ω +ω +1,ω +ω +2, . . .ω +ω +ω, . . .ω ·ω, . . .

Einen derartigen Zahlprozeß erhalten wir auch, wenn wir die naturlichen Zah-len umordnen und neu aufzahlen, etwa erst die Potenzen von 2, dann die Potenzenvon 3, dann die Potenzen von 5 . . . :

1,2,4,8, . . .3,9,27, . . .5,25,125, . . .

und dann bleibt immer noch ein unendlicher Rest von Zahlen wie 0, 6, 10, . . .Offenbar gibt es verschiedene Moglichkeiten, ins Unendliche aufzuzahlen, wieunterscheiden sich diese Moglichkeiten? Fuhren unterschiedliche Aufzahlungenvielleicht zu Widerspruchen? Lassen sich uberhaupt alle Mengen in irgendeiner

1.1. ORDNUNGEN 5

Weise aufzahlen? Tatsachlich ergeben sich Widerspruche, wenn man allzu naivversucht, Eigenschaften von endlichen auf unendliche Mengen zu ubertragen;trotzdem kann man aber die Theorie der Wohlordnungen und der Ordinalzah-len einheitlich fur endliche und unendliche Mengen begrunden. Hier setzen wirzunachst einen intuitiven Mengenbegriff voraus (eine formale Begrundung wer-den wir spater nachliefern) und erinnern an die in der Mathematik ublichen Ord-nungsbegriffe:

1.1 Ordnungen

1. Eine (reflexive) teilweise Ordnung auf einer Menge A ist eine 2-stelligeRelation ≤ auf A, so daß fur alle a,b,c ∈ A:

(a) a≤ a reflexiv,(b) a≤ b∧b≤ a→ a = b antisymmetrisch,(c) a≤ b∧b≤ c→ a≤ c transitiv.

2. Eine (reflexive) lineare Ordnung auf A ist eine teilweise Ordnung auf A,so daß fur alle a,b ∈ A:

(d) a≤ b∨b≤ a vergleichbar (connex).

3. Eine (irreflexive) teilweise Ordnung auf einer Menge A ist eine 2-stelligeRelation < auf A, so daß fur alle a,b,c ∈ A:

(a’) a 6< a irreflexiv,(c’) a < b∧b < c→ a < c transitiv.

4. Eine (irreflexive) lineare Ordnung auf A ist eine teilweise Ordnung auf A,so daß fur alle a,b ∈ A:(d’) a < b∨a = b∨b < a vergleichbar (connex).

Definiert man

a < b :↔ a≤ b∧a 6= b,

so erhalt man aus einer reflexiven (teilweisen) Ordnung ≤ eine irreflexive (teil-weise) Ordnung <, und umgekehrt erhalt man durch

a≤ b :↔ a < b∨a = b

1.1. ORDNUNGEN 6

aus einer irreflexiven (teilweisen) Ordnung < wieder eine reflexive (teilweise)Ordnung ≤ (und bei wiederholter Operation die alte Ordnung zuruck).

Eine teilweise Ordnung nennt man manchmal auch eine partielle (oder Halb-)Ordnung, eine lineare Ordnung auch einfach Ordnung. Die gewohnlichen Ord-nungen auf den naturlichen, den ganzen, den rationalen und den reellen Zahlensind offenbar lineare Ordnungen; die Relation

f < g :↔∀x ∈ R f (x) < g(x)

auf den reellen Funktionen ist dagegen nur eine teilweise Ordnung.Die naturlichen Zahlen lassen sich der Große nach aufzahlen, aber fur die an-

deren Zahlbereiche ist dies nicht moglich; selbst wenn man noch−∞ als “kleinsteZahl” hinzunimmt, gibt es keine nachstgroßere (und bei dichten Ordnungen wieden rationalen Zahlen gibt es zu uberhaupt keiner Zahl eine nachstgroßere). Umdiese Bereiche in der Form a0,a1, . . .an,an+1 . . . aufzuzahlen, mussen wir sieauf solche Weise neu ordnen, daß man mit

(i) einem kleinsten Element beginnen kann,

und wenn man in der Aufzahlung zu einem Element gekommen ist,

(ii) weiß, mit welchem Element man fortfahren kann, und schließlich

(iii) auch den Aufzahlungsprozeß fortsetzen kann, wenn man bereits eine un-endliche Teilfolge von Elementen aufgezahlt hat (aber noch nicht alles auf-gezahlt ist).

Diese Anforderungen kann man prazisieren und zugleich vereinheitlichen, in-dem man verlangt, daß jede nicht-leere Teilmenge (namlich der Rest der nochnicht aufgezahlten Elemente) ein kleinstes Element enthalt (welches als “nachs-tes” aufzuzahlen ist):

5. Eine Wohlordnung auf einer Menge A ist eine (irreflexive) lineare Ordnungauf A, welche zusatzlich die Minimalitatsbedingung

(Min) ∀z ( /0 6= z⊆ A→∃x ∈ z ∀y ∈ z y 6< x)

erfullt, welche wegen der Vergleichbarkeit (d’) aquivalent ist zur Existenzeines kleinsten Elementes:

(Kl) ∀z ( /0 6= z⊆ A→∃x ∈ z ∀y ∈ z x≤ y),

wobei wie oben x≤ y :↔ x < y∨ x = y.

1.1. ORDNUNGEN 7

Beispiele

Jede lineare Ordnung auf einer endlichen Menge ist eine Wohlordnung, ebensodie gewohnliche Ordnung auf den naturlichen Zahlen. Dagegen sind die ganzenZahlen erst wohlgeordnet, wenn wir sie (etwa) in folgende Ordnung bringen:

0,1,2,3,4, . . . ,−1,−2,−3,−4, . . . oder kurzer:0,1,−1,2,−2,3,−3, . . .

Im ersten Fall werden wir von einer Ordnung vom Typ ω + ω , sprechen, imzweiten Fall vom Typ ω (und viele andere Moglichkeiten noch kennenlernen).Die endlichen Ordinalzahlen (und zugleich auch die endlichen Kardinalzahlen)sind die naturlichen Zahlen. Diese werden wir so einfuhren, daß (wie auch spaterauf allen Ordinalzahlen) die <-Beziehung besonders einfach ist, namlich die ∈-Beziehung. Somit ist die kleinste Zahl ohne Elemente, und zu einer Zahl a erhaltman die nachstgroßere Zahl a′, indem man zu den kleineren diese Zahl selbst nochhinzunimmt:

0 := /0,

a′ := a+1 := a∪a Nachfolger von a.

Die ersten naturlichen Zahlen sind somit

0 = /0,1 = 0= /0,2 = 0,1= /0, /0,3 = 0,1,2, . . .

und allgemein gilt n = 0,1, . . .n−1 fur jede naturliche Zahl n. (Außerdem hatjede naturliche Zahl n hat genau n-viele Elemente, was sich als besonders geeig-net als Wahl fur die endlichen Kardinalzahlen erweisen wird.) Betrachten wir nundie Menge N der naturlichen Zahlen, so konnen wir ihre Elemente auch geradeals die kleineren Zahlen auffassen, N = ω setzen und als kleinste (Ordinal-)Zahlansehen, welche großer als alle naturlichen Zahlen ist (somit die erste unendli-che Ordinalzahl). Die naturlichen Zahlen wie auch ω sind die ersten Beispieletransitiver Mengen:

Definition

trans(A) :↔ ∀x ∈ A ∀y ∈ x y ∈ A transitiv↔ ∀x ∈ a x⊆ A

Achtung: trans(A) bedeutet nicht, daß die ∈-Beziehung auf A transitiv ist!Eine transitive Menge enthalt mit ihren Elementen auch deren Elemente, deren

Elemente . . . , sie ist also abgeschlossen unter der Element-Beziehung. /0 ist dagegen nicht transitiv, da diese Menge /0 nicht als Element enthalt.

1.2. DEFINITION DER ORDINALZAHLEN 8

1.2 Definition der Ordinalzahlen

Ordinalzahlen wurden von CANTOR als Reprasentanten (isomorpher) Wohlord-nungen eingefuhrt; heute definiert man sie nach von NEUMANN als Mengen, die(wie speziell die naturlichen Zahlen) transitiv und durch die ∈-Beziehung wohl-geordnet sind:

∈a : = x,y | x,y ∈ a∧ x ∈ y Elementbeziehung auf a,Ord(a) :↔ trans(a)∧ ∈a ist Wohlordnung auf a Ordinalzahl,con(a) :↔ ∀x,y ∈ a (x ∈ y∨ x = y∨ y ∈ x) connex,fund(a) :↔ ∀x⊆ a (x 6= /0→∃y ∈ x ∀z ∈ x z 6∈ y) fundiert.

Eine Menge a ist fundiert, wenn jede nicht-leere Teilmenge b⊆ a ein Elementbesitzt, welches minimal (bezuglich der ∈-Relation) ist; diese Bedingung ist alsoTeil der Forderung, daß ∈a eine Wohlordnung ist (Bedingung Min in der Definiti-on einer Wohlordnung). Eine Menge a mit der Eigenschaft a ∈ a ist nicht fundiert(denn a ware eine nicht-leere Teilmenge ohne minimales Element), und eben-sowenig ist eine Menge a,b mit a ∈ b ∈ a fundiert.

Vereinbarung zur Fundierung

Wir wollen nun der Einfachheit halber voraussetzen, daß alle Mengen fundiertsind. Dann gilt also insbesondere:

b 6= /0→∃y ∈ b ∀z ∈ b z 6∈ y, d. h.

b 6= /0→∃y ∈ b y∩b = /0.

Damit werden dann einige ungewohnliche Mengen ausgeschlossen, insbesonde-re Mengen a (wie oben) die sich selbst als Element enthalten oder mit anderenMengen einen endlichen ∈-Zyklus bilden. Es gilt somit:

(F∗) a 6∈ a, ¬(b ∈ c∧ c ∈ b), ¬(d ∈ b∧b ∈ c∧ c ∈ d), . . .

Damit laßt sich die Definition der Ordinalzahlen wesentlich kurzer fassen(siehe (i) in folgendem Satz). Spater werden wir ohnehin das Fundierungsaxiom(in der Form: alle Mengen sind fundiert) voraussetzen; alle folgenden Aussagenuber Ordinalzahlen lassen sich jedoch (mit etwas Mehraufwand) ohne das Fun-dierungsaxiom beweisen, wenn man die ursprungliche Definition zugrunde legt.

1.3. CHARAKTERISIERUNG DER ORDINALZAHLEN 9

1.3 Charakterisierung der Ordinalzahlen

(i) Ord(a)↔ trans(a)∧ con(a).

(ii) Elemente von Ordinalzahlen sind wieder Ordinalzahlen:Ord(a)∧b ∈ a→ Ord(b).

Beweis: Da ∈a eine Wohlordnung auf a ist gdw ∈a irreflexiv, transitiv, connexund fundiert ist und die Irreflexivitat aus der Fundiertheit folgt, ist nach unsererVereinbarung (alle Mengen sind fundiert) fur (i) nur zu zeigen:

con(a)→ trans(∈a).

Sei also con(a) sowie b,c,d ∈ a mit b ∈ c∧ c ∈ d. Beh.: b ∈ d.

Es gilt: b ∈ d∨d = b∨d ∈ b wegen con(a).Falls d = b, so hatten wir b ∈ c∧ c ∈ b im Widerspruch zu (F∗)falls d ∈ b, so d ∈ b∧b ∈ c∧ c ∈ d im Widerspruch zu (F∗).

Somit bleibt nur die Moglichkeit b ∈ d.Um (ii) zu zeigen, sei Ord(a)∧ b ∈ a. Dann ist wegen trans(a): b ⊆ a und

mit ∈a auch ∈b eine Wohlordnung. Somit brauchen wir nur noch zu zeigen, daß bauch transitiv ist:Sei x ∈ y ∈ b. Beh.: x ∈ b. Dazu argumentieren wir wie oben: Es sind x,b ∈ a (er-steres wegen trans(a)), also sind beide wegen con(a) miteinander vergleichbar:x ∈ b∨ x = b∨ b ∈ x, wobei die letzten beiden Moglichkeiten zu einem Wider-spruch zur Fundierung (F∗) fuhren.

1.4 Die Ordnung der Ordinalzahlen

Ordinalzahlen werden ublicherweise mit kleinen griechischen Buchstaben be-zeichnet:

α,β ,γ, . . . ,ξ ,η ,ζ , . . . stehen fur Ordinalzahlen,ebenso die Quantoren

∀ξ , . . .∃ζ . . . fur ∀x(Ord(x)→ . . .), . . .∃y(Ord(y)∧ . . .) . . .Ferner schreiben wir

α < β fur α ∈ β ,α ≤ β fur α ∈ β ∨α = β .

1.4. DIE ORDNUNG DER ORDINALZAHLEN 10

Wir werden gleich zeigen, daß alle Ordinalzahlen durch die ∈-Relation nicht nurgeordnet, sondern sogar wohlgeordnet sind, so daß diese Bezeichnungsweise ge-rechtfertigt ist. Der obige Satz 1.3 besagt also im Teil (ii) : α = ξ | ξ < α.

Satz

α ≤ β ↔ α ∈ β ∨α = β ↔ α ⊆ β .

Beweis: Wir zeigen zunachst etwas allgemeiner:

trans(a)∧a⊆ β → Ord(a)∧ (a ∈ β ∨a = β )

Sei trans(a)∧a⊆ β . Dann ist auch ∈a eine Wohlordnung, also Ord(a).Falls a 6= β , so a⊂ β , d. h. β −a 6= /0, und wir konnen wegen der Fundiertheit

ein minimales γ ∈ β−a wahlen, von dem wir zeigen werden, daß a = γ und damita ∈ β wie erwunscht:

Sei also γ ∈ β −a ∈-minimal, so daß insbesondere ∀x ∈ γ x ∈ a, d. h. γ ⊆ a.Es gilt dann aber auch a⊆ γ :

Sei x ∈ a. Dann x ∈ β (nach Voraussetzung) und x ∈ γ ∨ x = γ ∨ γ ∈ x wegencon(β ). Aber die letzten beiden Falle konnen nicht eintreten: x = γ → γ ∈ a undγ ∈ x→ γ ∈ a (wegen trans(a)), es ist aber nach Wahl von γ : γ 6∈ a.

Somit haben wir mengentheoretisch nicht nur eine einfache <-Beziehung aufden Ordinalzahlen (namlich die ∈-Beziehung), sondern auch eine einfache ≤-Beziehung (namlich die ⊆-Beziehung). Insbesondere gilt:

α ∪β = maxα,β und α ∩β = minα,β

Es ist nun leicht zu sehen, daß 0 die kleinste Ordinalzahl ist und daß mit einerOrdinalzahl α auch α ′ wieder eine Ordinalzahl ist (und zwar die nachst große-re), so daß alle naturlichen Zahlen insbesondere Ordinalzahlen sind. Es gibt abertatsachlich unmaßig viele Ordinalzahlen:

Satz

(i) Die ∈-Beziehung ist eine Wohlordnung auf allen Ordinalzahlen.

(ii) Es gibt keine Menge aller Ordinalzahlen.(Antinomie von Burali-Forti)

1.4. DIE ORDNUNG DER ORDINALZAHLEN 11

Beweis von (i):

α 6∈ α nach dem Fundierungsaxiom (oder wegen f und(α))

α ∈ β ∈ γ → α ∈ γ wegen trans(γ)

α ∈ β ∨α = β ∨β ∈ α kann man wie folgt zeigen:

Sei δ := α ∩ β das Minimum der beiden Ordinalzahlen. Dann ist trans(δ )und δ ⊆ α,β , also nach nach dem vorangegegangen Satz: δ = α ∨ δ ∈ α undebenso δ = β ∨δ ∈ β , aber im Fall δ ∈ α ∧δ ∈ β erhielten wir den Widerspruchδ ∈ δ ! Somit ist die ∈-Beziehung auf den Ordinalzahlen eine lineare Ordnung.Sie ist ferner eine Wohlordnung, da fur Mengen a von Ordinalzahlen die Minima-litatsbedingung /0 6= a→ ∃α ∈ a α ∩a = /0 nach unserer Vereinbarung (also demFundierungsaxiom) erfullt ist.

(ii) Angenommen, es gabe eine Menge a aller Ordinalzahlen. Nach Satz 1.3(ii) ist a transitiv und nach der gerade bewiesenen Aussage (i) ist die ∈-Beziehungeine Wohlordnung auf a, also ist a selbst eine Ordinalzahl, somit a ∈ a nach De-finition von a als Menge aller Ordinalzahlen, aber anderseits gilt a 6∈ a fur alleOrdinalzahlen a, Widerspruch! (Man konnte auch so argumentieren: die Menge aaller Ordinalzahlen ware als Ordinalzahl die großte Ordinalzahl, dann kann abernicht a ∈ a sein!)

Die Antinomie von BURALI-FORTI (1897) war CANTOR ubrigens bereitsschon 1895 bekannt. Man kann sie als Aussage lesen, daß es keine großte Or-dinalzahl gibt und die Gesamtheit aller Ordinalzahlen so “groß” ist, daß sie sichnicht zu einer Menge zusammenfassen laßt. Das ware an sich harmlos, wenn sichnicht herausgestellt hatte, daß auch andere Eigenschaften von Mengen zu “in-consistenten Vielheiten” (CANTOR) fuhren, und man deshalb befurchten mußte,daß vielleicht an einer anderen Stelle der Theorie ein (womoglich bisher noch garnicht entdeckter) Widerspruch versteckt ist, der sich nicht so einfach hinweg inter-pretieren laßt. Wir wollen daher erst einmal innehalten, um uns den Grundlagender Mengenlehre zuzuwenden.

12

Kapitel 2

Mengen und Klassen

2.1 Die Antinomien

In seinem Hauptwerk1 gab CANTOR seine beruhmte Beschreibung einer Menge:

Unter einer “Menge” verstehen wir jede Zusammenfassung M vonbestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oderunseres Denkens (welche die “Elemente” von M genannt werden) zueinem Ganzen.

Man kann diese “Definition” in folgendem Sinne zu prazisieren versuchen:

Zu jeder Eigenschaft E(x) existiert die Menge M aller Objekte xmit der Eigenschaft E(x): M = x : E(x).

ZERMELOs Erklarung des Begriffes Eigenschaft als definite Eigenschaft wurdevon FRAENKEL und SKOLEM dahingehend prazisiert, daß Eigenschaften als Aus-drucke einer bestimmten formalen Sprache festzulegen sind, wie wir sie gleichnaher prazisieren werden. Benutzen wir ϕ,ψ, . . . als Notationen fur mengentheo-retische Formeln, so kann die CANTORsche Definition wie folgt aufgeschriebenwerden:

Komprehensionsaxiom

∃y∀x(x ∈ y↔ ϕ(x)),wobei ϕ(x) eine beliebige Formel ist, in welcher y nicht vorkommt.

1Beitrage zu Begrundung der transfiniten Mengenlehre. Math. Ann. 46, (1895), 481 - 512,Math. Ann. 49, (1897), 207 - 246

2.2. AUSWEGE AUS DEN ANTINOMIEN 13

Dieses Axiom (eigentlich ein Axiomenschema, da es aus unendlich vielen Axio-men besteht) ist nun aber widerspruchsvoll: Wie wir gerade mittels der Antinomievon BURALI-FORTI gesehen haben, fuhrt es fur die Eigenschaft Ord(x) zu einemWiderspruch, da es keine Menge aller Ordinalzahlen geben kann. B. RUSSELL

entdeckte einen weiteren Widerspruch, der viel elementarer zu erhalten ist:

RUSSELLsche Antinomie (1903)

Wahlt man fur ϕ(x) die Formel x 6∈ x, so liefert das Komprehensionsaxiom dieExistenz einer Menge r mit

∀x(x ∈ r↔ x 6∈ x) insbesondere gilt fur x = r :

r ∈ r↔ r 6∈ r Widerspruch!

Ahnliche Widerspruche erhalt man, wenn man fur ϕ(x) die Formel

x = x Antinomie der “Menge aller Mengen” von CANTOR

x ist Kardinalzahl Antinomie von CANTOR (um 1899, publiziert erst 1932)

x ist Ordinalzahl Antinomie von CANTOR und BURALI-FORTI

wahlt, wobei man allerdings noch einige Schritte in der Anwendung der Theo-rie durchfuhren muß, um zum Widerspruch zu gelangen, wahrend die Antinomievon RUSSELL (die um die gleiche Zeit auch bereits ZERMELO bekannt war) sehrelementar - und daher besonders beeindruckend - ist.

2.2 Auswege aus den Antinomien

a) RUSSELLsche Typentheorie:

Im Komprehensionsaxiom darf zur Vermeidung eines circulus vitiosus beider Definition der Menge y durch die Eigenschaft ϕ(x) nicht auf einen Be-reich Bezug genommen werden, dem dieses y selbst angehort. Man nimmteine Stufeneinteilung vor: x0,x1, . . . und vereinbart, daß xn ∈ xm nur erlaubtist, wenn m = n+1. Das Komprehensionsaxiom hat dann die Form

∃yn+1∀xn(xn ∈ yn+1↔ ϕ(xn)).

Da die Bildung von rn 6∈ rn nicht mehr erlaubt ist, ist die RUSSELLsche An-tinomie nicht mehr formulierbar. Dieses pradikative Komprehensionsaxi-

2.2. AUSWEGE AUS DEN ANTINOMIEN 14

om schrankt die Mengenbildung jedoch stark ein; die Idee eines stufenwei-sen Aufbaus der Mengenlehre laßt sich jedoch auch in der ZF-Mengenlehrewieder finden (von NEUMANNsche Hierarchie Kap. 8).

b) Unterscheidung zwischen Mengen und Klassen (von NEUMANN, GODEL,BERNAYS):

Man laßt eine (mehr oder weniger beschrankte) Komprehension von Men-gen zu, das Ergebnis ist dann aber nicht notwendig wieder eine Menge,sondern zunachst eine Klasse x | ϕ(x). So kann man bilden:

die RUSSELLsche Klasse R = x | x 6∈ x,die Klasse aller Mengen V = x | x = x,die Klasse aller Ordinalzahlen, Kardinalzahlen, usw.

Das Auftreten von Antinomien wird nun dadurch vermieden, daß Klassennicht notwendig wieder Mengen sind; z. B. kann R in die Eigenschaft, wel-che R definiert, nur dann eingesetzt werden, wenn R eine Menge x ist, und dadiese Annahme zum Widerspruch fuhrt, kann R keine Menge sein, sondernnur eine Klasse (echte Klasse oder Unmenge). Welche Klassen zugleichauch Mengen sind, versucht man durch Axiome festzulegen, wobei man

• einerseits moglichst viele Klassen als Mengen (und damit wieder alsElemente von Mengen und Klassen) erlauben mochte,

• andererseits aber nicht so viele, daß es zu einem Widerspruch kommt.

c) ZERMELOsches Aussonderungsaxiom:

Das Komprehensionsaxiom wird eingeschrankt auf die Bildung von Teil-mengen einer bereits gegebenen Menge a:

Aussonderungsaxiom: ∃y∀x(x ∈ y↔ x ∈ a∧ϕ(x))

Versucht man erneut, die RUSSELLsche Antinomie abzuleiten, so erhaltman die Existenz einer Menge r mit

r ∈ r← r ∈ a∧ r 6∈ r, also

• es gibt keine “Menge aller Mengen” (fur a eingesetzt, erhielte manden RUSSELLschen Widerspruch),

2.3. DIE MENGENTHEORETISCHE SPRACHE MIT KLASSENTERMEN 15

• es gibt eine “leere” Menge (setze fur ϕ(x) ein: x 6= x und fur a irgend-eine Menge).

Das Aussonderungsaxiom ist nachweisbar widerspruchsfrei - es ist bereits wahrin einem Modell, welches nur die leere Menge enthalt. Um es daruber hinaus an-wenden zu konnen, mussen wir die Menge a, aus welcher mittels der Eigenschaftϕ(x) eine Teilmenge ausgesondert wird, bereits haben - weitere Axiome sind er-forderlich!

Im folgenden werden wir - wie jetzt allgemein ublich - der Entwicklung derMengenlehre nach ZERMELO folgen, dabei aber auch den Klassenbegriff benut-zen, weil sich damit die Axiome von ZF leicht in der Form

bestimmte Klassen (und zwar “nicht zu große”) sind Mengen

bequem ausdrucken lassen.

2.3 Die mengentheoretische Sprache mit Klassentermen

Wie schon angedeutet, benotigen wir fur die ZF-Sprache nur die ∈-Beziehung alseinziges nicht-logisches Pradikat. Als Variable fur Mengen benutzen wir Klein-buchstaben, und zwar meistens a,b,c, . . . fur freie Variable und x,y,z, . . . (u. U.mit Indizes) fur gebundene Variable, werden aber die Unterscheidung moglicher-weise nicht immer genau einhalten. Die damit gebildete Sprache LZF werden wirerweitern um die Hinzunahme von definierbaren Klassen (auch Klassenterme ge-nannt)

x | ϕ(x)

welche in Formeln jedoch nur in der Kombination a∈ x | ϕ(x) benotigt werden,so daß Formeln wie folgt gebildet werden:

(F1) Sind a,b Mengenvariable, so sind a = b und a ∈ b Formeln (Primformeln,atomare Formeln).

(F2) Ist ϕ eine Formel, so auch ¬ϕ .

(F3) Sind ϕ und ψ Formeln, so auch (ϕ ∧ψ), (ϕ ∨ψ), (ϕ → ψ) und (ϕ ↔ ψ).

(F4) Ist ϕ(a) eine Formel, in welcher die Variable x nicht vorkommt, so sind auch∀xϕ(x) und ∃xϕ(x) Formeln.

2.3. DIE MENGENTHEORETISCHE SPRACHE MIT KLASSENTERMEN 16

(F5) Ist ϕ(a) eine Formel, in welcher die Variable x nicht vorkommt, so ist aucha ∈ x | ϕ(x) eine Formel.

(F6) Das sind alle Formeln.

Von Formeln der ZF-Sprache im engeren Sinne sprechen wir, wenn bei derBildung dieser Formeln die Bedingung (F5) nicht benutzt wurde, ansonsten vonFormeln der erweiterten ZF-Sprache.

Außerdem benutzen wir beschrankte Quantoren ∀x ∈ a, ∃x ∈ a als Abkur-zungen:

∀x ∈ aϕ steht fur ∀x(x ∈ a→ ϕ),

∃x ∈ aϕ steht fur ∃x(x ∈ a∧ϕ).

Fur viele Untersuchungen spielen Fragen der Komplexitat von Eigenschaften ei-ne wichtige Rolle; dabei gelten beschrankte Quantoren als “einfacher” als un-beschrankte Quantoren. Wir werden daher im folgenden - soweit moglich - be-schrankte Quantoren verwenden.

Elimination von Klassentermen

Unser erstes Axiom (fur die erweiterte ZF-Sprache) ist das folgende

CHURCHsche Schema (CS): a ∈ x | ϕ(x)↔ ϕ(a).

Es erlaubt, Klassenterme wieder zu eliminieren:

Metatheorem

Zu jeder Formel ϕ der erweiterten Sprache existiert eine Formel ψ der engerenSprache (mit denselben freien Variablen), so daß unter Benutzung von CS gilt:

ϕ ↔ ψ.

(Beweis bei A. LEVY: Basic Set Theory, Appendix X. Beachte, daß der Beweiskonstruktiv ist.)

Die erweiterte ZF-Sprache ist somit eigentlich nicht ausdrucksstarker, aberes wird sich zeigen, daß sie fur mengentheoretische Uberlegungen bequemer zubenutzen ist, vor allem weil man fur jede Eigenschaft ϕ(x, . . .) die Klasse x |ϕ(x, . . .) bilden kann, wahrend man zur Bildung einer entsprechenden Mengeerst nachprufen muß, ob die Axiome dies zulassen bzw. ob man einen Wider-spruch erhalt, was sehr schwierig (oder sogar unmoglich) sein kann!

2.4. VARIABLE FUR KLASSEN 17

2.4 Variable fur Klassen

Schließlich noch ein weiterer Schritt: Um nicht immer uber die Klassentermex | ϕ(x, . . .) durch Angabe von Formeln sprechen zu mussen, werden wir Va-riable A,B, . . . fur Klassenterme benutzen! Damit nahern wir uns einer Sprache 2.Stufe, in welcher neben den Variablen fur Mengen (Kleinbuchstaben) auch Varia-ble fur Klassen (Großbuchstaben) auftreten. Streng genommen werden hier kei-ne formalen Klassenvariable eingefuhrt, sondern Metavariable fur Klassenterme.Das bedeutet, daß eine Aussage der Form

es gibt ein A mit . . . A . . . B. . .

als Behauptung zu lesen ist, fur einen vorgegebenen Klassenterm B einen Klas-senterm A konkret (d. h. durch eine Formel) anzugeben, der die gewunschte Ei-genschaft besitzt; ebenso bedeutet eine universelle Aussage der Form

fur alle A . . . A . . .

daß sie fur alle (konkret definierbaren) Klassenterme A gilt.Diese Unterscheidungen werden sich allerdings nur selten bemerkbar machen,

sie treten z. B. auf bei der Einfuhrung von Ordnungen und Wohlordnungen in 1.1:Die verschiedenen Definitionen von Ordnungen auf einer Menge A enthalten nurGesetze uber die Elemente von A (Eigenschaften 1. Stufe im Sinne der mathema-tischen Logik), sie konnen somit - wie durch die Wahl des Großbuchstabens Abereits angedeutet - direkt fur Klassen A ubernommen werden. Dagegen besagtdie Minimumsbedingung fur Wohlordnungen, daß jede nicht-leere Teilmenge einminimales Element besitzt. Im Falle einer Wohlordnung auf einer Klasse A wer-den wir eine zusatzliche Bedingung hinzufugen, aus welcher folgt, daß die Mini-malitatsbedingung sich von Mengen auf beliebige definierbare Klassen verstarkenlaßt. Wenn man jedoch die Minimalitatsbedingung fur alle Teilklassen von A for-dern will, so kann man dies nur in einer entsprechenden Sprache 2. Stufe formu-lieren.

Es gibt nun allerdings Axiomensysteme der Mengenlehre mit freien und mog-licherweise auch gebundenen Klassenvariable (also in einer Sprache 2. Stufe mitformalen Variablen wie den Mengenvariablen), in denen Klassen eine starkereRolle spielen:

2.5. UBERBLICK UBER VERSCHIEDENE AXIOMENSYSTEME 18

2.5 Uberblick uber verschiedene Axiomensysteme

Die Axiomensysteme der Mengenlehre unterscheiden sich weniger in dem je-weils zugelassenen Bereich von Mengen als in dem Status, den sie den Klasseneinraumen:

• ohne Klassen:das Axiomensystem ZF von ZERMELO-FRAENKEL in der (engeren) ZF-Sprache

• mit eliminierbaren Klassen (“virtuelle Klassen” (QUINE)):das Axiomensystem ZF von ZERMELO-FRAENKEL in der erweiterten ZF-Sprache (welches wir hier zugrunde legen werden)

• mit freien Klassenvariablen:das Axiomensystem von BERNAYS 1958

• mit freien und gebundenen Klassenvariablen, aber nur pradikativen Klassen:das Axiomensystem NBG (von NEUMANN-GODEL-BERNAYS)) mit demKomprehensionsaxiom in der Form

∃Y∀x(x ∈ Y ↔ ϕ(x, . . . ,A, . . .)).

Hier stehen A,B, . . . ,X ,Y, . . . fur Klassen, x,y, . . . weiterhin fur Mengen, undϕ(x, . . .) ist eine Eigenschaft von Mengen (moglicherweise mit Klassen alsParametern), in welcher aber nur uber Mengen quantifiziert werden darf -pradikative Form.

• Klassen, ernst genommen (impradikativ):das Axiomensystem QM von QUINE-MORSE mit dem Komprehensionsaxi-om wie oben, aber jetzt werden auch Formeln zugelassen, die Quantifika-tionen uber Klassen enthalten; in diesem System lassen sich mehr Aussagenuber Mengen beweisen als in NBG!

• neben Klassen und Mengen auch noch Halbmengen:die alternative Mengenlehre von VOPENKA (VOPENKA-HAJEK 1972).

2.5. UBERBLICK UBER VERSCHIEDENE AXIOMENSYSTEME 19

Neben der Entscheidung, welchen existentiellen Wert man den Klassen ein-raumen soll, bleibt als Hauptproblem die Frage: welche Mengen existieren - bzw.:

(i) welche Eigenschaften definieren Mengen - oder

(ii) (wenn wir ein allgemeines Komprehensionsprinzip fur Klassen zugrundelegen): welche Klassen fuhren zu Mengen?

Grundlegend werden folgende Vorstellungen sein:

• Es gibt Mengen und Klassen; ihre Gleichheit wird durch das Extensiona-litatsprinzip bestimmt: Mengen bzw. Klassen sind identisch, wenn sie vomselben Umfang sind, d. h. dieselben Elemente enthalten.

• Elemente von Klassen und Mengen sind wieder Mengen; echte Klassen(wie die RUSSELLsche Klasse) sind dagegen niemals Elemente - weder vonMengen noch von anderen Klassen.

• Komprehensionsprinzip: Jeder Eigenschaft E(x) von Mengen x entsprichtdie Klasse x | E(x) aller Mengen x mit der Eigenschaft E(x),

• insbesondere ist jede Menge a eine Klasse (namlich: a = x | x ∈ a),

• umgekehrt ist aber nicht jede Klasse eine Menge, sondern nur diejenigenKlassen, die nicht “zu groß” sind, sind Mengen (limitation of size).

Klassen sind somit nach dem Komprehensionsprinzip (nahezu) unbeschrankt bild-bar, Mengen existieren (als spezielle Klassen) nur nach Maßgabe einzelner Axio-me.

Literatur zu diesem Kapitel

BERNAYS, P. Axiomatic Set Theory. Amsterdam 1958FELGNER, U. (Herausgeber) Mengenlehre. Darmstadt 1979FRAENKEL, A.- BAR HILLEL, Y. - LEVY, A. Foundations of Set Theory.

Amsterdam 1973FRAENKEL, A.A. Zu den Grundlagen der Cantor-Zermeloschen Mengenlehre.

Math Ann 86 (1922), 230 - 237, auch in: FELGNER [1979]SKOLEM, T. Einige Bemerkungen zur axiom. Begrundung der Mengenlehre.

Kongreß Helsingfors 1922, auch in FELGNER [1979].

20

Kapitel 3

Extensionalitat und Aussonderung

3.1 Gleichheit von Mengen und Klassen

Mengen sind allein durch ihre Elemente bestimmt, unabhangig von deren Defini-tion und Reihenfolge:

Extensionalitatsaxiom (Ext) ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)→ a = b.

Aus den logischen Axiomen uber die Gleichheit folgt die Umkehrung, es gilt dannalso:

extensionale Gleichheit: ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)↔ a = b.

Somit konnte man im Prinzip auf die Gleichheit als logisches Grundsymbol ver-zichten und sie mittels der Elementbeziehung definieren. - Denkbar ware aucheine Definition durch

intensionale (Leibniz-)Gleichheit: ∀x(a ∈ x↔ b ∈ x)↔ a = b.

Diese Aquivalenz wird spater einfach beweisbar sein (mit Existenz der Einer-Menge).

Mengen ohne Elemente bezeichnet man auch als Urelemente; aus dem Exten-sionalitatsaxiom folgt, daß es hochstens eine solche Menge gibt, die leere Menge.Fur eine alternative Mengenlehre, die weitere Urelemente zulassen soll, muß manalso das Extensionalitatsaxiom abandern.

3.1. GLEICHHEIT VON MENGEN UND KLASSEN 21

Die Gleichheit von Klassen bzw. Klassen und Mengen wird als Umfangs-gleichheit definiert:

A = B : ↔ ∀x(x ∈ A↔ x ∈ B),

A = b : ↔ ∀x(x ∈ A↔ x ∈ b),

a = B : ↔ ∀x(x ∈ a↔ x ∈ B),

und in ahnlicher Weise (da Elemente stets Mengen sein sollen):

A ∈ B : ↔ ∃y(y = A∧ y ∈ B),

A ∈ b : ↔ ∃y(y = A∧ y ∈ b).

Somit sind nun die Grundpradikate = und ∈ fur sowohl Mengen wie auch Klassendefiniert.

Wenn eine Klasse dieselben Elemente wie eine Menge enthalt, so sind nachunserer Definition beide gleich, und genau in diesem Fall werden wir eine Klasseeine Menge nennen:

Mg(A) :↔∃x(x = A) A ist eine Menge, somit gilt alsoMg(A)↔ A ∈V, wobei

V := x | x = x Klasse aller Mengen, Allklasse, Universum.

Klassen, die keine Mengen sind, nennt man auch echte Klassen.Aus diesen Definitionen erhalten wir:

Lemma

(i) Jede Menge ist eine Klasse: a = x | x ∈ a,

(ii) Gilt eine Eigenschaft fur alle Klassen, so insbesondere auchfur alle Mengen: Falls ϕ(A,B, . . .), so auch ϕ(a,b, . . .) .

Definition

/0 := x | x 6= x leere KlasseV := x | x = x Klasse aller MengenA⊆ B :↔∀x(x ∈ A→ x ∈ B) InklusionA⊂ B :↔ A⊆ B∧A 6= B echte Inklusion

3.2. EIGENSCHAFTEN DER INKLUSION 22

3.2 Eigenschaften der Inklusion

(i) A⊆ A (reflexiv)A⊆ B∧B⊆C→ A⊆C (transitiv)A⊆ B∧B⊆ A→ A = B (antisymmetrisch)

(ii) /0⊆ A⊆V

(iii) A⊂ B↔ A⊆ B∧B 6⊆ A↔ A⊆ B∧∃x(x ∈ B∧ x 6∈ A) .

Somit ist die Inklusion⊆ eine reflexive teilweise Ordnung mit /0 als kleinstem,V als großtem “Element”.

3.3 Die Booleschen Operationen

konnen wir allein mit Hilfe der Klassenschreibweise einfuhren:

A∩B : = x | x ∈ A∧ x ∈ B DurchschnittA∪B : = x | x ∈ A∨ x ∈ B VereinigungA−B : = x | x ∈ A∧ x 6∈ B relatives Komplement−B : = x | x 6∈ B Komplement

Damit erhalten wir nun die Gesetze einer BOOLEschen Algebra (eigentlich Ge-setze uber die aussagenlogischen Operationen ¬,∧,∨):

A∩B = B∩A KommutativgesetzeA∪B = B∪A

A∩ (B∩C) = (A∩B)∩C AssoziativgesetzeA∪ (B∪C) = (A∪B)∪C

A∩A = A IdempotenzgesetzeA∪A = A

A∩ (B∪C) = (A∩B)∪ (A∩C) DistributivgesetzeA∪ (B∩C) = (A∪B)∩ (A∪C)

A∩ (B∪A) = A AbsorptionsgesetzeA∪ (B∩A) = A

A∪−A = V, A∩−A = /0 Komplementgesetze− −A = A

− /0 = V, −V = /0−(A∩B) =−A∪−B de MORGANsche Gesetze−(A∪B) =−A∩−B

3.3. DIE BOOLESCHEN OPERATIONEN 23

Es zeigt sich hier ein Vorteil der mengentheoretischen Darstellung mit Hilfedes Klassenbegriffs: Die BOOLEschen Gesetze gelten allein aufgrund der Logikund benotigen keine speziellen mengentheoretischen Existenzaxiome. Sie geltenstatt fur Klassen naturlich auch fur Mengen, allerdings fuhren nicht alle Operatio-nen von Mengen zu Mengen (aber von Klassen zu Klassen), denn in den ublichenmengentheoretischen Axiomensystemen ist V (und das Komplement einer Men-ge) keine Menge. Bereits erwahnt haben wir das

ZERMELOsche Aussonderungsschema (AusS)

∃y∀x(x ∈ y↔ x ∈ a∧ϕ(x, . . .))

Unter Benutzung von Klassenvariablen und einfachen Definitionen erhaltenwir den:

Satz

Das Aussonderungsschema ist aquivalent zu den folgenden Aussagen:

(i) ∃y∀x(x ∈ y↔ x ∈ a∧ x ∈ A) Aussonderungsaxiom

(ii) ∃y(y = a∩A)

(iii) a∩A ∈V , d. h. Mg(a∩A)

(iv) A⊆ a→Mg(A) Abschatzungssatz

Korollar

Aus dem Aussonderungsaxiom folgt:

(i) Mg( /0)

(ii) Mg(a∩A)

(iii) Mg(a−b)

(iv) ¬Mg(V )

Um außer der Existenz der leeren Menge weitere Mengen zu erhalten, brau-chen wir die Existenz von Mengen, aus denen ausgesondert werden kann.

24

Kapitel 4

Relationen und Funktionen

4.1 Paare

a,b := x | x = a∨ x = b ungeordnetes Paara := x | x = a= a,a Einerklasse von a.

Paarmengenaxiom (Paar) ∃y∀x(x ∈ y↔ x = a∨ x = b)

Insbesondere ist die Einerklasse a einer Menge a wiederum eine Menge,die Einermenge von a (unit set). Somit kann man die folgenden Mengen bilden:

a,b,a,a,a,b,a,c,e,a,e,a,a,b,a,c,e,a,e, . . . usw.

Setzen wir das

Nullmengenaxiom (Null) ∃y∀x(x 6∈ y)

voraus (welches aus dem Aussonderungsschema folgt, das wir hier aber nochnicht voraussetzen wollen), und bezeichnen die damit existierende Menge als

leere Menge: ∀x(x 6∈ /0),

so kann man ausgehend von dieser Menge nun etwa folgende Mengen bilden:

/0, /0, /0, /0 . . .

die spater fur die Zahlen 0, 1, 2. . . stehen werden und untereinander verschiedensind, denn es ist

/0 ∈ /0, aber /0 6∈ /0, somit /0 6= /0, ebenso /0, /0 6= /0, /0.

