studiversum #36

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STUDI VERSUM NUMMER 36  | 2010.12 Es war einmal... LINKE GENIES? 09 YB - SPIELER « WUSCHU » ERZÄHLT 24 MASTER EIN DESASTER? 28

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StudiVersum Ausgabe 36 Dezember 2010

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  • STUDIVERSUMNUMMER 36|2010.12

    Es war einmal...LINKE GENIES? 09YB-SPIELER WUSCHU ERZHLT 24MASTER EIN DESASTER? 28

  • Gemeinsam begeistern.

    Gemeinsam durchstarten mit einem Traineeprogramm, das begeistert.

    Ab November 2011 bieten wir spannende Einstiegs-mglichkeiten in den Bereichen Marketing und Finanzen. Wir suchen motivierte Einsteigerinnen und Einsteiger, die offen sind fr Neues. Menschen, die sich und andere herausfordern, um gemeinsame Erfolge zu erzielen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung.

    www.postfinance.ch/jobs

  • 3 STUDIVERSUM | 2010.12

    04 LIEBLINGSDINGWARUM ICH MEINE SKIS LIEBE

    05 UMFRAGEWAS IST DEIN WEIHNACHTSWUNSCH?

    06 AUS DEM LEBENLEB WOHL, ALTER FREUND!

    08 ATELIERAUS DAMALS WIRD MORGEN

    09 WISSENSCHAFTZWEIGETEILTES DENKEN?

    27 DAS UNIKATMACH MIT UND GEWINNE!

    28 UNIPOLITIK GUTEN RUTSCH

    30 REPORTAGE EXPERIMETHIK

    32 UNTERHALTUNGIMPRESSUM, RTSEL

    33 DIE FLOTTE 3ER-WG POWERPOINT FR ANFNGER

    34 WIE ANNO DAZUMALKALTES HNDCHEN

    04

    30

    Studieren im Zeitraffer

    Der einst treue Heinrich

    Erkennen wir uns wieder?

    Sprachschule Fussball

    10

    14

    18

    24

    28

    Liebe Leserinnen und Leser, Es war einmal die Weihnachtszeit. Sie be-ginnt bereits anfangs November mit dem Verkauf von Festtagsschmuck. Euphorie kommt auf beim Fall der ersten Schneeflo-cken. Leider kreuzt sich die Vorfreude auf die Adventszeit mit dem Lernstress we-gen den kommenden Examen. Die Studi-Versum-Redaktion bietet euch ssse Ab-lenkung:

    Fussball oder Wirtschaft? Ein Inter-view mit Fussballer Christoph Spycher. Viel musste Wuschu in seiner Laufbahn entscheiden. Er war einer der erfolgreichs-ten Nationalspieler und spielt heute fr die Young Boys.

    Studieren vor 50 Jahren damals gab es noch kein OLAT oder iPhone. Vom ins Reine schreiben bekamen Studierende Sehnenscheidenentzndungen. Was sonst noch aussergewhnlich war, weiss Redak-torin Nora Lipp, die mit ehemaligen Studie-renden vom Professor ber den Journalis-ten bis hin zum Pfarrer gesprochen hat.

    Mrchenhaft Heinrich, der im Mr-chen Froschknig nur eine Nebenrolle hat, bekommt von Martina Zimmermann eine Hauptrolle verschrieben. Ein einzigar-tiges, noch nie publiziertes Mrchen. Lasst euch verzaubern.

    Erinnerungen Auch wir waren mal klein. Wie klein, zeigen die alten Freund-schaftsbucheintrge, die Redaktor Dominic Illi von Studierenden gesammelt hat. Eine Gegenberstellung von Primarschule und Hochschule. Was war euer Traumberuf?

    Weihnachten ist die Zeit der Familie, Wnsche und Trume. Drei Haselnsse fr Aschenbrdel ist wohl der bekanntes-te Mrchenfilm, der um die Festtage herum in ganz Europa ausgestrahlt wird. Es ist ein tschechisches Mrchen, welches auf dem Grimmschen Aschenputtel basiert. Un-ser Tipp fr Heiligabend: Nach dem Abend-essen und Geschenkeffnen mit einer Tasse Tee ins Sofa kuscheln und sich kindlich drei Haselnsse erhoffen, welche alle Wnsche erfllen zum Beispiel bestandene Examen.

    Und wenn ihr euer Studium noch nicht dieses Semester abschliesst, so erlebt ihr die nchste Ausgabe im Mrz.

    Frohe und besinnliche Adventszeit und gutes Gelingen fr die Prfungen!Eure Raffaela Angstmann

    EDITORIAL | INHALT

    Gemeinsam begeistern.

    Gemeinsam durchstarten mit einem Traineeprogramm, das begeistert.

    Ab November 2011 bieten wir spannende Einstiegs-mglichkeiten in den Bereichen Marketing und Finanzen. Wir suchen motivierte Einsteigerinnen und Einsteiger, die offen sind fr Neues. Menschen, die sich und andere herausfordern, um gemeinsame Erfolge zu erzielen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung.

    www.postfinance.ch/jobs

  • 4 STUDIVERSUM | 2010.12

    Meine Skis sind am Wochenende meine besten Begleiter. Jeden Freitag reise ich von Fribourg nach Graubnden, um mich dort mit meinen Freunden auf und neben der Piste zu amsieren. Die Zeit auf dem Schnee bietet mir den idealen Ausgleich zum Studium. Ausserdem sind sie die Einzigen, welche mich am Sonntagmorgen aus dem Bett bringen.

    Silvia Princigalli, 21, studiert Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Fribourg

    WARUM ICH MEINE SKIS LIEBELIEBLINGSDING

  • 5 STUDIVERSUM | 2010.12

    WAS IST DEIN WEIHNACHTSWUNSCH?Weihnachtszeit besinnliche Zeit, Geschenkezeit und fr viele auch Prfungszeit. Kein Wunder also, dass sich so mancher eine bestandene Prfung unter den Weihnachts-baum wnscht. Aber Vernunft beiseite auch mit ganz anderen Sachen knnte man dieStudierenden der Universitt Basel glcklich machen. r Text und Bilder Claudia Piwecki

    Ich wnsche mir Schokolade und eine Million!

    Cline, 19, Psychologie

    Manuel, 20, WirtschaftEine Reise nach Rom mit all meinen Freunden.

    Ich wnsche mir, dass die Menschen merken wrden, dass Glck nichts mit materiellen Dingen zu tun hat. Sie sollen realisieren, dass Respekt, Toleranz und Liebe wichtiger sind als Geld, Autos und solche Sachen.

    Ich wnsche mir eine bestandene Autoprfung.

    Sandro, 24, Psychologie

    Olivier, 21, Wirtschaft

    Ein Mini!