4.1. PAARE 25

Tatsachlich gibt es aufgrund der bisherigen Axiome bereits unendlich viele Men-gen, z. B.

/0, /0, /0, /0, . . . usw., aber die Existenz einer Menge mit mehr alszwei Elementen ist damit noch nicht nachweisbar!

Intensionale Charakterisierung der Gleichheit

Unter der Voraussetzung, daß zu jeder Menge a die Einermenge a existiert, giltalso (indem man fur x die Menge a setzt):

∀x(a ∈ x→ b ∈ x)→ a = b, insbesondere

∀x(a ∈ x↔ b ∈ x)↔ a = b.

Geordnetes Paar (Wiener 1914, Kuratowski 1921)

(a,b) := a,a,b geordnetes Paar

Satz: Charakteristische Eigenschaft des geordneten Paares

(i) (a,b) = (c,d)↔ a = c∧b = d

(ii) (a,b) = (b,a)↔ a = b

Beweis von (i): Offensichtlich gilt nach Definition der Paarmenge bzw. Einer-menge:

(∗) a,b= c→ a = b = c,

was wir wiederholt benutzen werden.

Es sei nun also (a,b) = (c,d), d. h. a,a,b= c,c,d.

1.Fall: c = d. Die Vor. lautet dann: a,a,b= c,c= c,also gilt nach (*) a= a,b= c,und daraus folgt wiederum mit (*): a = b = c.

2.Fall: c 6= d. Wegen a ∈ a,a,b= c,c,d gilt:a ∈ c,c,d, also: a= c oder a= c,d.Wegen c 6= d kann letzteres nicht gelten, wir erhalten also a = c unddamit a = c. Ahnlich gilt wegen c,d ∈ a,a,b:c,d = a (nicht moglich wegen c 6= d) oder c,d = a,b = c,b(letzteres wegen a = c), dann aber: d = b.

4.2. RELATIONEN 26

4.2 Relationen

Mittels geordneter Paare lassen sich auch Tripel

(a,b,c) := (a,(b,c))

und allgemeiner auch auch n-Tupel definieren. Außerdem konnen wir damit auch2-stellige Relationen (und ahnlich mittels n-Tupeln n-stellige Relationen) darstel-len durch

(a,b) ∈ A↔ ϕ(a,b),

entsprechend unserer fruheren Einfuhrung von Klassen als Extensionen 1-stelligerPradikate:

a ∈ A↔ ϕ(a).

Die Klasse der Paare (x,y) mit der Eigenschaft ϕ(x,y) ist

x,y | ϕ(x,y) := z | ∃x∃y(z = (x,y)∧ϕ(x,y))oder auch geschrieben (x,y) | ϕ(x,y).

Ein Sonderfall ist das cartesische Produkt

A×B := x,y | x ∈ A∧ y ∈ B.

Eine (2-stellige) Relation ist einfach eine Klasse von Paaren:

Rel(R) :↔ R⊆V ×V ↔∀z ∈ R ∃x∃y z = (x,y),

wir schreiben dann auchaRb :↔ (a,b) ∈ R.

Die an erster bzw. zweiter Stelle stehenden Mengen bilden den Vorbereich(domain) bzw. den Nachbereich (range) von R:

D(R) := x | ∃y xRyW (R) := y | ∃x xRy

Vertauscht man die Paarmengen in einer Relation, so erhalt man die inverse(oder auch konverse) Relation:

R−1 := y,x | xRy.

4.3. FUNKTIONEN 27

4.3 Funktionen

Funktionen identifizieren wir mit ihrem Graphen, d. h. eine Funktion ist eineRelation, die jedem Element ihres Vorbereiches (hier Definitionsbereich genannt)genau ein Element ihres Nachbereiches (hier Wertebereich genannt) zuordnet:

Fkt(F) :↔ Rel(F)∧∀x,y,z((x,y) ∈ F ∧ (x,z) ∈ F → y = z).

In diesem Fall gibt es also zu jedem a∈D(F) genau ein b∈W (F), so daß (a,b)∈F . Dieses b nennen wir wie ublich den Funktionswert von F an der Stelle a undbezeichnen ihn mit F(a):

F(a) =

b, falls Fkt(F)∧a ∈ D(F)∧ (a,b) ∈ F

/0, sonst.

Damit konnen wir auch die Klasse der F(x) mit einer Eigenschaft ϕ(x) bilden:

F(x) | ϕ(x) := y | ∃x(ϕ(x)∧ y = F(x))

und insbesondere

F [A] := F(x) | x ∈ A Bild von A unter FF A := (x,F(x)) | x ∈ A Einschrankung von F auf A (als Def.bereich).

Oft findet man fur Funktionen auch die folgende Bezeichnung unter Angabeihres Definitionsbereiches A und ihres Bildbereiches B:

F : A−→ B :↔ Fkt(F)∧D(F) = A∧W (F)⊆ B

und definiert haufig die Funktion durch Angabe ihres Wertes F(a) fur a ∈ A:

F : A−→ B

a 7→ F(a).

Es ist dann F = (a,F(a)) | a∈A, wobei man dann auch oft F = (Fa)a∈A schreibtund von einer Familie spricht, insbesondere wenn der Definitionsbereich eine ge-ordnete Menge (Indexmenge) ist.

Ist F : A −→ B, also F eine Abbildung von A nach B, so ist der BildbereichB durch F nicht eindeutig bestimmt; er braucht namlich den Wertebereich W (F)nur zu enthalten. Ist jedoch Bildbereich = Wertebereich, so heißt F surjektiv oderauf B:

F : A B :↔ F : A−→ B∧W (F) = B

4.3. FUNKTIONEN 28

In diesem Fall gibt es also zu jedem b ∈ B mindestens ein a ∈ A mit F(a) = b.Die Angabe des Bildbereiches B ist in diesem Fall wichtig, da jede Funktion eineAbbildung auf ihren Wertebereich ist!

Eine Funktion F : A−→ B heißt injektiv oder eineindeutig:

F : A B :↔∀x,y ∈ A (F(x) = F(y)→ x = y).

In diesem Fall gibt es also zu jedem b∈W (F) genau ein a∈ A mit F(a) = b, wel-ches mit a = F−1(b) bezeichnet wird. Fur eine injektive F Funktion ist namlichdie inverse Relation F−1 eine Funktion, und zwar

F−1 : W (F)−→ A fur injektives F : A−→ B.

Eine Funktion F : A−→ B heißt bijektiv gdw F injektiv und surjektiv ist:

F : A←→ B :↔ F : A B ∧ F : A B.

Fur eine bijektive Funktion F : A←→ B ist dann die inverse Funktion (oder Um-kehrfunktion) eine Abbildung

F−1 : B←→ A mit

F−1(F(a)) = a, F(F−1(b)) = b fur alle a ∈ A,b ∈ B.

29

Kapitel 5

Axiome von ZF

Eine einfache mengentheoretische Operation fuhrt von zwei Mengen zu ihrer Ver-einigung; wir werden gleich eine allgemeinere Mengenbildung einfuhren:

5.1 Vereinigung, Durchschnitt und Ersetzung

⋃A :=

⋃x∈A x := z | ∃x ∈ A z ∈ x Vereinigung (Summe)⋂

A :=⋂

x∈A x := z | ∀x ∈ A z ∈ x Durchschnitt

Summenaxiom (Zermelo) (Sum) Mg(⋃

a),ausgeschrieben also: ∃y∀z(z ∈ y↔∃x ∈ a z ∈ x).

Lemma

(i)⋃a= a,

⋃a,b= a∪b

(ii)⋂a= a,

⋂a,b= a∩b

(iii)⋃

a ist das Supremum der Elemente von a bzgl. ⊆:

∀x ∈ a x⊆⋃

a, ∀x ∈ a x⊆ c→⋃

a⊆ c.

(iv)⋂

a ist das Infimum der Elemente von a bzgl. ⊆:

∀x ∈ a⋂

a⊆ x, ∀x ∈ a c⊆ x→ c⊆⋂

a.

(v)⋂

/0 = V,⋂

V = /0,⋃

/0 = /0,⋃

V = V.

5.1. VEREINIGUNG, DURCHSCHNITT UND ERSETZUNG 30

Bemerkungen

1. Aus dem Summen- und Paarmengenaxiom folgt also, daß fur je zwei Men-gen a und b die Vereinigung a∪ b wieder eine Menge ist, damit ist dannaber das absolute Komplement einer Menge −a stets eine echte Klasse!

2. Dagegen ist a∩b eine Menge nach dem Aussonderungsaxiom, allgemeinergilt nach (AusS):

A 6= /0→Mg(⋂

A), wegen⋂

/0 = V also

A 6= /0↔Mg(⋂

A).

Statt der obigen Summen und Durchschnitte kommen in der Mathematik haufi-ger Vereinigungen und Durchschnitte von Familien von Mengen vor. Zur Anglei-chung an den dort ublichen Gebrauch bezeichnen wir den Indexbereich mit I (derzunachst eine Klasse sein kann) und schreiben auch Fi fur F(i):

⋃i∈I

Fi :=⋃Fi | i ∈ I= z | ∃i ∈ I z ∈ Fi Vereinigung⋂

i∈I

Fi :=⋂Fi | i ∈ I= z | ∀i ∈ I z ∈ Fi Durchschnitt

In Verallgemeinerung des ZERMELOschen Axioms besagt das Summenaxiomvon P. BERNAYS, daß die Vereinigung von Mengen-vielen Mengen wieder eineMenge ist:

Summenaxiom (BSum) Mg(⋃

x∈a F(x))

Der Indexbereich I ist hier eine Menge a, jedem i∈ a ist eine Menge F(i) zuge-ordnet, die Zuordnung kann allerdings durch eine Klasse F gegeben sein! Wennman dies beachtet, kann man die BERNAYSsche Summe auch in der vertrautenForm

⋃i∈I ai und das BERNAYSsche Summenaxiom in der Form

Mg(⋃

i∈I ai) fur jede Indexmenge I

schreiben. Das

Ersetzungsaxiom (Ers) Mg(F(x) | x ∈ a)

5.1. VEREINIGUNG, DURCHSCHNITT UND ERSETZUNG 31

von A. FRAENKEL besagt, daß das Bild einer Menge a unter einer Funktion F(welche eine Klasse sein kann) wieder eine Menge ist, bzw. daß man wieder eineMenge erhalt, wenn man die Elemente x einer Menge a durch ihre FunktionswerteF(x) ersetzt. Wir konnen es auch in der folgenden Form schreiben:

Fkt(F)→Mg(F [a]) bzw.Fkt(F)∧Mg(D(F))→Mg(W (F)).

Satz

Auf der Basis der bisherigen Axiome (Ext,Null,Paar) gilt:

BERNAYSsches Summenaxiom = Summenaxiom + Ersetzungsaxiom.

Beweis: Aus BSum folgt Sum, indem man fur F die Identitat (also F(x) = x) setzt,und das Ers ergibt sich wegen F(x) | x∈ a=

⋃F(x) | x∈ a. Umgekehrt gilt:⋃

x∈aF(x) =

⋃F(x) | x ∈ a=

⋃F [a].

Satz

(i) Fkt(F)∧D(F) ∈V →W (F),F ∈V ,d. h. ist der Definitionsbereich einer Funktion eine Menge, so ist nicht nurihr Bild, sondern die Funktion selber eine Menge.

(ii) F : A B∧Mg(A)→Mg(B)

(iii) F : A B∧Mg(B)→Mg(A)

Beweis von (i): Zu gegebener Funktion F definiere eine Funktion G durch

D(G) = D(F) und G(x) = (x,F(x)) fur x ∈ D(F).

Dann ist W (G) = G(x) | x ∈ D(F)= (x,F(x)) | x ∈ D(F)= F , also auch FMenge nach dem Ersetzungsaxiom (angewandt auf G). Die Beweise von (ii) und(iii) sind leichte Ubungsaufgaben.

Die Aussagen (ii) und (iii) werden verstandlich, wenn man “Mg(A)” inhalt-lich deutet als “A ist nicht zu groß” und beachtet, daß das Bild einer Funktion eher“kleiner” als der Definitionsbereich ist (da die Funktion moglicherweise verschie-dene Mengen auf dasselbe Objekt abbildet. (Genaueres hierzu bei der Einfuhrungdes Begriffes der Kardinalzahl!)

5.2. POTENZMENGE UND ALLGEMEINES PRODUKT 32

Satz uber das Produkt

Das Produkt zweier Mengen ist wieder eine Menge: Mg(a×b)

Beweis: Offensichtlich kann man die Menge b auf c× b abbilden, dieses istalso eine Menge nach dem Ersetzungsaxiom. Somit kann man eine FunktionF : a−→V definieren durch F(x) = x×b.Hiermit gilt nun a×b =

⋃x∈a(x×b) =

⋃x∈a F(x).

5.2 Potenzmenge und allgemeines Produkt

P(A) := x | x⊆ A Potenzklasse von AbA := f | f : b−→ A Belegungsklasse von b nach A

Potenzmengenaxiom (Pot) Mg(P(a))

Bemerkungen

• Da Elemente von Klassen stets Mengen sind, ist P(A) nur als Klasse allerTeilmengen von A definierbar, ebenso ist bA nur fur Mengen b definierbar.

• Es ist stets /0,a ∈ P(a).

• Aufgrund der spezifischen Definition des geordneten Paares gilt:

a×b⊆ P(P(a∪b)).

Also kann man auch mit Hilfe des Potenzmengenaxioms (und des Aus-sonderungsaxioms) zeigen, daß das Produkt von zwei Mengen wieder eineMenge ist.

• Indem man jeder Menge x⊆ a ihre charakteristische Funktion cx zuordnet,erhalt man eine Bijektion der Potenzklasse P(A) auf die Belegungsklasse b2mit 2 := 0,1= /0, /0. Falls a eine endliche Menge mit n Elementen ist,so hat also die Potenzmenge von a 2n Elemente (was auch fur unendlicheMengen gilt und die Bezeichnung “Potenzmenge” erklart).

Wie im Falle der Vereinigung gibt es fur eine Menge ein einfaches und fur eineFamilie von Mengen ein allgemeines Produkt; in diesem Fall laßt es sich aber nurfur Indexmengen definieren:

5.2. POTENZMENGE UND ALLGEMEINES PRODUKT 33

Allgemeines Produkt

∏x ∈a

F(x) := f | Fkt( f )∧D( f ) = a∧∀x ∈ a f (x) ∈ F(x)

Weniger gebrauchlich ist der Sonderfall

∏a = ∏x ∈a

x := f | Fkt( f )∧D( f ) = a∧∀x ∈ a f (x) ∈ x.

Bemerkung

Es gibt einfache Bijektionen (fur a 6= b)

∏x∈a

F(x)←→ F(a), ∏x∈a,b

F(x)←→ F(a)×F(b)

usw., so daß man das allgemeine Produkt als Verallgemeinerung des endlichenProduktes auffassen kann. Benutzen wir wieder I als Indexmenge und Familienstatt Funktionen, so konnen wir das allgemeine Produkt auch in der folgendenForm schreiben:

fur Mengen I : ∏i ∈I

Fi bzw. ∏i ∈I

ai = (xi)i ∈I | ∀i ∈ I xi ∈ ai,

wobei wir statt F jetzt auch eine Mengenvariable a einsetzen konnen, da nachdem Ersetzungsaxiom eine Funktion, die auf einer Menge definiert ist, selbst eineMenge ist.

Satz

(i) ∏x ∈a F(x)⊆ P(a×⋃

x∈a F(x))

(ii) ab = ∏x ∈a F(x) mit F(x) = b konstant fur alle x ∈ a,

(iii) ab und ∏x ∈a F(x) sind Mengen.

Somit konnen wir die folgenden Mengen bilden:

/0, a, a,b, a∪b, a∩B, a−b,⋃a,

⋃x∈a

F(x), F [a], f | f : a−→ b, a×b, ∏x∈a

F(x), P(a).

5.2. POTENZMENGE UND ALLGEMEINES PRODUKT 34

Damit erhalten wir die in der Mathematik gebrauchlichen Operationen, die,auf Mengen angewandt, wiederum Mengen ergeben; das gilt zwar nicht fur dasKomplement, aber dieses wird ohnehin in Anwendungen nur relativ zu einer vor-gegebenen Grundmenge gebraucht. Es fehlt aber noch die Existenz einer unend-lichen Menge (und damit der Zahlbereiche N,Z,R, . . .), und hierzu benotigen wirdas

Unendlichkeitsaxiom (Un) ∃x( /0 ∈ x∧∀y(y ∈ x→ y∪y ∈ x))

Die kleinste derartige Menge, d. h. der Durchschnitt

N :=⋂x | /0 ∈ x∧∀y(y ∈ x→ y∪y ∈ x)

kann als Menge der naturlichen Zahlen gewahlt werden. Im Sinne der Ordinal-zahltheorie ist es eine Ordinalzahl, und zwar die kleinste unendliche Ordinalzahl,bezeichnet mit ω .

Die bisherigen Axiome legen die Gleichheit von Mengen fest (Ext) oder for-dern die Existenz von Mengen, die eindeutig beschrieben werden (Paar, Summe,Potenz, Bildmenge, naturliche Zahlen). Von anderer Art ist das

Fundierungsaxiom (Fund) a 6= /0→∃x ∈ a x∩a = /0.

Dieses schrankt den Mengenbereich ein, indem es “unbequeme” Mengen aus-schließt, die man beim gewohnlichen Aufbau der Mengenlehre nicht benotigt. Wirhaben es bei der Entwicklung der Ordinalzahltheorie bereits benutzt und werdeneine weitere Anwendung spater darstellen.

5.3. UBERBLICK UBER DIE ZF-AXIOME 35

5.3 Uberblick uber die ZF-Axiome

Extensionalitatsaxiom (Ext) ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)→ a = bNullmengenaxiom (Null) ∃y∀x(x 6∈ y)Paarmengenaxiom (Paar) ∃y∀x(x ∈ y↔ x = a∨ x = b)Summenaxiom (Sum) ∃y∀z(z ∈ y↔∃x ∈ a z ∈ x)Ersetzungsschema (ErsS) ∀x∀y∀z(ϕ(x,y)∧ϕ(x,z)→ y = z)

→∃u∀y(y ∈ u↔∃x ∈ aϕ(x,y))Potenzmengenaxiom (Pot) ∃y∀z(z ∈ y↔ z⊆ a)Unendlichkeitsaxiom (Un) ∃x( /0 ∈ x∧∀y(y ∈ x→ y∪y ∈ x))Fundierungsaxiom (Fund) a 6= /0→∃x ∈ a ∀y ∈ xy 6∈ a.

Unter Benutzung von Klassentermen, also Ausdrucken der Form x | ϕ(x),bezeichnet mit Großbuchstaben A,B, . . . und der Definition

Mg(A) :↔∃x(x = A) A ist Menge

lassen sich die obigen Axiome auch wie folgt kurzer und pragnanter ausdrucken(mit den ublichen Definitionen von Funktionen als Klassen geordneter Paare):

Extensionalitatsaxiom (Ext) ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)→ a = bNullmengenaxiom (Null) Mg( /0)Paarmengenaxiom (Paar) Mg(a,b)Summenaxiom (Sum) Mg(

⋃a)

Ersetzungsaxiom (ErsS) Fkt(F)→Mg(F [a])Potenzmengenaxiom (Pot) Mg(P(a))Unendlichkeitsaxiom (Un) Mg(N)Fundierungsaxiom (Fund)) a 6= /0→∃x ∈ a x∩a = /0.

Das Aussonderungsaxiom ist ubrigens als Folge des Ersetzungsaxioms uber-flussig (wobei man - je nach Art der Formalisierung - noch das Nullmengenaxiombenotigt):

Metatheorem

(i) Aus den Axiomen Ext,Null,Paar,Ers folgt Aus,

(ii) aus ErsS folgt AusS.

5.3. UBERBLICK UBER DIE ZF-AXIOME 36

Beweis von (i): zu zeigen ist: a∩A ∈V .

1. Fall: a∩A = /0 : Dann gilt die Beh. wegen des Nullmengenaxioms.

2. Fall: a∩A 6= /0: Wahle ein b ∈ a∩A und definiere eine FunktionF : a a∩A durch

F(x) =

x, falls x ∈ a∩A,

b, sonst

und wende das Ersetzungsaxiom an.

Dasselbe Argument liefert einen Beweis von (ii), benotigt aber weder dasNullmengenaxiom noch das Paarmengenaxiom:

Zu zeigen ist:∃y∀x(x ∈ y↔ x ∈ a ϕ(x)).

Definiere dazu eine Formel

ψ(x,y) :↔ (ϕ(x)∧ x = y).

Es gilt dann:ψ(x,y)∧ψ(x,z)→ y = z,

also ex. nach ErsS ein b mit

∀y(y ∈ b↔∃x ∈ a ψ(x,y)), d. h.∀y(y ∈ b↔∃x ∈ a (ϕ(x)∧ x = y)), also∀y(y ∈ b↔ y ∈ a∧ϕ(y))

37

Teil II

Mengen von Mengen von . . .

38

Kapitel 6

Induktion und Rekursion

Willst du ins Unendliche schreiten,Geh nur im Endlichen nach allen Seiten.Johann Wolfgang von Goethe: Wege

Quod enim dicimus aliquid esse infinitum,non aliquid in re significamus,sed impotentiam in animo nostro;tanquam si diceremus, nescire nos, an et ubiterminetur.Th. Hobbes, De cive XV 14

. . . l´homme qui n´est produit que pour l´infinite.Blaise Pascal: Preface sur le Traite du vide

Wenn man eine Aussage uber alle naturlichen Zahlen beweisen will, so kannman sie nicht fur jede Zahl einzeln nachprufen, da dies unendlich-viele Schritteerfordern wurde. Stattdessen kann man auf das Induktionsprinzip fur die naturli-chen Zahlen zuruckgreifen, allgemeiner im Falle unendlicher Mengen auf eineWohlordnung dieser Menge. Diese ordnet die Elemente der Menge in einer Wei-se, daß man sie von den kleineren zu den großeren “durchlaufen” kann, was danngenauer im (transfiniten) Induktionsprinzip ausgedruckt wird. Wir wiederholenzunachst den Begriff der Wohlordnung und erweitern ihn zugleich auf den Fallvon Klassen:

6.1. ORDNUNGEN AUF KLASSEN 39

6.1 Ordnungen auf Klassen

1. Eine (irreflexive) teilweise Ordnung auf einer Klasse A ist eine 2-stelligeRelation <⊆ A×A, fur die gilt:

(a) ∀x ∈ A x 6< x irreflexiv,(b) ∀x,y,z ∈ A (x < y∧ y < z→ x < z) transitiv.

2. Eine (irreflexive) lineare Ordnung auf A ist eine teilweise Ordnung < aufA mit(c) ∀x,y ∈ A (x < y∨ x = y∨ y < x) vergleichbar.

3. Eine Wohlordnung auf einer Klasse A ist eine lineare Ordnung < auf A,welche zusatzlich die folgenden Bedingungen erfullt:

(F1) ∀z( /0 6= z⊆ A→∃x ∈ z ∀y ∈ z y 6< x) Minimalitatsbedingung(F2) ∀y ∈ A Mg(x | x < y) Mengenbedingung

4. S(a,<) := [< a] := x | x < a <-Segment von a, Mengeder <-Vorganger von a

Bemerkungen

• Die Mengenbedingung F2 ist nur wichtig fur echte Klassen; ist A eine Men-ge, so ist F2 stets erfullt, da x | x < a ⊆ A.

• Eine Relation, die nur die Bedingungen F1 und F2 erfullt (also ohne not-wendig eine lineare Ordnung zu sein), heißt fundiert.

• Im Falle der ∈-Beziehung ist x | x < a = x | x ∈ a = a und somit F2

erfullt. Außerdem erfullt die ∈-Beziehung auf einer Klasse A, ∈A, auchdie Bedingungen F1 aufgrund des Fundierungsaxioms. Damit ist ∈A zwarauch irreflexiv, aber i. a. keine Wohlordnung (da weder (b) noch (c) gelten).Trotzdem kann man die wichtigsten Ergebnisse uber Wohlordnungen auffundierte Relationen (wie ∈A) ubertragen.

• Bereits fruher hatten wir erwahnt, daß sich die Minimalitatsbedingung F1

in unserem sprachlichen Rahmen nur fur alle Teilmengen von A ausdruckenlaßt. Die zusatzliche Bedingung F2 sorgt aber im Falle echter Klassen dafur,daß F2 auch fur alle definierbaren Klassen gilt:

6.2. MINIMUMSPRINZIP 40

6.2 Minimumsprinzip

< sei Wohlordnung auf A. Dann hat jede nicht-leere Teilklasse B von A ein <-minimales (bzw. <-kleinstes) Element:

(i) /0 6= B⊆ A→∃x ∈ B ∀y < x y 6∈ B,bzw. mit B = x ∈ A | ϕ(x) als Schema:

(ii) ∃x ∈ A ϕ(x)→∃x ∈ A [ϕ(x) ∧∀y < x¬ϕ(x)].

Beweis: Sei b ∈ B. Falls b nicht bereits <-minimal ist, so

∃y ∈ B y < b, d. h. [< b]∩B 6= /0.

Nach der Mengenbedingung F2 ist [< b]∩B eine Menge und hat damit nach F1

ein <-minimales c :(+) c ∈ [< b]∩B ∧ ∀y ∈ [< b]∩B y 6< c.Dann gilt aber auch c ∈ B ∧ ∀y ∈ B y 6< c, denn gabe es ein y ∈ B mit y < c,

so ware y ∈ [< b]∩B (wegen c < b und der Transitivitat von <) im Widerspruchzur Bedingung (+).

Im Blick darauf, daß sich das obige Minimumsprinzip auf fundierte Relatio-nen verallgemeinern laßt,1 schreiben wir im folgenden R fur die Wohlordnung<:

6.3 Induktionsprinzip fur Wohlordnungen

R sei Wohlordnung auf A. Dann gilt:

(i) ∀x ∈ A [S(x,R)⊆ B→ x ∈ B]→ A⊆ B,

bzw. mit B = x ∈ A | ϕ(x) als Schema:

(ii) ∀x ∈ A [∀y(yRx→ ϕ(y))→ ϕ(x)]→∀x ∈ A ϕ(x).

Dieses Prinzip bedeutet, daß man eine Aussage ϕ(x) fur alle x∈ A nachweisenkann, wenn man fur ein beliebiges a ∈ A zeigen kann:

1Dazu muß man eine fundierte Relation zu einer transitiven Relation erweitern, die ebenfallsfundiert ist.

6.3. INDUKTIONSPRINZIP FUR WOHLORDNUNGEN 41

Falls ∀y(yRa→ ϕ(y)) (Induktionsannahme),so gilt ϕ(a) (Induktionsschluß).

Dieses Beweisverfahren nennt man auch Beweis durch R-Induktion.

Beweis von (i): Annahme: ∀x ∈ A [S(x,R)⊆ B→ x ∈ B], aber A 6⊆ B.Dann ist A−B 6= /0 und besitzt nach obigem Satz ein R-minimales Element a:

a ∈ A−B, aber ∀y ∈ A−B ¬yRa, d.h. ∀y(yRa→ y ∈ B),

also S(a,R) ⊆ B und damit nach der Voraussetzung der R-Induktion: a ∈ B, Wi-derspruch! (Tatsachlich ist die Aussage (i) von 6.2 logisch aquivalent zur Aussage(i) dieses Satzes: benutze Kontraposition, logische Umformungen und gehe von Bzur Komplementklasse uber!)

Segmente

Fur eine Relation R definieren wir:

R-Segment(B) :↔∀x∀y(xRy∧ y ∈ B→ x ∈ B).

Im Falle der ∈-Beziehung E gilt:

E-Segment(B)↔ trans(B).

Fur Ordnungen < sind die Mengen S(a,<) = x | x < a offenbar Segmente(genannt Anfangsegmente), fur Wohlordnungen sind es die einzigen echten Seg-mente:

Lemma

(i) R sei lineare Ordnung auf A, und S, T ⊆ A seien Segmente.Dann gilt: S⊆ T ∨T ⊆ S.

(ii) Ist R Wohlordnung auf A, S ⊆ A ein echtes Segment, so S = S(a,R) fur eina ∈ A.

Beweis von (i): Sei S 6⊆ T . Dann gibt es ein a ∈ S−T , und dieses kann kein R-großeres b ∈ T besitzen (sonst ware auch a ∈ T , da T ein Segment ist). Also giltfur alle b ∈ T : bRa, insbesondere T ⊆ S.Fur den Beweis von (ii) wahle man das R-kleinste Element a ∈ A−S.

6.4. REKURSIONSSATZ FUR WOHLORDNUNGEN 42

6.4 Rekursionssatz fur Wohlordnungen

Es sei R eine Wohlordnung auf A, G: V ×V −→ V eine Funktion. Dann existiertgenau eine Funktion F : A−→V , die durch die folgenden rekursiven Eigenschaf-ten bestimmt ist:

F(a) = G(a,F S(a,R)), bzw. als Variante

F(a) = G(a,F(x) | xRa).

Ferner konnen G und F weitere Stellen als Parameter enthalten, z. B.

F(a,u,v) = G(a,u,v,F(x,u,v) | xRa).

Beweis:a) Die Eindeutigkeit von F zeigt man durch R-Induktion.b) Fur den Nachweis der Existenz definiert man:

(i) h brav:↔∃s(s ist Segment∧h : s→V ∧∀x ∈ s h(x) = G(x,h S(x,R))),

(ii) h vertraglich mit g :↔∀x ∈ D(h)∩D(g) h(x) = g(x)

Durch R-Induktion zeigt man, daß je zwei brave Funktionen miteinandervertraglich sind:

(iii) h,g brav→∀x ∈ D(h)∩D(g) h(x) = g(x).(Mit Hilfe von (i) des vorigen Lemmas kann man sogar zeigen, daß fur jezwei brave h,g gilt: g⊆ h∨h⊆ g.)

Die gesuchte Funktion konnen wir jetzt explizit definieren durch:

(iv) F :=⋃h | hbrav .

F ist wegen (iii) eine Funktion, D(F) ist ein Segment, und F erfullt die Rekursi-onsbedingungen (als Vereinigung braver Funktionen). Es bleibt zu zeigen, daß Fauf ganz A definiert ist:

Ware B := D(F) echtes Segment von A, so B = S(a,R) fur ein a ∈ A nachobigem Lemma (ii), insbesondere B und damit F eine Menge, etwa F = f mitbravem f . Dieses f konnte man dann fortsetzen zu einem braven

h := f ∪(a,G(a, f S(a,R)))

mit a ∈ D(h) = S(a,R)∪ a ein Segment, also mußte auch a ∈ D(F) = B =S(a,R) sein und somit aRa, Widerspruch!

6.5. KONTRAKTIONSLEMMA 43

Damit haben wir eine explizite mengentheoretische Definition einer Funktionerhalten, die durch eine rekursive Bedingung charakterisiert ist, und zwar erhaltman die Funktion als Vereinigung von “partiellen” Losungen der Rekursionsglei-chungen. Insbesondere kann man damit die Elemente einer wohlgeordneten Klas-se der Große nach aufzahlen - dabei hangt namlich die Aufzahlung eines Elemen-tes b ∈ A ab von der Aufzahlung der Vorganger von b:

6.5 Kontraktionslemma

R sei eine Wohlordnung auf A. Dann existiert genau eine Abbildung F und einetransitive Klasse B, so daß:

F ist ein Isomorphismus: (A,R)∼= (B,∈), d. h.F : A←→ B mit

aRb↔ F(a) ∈ F(b) fur alle a,b ∈ A.

Dabei sei das geordnete Paar von Klassen etwa definiert durch:

(A,B) := (A×0)∪ (B×1),

und (B,∈) ist die Struktur (B,EB) mit EB := x,y | x,y ∈ B∧ x ∈ y.

Beweis:a) Eindeutigkeit: Sei F : A←→ B mit aRb↔ F(a) ∈ F(b), B transitiv. Dann

gilt fur alle b ∈ A:

F(b) ∈ B→ F(b)⊆ B wegen trans(B)a ∈ F(b)→∃x(a = F(x) ∈ F(b)) nach Voraussetzunga ∈ F(b)↔∃x(a = F(x)∧ xRb), somit

(*) F(b) = F(x) | xRb.

Dadurch ist aber F eindeutig festgelegt, und B ist eindeutig als Wertebereich vonF bestimmt.

b) Existenz: Nach dem Rekursionssatz existiert (genau) ein F mit D(F) = Aund fur alle b ∈ A:

F(b) = F(x) | xRb,

d. h. es existiert ein F : A B mit der Eigenschaft (*), wobei wir B := W (F)gesetzt haben.

6.6. REPRASENTATIONSSATZ FUR WOHLORDNUNGEN 44

F ist injektiv:Sei F(y) = F(z), aber y 6= z. Da R eine Ordnung ist, so gilt

yRz und damit F(y) ∈ F(z) oderzRy und damit F(z) ∈ F(y),

in beiden Fallen ein Widerspruch zu F(y) = F(z) (und dem Fundierungsaxiom)!

F ist ein Isomorphismus:Nach Def. von F gilt: aRb→ F(a) ∈ F(b). Sei umgekehrt F(a) ∈ F(b). Dann istF(a) = F(c) fur ein cRb, aber a = c (wegen der Injektivitat), und somit auch aRb.

B ist transitiv:Sei c ∈ B = W (F). Dann ist c = F(b) fur ein b ∈ A, andererseits nach Def. von F(d.h. nach (*)): c = F(b) = F(x) | xRb ⊆ B, also c⊆ B.

Da transitive Mengen, die durch die ∈-Beziehung wohlgeordnet sind, geradedie Ordinalzahlen sind, erhalten wir mit

On := x | Ord(x) als Klasse aller Ordinalzahlen:

6.6 Reprasentationssatz fur Wohlordnungen

< sei eine Wohlordnung auf A.

(i) Ist A = a eine Menge, so gibt es genau eine Abbildung f und genau eineOrdinalzahl α mit

f : (a,<)∼= (α,∈).

(ii) Ist A eine echte Klasse, so gibt es genau eine Abbildung F mit

F : (A,<)∼= (On,∈).

Somit sind die Ordinalzahlen Reprasentanten von Wohlordnungen. Das ein-deutig bestimmte α mit (a,<) ∼= (α,∈) nennt man den Wohlordnungstyp von(a,<). Man erhalt ihn, wenn man die Elemente der Menge a nach der Wohlord-nung < aufzahlt: Ist

a = aξ | ξ < α mit a0 < a1 < .. . < aξ < aη . . . fur ξ < η < α,

so ist α der Wohlordnungstyp von a bezuglich der Wohlordnung < auf a.Im Falle einer echten Klasse gibt es nur einen Wohlordnungstyp (namlich On),

und zwar liegt das an der Mengenbedingung F2 in der Definition 6.1.3.

6.6. REPRASENTATIONSSATZ FUR WOHLORDNUNGEN 45

Anwendung auf die Ordinalzahlen

Die kleinste Ordinalzahl ist 0, und fur jede Ordinalzahl α ist α +1 ebenfalls eineOrdinalzahl, und zwar eine Nachfolgerzahl. Die restlichen Typen von Ordinalzah-len sind Limeszahlen:

0 := /0 NullN f (α) : ↔∃ξ α = ξ +1 NachfolgerzahlLim(λ ) : ↔ λ 6= 0∧¬N f (λ ) Limeszahl

↔ λ 6= 0∧∀ξ < λ (ξ +1 < λ )

Lemma

(i) α = 0∨N f (α)∨Lim(α) (und es gilt genau einer der drei Falle),

(ii) Lim(λ )↔ λ > 0 ∧ λ = ∪λ ,

(iii) trans(A)∧A⊆ On→ A ∈ On ∨ A = On,

(iv) A⊆ On→∪A ∈ On ∨ ∪A = On.

Beweis von (iii): Ist A transitiv, so ein E-Segment von On und nach Lemma (ii)aus 6.3 somit = On oder als echtes Segment von der Form A = x | x < α = α

fur ein α .Zum Beweis von (iv) beachte man, daß fur A ⊆ On gilt: ∪A ist transitiv (allge-meiner ist die Vereinigung transitiver Mengen wieder transitiv), so daß man (iii)anwenden kann.

Beachte, daß (iii) eine Verallgemeinerung des Satzes aus 1.4 ist. (iv) besagt,daß das Supremum einer Klasse von Ordinalzahlen wieder eine Ordinalzahl istoder = On ist, und zwar gilt in (iii) und (iv) jeweils der 1. Fall, wenn A beschranktist (d. h. ∃α A⊆ α), der 2. Fall, falls A unbeschrankt ist (also ∀α ∃ξ ≥ α ξ ∈ A).

Die Existenz von Limeszahlen folgt erst aus dem Unendlichkeitsaxiom, unddamit werden wir uns im folgenden Abschnitt beschaftigen. Hier konnen wir dieExistenzfrage erst einmal offen lassen; falls es keine Limeszahl gibt, sind die Or-dinalzahlen gerade die naturlichen Zahlen, anderenfalls gehen sie daruber hinaus:Mit einer Limeszahl λ gibt es auch wieder die Nachfolgerzahlen λ +1,λ +2, . . .

(die aber keine naturlichen Zahlen mehr sind) und dann wieder deren Limes, . . . ,

usw. Somit fuhren die Ordinalzahlen uber die naturlichen Zahlen hinaus, indem

6.7. MINIMUMSPRINZIP, TRANSFINITE INDUKTION UND REKURSION 46

zu jeder Menge von Ordinalzahlen auch das Supremum wieder eine Ordinalzahlist: Es gilt

(∗) 0 = /0 ∈ On ∧ ∀α(α ∈ On→ α +1 ∈ On) ∧ ∀x(x⊆ On→∪x ∈ On),

tatsachlich ist On die kleinste Klasse mit dieser Abgeschlossenheitsbedingung.Da die Ordinalzahlen durch die ∈ -Beziehung wohlgeordnet sind, gelten hier-

fur die Induktions- und Rekursionstheoreme des vorigen Abschnitts; zusatzlichkann man ihnen aber wegen (*) auch eine zweite Fassung geben, die zeigt, wiediese Prinzipien die entsprechenden Satze uber die naturlichen Zahlen verallge-meinern:

6.7 Minimumsprinzip, transfinite Induktion und Rekursion

(i) /0 6= A⊆ On→ ∃α ∈ A A∩α = /0 Minimumsprinzip(ii) ∃α ϕ(α)→∃α(ϕ(α)∧∀ξ < α¬ϕ(ξ ))(iii) ∀α(α ⊆ A→ α ∈ A)→ On⊆ A Induktionsprinzip(iv) ϕ(0)∧∀α((ϕ(α)→ ϕ(α +1))∧

∧∀λ (Lim(λ ) ∧ ∀ξ < λ ϕ(ξ )→ ϕ(λ ))→∀α ϕ(α)

Dabei haben wir in (i) und (iii) die Klassen-, in (ii) und (iv) die Schema-Schreib-weise benutzt; (i) - (iv) sind untereinander aquivalent. In (v) beschranken wir unsauf den Fall, welcher der Induktion der Form (iv) entspricht:

(v) Transfinite Rekursion: Sind G,H : On×V −→V Funktionen, a eine Menge,so existiert genau eine Funktion F : On−→V mit

F(0) = a

F(α +1) = G(α,F(α))

F(λ ) = H(λ ,F(ξ ) | ξ < λ) fur Lim(λ ).

(Analog fur mehrstellige Funktionen mit Parametern.)

47

Kapitel 7

Normalfunktionen

7.1 Addition, Multiplikation, Potenz

Der Rekursionssatz erlaubt es, die arithmetischen Operationen auf den Ordinal-zahlen so einzufuhren, daß sie die entsprechenden Operationen auf den natur-lichen Zahlen verallgemeinern (nach JACOBSTHAL 1909):

α +0 = α α ·0 = 0α +(β +1) = (α +β )+1 α · (β +1) = α ·β +α

α +λ =⋃

ξ<λ α +ξ , falls Lim(λ ) α ·λ =⋃

ξ<λ α ·ξ , falls Lim(λ )

α0 = 1α(β+1) = αβ ·ααλ =

⋃0<ξ<λ αξ , falls Lim(λ )

Die von den naturlichen Zahlen bekannten Rechengesetze gelten zum Teilauch fur die unendlichen Ordinalzahlen:

Satz

(i) α +0 = 0+α = α 0 ist neutrales Element fur +(ii) α ·1 = 1 ·α = α 1 ist neutrales Element fur ·(iii) α ·0 = 0 ·α = 0 0 ist Nullteiler(iv) 00 = 1, 0β = 0 fur β > 0, 1β = 1(v) (α +β )+ γ = α +(β + γ) + ist assoziativ(vi) (α ·β ) · γ = α · (β · γ) · ist assoziativ(vii) α · (β + γ) = α ·β +α · γ rechts-distributiv(viii) αβ+γ = αβ ·αγ ,αβ ·γ = (αβ )γ

7.2. MONOTONIE-GESETZE 48

Bevor wir auf die Beweise eingehen, wollen wir einige Beispiele berechnen.Dabei sind fur den Limesfall die Operationen oft sehr einfach zu bestimmen:

Beispiele und Gegenbeispiele

1+ω =⋃

n<ω n = ω allgemeiner: n+ω = ω fur jedes n < ω

2 ·ω =⋃

n<ω 2 ·n = ω allgemeiner: n ·ω = ω fur jedes 0 < n < ω

2ω =⋃

n<ω 2n = ω allgemeiner: nω = ω fur jedes 1 < n < ω.