    Ich wnsche mir ein Fixie.

    Eine Kchenfee wre super, damit ich niewieder abwaschen muss.

    Das Christkind soll mir eine Eingebung schenken, damit ich weiss, was ich beruflich machen soll.

    Ein neues Motorrad.

    Ich wnsche mir, dass Bayern Mnchen die Champions League gewinnt.

    Ferien in der Karibik! Es ist noch viel zu lange kalt hier.

    Ein Plschtier von jemand bestimmten... und Frieden auf Erden.

    Eine gescheite und lustige Antwort auf diese Frage.

    Sarah, 22, Wirtschaft

    Bastian, 24, Geowissenschaften

    Oliver, 24, Geowissenschaften

    Suleika, 26, Englisch, Spanisch und Wirtschaft

    Ivan, 22, Wirtschaft

    Renato, 22, Wirtschaft

    Diana und Olga, beide 22, Medienwissenschaften und Osteuropakulturen

    Charlotte, 25, Spanisch und Geografie

    Max, 22, Geografie und Geschichte

    UMFRAGE

  • AUS DEM LEBEN

    SPARTAN CHALLENGE WEIHNACHTEN MIT SIXPACK? Sechs Wochen Training, drei Tage die Woche bis Weihnachten. Und sie alle wollen es: Aussehen wie Spartaner! Ein Fitnessexperiment.

    6.30 Uhr. Mittwoch. Mir schlgt ein kal-ter Wind entgegen, als ich das Haus ver-lasse. Die Klte frisst sich augenblicklich durch meine Kleidung. Warum muss ich ausgerechnet heute so frh einen Termin an der Uni haben? Zum Glck ist der Weg zum Bahnhof nicht weit und die einein-halb Stunden Zugfahrt kann ich dsend im warmen Abteil verbringen. Schlaftrunken gehe ich an einem Fitnesscenter vorbei und bleibe abrupt stehen. Das gibts doch nicht, denke ich. Wie kann man bereits so frh Liegesttzen aneinanderreihen? Verwundert gehe ich weiter und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich einmal frh raus musste und bereits Selbstmitleid ha-be. Wow, was fr eine Disziplin, Jungs, denke ich.

    18 Uhr. Sonntag. Schon wieder habe ich dieselben(!) Personen wie am Fliessband Klimmzge machen sehen. Was haben die wohl vor? Den ganzen Abend lsst mich das Gesehene nicht in Ruhe und ich be-ginne zu recherchieren. Ich bin mir sicher, dass die Trainierenden ein bestimmtes Ziel vor Augen haben mssen. Und tatsch-lich das haben sie. Die Spartan Challen-ge der D&R Performance in Luzern ver-spricht ihren Teilnehmern einen Sparta-ner-Body bis Weihnachten. Innerhalb von

    sechs Wochen trainieren sie drei Mal w-chentlich und sollen dafr mit einem Six-pack belohnt werden. Doch ist das in die-ser kurzen Zeit berhaupt mglich? Remo Flecklin, Personaltrainer dieses Fitnessex-periments, meint dazu: Wir bieten den Teilnehmern die Mglichkeit, eigene Gren-zen zu sprengen und Resultate zu erzwin-gen ist es mglich in sechs Wochen ein Sixpack zu haben? Lets find out. Ganz nach dem Motto: Make the impossible happen. Whrend die Fast-Spartaner fr das nchs-te Training, beziehungsweise den nchsten Kampf gegen die Perser, motiviert werden die eine Schlacht haben wir berstan-den, der Krieg ist aber noch nicht vorbei berdenke ich meine eigenen Ziele. Alles ist mglich.

    PS: Wenn ihr herausfinden wollt, ob die Teilnehmer der Challenge ihr Ziel bis Weihnachten erreicht, beziehungsweise ob sie nun tatschlich einen Spartaner-Bo-dy antrainiert haben, knnt ihr im Teilneh-mer-Blog unter dnr-performance.ch nach-lesen.

    PPS: Ich frage ich mich, ob bei allen Teil-nehmern Entschuldigung, Spartanern bis Neujahr der Sixpack nach Guetzli, Ei-erpunsch und Co. immer noch zu sehen ist.

    Text Stephanie Renner

    all vor der Qual der Wahl. Nichts dagegen einzuwenden, doch ab und zu sollte man sich an die Grossvter der modernen Herr-scher erinnern, ohne die sie jetzt so nicht

    hier wren. Machs gut, alter Freund, ohne dich wrden wir die Vorzge des abgebis-senen Apfels bestimmt nicht so zu scht-zen wissen!

    Da sitze ich frhmorgens verschlafen im Zug, blttere durch die News dieser Welt und es trifft mich wie aus dem Nichts: So-ny hat die Produktion des Walkmans ein-gestellt! Mir nichts, dir nichts verschwin-det ein Meilenstein der Musikgeschichte aus unser aller Leben. Ein Fest htte er ver-dient, ein Orden sollte ihm verliehen wer-den und einen Stern auf dem Walk of Fa-me der Elektrogerte msste er bekom-men! Zumindest eine Gedenkminute sind wir ihm schuldig .

    Ich blicke mich um und sehe weisse Kopfhrer. Man knnte sie fast schon als Wahrzeichen des 21. Jahrhunderts sehen. Was heute aus dem Alltag nicht mehr weg-zudenken ist, war vor gut 30 Jahren eine Sensation: Musik fr unterwegs. Eigentlich ist Walkman der Name, den Sony dem portablen Kassettenrekorder gab. Mit dem durchschlagenden Erfolg hat er sich dann durchgesetzt als Synonym fr seine Gerte-klasse. Und wirklich: Damals hat er das Le-bensgefhl verndert. Wer in den Achtzi-gern was auf sich hielt, besass einen Walk-man.

    Lasst uns einen Moment nostalgisch sein. Das Spulen, bis man beim richtigen Lied war, das Umdrehen der Kassette, die Entscheidung, welche Kassette man ber-haupt mitnimmt oder das Sitzen vor dem Radio mit dem Finger auf der Rec-Taste, um ja nicht den Anfang des Lieblingsliedes zu verpassen... welches Kind der Achtzigerjah-re kennt das nicht? Es gab der Musik etwas Exklusives, etwas Unberechenbares. Lieder konnten nicht einfach auf Knopfdruck ab-gerufen werden. Die Kassette musste zuerst gekauft werden oder man berspielte die Musik von Freunden. Nicht mehr vorstell-bar die Tragdie, wenn eine Kassette zulan-ge in der Sonne lag oder das Band sich im Rekorder verfangen hatte alles verloren.

    Die Digitalisierung hat in vieler Hin-sicht unser Leben erleichtert, hat aber der Musik auch ein wenig ihren Zauber und ih-re Mystik genommen. Heute kann man auf dem Gert (das jetzt ein Zehntel so gross ist wie ein Walkman) einen ganzen Plattenla-den speichern und steht immer und ber-

    LEB WOHL, ALTER FREUND!