Außerdem:(ω +1) ·2 = (ω +1)+(ω +1) = ω +1+ω +1 = ω +ω +1 = ω ·2+1,

(ω +1) ·n = ω ·n+1,(ω +1) ·ω =

⋃n<ω(ω +1) ·n =

⋃n<ω(ω ·n+1) =

⋃n<ω ω ·n = ω ·ω,

(ω +1)2 = (ω +1) · (ω +1) = (ω +1) ·ω +(ω +1) = ω ·ω +ω +1.

Damit erhalten wir zugleich einige Gegenbeispiele zu arithmetischen Geset-zen: i. a. gilt nicht:

α +β = β +α da 1+ω = ω 6= ω +1α ·β = β ·α da 2 ·ω = ω 6= ω ·2(α +β ) · γ = α · γ +β · γ da (1+1) ·ω = ω 6= 1 ·ω +1 ·ω = ω +ω

(α ·β )γ ≤ αγ ·β γ da (2 · (ω +1))2 = (ω +2)2 = ω ·ω +ω ·2+2> 22 · (ω +1)2 = ω ·ω +ω +4,

(α ·β )γ ≥ αγ ·β γ da (2 ·2)ω = ω < 2ω ·2ω = ω ·ω .

Immerhin gilt aber wenigstens noch: (α +β ) · γ ≤ α · γ +β · γ.

7.2 Monotonie-Gesetze

(i) α +β = α + γ ↔ β = γ Kurzungsregel (aber 1+ω = 2+ω,1 6= 2)α +β < α + γ ↔ β < γ Monotonie im 2. Argument

(ii) fur α > 0 :α ·β = α · γ ↔ β = γ Kurzungsregel (aber 1 ·ω = 2 ·ω,1 6= 2)α ·β < α · γ ↔ β < γ Monotonie im 2. Argument

7.2. MONOTONIE-GESETZE 49

(iii) fur α > 1 :αβ = αγ ↔ β = γ Kurzungsregel (aber 2ω = 3ω ,2 6= 3)αβ < αγ ↔ β < γ Monotonie im 2. Argument

(iv) α ≤ β → α + γ ≤ β + γ schwache Monotonie(v) α ≤ β → α · γ ≤ β · γ schwache Monotonie(vi) α ≤ β → αγ ≤ β γ schwache Monotonie

Die arithmetischen Operationen der Addition, Multiplikation und Potenz sindoffenbar vom selben Typ hinsichtlich ihres zweiten Arguments und fallen unterden allgemeinen Begriff der Normalfunktion. Wir werden daher die entsprechen-den Gesetze als Spezialfalle von Eigenschaften der Normalfunktionen (VEBLEN

1908) erhalten:

Definition

N f t(F) :↔ F : On→ On ∧ ∀ξ ,η (ξ < η → F(ξ ) < F(η)) streng monoton∧ ∀λ (Lim(λ )→ F(λ ) =

⋃ξ<λ F(ξ )) stetig

Eine Normalfunktion ist somit eine Funktion auf den Ordinalzahlen, welchestreng monoton und stetig ist.

• Die einfachste Normalfunktion ist die identische Funktion auf den Ordinal-zahlen,

• die arithmetischen Operationen der Addition, Multiplikation und Potenzsind (von trivialen Anfangsfallen abgesehen) Normalfunktionen im 2. Ar-gument (s. u.).

• Die Nachfolgerfunktion S : On→ On mit S(α) = α + 1 ist zwar monoton,aber nicht stetig (da

⋃n<ω S(n) = ω 6= S(ω) = ω +1).

Lemma

Es sei F : On→ On stetig. Dann gilt:

N f t(F)↔∀α (F(α) < F(α +1)),

d. h. eine stetige Funktion ist bereits dann eine Normalfunktion, wenn sie beimUbergang zum Nachfolger monoton ist.

7.2. MONOTONIE-GESETZE 50

Beweis: Zeige fur den Teil (⇐) durch Induktion uber β , daß

∀ξ (ξ < β → F(ξ ) < F(β )).

Die Addition ist eine wiederholte Hinzufugung von 1, die Multiplikation einewiederholte Addition und die Potenz eine wiederholte Multiplikation. Allgemei-ner konnen wir die Iteration einer Funktion erklaren durch die folgende

Definition

Es sei F : V →V eine Funktion, a eine beliebige Menge. Dann ist

It = It(F,a),

der Iterator von F mit Anfangswert a, wie folgt durch transfinite Rekursion defi-niert:

It(0) = a

It(γ +1) = F(It(γ))

It(λ ) =⋃

ξ<λ

It(ξ ) falls Lim(λ )

Ublicherweise schreibt man: Fγ(a) = It(F,a)(γ), so daß

F0(a) = a

Fγ+1(a) = F(Fγ(a))

Fλ (a) =⋃

ξ<λ

Fξ (a) falls Lim(λ ).

Beispiele

• Der Iterator der Nachfolgerfunktion S mit dem Anfangswert α ist die Ad-dition zu α : α +β = Sβ (α),

• ist Aα : On→On die Funktion mit Aα(δ ) = δ +α , so ist deren Iterator mitAnfangswert 0 die Multiplikation mit α: α ·β = Aβ

α(0),

• ist Mα : On→ On die Funktion mit Mα(δ ) = δ ·α , so ist deren Iterator mitAnfangswert 1 die Potenz von α: αβ = Mβ

α (1).

Da der Iterator einer ordinalen Funktion F stets stetig ist, ist er nach dem vor-angegangenen Lemma eine Normalfunktion, wenn die Funktion F echt wachst:

7.2. MONOTONIE-GESETZE 51

Satz

Es sei F : On→ On mit ∀ξ (ξ < F(ξ )). Dann ist It(F,a) eine Normalfunktion.Insbesondere sind folgende Funktionen Normalfunktionen:

(i) Die Addition als Funktion des 2. Argumentes, d. h.β 7→ α +β fur beliebiges α (da δ < S(δ )),

(ii) die Multiplikation als Funktion des 2. Argumentes, d. h.β 7→ α ·β fur beliebiges α > 0 (da dann δ < δ +α),

(iii) die Potenz als Funktion des 2. Argumentes, d. h.β 7→ αβ fur beliebiges α > 1 (da dann δ < δ ·α).

Somit gelten alle Eigenschaften von Normalfunktionen insbesondere fur dieobigen arithmetischen Operationen. Als streng monotone Funktionen sind sie in-jektiv und ihre Umkehrfunktionen sind ebenfalls streng monoton. Die einzigestreng monotone und zugleich surjektive Funktion auf den Ordinalzahlen ist somitdie identische Abbildung:

Satz

Es sei F : On→On streng monoton, also ∀ξ ,η (ξ < η→ F(ξ ) < F(η)). Danngilt:

(i) ∀ξ (ξ ≤ F(ξ )),

(ii) ∀ξ ,η (F(ξ ) < F(η)→ ξ < η).

Beweis: Falls F(α) < F(β ) ist, so muß auch α < β sein, denn nach Vorausset-zung gilt β ≤ α → F(β ) ≤ F(α). Daraus erhalten wir (ii) und damit auch dieInjektivitat von F .

(i) kann man durch Induktion beweisen oder mit Hilfe des Minimumsprinzips:Falls α 6≤ F(α) fur ein α gilt, so wahle man ein kleinstes derartiges α . Dann giltalso

F(α) < α ∧∀ξ < α ξ ≤ F(ξ ).

Setze γ := F(α). Dann ist γ = F(α) < α , also wegen der Monotonie von F

F(F(α)) = F(γ) < F(α) = γ,

und somit F(γ) < γ mit γ < α im Widerspruch zur Wahl von α als kleinsterderartiger Zahl!

Hieraus erhalten wir insbesondere die fruheren Monotoniegesetze 7.2.

7.3. VERALLGEMEINERTE STETIGKEIT VON NORMALFUNKTIONEN 52

7.3 Verallgemeinerte Stetigkeit von Normalfunktionen

Fur die Nachfolgerfunktion gilt immer α < F(α), und streng monotone Funk-tionen konnen naturlich noch viel starker stark wachsen. Dagegen fuhrt die Ste-tigkeitseigenschaften von Normalfunktionen dazu, daß es fur solche Funktionenimmer beliebig große “Fixpunkte” α mit F(α) = α gibt, wo die Funktion alsowieder von der identischen Funktion “eingeholt” wird. Dazu leiten wir eine Ver-allgemeinerung der Stetigkeit her, wollen vorher aber noch auf unterschiedlicheSupremums-Begriffe aufmerksam machen:

Die Ordinalzahlen sind durch <=∈ irreflexiv, durch ≤=⊆ reflexiv geordnet,und somit haben wir auch zwei unterschiedliche Definitionen fur das Supremumeiner Menge a⊆ On von Ordinalzahlen bzw. einer Folge F von Ordinalzahlen

• supξ<λ F(ξ ) :=⋃

ξ<λ F(ξ ) = µγ (∀ξ < λ F(ξ )≤ γ) sup bzgl. ≤,

• sup+ξ<λ

F(ξ ) :=⋃

ξ<λ F(ξ )+1 = µγ (∀ξ < λ F(ξ ) < γ) sup bzgl. <,

wobei

µγ ϕ(γ) =

das kleinste γ mit ϕ(γ), falls ein solches existiert,

0 sonst.

Beide Arten des Supremums einer Folge stimmen naturlich uberein, wenn dieFolge kein großtes Element hat. Wir benotigen nur den folgenden Spezialfall:

Lemma uber monotone Limesfolgen

Es sei Lim(λ ) und g : λ → On streng monoton, also

∀ξ ,η (ξ < η < λ → g(ξ ) < g(η)).

Setze α := supξ<λ g(ξ ), also

(i) ∀η (η < α ↔∃ξ < λ η < g(ξ )).

Dann gilt: Lim(α) ∧ α = sup+ξ<λ

g(ξ ), also

(ii) ∀η (η < α ↔∃ξ < λ η ≤ g(ξ ))

Beweis: Offensichtlich ist α 6= 0. ferner gilt:

γ < α ↔∃ξ < λ γ < g(ξ )→∃ξ < λ γ ≤ g(ξ ).

7.3. VERALLGEMEINERTE STETIGKEIT VON NORMALFUNKTIONEN 53

Da λ eine Limeszahl ist, so

ξ < λ → ξ +1 < λ → g(ξ ) < g(ξ +1),

woraus leicht die Behauptung folgt.(Als Voraussetzung wurde genugen: ∀ξ < λ∃η < λ g(ξ ) < g(η).)

Hiermit ergibt sich folgende verallgemeinerte Stetigkeitseigenschaft von Nor-malfunktionen:

Satz uber die Stetigkeit von Normalfunktionen

Es sei N f t(F),Lim(λ ) und g : λ → On streng monoton, α = supξ<λ g(ξ ). Danngilt:

Lim(α) ∧ F(α) = F(supξ<λ g(ξ )) = supξ<λ F(g(ξ )).

Beweis: Aufgrund des vorigen Lemmas ist α eine Limeszahl und somit

F(α) = supη<αF(η), d. h.

γ < F(α) ↔ ∃η < α γ < F(η), also wegen α = supξ<λ g(ξ ) :

γ < F(α) ↔ ∃η < α ∃ξ < λ (η < g(ξ )∧ γ < F(η))

→ ∃ξ < λ γ < F(g(ξ ))

→ γ < supξ<λ F(g(ξ )).

Somit erhalten wir F(α)⊆ supξ<λ F(g(ξ )). Umgekehrt gilt aber auch:

∀ξ < λ g(ξ ) < α und somit

∀ξ < λ F(g(ξ ))≤ F(α) wegen der Monotonie von F , also

supξ<λ F(g(ξ ))≤ F(α).

Hiermit laßt sich nun der Satz aus 7.1 beweisen, als Beispiel wahlen wir

(viii) αβ+γ = α

β ·αγ :

Beweis: Wir nehmen α > 1 an und zeigen die Behauptung durch Induktion uberγ:

γ = 0 : αβ+γ = αβ = αβ ·αγ , da α0 = 1.

7.4. FIXPUNKTE VON NORMALFUNKTIONEN 54

Der Nachfolgerfall ist ebenfalls einfach:

αβ+(γ+1) = α

(β+γ)+1) = αβ+γ ·α = α

β ·αγ ·α = αβ ·αγ+1

nach Induktionsvoraussetzung und Definition der Operationen im Nachfolgerfall.Schließlich sei λ eine Limeszahl und nach Induktionsvoraussetzung

∀ξ < λ αβ+ξ = α

β ·αξ .

Dann gilt

αβ+λ =

⋃η<β+λ

αη , da Lim(β +λ )

=⋃

ξ<λ

αβ+ξ

wegen der Stetigkeit der Normalfunktion δ 7→ αδ . Mit der Induktionsvorausset-zung folgt nun

αβ+λ =

⋃ξ<λ

αβ ·αξ = α

β ·αλ ,

wobei wir nochmals die Stetigkeitseigenschaft angewandt haben (und zwar fur dieNormalfunktion F(δ ) = αβ ·δ und die monotone Folge g(ξ ) = αξ .)

7.4 Fixpunkte von Normalfunktionen

Ist F : On→On eine ordinale Funktion, so heißt eine Ordinalzahl α mit α = F(α)ein Fixpunkt oder eine kritische Stelle von F .

Existenz von Fixpunkten

Jede Normalfunktion F hat beliebig große Fixpunkte:

N f t(F)→∀α ∃β (α ≤ β ∧ β = F(β )),

und zwar erhalt man zu gegebenem α den nachstgroßeren Fixpunkt β durch ω-fache Iteration der Funktion F, ausgehend von α:

β = Fω(α) =⋃α,F(α),F(F(α)), . . ., also

β =⋃

n<ω

βn, wobei β0 = α, βn+1 = F(βn).

7.4. FIXPUNKTE VON NORMALFUNKTIONEN 55

Beweis: Offenbar gilt die Behauptung im Falle α = F(α). Anderenfalls muß aberα < F(α) sein, und dann ist die β -Folge monoton:

α = β0 < F(α) = β1 < F(F(α)) = β2 < .. .

Somit gilt aufgrund der Stetigkeitseigenschaft von F :

F(β ) =⋃

n<ω

F(βn) =⋃

n<ω

βn+1 =⋃

n<ω

βn = β .

Es ist leicht zu sehen, daß β der kleinste Fixpunkt von F ist mit β ≥ α .

Ist F eine Normalfunktion, so kann man also ihre Fixpunkte durch eine Funk-tion DF , die Ableitung von F , unbegrenzt aufzahlen:

DF(0) = µβ (β = F(β ))

DF(γ +1) = µβ (DF(γ) < β ∧ β = F(β ))

DF(λ ) = µβ (∀ξ < λ DF(ξ ) < β ∧ β = F(β ))

Diese Funktion ist nach Definition streng monoton, und da der Limes von Fix-punkten wieder ein Fixpunkt ist: Ist

∀ξ < λ αξ = F(αξ ) ∧ α =⋃

ξ<λ

αξ , so ist auch

α =⋃

ξ<λ

αξ =⋃

ξ<λ

F(αξ ) = F(⋃

ξ<λ

αξ ) = F(α)

(und zwar wieder wegen der Stetigkeitseigenschaft von Normalfunktionen). Alsoerhalten wir:

Satz

Ist F eine Normalfunktion, so auch DF, die Ableitung von F.

Beispiel

Die Potenzen von ω bilden eine Normalfunktion δ 7→ ωδ . Ihre kritischen Stellenheißen ε-Zahlen, und die kleinste ε-Zahl ε0 ist

ε0 = supωω ,ωωω

,ωωωω

, . . ..

Dieses ist also die kleinste Zahl ε mit ωε = ε .

Zum Abschluß erwahnen wir noch ohne Beweis die

7.4. FIXPUNKTE VON NORMALFUNKTIONEN 56

CANTORsche Normalform

Es sei α > 1. Dann ist jede Ordinalzahl β eindeutig darstellbar in der Form

β = αγ0 ·δ0 +α

γ1 ·δ1 + . . .αγk−1 ·δk−1 mit 0 < δi < α,

γ0 > γ1 > .. . > γk−1.

Damit erhalten wir eine Verallgemeinerung der Dezimaldarstellung (α = 10)der naturlichen Zahlen auf alle Ordinalzahlen. Interessant ist fur Anwendungenauf transfinite Zahlen besonders die Darstellung zur Basis α = ω , wobei die ε-Zahlen dann die Darstellung ε = ωε ·1 besitzen!

57

Kapitel 8

Die von-Neumannsche Hierarchie

8.1 Mengeninduktion

Das Fundierungsaxiom haben wir bisher nur benutzt, um die Definition der Or-dinalzahlen zu vereinfachen. Hier wollen wir es jetzt in einer neuen Bedeutungkennenlernen: jede Menge laßt sich - von der leeren Menge ausgehend - durchBildung von Mengen von Mengen von . . . darstellen. Damit erhalten wir einen stu-fenweisen Aufbau der Mengen, wie er bereits in der RUSSELLschen Typentheorie(s. 2.2) zum Ausdruck gekommen ist. Durch transfinite Rekursion definieren wireine Folge von Mengen (Vα |α ∈ On), indem wir mit der leeren Menge beginnenund dann die Potenzmengenoperation iterieren:

Vα = Pα( /0), also : V0 = /0, Vα+1 = P(Vα), Vλ =⋃

ξ<λ

Vξ fur Lim(λ ).

Die Mengen Vα nennt man auch VON-NEUMANNsche Stufen; sie sind tran-sitiv und aufsteigend geordnet (kumulativ):

Lemma

(i) trans(Vα)

(ii) α ≤ β →Vα ⊆Vβ

Beweis: durch Induktion uber α bzw. β .

Die Stufen Vα sind (durch ihre Indizes) wie die Ordinalzahlen wohlgeordnet undtransitiv, warum sind sie dann selbst keine Ordinalzahlen? Elemente einer Stufe

8.1. MENGENINDUKTION 58

Vα sind nicht notwendig wieder Stufen, und die ∈-Beziehung ist zwar eine Wohl-ordnung auf allen Stufen, nicht aber auf deren Elementen!

Um zu zeigen, daß jede Menge in einer Stufe vorkommt, benotigen wir denBegriff der transitiven Hulle (transitive closure):

Definition

TC(a) : =⋃

n<ω

h(n) mit h(0) = a, h(n+1) =⋃

h(n), also

TC(a) : = Uω(a), wobei U(c) =⋃

c.

Die Bezeichnung wird gerechtfertigt durch die folgende Charakterisierung:

Lemma

TC(a) ist die kleinste transitive Obermenge von a:

(i) a⊆ TC(a) ∧ trans(TC(a)),

(ii) ∀x(a⊆ x ∧ trans(x)→ TC(a)⊆ x).

Der einfache Beweis folgt aus den Eigenschaften von trans.

Die Aquivalenz von Induktions- und Minimumsprinzip fur Wohlordnungen6.7 ubertragt sich auf die ∈-Beziehung:

Satz

(i) ∀x [∀y ∈ xϕ(y)→ ϕ(x)]→∀xϕ(x) ∈-Induktion

(i’) ∀x [x⊆ A→ x ∈ A]→ A = V Mengen-Induktion

(ii) ∃xϕ(x)→∃x[ϕ(x)∧∀y ∈ x¬ϕ(y)] Fundierungsschema

(ii’) A 6= /0→∃x[x ∈ A ∧ x∩A = /0] Fundierungsaxiom fur Klassen

Beweis: Alle Aussagen sind untereinander logisch aquivalent, wobei (i) und (i’)Varianten voneinander sind (jeweils in Formelschema bzw. Klassenschreibweise),ebenso (ii) und (ii’), und alle folgen aus dem Fundierungsaxiom, was wir hier etwafur (ii’) zeigen wollen:

8.1. MENGENINDUKTION 59

Sei also A 6= /0, etwa a ∈ A. Setze b := A∩TC(a). Dann ist wegen a ∈ b:b 6= /0, und zwar eine Menge, auf welche wir das Fundierungsaxiom anwendenkonnen: es existiert ein c ∈ b mit

(∗) c∩b = /0.

Es bleibt zu zeigen: c ∈ A ∧ c∩A = /0 :

Zunachst ist c ∈ A, da c ∈ b ⊆ A. Ware c∩A 6= /0, etwa d ∈ c∩A, so d ∈ A undwegen d ∈ c ∈ TC(a) ∧ trans(TC(a)) auch d ∈ TC(a), also d ∈ c∩b imWiderspruch zu (*)!

Durch Mengeninduktion erhalten wir den:

Satz

V =⋃

α∈On

Beweis: Wir setzen zunachst N :=⋃

α∈OnVα und zeigen a⊆ N→ a ∈ N:Sei also a⊆ N, d. h. ∀x ∈ a ∃α x ∈Vα . Mittels

h : a→ On, h(x) 7→ µα x ∈Vα

wahlen wir das jeweils kleinste α und bilden das Supremum dieser Menge vonOrdinalzahlen:

β :=⋃x∈a

h(x).

Dann ist also ∀x ∈ a x ∈ Vh(x) ⊆ Vβ und somit a ⊆ Vβ . Damit gilt aber a ∈ Vβ+1,d. h. a ∈ N.

Bemerkung

1. Zum Beweis des obigen Satzes haben wir das Fundierungsaxiom (in Formder Mengeninduktion) benutzt; tatsachlich ist die Aussage, daß jede Mengeals Element einer Stufe vorkommt, aquivalent zum Fundierungsaxiom: Essei ZF0 die Theorie ZF, aber ohne das Fundierungsaxiom. Definieren wir inZF0 den Ordinalzahlbegriff mit dem Zusatz fund(a), so gelten die fruherenErgebnisse uber transfinite Induktion und Rekursion in ZF0. Bildet man nunwieder die Klasse

N =⋃

α∈On

Vα ,

8.2. MENGEN VON RANG 60

so ist N = x | f und(x) die Klasse aller fundierten Mengen, und es gilt inZF0:

V = N↔ Fund.

2. Man kann zeigen, daß in N alle Axiome von ZF gelten und erhalt daraus:

Ist ZF0 widerspruchsfrei, so auch ZF = ZF0 +Fund.

3. Mit Hilfe eines anderen inneren Modells kann man auch zeigen:

Ist ZF0 widerspruchsfrei, so auch ZF0 +¬Fund.

Also ist das Fundierungsaxiom unabhangig von den ubrigen Axiomen vonZF.

8.2 Mengen von Rang

Die in der Mathematik gebrauchlichen Mengen sind stets fundiert; fur den Aufbauder Mengenlehre ist das Fundierungsaxiom zwar weitgehend entbehrlich, verein-facht aber die Entwicklung der Ordinalzahltheorie. Daruber hinaus laßt es sichbenutzen, um jeder Menge einen “Rang” zuzuordnen:

Definition (MIRIMANOFF 1917)

ρ(a) := µα a ∈Vα+1 Rang von a

Lemma

(i) a ∈Vα ↔∃ξ < α a⊆Vξ

(ii) a ∈Vα →⋃

a ∈Vα ∧a,P(a) ∈Vα+1

(iii) a⊆ b ∈Vα → a ∈Vα

(iv) Vα ∩On = α

(v) α < β ↔Vα ∈Vβ , α ≤ β ↔Vα ⊆Vβ

Beweis: (i) und (iv) zeigt man durch Induktion uber α , (ii) folgt aus (i) und derTransitivitat der Vα ’s, und (iii) folgt aus (i). (v) zeigt man am einfachsten mit (iv)des folgenden Lemmas.

8.2. MENGEN VON RANG 61

Eigenschaften des Ranges

(i) a⊆ b→ ρ(a)≤ ρ(b)

(ii) a ∈ b→ ρ(a) < ρ(b)

(iii) ρ(a) = ρ(P(a)) = ρ(a)+1

(iv) ρ(α) = ρ(Vα) = α

(v) Vα = x|ρ(x) < α

(vi) ρ(α) =⋃

x∈a ρ(x)+1 = sup+x∈aρ(x)

Beweis: Ubungsaufgabe!

Bemerkungen

• Wegen ω ⊆Vω , P(ω)⊆Vω+1, P(ω) ∈Vω+2 kommen reelle Zahlen, Men-gen und Funktionen von reellen Zahlen und alle Objekte der reellen Analy-sis in Vω+ω vor (sicher schon in Vω+10). Daruber hinaus sind die Stufen Vα

transitive Mengen mit interessanten Abschlußeigenschaften:

• a,b ∈Vα →a,a,b,P(a) ∈Vα+1,(a,b) ∈Vα+2.

• Ist λ eine Limeszahl, so ist also Vλ abgeschlossen unter

a,a,b,(a,b),⋃

a,P(a),a×bund enthalt mit jedem a auch jede Teilmenge b⊆ a.

• (Vω ,∈) ist Modell aller Axiome von ZF, bis auf das Unendlichkeitsaxiom,das hierin falsch ist (da alle Mengen in Vω endlich sind, s. unten 9.2).

• (Vλ ,∈) ist fur Limeszahlen λ > ω Modell aller Axiome von ZF, bis aufdas Ersetzungsaxiom,

• HC := x | TC(x) abzahlbar ist ein Modell aller Axiome von ZF, bis aufdas Potenzmengenaxiom.

• Die Frage nach der Existenz von Ordinalzahlen α , fur die (Vα ,∈) ein Mo-dell von ZF ist, fuhrt zu den “großen Kardinalzahlen”, deren Existenz in ZF

nicht beweisbar ist (“unerreichbare” Zahlen).

Offensichtlich weisen die von-NEUMANNschen Stufen Vα gewisse “Ahnlich-keiten” mit V auf. Genauer laßt sich dieser Zusammenhang in der Form eines

8.3. ANWENDUNGEN DES RANGES 62

Reflexionsprinzips

∃α[a ∈Vα ∧∀x1 . . .xn ∈Vα(ϕVα (x1 . . .xn)↔ ϕ(x1 . . .xn))]

ausdrucken, wobei die Formel ϕa (die Relativierung von ϕ nach a) aus ϕ her-vorgeht, indem dort jeder Quantor Qx durch den relativierten Quantor Qx ∈ aersetzt wird. Somit besagt das Reflexionsprinzip, daß zu jeder Formel ϕ ein be-liebig großes Vα existiert, das bezuglich der Eigenschaft ϕ sich wie die AllklasseV verhalt. Man kann Reflexionsprinzipien benutzen als alternative Moglichkeit,die Theorie ZF zu axiomatisieren - bei geeigneter Formulierung machen sie alleAxiome uber die Existenz von Mengen (bis auf das Aussonderungsaxiom) uber-flussig und sind naturlich modelltheoretisch von besonderem Interesse (Naheresim Teil V).

8.3 Anwendungen des Ranges

Eine Einteilung aller Mengen in Aquivalenzklassen fuhrt haufig zu echten Klas-sen; ein geeignetes Reprasentantensystem erhalt man dann meistens nur unter An-wendung des Auswahlaxioms. Mit Hilfe des Rangbegriffes kann man sie aberauch nach SCOTT-TARSKI 1955 auf Mengen beschranken: Jeder Klasse A ordnetman die Elemente von A zu, die minimalen Rang haben:

Definition

Amin := x ∈ A | ∀y ∈ A ρ(x)≤ ρ(y)

Satz

(i) a,b ∈ Amin→ ρ(a) = ρ(b),

(ii) Amin ⊆ A ∧ Amin ∈V,

(iii) Amin 6= /0↔ A 6= /0.

Beweis: (i) folgt aus unmittelbar aus der Definition. Ist A 6= /0, so existiert nach demFundierungsaxiom fur Klassen ein a∈ A mit a∩A = /0, dieses hat dann unter allenElementen von A den minimalen Rang (es kann aber naturlich mehrere Elementevon minimalem Rang geben). Ist ρ(a) = α , so Amin ⊆Vα+1 und somit eine (nicht-leere) Menge.

8.3. ANWENDUNGEN DES RANGES 63

Definition

R ist eine Aquivalenzrelation auf der Klasse A gdw. R⊆ A×A und

A1 ∀x ∈ A xRx reflexivA2 ∀x,y ∈ A (xRy→ yRx) symmetrischA3 ∀x,y,z ∈ A (xRy∧ yRz→ xRz) transitiv

Fur jedes a ∈ A sei [a]R := x | xRa die Aquivalenzklasse von a bzgl. R undaR := ([a]R)min die entsprechende Teilmenge von minimalem Rang.

Abstraktionsprinzip (FREGE 1884, RUSSELL 1907, SCOTT 1955)

Es sei R Aquivalenzrelation auf A. Dann ist A die Vereinigung der paarweise dis-junkten Aquivalenzklassen: A =

⋃a∈A[a]R mit

a ∈ [a]R[a]R 6= [b]R→ [a]R∩ [b]R = /0

[a]R = [b]R↔ aRb.

Die aR sind immer Mengen, und fur sie gilt immerhin noch:

aR 6= /0, aR = bR↔ aRb,

so daß sie als Reprasentantenmengen fur die Aquivalenzklassen gewahlt werdenkonnen.

64

Kapitel 9

Die Rolle des Unendlichkeitsaxioms

Wenn man moglichst schnell und einfach das Induktionsprinzip fur die naturli-chen Zahlen erhalten will, so definiert man sie als Durchschnitt aller induktivenMengen (und damit als kleinste induktive Menge):

N :=⋂x | Ind(x), wobei

Induktiv(a) :↔ /0 ∈ a∧∀y(y ∈ a→ y∪y ∈ a).

Da der Durchschnitt uber die leere Menge jedoch keine Menge (sondern die echteKlasse aller Mengen) ist, muß man fur diesen Weg das Unendlichkeitsaxiom vor-aussetzen (welches gerade besagt, daß es eine induktive Menge gibt). Wir wollenjedoch - soweit moglich - dieses Axiom vermeiden und wahlen daher den Begriffder naturlichen Zahl als “endliche” Ordinalzahl, d. h. als Ordinalzahl unterhalbder ersten Limeszahl:

Nz(n) : ↔ Ord(n) ∧ (n = 0∨N f (n)) ∧ ∀x ∈ n(x = 0∨N f (x))

↔ Ord(n) ∧ ∀λ (Lim(λ )→ n < λ ) naturliche Zahl

Da das Unendlichkeitsaxiom Un auch damit gleichbedeutend ist, daß eine Li-meszahl existiert, bedeutet diese Definition:

a) Gilt Un, so ist die kleinste Limeszahl ω = Menge der naturlichen Zahlen.

b) Gilt ¬Un, existiert also keine unendliche Menge, so sind alle Mengen end-lich und die naturlichen Zahlen bilden eine echte Klasse, die mit der KlasseOn aller Ordinalzahlen zusammenfallt.

9.1. DIE PEANO-THEORIE PA 65

Fur die naturlichen Zahlen als spezielle Ordinalzahlen konnen wir aus den je-weiligen Prinzipien fur die Ordinalzahlen entsprechende Aussagen uber die natur-lichen Zahlen gewinnen (dabei benutzen wir fur naturliche Zahlen wie ublich dieVariablen n, m, k):

Induktionsprinzip ∀n(∀m < n m ∈ A→ n ∈ A)→∀n n ∈ A

Induktionsschema ϕ(0)∧∀n[ϕ(n)→ ϕ(n+1)]→∀n ϕ(n)

Minimumsprinzip ∃nϕ(n)→∃n[ϕ(n)∧∀m < n ¬ϕ(m)]

Rekursion Sind G,H : N×V −→V Funktionen, a eine Menge, so existiert genaueine Funktion F : N−→V mit

F(0) = a

F(n+1) = G(n,F(n).

9.1 Die Peano-Theorie PA

Die Sprache von PA enthalt ein 1-stelliges Funktionszeichen ′, zwei 2-stelligeFunktionszeichen +, · sowie eine Individuenkonstante 0. Ahnlich wie im Falleder mengentheoretischen Sprache bilden wir hieraus die Menge der zahlentheore-tischen Formeln, in welcher nun die

Axiome von PA formuliert werden:

P1 x′ 6= 0 P2 x′ = y′→ x = yP1 x+0 = x P5 x ·0 = 0P4 x+ y′ = (x+ y)′ P6 x · y′ = x · y+ x

sowie die unendlich-vielen Induktionsaxiome:

IndS ϕ(0) ∧ ∀x(ϕ(x)→ ϕ(x′))→∀x ϕ(x),wobei ϕ eine Formel der zahlentheoretischen Sprache ist.

Die Menge der naturlichen Zahlen ω mit a′ = a∪a, 0 = /0 und mit den men-gentheoretisch (durch Rekursion auf den naturlichen Zahlen) definierten Opera-tionen +, · (der Einfachheit halber benutzen wir hierfur dieselben Zeichen wie furdie Symbole der Sprache von PA) bilden ein Modell von PA, das

Standardmodell N = (ω,′ ,+, ·,0).

9.1. DIE PEANO-THEORIE PA 66

Modelle, die nicht isomorph zum Standardmodell sind, heißen Nichtstandard-modelle. Im Rahmen der Mathematischen Logik zeigt man, daß die obige Theoriesehr viele (sowohl abzahlbare wie auch uberabzahlbare) Nichtstandardmodellebesitzt. Im Rahmen der Mengenlehre dagegen kann man das InduktionsschemaIndS aber nicht nur fur Aussagen der Sprache von PA, sondern fur beliebige men-gentheoretische Formeln nachweisen, und es laßt sich in ZF zeigen, daß das Stan-dardmodell bis auf Isomorphie das einzige dieser (mengentheoretisch erweiterten)Axiome ist (wobei man P3−P6 nicht einmal benotigt):

Kategorizitat der mengentheoretischen PEANO-Axiome

Die Theorie PA(2) (PEANO-Axiome 2. Stufe) besitzt folgende Axiome:

P1 ∀x e 6= x

P2 ∀x∀y(x′ = y′→ x = y)

Ind(2) ∀X [0 ∈ X ∧∀x(x ∈ X → x′ ∈ X)→∀x x ∈ X ]

Die Kategorizitat dieser Theorie besagt, daß es (bis auf Isomorphie) genau einModell gibt, d. h.:

Jedes Modell von PA(2) ist isomorph zum Standardmodell (ω,′ ,0).

Beweis: Ind(2) ist ein Axiom, in welchem ∀X ein Quantor 2. Stufe ist, welcherin einem Modell (w,∗,e) ausdruckt: fur alle Teilmengen von w . . . , d. h. diesesAxiom entspricht dem mengentheoretische Induktionsprinzip.

Es sei nun also (w,∗ ,e) ein Modell von PA(2), d.h.

(1) e 6= x∗ fur alle x ∈ w,

(2) x∗ = y∗→ x = y fur alle x,y ∈ w,

(3) e ∈ v∧∀x(x ∈ v→ x∗ ∈ v)→ w⊆ v fur alle Mengen v⊆ w.

Der gesuchte Isomorphismus ist eine Abbildung f : ω ←→ w mit

f (0) = e∧∀n ∈ ω f (n′) = f (n)∗.

Der Rekursionssatz fur die naturlichen Zahlen liefert ein (sogar eindeutig be-stimmtes) f mit dieser Eigenschaft; zu zeigen bleibt also nur noch die Bijektivitat:

9.2. DIE THEORIE DER ENDLICHEN MENGEN 67

f ist surjektiv: Sei v :=W ( f ) = f (n) | n ∈ω. Dann folgt aus den rekursivenBedingungen fur f :

e ∈ v ∧ ∀x(x ∈ v→ x∗ ∈ v),

also nach (3): w⊆ v und damit w = v, d. h. f ist surjektiv.f ist injektiv, d. h.

(i) m 6= n→ f (m) 6= f (n).

Zunachst zeige man durch Induktion uber m, daß jede von 0 verschiedene Zahleinen Vorganger besitzt:

(ii) m 6= 0→∃n(m = n′)

und dann (i) durch Induktion uber n:

1. Sei n = 0 und n 6= m. Dann ist m 6= 0, also nach (i) m = k′ fur ein k unddamit f (0) = e 6= f (m) = f (k)∗ nach (2).

2. Sei (i) bewiesen fur n (und alle m), m 6= n′. Falls m = 0, schliessen wirwie oben auf f (m) 6= f (n′). Falls m 6= 0, so ist wieder m = k′ fur ein k. Ausm = k′ 6= n′ folgt wegen (P2) k 6= n und damit nach Induktionsvoraussetzungf (k) 6= f (n).

9.2 Die Theorie der endlichen Mengen

Bezeichnet ZF f in die Theorie ZF, in welcher das Unendlichkeitsaxiom durch seineNegation ersetzt ist, so kann man sie als Theorie der endlichen Mengen auffassen;(Vω ,∈) ist “das Standardmodell” dieser Theorie. Diese ist ebenso “stark” wie diePEANO-Arithmetik PA, d. h. sie lassen sich wechselweise ineinander interpretie-ren, und damit ist insbesondere ZF ohne das Unendlichkeitsaxiom genau dannwiderspruchsfrei, wenn die PEANO-Arithmetik widerspruchsfrei ist:

• Wie oben bemerkt, kann man in ZF ohne Unendlichkeitsaxiom die naturli-chen Zahlen (als Klasse) definieren und die arithmetischen Operationen derAddition und Multiplikation auf den naturlichen Zahlen (mittels des Rekur-sionssatzes) definieren, so daß hierfur die PEANO-Axiome gelten,

9.3. ANWENDUNGEN DER NUMERISCHEN REKURSION 68

• umgekehrt kann man (nach W. ACKERMANN) in der Theorie PA endlicheMengen durch Zahlen kodieren und eine entsprechende ∈-Beziehung sodefinieren, daß hierfur die Axiome von ZF f in gelten.

• In ZF ohne Unendlichkeitsaxiom (oder einer geeigneten Erweiterung vonPA zur Theorie 2. Stufe) kann man auch eine eingeschrankte Analysis be-treiben; um aber etwa die Gesamtheit der reellen Zahlen zur Verfugung zuhaben, benotigt man das Unendlichkeitsaxiom.

9.3 Anwendungen der numerischen Rekursion

Als Spezialfall des Rekursionstheorems fur die naturlichen Zahlen erhalten wirdie Moglichkeit, Funktionen zu iterieren und damit Mengen zu erhalten, die untervorgegebenen Funktionen abgeschlossen sind:

Satz uber die Iteration und den Abschluß

(i) Zu jeder Funktion F und jeder Menge a gibt es eine Funktion

H : N×V −→V mit

H(0,a) = a, H(n+1,a) = F(H(n,a)).

Wir nennen H auch die Iteration von F mit dem Anfangswert a undschreiben auch Fn(a) fur H(n,a).

(ii) Zu jeder Funktion F und jeder Menge a gibt es eine Obermenge b von a, dieunter F abgeschlossen ist:

∃y(a⊆ y ∧ ∀x ∈ y F(x) ∈ y)

Beweis von (ii): Zu gegebenem F und der Ausgangsmenge a definiere durch Re-kursion eine Funktion G mit den Eigenschaften

G(0) = a, G(n′) = F(x) | x ∈ G(n) und setze b :=⋃

n∈ω

G(n).

Dann ist offensichtlich a⊆ b ∧ ∀x ∈ b F(x) ∈ b, und zwar ist b die kleinste derar-tige Menge, die Hulle oder der Abschluß von a unter der Abbildung F .

Fur viele Anwendungen gut zu benutzen ist das

Hullenaxiom (HS) ∃y(a⊆ y ∧ ∀x ∈ y F(x) ∈ y).

9.3. ANWENDUNGEN DER NUMERISCHEN REKURSION 69

Satz

Unter der Voraussetzung der ubrigen Axiome von ZF (einschließlich des Ausson-derungsschemas) ist das

Ersetzungsaxiom + Unendlichkeitsaxiom aquivalent zum Hullenaxiom.

Beweis: HS haben wir in obigem Satz in ZF gezeigt. Umgekehrt folgt aus HS dasUnendlichkeitsaxiom (mit a = /0 und F(x) = x′) und ahnlich das Ersetzungsaxiom,indem es fur eine Funktion F und eine Menge a zunachst eine Obermenge b ⊇ amit F(x) | x ∈ b ⊆ b liefert, fur die dann aber F(x) | x ∈ a als Teilklasse vonb eine Menge nach dem Aussonderungsaxiom ist.

Anwendungen des Hullenaxioms

1. Ahnlich wie wir ω als (kleinste) Ordinalzahl erhalten konnen, die > 0 istund unter ′ abgeschlossen ist, erhalten wir zu jeder Ordinalzahl α eine(nachstgroßere) Limeszahl λ > α , aber auch Ordinalzahlen > α , die un-ter arithmetischen Operationen abgeschlossen sind:∀ξ ,η < γ ξ +η < γ bzw. die ε-Zahlen: ∀ξ < ε 2ξ < ε , usw.(In ahnlicher Weise haben wir Fixpunkte fur Normalfunktionen erhalten, s.7.4.)

2. Die Existenz der transitiven Hulle TC(a) einer Menge a folgt unmittelbaraus HS (in 8.1 haben wir sie durch durch ω-Iteration gebildet).

3. Eine Menge ist endlich gdw sie sich auf die Zahlen 0, . . . ,n fur einenaturliche Zahl n abbilden laßt,

HF := x | TC(x) endlich ist die Klasse der erblich-endlichen Mengen.

Sie laßt sich auch beschreiben durch HF = Vω und ist somit eine Menge(wobei man wesentlich das Unendlichkeitsaxiom benutzt - dagegen ist dieKlasse aller endlichen Mengen stets eine echte Klasse).

4. Mit Hilfe der von-NEUMANNschen Stufenhierarchie kann man die folgen-den Verstarkungen des Hullenaxioms erhalten:

∀x ∃y ϕ(x,y, . . .)→∃α ∀x ∈Vα ∃y ∈Vα ϕ(x,y, . . .), bzw.