    Text Claudia Piwecki

    Klammheimlich ist er verschwunden, der Begleiter unserer jungen Jahre, der Erste seiner Art. Die Produktion des Oldtimers unter den tragbaren Musikgerten wurde dieses Jahr eingestellt eine Hommage an den Walkman.

    6 STUDIVERSUM | 2010.12

  • AUS DEM LEBEN

    Broken Social Scene Art House DirectorKeine Ahnung, worum sich dieses Lied dreht, nur soviel weiss ich: Es handelt sich um ausgezeichnete Trainings-Mucke. Sei es zum Krafttraining, Schach, Fallschirm-springen oder Dart: Mit Art House Direc-tor kann man nichts falsch machen. Mit Art House Director kann man natrlich auch nichts richtig machen. Denn wenn Art House Director luft, luft alles wie von selbst. Und das ist dann weder richtig noch falsch.

    Flying Lotus Galaxy in JanakiSonst steh ich zwar nicht auf psychotische und fricklige Sounds, aber hier passt das Getobe und Getse wie die Faust aufs Au-ge: eine ratternde Mischung aus Dschun-gel, Disneyland und Stanzfabrik.

    Okkervil River WestfallAuf dieses Lied bin ich zufllig gestossen. In der Bibliothek hat es mich von hinten gepackt, vom Stuhl geworfen und am Bo-den zertreten wie eine lstige Schabe. Und da liege ich nun, unfhig mich zu erheben. Der Song dreht sich um einen unmotivier-ten Mord aus Sicht des Mrders selbst. Er schildert seine Festnahme, wie all die Haus-gnge gesichert sind, mindestens 20 Bullen, die ihn ins Gefngnis werfen werden. Und die Kamerablitze suchen das Bse im Ge-sicht, fahnden nach einer diabolischen Re-

    gung in den schuldigen Zgen. Aber da gibt es nichts zu sehen, denn evil dont look like anything.

    Best Coast - Bratty B When Im with You Der Text ist scheisse, das Geschrammel un-ertrglich, die Stimme pennlerisch, das Schlagzeug auf billig getrimmt, alles auf den Effekt ausgerichtet... Und verdammt, ich liebe es! Wie man diese Songs findet? Man schreibt sich folgende Zeilen auf, ein-fach so, weil sie einem einfallen, nach ei-nem langen Tag im Freibad: Pick up the phone, I wanna talk about my day, it really sucked. Dann googelt man danach, stsst auf diese Songs und liebt sie. Oder man schaut sich die last.fm-Profile 19-jhriger Indie-Girls an und sieht dort Best Coast. Oder man stolpert darber wie ber ei-nen abgefallenen Ast nach einem Sommer-sturm.

    Joanna Newsom In CaliforniaDas Gegenstck zum vorigen Eintrag: 5 Mal lnger, 15 Mal komplexer und 55 Mal heavier-listening. Irgendwann ist es aber auf die gleiche Stufe runtergeschmolzen und das Mitsingen gestaltet sich genauso schwerelos. Bis dahin hat man einen lan-gen Weg vor sich, aber keinen steinigen, und gelegentlich stsst man dabei auf ei-nen im Sommersturm abgefallenen Ast, den man mit Leichtigkeit berhpft.

    MEINE SOMMER-SONGS DES JAHRES UND WIESO

    Text Christoph Lutz

    In der Wirtschaftspolitik heisst es ja oft, man solle antizyklisch handeln. Was bietet sich fr den anste-henden Winter also Besseres an als eine Liste mit dopen Sommersongs?

    Durch langjhrige Gesprchsarbeit ha-ben sich die Fronten derart verhrtet und die Argumente sich so oft wiederholt, dass sie eigentlich gar nicht mehr ausgespro-chen werden mssten. Wenn ich so dar-ber nachdenke, wrde ein Stichwort fr den Auftakt gengen danach knnten al-le schweigen und die zwangslufig darauf folgende Unterhaltung innerlich geniessen.

    Aber nein! Viel zu schade wre das! Schne Eigenschaft des chronisch gefhr-ten Gesprchs ist ja gerade dessen Abseh-barkeit. Kaum sagt bei uns ein Familienmit-glied Vor dem Haus...etc., stellen sich bei den restlichen drei wohl wissende Gesich-ter ein. Im vollen Bewusstsein, dass der kur-ze Einwurf Wo meinst du? Ach so, hinter dem Haus eine Lawine von bereitstehen-den Stzen, Sticheleien, berzeugungsver-suchen und vielleicht, ja vielleicht sogar neuen Argumenten (oder wenigstens neu-en Teilargumenten) auslsen knnte, die den ursprnglichen Gesprchszusammen-hang von Vor dem Haus...etc. gnaden-los berrollen wrde. Wohl wissend also, dass ein unbekanntes Gesprch ruck, zuck durch ein altbekanntes dahingemht wer-den knnte, steigt die Spannung am Tisch (Dieses Gesprch wird meistens am Ess-tisch gefhrt. Wenn nicht dort, dann in der Kche. Kchen sind sowieso tolle Orte fr Gesprche). Belustigung macht sich breit. Ein Kribbeln.

    Ach so, hinter dem Haus. Nein, vor dem Haus. Im Garten. Ja, aber wir ha-ben vor dem Haus keinen Garten, nur hin-ter dem Haus, (der Part meiner Mutter und mir). Vorne ist dort, wo es schn ist, wohin das Haus ausgerichtet ist. Sowieso ist vor-ne immer im Sden und unser Garten ist im Sden, also vorne. Im Norden ist immer hinten, (der Part meines Vaters und mei-ner Schwester) Besucher kommen aber vorne durch die Eingangstre hinein, gehen durch das Haus und kommen hinten in den Garten. Ausser dem Brieftrger hlt sich doch eh niemand beim Eingang hinter dem Haus auf. Wir kommen ja auch immer von der Garage her durch den Garten ins Haus. Schon, aber der Brieftrger kann schliess-lich nicht durch die Garage zum Hinterein-gang. Wrde ihm auch nichts ntzen, dort steht bekanntlich kein Briefkasten. Unser

    Briefkasten ist vor dem HausNeulich fhrten wir dieses Gesprch

    im Haus einer Verwandten. Nach lngeren Ausschweifungen meines Vaters ber Nor-

    den und Sden bei Grundstcken und Hu-sern, sowie Aussenaufenthaltsrumen im Sden, fragte er: Ja, wo ist denn bei dir der Eingang? Neben dem Haus.

    VORTER DEM HAUS

    TEXT JULIA KRTTLI

    Manche Gesprche fhre ich mit meiner Familie immer und immer wieder. Obwohl dabei gar nichts Neues rauskommt.

    7 STUDIVERSUM | 2010.12

  • 8 STUDIVERSUM | 2010.12

    ATELIER

    AUS DAMALS WIRD MORGEN

    AUFMERKSAME GSTE BEWUNDERN IN EINER KCHE VERSTRICHENE UND BEVORSTEHENDE MONATE DES FARBIGEN JAHRES VON JEANETTE BESMER.

    Angefangen hat es an der Hochschule fr Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dort lehr-te 2003 eine Koryphe des Holzschnittes. Jeanette bte sich ein halbes Jahr in diesem Handwerk und kreierte ihren ersten Ka-lender mit Ausblick aufs Jahr 2004. Mit grossem Aufwand gestaltete sie wenige Ex-emplare fr ihre Familie und Freunde. Ein Jahr spter ergab sich mit einer Freundin ein Dialog, beide zeichneten zum Thema Wasser, und wanderten daraufhin mit dem Stift ber die Bilder der Kollegin. Diejeni-gen, welche den Kalender schon besassen, wollten das neue Jahr nicht ohne ihn begin-nen, und etliche, welche bei Freunden das Prachtexemplar entdeckt hatten, bestellten ihn fr sich. Diese Nachfrage verlangte ei-ne neue Technik und Jeanette und deren Freundin gingen zum Siebdruck ber. Seit 2007 ist Jeanette wieder alleinige Produzen-tin ihres Werks, 2010 hat sie 140 Exemplare verschenkt und verkauft, sechs Jahre zuvor waren es um die 40.

    Sie sei jedes Jahr ein wenig zu spt dran, gesteht Jeanette. Auch befrchte sie immer, auf den Exemplaren sitzen zu bleiben und schwre sich im Dezember, nie wieder ei-nen Kalender herauszugeben. Glcklicher-weise verflchtigt sich in den kommenden zwlf Monaten die Vehemenz dieser Ab-sicht. Zurzeit befasst sich Jeanette eifrig mit dem Kalender frs Jahr 2011. Sie verrt, in der Verwandtschaft alte Fotoalben nach Schnappschssen von damals durchforstet zu haben. rText Martina Zimmermann, Bilder Jeanette Besmer

    PROJEKT VONJEANETTE BESMER

    In der Vergangenheit blttern und den Kalender bestellen kann man auf www.jeanettebesmer.chJeanette Besmer lebt und arbeitet in Bern und illustriert unter anderem fr die WOZ.

  • 9 STUDIVERSUM | 2010.12

    ZWEIGE-TEILTESDENKEN?

    Kulturell verankert ist diese Zuschreibung von Genialitt sicher nicht. Schon Pythago-ras assoziierte links mit dunkel, schlecht, kalt, krumm und weiblich. Die Vorstellung, von Links- oder Rechtshndigkeit auf den Charakter schliessen zu knnen, ist in die-ser Assoziationskette aber bereits angelegt. Und mit ihr das Rtsel, wie Hirn und Hand verbunden sind.

    Dass unsere linken Gliedmassen von der rechten Hirnhlfte und die rechten Glied-massen von der linken Hirnhlfte gesteu-ert werden, ist bekannt. Seit rund 100 Jah-ren weiss die Wissenschaft auch, dass sich die beiden Gehirnhlften in ihrer Funktion unterscheiden. Die linke Hemisphre rech-net, plant, ordnet und ist fr die Sprache zu-stndig. Die rechte Hemisphre dagegen in-

    terpretiert Bilder, verknpft Informationen, erkennt Melodien und ist fr die Orientie-rung zustndig. Verlockend, von einer ana-lytischen linken Seite und einer emotiona-len rechten Seite zu sprechen. Noch verlo-ckender: So die Verbindung zwischen Hirn und Hand zu erklren. Wer links schreibt, denkt rechts: Linkshnder wren demnach eher knstlerisch, musikalisch und emotio-nal veranlagt. Whrend die linke Hirnhlf-te die Rechtshnder zum analytisch exak-ten Wissenschaftler macht. Vereinfachun-gen fhren so zur Idee, die Persnlichkeit des Menschen werde von der dominanten Hlfte des Gehirns bestimmt.

    Ungeklrter Ursprung der Hndigkeit Durchkreuzt wird diese Idee vom Gehirn hchstpersnlich. Es gibt sein Geheimnis nicht preis wir wissen nicht wie die beiden Gehirnhlften miteinander interagieren.

    Auf die Frage, welche sensomotori-schen Funktionen jeweils nur von einer und welche von beiden Gehirnhlften ge-steuert werden, gibt es sehr widersprch-liche Antworten: Bruno Preilowski argu-mentiert in seinem Buch fr die Lernfhig-keit des Gehirns. Er sieht keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Hndigkeit und den geistigen Fhigkeiten. Die Hndig-keit gibt es seiner Meinung nach nicht, un-ser Verhalten basiert immer auf den Funk-tionen beider Hirnhlften.

    Durcheinander im Kopf Dagegen zeigt sich Dr. Johanna Barbara Satt-ler berzeugt: Linkshnder gehen anders an die Dinge heran und denken anders als Rechtshnder. Grundstzlich unterschied-

    PAUL KLEE, ALBERT EINSTEIN,FRIEDRICH NIETZSCHE DIE LISTE BERHMTER LINKS-HNDER IST LANG. IST DAS ZUFALL ODER BESTEHTDA EINE VERBINDUNG ZWISCHEN LINKER HAND UND GENIALEM KOPF?

    liche Charaktereigenschaften schreibt auch sie nicht der Hndigkeit zu. Genaue Beob-achtung und persnliche Schilderungen las-sen die Leiterin der ersten Beratungsstelle fr Linkshnder aber die Verbindung zwi-schen dominanter Hirnhlfte und Hand be-tonen. Wenn Sie pltzlich mit der rechten anstatt der linken Hand schreiben mssen, passiert im Gehirn folgendes: Die moto-risch nicht dominante Hirnhlfte reagiert und die eigentlich Dominante darf nicht. Es kommt zu einer berforderung im Ge-hirn. Die Gehirnhlften kommen sich also in die Quere. Auf die Hand sitzen, Schlge oder das Einbinden in ein Tuch das waren bis in die 80er-Jahre Methoden, um Kinder vom Benutzen der linken Hand abzuhalten. Diese berlastung im Gehirn hat dann oft intellektuelle Konsequenzen. Die Kinder knnen das, was sie wissen, nicht ausdr-cken. Die demtigenden Verfahren und die Verwirrung im Kopf knnen zu psychi-schen Problemen, Sprachstrungen und Leistungsschwche fhren.