∀x ∈ a ∃y ϕ(x,y, . . .)→∃u (a⊆ u∧∀x ∈ a ∃y ∈ u ϕ(x,y, . . .)),

welche sich (in engem Zusammenhang mit den Reflexionsprinzipien) auchzur Axiomatisierung von ZF verwenden lassen (s. Teil V).

70

Teil III

Mengen auswahlen

71

Kapitel 10

Das Auswahlaxiom

steht am Anfang der Entwicklung einer axiomatischen Mengenlehre: ZERMELO

stellte sein Axiomensystem in Zusammenhang mit seinem zweiten Beweis desWohlordnungssatzes dar, und bis heute ist es wohl das interessanteste Axiom ge-blieben wegen seiner Auswirkungen nicht nur fur die Mengenlehre, sondern auchfur fast alle Gebiete der Mathematik.1 In seiner einfachsten Form besagt es, daßdas Produkt einer Menge nicht-leerer Mengen wiederum nicht leer ist (RUSSELL

1906: multiplicative axiom):

Auswahlaxiom: (AC,1904/08) ∀x ∈ a x 6= /0→∏x∈a x 6= /0,

d. h. ∀x ∈ a x 6= /0→∃ f (Fkt( f )∧D( f ) = a∧∀x ∈ a f (x) ∈ x)

(ein solches f heißt Auswahlfunktion fur die Menge a.)

Das AC ist unabhangig von den ubrigen ZF-Axiomen:Ist ZF0 (= ZF ohne Fundierungsaxiom) widerspruchsfrei, so auch

ZF0 +¬AC (FRAENKEL 1922),ZF+AC (GODEL 1938),ZF+¬AC (COHEN 1963).

Im Gegensatz zu den anderen mengentheoretischen Axiomen fordert es dieExistenz einer Menge, ohne sie zu definieren oder auch nur einen Hinweis fureine mogliche Beschreibung zu bieten. Ahnlich ist es im Falle des Fundierungs-axioms, dafur hat aber das Auswahlaxiom zahlreiche Anwendungen, besitzt aberauch verschiedene

1Zur Geschichte und Problematik des Auswahlaxioms s. das Buch von G.H. MOORE: Zerme-lo´s axiom of choice, Springer 1982

10.1. MENGENTHEORETISCH AQUIVALENTE FORMEN 72

10.1 Mengentheoretisch aquivalente Formen

AC2 ∀x ∈ a F(x) 6= /0→∏x∈a F(x) 6= /0

AC2´ ∀x ∈ a ∃y ϕ(x,y)→∃ f [Fkt( f )∧D( f ) = a∧∀x ∈ a ϕ(x, f (x))](ein solches f heißt Auswahlfunktion fur ϕ)

AC3 ∀x ∈ a x 6= /0 ∧ ∀x,y ∈ a(x 6= y→ x∩ y = /0)→∃z∀x ∈ a∃!u u ∈ z∩ x(ein solches z heißt Auswahlmenge fur die nicht-leeren, disjunkten Mengenin a; ∃!u . . . = es existiert genau ein u. . . )

AC3´ r Aquivalenzrelation auf a→∃z∀x ∈ a∃!u(x,u) ∈ r(jede Aquivalenzrelation besitzt ein Reprasentantensystem)

AC4 Fkt( f )→∃g(Fkt(g)∧g : W ( f ) D( f )∧g⊆ f−1)(jede Funktion besitzt eine Umkehrfunktion; f−1 := (y,x) | (x,y) ∈ f)

AC5 Rel(r)→∃ f (Fkt( f )∧D( f ) = D(r)∧ f ⊆ r)

Der Beweis dieser Aussagen aus dem Auswahlaxiom beruht darauf, daß manin allen diesen Fallen eine Auswahl in Abhangigkeit von den Elementen einerMenge treffen muß (dabei benotigt man fur AC2´ das Fundierungsaxiom, umden Bereich der moglichen y auf eine genugend große Menge Vα einschrankenzu konnen). Umgekehrt sind die obigen Auswahlprinzipien allgemein genug, umhieraus das ursprungliche AC zu folgern.

10.2 Der Zermelosche Wohlordnungssatz

Das Auswahlaxiom, AC, ist aquivalent zum Wohlordnungssatz:

WO1 ∀x∃r(r ist Wohlordnung auf x),bzw.

WO2 ∀x∃ f ∃α( f : α ←→ x),

d. h. jede Menge a laßt sich aufzahlen:

a = aξ |ξ < α fur ein α und eine Folge (aξ ξ < α).

10.2. DER ZERMELOSCHE WOHLORDNUNGSSATZ 73

Beweis: Ist r Wohlordnung auf a, so isomorph zur ∈-Beziehung auf einer Ordi-nalzahl α (nach 6.6 (i)), somit WO1⇒WO2. Ist umgekehrt f : a←→ α fur eineOrdinalzahl α , so kann man auf a eine Wohlordnung r definieren durch

xry ⇐⇒ f (x) ∈ f (y),

wodurch die naturliche Wohlordnung auf α auf die Menge a ubertragen wird.Also gilt auch WO2⇒WO1.

WO1⇒ AC: Ist eine Menge wohlgeordnet, so kann man aus ihren Elementeneine Auswahl treffen, indem man das kleinste Element (bezuglich der Wohlord-nung) auswahlt: Sei ∀x ∈ a x 6= /0. Nach WO1 gibt es eine Wohlordnung < auf⋃

a. Damit kann man eine Auswahlfunktion f definieren durch

f (x) = das kleinste (bzgl. <) y ∈ x fur x ∈ a.

AC⇒WO1: Sei a 6= /0. Nach dem Auswahlaxiom existiert eine Funktion

f : P(a)− /0 −→V mit ∀x⊆ a (x 6= /0→ f (x) ∈ x).

Damit konnen wir rekursiv eine Aufzahlung G von a definieren:

G(α) =

f (a−G(ξ ) | ξ < α), falls a−G(ξ ) | ξ < α 6= /0

a, sonst.

(i) a 6∈ G(ξ ) | ξ < α→ G α ist injektiv: Fur γ < α ist

G(γ) = f (a−G(ξ ) | ξ < γ) ∈ a−G(ξ ) | ξ < γ,

also G(γ) 6= G(ξ ) fur alle ξ < γ .

(ii) a ∈W (G),

denn anderenfalls ware G : On −→ a nach (i) eine injektive Funktion, unddamit a keine Menge! Es gibt also ein α mit G(α) = a, welches wir minimalwahlen. Dann ist G α : α −→ a injektiv. Es bleibt zu zeigen:

(iii) G α : α −→ a ist surjektiv.

Ware namlich W (G α) ⊂ a, so G(α) = f (a−G(ξ ) | ξ < α) ∈ a imWiderspruch zur Definition von α!

10.3. MAXIMUMSPRINZIPIEN VON ZORN UND HAUSDORFF 74

Bemerkung

Der Wohlordnungssatz besagt, daß jede Menge eine Wohlordnung besitzt, oh-ne (wie schon im Falle des Auswahlaxioms und ahnlich auch fur die folgendenMaximumsprinzipien) konkret eine Wohlordnung anzugeben. Endliche Mengenlassen sich leicht wohlordnen (man braucht sie ja nur zu ordnen) und alle Wohl-ordnungen sind in diesem Falle isomorph. Im Falle unendlicher Mengen dagegengibt es (wenn uberhaupt!) stets verschiedene Wohlordnungen, wenn auch fur jedeWohlordnung ihr Ordnungstyp eindeutig bestimmt ist.

10.3 Maximumsprinzipien von Zorn und Hausdorff

Diese Prinzipien formulieren wir am besten fur reflexive Ordnungen:Eine (reflexive) teilweise Ordnung auf A ist eine 2-stellige Relation R auf A,

fur die gilt:

(a) ∀x ∈ A xRx reflexiv,(b) ∀x,y,z ∈ A (xRy∧ yRz→ xRz) transitiv,(c) ∀x,y ∈ A (xRy∧ yRx→ x = y) antisymmetrisch.(d) K ⊆ A heißt R-Kette:↔∀x,y ∈ K (xRy∨ yRx),

d.h. je zwei Elemente aus K sind bzgl. R vergleichbar;(e) a ∈ A heißt R-obere Schranke von B⊆ A :↔∀x ∈ B xRa,

a ∈ A heißt R-maximal:↔∀x ∈ A (aRx→ a = x).

Ein maximales Element besitzt also kein echt großeres, braucht aber nicht dasgroßte Element zu sein (zumindest nicht in einer teilweisen Ordnung).

HAUSDORFFsches Maximumsprinzip (H,1914)

r sei teilweise Ordnung auf der Menge a. Dann gibt es eine (bzgl. ⊆) maximaler-Kette k, d. h. ein k ⊆ a mit: k ist r-Kette ∧∀y ( y r-Kette ∧ k ⊆ y→ k = y).

ZORNsches Lemma (ZL,1935)

r sei teilweise Ordnung auf der Menge a mit der Eigenschaft

(*) jede r-Kette besitzt eine r-obere Schranke.

Dann hat a ein maximales Element (bzgl. r).

10.3. MAXIMUMSPRINZIPIEN VON ZORN UND HAUSDORFF 75

Diese beiden Aussagen sind aquivalent zum Auswahlaxiom:

Beweis von WO⇒ H: r sei partielle Ordnung auf a, a = aξ |ξ < α sei wohl-geordnet. Wir definieren eine Teilmenge bξ |ξ < α von a durch Rekursion wiefolgt:

bβ =

aβ falls bξ |ξ < β∪aβ r-Kette,

a0 sonst.

Damit erhalten wir eine maximale r-Kette bξ |ξ < α (mit b0 = a0).

H⇒ ZL: Sei r partielle Ordnung auf a, die (*) erfullt. Nach H existiert ei-ne maximale r-Kette k ⊆ a. Eine obere Schranke von k ist dann ein maximalesElement (sonst konnte man k echt erweitern).

ZL⇒ AC: Sei a 6= /0 und ∀x ∈ a x 6= /0. Setze

B := f | ∃y⊆ a( f : y→⋃

a∧∀x ∈ y f (x) ∈ x).

Jedes Element von B ist eine partielle Auswahlfunktion und Teilmenge vona×

⋃a, damit ist auch B als Menge b ⊆ P(a×

⋃a) abschatzbar. Als teilweise

Ordnung auf B = b wahlen wir r =⊆ -Beziehung. Fur jede r-Kette k ist dann⋃

keine obere Schranke, und ein nach dem ZORNschen Lemma maximales Elementin B ist dann eine Auswahlfunktion fur a .

Bemerkungen

• Aus obigem Beweis laßt sich ablesen, daß H sogar allgemeiner gilt: jedepartielle Ordnung r auf a besitzt fur jedes b ∈ a eine r-Kette k mit b ∈ k.

• Das ZORNsche Lemma ist offenbar trivial, wenn r eine lineare Ordnung aufa ist, weil dann a selbst schon eine Kette ist. Daher kann man Anwendun-gen von ZL nur fur teilweise Ordnungen erwarten. Wie in obigem Beweisist haufig diese Ordnung die ⊆ -Beziehung, und meistens kann man (*) indiesem Fall nachweisen, indem man zeigt, daß

fur jede ⊆-Kette k:⋃

k ∈ a.

(Dann ist⋃

k namlich eine obere Schranke.)

• Fur Anwendungen benotigt man gelegentlich nur abgeschwachte Formendes Auswahlaxioms:

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 76

Auswahlaxiom fur abzahlbare Mengen: (ACω)∀n ∈ ω an 6= /0→∃ f (D( f ) = ω ∧∀n ∈ ω f (n) ∈ an),

Axiom der abhangigen Auswahl: (DC, dependent choice)Rel(R)∧a0 ∈ a ∧ ∀x ∈ a∃y ∈ a xRy→∃ f [ f : ω −→ a ∧ f (0) = a0 ∧ ∀n < ω f (n)R f (n+1)]

Es gilt: AC→ DC,DC→ ACω (aber die Umkehrungen sind nicht beweisbar).

Das ACω wird vielfach in der Analysis benutzt (s.u.), insbesondere auch furdie Aussage, daß die Vereinigung abzahlbar-vieler abzahlbarer Mengen wieder-um abzahlbar ist. DC benotigt man z. B. fur die Aquivalenz verschiedener End-lichkeitsdefinitionen sowie zum Beweis, daß die Minimalitatsbedingung der Fun-diertheit (s. F1 von 6.1.3)

F1 ∀z( /0 6= z⊆ A→∃x ∈ z ∀y ∈ z y 6< x)

aquivalent ist zur Aussage, daß es keine unendlich-absteigenden <-Ketten gibt:

F11 ¬∃ f ( f : ω −→V ∧ ∀n < ω f (n+1) < f (n))

(dabei benotigt man gerade das DC, um F11→ F1 zu zeigen, wahrend die umge-kehrte Richtung auch ohne DC beweisbar ist).

10.4 Anwendungen des Auswahlaxioms

Jeder K-Vektorraum besitzt eine Basis.

K sei ein Korper, V ein Vektorraum uber dem Korper K, V und K seien Mengen(hier also V nicht Klasse aller Mengen!). Wir wenden zum Beweis das ZORNscheLemma an und wahlen

P := b | b Menge von linear unabhangigen Vektoren⊆V,≤:=⊆ aufP.

Dann ist ≤ eine partielle Ordnung auf der Menge P, und fur jede Kette k ⊆ Pist

⋃k eine obere Schranke von k in P. Nach dem ZORNschen Lemma existiert

also ein maximales Element in P ; eine maximale linear unabhangige Menge vonVektoren ist aber eine Basis.

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 77

Bemerkungen

1. A. Blass: Existence of bases implies AC, Contempory Math., Axiomatic SetTheory, AMS 31 (1983)) hat gezeigt, daß auch die Umkehrung gilt: Hatjeder Vektorraum eine Basis besitzt, so gilt das Auswahlaxiom.

2. Die reellen Zahlen R kann man auch als (unendlich-dimensionalen) Vek-torraum uber den rationalen Zahlen Q auffassen, eine Basis nennt manin diesem Fall eine HAMEL-Basis. Aus der Existenz einer HAMEL-Basisfolgt nun aber insbesondere die Existenz einer Funktion f : R −→ R mitf (x + y) = f (x)+ f (y) fur alle reellen x,y; f ist zwar Q-linear, aber nichtR-linear. Tatsachlich kann f unstetig sein, und es ist sogar moglich, daßW ( f )⊆Q!

Der Satz von Hahn-Banach

(s. Bucher uber Funktionalanalysis)

Nicht-meßbare Mengen

Es existiert eine Menge reeller Zahlen, die nicht Lebesgue-meßbar ist. (VITALI

1905)

Beweis: Die Lebesgue-meßbaren Mengen bilden eine Teilmenge L ⊆ P(R), aufwelcher das Lebesgue-Maß definiert ist als Abbildung

m : L−→ x | x ∈ R∧ x≥ 0∪∞,

so daß gilt:

(L1) L enthalt die offenen und abgeschlossenen Intervalle:(a,b), [a,b] ∈ L fur alle reellen Zahlen a < b, und es ist m([a,b]) = b−a.

(L2) L ist ein Mengenring, d. h. A,B ∈ L→ A∪B, A∩B, A−B ∈ L.

(L3) A⊆ B→ m(A)≤ m(B). Monotonie

(L4) Ist (Ai|i < ω) eine abzahlbare Folge von Mengen ∈ L, so ist auch⋃i<ω Ai ∈ L, und falls Ai∩A j = /0 fur i 6= j, so

m(⋃

i<ω Ai) = ∑i<ω m(Ai), σ -Additivitat

(L5) A ∈ L ∧ r ∈ R→ A+ r = a+ r | a ∈ A ∈ Lund m(A) = m(A+ r). Translationsinvarianz

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 78

Auf [0,1] definieren wir eine Aquivalenzrelation durch

x∼ y :↔ x,y ∈ [0,1] ∧ x− y ∈Q.

Nach dem Auswahlaxiom in der Form (AC3´) existiert hierzu ein Reprasen-tantensystem S, d. h.

S⊆ [0,1] ∧ ∀x ∈ [0,1] ∃!y ∈ S (x∼ y).

Setzen wir Sr := x+ r | x ∈ S= S + r, so ist R =⋃

r∈Q Sr, und es ist

Sr∩St = /0 fur r, t ∈Q, r 6= t.

Ware S Lebesgue-meßbar, also S ∈ L, so erhielte man im Falle m(S) = 0 :m(R) = 0, und im Falle m(S) > 0 : 2 = m([0,2]) = ∞, Widerspruch! Somit ist dieMenge S nicht Lebesgue-meßbar.

Aquivalenz verschiedener Stetigkeitsdefinitionen

Fur x ∈ R und eine reelle Zahl ε > 0 wird die ε-Umgebung von x definiert durch

Uε(x) := y ∈ R | x− ε < y < x+ ε.

1. Fur A⊆ R definiert man die abgeschlossene Hulle von A durch

x ∈ A : ↔ ∀ε > 0 Uε(x)∩A 6= /0 bzw.

↔ x = limn→∞xn fur eine Folge (xn)n<ω mit ∀n < ω xn ∈ A.

2. Es sei f : R −→ R, x ∈ R. Dann definiert man (ε,δ bezeichnen hier reelleZahlen)f stetig in x:

↔ ∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀y ∈ R (|x− y|< δ → | f (x)− f (y)|< ε) bzw.

↔ f (x) = limn→∞ f (xn) fur alle Folgen (xn)n<ω mit x = limn<∞xn.

Um die Aquivalenz der jeweiligen Definitionen zu zeigen, benotigt man (injeweils einer Richtung) das Auswahlaxiom - tatsachlich genugt hier das ACω , daman sich auf die abzahlbar-vielen ε-Werte 1/n, n = 1,2, . . . beschranken kann.

Satz von TYCHONOFF

Das Produkt quasi-kompakter Raume ist quasi-kompakt.(Diese Aussage ist aquivalent zum Auswahlaxiom.)

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 79

BOOLEsches Primidealtheorem

Eine BOOLEsche Algebra ist ein Modell (B,∧,∨,−,0,1) der BOOLEschen Ge-setze, die wir in 3.3 fur die mengentheoretischen Operationen formuliert haben.Um den trivialen Fall auszuschließen, fugen wir noch /0 6= V als Axiom hinzu, sodaß stets 0 6= 1 gilt und die kleinste BOOLEschen Algebra aus zwei Elementenbesteht.

Beispiele und Bemerkungen

1. Fur eine nicht-leere Menge M ist (P(M),∩,∪,−, /0,M) eine BOOLEsche Al-gebra, die Potenzmengenalgebra von M. Eine Unteralgebra davon, definiertalso auf einer Teilmenge B⊆ P(M), die /0 und M enthalt und abgeschlossenist unter den Mengenoperationen ∩,∩,−, heißt Mengenalgebra.

2. Jede endliche BOOLEschen Algebra ist isomorph zu einer Potenzmengen-algebra und hat damit 2n Elemente fur eine naturliche Zahl n. Die Mengex ⊆ N | x endlich oder N− x endlich mit den ublichen mengentheoreti-schen Operationen ist eine abzahlbare BOOLEsche Algebra, die aber nichtzu einer Potenzmengenalgebra isomorph sein kann.

3. Es gibt zahlreiche Beispiele BOOLEscher Algebren, die keine Mengenal-gebren sind. Diese lassen sich am besten mit topologischen Hilfsmittelnbeschreiben; aber es gibt auch naturliche Beispiele aus der Logik:

Die LINDENBAUM-Algebra einer Theorie T

Fur eine Theorie T und eine Aussage σ in der Sprache L dieser Theorie kann maneinen Folgerungsbegriff erklaren: T ` σ bedeute: σ folgt aus (den Axiomen von)T. Damit erhalt man eine Aqivalenzrelation

ϕ ∼T ψ :⇐⇒ T ` ϕ ↔ ψ,

L(T) := [σ ]T | σ L-Satz

sei die Menge der zugehorigen Aquivalenzklassen. Den aussagenlogischen Ope-rationen entsprechen dann Operationen auf L(T):

[ϕ]T∧ [ψ]T := [ϕ ∧ψ]T

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 80

und ahnlich fur die ubrigen Operationen. Damit wird L(T) zu einer BOOLEschenAlgebra mit

0 = σ | T ` ¬σ und 1 = σ | T ` σ.

Ein Filter einer BOOLEsche Algebra (B,∧,∨,−,0,1) ist eine nichtleere Teil-menge F ⊆ B mit folgenden Eigenschaften:

(F1) x,y ∈ F ⇒ x∧ y ∈ F ,

(F2) x ∈ F, y ∈ B⇒ x∨ y ∈ F .

Ein Filter F heißt echt gdw F 6= B. Ein Primfilter (Ultrafilter) ist ein echter FilterF mit der zusatzlichen Eigenschaft

(U) x ∈ F oder − x ∈ F.

Ultrafilter kann man auch als maximale echte Filter charakterisieren; sie habenaußerdem folgende Eigenschaften:

x 6∈U ⇔ −x ∈U

x ∈U und y ∈U ⇔ x∧ y ∈U

x ∈U oder y ∈U ⇔ x∨ y ∈U

und stehen damit in enger Verbindung zum Wahrheitspradikat, was in dem fol-genden Satz zum Ausdruck kommt.

Das BOOLEsche Primidealtheorem (BPI) besagt:Jeder echte Filter in einer BOOLEschen Algebra laßt sich zu einem Ultrafilter er-weitern (bzw.: Jedes echte Ideal in einer BOOLEschen Algebra laßt sich zu einemPrimideal erweitern.)

(Die Begriffe Ideal und Primideal sind die zu Filter und Ultrafilter dualenBegriffe (vertausche ∨ mit ∧).)

Das BPI folgt offensichtlich aus dem Auswahlaxiom (mittels des ZORNschenLemmas), ist aber echt schwacher.

Satz

Das BPI ist aquivalent zu folgenden Aussagen:

(i) Jede BOOLEsche Algebra besitzt einen Ultrafilter.

10.4. ANWENDUNGEN DES AUSWAHLAXIOMS 81

(ii) STONEscher Reprasentationssatz: Jede BOOLEsche Algebra ist isomorphzu einer Mengenalgebra.

(iii) Satz von TYCHONOFF fur T2-Raume

(iv) Vollstandigkeitssatz fur formale Sprachen erster Stufe

(v) Kompaktheitssatz fur formale Sprachen erster Stufe

Weitere Abschwachungen des Auswahlaxioms sind:

Ordnungserweiterungsprinzip (OE)

Jede partielle Ordnung laßt sich zu einer linearen Ordnung erweitern.

Ordnungsprinzip (OP)

Jede Menge besitzt eine lineare Ordnung.

Es gilt: AC⇒ BPI⇒ OE⇒ OP (ohne Umkehrungen).

Eine weitere interessante Folgerung aus dem Auswahlaxiom ist das Paradoxvon HAUSDORFF, BANACH und TARSKI:

Wagon, S.: The Banach-Tarski paradox. Cambridge 1986French, R. M.: The Banach-Tarski theorem. Math. Intell. 10 (1988), 21-28Kirsch, A.: Das Paradox von Hausdorff, Banach und Tarski. Kann man es verste-hen? Math. Semesterberichte 37,2 (1990), 216-239

Viele weitere Ergebnisse und eine Ubersicht findet man in dem bereits erwahn-ten Buch

Moore, G. H.: Zermelo´s Axiom of Choice. Springer 1982.

Schließlich seien noch erwahnt:

Kanamori, A.: The mathematical import of Zermelo´s well-ordering theoremBull. Symb. Logic 3,3 (1997), 281-311

Keremides, K.: Disasters in topology without the axiom of choiceArchiv Math. Logik 40,8 (2001), 569-580

82

Teil IV

Die Große der Mengen

83

Kapitel 11

Machtigkeiten und Kardinalzahlen

Grundlegend fur die Theorie der Kardinalzahlen ist der Begriff der Machtigkeiteiner Menge. Zunachst definieren wir, wann zwei Mengen gleichmachtig sind:

a∼ b :↔∃ f ( f : a←→ b) gleichmachtig

11.1 Endliche und abzahlbare Mengen

Es gibt verschiedene Moglichkeiten, den Begriff des Endlichen zu erfassen; daman hierbei auch das Unendliche definiert, ist der Begriff keineswegs trivial, wassich auch darin zeigt, daß die verschiedenen Definitionen oft erst mit Hilfe desAuswahlaxioms als aquivalent nachgewiesen werden konnen (s. (iv) des folgen-den Satzes).

1. Der ubliche Begriff der endlichen Menge greift auf die naturlichen Zahlenzuruck:

Eine Menge a ist endlich gdw ihre Elemente mit Hilfe der naturlichen Zahlenvon 0 bis n− 1 fur ein n abgezahlt werden konnen. Da nach unserer Festlegung0,1, . . . ,n−1= n ist, so haben wir eine besonders einfache Definition:

a endlich : ↔ ∃n < ω (a∼ n),

a unendlich : ↔ ¬ a endlich.

Ist a endlich, so ist die naturliche Zahl n mit a ∼ n (die man durch Abzahlenbestimmt) eindeutig festgelegt und gibt die Anzahl der Elemente von a an - furunendliche Mengen gilt dies aber nicht mehr!

11.1. ENDLICHE UND ABZAHLBARE MENGEN 84

2. Von WHITEHEAD-RUSSELL stammt die folgende Definition, die den Zahl-begriff vermeidet:

Eine Menge u⊆ P(a) heißt induktive Familie von Teilmengen von a gdw

/0 ∈ u∧∀x ∈ u ∀y ∈ a x∪y ∈ u,

d. h. u enthalt die leere Menge und mit jeder Menge x auch die um ein Elementaus a erweiterte Menge. Definiere:

a endlich :↔∀u⊆ P(a)(u induktive Familie von Teilmengen von a→ a ∈ u).

Dieser Begriff ist aquivalent zu obiger Definition.3. DEDEKIND wahlt eine (anfangs als paradox angesehene) Eigenschaft zur

Charakterisierung unendlicher Mengen:

a D-unendlich :↔∃x⊂ a(a∼ x)

Satz

(i) n∼ m ∧ n,m ∈ ω → n = m, allgemeiner:α ∼ m ∧ m ∈ ω → α = m, (jedoch: ω ∼ ω +1∼ ω +ω)

(ii) α endlich↔ α ∈ ω , insbesondere:∀n ∈ ω (n endlich) ∧ ω unendlich∀n ∈ ω ¬(n D-unendlich)∧ω D-unendlich

(iii) a D-unendlich↔∃x⊆ a(x∼ ω)

(iv) a D-unendlich→ a unendlich,a D-unendlich↔ a unendlich (mit DC !)

Beweis von (iii) (DEDEKIND 1888):Sei a D-unendlich, also f : a ←→ b ⊂ a fur ein f und ein b. Wahle a0 ∈

a− b und setze an+1 = f (an) (rekursive Definition!). Es ist also a1 6= a0 (wegena1 ∈ b) und allgemeiner an 6= am fur n 6= m. Somit ist an|n < ω eine abzahlbar-unendliche Teilmenge von a.

Ist umgekehrt an|n < ω eine abzahlbar-unendliche Teilmenge von a, wobeian 6= am fur n 6= m, so definieren wir eine Funktion g : a−→ a durch

g(x) =

an+1, falls x = an

x, sonst

Es ist dann g : a←→ a−a0 ⊂ a.

11.1. ENDLICHE UND ABZAHLBARE MENGEN 85

Eigenschaften endlicher Mengen

(i) /0 und a sind endlich,

(ii) sind a und b endlich, so auch a∪b,a∩b,a−b,a×b,P(a),F [a],a b,

(iii) a endlich ∧ ∀x ∈ a (x endlich)→⋃

a endlich,

(iv) a endlich ∧ b⊆ a→ b endlich.

(v) Induktionsprinzip fur endliche Mengen:

ϕ( /0)∧∀x [x endlich∧ϕ(x)→∀y(ϕ(x∪y))]→∀x(x endlich → ϕ(x)).

Diese Eigenschaften beweist man am einfachsten mit Hilfe des Endlichkeits-begriffes von WHITEHEAD-RUSSELL, zeigt dann, daß unter diesem Begriff allenaturlichen Zahlen endlich sind und somit beide Endlichkeitsdefinitionen zusam-menfallen.

Wir wollen von den endlichen zu abzahlbaren Mengen ubergehen. Diese las-sen sich mit Hilfe der naturlichen Zahlen abzahlen:

a abzahlbar:←→ a = /0 ∨ a = an|n < ω fur eine Folge (an|n < ω).

Damit sind dann auch die endlichen Mengen einbegriffen, da in der AbzahlungElemente mehrfach aufgezahlt werden konnen. Wir unterscheiden:

1. f : ω a heißt Aufzahlung von a (es ist dann a = f (n)|n < ω),

2. f : ω ↔ a heißt Aufzahlung von a ohne Wiederholungen.

Eine Aufzahlung ohne Wiederholungen (also eine bijektive Abbildung auf dienaturlichen Zahlen) liefert eine abzahlbar-unendliche Menge:

a abzahlbar-unendlich:←→ a∼ ω .

Fur die Menge der endlichen Teilmengen von a bzw. die Menge der endlichenFolgen von Elementen von a benutzen wir folgende Bezeichnungen:

P<ω(a) : = x | x⊆ a∧ x endlicha<ω : = f | ∃n < ω f : n−→ a

11.1. ENDLICHE UND ABZAHLBARE MENGEN 86

Eigenschaften abzahlbarer Mengen

(i) a abzahlbar←→ a endlich ∨ a abzahlbar-unendlich←→∃α ≤ ω (a∼ α),

(ii) sind a und b abzahlbar, so aucha∪b, a∩b, a−b, a×b, F [a], P<ω(a) und a<ω ,

(iii) (unter der Voraussetzung des Auswahlaxioms - ACω genugt):a abzahlbar ∧ ∀x ∈ a (x abzahlbar)→

⋃a abzahlbar,

(iv) a abzahlbar ∧ b⊆ a→ b abzahlbar.

Beweis von (i): Sei zunachst a abzahlbar, also a = an | n < ω fur eine Fol-ge (an | n < ω), die moglicherweise Wiederholungen enthalt. Diese lassen wirweg, indem wir neu aufzahlen: Setze b0 = a0 und definiere (durch Rekursion)bn+1 = ak, wobei k minimal ist mit ak 6= bi fur alle i ≤ n. (Da wir a als unend-lich voraussetzen konnen, muß ein solches k existieren.) Es ist dann n 7→ bn eineAufzahlung von a ohne Wiederholungen.

Umgekehrt sind offenbar endliche wie auch abzahlbar-unendliche Mengenabzahlbar.

Wir zeigen nun (iii), wobei wir annehmen konnen, daß die betrachteten Men-gen nicht-leer sind: Dazu geben wir zunachst eine Paarfunktion an:

f : ω×ω ←→ ω, f (n,m) = 2n · (2m+1)−1.

Sei nun a = an | n < ω abzahlbar und ∀n ∈ ω (an abzahlbar), also

∀n ∈ ω ∃g(g : ω an)

Nach ACω existiert eine Folge (gn)n∈ω mit ∀n ∈ ω (an = gn(m)|m ∈ ω), undsomit ⋃

a =⋃

n∈ω

an = gn(m) | m,n ∈ ω= g(n,m) | m,n ∈ ω,

wobei g : ω×ω ⋃

n∈ω an definiert ist durch g(n,m) = gn(m).Die gewunschte Abbildung h : ω

⋃n∈ω an erhalt man nun aus g durch Vor-

schalten der Inversen f−1 der oben definierten Paarfunktion f .(ii) beweist man ahnlich, wobei man sich leicht uberzeugt, daß in diesem Fall

das abzahlbare Auswahlaxiom nicht benotigt wird.

11.2. UBERABZAHLBARE MENGEN 87

11.2 Uberabzahlbare Mengen

Wahrend die Potenzmenge einer endlichen Menge auch wieder endlich ist, istdie Potenzmenge einer abzahlbar-unendlichen Menge nicht mehr abzahlbar, alsouberabzahlbar: Ware

P(ω) = an | n ∈ ω, so ware auch

a := m ∈ ω | m 6∈ am= an fur ein n,dann aber

n ∈ an↔ n 6∈ an Widerspruch!

Wir erhalten also einen Widerspruch wie im Falle der RUSSELLschen Anti-nomie! In ahnlicher Weise kann man zeigen, daß die Menge aller zahlentheoreti-schen Funktionen und auch die Menge aller reellen Zahlen R uberabzahlbar sind.

Vergleich von Machtigkeiten

Obwohl wir die Machtigkeit einer Menge noch nicht erklart haben, konnten wirMengen als gleichmachtig definieren, wenn sie sich eineindeutig aufeinander ab-bilden lassen. Ebenso lassen sich Mengen hinsichtlich ihrer Große vergleichen,ohne sie vorher aufzahlen zu mussen:

a∼ b: ↔ ∃ f ( f : a←→ b) a ist gleichmachtig mit ba b: ↔ ∃ f ( f : a b) a ist kleiner oder gleichmachtig mit b

↔ ∃x⊆ b (a∼ x) (a ist schmachtiger als b)a≺ b: ↔ a b∧a 6∼ b a ist kleiner als b

(Genauer sollte man fur a b sagen: a ist von Machtigkeit kleiner oder gleich b.)So ist z.B.

n ω, n≺ ω, ω ω +1, ω +1 ω, ω ≺ P(ω),

aber: ω +1 6≺ ω, ω 6≺ ω +1.

11.3. SATZ VON CANTOR-SCHRODER-BERNSTEIN 88

Lemma

(i) a a reflexiv

(ii) a b ∧b c→ a c transitiv

(iii) a⊆ b→ a b aber i. a. nicht umgekehrt!

(iv) a∼ c ∧a b→ c b ebenso fur ≺(v) b∼ d ∧a b→ a d ebenso fur ≺

Die Gleichmachtigkeit (Aquivalenz) von Mengen ist somit außer einer Aqui-valenzrelation auch eine Kongruenzrelation bezuglich und ≺; die Relation ist reflexiv und transitiv. Der folgende Satz besagt, daß antisymmetrisch ist (bisauf ∼), was trivial ist, wenn man das Auswahlaxiom benutzt. Als eines der weni-gen Ergebnisse der Theorie der Machtigkeiten laßt er sich aber auch ohne dieseVoraussetzung beweisen:

11.3 Satz von Cantor-Schroder-Bernstein

a b ∧ b a → a∼ b

Beweis: Wir fuhren die Behauptung zunachst auf den einfacheren Fall

(∗) a 4 b ∧ b⊆ a → a∼ b

zuruck: Nach Voraussetzung existieren Abbildungen

g : a←→ a′ ⊆ b,

h : b←→ b′ ⊆ a, also mit

f := hg : a b′ gilt

a 4 b′ ∧ b′ ⊆ a ∧ b′ ∼ b.

Nach (*) gilt dann a∼ b′, also auch a∼ b, wie zu zeigen war.Zum Beweis von (*) gehen wir von einer injektiven Abbildung

f : a b⊆ a

aus und konstruieren daraus eine Abbildung

g : a↔ b

11.4. VERGLEICHBARKEITSSATZ VON HARTOGS 89

wie folgt:

g(x) =

f (x), falls x ∈

⋃n∈ω f n[a−b]

x sonst.

Dabei ist f 0(y) = y, f n+1(y) = f ( f n(y)) (numerische Rekursion). Es gilt nun:

(i) g ist surjektiv, d. h. W (g) = b:

Sei d ∈ b. Falls d ∈⋃

n∈ω f n[a−b], so ist d ∈ f n[a−b] fur ein n, und zwarn > 0 wegen d ∈ b. Dann ist aber d = f ( f n−1(y)) fur ein y und damit d ∈W (g). Im anderen Fall ist aber d = g(d) und damit auch d ∈W (g).

(ii) g ist injektiv:

Da f injektiv ist, so auch g auf⋃

n∈ω f n[a− b], und als identische Ab-bildung ist sie auch auf dem Komplement injektiv. Ist jedoch einerseitsx ∈

⋃n∈ω f n[a− b] und andererseits y ∈ a−

⋃n∈ω f n[a− b], so muß auch

g(x) 6= g(y) sein, da g(x) ∈⋃

n∈ω f n[a− b], wahrend g(y) = y im Komple-ment liegt. Somit ist g eine Bijektion von a auf b.

Der folgende Satz benotigt zum Beweis notwendig das Auswahlaxiom, da erhierzu aquivalent ist:

11.4 Vergleichbarkeitssatz von Hartogs

a b ∨ b a

Beweis: Nach dem Wohlordnungssatz gibt es Ordinalzahlen α,β mit a ∼ α undb∼ β . Da Ordinalzahlen vergleichbar sind (und zwar α ⊆ β ∨ β ⊆ α), ubertragtsich diese Beziehung in der Form a b ∨ b a auf die entsprechenden Mengen.

Folgerung

Jede unendliche Menge enthalt eine abzahlbar-unendliche Teilmenge (und ist da-mit D-unendlich).

Daß es zu jeder Menge eine mit großerer Machtigkeit gibt, zeigt der

11.5. SATZ VON CANTOR 90

11.5 Satz von Cantor

a≺ P(a)

Beweis: Da durch x 7→ x eine injektive Funktion definiert wird, ist aP(a). DieAnnahme a∼P(a) widerlegt man wie im Fall a = ω durch ein Diagonalargument:Falls f : a P(a), so setze man d := x ∈ a | x 6∈ f (x). Dann erhalt man wegender Surjektivitat von f ein b ∈ a mit d = f (b), was aber mit

b ∈ f (b) = d↔ b 6∈ f (b)

zum Widerspruch fuhrt!

11.6 Alternative zum Großenvergleich

Da bei einer Abbildung Mengen moglicherweise auf dasselbe Element abgebildetwerden konnen, wird man das Bild einer Menge a als hochstens so groß wie aselbst ansehen. Man findet daher auch folgende Definition:

a∗ b :↔ a = /0∨∃ f ( f : b a).

Fur die Definition der Abzahlbarkeit haben wir z. B.:

a abzahlbar↔ a∗ ω ↔ a ω,

und der obige Satz von CANTOR besagt gerade: a 6∗ P(a). Allgemein gilt:

a b↔ a∗ b,

und zwar (→), weil eine injektive Funktion stets eine Umkehrfunktion besitzt,aber fur die Umkehrung benotigt man das Auswahlaxiom (oder zumindest eineWohlordnung von b)! Ebenso gilt zwar stets F [a] ∗ a, aber F [a] a allgemeinnur, wenn das Auswahlaxiom vorausgesetzt ist.

11.7 Kardinalzahlen

Fur die Machtigkeit einer Menge a, bezeichnet mit a, soll gelten:

a = b↔ a∼ b.

Diese Eigenschaft kann man in verschiedener Weise erfullen:

11.7. KARDINALZAHLEN 91

• a = x | x ∼ a (FREGE-RUSSELL). Allerdings sind diese Aquivalenzklas-sen dann stets echte Klassen (außer fur a = /0).

• a = x | x ∼ amin (SCOTT-TARSKI, s. 8.3) Machtigkeiten sind nun stetsMengen, aber im konkreten Fall schwer zu bestimmen.

• Wahle aus der Aquivalenzklasse x | x∼ a einen geeigneten Reprasentan-ten als die Machtigkeit von a aus:

Im Falle einer endlichen Menge kann man ihre Machtigkeit dadurch bestim-men, daß man sie abzahlt: Ist

a∼ 0, . . . ,n−1= n,

so ist n eindeutig durch a bestimmt und bezeichnet die Anzahl der Elemente vona. Ist jedoch a eine unendliche Menge, so konnen folgende Probleme auftauchen:

1. a besitzt keine Wohlordnung und damit auch keine Aufzahlung,

2. a besitzt Aufzahlungen verschiedener Lange.

Das erste Problem laßt sich vermeiden, indem man das Auswahlaxiom voraus-setzt: Dann laßt sich jede Menge wohlordnen:

a = αξ | ξ < α fur ein α,

aber das zweite Problem bleibt bestehen: Selbst bei injektiven Aufzahlungen ist imFalle unendlicher Menge die ”Lange” α nie eindeutig bestimmt. Als Kardinalzahlvon a wahlt man daher das kleinstmogliche1 derartige α:

|a| := a := µα(a∼ α) Kardinalzahl von a.

Die Kardinalzahl einer Menge a ist somit die kleinste Ordinalzahl unter allengleichmachtigen Mengen (man sagt dann auch, daß man die Kardinalzahlen mitden Anfangszahlen identifiziert).

1µα ϕ bezeichnet die kleinste Ordinalzahl α mit der Eigenschaft ϕ , falls eine solche existiert,die Zahl 0 sonst.

11.7. KARDINALZAHLEN 92

Bemerkung

Setzt man dagegen das Auswahlaxiom nicht voraus, so muß man unterscheidenzwischen Machtigkeiten (allgemeiner Fall) und Kardinalzahlen (im Falle wohlge-ordneter Mengen, fur die man dann die entsprechenden Anfangszahlen als Mach-tigkeit = Kardinalzahl wahlen kann). Da man ohnehin ohne Auswahlaxiom keinebefriedigende Theorie der Machtigkeiten entwickeln kann, werden wir im folgen-den das Auswahlaxiom voraussetzen und brauchen dann nicht zwischen Kardi-nalzahlen und Machtigkeiten zu unterscheiden.

Lemma

(i) a∼ b↔ a = b,

(ii) a b↔ a≤ b,

(iii) a≺ b↔ a < b.