    Handvorliebe bleibt Ist es unser Denken in Dualismen, das uns berhaupt zu Links- oder Rechtshndern macht? Hat die Sprache in gewisser Wei-se also doch Recht, wenn sie von den linki-schen Linkshndern und den rechtschaffe-nen Rechtshndern spricht nur kommen die nicht so auf die Welt, sondern werden durch unser zweiteiliges Denken erst dazu gemacht?

    Dr. Sattler pldiert fr einen offenen Umgang mit der Hndigkeit, indem den Menschen die Mglichkeit zur Entwick-lung in beide Richtungen gegeben wird. Auf bis zu 30 Prozent schtzt sie den Anteil ver-kappter Linkshnder an der Bevlkerung. Durch kulturelle Anpassung und Nachah-mung werden die Rechtshnder bevorzugt und die Unentschiedenen passen sich an.

    Der Linkshnder Leonardo Da Vinci hat alle Kmpfer mit dem Schwert in der rech-ten Hand gezeichnet. Die Industrie aber glaubt nicht an die Hndigkeit: In England schalten zwar alle mit links Kartoffelsch-ler, Schere, Bchsenffner sind aber ber-all fr Rechtshnder gemacht. Die alltgli-chen Anpassungsleistungen der Linkshn-der erachtet Dr. Sattler als enorm: Kaum ein Linkshnder beklagt sich mehr darber, dass es in den Bibliotheken nur diese ergo-nomisch geformten Muse fr Rechtshn-der hat. Anpassen knnen sich die Links-hnder ihre Handvorliebe aber bleibt, und mit ihr das Rtsel, woher sie kommt.

    Und brigens: Auch Jack the Ripper war Linkshnder. rText Nora Lipp, Illustration Melanie Imfeld

    WISSENSCHAFT

  • 10 STUDIVERSUM | 2010.12

    zelnd erinnert sich Rudolf Stichweh: Ich hatte noch vierzehn Tage Zeit, um 275 Sei-ten abzutippen. Da kriegte ich Probleme mit den Handgelenken. Wenn man kein Profi ist, kriegt man schnell eine Sehnenschei-denentzndung. Aber ich habs gerade noch so hingekriegt.

    Mit der Schreibmaschine schlug sich auch schon Hans Wrgler eine Generation frher herum. Tipp-Ex gab es da noch nicht dieses wurde erst 1959 erfunden. Das Ma-nuskript seiner Dissertation lagerte er denn auch in einem Banksafe ein auch Festplat-ten werden erst rund dreissig Jahre spter massentauglich.

    Abstecher ins ArchivDie elektronische Revolution dmmerte noch nicht mal am Horizont. Dafr gab es: Matrizendrucker, Rechenmaschinen und Epidiaskope. Dies zeigt ein Besuch im Ar-chiv des Schulmuseums Kniz. Material von sechshundert Spendern hat Kurt Ho-fer hier seit 1961 angesammelt. Schulb-cher in Schachteln und Coopscken, alte Pulte, Schreibwerkzeuge und viele noch unentdeckte Raritten stehen, liegen und schieben sich auf den sechshundert Quad-ratmetern bereinander. Kurt Hofer kniet sich auf den wachsweissen Boden und dreht an der Kurbel eines Gerts. Wahn-sinnig zeitaufwndig war dieses Drucken. Und dann sind die Matrizen immer hn-gen geblieben und zerrissen. Die Matrize ist die Druckvorlage, welche auf die Wal-ze gespannt wird. Alkohol lst dann Teil-chen des Farbwachses und so entsteht ei-ne Kopie. Daran erinnert sich auch Regu-la Wrgler: Diesen Geruch nach Alkohol beim Kopieren habe ich noch in der Nase.

    Fnfzehn Jahre spter konnte Richard Frey bereits Fotokopien aus medizinischen Bchern machen fr den Preis von zu die-ser Zeit teuren 30 Rappen pro Blatt. Frey er-

    STUDIEREN IM ZEITRAFFER

    Sehnenscheidenentzndung. Diese Ge-schichte ber das Studieren zu Zeiten un-serer Eltern, Grosseltern und Urgrossel-tern beginnt mit dieser Diagnose. Tagelang hatte meine Grossmutter tippend an der Schreibmaschine gesessen: Die Doktorar-beit meines Onkels musste rechtzeitig aufs Papier gebracht werden.

    Heute hmmert man alles in den Com-puter die Generation vor uns musste ihre Gedanken ordnen, von Hand notieren und erst dann abtippen. Unglaublich, was das fr ein Puff war!, erinnert sich Christine Nthiger-Strahm lachend an den berhm-ten Karteikasten. Handschriftliche Zitate und Literaturangaben wurden auf A6-for-matigen Krtchen notiert und alphabetisch in eine Holzkiste eingeordnet. Gegliedert hat Christine Nthiger-Strahm ihren Text jeweils durch das Verteilen der handschrift-lichen Notizen in Mppchen. Fr jedes Ka-pitel war ein Mppchen reserviert. Und dann musste man sich vorher halt genau berlegen, was man schreiben wollte. Ein-mal von Hand aufgesetzt, konnten Korrek-turen zwar noch am Rand der Arbeit ange-fgt werden das Verschieben, Lschen und Umstrukturieren ganzer Textteile war aber undenkbar. Die Arbeit ins Reine zu schreiben, war die nchste Hrde. Schmun-

    VORLESUNGEN ZUM HERUNTERLADEN UND EIN STRMEN DER MASSEN AN DIE UNIVERSITTEN DASS DIES NICHT SCHON IMMER SO WAR, WEISS JEDER. WIE ABER WAR ES? DAS WHLEN IN ERINNERUNGEN UND ARCHIVEN LIEFERT ANTWORTEN. ABER NICHT NUR.

  • 11 STUDIVERSUM | 2010.12

    STUDIEREN IM ZEITRAFFER

    innert sich auch noch an die Rechenschie-ber und Rechenscheiben, welche erst Ende der 60er-Jahre durch den elektronischen Taschenrechner abgelst wurden. Loga-rithmen, Wurzeln und Potenzen konnten damit berechnet werden. Eher unschein-bar liegen die Rechenhilfen, die hnlich aussehen wie ein Lineal, zwischen anderem

    Archivgut. Die Curta ist da schon aufregen-der. ber 1000 Franken hat die Rechenmh-le sie erinnert an einen grossen Bleistift- spitzer heute Wert. Und sie hat Geschich-te: Der Vater ihres spteren Erfinders ist Grnder der ersten sterreichischen Re-chenmaschinenfabrik. Die Idee zur kleinen Rechenmhle hat Curt Herzstark bereits

    1938. Als 1943 zwei seiner Arbeiter verhaf-tet werden, interveniert er bei der Gestapo und wird als Halbjude selber ins Konzentra-tionslager Buchenwald gesperrt. Dort zeich-net er Abend fr Abend an den Plnen fr seine Curta. Die Nazis wollen sie Adolf Hit-ler als Siegergeschenk berreichen. Curt Herzstark berlebt das Konzentrationslager und hlt 1948 seine erste eigene Curta aus Serienproduktion in den Hnden.