Definition

Card(a) :↔∃x(a = |x|) KardinalzahlCn := x |Card(x) Klasse aller Kardinalzahlen

Lemma

(i) Card(α)↔∀ξ < α (ξ 6∼ α)↔∀ξ < α (ξ ≺ α)↔ α = |α|,

(ii) Card(α)∧α ≥ ω → Lim(α),

(iii) a⊆Cn→⋃

a ∈Cn,

(iv) ∀α ∃κ ∈Cn α < κ ,

(v) Cn ist eine echte Klasse.

Beweis: (i) druckt auf verschiedene Weise aus, daß Kardinalzahlen Anfangszah-len sind. Fur (ii) zeigt man, daß fur unendliches α stets gilt: α + 1 ∼ α (nachderselben Methode wie ω + 1 = 0,1, . . .ω ∼ ω,0,1, . . . ∼ ω). (iv) beweistman am einfachsten mit dem Satz von CANTOR: α ≺ P(α). Insbesondere gibt eskeine großte Kardinalzahl und die Klasse aller Kardinalzahlen kann keine Mengesein.

11.7. KARDINALZAHLEN 93

Definition

α+ := µξ (ξ ∈Cn ∧ α < ξ ) kardinaler Nachfolger

Mit Hilfe des Satzes von CANTOR (und des Auswahlaxioms) ergibt sich wiein obigem Beweis:

α ≺ α+ ≤ |P(α)|.

Man kann stattdessen aber auch die HARTOGsche Funktion

H(a) := ξ | ξ a

verwenden und ohne Benutzung des Auswahlaxioms zeigen, daß

H(α) = µξ (|α|< ξ ) = α+

ist. Zur Aufzahlung der unendlichen Kardinalzahlen benutzt man seit CANTOR

den hebraischen Buchstaben ℵ (aleph):

ω = ℵ0 < ℵ1 < .. .ℵω < .. . Aleph-Funktion

ℵ0 ist also die Kardinalzahl abzahlbar-unendlicher Mengen, ℵ1 die erste uberab-zahlbare Kardinalzahl, allgemeiner ℵα+1 = ℵ+

α und (nach (iii) des obigen Lem-mas) ℵλ =

⋃ξ<λ ℵξ fur Limeszahlen λ .

Beispiele

|n|= n fur jede naturliche Zahl n,|N|= |ω|= |ω +1|= |ω +2|= . . . = |ω +ω|= |Z|= ℵ0,|N×N|= |Q|= ℵ0,|R|= |R×R| ≥ℵ1,|P(R)| ≥ℵ2, . . .

Da die Folge der Kardinalzahlen unbeschrankt und auch stetig ist, ist die ℵ-Funktion eine Normalfunktion. Sie besitzt als solche beliebige große kritischeStellen, also Kardinalzahlen κ mit

κ = ℵκ ,

deren Aufzahlung wieder eine Normalfunktion mit kritischen Stellen, deren Auf-zahlung wieder kritische Stellen besitzt . . .

11.8. OPERATIONEN AUF DEN KARDINALZAHLEN 94

11.8 Operationen auf den Kardinalzahlen

Die arithmetischen Operationen auf den Kardinalzahlen definiert man analog zumendlichen Fall, wobei im Falle der Addition zu beachten ist, daß man als Summezweier Kardinalzahlen die Machtigkeit der Vereinigung disjunkter Mengen derentsprechenden Kardinalzahl wahlt:

κ⊕λ = |(κ×0)∪ (λ ×1)|κλ = |κ×λ |

κλ = |λ κ|= | f | f : λ → κ|

Endliche Ordinal- und Kardinalzahlen stimmen uberein (es sind gerade dienaturlichen Zahlen), und fur diese Falle stimmen diese Operationen mit den ent-sprechenden Operationen auf den Ordinalzahlen ebenfalls uberein. Fur unendli-che Kardinalzahlen ergeben sich aber wesentliche Unterschiede. So sind die Ope-rationen der Addition und Multiplikation auf den Kardinalzahlen (wie im Falleder naturlichen Zahlen, aber im Gegensatz zu den ordinalen Operationen) kom-mutativ, assoziativ und distributiv - wenngleich diese Gesetze trivial sind; es giltnamlich der

11.9 Satz von Hessenberg

Es seien κ,λ unendliche Kardinalzahlen. Dann gilt:

κ⊕λ = κλ = maxκ,λ.

(Tatsachlich braucht nur eine der beiden Zahlen unendlich zu sein, im Falle derMultiplikation darf aber naturlich keine = 0 sein.) Dieses Ergebnis laßt sich (miteinfachen Monotoniegesetzen) zuruckfuhren auf den

Satz

Fur unendliche Kardinalzahlen gilt:

κκ = κ.

Beweis: Wir werden eine bijektive Abbildung F : On×On↔ On angeben, diedie Paare von Ordinalzahlen abzahlt, und zwar so, daß fur jede unendliche Kardi-nalzahl κ gilt:

F κ×κ : κ×κ ←→ κ.

11.9. SATZ VON HESSENBERG 95

Dazu mussen wir die Paare von Ordinalzahlen wohlordnen. Zunachst definierenwir auf On×On die lexikographische Ordnung:

(α,β ) <l (γ,δ ) :↔ α < γ ∨ (α = γ ∧β < δ ).

Dieses ist zwar eine lineare Ordnung, die die Minimumsbedingung erfullt, abernicht die Mengenbedingung, denn in dieser Ordnung kommt die echte Klasse allerOrdinalzahlen (0,ξ ) | ξ ∈ On vor dem Paar (1,0)! Deshalb wandelt man dieseOrdnung nach GODEL ab, indem man nach dem Maximum der Paare vorsortiert:

(α,β ) <g (γ,δ ) :↔ max(α,β ) < max(γ,δ ) ∨∨ (max(α,β ) = max(γ,δ ) ∧ (α,β ) <l (γ,δ )).

Damit erhalten wir wieder eine lineare Ordnung, die offensichtlich die Mengenbe-dingung erfullt, aber auch weiterhin die Minimalitatsbedingung, und zwar findetman in einem nicht-leeren A⊆ On×On das kleinste Element, indem man

• zunachst das kleinste γ0 ∈ max(α,β ) | (α,β ) ∈ A bestimmt,

• sodann hierzu das kleinste α0 ∈ α | ∃β ((α,β ) ∈ A∧max(α,β ) = γ0)

• und schließlich das kleinste β0 ∈ β | (α0,β ) ∈ A∧max(α0,β ) = γ0.

(α0,β0) ist dann das kleinste Element von A bezuglich <g.

Nach dem Kontraktionslemma 6.5 existiert also eine transitive Klasse A undein Ordnungsisomorphismus F : On×On↔ A mit

(α,β ) <g (γ,δ )↔ F(α,β ) < F(γ,δ ).

Da On×On eine echte Klasse ist, so auch A und damit A = On. Damit habenwir also eine bijektive Abbildung aller Paare von Ordinalzahlen auf On erhalten,von der wir nun noch zeigen, daß sie fur jede unendliche Kardinalzahl κ auch diePaare in κ×κ nach dem Ordnungstyp κ aufzahlt:

Zunachst bemerken wir, daß:

(∗) α×α = (ξ ,η) | (ξ ,η) <g (0,α),

also ist α ×α ein <g-Segment. Aufgrund der rekursiven Definition von F undwegen (*) gilt:

(∗∗) F(0,α) = F [α×α]≥ α.

11.9. SATZ VON HESSENBERG 96

Fur α = ω ist offenbar F [ω×ω] = ω und allgemein gilt fur jedes α:

F [ℵα ×ℵα ] = ℵα .

Diese Aussage beweisen wir durch Induktion nach α:1. Fall: α = 0, also ℵα = ω . Ware die Behauptung falsch, so gabe es nach (**)

zwei naturliche Zahlen n,m mit ω = F(n,m). Fur k = max(n,m)+1 erhielten wirdann jedoch ω = F(n,m) < F(0,k) = F [k×k], aber F [k×k] ist offenbar endlich,Widerspruch!

2. Fall: α > 0, und wir nehmen wieder an F [ℵα ×ℵα ] > ℵα , wobei wir α

minimal mit dieser Eigenschaft wahlen. Wie im ersten Fall existieren dann Zahlenγ,δ < ℵα mit F(γ,δ ) = ℵα . Wir setzen ρ = max(γ,δ )+1, so daß ω ≤ ρ < ℵα

(da ℵα als Ordinalzahl eine Limeszahl ist) und (γ,δ ) <g (0,ρ). Somit

ℵα = F(γ,δ ) <g F(0,ρ) = F [ρ×ρ],

insbesondere ℵα ≤ |ρ×ρ|. Wegen der Minimalitat von α gilt nun aber |ρ×ρ|=|ρ|< ℵα , Widerspruch!

Den Satz von HESSENBERG konnen wir nun hieraus folgern: Fur unendlichesκ gilt zunachst:

κ ≤ κ⊕κ ≤ κκ = κ, also κ⊕κ = κκ = κ.

Es seien nun κ,λ Kardinalzahlen und etwa κ ≤ λ , λ unendlich. Dann gilt also

λ ≤ κ⊕λ ≤ λ ⊕λ = λ , also κ⊕λ = λ , und ebensoλ ≤ κλ ≤ λ λ = λ , also κλ = λ fur κ,λ 6= 0.

Damit vereinfacht sich die Bestimmung der Kardinalzahl unendlicher Men-gen in vielen Fallen, und in Verallgemeinerung des Falles abzahlbarer Mengenerhalten wir:

Satz

Fur /0 6= b a, a unendlich, gilt:

(i) |a∪b|= |a×b|= |a|,

(ii) |a<ω |= |P<ω(a)|= |a|.

97

Kapitel 12

Die Menge der reellen Zahlen

12.1 Mengen von der Große des Kontinuums

Wahrend nach dem Satz von HESSENBERG Addition und Multiplikation von un-endlichen Kardinalzahlen trivial (namlich das Maximum) ist, stoßt man bereits beiBestimmung der einfachsten transfiniten Potenz, namlich 2ω , auf unlosbare Pro-bleme. Dabei hat diese Kardinalzahl eine besondere Bedeutung als Machtigkeitder reellen Zahlen (des Kontinuums):

Satz

|R|= |P(N)|= 2ℵ0.

Beweis: Die zweite Gleichheit folgt aus der Aquivalenz der Potenzmenge einerMenge a mit der Menge der charakteristischen Funktionen von Teilmengen von a.Es gibt zahlreiche Beweise fur den ersten Teil, am einfachsten ist die Beziehung

|R| ≤ |P(N)|,

nachzuweisen, indem man z. B. jeder reellen Zahl r die Menge x∈Q | x < r (al-so praktisch den entsprechenden DEDEKINDschen Schnitt) zuordnet und die Ab-zahlbarkeit von Q benutzt oder die Darstellung reeller Zahlen als Dezimalbruche(bzw. Dualbruche im Binarsystem). Fur den Beweis der umgekehrten Beziehungstort die fehlende Eindeutigkeit der Dezimal- bzw. Binardarstellung, was sich je-doch nur auf abzahlbar-viele Falle bezieht, die wegen der Uberabzahlbarkeit von

12.2. DIE CANTORSCHE KONTINUUMSHYPOTHESE 98

R aber keine Rolle spielen. Man kann aber auch etwa wie folgt argumentieren: Fureine Binarfolge f : N→ 2 = 0,1 definieren wir eine zugeordnete reelle Zahl

r f =∞

∑n=0

2 · f (n)3n+1 ,

womit wir eine injektive Abbildung von N2 in die reellen Zahlen erhalten unddamit auch |R| ≥ |P(N)|.

Folgerungen

1. Mit |R|= 2ℵ0 ist auch |Rn| = (2ℵ0)n = 2ℵ0, es ist sogar

|Rω |= (2ℵ0)ℵ0 = 2ℵ0ℵ0 = 2ℵ0,

d. h. es gibt genau so viele abzahlbare Folgen reeller Zahlen wie es reelleZahlen gibt!

2. Da eine stetige reelle Funktion bereits durch ihre Werte auf den abzahlbar-vielen rationalen Stellen eindeutig bestimmt ist und da es mit den konstan-ten Funktionen mindestens so viele stetige Funktionen wie reelle Zahlengibt, so gilt:

| f | f : R→ R∧ f stetig|= | f | f : Q→ R|= (2ℵ0)ℵ0 = 2ℵ0.

3. Dagegen erhalten wir hohere Machtigkeiten, indem wir zur Potenzmengeder reellen Zahlen oder zur Menge aller reellen Funktionen ubergehen:

| f | f : R→ R|= |P(R)|= 22ℵ0> 2ℵ0.

12.2 Die Cantorsche Kontinuumshypothese

Wie groß ist nun 2ℵ0? Nach dem Satz von CANTOR ist die Menge der reellenZahlen uberabzahlbar, also 2ℵ0 ≥ℵ

+0 = ℵ1. Die

Cantorsche Kontinuumshypothese (CH) 2ℵ0 = ℵ1

erscheint als naheliegende, zumindest einfachste Festlegung der Große von 2ℵ0 .Sie ist zwar mit den Axiomen von ZF+AC vertraglich (GODEL 1938), aber aus

12.2. DIE CANTORSCHE KONTINUUMSHYPOTHESE 99

ihnen nicht beweisbar (COHEN 1963) und somit unabhangig von den Axiomenvon ZF+AC.

CH besagt, daß die Machtigkeit der reellen Zahlen nach dem Abzahlbarendie nachst-großere Kardinalzahl ist. Um CH zu widerlegen, mußte man also eineMenge reeller Zahlen angeben, die uberabzahlbar, aber noch von Machtigkeit <

2ℵ0 ist, um dagegen CH zu beweisen, muß man zeigen, daß fur jede TeilmengeA⊆ R gilt:

A abzahlbar ∨A∼ R

Diese Eigenschaft (wir werden sagen: A erfullt CH) laßt sich zwar nicht fur al-le, aber doch viele Mengen zeigen, die nicht zu “kompliziert” sind; entsprechendeUntersuchungen haben zur Deskriptiven Mengenlehre gefuhrt, auf die wir (hof-fentlich) spater noch etwas naher eingehen werden. Hier wollen wir nur einigeErgebnisse darstellen:

Satz

Jedes Intervall (das nicht nur aus einem Punkt besteht) und jede offene Teilmengevon reellen Zahlen ist leer oder von Machtigkeit 2ℵ0 , erfullt insbesondere alsoCH.

Beweis: Man kann leicht bijektive Abbildungen des offenen Einheitsintervalles]0,1[↔ R auf die reellen Zahlen angeben, sowie bijektive Abbildungen zwischenzwei beliebigen offenen Intervallen, so daß diese (soweit 6= /0) gleichmachtig mitR sind. Da jede nicht-leere offene Teilmenge ein derartiges Intervall enthalt, hatauch sie die Machtigkeit von R. Die ubrigen Intervalle entstehen aus den offenendurch Hinzunahme eines oder beider Randpunkte, was die (bereits unendliche)Kardinalzahl nicht verandert.

Abgeschlossene Mengen konnen auch endlich oder abzahlbar sein; daß sieaber auch CH erfullen, ist nicht so leicht nachzuweisen. Man fuhrt dazu den Be-griff der perfekten Menge ein und zeigt:

• jede nicht-leere perfekte Menge hat die Machtigkeit 2ℵ0 ,

• jede abgeschlossene Menge ist disjunkte Vereinigung einer perfekten Men-ge mit einer abzahlbaren Menge.

12.3. EINIGE TOPOLOGISCHE BEGRIFFE 100

12.3 Einige topologische Begriffe

Wir haben oben bereits einige einfache topologische Begriffe metrischer Raumebenutzt und tragen die Definitionen mit einigen Erganzungen nach:

Definition

Fur reelle Zahlen ε,a mit ε > 0 und eine Menge reeller Zahlen M ⊆ R sei

1. Uε(a) := x ∈ R | a− ε < x < a+ ε die (offene) ε-Umgebung von a,

2. a ist Beruhrpunkt von M :↔∀ε > 0 |Uε(a)∩M|> 0,

3. a ist Haufungspunkt von M :↔∀ε > 0 |Uε(a)∩M|> 1,

4. a ist Kondensationspunkt von M :↔∀ε > 0 |Uε(a)∩M|> ℵ0.

Fur einen Beruhrpunkt a einer Menge M enthalt also jede Umgebung des Punk-tes a mindestens einen Punkt von M, insbesondere sind alle Punkte von M selbstBeruhrpunkte, aber auch die Endpunkte eines offenen Intervalls sind Beruhrpunk-te.

Im Falle eines Haufungspunktes muß in jeder Umgebung mindestens ein wei-terer Punkt von M liegen, und wenn man diese Umgebungen verkleinert, ebenfallsein weiterer, so daß in der Umgebung eines Haufungspunktes unendlich-vielePunkte von M liegen. (Punkte, die nicht Haufungspunkte sind, heißen isoliertePunkte.) Der Grenzwert 0 der Folge 1, 1

2 , 13 . . . ist Haufungspunkt, aber kein Kon-

densationspunkt der Menge der Folgenglieder, wahrend Endpunkte eines Inter-valls Kondensationspunkte sind.

5. M := x ∈ R | x Beruhrpunkt von M abgeschlossene Hulle von M,M′ := x ∈ R | x Haufungspunkt von M Ableitung von M,also M = M∪M′.

6. M abgeschlossen:↔M = M↔M′ ⊆M,M offen:↔ R−M abgeschlossen,

7. M in sich dicht:↔M ⊆M′,

8. M perfekt:↔M = M′.

12.4. SATZ UBER PERFEKTE MENGEN 101

Die Ableitung M′ entsteht also aus M, indem man einerseits die isoliertenPunkte weglaßt und andererseits die Rander von M hinzunimmt. Eine abgeschlos-sene Menge enthalt alle ihre Haufungspunkte, eine in sich dichte Menge hat keineisolierten Punkte. (Die rationalen Zahlen Q wie auch die Irrationalzahlen sind insich dichte Teilmengen der reellen Zahlen, aber weder offen noch abgeschlos-sen.) Perfekte Mengen enthalten also ihre Haufungspunkte und haben keine iso-lierten Punkte, die einfachsten perfekten Mengen sind die abgeschlossenen In-tervalle, wahrend eine konvergente Folge zusammen mit ihrem Grenzwert zwarabgeschlossen, nicht aber perfekt ist.

Eine weniger triviale perfekte Menge ist die CANTOR-Menge (das CANTOR-sche Diskontinuum), welches aus dem abgeschlossenen Einheitsintervall [0,1]entsteht, indem man jeweils die inneren offenen Drittel entfernt:

C0 = [0,1], C1 = [0,1/3]∪ [2/3,1] . . . , D =⋂

n<ω Cn :

C00 1

C10 1/3 2/3 1

C20 1/9 2/9 1/3 2/3 7/9 8/9 1

. . . . . . . . . . . .

Man kann diese Menge auch darstellen als spezielle triadische Dezimalbruche:

D = x ∈ R | x = a0/3+a1/32 + . . . mit an ∈ 0,2.

Diese Menge (die ubrigens gerade als Wertebereich der injektiven Abbildungf 7→ r f von 12.1 aufgetreten ist) mag zunachst zwar etwas ungewohnlich erschei-nen, ist aber das Musterbeispiel einer nicht-leeren perfekten Menge, was sich auchaus dem Beweis des folgenden Satzes ablesen laßt:

12.4 Satz uber perfekte Mengen

Jede nicht-leere perfekte Menge P⊆ R hat die Machtigkeit 2ℵ0 .

12.4. SATZ UBER PERFEKTE MENGEN 102

Beweis: 2ℵ0 ist die Machtigkeit der Menge C = f | f : ω→ 2 aller unendlichenBinarfolgen,

2<ω := s | ∃n ∈ ω s : 0, . . . ,n−1→ 2,

die Menge der endlichen Binarfolgen. Fur jede solche Folge s = (s0, . . . ,sn−1)bezeichne sai = (s0, . . . ,sn−1, i) die jeweilige Verlangerung um die Zahl i fur i =0,1.

Es sei nun /0 6= P ⊆ R. Jeder unendlichen Binarfolge f soll genau ein Punktin P entsprechen. Dazu ordnen wir den endlichen Approximationen von f Umge-bungen einer Intervallschachtelung zu, die den gewunschten Bildpunkt definiert.Dabei mussen wir darauf achten, daß verschiedene Folgen tatsachlich verschiede-ne Bildpunkte definieren. Das erreichen wir, indem wir eine Folge (Us|s ∈ 2<ω)von offenen Intervallen definieren, so daß fur jedess : 0, . . . ,n−1→ 2 gilt:

(i) Us ist eine ε-Umgebung eines Punktes von P einer Lange 2ε ≤ 2−n,

(ii) Usa0∩Usa1 = /0,

(iii) Usai ⊆Us fur i = 0,1.

Da P abgeschlossen ist, enthalt fur jedes f ∈C die Menge⋂n<ω

U f n

wegen (i) und (iii) genau einen Punkt aus P, den wir mit h( f ) bezeichnen. Damiterhalten wir eine (wegen (ii) injektive) Abbildung

h : C P,

und somit hat P die Machtigkeit 2ℵ0 .Die Intervalle Us definieren wir durch Induktion nach n = Lange von s:Fur n = 0 brauchen wir nur (i) zu erfullen (P ist nicht-leer). Ist Us bereits

definiert, so wahlen wir hierin 2 verschiedene Punkte x,y ∈ P (jeder Punkt in Pist ja Haufungspunkt, so daß dies moglich ist) und da ja auch x,y Haufungspunktevon P sind, konnen wir auch genugend kleine offene Intervalle Usai wahlen, sodaß (i) - (iii) erfullt sind.

12.5. DER SATZ VON CANTOR-BENDIXSON 103

Bemerkung

In der Deskriptiven Mengenlehre benutzt man statt der reellen Zahlen den

• BAIREschen Raum N der Folgen naturlicher Zahlen f : ω → ω oder den

• CANTORraum C der unendlichen Binarfolgen, jeweils mit der Produkttopo-logie.

Dabei ist N homoomorph zum Raum der Irrationalzahlen (als Teilraum von R), C

homoomorph zum Unterraum, der durch das CANTORsche Diskontinuum gebil-det wird. Diese - und viele weitere - Raume fallen unter den Begriff des PolnischenRaumes (ein separabler und vollstandiger metrischer Raum). Der obige Beweiszeigt, daß sich der CANTORraum in jeden perfekten Polnischen Raum einbettenlaßt; auch der folgende Satz von CANTOR-BENDIXSON gilt fur beliebige Polni-sche Raume.

12.5 Der Satz von Cantor-Bendixson

Satz uber die Anzahl isolierter Punkte

Fur jede Menge M⊆R ist die Menge R = M−M′ der isolierten Punkte abzahlbar.

Beweis: Da die Menge der Paare Q×Q der Paare rationaler Zahlen abzahlbarist, gibt es auch eine Abzahlung I0, I1 . . . der nicht-leeren offenen Intervalle mitrationalen Endpunkten. Fur jedes x ∈ R sei

f (x) = µn ∈ N (x ∈ In ∧ In∩M = x).

Dann ist f : R ω , also ist R abzahlbar.

Die Restmenge R kann jedoch wieder isolierte Punkte besitzen, nimmt mandie isolierten Punkte von R weg, so konnen jetzt wiederum isolierte Punkte ubrigbleiben. Wir betrachten daher nach CANTOR die Folge der Ableitungen:

Definition

M ⊆ R sei eine Menge von reellen Zahlen. Die Folge der Ableitungen von Mwird durch transfinite Rekursion definiert:

M0 = M, Mα+1 = (Mα)′, Mλ =⋂

ξ<λ

Mξ fur Limeszahlen λ .

12.5. DER SATZ VON CANTOR-BENDIXSON 104

Lemma

Fur M ⊆ R,α > 0 gilt:

(i) Mα ist abgeschlossen,

(ii) Mα ⊇Mα+1.

Somit erhalten wir eine absteigende Folge

M1 ⊇M2 ⊇ . . .⊇Mα ⊇Mα+1 . . . .

Da M eine Menge ist, die Ordinalzahlen aber eine echte Klasse bilden, mußdieser Prozeß einmal stoppen, so daß alle Mα ab einem α konstant sind. Daskleinste derartige α heißt Cantor-Bendixson-Rang von M und das zugehorigeMα (das wegen Mα = Mα+1 = (Mα)′ perfekt ist), der perfekte Kern von M.Man kann zeigen, daß es fur jede abzahlbare Ordinalzahl α eine Menge reellerZahlen mit CANTOR-BENDIXSON-Rang α gibt; umgekehrt werden wir zeigen,daß der CANTOR-BENDIXSON-Rang jeder Menge reeller Zahlen abzahlbar ist.Es gibt absteigende Folgen von Mengen reeller Zahlen mit einer uberabzahlbarenLange. Dagegen sind absteigende Folgen von abgeschlossenen Mengen hochstensabzahlbar:

Lemma

Es sei (Aξ |ξ < β ) eine Folge abgeschlossener Mengen mit A0⊃ A1⊃ . . .Aξ ⊃ . . ..Dann ist β abzahlbar.(Wir konnen dann auch schreiben: β < ω1, wobei ω1 := ξ | ξ abzahlbar= ℵ1

die erste uberabzahlbare Ordinalzahl ist).

Beweis: Wir benutzen wieder eine Abzahlung I0, I1, . . . In . . . aller nicht-leeren In-tervalle mit rationalen Endpunkten und definieren fur jedes α < β eine Mengenaturlicher Zahlen

Nα := n ∈ N|In∩Aα 6= /0.

Damit erhalten wir eine absteigende Folge von Mengen naturlicher Zahlen:

N0 ⊃ N1 ⊃ . . .Nn ⊃ . . . :

Fur α < γ < β ist offenbar Nγ ⊆Nα . Wegen Aα+1⊂ Aα gibt es ein x∈ Aα−Aα+1,und es ist

Nx := n ∈ N | x ∈ In ⊆ Nα .

12.5. DER SATZ VON CANTOR-BENDIXSON 105

Ware auch Aα+1 ∩ In 6= /0 fur alle n ∈ Nx, so ware x Haufungspunkt von Aα+1

und damit x ∈ Aα+1 wegen der Abgeschlossenheit von Aα+1, im Widerspruch zurWahl von x! Also muß es ein n ∈ Nx ⊆ Nα geben mit n 6∈ Nα+1, folglich ist alsodie Folge der Nα echt absteigend.

Definieren wir nun fur α < β

g(α) = µn(n ∈ Nα −Nα+1),

so erhalten wir eine injektive Abbildung g : β ω , also muß β abzahlbar sein.

Satz von Cantor-Bendixson

Fur jede abgeschlossene Menge F ⊆ R gibt es eine eindeutige ZerlegungF = P∪A, P∩A = /0 mit

(i) P ist perfekt, A ist abzahlbar,

(ii) P = Fα fur ein abzahlbares α .

Beweis: Wir setzen

α∗ := µα(Fα = Fα+1), P := Fα∗.

Dann ist nach dem obigen Lemma α∗ abzahlbar und P offenbar perfekt. Fur je-des α < α∗ ist die Restmenge Aα := Fα −Fα+1 der isolierten Punkte von Fα

abzahlbar und damit auchA :=

⋃α<α∗

abzahlbar. Damit haben wir die gesuchte Zerlegung F = P∪ A, deren Eindeu-tigkeit leicht nachzuweisen ist (benutze die Uberabzahlbarkeit von nicht-leerenperfekten Mengen).

Ein alternativer Beweis bestimmt P als die Menge der Kondensationspunktevon F .

Eine abgeschlossene Menge reeller Zahlen, die uberabzahlbar ist, muß somiteine nicht-leere perfekte Teilmenge enthalten und folglich von der Machtigkeitdes Kontinuums sein. Mit dieser Methode kann man noch fur einige weitere Men-gen zeigen, daß sie CH erfullen:

12.6. DIE BORELSCHEN MENGEN 106

12.6 Die Borelschen Mengen

Die rationalen wie auch die irrationalen Zahlen erfullen CH, sind aber weder offennoch abgeschlossen, sondern gehoren zu Fσ - bzw. Gδ -Mengen:

• Eine Gδ -Menge ist von der Form⋂

n<ω Gn fur eine abzahlbare Folge offenerMengen (Gn|n < ω) (G benutzt man oft zur Bezeichnung offener Mengen(Gebiete), δ = abzahlbarer Durchschnitt),

• eine Fσ -Menge ist von der Form⋃

n<ω Fn fur eine abzahlbare Folge abge-schlossener Mengen (Fn|n < ω) (F benutzt man oft zur Bezeichnung abge-schlossener Mengen (ferme), σ = abzahlbare Vereinigung),

• eine Gδσ -Menge ist von der Form⋃

n<ω Mn fur eine abzahlbare Folge vonGδ -Mengen (Mn|n < ω),

eine Fσδ -Menge ist von der Form⋂

n<ω Mn fur eine abzahlbare Folge vonFσ -Mengen (Mn|n < ω), und ahnlich fur Gδσδ , Fσδσ . . .

Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzahlbar, also eine Fσ -Menge, sieist jedoch keine Gδ -Menge; das Komplement, die Menge der Irrationalzahlen,ist somit eine Gδ -, aber keine Fσ -Menge. Gδ -Mengen sind ubrigens genau dieMengen, die als Stetigkeitspunkte einer reellen Funktion auftreten konnen.

Im Jahr 1906 hat YOUNG gezeigt, daß CH auch fur die Gδ -Mengen gilt,HAUSDORFF hat dies Ergebnis 1914 auf die Gδσδ und Gδσδσ verallgemeinert.Ein wesentlicher Fortschritt stellte die Verallgemeinerung auf die BOREL-Mengendar:

• Die BOREL-Mengen (von reellen Zahlen) bilden die kleinste Klasse B vonTeilmengen von R, fur die gilt

1. alle offenen und abgeschlossenen Mengen sind in B,

2. B ist abgeschlossen unter (Komplementen von Mengen und) abzahl-baren Vereinigungen und Durchschnitten.

12.6. DIE BORELSCHEN MENGEN 107

Die BOREL-Mengen kann man auch als Hierarchie wie folgt erhalten:

Σ01 = G | G offen,

Π0α = X | R−X ∈ Σ

0α,

Σ0α = X | X =

⋃n<ω

Xi,∀i < ω Xi ∈Π0ξi,ξi < α fur α > 1,

B : =⋃

α<ω1

Σ0α =

⋃α<ω1

Π0α .

In dieser Bezeichnung besteht

• Σ01 aus den offenen,

• Π01 aus den abgeschlossenen,

• Σ02 aus den Fσ -, Π0

2 aus den Gδ -Mengen, usw.

Die Gδ -Mengen lassen sich gerade als die Stetigkeitsstellen von reellen Funk-tionen charakterisieren, wahrend die Mengen x | f ′(x) existiert fur eine stetigereelle Funktion f eine Fσδ -Menge ist.

ALEXANDROV und (unabhangig) HAUSDORFF zeigten 1916, daß alle BO-RELschen Mengen CH erfullen. Da es nur 2ℵ0-viele Intervalle, daher auch nurebensoviele offene und abgeschlossene Mengen gibt, gibt es auch nur 2ℵ0-vieleBOREL-Mengen (da man nur den Abschluß unter abzahlbaren Vereinigungen zubilden braucht, den man - wie in obiger Hierarchie - nur ω1-oft zu bilden braucht),auch sie bilden immer noch nur einen kleinen Ausschnitt aller Mengen von reellenZahlen (von denen es insgesamt 22ℵ0 -viele gibt).

Die Hierarchie der BOREL-Mengen laßt sich erweitern zur projektiven Hier-archie der Σ1

n- und Π1n-Mengen; diese fuhrt - mittels Projektionen statt abzahlbarer

Vereinigungen - von den BOREL-Mengen uber die analytischen Mengen zu nochkomplizierteren Mengen. Fur die analytischen Mengen (Σ1

1) haben 1917 SOUS-LIN und LUSIN auch noch die die Perfekte-Mengen-Eigenschaft nachgewiesen:jede analytische Menge, die uberabzahlbar ist, enthalt eine perfekte Menge und istsomit von der Machtigkeit des Kontinuums. Leider laßt sich diese Methode nichtauf alle uberabzahlbaren Mengen erweitern; denn mit Hilfe des Auswahlaxiomskann man zeigen, daß es eine uberabzahlbare Menge gibt, die keine nicht-leereperfekte Teilmenge enthalt, und es ist moglich (d. h. vertraglich mit den Axiomenvon ZFC+CH), daß es bereits eine Π1

1-Menge gibt, die keine nicht-leere perfekteTeilmenge besitzt1.

1Siehe hierzu auch den von U. FELGNER herausgegebenen Sammelband uber Mengenlehreoder auch Y.N. MOSCHOVAKIS: Descriptive Set Theory

12.7. VERSPIELTE MENGEN 108

12.7 Verspielte Mengen

Fur eine Teilmenge A ⊆ ωω des BAIREschen Raumes N betrachten wir das fol-gende 2-Personen-Spiel G(A):

Zwei Spieler I und II wahlen abwechselnd naturliche Zahlen, wobei SpielerinI beginnt:

I: a0 a2 a4 a6 . . .II: a1 a3 a5 a7 . . .

Damit wird eine unendliche Folge f = (a0,a1, . . .) erzeugt; Spielerin I ge-winnt, falls f ∈ A, sonst gewinnt Spieler II.

Eine Strategie fur I ist eine Abbildung

σ :⋃

n<ω

2nω → ω,

welche also jeder Folge mit einer geraden Anzahl naturlicher Zahlen eine Zahlzuordnet, entsprechend ist eine Strategie fur II eine Abbildung

τ :⋃

n<ω

2n+1ω → ω.

Spielt I mit der Strategie σ (d. h. sie wahlt a0 = σ( /0),a2 = σ((a0,a1)), . . .),und spielt II mit der Strategie τ , so sei die dadurch entstehende Folge mit σ∗τ

bezeichnet.Eine Gewinnstrategie fur I (und fur das Spiel G(A)) ist eine Strategie σ , mit

welcher I stets gewinnt, d. h. mit ∀τ σ∗τ ∈ A, ebenso ist eine Gewinnstrategie furII (und fur das Spiel G(A)) eine Strategie τ , mit welcher II stets gewinnt, d. h. mit∀σ σ∗τ 6∈ A.

Das Spiel G(A) (und damit auch die Menge A) heißt determiniert gdw I oderII eine Gewinnstrategie haben:

A determiniert : ↔ ∃σ ∀τ σ∗τ ∈ A∨∃τ ∀σ σ

∗τ 6∈ A

↔ ∀τ ∃σ σ∗τ ∈ A→∃σ ∀τ σ

∗τ ∈ A.

Einfache Mengen (wie endliche oder co-endliche Mengen) sind offensichtlichdeterminiert, ferner gilt:

• alle abgeschlossenen Mengen sind determiniert (GALE-STEWART 1953),

12.7. VERSPIELTE MENGEN 109

• alle Fσ -Mengen sind determiniert (WOLFE 1955),

• alle Gδσ -Mengen sind determiniert (DAVIS 1964),

• alle BOREL-Mengen sind determiniert (MARTIN 1975),

wobei das letzte Ergebnis auch unter dem Gesichtspunkt interessant ist, dass derBeweis notwendig das Ersetzungsaxiom erfordert (FRIEDMAN).

MYCIELSKI und STEINHAUS haben 1962 das folgende Axiom vorgeschlagen:

Axiom der Determiniertheit (AD)

∀A⊆ωω A ist determiniert.

Folgerungen aus AD

• Alle Mengen reeller Zahlen sind L-meßbar, haben die perfekte-Mengen-Eigenschaft (d. h. sie sind abzahlbar oder enthalten eine perfekte Teilmenge)und erfullen somit (CH), und es gilt das abzahlbare Auswahlaxiom ACω .Ferner ist jeder Ultrafilter in P(ω) ein Hauptfilter.

• Andererseits gilt das Auswahlaxiom nicht, die reellen Zahlen konnen nichtwohlgeordnet werden, die Restklassen von P(ω)/I, wobei I das Ideal derendlichen Mengen x ⊆ N | x endlich ist, lassen sich nicht ordnen, unduberhaupt ist die Kardinalzahltheorie recht bizarr: ℵ1 ist mit der Machtig-keit 2ℵ0 der reellen Zahlen nicht vergleichbar, zwischen ℵ0 und 2ℵ0 gibt eskeine Machtigkeit, zwischen 2ℵ0 und 2(2ℵ0) jedoch genau 3 Machtigkeiten.

Das Axiom AD kann somit als Alternative zum Auswahlaxiom angesehenwerden, einigen positiven Ergebnissen stehen jedoch ungewohnliche Eigenschaf-ten gegenuber, insbesondere in der Theorie der Kardinalzahlen und Machtigkei-ten. Problematisch ist vor allem die Widerspruchsfreiheit dieses Axioms; um 1988wurde gezeigt, daß die Widerspruchsfreiheit der Theorie ZF+DC+AD gleich-wertig ist mit der Widerspruchsfreiheit der Theorie ZF+AC, zu welcher die Exi-stenz gewisser “großer” Kardinalzahlen hinzugenommen wird.

110

Kapitel 13

Potenzen von Kardinalzahlen

Fur Kardinalzahlen, die ja auch zugleich Ordinalzahlen sind, sind sowohl ordinalewie kardinale Operationen definiert. Diese Unterscheidung ist besonders wichtigim Falle der Potenzen, da z. B.

2ω = ω (ordinale Potenz), wahrend 2ω > ω (kardinale Potenz).

Im Falle der Kardinalzahlen, insbesondere in der Alephschreibweise, soll die Po-tenzoperation im folgenden stets die kardinale Potenz darstellen (wenn nicht an-deres vermerkt wird).

Aus dem Satz von HESSENBERG 11.9 folgen einige einfache Abschatzungenfur die Potenzen:

Satz von Bernstein

2≤ κ ≤ℵα → 2ℵα = κℵα = ℵ

ℵα

α , d.h.

β ≤ α → 2ℵα = ℵℵα

β= ℵ

ℵα

α .

Beweis: Es ist

2≤ κ ≤ℵα → 2ℵα ≤ κℵα ≤ℵ

ℵα

α ≤ (2ℵα )ℵα = 2ℵαℵα = 2ℵα ,

so daß hier uberall die Gleichheit gelten muß.

13.1 Unendliche Summen und Produkte

Mit Hilfe unendlicher Summen und Produkte werden wir eine (und praktisch dieeinzige) Ungleichheit in der Theorie der Kardinalzahlen erhalten, ausgedruckt im

13.1. UNENDLICHE SUMMEN UND PRODUKTE 111

Satz von KONIG-JOURDAIN, aus dem sich der Satz von CANTOR 11.5 als Spezi-alfall ergibt.

Definition

(κx|x ∈ a) sei eine Folge von Kardinalzahlen. Dann heißt⊕x∈a

κx : = |⋃x∈a

(κx×x)| kardinale Summe von (κx|x ∈ a)⊗x∈a

κx : = |∏x∈a

κx| kardinales Produkt von (κx|x ∈ a)

Darin sind offensichtlich die folgenden Spezialfalle enthalten:

κ⊕λ (endliche Summe) fur a = 2,κ⊗λ (endliches Produkt fur a = 2,κλ =

⊗ξ<λ κξ (Potenz) fur a = λ , alle κξ = κ .

Die unendliche Summe erlaubt eine Abschatzung der Vereinigungsmenge:

Lemma

|⋃

ξ<α

aξ | ⊕ξ<α

|aξ |

Beweis: Definiere eine surjektive Abbildung

f :⋃

ξ<α

(aξ ×ξ) ⋃

ξ<α

durch f (y,ξ ) = y fur ξ < α,y ∈ aξ .

Der Wert von⊕

ξ<α κξ hangt naturlich nicht nur von den einzelnen κξ ab,sondern auch von der Kardinalzahl der Indexmenge:

Abschatzungssatz

Es sei κ ≥ ℵ0 eine unendliche Kardinalzahl, (κξ |ξ < α) eine Folge von Kardi-nalzahlen. Dann gilt:

(i) ∀ξ < α κξ ≤ κ →⊕

ξ<α κξ ≤max(κ, |α|) ∧⊗

ξ<α κξ ≤ κ|a|,

(ii) ∀ξ < α |aξ | ≤ κ → |⋃

ξ<α aξ | ≤max(κ, |α|),

13.1. UNENDLICHE SUMMEN UND PRODUKTE 112

(iii) ∀γ < α κγ ≤⊕

ξ<α κξ (und ahnlich fur das Produkt, falls alle κξ 6= 0).

Beweis von (i): Es sei δ := |α|, f : α ↔ δ . Definiere eine injektive Abbildung

h :⋃

ξ<α

(κξ ×ξ) κ×δ

durch h(γ,ξ ) = (γ, f (ξ )) fur γ ∈ κξ ,ξ < α .

Im Endlichen wachst das Produkt zweier Zahlen schneller als ihre Summe(außer fur die Anfangsfalle: 1+1 > 1 ·1). Allgemeiner gilt:

(∗) κ +λ ≤ κ ·λ fur κ,λ ≥ 2

und diese ≤-Beziehung laßt sich auf den unendlichen Fall verallgemeinern:

Satz

∀x ∈ a (2≤ κx)→⊕x∈a

κx ≤⊗x∈a

κx

Beweis: Nach obiger Vorbemerkung konnen wir annehmen, daß a mindestens 3Elemente enthalt. Um eine injektive Abbildung

h :⋃x∈a

(κx×x) ∏x∈a

κx

zu definieren, beachten wir, daß jedes z ∈ D(h) von der Form z = (y,x) fur genauein x ∈ a und genau ein y < κx ist, welches durch eine Funktion f mit D( f ) = aund f (x) < κx fur x ∈ a charakterisiert werden soll. Wir definieren daher

y 6= 0 : h(y,x) = f mit f (u) =

0 fur u 6= x,

y fur u = x.

y = 0 : h(y,x) = f mit f (u) =

1 fur u 6= x,

0 fur u = x.