    Nebst solchen geschichtstrchtigen technischen Studierhilfen finden sich im Archiv auch alltagstauglichere Gegenstn-de. Der Vorlufer des heutigen Bostitchs tummelt sich da, oder die grossen schwar-zen Ungetme, welche sich als Vorgnger des Diaprojektors entpuppen und Epidias-kope heissen.

    Wir haben schon sehr zu den Professoren aufgeschaut

  • 12 STUDIVERSUM | 2010.12

    teren Berufsfeld und studentische Hilfs-kraft, solchen Arbeiten gehen die Studie-renden nach. Dass der Anspruch an den Lebensstandard geringer war, darin gehen sich alle einig. Technisch gesehen waren wir arm, aber wir haben das selbst nicht als Problem gesehen, blickt Rudolf Stichweh zurck. Bewusst wurde diese bergangs-zeit zwischen Schule und Beruf in Kauf ge-nommen. Der Fokus lag auf dem Studium: Stichweh selbst besuchte pro Tag nur ei-ne Veranstaltung. Die Studierenden ver-brachten viel Zeit an der Uni auch Frei-zeit. Das Seminar war der Ort, an dem man sich traf. Die Erinnerungen von Christine Nthiger-Strahm teilt Stichweh: Die Bib-liothek war bis vier Uhr nachts geffnet, da haben wir dann oft nchtelang Kaffee ge-trunken. Heute arbeiten rund 80 Prozent der Studierenden bis zu zwei Tage pro Wo-che. Rudolf Stichweh sieht darin die fehlen-de Bereitschaft mehrere Lebensjahre aus-schliesslich der Universitt anzuvertrauen Risikoverteilung nennt er dieses Verhalten. Wenn das Studium nicht klappt, wird der Nebenjob zur Lebensversicherung.

    Die Professoren Vorlesungen auf den iPod laden und der Universitt den Rcken kehren an diese Entwicklung glaubt Rudolf Stichweh nicht. Er ist berzeugt, dass der Kern des univer-sitren Lernens immer die Interaktion blei-ben wird. Seit 500 Jahren gibt es Progno-sen dazu, dass die Universitt als Interak-tionszusammenhang berholt ist. Bis jetzt hat die Universitt aber alle technischen Revolutionen in ihren Betrieb integriert. Neue interaktionsunabhngige Lernformen wie die MP3-Vorlesung wrden nur ge-nutzt, wenn die Mglichkeit des persnli-chen Kontaktes verwehrt bleibe.

    Der Kontakt mit den Professoren spielt in fast allen Erinnerungen eine wichtige Rolle. Hren Sie auf, Sie knnen gleich ge-hen, mit solchen Machtworten wurden zur Studienzeit Hans Wrglers schon mal wis-senschaftliche Karrieren beendet.

    Generositt ist das Wort, mit dem sich Helmut Scheben an seinen Professor erin-nert. In einem Brief forderte dieser ihn auf, anstatt sein Konzept fr die Doktorarbeit in der Abgeschiedenheit der peruanischen Na-tionalbibliothek zu perfektionieren, erstmal das Leben Perus in sich aufzusaugen.

    Von Professoren, die zu offenen Aben-den mit Essen, Trinken und Diskussionen einluden, erzhlt Richard Nthiger. Rck-blickend meint er aber auch: Wir ha-ben schon sehr zu den Professoren aufge-schaut. An diese soziale Distanz erinnert sich auch Rudolf Stichweh. Das Duzen der Professoren, das whrend den 68er aufge-kommen sei, habe sich rasch wieder ver-

    Eigentlich waren wir armWieder am Tageslicht taucht die Frage auf: Wie anders studieren wir heute? All die technischen Gerte mgen den Eindruck wecken: Alles ist anders. Und dann noch Bologna ins Feld gefhrt und der Fall ist klar. Das Gesprch mit Studierenden aus der Zeit von 1950 bis 1980 zeigt aber: Die Vernderungen sind subtiler und betreffen das gesamte Studentenleben.

    Bonbons in der Fabrik einzufllen, war fr Regula Wrgler ein willkommener Zu-satzverdienst fr die Ferien, whrend das Servieren gegen herrschende Normen der fnfziger Jahre verstossen htte. Reisefi-nanzierung wird auch eine Generation sp-ter oft als Grund fr das Arbeiten in den Se-mesterferien angefhrt. Pakete ausliefern, Strassenbau, Stellvertretungen im sp-

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    Die Personen in der Reihenfolge ihres Erscheinens im Text:

    Christine Nthiger-Strahm absolvierte von 1964 bis 1968 das Sekundarlehramt, von 1971 bis 1976 studierte sie Theologie an der Universitt Bern. Ihr Nebenjob als Studentin: Marktbefragungen fr Chocoletti die Leute machten stets freudig mit.

    Rudolf Stichweh studierte von 1972 bis 1977 Soziologie und Philosophie an der FU Berlin und der Universi-tt Bielefeld. Als Student erlebte er an der Universitt Berlin den Versuch der Dauerrevolution mit ein Semester lang wurde gestreikt. Nach zwei Semestern wechselte er die Universitt. Heute ist Stichweh Professor fr Soziologie an der Universitt Luzern.

    Hans Wrgler studierte von 1948 bis 1956 an der Uni-versitt Zrich konomie. Heute emeritierter Professor fr konomie der ETH, tanzte Wrgler schon als Student auf dem Polyball.

    Regula Wrgler absolvierte 1952 das Oberseminar in Zrich. Gerne htte sie spter auch Germanistik studiert. Das Frauenstudium war aber zu jener Zeit immer noch eher unblich, obwohl Bern, Genf und Zrich ab 1867, als weltweit erste Universitten (nebst Paris), auch Frauen zugelassen haben.

    Richard Frey studierte von 1964 bis 1971 Medizin an der Universitt Basel. Der Hausarzt erinnert sich noch gut, wie Studierende gegen berfllte Hrsle protestiert haben. In seinen Semesterferien ver-diente er Geld fr eine Skandinavienreise.

    Richard Nthiger studierte von 1961 bis 1967 Theologie an den Universitten Zrich, Berlin und Gttingen. Heute ist Richard Nthiger Pfarrer im Ruhestand, als Student wohnte er bei einer Familie fr 80 Franken pro Monat in einem Studentenzimmer.