Die so definierte Funktion h ist injektiv, denn da a mindestens 3 Elementeenthalt, nimmt h(y,x) genau einen Wert nur einmal an, namlich y (und zwar ander Stelle x).

Fur endliche Zahlen (≥ 2) wachst das Produkt echt starker als die entspre-chende Summe, wogegen fur zwei unendliche Kardinalzahlen ihre Summe wie-der gleich ihrem Produkt ist. Um eine echte <-Beziehung zu erhalten, muß dieVoraussetzung nochmals verstarkt werden:

13.2. SATZ VON KONIG-JOURDAIN 113

13.2 Satz von Konig-Jourdain

(i) ∀x ∈ a (ax ≺ bx)→⋃

x∈a ax ≺∏x∈a bx, bzw.

(ii) ∀x ∈ a (κx < λx)→⊕

x∈a κx <⊗

x∈a λx.

Beweis: Es seien also κx,λx Kardinalzahlen mit ∀x ∈ a (κx < λx). Wir setzen

b :=⋃x∈a

(κx×x), c := ∏x∈a

λx

und mussen zeigen: b ≺ c. Da b c nach der Methode des vorausgegangenenSatzes gezeigt werden kann, mussen wir nur noch b 6∼ c nachweisen, was - wiebeim Satz von CANTOR 11.5 - indirekt erfolgt:

Angenommen, es ware f : b→ c. Dann wird gelten, daß f nicht surjektiv seinkann, es also ein h ∈ c gibt mit h 6∈W ( f ). Nun ist aber

W ( f ) = f (z) | z ∈ b= f (β ,x) | x ∈ a ∧ β < κx,

und wir werden mittels eines Diagonalargumentes ein h finden, so daß h ∈ c, aber

(∗) ∀x ∈ a ∀β < κx h(x) 6= f (β ,x)(x).

Dazu bemerken wir, daß fur jedes x ∈ a nach 11.6

| f (β ,x)(x)|β < κx| ≤ κx < λx,

insbesondereλx− f (β ,x)(x) | β < κx 6= /0.

Das gesuchte h∈∏x∈a λx mit der Eigenschaft (*) konnen wir also definieren durch

h(x) = µγ(γ ∈ λx− f (β ,x)(x) | β < κx) fur x ∈ a.

Bemerkungen

1. Der Beweis des Satzes von KONIG-JOURDAIN ( KONIG 1905, ZERMELO

1908) benutzt das Auswahlaxiom, was unvermeidbar ist, denn fur ax = 0erhalten wir aus diesem Satz:

∀x ∈ a (0≺ bx)→ 0≺∏x∈a

bx

und damit das Auswahlaxiom.

13.2. SATZ VON KONIG-JOURDAIN 114

2. Fur den Spezialfall ax = 1,bx = 2 erhalt man⊕x∈a

1 <⊗x∈a

2, d. h. |a|< |2a|

und damit den Satz von CANTOR 11.5.

3. Als Korollar erhalt man auch das folgende Monotoniegesetz fur aufsteigen-de Folgen von Kardinalzahlen:

Korollar

Es sei Lim(λ ) ∧ ∀ξ ,η < λ (ξ < η → 0 < κξ < κη). Dann gilt:

⊕ξ<λ

κx <⊗ξ<λ

κx.

Hausdorffsche Rekursionsformel

ℵℵβ

α+1 = ℵα+1 ·ℵℵβ

α

Beweis: Der Teil (≥) ist klar. Andererseits ist fur

α +1≤ β : ℵℵβ

α+1 = ℵℵβ

α ≤ℵα+1 ·ℵℵβ

α ,

β < α +1 : ℵℵβ

α+1 ≤⊕

γ<ℵα+1

γℵβ ≤ℵα+1 ·ℵ

ℵβ

α

nach (ii) des Abschatzungssatzes aus 13.1, wobei man fur das erste≤ die Regula-ritat von ℵα+1 (s. 13.5) benotigt.

Beispiel

ℵℵ01 = ℵ1 ·ℵℵ0

0 = ℵ1 ·2ℵ0 = 2ℵ0

Satz

⊕ξ<α+1

ℵξ = ℵα ,⊕

ξ<λ ℵξ = ℵλ fur Lim(λ )

⊗ξ<α+1

ℵξ = ℵ|α|α ,

⊗ξ<λ ℵξ = ℵ

|λ |λ

fur Lim(λ )

Wahrend die Machtigkeit der Potenzmenge einer unendlichen Menge in ZFC

weitgehend unbestimmt bleibt, gibt es jedoch Abschatzungen fur

13.3. EINGESCHRANKTE POTENZMENGENOPERATIONEN 115

13.3 Eingeschrankte Potenzmengenoperationen

P<λ (a) : = x | x⊆ a ∧ |x|< λ,P≤λ (a) : = x | x⊆ a ∧ |x| ≤ λ,Pλ (a) : = x | x⊆ a ∧ |x|= λ.

Satz

Fur unendliches a,κ,λ :

(i) |P<ω(a)|= |a|,

(ii) | f | Fkt( f )∧D( f )⊆ κ ∧D( f ) endlich∧W ( f )⊆ λ|= max(κ,λ ).

(iii) |Pλ (κ)|= |P≤λ (κ)|= κλ fur λ ≤ κ , insbesondere:

(iv) |Pκ(κ)|= |P(κ)|= κκ = 2κ .

Beweis von (i): Es ist

κ ≤ |x⊆ κ|x endlich| ≤⊕n<ω

κn =

⊕n<ω

κ ≤ κ⊗ω = κ.

(ii): Es sei

a := f | Fkt( f ) ∧ D( f )⊆ κ ∧ D( f )endlich ∧W ( f )⊆ λ.

Dann ist

• |a| ≥ κ , da f : κ a, f (ξ ) = (ξ ,0) injektiv ist,

• |a| ≥ λ , da f : λ a, f (ξ ) = (0,ξ ) injektiv ist,

• |a| ≤ |κ×λ |= max(κ,λ ), da a⊆ f ⊆ κ×λ | f endlich.

(iii): Mit AC erhalt man eine injektive Abbildung

x⊆ κ | |x| ≤ λ κλ

durch die Zuordnung

x 7→ fx mit D( fx) = λ ∧W ( fx) = x,

13.3. EINGESCHRANKTE POTENZMENGENOPERATIONEN 116

und somit ist(∗) |x⊆ κ | |x| ≤ λ| ≤ κ

λ .

Andererseits ist fur λ ≤ κ : κ = κ⊗λ , und somit ist κ in λ -viele disjunkte Men-gen der Machtigkeit λ zerlegbar:

κ =⋃

ξ<λ

f (ξ ) mit

∀ξ ,η < λ (ξ 6= η → f (ξ )∩ f (η) = /0) ∧ ∀ξ < λ | f (ξ )|= κ.

Also ist auch(∗∗) κ

λ =⊗ξ<λ

κ ≤ |x⊆ κ | |x|= λ|,

denn durch g 7→W (g) wird eine injektive Abbildung

∏ξ<λ

f (ξ ) x⊆ κ | |x|= λ

definiert. Aus (*) und (**) erhalten wir nun

κλ ≤ |x⊆ κ | |x|= λ| ≤ |x⊆ κ | |x| ≤ λ| ≤ κ

λ

und somit uberall die Gleichheit.

Anwendung auf Abschlußoperationen

Gegeben sei eine Funktion F und eine Menge a. Nach 9.3 gibt es eine Menge b,welche a enthalt und unter F abgeschlossen ist:

a⊆ b ∧ ∀x ∈ b F(x) ∈ x.

Das kleinste (bzgl. ⊆) derartige b nennt man den Abschluß von a unter F .Wenn wir den Existenzbeweis (mit Hilfe der numerischen Rekursion) noch

einmal durchfuhren und dabei auf die Machtigkeiten der betreffenden Mengenachten, so sehen wir, daß fur die Machtigkeit des Abschlusses gilt:

|a| ≤ℵα →∃b(a⊆ b ∧ ∀x ∈ b F(x) ∈ x ∧ |b| ≤ℵα),

wobei man auf beiden Seiten auch ≤ ℵα durch = ℵα , sowie eine Funktion Fdurch endlich- oder abzahlbar-viele Funktionen ersetzen kann.

13.4. KONFINALITAT 117

13.4 Konfinalitat

In der Reihe der ℵ´s fallt auf, daß ℵω ein Limes von abzahlbar-vielen kleinerenKardinalzahlen ist, selbst aber nicht abzahlbar ist. Die Folge der Ordinalzahlenℵ0,ℵ1, . . ., aber auch ℵ2,ℵ17,ℵ35 . . ., haben dasselbe Supremum ℵω , bilden al-so eine mit ℵω confinale Menge:

Definition

a⊆ α confinal in α : ↔⋃

a = α

↔ ∀ξ < α ∃η ∈ a ξ < η

c f (λ ) : = µβ ∃ f ( f : β → λ ∧ W ( f ) confinal in λ )

= µβ ∃ f ( f : β → λ ∧ λ =⋃

η<β

f (η))

c f (λ ) heißt Konfinalitatsindex von λ , wobei λ eine Limeszahl sei. In denubrigen Fallen (die weniger interessieren) setzt man c f (0) = 0,c f (α +1) = 1.

Lemma

(i) c f (α)≤ α, Lim(λ )→ Lim(c f (λ )),

(ii) c f (ℵ0) = ℵ0, c f (ℵω) = c f (ℵω+ω) = ω , allgemeiner:

(iii) Lim(λ )→ c f (ℵλ ) = c f (λ ).

Definition

reg(α) : ↔ c f (α) = α regularsing(α) : ↔ c f (α) < α singular

Insbesondere sind

0,1, ℵ0 regular, dagegen2,3 . . . ,n+1, . . .ℵω ,ℵω+ω ,ℵℵω

singular.

Wir werden spater sehen, daß alle unendlichen kardinalen Nachfolgerzahlen, alsoalle ℵα+1, regular sind.

13.5. EIGENSCHAFTEN REGULARER KARDINALZAHLEN 118

Lemma

Fur Limeszahlen λ gilt:

(i) c f (λ ) ist eine unendliche Kardinalzahl,

(ii) c f (λ ) = µβ ∃ f ( f : β → λ ∧ f monotonwachsend ∧ λ =⋃

η<β f (η)),

(iii) c f (c f (λ )) = c f (λ ), insbesondere ist c f (λ ) stets eine regulare Kardinal-zahl.

Beweis von (i): Es sei fur geeignete f ,g

β = c f (λ ), f : β → λ ∧ λ =⋃

η<β

f (η), g : |β | ↔ β .

Dann ist auch λ =⋃

η<|β | f (g(η)), also |β |= β wegen der Minimalitat von β alsKonfinalitatsindex.

(ii) folgt daraus, daß fur eine Funktion f : β → λ die monotone Aufzahlungvon W ( f ) “kurzer” als D( f ) ist, d. h. fur ein monoton wachsendes g : β → λ mitW (g) = W ( f ) ist δ ≤ β .

(iii) beweist man ahnlich wie (i) unter Benutzung von (ii).

Eine Vereinigung endlich-vieler endlicher Mengen ist wieder endlich; ahnli-ches gilt fur den Fall von Mengen einer Kardinalitat < als eine regulare Kardinal-zahl:

13.5 Eigenschaften regularer Kardinalzahlen

Es sei κ ≥ ω eine Kardinalzahl. Dann gilt:

(i) reg(κ)↔∀x(|x|< κ ∧ ∀y ∈ x |y|< κ → |⋃

y∈x y|< κ),

(ii) reg(κ)↔∀α < κ ∀ f ( f : α → κ →⊕

ξ<α | f (ξ )|< κ),

d. h. κ ist regular gdw die Summe von < κ-vielen Kardinalzahlen < κ auchwieder < κ ist, insbesondere

(iii) reg(κ) ∧ b =⋃

x∈a ax ∧ |b|= κ → |a| ≥ κ ∨ ∃x ∈ a(|ax|= κ).

13.5. EIGENSCHAFTEN REGULARER KARDINALZAHLEN 119

Satz

ℵ0 und alle Nachfolgerkardinalzahlen ℵα+1 sind regular.

Beweis: Annahme: δ := c f (ℵα+1) < ℵα+1. Dann gibt es also ein

f : δ →ℵα+1 mit ℵα+1 =⋃

η<δ

f (η).

Es ist aber

|δ |< ℵα+1 ∧ ∀η < δ | f (η)|< ℵα+1, somit

|δ | ≤ℵα ∧ ∀η < δ | f (η)| ≤ℵα , also

|ℵα+1| = |⋃

η<δ

f (η)| ≤ℵα ,

Widerspruch!

Offen bleibt der Fall der Limeskardinalzahlen ℵλ mit Limeszahlen λ ; allebekannten derartigen Zahlen, wie

ℵω ,ℵω+ω ,ℵℵω,ℵℵℵ1

. . .

sind singular. Regulare Limeskardinalzahlen heißen unerreichbare Zahlen:

Definition (HAUSDORFF 1908, TARSKI, ZERMELO 1930)

Es sei κ > ω eine uberabzahlbare Kardinalzahl.

κ (schwach) unerreichbar : ↔ reg(κ) ∧ ∃λ (Lim(λ ) ∧ κ = ℵλ )

↔ reg(κ) ∧ ∀α < κ α+ < κ

κ (stark) unerreichbar : ↔ reg(κ) ∧ ∀α < κ 2α < κ

Bemerkungen

• Manchmal zahlt man auch ℵ0 zu den unerreichbaren Kardinalzahlen (dieseZahl ist regular und erfullt auch die beiden letzten der obigen Bedingungen),und alle unerreichbaren Zahlen sind auch schwach unerreichbar. Falls mandie

Allgemeine Kontinuumshypothese GCH ∀α 2ℵα = ℵ+α

13.6. DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DER POTENZ 120

voraussetzt, stimmen die schwach unerreichbaren mit den (stark) unerreichbarenZahlen uberein.

• Fur ein unerreichbares κ > ω muß gelten:

κ = ℵκ = D(ℵ)(κ) = DD(ℵ)(κ) = . . . ,

d. h. κ ist Fixpunkt der ℵ-Funktion, Fixpunkt der Ableitung der ℵ-Funk-tion, Fixpunkt der Ableitung der Ableitung der ℵ-Funktion . . .

Falls die Mengenlehre ZF widerspruchsfrei ist, kann man in ZFC die Exi-stenz unerreichbarer Zahlen > ℵ0 nicht beweisen, denn fur ein derartiges κ

ist die Menge Vκ (mit der gewohnlichen ∈-Beziehung) ein Modell von ZFC.

Wir fassen zusammen:

13.6 Die wichtigsten Eigenschaften der Potenz

Fur Kardinalzahlen κ,λ ≥ ω gelten die folgenden Beziehungen:

(i) 2κ > κ (CANTOR), sogar:(ii) c f (2κ) > κ und allgemeiner:(iii) c f (λ κ) > κ und(iv) κc f (κ) > κ .

Beweis von (ii): Annahme: es gibt ein

f : δ → 2κ mit δ ≤ κ ∧ 2κ =⋃

η<δ

f (η).

Dann ist ∀η < δ | f (η)|< 2κ und somit

2κ = |⋃

η<δ

f (η)| ≤⊕η<δ

| f (η)|<⊗η<δ

2κ = (2κ)|δ | = 2κ⊗|δ | = 2κ

(wobei wir den Satz von KONIG-JOURDAIN benutzt haben), Widerspruch!(iii) beweist man ahnlich. Zum Beweis von (iv) konnen wir κ als singular und

damit Limeskardinalzahl voraussetzen. Es sei mit λ = c f (κ)

κ =⋃

ξ<λ

αξ =⋃

ξ<λ

κξ , κξ = α+ξ

.

13.6. DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DER POTENZ 121

Somit ist

κ ≤⊕ξ<λ

κξ ≤ κ⊗λ = κ, also

κ =⊕ξ<λ

κξ , wobei alle κξ < κ. Somit

κ <⊗ξ<λ

κ = κλ = κ

c f (κ) nach KONIG-JOURDAIN.

Insbesondere ist c f (2ℵ0) > ω , also

2ℵ0 6= ℵω ,ℵω+ω ,ℵℵω. . . ,

aber mehr laßt sich in ZFC nicht beweisen:

Satz von Easton

Uber die Potenzen 2ℵα fur regulares ℵα laßt sich in ZFC (also ohne die Allge-meine Kontinuumshypothese GCH anzunehmen) nur beweisen:

(i) ℵα < ℵβ → 2ℵα ≤ 2ℵβ ,

(ii) c f (2ℵα ) > ℵα .

Tatsachlich gilt namlich: Ist ZF widerspruchsfrei und F : Cn→Cn eine Funktionmit den Eigenschaften

(i) κ < λ → 2κ ≤ 2λ ,

(ii) c f (F(κ)) > κ

und ist F “vernunftig” definiert (z. B. nicht F(κ) = (2κ)+), so existiert ein Modellvon ZFC mit

F(κ) = 2κ fur alle regularen κ .

Fur singulares κ ist in dem Modell 2κ so “klein wie moglich”, im allgemeinenaber nicht so frei wahlbar.

Definition

2<κ := supλ<κ

2λ schwache Potenz von κ.

Aus GCH folgt naturlich, daß 2<κ = κ fur alle unendlichen Kardinalzahlen ist.

13.6. DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DER POTENZ 122

Satz

Fur jede Limeskardinalzahl κ gilt:

2κ = (2<κ)c f (κ)

Beweis: Es sei also (wie im Beweis von 13.6 (iv))

κ =⊕ξ<λ

κξ mit λ = c f (κ) ∧ ∀ξ < κ κξ < κ.

Dann ist2κ = 2

⊕ξ<λ κξ =

⊗ξ<λ

2κξ ≤ (2<κ)λ ≤ (2κ)λ = 2κ

wegen λ ≤ κ .

Daß der Wert von 2κ fur singulare κ nicht plotzlich springen kann, besagt der

Satz von Bukowsky-Hechler

κ sei eine singulare Kardinalzahl. Dann gilt:

∃γ0 ∀γ (γ0 ≤ γ < κ → 2γ = 2γ0)→ 2κ = 2γ0.

Beweis: Wir konnen annehmen, daß c f (κ) ≤ γ0. Dann ist nach Voraussetzung2<κ = 2γ0 und somit nach obigem Satz:

2κ = (2<κ)c f (κ) = (2γ0)c f (κ) = 2γ0.

Bemerkung

Man kann nun zeigen, daß

1. die Potenzen der Form 2κ sich mit Hilfe der Gimel-Funktion (κ)ג = κc f (κ)

bestimmen lassen,

2. die Potenzen der Form ℵℵβ

α sich mit Hilfe der c f -Funktion, der Gimel-Funktion (κ)ג = κc f (κ) und den Werten ℵ

ℵβ

γ fur γ < α bestimmen lassen.

Setzt man die Allgemeine Kontinuumshypothese voraus, so ist (κ)ג = κ+ unddann lassen sich die allgemeinen Potenzen besonders leicht angeben:

13.6. DIE WICHTIGSTEN EIGENSCHAFTEN DER POTENZ 123

Satz (GCH)

ℵℵβ

α =

ℵα falls ℵβ < c f (ℵα),

ℵα+1 falls c f (ℵα)≤ℵβ ≤ℵα ,

ℵβ+1 falls ℵα ≤ℵβ .

Hinsichtlich des Wertes von 2κ fur singulares κ gibt es noch verschiedeneEinzelresultate:

• Ist ℵλ singular mit uberabzahlbarer Konfinalitat, so ubertragt sich die Kon-tinuumshypothese von den Zahlen unterhalb von ℵλ auf ℵλ selbst (SILVER

1974):∀β < λ 2ℵβ = ℵβ+1→ 2ℵλ = ℵλ+1.

• Ein Ergebnis von SHELAH 1989 betrifft eine singulare Kardinalzahl vonabzahlbarer Konfinalitat:

∀n < ω 2ℵn < ℵω → 2ℵω < ℵℵ4.

• Schließlich gilt nach PATEI folgendes interessante Ergebnis:

∀α 2ℵα = ℵα+γ fur ein festes γ → γ < ω.

124

Teil V

Reflexionen uber Mengen

125

Kapitel 14

Partielle Reflexion

14.1 Die Levy-Hierarchie der mengentheoretischen Formeln

Am Anfang hatten wir bereits beschrankte Quantoren ∀x ∈ a, ∃x ∈ a eingefuhrtals Abkurzungen:

∀x ∈ aϕ steht fur ∀x(x ∈ a→ ϕ),

∃x ∈ aϕ steht fur ∃x(x ∈ a∧ϕ).

Im Folgenden betrachten wir nur Formeln der engeren ZF-Sprache, also ohneKlassenterme (die sich ja notfalls eliminieren lassen). Diese Formeln werden nachA. LEVY 1965 gemaß ihrer Komplexitat klassifiziert:

Definition

ϕ ist ∆0-Formel: ⇐⇒ ϕ enthalt hochstens beschrankte Quantoren

ϕ ist Σ1-Formel: ⇐⇒ ϕ = ∃x1 . . .∃xm ψ fur eine ∆0-Formel ψ

ϕ ist Π1-Formel: ⇐⇒ ϕ = ∀x1 . . .∀xm ψ fur eine ∆0-Formel ψ

Allgemeiner gilt (mit ∆0 = Σ0 = Π0):

Σn+1-Formeln sind von der Form ∃x1 . . .∃xm ψ fur eine Πn-Formel ψ,

Πn+1-Formeln sind von der Form ∀x1 . . .∀xm ψ fur eine Σn-Formel ψ.

14.1. DIE LEVY-HIERARCHIE DER MENGENTHEORETISCHEN FORMELN 126

Zur Vereinfachung werden wir auch endliche Variablenfolgen mit uberstriche-nen Variablen bezeichnen:

∃x steht fur ∃x1 . . .∃xm,

x ∈ a steht fur x1 ∈ a∧ . . .∧ xm ∈ a,

∃x ∈ a steht fur ∃x1 ∈ a . . .∃xm ∈ a,

und entsprechend fur den ∀-Quantor.Die obige Klassifizierung gilt nur fur pranexe Formeln (in welchen alle - zu-

mindest die unbeschrankten - Quantoren am Anfang der Formel stehen), aber mankann leicht jede mengentheoretische Formel zu einer logisch aquivalenten prane-xen Formel umformen. Daher werden wir Formeln, die logisch aquivalent sind,bei dieser Klassifizierung nicht unterscheiden (eine Σ3-Formel ist damit dann aucheine Π17-Formel). Gelegentlich zieht man aber zur Umformung auch mengen-theoretische Axiome heran; ist T eine Theorie, also bestimmt durch ihre Axiome,so sei auch

ΣTn die Menge aller Formeln, die in T aquivalent sind zu einer Σn-Formel,

ΠTn die Menge aller Formeln, die in T aquivalent sind zu einer Πn-Formel,

und ∆Tn := ΣT

n ∩ΠTn , d. h. eine ∆T

n - Formel ist in v aquivalent sowohl zu einer Σn-wie auch zu einer Πn-Formel.

Bemerkungen und Beispiele

1. Unter Voraussetzung des Paarmengenaxioms konnen mehrere gleichartigeQuantoren zusammengezogen werden:

∃x∃yϕ ↔∃z∃x ∈ z∃y ∈ zϕ

und ahnlich fur ∀-Quantoren. Somit kann man Σ1-Formeln auch charakte-risieren als Formeln, die mit nur einem ∃-Quantor beginnen und dann nurnoch beschrankte Quantoren enthalten.

2. Wegen∃x ∈

⋃a . . .↔∃y ∈ a∃x ∈ a . . .

konnen auch ∃x ∈⋃

a,∃x ∈⋃⋃

a,∀x ∈⋃

a . . . als beschrankte Quantorenaufgefaßt werden, nicht aber ∃x ∈ P(a)!

14.2. RELATIVIERUNG 127

3. Die wichtigsten elementaren mengentheoretischen Begriffe (BOOLEscheAlgebra, Relationen- und Funktionenkalkul, Ordinalzahltheorie) sind ∆0-oder zumindest ∆Paar

0 -Formeln:

a = b, a = /0, a⊆ b, a = b∩ c, a = b∪ c, a =⋂

b, a =⋃

b,

a = b,c, a = (b,c), Rel(r), a = D( f ), b = W ( f ),

Fkt( f ), f : a→ b, c = a×b,< lineare Ordnung auf a, . . .

Ord(a), Lim(a), N f (a),a ∈ ω . . .

4. Dagegen fuhren die Potenzmengenoperation sowie kardinale Begriffe mei-stens zu komplizierteren Formeln:

Σ1-Formeln sind: ∃x(x = ω), a∼ b, a ist abzahlbar,

Π1-Formeln sind: a = P(b), Card(a),< Wohlordnung auf a.

∃x(x = ω) ist naturlich in ZF beweisbar, aber die ubrigen Formeln lassensich selbst in ZFC nicht in ∆0-Formeln umformen!

14.2 Relativierung

Die Formel ϕa entsteht aus ϕ , indem man jeden Quantor Qx in der Formel ϕ

durch den beschrankten Quantor Qx ∈ a ersetzt. (Dabei ist darauf zu achten, daßgegebenenfalls definierte Begriffe bzw. Abkurzungen durch die ursprunglichenAusdrucke der formalen ZF-Sprache zu ersetzen sind!) Wir lesen

ϕa als: ϕ relativiert nach a.

Liest man ϕ als eine Aussage uber den Bereich aller Mengen, so ist ϕa dieentsprechende Aussage uber die Elemente von a. Die Bedeutung der ∆0-Formelnliegt darin, daß sie fur transitive Mengen a in beiden Fallen dasselbe besagen(absolut sind):

Satz

(i) (Absolutheit von ∆0-Formeln): Ist ϕ(a) eine ∆0-Formel, so gilt:

trans(a) ∧ a ∈ a→ [ϕ(a)↔ ϕa(a)],

14.3. DIE THEORIE KP VON KRIPKE-PLATEK 128

(ii) (Aufwarts-Absolutheit von Σ1-Formeln): Ist ϕ(a) eine Σ1-Formel, so gilt:

trans(a) ∧ a ∈ a→ [ϕa(a)→ ϕ(a)],

(iii) (Abwarts-Absolutheit von Π1-Formeln): Ist ϕ(a) eine Π1-Formel, so gilt:

trans(a) ∧ a ∈ a→ [ϕ(a)→ ϕa(a)],

(iv) (Absolutheit von ∆1-Formeln): Ist ϕ(a) eine ∆1-Formel, so gilt:

trans(a) ∧ a ∈ a→ [ϕ(a)↔ ϕa(a)].

14.3 Die Theorie KP von Kripke-Platek

Diese Theorie wurde von S.A. KRIPKE und R.A. PLATEK entwickelt als men-gentheoretische Grundlage fur eine verallgemeinerte Rekursionstheorie und be-sitzt folgende Axiome:

Extensionalitatsaxiom (Ext) ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)→ a = bPaarmengenaxiom (Paar) ∃y∀x(x ∈ y↔ x = a∨ x = b)Summenaxiom (Sum) ∃y∀z(z ∈ y↔∃x ∈ a z ∈ x)∆0-Aussonderung (∆0-AusS) ∃y∀z(z ∈ y↔ x ∈ a∧ϕ(x))∆0-Collection (∆0-CollS) ∀x∃yϕ(x,y)→∃z∀x ∈ a∃y ∈ zϕ(x,y)Fundierungsschema (FundS) ∃xϕ(x)→∃x(ϕ(x) ∧ ∀y ∈ x¬ϕ(y))

Dabei soll in den ∆0-Schemata die Formel ϕ jeweils eine beliebige ∆0-Formelsein (im Fundierungsschema dagegen eine beliebige Formel).

Lemma

Folgende Mengen existieren in KP und sind (wegen Ext) eindeutig bestimmt:

/0, a∩b, a∪b,⋃

a, a,b, (a,b), a×b.

Beweis: Interessant (und nicht-trivial) ist nur die Existenz von a×b:Es sei x ∈ a. Dann gilt ∀y ∈ b ∃w w = (x,y), also existiert nach ∆0-CollS ein

u mit∀y ∈ b∃w ∈ u w = (x,y),

14.3. DIE THEORIE KP VON KRIPKE-PLATEK 129

d. h. wir haben gezeigt

∀x ∈ a∃u∀y ∈ b∃w ∈ u w = (x,y).

Somit existiert wiederum nach ∆0-CollS ein c mit

∀x ∈ a∃u ∈ c ∀y ∈ b∃w ∈ u w = (x,y).

Setzen wir nun d :=⋃

c, so erhalten wir:

∀x ∈ a∀y ∈ b (x,y) ∈ d

und somit a×b⊆ d. Nun brauchen wir nur noch das ∆0-AusS anzuwenden.

Flexibler als der Begriff der Σ1-Formel ist der Begriff der Σ-Formel:

Definition

Die Klasse der Σ-Formeln ist die kleinste Klasse aller Formeln, welche die ∆0-Formeln enthalt und abgeschlossen ist unter ∨,∧,∀x ∈ a,∃x ∈ a sowie unter ∃.Π-Formeln sind ahnlich definiert, ∆T := ΣT∩ΠT.

Somit ist jede Σ1-Formel auch eine Σ-Formel, aber z. B. ist fur eine ∆0-Formelϕ

∀x ∈ a ∃y ∀u ∈ y ϕ

eine Σ-Formel, aber keine Σ1-Formel. Da man im ∆0-AusS offenbar “→” durch“↔” ersetzen kann, ist in KP jede Σ-Formel aquivalent zu einer Σ1-Formel.

Bemerkungen

Mengen, die durch eine ∆- (bzw. Σ-Formel) definierbar sind, entsprechen denrekursiven (bzw. rekursiv-aufzahlbaren) Mengen naturlicher Zahlen. Tatsachlichist die Theorie KP der zulassigen Mengen entwickelt worden, um eine geeigne-te (mengentheoretische) Verallgemeinerung dieser Begriffe von den Zahlen aufgroßere Bereiche zu erhalten.

In KP laßt sich das ∆0-AusS verallgemeinern zum ∆-AusS, das ∆0-CollSzum ∆-CollS, und es gilt ein Ersetzungsaxiom sowie ein Rekursionssatz fur Σ-Funktionen. Zu diesen Funktionen, die - wie die rekursiven Funktionen der Zah-lentheorie - sehr gute Abschlußeigenschaften besitzen, gehoren insbesondere alsodie arithmetischen Operationen auf den Ordinalzahlen. Man kann daher KP auchals eine “effektive” Mengenlehre auffassen. Transitive Mengen A, die (mit dergewohnlichen ∈-Beziehung) ein Modell von KP bilden, heißen zulassige Mengen(admissible sets); die kleinste zulassige Menge ist HF = Vω .

14.4. PARTIELLE REFLEXIONSPRINZIPIEN 130

14.4 Partielle Reflexionsprinzipien

Wir gehen aus von der folgenden Basistheorie S0 mit den Axiomen

Extensionalitatsaxiom (Ext) ∀x(x ∈ a↔ x ∈ b)→ a = b∆0-Aussonderung (∆0-AusS) ∃y∀z(z ∈ y↔ x ∈ a∧ϕ(x))

(ϕ ∆0-Formel)Fundierungsaxiom (Fund) a 6= /0→∃x x∩a = /0

Hinzunehmen werden wir die folgenden partiellen Reflexionsprinzipien

PRtrans ϕ(a)→∃u [trans(u) ∧ a ∈ u ∧ ϕu(a)] bzw.PRstrans ϕ(a)→∃u [strans(u) ∧ a ∈ u ∧ ϕu(a)],

wobei

strans(a) :↔ trans(a) ∧ ∀y(y⊆ x ∈ a→ y ∈ a) stark transitiv.

Diese Axiome besagen, daß jede Eigenschaft, die im Bereich aller Mengengilt, auch im Bereich einer geeigneten Menge gilt. Es seien

T1 := S0 +PRtrans, T2 := S0 +PRstrans

die so entstehenden Theorien.

Satz

(i) In T1 sind die Axiome Null,Paar,Sum,Un,FundS beweisbar,

(ii) in T2 gilt zusatzlich das Potenzmengenaxiom Pot.

Beweis: Das Nullmengenaxiom folgt aus dem ∆0-AusS, fur das Paarmengenaxi-om wahle in PRtrans die Formel

ϕ(a,b) :↔ a = a ∧ b = b,

woraus die Existenz einer Menge u mit a,b ∈ u folgt. a,b ist dann also eineMenge nach dem ∆0-AusS. Ebenso liefert PRtrans fur jede Menge a eine transi-tive Menge u mit a ∈ u, also auch

⋃a ⊆ u, und wir brauchen nur noch ∆0-AusS

anzuwenden, um das Summenaxiom zu erhalten.

14.4. PARTIELLE REFLEXIONSPRINZIPIEN 131

Somit ist beweisbar:

∃u(u = /0) ∧ ∀x∃y(y = x∪x).

Eine Anwendung von PRtrans ergibt die Existenz einer transitiven Menge u mit

[∃x(x = /0) ∧ ∀x∃y (y = x∪x)]u, also

/0 ∈ u ∧ ∀x ∈ u∃y ∈ u (x∪x ∈ u),

da x = /0 und x∪x ∆0-Formeln sind.

Zum Beweis des Fundierungsschemas nehmen wir an, daß

ϕ(a) ∧ ∀x(ϕ(x)→∃y ∈ x ϕ(y)).

Das Reflexionsprinzip liefert dann die Existenz einer transitiven Menge u (mit denParametern von ϕ als Elementen von u und)

a ∈ u ∧ ϕu(a) ∧ (∀x(ϕ(x)→∃y ∈ x ϕ(y))u, also

a ∈ u ∧ ϕu(a) ∧ ∀x ∈ u(ϕu(x)→∃y ∈ x ϕ

u(y)).

Setzen wir c := x ∈ u | ϕu(x), so ist dieses eine Menge nach ∆0-AusS, welchedem Fundierungsaxiom widerspricht.

Potenzmengenaxiom: Falls fur jede Menge a eine stark transitive Menge uexistiert mit a ∈ u, so haben wir die Abschatzung P(a)⊆ u.

Somit ist die Theorie T1 eine Erweiterung von KP, und zwar eine echte Er-weiterung, da das Unendlichkeitsaxiom in KP nicht beweisbar ist.

132

Kapitel 15

Vollstandige Reflexion

15.1 Vollstandige Reflexionsprinzipien

Um auch das volle FRAENKELsche Ersetzungsaxiom zu erhalten, verstarken wirdie Schemata der partiellen Reflexion zu entsprechenden vollstandigen Reflexi-onsprinzipien (complete reflection):

CRtrans ∃u [trans(u) ∧ a ∈ u ∧ ∀x ∈ u (ϕ(x)↔ ϕu(x))] bzw.CRstrans ∃u [strans(u) ∧ a ∈ u ∧ ∀x ∈ u (ϕ(x)↔ ϕu(x))].

Es seienT3 := S0 +CRtrans, T4 := S0 +CRstrans

die so entstehenden Theorien, die offenbar T1 bzw. T2 erweitern; wahrend in T2

das Potenzmengenaxiom gilt, laßt sich in T3 das Ersetzungsaxiom beweisen (abernicht umgekehrt), wahrend T4 sich als eine neue Axiomatisierung von ZF heraus-stellt:

@@

@@@R

@

@@

@@R

c

T4 = ZF

cT2 ` Pot c T3 ` ErsS

cT1

15.1. VOLLSTANDIGE REFLEXIONSPRINZIPIEN 133

Satz

In T3 laßt sich CRtrans verstarken zur simultanen Anwendung auf endlich-vieleFormeln (und ebenso CRstrans in T4):

∃u [trans(u) ∧ a ∈ u ∧ ∀x ∈ u∧i<m

(ϕi(x)↔ ϕui (x))]

(wobei wir der Einfachheit annehmen, daß alle Formeln ϕi dieselben freie Varia-blenfolge x enthalten).

Beweis: Wir benutzen (nach ZERMELO) die Ziffern

0 = /0, 0(n+1) = 0(n),

um die Formeln ϕ0, . . . ,ϕm−1 durch eine Formel mit einer zusatzlichen freien Va-riablen zu kodieren:

ϕ(y,x) :=∨i<m

(y = 0(i) ∧ ϕi(x)).

Eine Anwendung des Reflexionsprinzips auf diese Formel und die Folge (0(m),a)ergibt dann die Behauptung.

Satz

In T3 gilt das Ersetzungsaxiom, in T4 gelten somit alle Axiome von ZF.

Beweis: Gegeben sei eine Formel ϕ(x,y,a), die eine Funktion definiere (wir las-sen a weg):

∀x,y,z(ϕ(x,y) ∧ ϕ(x,z)→ y = z)

und eine Menge a. Dann existiert also nach obigem Satz eine transitive Reflexi-onsmenge u mit a,a ∈ u und

∀x,y ∈ u(ϕ(x,y) ↔ ϕu(x,y))

∀x ∈ u(∃yϕ(x,y) ↔ ∃y ∈ u ϕu(x,y)),

insbesondere wegen a⊆ u

∀x ∈ a(∃yϕ(x,y) ↔ ∃y ∈ u ϕ(x,y)), also ist

y|∃x ∈ a ϕu(x,y) = y|∃x ∈ a ϕ(x,y).

Auf der linken Seite steht nach dem ∆0-AusS eine Menge, und die rechte Seitestellt das Bild von a unter der Funktion dar, die durch ϕ(x,y,a) definiert wird.

15.2. REFLEXION UBER KLASSEN 134

Bemerkungen

1. Die vollstandigen Reflexionsprinzipien lassen sich etwas vereinfachen, in-dem man a ∈ u durch die Bedingung a ∈ u ersetzt; allerdings ist es dannziemlich aufwendig, das Paarmengenaxiom abzuleiten: Man benutzt dazudie Verallgemeinerung auf endlich-viele Formeln (deswegen wurden dortdie Zahlen nach ZERMELO benutzt, welche man mit dem Einermengenaxi-om allein darstellen kann), zeigt etwas aufwendiger das Ersetzungsaxiomund erhalt dann erst das Paarmengenaxiom mittels Existenz einer einzigen2-elementigen Menge, auf welche sich alle 2-elementigen Paare abbildenlassen.

2. Besonders einfach laßt sich mit den Reflexionsprinzipien die Existenz dertransitiven Hulle sowie (im Falle der vollstandigen Reflexion) die Existenzvon Mengen beweisen, die unter einer gegebenen Funktion abgeschlossensind (und damit auch z. B. die Existenz von Fixpunkten).

3. Die Theorien T1−T4 sind nicht endlich-axiomatisierbar. Denn sonst konn-te man sie durch einen einzigen Satz σ =

∧i=1,...,n σi axiomatisieren. Die

Anwendung des Reflexionsprinzips auf diesen Satz ergabe aber die Exi-stenz eines (transitiven) Modells, was dem 2. GODELschen Unvollstandig-keitssatz widerspricht. (Im Falle von T4 kann man auch direkter zu einemWiderspruch gelangen.)

15.2 Reflexion uber Klassen

Vollstandige Reflexion uber Mengen laßt sich in partielle Reflexion leicht einbau-en, wenn man (nach P. BERNAYS) eine Sprache mit Klassen benutzt: Wir erlaubenjetzt auch mengentheoretische Formeln mit Klassen A,B . . . (als freie Klassenva-riable oder auch nur wie fruher als Metavariable fur Klassenterme) und formulie-ren hierfur die folgenden Axiomenschemata:

PRCtrans ϕ(a,A)→∃u [trans(u) ∧ a ∈ u ∧ ϕu(a,A∩u)] bzw.PRCstrans ϕ(a,A)→∃u [strans(u) ∧ a ∈ u ∧ ϕu(a,A∩u)].

Satz

S0 +PRCtrans ` CRtrans

15.2. REFLEXION UBER KLASSEN 135

(und ebenso mit strans statt trans).

Beweis: ϕ(a) sei eine Formel (ohne Klassenterme) wie in CRtrans. Da wir dasPaarmengenaxiom wie fruher erhalten, konnen wir die zugehorige Klasse der n-Tupel

A = (x) | ϕ(x)

bilden und das Reflexionsprinzip auf die Formel

∀x,y∃z (z = (x,y)) ∧ ∃x(x = (a)) ∧ ∀x(ϕ(x)↔ (x) ∈ A)

anwenden. Dann erhalten wir eine transitive Menge u, die unter Paarmengenbil-dung abgeschlossen ist, mit a ∈ u und

∀x ∈ u (ϕu(x)↔ (x) ∈ A∩u), also

∀x ∈ u (ϕu(x)↔ ϕu(x)).

Das Ersetzungsaxiom erhalt man ebenso leicht:

Satz

S0 +PRCtrans ` ErsS

Beweis: Es sei Fkt(F) ∧ a = D(F). Dann gilt also

∀x ∈ a∃y(x,y) ∈ F.

Anwendung der Reflexion auf diese Formel ϕ(a,F) ergibt die Existenz einerMenge u mit a⊆ u und

∀x ∈ a∃y ∈ u (x,y) ∈ F ∩u,

und somit W (F) ⊆ u. Nun ist also W (F) eine Menge nach dem Aussonderungs-schema (welches aufgrund des vorhergehenden Satzes gilt bzw. nach derselbenMethode bewiesen werden kann.

Eine interessante Eigenschaft der Reflexionsprinzipien ist ihre “Selbstverstar-kung”: Hat man eine Aussage σ bewiesen, so gilt sie in bereits einer transitiven

15.3. HIERARCHIESATZE IN ZF 136

Menge u, welche also in Bezug auf die Eigenschaft σ ahnlich wie V ist. Die Tatsa-che, daß (beliebig große) Reflexionsmengen fur σ existieren, ist eine neue Eigen-schaft σ1 des Universums V , die man wiederum in sehr vielen Mengen spiegelnkann . . .

P. BERNAYS hat gezeigt1, daß partielle Reflexionsprinzipien fur Formeln mitgebundenen Klassenvariablen sehr starke Folgerungen erlauben. Insbesondere las-sen sie sich so verstarken, daß die Existenz sehr vieler Reflexionsmengen derForm Vα mit unerreichbarem α gefordert wird.

15.3 Hierarchiesatze in ZF

Wir wollen nun umgekehrt in der Theorie ZF ein Reflexionsprinzip in der Form

∃α [a ∈Vα ∧ ∀x ∈Vα (ϕ(x)↔ ϕVα (x))]

beweisen. Tatsachlich gilt dies Ergebnis allgemeinen fur viele Hierarchien:

Definition

Eine Folge von Mengen (Mα |α ∈ On) heißt kumulative und stetige Hierarchiegdw.

(H1) ∀α Mg(Mα),(H2) ∀α,β (α < β →Mα ⊆Mβ ) kumulativ,(H3) ∀λ (Lim(λ )→Mλ =

⋃ξ<λ Mξ ) stetig.

In diesem Fall setzen wirM :=

⋃α∈On

Mα .

Beispiele:

Der wichtigste Fall ist naturlich Mα = Vα mit M = V . Es gibt aber auch andereinteressante Beispiele in Zusammenhang mit inneren ZF-Modellen. Beachte, daßdie Hierarchien auch stuckweise konstant sein konnen!

1Bernays, P.: Zur Frage der Unendlichkeitsschemata in der axiomatischen Mengenlehre in:Essays on the Foundations of Mathematics (Fraenkel-Festschrift), Amsterdam 1962, 3-49, Neu-fassung als: On the problem of schemata of infinity in axiomatic set theory. in: Sets and Classes(Bernays-Festschrift, ed. G.H. Muller), Amsterdam 1976, 121-172

15.3. HIERARCHIESATZE IN ZF 137

15.3.1 Hauptsatz uber kumulative und stetige Hierarchien

(Mα |α ∈ On) sei eine kumulative und stetige Hierarchie von Mengen mit M =⋃α∈On Mα . Dann gibt es zu jeder ZF-Formel (im engeren Sinne) ϕ(a) mit den

angegebenen freien Variablen eine Normalfunktion F mit

F(α) = α → ∀x ∈Mα (ϕMα (x)↔ ϕM(x)).

Beweis durch Induktion uber den Formelaufbau von ϕ . Dabei konnen wir uns aufden Fall ϕ = ∃y ψ beschranken. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es also eineNormalfunktion G mit

G(α) = α → ∀x,y ∈Mα (ψMα (x,y)↔ ψM(x,y)).

Wir definieren eine Funktion H durch

H(α) = µβ (α < β ∧ ∀x ∈Mα (∃y ∈M ψM(x,y)→∃y ∈Mβ ψ

M(x,y))

und weiterhin durch transfinite Rekursion eine Normalfunktion F mit

F(0) = 0,

F(α +1) = H(F(α)),

F(λ ) =⋃

ξ<λ

F(ξ ) fur Lim(λ ).

Durch Komposition von F mit G erhalten wir wieder eine Normalfunktion,deren Fixpunkte auch gemeinsame Fixpunkte von F und G sind und die somit diegewunschte Eigenschaft fur ϕ hat.

Als Korollar erhalten wir den

15.3.2 Satz von Scott-Scarpellini

Ist (Mα |α ∈ On) eine kumulative und stetige Hierarchie von Mengen und M =⋃α∈On Mα , so gilt:

(i) ∀β∃α[β < α ∧ ∀x ∈Mα (ϕMα (x)↔ ϕM(x))], speziell:

(ii) ∀β∃α[β < α ∧ ∀x ∈Vα (ϕVα (x)↔ ϕ(x))].

15.3. HIERARCHIESATZE IN ZF 138

Insbesondere sind die Reflexionsprinzipien CRstrans und PRCstrans in ZF be-weisbar. Wie aus dem Beweis ersichtlich (oder mit der fruheren Methode der Ko-dierung endlich-vieler Formeln durch eine einzige) lassen sich die Reflexionsprin-zipien auf den Fall der simultanen Reflexion fur endlich-viele Formeln verstarken.Kann man aus ihnen auch ein Reflexionsprinzip fur alle Formeln (simultan) erhal-ten, so daß man eine Ordinalzahl α erhalt, die

∀x ∈Mα (ϕMα (x)↔ ϕM(x))

fur alle Formeln ϕ erfullt? In ZF ist dieses nicht mehr beweisbar (außer ZF istwiderspruchsvoll), aber wenn ZF widerspruchsfrei ist, so auch die Erweiterungzu einer Theorie mit einer zusatzlichen Konstanten α0, dem Axiom Ord(α0) unddem Schema

∀x ∈Vα0 (ϕVα0 (x)↔ ϕ(x)),

wobei ϕ eine beliebige ZF-Formel (ohne die Konstante α0) ist. (Denn ein Beweiseines Widerspruches wurde nur endlich-viele Falle des obigen Schemas benutzen,die aber dann in ZF bereits beweisbar sind.) Im Falle einer Menge M haben wiraber einen Ersatz in der Form eines Satzes von LOWENHEIM-SKOLEM-TARSKI,den wir hier nur in einer einfachen Form benotigen:

15.3.3 Satz von Lowenheim-Skolem

Es sei b⊆ a. Dann existiert ein b0 mit b⊆ b0 ⊆ a, so daß fur alle Formeln ϕ gilt:

∀x ∈ b0 (ϕb0(x)↔ ϕa(x))

wofur man auch (b0,∈) (a,∈) schreibt. Außerdem kann fur unendliches b dieMenge b0 so gewahlt werden, daß |b0|= |b| ist.

Beweis: Wir benotigen das Auswahlaxiom oder (fur die spatere Anwendung aus-reichend) eine Wohlordnung von a. Damit kann man Funktionen f fur jede Formelder Form ∃yψ(y,x) definieren, so daß fur alle x ∈ a

f (x) = y fur ein y ∈ a mit ψa(y,x),

falls ein solches existiert (ein beliebiges Element von a sonst). b0 ist dann derAbschluß von b unter diesen (abzahlbar-vielen) Funktionen.

139

Teil VI

Definierbare Mengen

140

Kapitel 16

Innere Modelle

16.1 Definierbarkeit

Alle konkreten Beispiele von Mengen sind definierbar: Die leere Menge /0, dieMenge der naturlichen Zahlen ω , die Teilmenge der Primzahlen, die Menge allerstetigen reellen Funktionen, die Zahlen

√2, e, π die Kardinalzahlen ℵ1,ℵω , die

kleinste unerreichbare Zahl (sofern sie existiert), usw. Wir wollen eine Mengedefinierbar nennen gdw sie die einzige Menge ist, die eine Formel ϕ(v) erfullt:

ϕ(a)∧∃!x ϕ(x),

und eine Klasse A ist definierbar gdw es eine Formel ϕ(v) gibt mit

A = x | ϕ(x).

(Eine Menge a ist dann auch als Klasse definierbar.)Kann man den Begriff der definierbaren Menge definieren und damit etwa die

Menge der definierbaren Mengen definieren? Da es nur abzahlbar-viele Formelngibt, kann es auch nur abzahlbar-viele definierbare Mengen geben, insbesonde-re nur abzahlbar-viele Ordinalzahlen, und da die Klasse der Ordinalzahlen nichtabzahlbar ist, muß es also eine kleinste nicht-definierbare Ordinalzahl geben - diewir aber gerade definiert haben! Diesen Widerspruch kann man positiv wenden:

Metatheorem

Jede definierbare Klasse mit definierbarer Wohlordnung ist enthalten in jeder de-finierbaren Klasse, die alle definierbaren Mengen enthalt.

16.1. DEFINIERBARKEIT 141

Es laßt sich nun zeigen1, daß tatsachlich eine Klasse OD existiert mit

(i) OD ist eine definierbare Klasse mit einer definierbaren Wohlordnung und

(ii) OD ist eine definierbare Klasse, welche alle definierbaren Mengen enthalt

und dadurch ist sie dann eindeutig bestimmt als

• OD = die großte definierbare Klasse mit definierbarer Wohlordnung und

• OD = die kleinste definierbare Klasse, welche alle definierbaren Mengenenthalt.

Da On eine definierbare Klasse mit definierbarer Wohlordnung ist, muß ODalle Ordinalzahlen enthalten und damit auch alle Vα sowie alle damit definierbarenMengen. Das Problem besteht darin, eine mengentheoretische Definition von ODzu finden. Wahrend der allgemeine Definierbarkeitsbegriff nicht definierbar seinkann (wegen des oben aufgezeigten Widerspruchs), werden wir jedoch zeigen,daß man den Begriff relativ zu einer Menge formalisieren kann. Insbesonderekann man die Menge der in Vα definierbaren Elemente definieren; wir bezeichnensie mit

D f (Vα) = x ∈Vα | “x ist in Vα definierbar”

und erhalten damit die Klasse der ordinalzahl-definierbaren Mengen

OD := x | ∃α x ∈ D f (Vα).

Man kann nun zeigen, daß OD die gewunschten Eigenschaften besitzt. Außer-dem gilt:

Metatheorem

Die Theorie ZF+V = OD ist die schwachste Erweiterung von ZF zu einer Theo-rie mit der Auswahleigenschaft:

jede nicht-leere definierbare Klasse besitzt ein definierbares Element.

Elemente von definierbaren Mengen brauchen nicht definierbar zu sein (R isteine definierbare Menge, hat aber uberabzahlbar-viele Elemente). Man geht daheruber zu der Klasse der erblich-ordinalzahl-definierbaren Mengen

HOD := x | TC(x)⊆ OD.1Myhill-Scott: Ordinal definability. Proc. Symposia in Pure Math., AMS XIII,1 (1971), pp.

271-278

16.2. RELATIVE KONSISTENZBEWEISE 142

Es ist dann

HOD = x | x ∈ OD∧TC(x)⊆ OD= x | x ∈ OD∧ x⊆ HOD.

Ferner gilt:

• trans(HOD)∧HOD⊆ OD,

• OD = HOD↔V = HOD↔V = OD.

Außerdem laßt sich zeigen, daß HOD ein Modell von ZF+AC ist; somit ist die-se Theorie widerspruchsfrei, sofern ZF widerspruchsfrei ist. Wir werden im fol-genden jedoch fur diese Ergebnisse das GODELsche Modell L der konstruktiblenMengen benutzen.

16.2 Relative Konsistenzbeweise

Die Widerspruchsfreiheit einer Theorie T weist man gewohnlich nach, indem maneinen Grundbereich fur die Objekte der Theorie und darauf erklarte Relationenund Funktionen angibt, so daß die Axiome der Theorie T gultig sind, also einModell der Theorie aufzeigt. (Man denke etwa an die algebraische Theorie derGruppen oder Korper, oder an die (nicht-)Euklidische Geometrie). Im Falle einermengentheoretischen Theorie T fallt nun auf, daß man ein Modell fur eine sol-che Theorie uber Mengen selbst in einem mengentheoretischen Rahmen, also mitgewissen mengentheoretischen Voraussetzungen angeben muß. Somit konnen wirnur relative Konsistenzbeweise etwa der Form

Ist die Theorie ZF widerspruchsfrei, so auch die erweiterte Theorie ZF+AC

fuhren. Tatsachlich besagt der 2. GODELsche Unvollstandigkeitssatz, daß mandie absolute Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) einer genugend ausdrucksstarkenTheorie (wie der Zahlentheorie, aber auch der ZF-Mengenlehre) nicht uberzeu-gend nachweisen kann.

Eine weitere Besonderheit einiger relativen Konsistenzbeweise liegt darin, daßman hierfur nicht Mengen, sondern echte Klassen benutzt. Insbesondere fur denNachweis der oben erwahnten relativen Konsistenz werden wir Klassen von de-finierbaren Mengen einfuhren, so daß die zusatzlich gewunschten Eigenschaften(Auswahlaxiom, Kontinuumshypothese) gultig sind, wenn man den Bereich allerMengen auf diese Klassen einschrankt, die Elementbeziehung aber unverandert

16.2. RELATIVE KONSISTENZBEWEISE 143

laßt. Die Gultigkeit einer mengentheoretischen Aussage σ bei Einschrankung aufden Bereich M laßt sich dann einfach durch die Relativierung nach M ausdrucken:

σM,

welches wie im Falle einer Menge so erklart ist, daß man alle Quantoren der Form∃x bzw. ∀y in σ durch die relativierten Quantoren ∃x ∈M bzw. ∀y ∈M ersetzt.

Aus der mathematischen Logik werden wir die Bezeichnungsweise

T ` ϕ ϕ ist beweisbar in (bzw. folgt aus) T

ubernehmen, ohne sie hier genauer zu prazisieren. Die Widerspruchsfreiheit ei-ner Theorie T bedeutet dann, daß T ` σ und T `¬σ fur keine Aussage σ zugleichgelten, und dies ist (wie in der Mathematischen Logik gezeigt wird) gleichbedeu-tend damit, daß T ein Modell besitzt.

Eine Klasse M heißt eine Interpretation von S in T gdw. man in T beweisenkann, daß M ein Modell von S ist:

T ` σM fur alle Axiome σ von S

(und außerdem nachweisen kann, daß M nicht-leer ist: T `M 6= /0).

16.2.1 Satz uber Interpretationen

S und T seien Theorien in der mengentheoretischen Sprache, M eine Interpretati-on von S in T. Dann gilt:

Ist T widerspruchsfrei, so auch S .

Beweis: Ware S widerspruchsvoll, so gabe es einen Beweis einer Aussage derForm σ ∧¬σ aus den Axiomen von S. Da ein Beweis endlich ist, konnen auchnur endlich-viele Axiome von S, etwa σ1, . . . ,σn benutzt worden sein, so daß also

` σ1 ∧ . . . ∧ σn→ σ ∧¬σ

nur mit logischen Argumenten beweisbar ware. Logische Folgerungen gelten je-doch in allen (nicht-leeren) Bereichen, insbesondere, wenn sie nach M relativiertwerden:

` (σ1 ∧ . . . ∧ σn)M→ (σ ∧¬σ)M.

Da nach Voraussetzung aber M eine Interpretation von S in T ist, gelten die Vor-aussetzungen in T, also

T ` (σ ∧¬σ)M.

und damit haben wir einen Widerspruch in der Theorie T (der Form σM ∧¬σM).

16.3. GODELISIERUNG 144

Beispiele

1. ZF0 sei die Theorie ZF, aber ohne das Fundierungsaxiom. In ZF0 mussenwir den Ordinalzahlbegriff mit dem Zusatz fund(a) definieren, dann geltendie fruheren Ergebnisse uber transfinite Induktion und Rekursion in ZF0.Bildet man die Klasse N =

⋃α∈OnVα , so ist N eine Interpretation von ZF in

ZF0. Also gilt: Ist ZF0 widerspruchsfrei, so auch ZF.

2. Mit ahnlichen Methoden kann man (nach FRAENKEL-MOSTOWSKI-SPEK-KER) auch die Unabhangigkeit des Fundierungsaxioms beweisen. Dazu be-nutzt man allerdings Nicht-Standard-Interpretationen, indem man fur eineBijektion F : V ↔V eine neue Elementbeziehung

x ∈F y :↔ x ∈ F(y)

definiert. Das entsprechende Permutationsmodell (V,∈F) ist nun eine Inter-pretation von ZF0 in ZF0 (statt der Relativierung einer Formel ϕ bildet manjetzt die Formel ϕF , indem man uberall ∈ durch ∈F ersetzt). Fur geeignetesF erhalt man dann eine Interpretation von ZF0 +¬Fund in ZF0, also auchdie Aussage: Ist ZF0 widerspruchsfrei, so auch ZF0 +¬Fund.

3. Es sei Vω = HF die Menge der Mengen von endlichem Rang (erblich-endliche Mengen). In ZF kann man dann beweisen, daß alle Axiome von ZF

- bis auf das Unendlichkeitsaxiom Un - relativiert nach HF gelten, wahrendUn in HF nicht gilt. Somit ist HF eine Interpretation von (ZF−Un)+¬Un

in ZF. Insbesondere ist das Unendlichkeitsaxiom aus den ubrigen Axiomenvon ZF nicht beweisbar, falls ZF widerspruchsfrei ist.

4. Das wichtigste Beispiel einer Interpretation ist die Klasse L der konstrukti-blen Mengen, welche eine Interpretation von ZF+AC+GCH in ZF ergibt.

16.3 Godelisierung

Eine Menge b ist in a definierbar, wenn sie von der Form

b = z ∈ a | ϕa(z,a0, . . . ,an)

ist, wobei ϕ eine mengentheoretische Formel ist und und endlich-viele Elementea0, . . . ,an ∈ a als Parameter auftreten durfen.

16.3. GODELISIERUNG 145

Um die Menge aller definierbaren Teilmengen bilden zu konnen, mussen wirdiesen Begriff in der mengentheoretischen Sprache aufschreiben; insbesonderemussen wir die Forderung “fur eine mengentheoretische Formel ϕ” durch ei-ne mengentheoretische Existenzformel ausdrucken. Dazu benutzen wir eine vonGODEL (zunachst fur die Zahlentheorie eingefuhrte) Kodierung der Formeln ei-ner formalen Sprache, die jeder Formel ϕ (welche hier nun allein als formale Zei-chenreihe gesehen wird) eine naturliche Zahl (Godelnummer) oder - in unseremZusammenhang einfacher - eine geeignete Menge als Code pϕq zuordnet:

16.3.1 Kodierung der mengentheoretischen Formeln

Die formalen Variable (fur Mengen) legen wir jetzt genauer fest als vn fur naturli-che Zahlen n (wobei wir uns hier der Einfachheit auf eine Sorte von Variablenbeschranken und nicht zwischen freien und gebundenen Variablen unterscheiden)und setzen etwa

pvnq = (1,n).

Es ist zweckmaßig, die formale mengentheoretische Sprache zu erweitern, indemman auch jeder Menge x eine formale Konstante xo zuordnet, fur welche wir alsCode wahlen

pxoq = (2,x).

Damit werden wir die Moglichkeit haben, bei einer vorgegebenen Struktur (a,∈)Aussagen uber die Elemente von a durch Formeln wiederzugeben, die die ent-sprechenden Konstanten xo fur x ∈ a benutzen. Wenn xo in (a,∈) durch x selbstinterpretiert werden soll, sprechen wir von einer kanonischen Interpretation.

Dem rekursiven Aufbau der Formeln entsprechen die folgenden Festlegungen:

px = yq = (3,(pxq,pyq))

px ∈ yq = (4,(pxq,pyq))

p¬ϕq = (5,pϕq)

p(ϕ ∨ψ)q = (6,(pϕq,pψq))

p∃vnϕq = (7,(n,pϕq))

Definierbarkeit syntaktischer Begriffe

Verschiedene Aussagen uber Formeln, etwa “v ist eine Variable”, konnen wir nunals mengentheoretische Formel uber die entsprechenden Codes ausdrucken:

V bl(a) :↔∃y ∈ a∃x ∈ y(a = (1,x)∧ x ∈ ω),

16.3. GODELISIERUNG 146

wobei man auch die Teilformel x ∈ ω durch eine geeignete ∆0-Formel ersetzenkann, welche ausdruckt, daß x eine naturliche Zahl ist. Da rekursive Begriffs-bildungen bereits in der Theorie KP bzw. KP∞ = KP+Un durchgefuhrt werdenkonnen, erhalten wir in dieser Theorie ∆-Formeln, welche ausdrucken:

Fmln(e): e ist Code einer Formel ϕ , welche als freie Variable hochstensv0, . . . ,vn−1 enthalt, ebenso:

Fmlna(e) : e ist Code einer Formel ϕ , welche als freie Variable hochstens

v0, . . . ,vn−1 enthalt, außerdem aber Konstanten aoi mit ai ∈ a.

16.3.2 Definierbarkeit des Wahrheitsbegriffes

Ersetzen wir eine Formel ϕ durch ihren Code pϕq, so mussen wir die nach arelativierte Formel durch eine entsprechende Aussage uber die Gultigkeit der For-mel in (a,∈) mittels ihres Codes ausdrucken, also einen formalisierten Wahrheits-begriff benutzen: Entsprechend der rekursiven Definition des Wahrheitsbegriffeskann man eine eine mengentheoretische Formel Sat(a,e) finden, welche in derTheorie KP∞ durch ∆-Formeln definierbar ist und ausdruckt:

Sat(a,e): e ist Code einer Formel ϕ(ao0, . . . ,a

on), die keine freie Variable ent-

halt, und ϕ ist wahr in (a,∈) unter der kanonischen Interpretation.

Fur Sat(a,e) werden wir auch schreiben (a,∈) |= e. Fur jede einzelne Formelstimmt dann die formale Definition der Gultigkeit mit der Relativierung uberein:

Satz uber die Relativierung

ϕ(v0, . . . ,vn−1) sei eine mengentheoretische Formel mit den angegebenen freienVariablen, a0, . . . ,an−1 ∈ a. Dann gilt in KP∞:

ϕa(a0, . . . ,an−1)↔ Sat(a,pϕ(ao

0, . . . ,aon−1)q).

Beweis durch einfache Induktion uber den Formelaufbau, wobei im Falle eineratomaren Formel beide Seiten dasselbe aussagen (wegen unserer Festlegung aufdie kanonische Interpretation der Konstanten), und sich in den Induktionsfallenbeide Seiten gegenuber den entsprechenden Fallen fur ihre Teilformeln gleich ver-halten.

16.3. GODELISIERUNG 147

16.3.3 Definierbarkeit

Nunmehr konnen wir auch den informalen Definierbarkeitsbegriff formal aus-drucken:

Def(a) := x⊆ a | ∃e(Fml1a(e) ∧ x = z ∈ a | (a,∈) |= e(z)),

wobei e(z) so definiert ist, daß (inhaltlich) fur eine Formel ϕ(v0) mit Code e gilt:e(z) ist der Code der Formel ϕ(zo), wobei ϕ(zo) aus ϕ entsteht, indem die Kon-stante zo fur die Variable vo eingesetzt wird:

pϕ(v0)q(z) = pϕ(zo)q

Satz uber die ∆-Definierbarkeit von Def

In der Theorie KP∞ ist fur jedes a auch De f (a) eine Menge. Außerdem gilt:Die Abbildung bzw. Relation

a 7→ Def(a) ist Σ−de f inierbar,

b = Def(a) ist ∆−de f inierbar.

Beweis: Wegen Def(a)⊆P(a) kann man in ZF das Potenzmengenaxiom benutzen,um auch De f (a) als Menge zu erhalten. Da wir jedoch spater auch die Komple-xitat dieser Operation kennen mussen, arbeiten wir mit den Hilfsmitteln von KP∞.Darin kann man zuerst nachweisen, daß

Fml1a := e | Fml1

a(e)

eine Menge ist (hier benotigen wir das Unendlichkeitsaxiom!), und dann hieraufeine Σ-Funktion f definieren kann mit

f : Fml1a Def(a) mit f (e) = z ∈ a | (a,∈) |= e(z).

Der Graph einer Σ-Funktion, definiert auf einem Definitionsbereich, welcher ei-ne ∆-definierbare Menge ist, ist aber stets eine ∆-Relation (wegen f (x) 6= y↔∃z( f (x) = z∧ y 6= z) fur x ∈ D( f )).

16.3.4 Bemerkungen und Beispiele

1. Fur jede mengentheoretische Formel ϕ(v0, . . . ,vn) und beliebige Elementea1, . . . ,an ∈ a ist

z ∈ a | ϕa(z,a1, . . . ,an ∈ Def(a),

16.4. CHARAKTERISIERUNG INNERER ZF-MODELLE 148

und dieses ist die wichtigste Eigenschaft des Definierbarkeitsbegriffes (au-ßer seiner ∆-Definierbarkeit in KP∞). Insbesondere:

2. /0,a ∈ Def(a),

3. a1, . . . ,an ∈ a→a1, . . . ,an ∈ Def(a),

4. c,d ∈ Def(a)→ c∪d,c∩d,c−d ∈ Def(a),

5. trans(a)→ a⊆ Def(a) ∧ trans(Def(a)).

16.4 Charakterisierung Innerer ZF-Modelle

Definition:

Eine Klasse M heißt

ZF-Modell gdw σM fur alle ZF-Axiome σ gilt,transitives ZF-Modell gdw zusatzlich gilt: trans(M), und

inneres ZF-Modell gdw trans(M)∧On⊆ (M)∧σM

fur alle ZF-Axiome σ gilt.

Transitive Modelle nennt man auch Standardmodelle. Innere Modelle sind wegenOn⊆M stets echte Klassen. (“Innere” bezieht sich darauf, daß M ein Klassenterm,also in ZF durch eine Formel definierbar ist. Die Gultigkeit in obiger Definitionbezieht sich in der Regel auf die Theorie ZF, genauer wird dies im Begriff derInterpretation einer Theorie T in einer Theorie S festgelegt, s. 16.2.)

Zunachst wollen wir zusammenstellen, was die Gultigkeit der ZF-Axiome inM (im Sinne der Relativierung) bedeutet. Dabei setzen wir die Axiome von ZF

voraus, obwohl man (zumindest in den einfachsten Fallen) fur Gultigkeit von σM

nur das Axiom σ selbst vorauszusetzen braucht:

Satz

M sei transitiv, M 6= /0.

(i) ExtM, NullM, FundSM gelten stets.

(ii) Das Paarmengenaxiom gilt in M gdw M abgeschlossen ist unter der Paar-mengenbildung:

PaarM↔∀x,y ∈M x,y ∈M,

16.4. CHARAKTERISIERUNG INNERER ZF-MODELLE 149

(iii) Das Summenaxiom gilt in M gdw M abgeschlossen ist unter der Vereini-gungsmenge:

SumM↔∀x ∈M ∪ x ∈M,

(iv) Das Potenzmengenaxiom gilt in M gdw M abgeschlossen ist unter der rela-tiven Potenzmenge:

PotM↔∀x ∈M P(x)∩M ∈M,

(v) Ordinalzahlen sind absolut bzgl. M:

∀x ∈M (Ord(x)M↔ Ord(x)),

(vi) Das Unendlichkeitsaxiom gilt in M gdw M die Menge der naturlichen Zah-len enthalt:

UnM↔ ω ∈M.

(vii) AusSϕ sei das Aussonderungsaxiom fur die Formel ϕ . Dann gilt:

AusSMϕ ↔∀x0 ∈M∀x1 . . .xn ∈M x ∈ x0 | ϕM(x,x1, . . . ,xn) ∈M.

(viii) Fur eine Formel ϕ sei F := x,y | ϕ(x,y,x) und ErsSϕ das Ersetzungsaxi-om fur die durch ϕ definierte Funktion. Ferner sei M abgeschlossen unterPaarmengen (also PaarM). Dann gilt:

ErsSMϕ ↔∀x ∈M [∀x,y,z ∈M(ϕM(x,y,x)∧ϕ

M(x,z,x)→ y = z)

→∀u ∈M∃z ∈M(∀y ∈M(y ∈ z↔∃x ∈ u ϕM(x,y,x))],

d. h. fur FM := x,y | x,y ∈M∧ϕM(x,y,x) gilt :

ErsSMϕ ↔∀x ∈M [(FM : M→M)→∀u ∈M FM[u] ∈M].

Wie oben benutzen wir allgemein die Relativierung einer Klasse in der Form

x | ϕ(x)M := x ∈M | ϕM(x).

Die Transitivitat haben wir bereits in den Reflexionsprinzipien verstarkt:

strans(M) :↔∀x ∈M ∀y(y ∈ x∨ y⊆ x→ y ∈M) M ist stark transitiv

Beispiel: strans(Vα)

16.4. CHARAKTERISIERUNG INNERER ZF-MODELLE 150

Satz

M sei transitives ZF-Modell. Dann gilt:

(i) OnM = On∩M,

(ii) ∀x ∈M P(x)M = P(x)∩M,

(iii) ∀α ∈ On∩M V Mα = Vα ∩M,

(iv) ∀α ∈ On∩M (Card(α)→CardM(α)),

v) Gilt außerdem strans(M), so ∀α ∈ On∩M V Mα = Vα und damit:

M =

V, falls On⊆M und

Vα f ur α = On∩M sonst.

Die Allklasse V ist somit das einzige stark transitive innere ZF-Modell!

16.4.1 Hauptsatz uber innere ZF-Modelle

M ist ein inneres ZF-Modell gdw es eine Folge (Mα |α ∈On) von Mengen gibt mitfolgenden Eigenschaften (fur alle α,β ,λ ):

(I1) trans(Mα),

(I2) α < β →Mα ⊆Mβ ,

(I3) Lim(λ )→Mλ =⋃

ξ<λ Mξ ,

(I4) Def (Mα)⊆Mα+1 ⊆ P(Mα), und schließlich

(I5) M :=⋃

ξ∈On Mξ .

Beweis: Ist M ein inneres ZF-Modell, so setzen wir Mα = V Mα = Vα ∩M und

erhalten damit eine Folge mit den Eigenschaften (I1)-(I5).Ist umgekehrt eine Folge Mα mit den Eigenschaften (I1)-(I5) vorgegeben, so

ist M transitiv und damit bereits Modell der Axiome Ext,Null,FundS. Nach demErgebnis des Hierarchiesatzes 15.3.1 gilt auch das vollstandige ReflexionsprinzipCRtrans in M (wobei wir Mα ∈M nach (I5) benutzen). Außerdem ist wegen (I5) Mabgeschlossen unter Paarmengenbildung und erfullt das ∆0-Aussonderungsaxiom.Somit bleibt nur der Abschluß von M unter der relativen Potenzmenge zu zeigen:

16.4. CHARAKTERISIERUNG INNERER ZF-MODELLE 151

Sei a∈M, etwa a∈Mα fur ein α . Dann ist P(a)M ⊆M, und da es eine Mengeist, muß es ein β ≥ α geben, so daß P(a)M ⊆Mβ . dann ist aber nach (I5) P(a)M ∈Mβ+1.

Um ein inneres ZF-Modell zu erhalten, sind wir nur im Limesfall festgelegt.Fur den Nachfolgerfall gibt es zwei Extremfalle:

(i) Mα+1 = De f (Mα) bzw.

(ii) Mα+1 = P(Mα).

Legen wir M0 = /0 fest, so ergibt (i) die Klasse M = L der konstruktiblen Mengenund somit das kleinste innere ZF-Modell, wahrend (ii) zur VON NEUMANNscheHierarchie mit M = V als dem großten ZF-Modell fuhrt. Dazwischen liegen mog-licherweise weitere Modelle, die man außerdem noch durch die Festlegung

M0 = TC(a)

fur eine vorgegebene Menge a abwandeln kann.

152

Kapitel 17

Konstruktible Mengen

17.1 Die Hierarchie der konstruktiblen Mengen

GODEL hat 1938 die Hierarchie der konstruktiblen Mengen eingefuhrt:

L0 = /0,

Lα+1 = De f (Lα),

Lλ =⋃

ξ<λ

Lξ fur Limeszahlen λ ,

L :=⋃

α∈On

Lα .

Setzen wir alle Axiome von ZF voraus, so erhalten wir aus dem Hauptsatz16.4.1 uber Innere Modelle:

Satz

L ist inneres ZF-Modell.

Lemma

(i) trans(Lα), also auch trans(L),

(ii) α ≤ β → Lα ⊆ Lβ ,

(iii) Lα ⊆Vα ,

(iv) α < β → α, Lα ∈ Lβ ,

17.2. ABSOLUTHEIT VON L 153

(v) L∩α = Lα ∩On = α,

(vi) α ≤ ω → Lα = Vα ,

(vii) α ≥ ω → |Lα |= |α|.

Beweis: (i) - (iii) beweist man durch Induktion uber α , was sich dann leicht aufden Nachfolgerfall reduzieren laßt, fur den man die Eigenschaften des Definier-barkeitsbegriffes aus 16.3.4 benutzt.

Auch fur (iv) braucht man auch nur α,Lα ∈ Lα+1 zu zeigen, letzteres giltwieder nach 16.3.4. Benutzt man als Induktionsvoraussetzung

∀γ < α γ ∈ Lγ+1,

so gilt α ⊆ Lα nach (ii) und wegen (iii) α = Lα ∩On. Somit

α = x ∈ Lα | OrdLα (x) ∈ Lα+1,

womit wir zugleich auch (v) bewiesen haben. Da fur jedes endliche α auch Vα

endlich ist, so gilt (vi).Wegen (v) gilt |α| ≤ |Lα |, also braucht man fur (vii) nur |Lα | ≤ |α| zu zeigen,

und wegen (vi) konnen wir α ≥ ω annehmen. Sei also |Lα | ≤ |α| fur ein unendli-ches α . Da es nur abzahlbar-viele Formeln fur definierbare Mengen gibt und nachVoraussetzung auch nur ≤ |Lα | ≤ |α|-viele Parameter, so ist auch |Def (Lα)| =|Lα+1| ≤ |α|= |α +1|. Der Limesfall des Induktionsbeweises ist wiederum trivi-al.

17.2 Absolutheit von L

Die rekursive Definition und der Nachweis der wichtigsten Eigenschaften derHierarchie der konstruktiblen Mengen (ohne (vi)) ist bereits in KP∞ und damitsogar in einer endlichen Teiltheorie von KP∞ moglich:

Satz

Es gibt eine Theorie T, die aus endlich-vielen Axiomen von KP∞ besteht und diein allen Modellen der Form Lλ mit Lim(λ )∧λ > ω gelten, so daß:

17.3. EINE DEFINIERBARE WOHLORDNUNG VON L 154

(i) Die Pradikate bzw. die Aussage

b = Def(a), a = Lα , a ∈ Lα sind ∆T1 −de f inierbar,

a ∈ L ist ΣT1 −de f inierbar,

V = L ist ΠT2 −de f inierbar.

(ii) (Absolutheit) Ist M transitives Modell von T (oder sogar von ZF), so gilt:

LMα = Lα fur alle α ∈ On, insbesondere:

LM = L, falls M echte Klasse ist, also On⊆M,

LM = Lα , falls M Menge ist, also α = On∩M fur ein α.

(iii) (Minimalitat, ZF vorausgesetzt) L ist das kleinste innere ZF-Modell.

(iv) LL = L, somit gilt (V = L)L und damit:

Ist ZF widerspruchsfrei, so auch ZF+V = L.

(v) Ist M transitives Modell von T+V = L, so gilt:

M =

L, falls M echte Klasse ist, also On⊆M,

Lα , falls M Menge ist, also α = On∩M fur ein α.

Aus (iv) folgt, daß naturlich auch alle Folgerungen aus der Annahme V = L wi-derspruchsfrei sind relativ zu ZF.

17.3 Eine definierbare Wohlordnung von L

Die Klasse L der konstruktiblen Mengen besitzt eine einfache definierbare Wohl-ordnung, und zwar laßt sich aus einer Wohlordnung einer Menge a

• eine Wohlordnung der endlichen Folgen von Elementen aus a definierenund

• mit einer Wohlordnung aller (abzahlbar-vielen) mengentheoretischen For-meln

erhalt man daraus dann eine Wohlordnung der definierbaren Teilmengen von a:

17.4. DAS KONDENSATIONSLEMMA 155

Satz

Es gibt eine ∆KP-Relation <L und eine ΣKP-Funktion F, die beide bezuglich Labsolut sind, derart daß in KP gilt:

V = L →<L ist Wohlordnung von L, F : On↔ L.

Insbesondere gilt ACL und somit:

Ist ZF widerspruchsfrei, so auch ZF+AC.

Bemerkungen

Offensichtlich istL⊆ HOD⊆V.

Falls V = L, so naturlich auch V = HOD, aber moglich ist auch: L ⊂ HOD =V, L⊂ HOD⊂V, L = HOD⊂V .

17.4 Das Kondensationslemma

Bevor wir zeigen, daß aus V = L auch die allgemeine Kontinuumshypothese GCH

folgt, benotigen wir noch einige Hilfsmittel. Zunachst greifen wir auf unserefruheren Ergebnisse uber Wohlordnungen (6.1) zuruck. Wie dort bemerkt, lassensie sich weitgehend auf fundierte Relationen ubertragen:

Eine Relation R auf einer Klasse A heißt fundiert gdw

(F1) ∀z( /0 6= z⊆ A→∃x ∈ z ∀y ∈ z ¬yRx) Minimalitatsbedingung(F2) ∀y ∈ A Mg(x|xRy) Mengenbedingung

Offenbar muß eine fundierte Relation irreflexiv sein, dagegen ist eine Wohl-ordnung zusatzlich transitiv und connex. Die Transitivitat kann man durch Er-weiterung erreichen (ahnlich wie man die ∈-Beziehung x ∈ y zu einer transitivenRelation x ∈ TC(y) erweitern kann):

aR∗b :↔∃n < ω ∃ f ( f : n+1→V ∧ f (0) = a∧∀i < n f (i)R f (i+1)∧ f (n) = b).

R∗ heißt die Vorfahrenrelation zu R; es gilt namlich aR∗b gdw es eine endlicheR-Kette von a nach b gibt.

17.4. DAS KONDENSATIONSLEMMA 156

Satz

R sei eine fundierte Relation auf A. Dann ist R∗ eine transitive Erweiterung vonR, die ebenfalls fundiert ist.

Mit Hilfe von R∗ kann man nun wie fruher zeigen, daß fur fundierte Rela-tionen R das Prinzip (F1) sich verallgemeinern laßt zum Minimumsprinzip furnicht-leere Teilklassen von A, einem entsprechenden Induktionsprinzip sowie ei-nem Rekursionssatz. Um auch ein Gegenstuck zum fruheren Kontraktionslemma6.5 zu erhalten, benotigen wir noch den Begriff der extensionalen Relation:

R extensional :↔∀x,y ∈ A[∀z ∈ A(zRx↔ zRy)→ x = y].

Daß R extensional ist, bedeutet also gerade, daß das Extensionalitatsaxiom furdie Relation R auf A gilt. Dagegen ist die Fundiertheit von R eine echt starkere Be-dingung als die Gultigkeit des Fundierungsaxioms fur die Struktur (A,R), denn eskonnte durchaus sein, daß es in A keine unendlich-absteigende R-Folge gibt, dafuraber außerhalb von A. Andererseits ist die ∈-Relation fundiert aufgrund des Fun-dierungsaxioms und bleibt fundiert, wenn man sie auf eine Klasse A einschrankt.Somit ist die ∈-Beziehung auf einer transitiven Klasse A ein Beispiel einer fun-dierten und extensionalen Relation und zudem im wesentlichen das einzige:

Isomorphiesatz von Mostowski

R sei eine fundierte und extensionale Relation auf A. Dann existiert genau eineAbbildung F und eine transitive Klasse B, so daß:

F ist ein Isomorphismus: (A,R)∼= (B,∈), d.h.

F : A←→ B mitaRb↔ F(a) ∈ F(b) fur alle a,b ∈ A.

Beweis: Falls ein solches F mit transitivem B = W (F) existiert, muß wie fruhergelten:

(∗) ∀x ∈ A F(x) = F(y) | yRx,

und damit haben wir die Eindeutigkeit. Zum Beweis der Existenz definieren wir Fdurch (*) mittels R-Rekursion und setzen B := W (F). Offenbar gilt dann trans(B)und

F : A B ∧ ∀x,y ∈ A(xRy→ F(x) ∈ F(y)).

17.4. DAS KONDENSATIONSLEMMA 157

Als nachstes zeigen wir die Injektivitat von F , indem wir fur jedes a ∈ A durchR-Induktion zeigen:

∀x ∈ A(F(a) = F(x)→ a = x).

Sei also nach Induktionsvoraussetzung

∀z(zRa→∀x ∈ A(F(z) = F(x)→ z = x)).

Aus F(a) = F(b) folgt dann:

cRa → F(c) ∈ F(a) = F(b)

→ F(c) = F(x) fur ein xRb

→ c = x nach Ind.vor., da cRa

→ cRb.

Ganz analog erhalten wir cRb→ cRa, also die gewunschte Aussage a = b wegender Extensionalitat von R. Schließlich ergibt sich hieraus wie fruher:

F(a) ∈ F(b) → F(a) = F(c) fur ein cRb

→ a = c wegen der Injektivitat von F

→ aRb.

Wahlen wir als Aussage σ die endlich-vielen Axiome der Theorie T+V = L

von 17.2, so erhalten wir mittels des Isomorphiesatzes von MOSTOWSKI das

Kondensationslemma

Es gibt eine Aussage σ , die in allen Modellen der Form (Lλ ,∈) mit Lim(λ ),λ > ω

gilt, so daß fur jedes Modell (a,∈) von σ ein α existiert mit

(a,∈)∼= (Lα ,∈).

Ist außerdem c ⊆ a∧ trans(c), so laßt der Isomorphismus die Elemente von cinvariant, d. h. ist die Identitat auf c.