    Helmut Scheben studierte von 1969 bis 1979 Roma-nistik in Mainz, Bonn, Salamanca und Lima. Heute istHelmut Scheben Journalist bei der Tagesschau. Er erinnert sich daran, auch mal Vorlesungen geschwnzt und wirklich zu viel gesoffen zu haben. Die Litera-turseminare aber besuchte er mit Begeisterung.

    flchtigt. Bei einem Professorentermin ha-be eine Kollegin sich vor lauter Sorgen ber den Gesprchsverlauf sogar einen Merkzet-tel mit den Worten Guten Tag gemacht, um ja nichts Falsches zu sagen. Heute ha-be die Begegnung zwischen Studenten und Professoren eher Dienstleistungscharakter.

    Revolution: Wissen fr alle Die soziologische Erklrung Rudolf Stich-wehs fr all die Vernderungen lautet: Im-mer mehr Menschen erhalten Zugang zu hherer Bildung und dies fhrt zu einer all-mhlichen und revolutionren Umstruktu-rierung des universitren Lebens. Dass ein Freiheitsideal, welches das Verderben von Studierenden auf Universitten mit ein-schliesst, nicht mehr hochgehalten werden kann, wenn pltzlich nicht mehr fnf wie vor fnfzig Jahren sondern 30 Prozent ei-nes Jahrgangs studieren, ist einleuchtend.

    Das Ausufernde des Studiums haben viele der Interviewten noch in lebendiger Erinnerung. Die Unsicherheit, wenn nach fnf Jahren die erste Prfung oder wichti-ge Arbeit anstand, war vollkommen. Und doch: Die Freiheit, die sich Helmut Scheben dank Stipendien und loser Studienstruk-tur nahm, verbieten sich heute die meisten wohl mit wehmtigem Blick auf die Punk-te: Ich dachte einfach, ich geh jetzt mal ein Semester nach Spanien. Und dann lerne ich dieses Spanien kennen und ein bisschen besser sprechen. Und wenn ich das Semes-ter verliere, ist es auch nicht so tragisch.

    Gezweifelt wird immerSehnenscheidenentzndung kriegen die heutigen Studierenden eher vom Pingpong mit Punkten als vom Schreiben. Was von unserer Geschichte bleibt, wird sich erst im Rckblick zeigen.

    Als Student von Unsicherheiten ge-plagt, ob er nicht doch besser Wirtschaft an-statt Literatur studiert htte, meint Helmut Scheben heute: Natrlich, an der Uni hab ich auch viel Schrott und Zeug gelernt, das mir nichts gebracht hat. Vor ein paar Wo-chen hab ich den Keller aufgerumt und all das Zeug entsorgt das meiste hab ich lngst schon vergessen. Aber die Literatur-seminare und die Erfahrungen in Peru ha-ben mir frs ganze Leben was gebracht. Lange denkt Rudolf Stichweh nach, be-vor er antwortet auf die Frage, was er an der Universitt gelernt habe: Ich habe im Grunde in der Universitt den Ort gefun-den, der zu mir passt ich fhle mich ir-gendwie zu Hause in der Universitt. Hier kann ich das machen, was ich schon vorher immer machen wollte. Das heisst nicht, dass man nicht enttuscht wird. Das ist eine sehr anspruchsvolle Vorstellung von Universitt und die realen Unis gengen dem oft nicht.

    Ein Zuhause ist nie unproblematisch.Was mit unseren MacBooks, unseren

    Punkten und unseren Zweifeln geschehen wird, wissen wir nicht. Die Raffung der Zeit zeigt aber: Seine Uni macht nebst der Zeit, sich jeder auch selbst. rText Nora Lipp, Bilder Nora Lipp und Selin Bourquin

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    hen und dem Geplauder der Frsche zu lau-schen. Am Ende eines wunderbaren Tages, als Heinrich es sich auf einem flachen Stein gemtlich gemacht hatte, hpfte ein ihm fremder Frosch auf ihn zu. Mit seinen Kul-leraugen guckte er Heinrich an und quakte: Bei Tagesanbruch wirst du in der hellblau-en Seerose ein silbernes Lffelchen finden. Der Frosch hinterliess Ringe im Teich und einen verwirrten Heinrich. Weil dieser viel von den grnen Hopsern hielt und sich um sie sorgte, als wren sie seine Kinder, tat er, wie ihm geheissen wurde. Noch schlaftrun-ken erhob er sich vor Sonnenaufgang und wartete frstelnd, bis sich die Kronbltter der hellblauen Seerose nach und nach ent-falteten. Tatschlich lag da ein silbernes Lf-felchen. Geschickt holte es Heinrich zu sich, wickelte es behutsam in eine Stoffserviette und legte es in die Holzkiste zu den Schach-figuren. Er lebte zufrieden und dachte bald nicht mehr an die merkwrdige Begeben-heit. Eines Abends jedoch, als er wie ge-wohnt am Teich sass und den Frschen zu-hrte, hopste der fremde Frosch auf seinen Oberschenkel und quakte: Heinrich, heu-te Nacht wird ein bser Wirbelwind bers Land toben, er wird alle Magnolien kpfen und smtlichen Teichen die Frsche rau-ben. Wenn du dich aber mit dem silbernen Lffel in der Hand dem bsen Wind ent-gegenstellst, wird deinen Frschen hier im Teich nichts geschehen. Heinrich erstar-rte vor Angst. Wie konnte er mithilfe eines winzigen Lffelchens aus Silber den bsen Wirbelwind bezwingen? Trotz Zweifeln tat er, wie ihm geheissen, und wartete mit ban-gem Herzen auf den Sturm.

    Von Weitem hrte er den Wind brllen und wten, Heinrich schloss die Augen, hielt aber das Lffelchen mit ausgestreckten Armen gegen den Himmel. Der Wind tobte ber ihm, gab aber nach einem letzten oh-renbetubenden Schrei klein bei und zog

    DER EINST TREUE HEINRICH

    Der treue Heinrich hat die Nase gestrichen voll. Die mit Diamanten besetzte Wand-uhr in der Eingangshalle des Palasts schlgt zwei Mal. 14 Uhr. Heinrich ist bereits seit acht Stunden auf den Beinen. Erst hat er, wie jeden Morgen, die Fransen des roten Teppichs vor dem Thronsaal in Reih und Glied gekmmt, daraufhin ist er die 279 Stufen zum Turm emporgestiegen, um die Porzellantsschen fr den heutigen Tag das Knigspaar besitzt 365 Kaffeeservices zu holen und dabei die gestern benutz-ten zu verstauen. Im Stall hat Heinrich da-nach dem Schimmel der Knigin die gelben Stellen weggebrstet und einen Franzosen-zopf geflochten, nicht ohne mehrmals un-terbrechen zu mssen, da das Pferd seinen Schwanz unwillig zwischen den Backen einklemmte. Um 13.50 Uhr hat Heinrich die Briefe an den Knig auf dessen Schreibtisch in alphabetischer Folge nach den Absen-deorten gestapelt. Um 14 Uhr tut Heinrich, was er noch nie getan hat. Er setzt sich auf den Sessel des Knigs, zieht Pergamentblt-ter aus der Schublade mit den geschnitzten Rosetten und greift zur Feder.