17.5. DAS COHENSCHE MINIMALMODELL 158

17.5 Das Cohensche Minimalmodell

Wenn ZF widerspruchsfrei ist (was wir hoffen), so besitzt es ein Modell, alsoexistiert eine Menge M und eine darauf erklarte 2-stellige Relation ∈M, so daß(M,∈M) ein Modell von ZF ist, d. h. alle ZF-Axiome sind wahr, wenn Mengen alsElemente von M und die ∈-Beziehung durch die Relation ∈M interpretiert werden.Interessanter ware es sicher, wenn es ein Standardmodell, also ein Modell derForm (a,∈), fur eine Menge a gabe. Diese Forderung konnen wir mit Hilfe desformalisierten Wahrheitsbegriffes sogar als Axiom

SM ∃xSMod(x,ZF) (Existenz eines Standardmodells)

aufschreiben, wenn wir die Menge pZFq definieren als Menge der Codes derAxiome von ZF und SMod(a) :↔ ∀e ∈ pZFq Sat(a,e). Setzen wir nun (außerden ZF-Axiomen) das Axiom SM voraus, so gibt es auch ein Standardmodellvon ZF∗V = L und nach dem Kondensationslemma sogar ein transitives derar-tiges Modell von der Form Lα . Das kleinste derartige Standardmodell von ZF

heißt das COHENsche Minimalmodell, es ist von der Form Lα0 , wobei nach demSatz 15.3.3 von LOWENHEIM-SKOLEM die Ordinalzahl α0 abzahlbar sein muß.In diesem Modell kann es dann offenbar kein Minimalmodell geben, also gilt dasAxiom SM hierin nicht, so daß ZF+V = L+¬SM widerspruchsfrei ist. COHEN

hat es außerdem dazu benutzt zu zeigen, daß man die Methode der Inneren ZF-Modelle nicht verwenden kann, um die Unabhangigkeit des Axioms V = L (undseiner Folgerungen) zu beweisen.

17.6 GCH in L

Es sei a ⊆ κ fur ein unendliches κ und außerdem a ∈ L. Dann ist sicher a ∈ Lα

fur ein α . Wir wollen zeigen, daß ein solches α unabhangig von a gewahlt werdenkann, und zwar mit der Abschatzung α ≤ κ+:

Satz

a⊆ κ ∧ a ∈ L → a ∈ Lκ+.

Beweis: Sei also a ∈ L∧a⊆ κ fur eine unendliche Kardinalzahl κ . Dann gibt eseine Limeszahl λ > κ mit a ∈ Lλ . Mit Hilfe des Satzes 15.3.3 von LOWENHEIM-

17.7. RELATIVE KONSTRUKTIBILITAT 159

SKOLEM erhalten wir eine Menge b ⊆ Lλ mit κ ∪a ⊆ b∧ |b| = κ , so daß bdieselben Formeln erfullt wie Lλ . Nach dem Kondensationslemma ist (b,∈) ∼=(Lβ ,∈) fur ein β , wobei der Isomorphismus die transitive Menge κ ∪a invari-ant laßt. Insbesondere muß κ ∪a ⊆ Lβ sein, und wegen |β | = |Lβ | = |b| = κ

erhalten wir Lβ ⊆ Lκ+ .

Die konstruktiblen Teilmengen von ω sind also bereits Elemente von Lω1 ,allgemeiner erhalten wir wegen |Lκ+|= κ+ fur unendliche Kardinalzahlen κ als

Folgerung

V = L→ GCH, insbesondere :

Ist ZF widerspruchsfrei, so auch ZF+AC+GCH.

17.7 Relative Konstruktibilitat

Der Begriff der Konstruktibilitat laßt sich relativieren auf eine vorgegebene Men-ge a: Setzt man

L0[a] = TC(a),Lα+1[a] = Def (Lα [a]),

Lλ [a] =⋃

ξ<λ

Lξ [a] fur Limeszahlen λ ,

L[a] :=⋃

α∈=On

Lα [a],

so erhalt man das kleinste innere ZF-Modell M mit a ∈ M. Abgewandelt kannman auch eine Klasse L(a) definieren, so daß L(a) das kleinste innere ZF-ModellM ist mit a∩M ∈M. (In der Literatur findet man meistens beide Bezeichnungenvertauscht!) Dabei gilt:

• V = L(a)→AC, wahrend in L[a] das Auswahlaxiom nicht zu gelten braucht.(Interessant ist hier vor allem der Fall a = R.)

• V = L[a]→∀α(|TC(a)| ≤ℵα → 2ℵα = ℵα+1), speziell:

• V = L[a]∧a⊆ ω → GCH.

17.7. RELATIVE KONSTRUKTIBILITAT 160

Auch die COHENschen Modelle, mit denen die Unabhangigkeit etwa von CHgezeigt wurde, sind Modelle relativer Konstruktibilitat, aber Mengen, und zwargehen sie von einem abzahlbaren Modell von ZF + AC (wie etwa dem Mini-malmodell) aus und erweitern es fur eine geeignete (“generische”) Menge G⊆Mzu einem Modell der Form M[G], wobei G ∈ M[G], aber M und M[G] dieselbenOrdinalzahlen besitzen. G enthalt dabei die notwendige Information, um z. B. zuerzwingen, daß in M[G] : 2ℵ0 > ℵ1 gilt (forcing-Methode).

161

Teil VII

Große Zahlen undnichtunterscheidbare Mengen

162

Kapitel 18

Große Kardinalzahlen

Wann ist eine Kardinalzahl κ “groß”? Ist dann nicht κ +1 noch “großer”?

18.1 Große endliche Zahlen

Dieses Problem stellt sich naturlich schon bei den naturlichen Zahlen. Lange Zeitwar eine Zahl von SKEWES die großte in einem sinnvollen Beweis benutzte Zahl 1,abgelost wurde sie kurzlich durch Grahams Zahl2 (nach RONALD L. GRAHAM):sie ist eine obere Grenze fur ein Problem der Ramsey-Theorie:

In einem n-dimensionalen Hyperwurfel seien alle Punkte (Knoten)je paarweise durch eine Kante verbunden, so daß ein vollstandigerGraph auf 2n Knoten entsteht. Diese Kanten werden nun mit jeweilseiner von zwei Farben eingefarbt. Es ergibt sich die Frage, wie groß nsein muß, damit es immer mindestens einen gleichfarbigen vollstan-digen Untergraphen gibt, der aus 4 Knoten besteht, die in einer Ebeneliegen. Anders ausgedruckt: Ab welcher Dimension tritt notgedrun-gen die genannte Form von Ordnung auf? Das Problem wurde nochnicht gelost. Graham und Rothschild (1971) haben gezeigt, daß nmindestens 6 ist, EXOO (2003) zeigte, daß n ≥ 11. Grahams Zahlist andererseits eine obere Grenze fur dieses Problem, d. h. n < G64.

1http://mathworld.wolfram.com/SkewesNumber.html2im folgenden zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Grahams Zahl

18.2. GROSSE UNENDLICHE ZAHLEN 163

Grahams Zahl ist so groß, daß sie am besten mit Knuths Pfeil-Schreibweiseausgedruckt werden kann:

m ↑ n = m ·m · . . . ·m︸ ︷︷ ︸n−mal

m ↑↑ n = m ↑ m ↑ . . . ↑ m︸ ︷︷ ︸n−mal

m ↑↑↑ n = m ↑↑ m ↑↑ . . . ↑↑ m︸ ︷︷ ︸n−mal

...

Hierbei ist zu beachten, daß der Potenzoperator nicht assoziativ ist. Der klam-merfrei notierte Ausdruck ist deshalb mehrdeutig; in diesem Fall ist er von rechtszu klammern, d. h. beispielsweise ist m ↑m ↑m = m ↑ (m ↑m) zu lesen. Diese Ab-arbeitungsreihenfolge ist auch gerade diejenige, bei der die großten Endergebnis-se hervorgebracht werden. Ausgestattet mit dieser Notation kann man eine Folgebilden, die durch die folgenden Regeln rekursiv definiert ist:

G0 = 4

Gn+1 = 3↑↑↑ . . . ↑︸ ︷︷ ︸Gn−mal

3

Grahams Zahl ist nun definiert als G = G64. Zur besseren Veranschaulichung,wie extrem groß die Grahams Zahl ist, werden hier die Ergebnisse der erstenSchritte angegeben:

3 ↑ 3 = 27

3 ↑↑ 3 = 7.625.597.484.987

Bereits G1 laßt sich nicht mehr vernunftig in der ublichen Exponentialdarstel-lung ausdrucken. Trotzdem kann man die letzten Stellen von Grahams Zahl mitelementarer Zahlentheorie bestimmen: die letzten 10 Stellen sind 2464195387.

18.2 Große unendliche Zahlen

Gegenuber den naturlichen Zahlen ist ω als erste unendliche Zahl naturlich “sehrgroß”. Als neuen Ansatz konnte man versuchen:

18.2. GROSSE UNENDLICHE ZAHLEN 164

κ ist groß ⇐⇒ κ hat hinsichtlich kleinerer Zahlen ahnliche Eigenschaften wieω gegenuber den naturlichen Zahlen.

So gelangt man schnell zur Forderung, daß eine “große” Zahl eine Limeszahl,regular, sogar unerreichbar sein soll und weitere Eigenschaften erfullen soll, diewir spater einfuhren werden (die RAMSEY-Eigenschaft, meßbar . . . ).

Ein weiterer Ansatz geht von der Uberlegung aus, daß On die großte Ordinal-(und Kardinal-) Zahl ware, wenn es nur eine Menge ware:

κ ist groß ⇐⇒ κ hat ahnliche Eigenschaften wie On.

Mit geeignet gewahlten Eigenschaften gelangt man schnell zu den unerreichbarenKardinalzahlen oder - je nach Prazisierung - zu Widerspruchen! Mit Hilfe despartiellen Reflexionsprinzips erhalten fur jede Aussage σ der ZF-Sprache:

σOn→∀α∃κ(α < κ ∧σ

κ).

Aus dem Beweis des Hierarchiesatzes 15.3.1 ergibt sich, daß es sogar sehrviele δ gibt, die eine Eigenschaft σ aller Ordinalzahlen reflektieren, und zwar soviele, daß jede Normalfunktion einen Fixpunkt besitzt, welcher die Eigenschaft σ

reflektiert.

Definition

Limespunkte von A : A′ := α > 0 | α = ∪(A∩α),A⊆ On unbeschrankt : ↔

⋃A = On,

A⊆ On abgeschlossen : ↔ ∀x⊆ A(x 6= /0→⋃

x ∈ A),

A⊆ On club : ↔ A abgeschlossen und unbeschrankt.

(club steht als Abkurzung fur closed unbounded). Offensichtlich gilt:

Lemma

Es sei A⊆ On.

(i) A′ ist stets abgeschlossen; falls A unbeschrankt ist, so ist A′ club.

(ii) N f t(F)→W (F) club, und umgekehrt:

(iii) Ist A club, so A=W(F) fur eine Normalfunktion F (namlich die monotoneAufzahlung von A).

18.2. GROSSE UNENDLICHE ZAHLEN 165

Somit gilt:

A club↔∃F (N f t(F)∧A = W (F)),

was allerdings eine Aussage in der Mengenlehre 2. Stufe ist, ebenso wie die Defi-nition:

A stationar:↔∀F (N f t(F)→ A∩W (F) 6= /0),

die wir aber immerhin noch als Schema auffassen konnen, wie etwa etwa in derfolgenden Verstarkung des partiellen Reflexionsprinzips:

σOn∧N f t(F)→∃κ(F(κ) = κ ∧σ

κ),

welches ausdruckt, daß jede Eigenschaft σ , die fur die Klasse aller Ordinalzahlengilt, sogar fur eine stationare Klasse von Ordinalzahlen gilt. Die entsprechendrelativierten Begriffe konnen wir im Rahmen von ZF definieren:

Definition

a unbeschrankt in κ : ↔ a⊆ κ ∧⋃

a = κ,

a abgeschlossen in κ : ↔ ∀x⊆ κ(x⊆ a∧ x 6= /0→⋃

x ∈ κ ∪κ),a club in κ : ↔ a abgeschlossen und unbeschrankt in κ,

a stationar in κ : ↔ ∀x (x club in κ → x∩a 6= /0).

(Statt unbeschrankt haben wir fruher confinal gesagt.) Der Durchschnitt von zweiclub-Mengen kann leer sein: ℵ2n | n < ω und ℵ2n+1 | n < ω sind beide clubin ℵω , haben aber leeren Durchschnitt. Dagegen gilt:

Lemma

Es sei κ eine Kardinalzahl mit c f (κ) > ω . Dann ist der Durchschnitt von zweiMengen, welche club in κ sind, wieder club in κ .

Beweis: Sind a,b abgeschlossen in κ , so auch a∩ b, wahrend der Durchschnittunbeschrankter Mengen nicht wieder unbeschrankt, sondern sogar sogar leer seinkann. Es seien also nun a,b club in κ . Um die Unbeschranktheit von a∩ b zuzeigen, sei α < κ . Dann wahlt man eine aufsteigende Folge (γn|n < ω) mit γn < κ

undα < γ0 ∧ γ2n ∈ a ∧ γ2n+1 ∈ b,

18.3. IDEALE UND FILTER 166

was wegen der Unbeschranktheit der Mengen a,b moglich ist. Wegen c f (κ) > ω

ist das Supremum γ dieser Folge < κ und zugleich γ ∈ a wegen γ =⋃

n<ω γ2n

und der Abgeschlossenheit von a, ebenso γ ∈ b wegen γ =⋃

n<ω γ2n+1 und derAbgeschlossenheit von b. (Auf ahnliche Weise zeigt man, daß der Durchschnittvon < c f (κ)-vielen club Teilmengen von κ wieder eine club Teilmengen von κ

ist.)

Vergleicht man verschiedene Begriffe einer “großen Kardinalzahl”, so zeigtsich, daß meistens der starkere Begriff gleich wesentlich starker ist:

Ist die kleinste κ-Zahl großer als die kleinste λ -Zahl,so gibt es unterhalb jeder λ -Zahl λ -viele κ-Zahlen.

Damit erhalten wir einen weiteren Ansatz:

κ ist groß ⇐⇒ es gibt unterhalb κ “sehr viele” kleinere Zahlen.

Um zu erklaren erklaren, was “sehr viele” Zahlen sind, benutzt man in vielenGebieten der Mathematik den Begriff des Ideals bzw. des Filters, um die wichtig-sten Eigenschaften “kleiner” bzw. “großer” Mengen festzulegen:

18.3 Ideale und Filter

Es sei a 6= /0 eine Menge. Eine Menge F ⊆ P(a) heißt (echter) Filter auf a gdw

(F1) /0 6∈ F ∧a ∈ F ,

(F2) x ∈ F ∧ x⊆ y⊆ a→ y ∈ F ,

(F3) x,y ∈ F → x∩ y ∈ F .

Fur einen Ultrafilter gilt zusatzlich

(F4) ∀x⊆ a (x ∈ F ∨a− x ∈ F).

Eine Menge I ⊆ P(a) heißt Ideal auf a gdw

(I1) /0 ∈ I∧a 6∈ I,

(I2) x ∈ I ∧ y⊆ x⊆ a→ y ∈ I,

(I3) x,y ∈ I→ x∪ y ∈ I.

Ist F ein Filter (bzw. Ultrafilter), so ist die Menge a− x | x ∈ F ein Ideal,das duale Ideal, und umgekehrt.

18.3. IDEALE UND FILTER 167

Beispiele und Bemerkungen

1. Der einfachste Filter auf a 6= /0 ist die Menge a, /0 ist das einfachsteIdeal.

2. Fur jedes /0 6= x ⊆ a ist < x >:= z ⊆ a | x ⊆ z ein Filter, der von x er-zeugte Hauptfilter. Dieser ist ein Ultrafilter genau dann, wenn x nur einElement besitzt. Interessanter sind Ultrafilter, die keine Hauptfilter sind, siewerden auch freie Ultrafilter genannt (wahrend die Hauptultrafilter durchein Element fixiert sind).

3. Hat a = x,y zwei Elemente x 6= y, so gibt es auf a die Filter a,x,aund y,a; die letzten beiden sind Hauptultrafilter, a ist zwar Hauptfil-ter, aber kein Ultrafilter. Allgemeiner ist auf einer endlichen Menge a jederFilter ein Hauptfilter (erzeugt vom Durchschnitt der endlich-vielen Elemen-te des Filters).

4. Auf einer unendlichen Menge a ist

x⊆ a | x endlich ein Ideal mit

x⊆ a | x co-endlich (d.h. a− x endlich) als dualem Filter

auf a, der kein Hauptfilter (und auch kein Ultrafilter) ist und welcher imFalle a = N FRECHET-Filter genannt wird. Ultrafilter, die den obigen Filtererweitern, konnen keine endlichen Mengen als Elemente enthalten und sindsomit freie Ultrafilter.

5. Auf der Menge der reellen Zahlen ist die Menge

x⊆ R | x hat Lebesgue-Maß 0

ein Ideal, welches kein Hauptideal ist.

6. Es sei κ eine Kardinalzahl mit c f (κ) > ω . Dann ist

x⊆ κ | ∃y⊆ κ(y club ∧ y⊆ x)

ein Filter, der club-Filter auf κ . Das duale Ideal besteht aus den Teilmengenvon κ , welche nicht stationar in κ sind.

18.3. IDEALE UND FILTER 168

7. Fur eine unendliche Kardinalzahl κ ist

x⊆ κ | |x|< κ

ein Ideal auf κ , der zugehorige duale Filter heißt auch Kardinalzahlfilter aufκ .

8. Unter den Anwendungen des Auswahlaxioms haben wir fruher bereits dasBOOLEsche Primideal-Theorem BPI erwahnt, welches besagt, daß jederFilter zu einem Ultrafilter erweitert werden kann. Soweit nicht anders ver-merkt, sind die Filter in den obigen Beispielen keine Ultrafilter, besitzenaber Erweiterungen zu freien Ultrafiltern.

Fur eine Kardinalzahl κ ist ein Filter F κ-vollstandig gdw er unter Durch-schnitten von weniger als κ-vielen Elementen abgeschlossen ist:

α < κ ∧ ∀ξ < α xξ ∈ F →⋂

ξ<α

xξ ∈ F.

Jeder Filter ist somit ℵ0-vollstandig; ℵ1-vollstandige Filter (die also unterabzahlbaren Durchschnitten abgeschlossen sind) nennt man auch σ -vollstandig,ahnlich fur Ideale. Die LEBESGUE-meßbaren Mengen vom Maß 0 bilden eine σ -vollstandiges Ideal, der club-Filter sowie der Kardinalzahlfilter auf einer regularenKardinalzahl κ sind κ-vollstandig (allgemeiner ist der club-Filter auf einer Kar-dinalzahl κ stets c f (κ)-vollstandig). Der club-Filter besitzt zudem eine weitereAbgeschlossenheitsbedingung: Ein Filter F auf κ ist unter diagonalem Durch-schnitt abgeschlossen gdw

∀ξ < κ aξ ∈ F → ∆ξ<κaξ := α < κ | ∀ξ < α α ∈ aξ ∈ F.

Ist κ > ω regular, so ist der club-Filter auf κ unter diagonalem Durchschnittabgeschlossen. Diese Eigenschaft fuhrt zum

Satz von Fodor

Es sei κ > ω regular, s ⊆ κ stationar in κ und f : s→ κ mit ∀α ∈ s f (α) < α .Dann existiert eine stationare Teilmenge t ⊆ s, so daß f auf t konstant ist.

Dieses Ergebnis gilt ubrigens auch fur Funktionen auf stationaren Teilklassenvon On und erklart die Bezeichnung “stationar”.

18.4. MAHLOSCHE ZAHLEN 169

Beweis: Angenommen, fur alle ξ < κ waren die Mengen

aξ := α ∈ s | f (α) = ξ

nicht stationar. Dann gabe es fur alle ξ < κ club Mengen cξ mit cξ ∩aξ = /0. Derdiagonale Durchschnitt ∆ξ<κcξ ist dann club, trifft also die stationare Menge s ineinem α , wo einerseits f definiert ist, andererseits ∀ξ < α f (α) 6= ξ ist, was aberder Vorraussetzung f (α) < α widerspricht!

18.4 Mahlosche Zahlen

In seinen Arbeiten von 1911-13 untersuchte PAUL MAHLO3 Prinzipien zur Er-zeugung großer Kardinalzahlen. Große Kardinalzahlen sollten zumindest regularsein, wir gehen daher aus von der Klasse der (unendlichen) regularen Kardinal-zahlen

Reg := κ ≥ ω | κ regular.

Diese Klasse ist unbeschrankt, aber nicht abgeschlossen (ℵω ist Supremum vonregularen Kardinalzahlen, aber selbst nicht regular). Ist die Klasse der regularenZahlen stationar? In ZF ist diese Aussage nicht beweisbar, andererseits gilt offen-bar fur fur jede Teilmenge a⊆ κ einer regularen Kardinalzahl κ:

a unbeschrankt↔ |a|= κ.

Ist C = cξ | ξ ∈ On die monotone Aufzahlung einer club Klasse C, so sind dieregularen Limespunkte von C genau die Fixpunkte der Aufzahlung (also κ mitκ = cκ ). Ist andererseits A eine unbeschrankte Klasse von Ordinalzahlen, so istA′ club und ein Fixpunkt dieser Klasse ist ein Limespunkt von A. Daß die KlasseReg stationar ist, besagt also gerade, daß fur jede unbeschrankte Klasse A ⊆ Ondie Klasse

F(A) := A′∩Reg = κ | reg(κ)∧A∩κ unbeschrankt in κ

nicht-leer ist. Als Schema in ZF ausgedruckt, ist dies gerade das

3Uber lineare transfinite Mengen; Zur Theorie und Anwendung der ρ0-Zahlen. Berichte uberdie Verhandlungen der Konigl. Sachsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Math.-Phys. Klasse 63, 187-225, ibid. 64, 108-112, ibid. 65; 268-282

18.4. MAHLOSCHE ZAHLEN 170

MAHLOsche Fixpunktprinzip

Jede unbeschrankte Klasse besitzt einen regularen Limespunkt (und damit beliebiggroße):

A unbeschrankt → F(A) 6= /0

→ F(A) unbeschrankt.

Angewandt auf die unbeschrankte Klasse der regularen Zahlen liefert es dieExistenz der schwach-unerreichbaren Zahlen (als 1-schwach-unerreichbaren Zah-len) sowie allgemeiner unbeschrankt vieler schwach-unerreichbaren Zahlen vomendlichen Grad n:

wIn(0) : = κ | reg(κ)= Reg

wIn(1) : = κ | reg(κ)∧Reg∩κ unbeschrankt inκwIn(2) : = κ | reg(κ)∧ sIn(1)∩κ unbeschrankt inκwIn(3) : = κ | reg(κ)∧ sIn(2)∩κ unbeschrankt inκ

. . .

Um auch die ω-schwach-unerreichbaren Zahlen zu erhalten (oder allgemein uberdie Limes-Iteration herauszugelangen), muß man es verstarken. Stattdessen gehenwir gleich zu dem starkeren (und besser anwendbaren)

MAHLOschen Prinzip

uber, welches uber das Fixpunktprinzip hinausfuhrt und das man als ein Beispielfur die Reflexion der Eigenschaft 2. Stufe stationar auffassen kann: Setzt man

ST (A) := κ | reg(κ)∧A∩κ stationar in κ,

so besagt das MAHLOsche Prinzip:

A stationar→ ST (A) stationar.

Beginnt man mit der Klasse On aller Ordinalzahlen, die offensichtlich stationarist, so ergibt eine erste Anwendung des MAHLOschen Prinzips, daß ST (On) stati-onar ist. Diese Klasse besteht aus den regularen Kardinalzahlen κ (= MAHLOscheZahlen vom Grad 0), so daß die kleineren regularen Zahlen eine stationare Teil-menge von κ bilden (= MAHLOsche Zahlen vom Grad 1). Durch wiederholte An-

18.5. MESSBARE ZAHLEN 171

wendung des MAHLOschen Prinzips erhalt man dann die Existenz stationar-vieler(schwach) Mahloscher Zahlen vom endlichen Grad n:

Ma(0) : = κ | reg(κ)= Reg

Ma(1) : = κ | reg(κ)∧Reg∩κ stationar inκMa(2) : = κ | reg(κ)∧Ma(1)∩κ stationar inκMa(3) : = κ | reg(κ)∧Ma(2)∩κ stationar inκ

. . .

Ersetzt man im MAHLOschen Prinzip die Eigenschaft regular durch (stark)unerreichbar, so erhalt man die Existenz der Mahloschen Zahlen als unerreich-bare Kardinalzahlen (wahrend die obigen Zahlen nur schwach unerreichbar sind).Verstarkungen des obigen Prinzips erlauben es, den Prozeß fortzufuhren und auchnoch zu diagonalisieren:

MAHLOsche Zahlen κ vom Grad κ =hyper-MAHLOsche Zahlen vom Grad 0,

hyper-hyper-MAHLOsche Zahlen,hyper-hyper. . . hyper-MAHLOsche Zahlen,

κ-hyper-MAHLOsche Zahlen,. . .

Es zeigt sich ein weiterer Ansatz, zu großen Kardinalzahlen zu kommen, indemman von den regularen Zahlen ausgeht und diese Klasse immer weiter “verdunnt”:“kleine” Zahlen werden nach und nach ausgesondert, so daß schließlich nur die“großen” Zahlen in “großen” Abstanden ubrigbleiben.

18.5 Meßbare Zahlen

Wir haben bereits gesehen, das als Folge des Auswahlaxioms Mengen existieren,die nicht LEBESGUE-meßbar sind, wobei der Satz von VITALI zeigte, daß BA-NACH verallgemeinerte das Problem, indem er die Translationsinvarianz wegließund triviale Falle durch die Forderung ersetzte, daß m(x) = 0 ist fur alle reel-len Zahlen x. Nach BANACH-KURATOWSKI 1929 gibt es aber auch hierfur keineLosung, wenn man die Kontinuumshypothese annimmt. Benutzt man die Transla-tioninvarianz, so kann man das Maßproblem auf Mengen A⊆ [0,1] beschranken,

18.5. MESSBARE ZAHLEN 172

das Einheitsintervall durch eine beliebige Menge I ersetzen und das Maß dort auf1 normieren. Damit stellt sich die Frage, ob es eine nicht-leere Menge M gibt miteiner Maßabbildung

m : P(M)→x | x ∈ R∧ x≥ 0,

die folgende Bedingungen erfullt:

(M1) m(M) = 1 normiert

(M2) ∀x ∈M m(x) = 0 nicht-trivial

(M3) ist (Ai | i < ω) eine abzahlbare Folge von Mengen ⊆M, so istm(

⋃i<ω Ai) = ∑i<ω m(Ai), σ -additiv

Hier kommt es nun auf die Struktur auf der Menge M uberhaupt nicht mehr an, sodaß man M durch eine Kardinalzahl κ ersetzen kann. Eine Funktion m auf P(κ),welche obere Bedingungen erfullt, heißt Maß auf κ . Eine naturliche Verstarkungvon (M3) ist die κ-Additivitat:

Ist γ < κ und (Aξ | ξ < λ ) eine Folge disjunkter Teilmengen von κ , so ist

m(⋃

ξ<γ

Aξ ) = ∑ξ<γ

m(Aξ ).

(Dabei ist unter der transfiniten Summe das Supremum aller Summen von endli-chen Teilmengen zu verstehen; ω1-additiv ist also σ -additiv.) BANACH zeigte nunden

Satz

Ist κ die kleinste Kardinalzahl, welche ein Maß besitzt, so ist jedes Maß auf κ

bereits κ-additiv.

Beweis: Angenommen, m ware ein Maß auf κ , welches nicht κ-additiv ist. danngibt es also fur ein γ < κ eine Folge (Aξ | ξ < γ) disjunkter Teilmengen von κ ,so daß m(

⋃ξ<γ Aξ ) 6= ∑ξ<γ m(Aξ ). Da ein Maß stets σ -additiv ist, muß γ > ω

sein, und man kann leicht zeigen, daß es nur abzahlbar-viele Aξ geben kann mitm(Aξ ) > 0. Laßt man diese weg, so kann man wegen der σ -Additivitat annehmen,daß stets m(Aξ ) = 0, wahrend ∑ξ<γ m(Aξ ) = r > 0. Dann erhalt man aber mittels

m(X) =m(

⋃ξ∈X Aξ )r

ein Maß uber γ < κ im Widerspruch zur Minimalitat von κ .

18.5. MESSBARE ZAHLEN 173

Bemerkungen und Definitionen

1. Ist m ein Maß auf κ , so ist

• Im := x ⊆ κ | m(x) = 0 ein ω1-vollstandiges Ideal auf κ , welcheskein Hauptideal ist,

• Fm := x ⊆ κ | m(x) = 1 ein ω1-vollstandiger Filter auf κ , welcherkein Hauptfilter ist.

2. Ein 2-wertiges Maß ist ein Maß, welches nur die Werte 0 und 1 annimmt.In diesem Fall ist der entsprechende Filter Fm ein Ultrafilter (und Im einPrimideal).

Ist umgekehrt U ein ω1-vollstandiger Filter auf κ , welcher kein Hauptfilterist, und definiert man eine Abbildung m : P(κ)→0,1 durch

m(x) =

1 falls x ∈U,

0 sonst,so erhalt man ein 2-wertiges Maß m auf κ .

3. Ein Filter, welcher kein Hauptfilter ist, heißt freier Filter.

4. κ sei eine uberabzahlbare Kardinalzahl. Dann heißt

κ reell-wertig meßbar : ↔ ∃m(m κ-additives Maß auf κ)

κ meßbar : ↔ ∃m(m κ-additives 2-wertiges Maß auf κ)

↔ ∃U(U κ-vollstandiger freier Ultrafilter auf κ)

Da man (mit Hilfe des Auswahlaxioms) den FRECHET-Filter der co-endlichenMengen von naturlichen Zahlen zu einem Ultrafilter auf ω erweitern kann, derdann kein Hauptfilter sein kann, erfullt auch ω die Bedingung, die an eine meß-bare Kardinalzahl gestellt werden kann, wird aber i. a. nicht dazugerechnet, da dieuberabzahlbaren meßbaren Zahlen zu den großen Kardinalzahlen gehoren, derenExistenz man in ZFC nicht beweisen kann. Tatsachlich gilt:

• jede reell-wertig meßbare Kardinalzahl κ ist schwach unerreichbar,

• jede meßbare Kardinalzahl κ ist (stark) unerreichbar (aber nicht umge-kehrt),

18.5. MESSBARE ZAHLEN 174

• ist κ reell-wertig meßbar, so ist κ meßbar oder κ ≤ 2ℵ0

(ist also κ reell-wertig meßbar, aber nicht meßbar, so muß 2ℵ0 sehr großsein).

Die kleinste unerreichbare Zahl ist noch nicht meßbar, tatsachlich liegen untereiner unerreichbaren Zahl κ κ-viele kleinere unerreichbare Zahlen, und wahrenddie Existenz einer unerreichbaren Zahl noch mit der Annahme V = L vertraglichist, widerspricht die Existenz einer meßbaren Zahl diesem Axiom, hat dafur aberweitere Konsequenzen fur die projektive Hierarchie:

Satz

In der Theorie ZFC+MC : “es existiert eine meßbare Kardinalzahl” ist beweis-bar:

• ΣΣΣ12-Mengen haben die Perfekte-Mengen-Eigenschaft (P) und erfullen damit

auch die Kontinuumshypothese,

• ΣΣΣ12- und ΠΠΠ1

2-Mengen haben die BAIRE-Eigenschaft und sind LEBESGUE-meßbar.

Ist κ eine RAMSEY-Zahl, also κ→ κ22 , so gilt das MAHLOsche Prinzip fur Vκ

(also unterhalb von κ): κ ist eine MAHLOsche Zahl vom Grad κ , es gibt unterhalbvon κ unbeschrankt-viele MAHLOsche Zahlen α vom Grad α , . . .

175

Kapitel 19

Homogene Mengen

19.1 Das Schubfachprinzip

besagt in seiner einfachsten Form:

Verteilt man n Elemente in m < n-viele Schubladen, so muß eine der Schubla-den mindestens 2 Elemente enthalten.

Die Verallgemeinerung auf unendliche Mengen lautet:

Ist eine unendliche Menge a zerlegt in endlich-viele Mengen, so muß wenigstenseine dieser Mengen unendlich sein:

a = a0 ∪ . . . ∪ak unendlich →∃i≤ k (ai unendlich) .

Noch etwas allgemeiner erhalten wir das

Das Schubfachprinzip fur regulare Kardinalzahlen

reg(κ) ∧ λ < κ ∧ κ =⋃

ξ<λ

aξ →∃x⊆ κ ∃ξ < λ (|x|= κ ∧ x⊆ aξ )

Zur weiteren Verallgemeinerung setzen wir

[a]n := x⊆ a | |x|= nMenge der n-elementigen Teilmengen von a.

Satz von Ramsey (1930)

a unendlich∧ [a]n = a0 ∪ . . . ∪ak→∃x⊆ a ∃i≤ k ([x]n ⊆ ai ∧ x unendlich).

19.1. DAS SCHUBFACHPRINZIP 176

Eine Zerlegung [a]n = a0 ∪ . . . ∪ak in k+1 Teile kann man auch als eine Abbil-dung f : [a]n→ 0, . . . ,k auffassen. Daher stellen die folgenden Pfeilrelationeneine Verallgemeinerung dar, wobei n < ω und α eine Kardinalzahl sei:

κ −→ (α)nγ :↔ ∀ f ( f : [κ]n→ γ

→∃x⊆ κ (|x|= α ∧∀u,v ∈ [x]n f (u) = f (v))),

d. h. jede Zerlegung der n-elementigen Teilmengen von κ besitzt eine Teilmen-ge x ⊆ κ von der Machtigkeit α , so daß f auf den n-elementigen Teilmengenvon x konstant ist (d. h. daß alle n-elementigen Teilmengen von x in derselbenTeilmenge liegen). Eine derartige Menge x nennt man auch homogen (oder nicht-unterscheidbar) fur f . Beachte, daß die obige Relation erhalten bleibt, wenn mandie Zahlen auf der linken Seite vom Pfeil vergroßert bzw. die Werte auf der rech-ten Seite verkleinert. Im wichtigsten Fall γ = 2 laßt man den unteren Index haufigweg.

Der Satz von RAMSEY besagt mit dieser Bezeichnungsweise:

ω −→ (ω)nm fur alle n,m < ω

Zur Verallgemeinerung dieses Satzes definieren wir die Beth-Funktion durch

i0(α) = α, iβ+1 = 2iβ (α), iλ (α) =⋃

ξ<λ

iξ (α) fur Lim(λ ).

Damit gilt nach ERDOS-RADO fur alle n,m < ω, α unendliche Kardinalzahl:

in(α)+ −→ (α+)n+1m ,

wobei dies Ergebnis optimal ist in dem Sinne, daß man in(α)+ nicht durch in(α)ersetzen kann.

Ubungsaufgabe: Es gilt 2κ 6−→ (3)2κ .

Von besonderen Interesse sind die RAMSEYschen Zahlen κ −→ (κ)22 fur κ >

ω; diese Zahlen sind (stark) unerreichbar, die Menge λ < κ | λ unerreichbarder kleineren unerreichbaren Zahlen ist stationar in κ , ebenso die Menge der klei-neren MAHLOschen Zahlen vom Grad < κ , usw. Zugleich haben diese Zahlenweitere interessante Charakterisierungen (schwach kompakt, Baum-Eigenschaft,Π1

1-unbeschreibbar)1.

1s. z. B. DRAKE, F.R. Set Theory. An Introduction to Large Cardinals Amsterdam 1974, Ch.10, § 2

19.2. L KANN SEHR KLEIN SEIN 177

19.2 L kann sehr klein sein

Eine Verallgemeinerung der Relation κ −→ (α)nγ mit ω statt n fuhrt zum Wi-

derspruch mit dem Auswahlaxiom, ist aber moglich im Rahmen des Axioms derDeterminiertheit2. Dagegen ist ohne Verletzung des Auswahlaxioms vermutlichnoch folgende Verallgemeinerung moglich:

Definition

[X ]<ω :=⋃

n<ω

[X ]n Menge der endlichen Teilmengen von X

Ist f : [X ]<ω → λ , so heißt

Y ⊆ X homogen fur f :↔∀n < ω ∀x,y ∈ [X ]n f (x) = f (y),

und die gewunschte Verstarkung ist die infinitare Pfeilrelation

κ −→ (α)<ω

λ:↔∀ f ( f : [X ]<ω → λ →∃y⊆ κ(o.t.(y) = α ∧ y homogen fur f )).

Fur ω −→ (α)<ω2 gibt es ein einfaches Gegenbeispiel; ist κ(α) das kleinste κ

mit κ −→ (α)<ω2 , so ist dieses fur α = ω bereits sehr groß (wenn es uberhaupt

existiert), insbesondere unerreichbar und erheblich großer als die erste Zahl κ > ω

mit der RAMSEY-Eigenschaft κ −→ (κ)22. Die ERDOS-Zahlen κ(α) lassen sich

besonders gut mit modelltheoretischen Methoden untersuchen:Ist M eine Struktur auf der Menge M (hier insbesondere etwa M = (M,∈))

und X ⊆ M durch eine Relation < geordnet, so heißt (X ,<) eine Menge nicht-unterscheidbarer (n.u.) Elemente fur M gdw fur alle Formeln ϕ(v1, . . . ,vn) undalle aufsteigenden Folgen x1 < .. . < xn,y1 < .. . < yn von Elementen von X gilt:

M |= ϕ[x1, . . . ,xn] ⇐⇒ M |= ϕ[y1, . . . ,yn].

Nach einem Satz von EHRENFEUCHT-MOSTOWSKI besitzt jede Theorie T,die unendliche Modelle besitzt, zu jeder unendlichen geordneten Menge (X ,<)ein Modell, welches X als Menge n.u. Elemente enthalt. J. SILVER benutzte diePartitionszahlen, um zu jeder Struktur eine Menge von n.u. Elementen zu erhalten:

2s. KLEINBERG, E.M. Infinitary combinatorics and the axiom of determinateness. SpringerLNM 612 (1977) oderKANAMORI, A. The Higher Infinite. Large Cardinals in Set Theory from Their Beginnings. Sprin-ger 2003

19.2. L KANN SEHR KLEIN SEIN 178

Satz von Silver

Fur unendliche Limeszahlen α sind folgende Aussagen aquivalent:

(i) κ −→ (α)<ω2

(ii) jede Struktur M (zu einer abzahlbaren Sprache) mit κ ⊆ M enthalt eineTeilmenge X ⊆ κ vom Ordnungstyp α , welche n.u. fur M ist.

Anwendung auf L

Falls κ −→ (α)<ω2 fur ein abzahlbares α gilt, so gilt dies auch in L, fur uberabzahl-

bares α konnte SILVER jedoch zeigen, daß dann L “sehr klein” sein muß:

Falls κ −→ (ω1)<ω2 , so gilt: Es gibt eine Klasse X ⊆On mit folgenden Eigen-

schaften:

1. X ist club in On,

2. X enthalt alle uberzahlbaren Kardinalzahlen: ℵα ∈ X fur alle α > 0,

3. L wird von X in folgendem Sinne erzeugt: jedes x∈ L ist in L definierbar mitHilfe endlich-vieler Elemente von X als Parameter,

4. (X ,∈) ist eine Klasse von n.u. Elementen fur (L,∈),

5. jede in L ohne Parameter definierbare Menge ist (in V) abzahlbar.

Insbesondere sind also die folgenden in L definierten Mengen, die in L selbstuberabzahlbar sind, (in V ) abzahlbar:

• die Menge der reellen Zahlen in L,

• P(ω)L, die erste uberabzahlbare Kardinalzahl ωL1 von L,

• die kleinste in L unerreichbare Zahl, . . .

Dagegen sind die (wirklichen) uberabzahlbaren Kardinalzahlen - wie uber-haupt wegen der Nicht-Unterscheidbarkeit alle Elemente von X - in L unerreich-bare Kardinalzahlen! Ferner sind alle Lκ fur uberabzahlbare Kardinalzahlen κ

elementare Submodelle von L, besitzen also dieselben Eigenschaften wie L, undsomit wird eine Wahrheitsdefinition fur die Klasse L definierbar. Damit kann mandie obigen Ergebnisse mittels einer Menge naturlicher Zahlen kodieren, die manO# nennt.

179

Kapitel 20

Literatur

Zur Einfuhrung und zum Gebrauch neben der Vorlesung

CAMERON, P. J. Sets, Logic and Categories. Springer 1999DEISER, O. Einfuhrung in die Mengenlehre. Springer 2004DEVLIN, K. The Joy of Sets. Springer 1993EBBINGHAUS, D. Einfuhrung in die Mengenlehre. Spectrum 2003FRIEDRICHSDORF, U.-PRESTEL, A. Mengenlehre fur den Mathematiker.

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Erganzende und weiterfuhrende Literatur

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Monographien mit besonderen Schwerpunkten

DEVLIN, K. Aspects of Constructibility. Springer 1984DRAKE, F.R. Set Theory. An Introduction to Large Cardinals North Holland 1974FELGNER, ULRICH Models of ZF-set theory. Springer 1971JECH, TH. The Axiom of Choice. Springer 1993KANAMORI, A. The Higher Infinite. Large Cardinals in Set Theory from Their

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North Holland 1983MOSCHOVAKIS, YIANNIS N. Descriptive set theory. North Holland 1980WAGON, S. The Banach-Tarski paradox. Cambridge 1986

Von historischem und allgemeinem Interesse

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Alternative Axiomensysteme

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Bibliographie

G.H. MULLER und V. LENSKI ed. Ω-Bibliography of Mathematical Logic.Vol. I-VI. Springer 1987, fortgesetzt im internet unter:

http://www-logic.uni-kl.de/BIBL/index.htmlWeitere links auch uber http://www.math.uni-heidelberg.de/logic/wwwlinks.html

Skripten im Internet

uber die linkshttp://www.math.uni-heidelberg.de/logic/skripten.htmlhttp://www.uni-bonn.de/logic/world.htmlBiographien: http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/ history/BiogIndex.html