    Es war einmal ein Mann namens Hein-rich. Er lebte alleine in einem kleinen Hus-chen inmitten eines grossen Gartens. Dar-in befand sich ein kleiner Teich, an dessen Ufer sich Heinrich am Abend niederliess, um den Seerosen beim Einschlafen zuzuse-

    WIE DER TREUE HEINRICH SEINE NEBENROLLE SATT HAT UND SICH ALS SCHREIBERLING VON MRCHEN BEHAUPTET. MIT KNIGEN UND FRSCHEN ALS DEKORATION ODER IN NEBENROLLEN. UND IHM SELBST IN DER HAUPTROLLE.

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    DER EINST TREUE HEINRICH

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    sich zurck, bis Heinrich ihn bloss in der Ferne noch leise fauchen hrte.

    Einige Tage spter sass der fremde Frosch auf einem Seerosenblatt im Teich und quakte aufgeregt: Heinrich, du hast als Einziger den bsen Wind besiegt. Heu-te Nacht wird ein Gewitter aufkommen, es werden anstelle von Tropfen Magnolien-blten und Frsche vom Himmel fallen.

    Heinrich sorgte sich und erwiderte: Lieber Frosch, mein Teich ist klein, hier ist kein Platz fr tausend Frsche. Nimm dein silbernes Lffelchen und lauf zum See. Du musst dort einen Lffel Seewas-ser schpfen und zu deinem Teich balan-cieren, ohne einen Tropfen zu verscht-ten. Heinrich tat, wie ihm geheissen. Er lief, so schnell ihn seine Beine trugen, zum See, schpfte daraus einen Lffel Wasser und balancierte zu seinem Huschen. Als er das Seewasser dem Teich zugefgte hat-te, trug sich etwas gar Sonderbares zu. Ei-ne Mulde tat sich in Heinrichs Garten auf, wurde immer grsser, bis sie schliesslich mit dem See zusammenwuchs, aus dem Heinrich Wasser geschpft hatte. Weni-ge Augenblicke spter zogen dunkle Wol-ken am Himmel auf und Heinrich sah, was er bisher noch nie gesehen hatte. Tausen-de Magnolienblten schwebten vom Him-mel und Frsche fielen hinterher. Heinrich umklammerte das Lffelchen und schau-te in den Himmel. Als dieser sich wieder blau frbte, zog er seine Schuhe aus und liess seine nackten Fsse im See baumeln. Der fremde Frosch setzte sich zu ihm ans Ufer und quakte: Lieber Heinrich, du hast uns Frsche vor dem Tod bewahrt, ab heu-te werden wir dich Froschknig nennen und dir dienen. Drei Frsche sprangen auf Heinrichs Haupt und setzten ihm einen Kranz aus Magnolienblten auf. Noch am selben Abend wurde ein grosses Fest gefei-ert. Der Froschknig und die Frsche leb-ten glcklich und zufrieden bis an ihr Le-bensende.

    Heinrich legt die Feder zur Seite und betrachtet seinen Zeigefinger, auf wel-chem sich unschwer eine Blase ausmachen lsst. Er seufzt, verschrnkt die Arme und ordnet die voll gekritzelten Bgen. Nach-dem er sich geruspert hat, liest er sein Mrchen laut vor, als htte er ein Publikum

    zu seinen Fssen. Dann greift er erneut zur Feder, lsst nach Lebensende einige Zei-len frei und notiert:

    Gndige Knigin, gndiger Knig, in den Zeiten, wo das Wnschen noch gehol-fen hat, sind schne Geschichten wahr ge-worden. Ich wnsche mir ein Huschen mit Garten. Noch heute werde ich mich aufmachen, um einen geeigneten Fleck Er-

    de zu finden und meinen Wunsch zu ver-wirklichen. Ihr einst treuer Heinrich.

    Heinrich steht auf, rckt den Stuhl zu-recht und schreitet ein letztes Mal ber den Marmorboden, auf welchem die Schritte bis in die zweite Etage hallen, und verlsst den Palast, um seine Hauptrolle einzuneh-men. rText Martina Zimmermann, Illu-stration Milena Gsteiger

    Bei Tagesanbruch wirst du in der hellblauen Seerose ein silbernes Lffelchen finden

    Zur Erinnerung: Der Froschknig oder der treue Heinrich (Gebrder Grimm)

    Die jngste von drei Knigstchtern, deren ausseror-dentliche Schnheit selbst die Sonne, welche schon so vieles gesehen hatte, immer wieder staunen liess, spielte oft mit einer goldenen Kugel am Brunnen-rand unter einer alten Linde. Eines Tages fiel ihr die Kugel statt in die Hand auf die Erde und rollte ins Wasser. In ihrer Verzweiflung versprach sie einem Frosch, ihn liebzuhaben, sein Geselle und Spielkamerad zu sein, ihn an ihrem Tischlein neben sich sitzen, von ihrem goldenen Tellerlein essen, aus ihrem Becherlein trinken, ja sogar in ihrem Bettchen schlafen zu lassen, wenn er ihr die goldene Kugel heraufholen wrde. Die Knigs-tochter freute sich riesig, als sie ihr liebstes Spiel-zeug wieder hatte, und kehrte glcklich zum Schloss zurck, ohne sich weiter um den Frosch zu km-mern. Am nchsten Tag sass dieser jedoch vor der Tr und erinnerte sie an ihre Abmachung. Der Knig befahl ihr, ihr Versprechen einzulsen, und widerwillig liess die Tochter das Tier von ihrem Tellerchen essen und aus ihrem Becherlein trinken. Als er sie jedoch in ihrem Kmmerlein darum bat, sich zu ihr ins Bett-chen legen zu drfen, wurde sie bse und warf ihn gegen die Wand, worauf er sich in einen Knigssohn verwandelte. Dieser wurde ihr Gemahl, er war von einer Hexe verwnscht worden. Bereits am anderen Tag wurden sie vom Diener des jungen Knigs, dem treuen Heinrich, samt Pferdewagen abgeholt. Dieser hatte sich drei eiserne Bnder ums Herz legen lassen, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zersprnge. Auf der Fahrt ins Reich des jungen Knigs krachte es auf dem Weg drei Mal, und der Knigssohn meinte immer, der Wagen brche. Doch es waren nur die Bnder, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr nun erlst und glcklich war.

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    ERKENNEN WIR UNS WIEDER?

    cher finden nmlich nicht etwa die Prin-zessin oder der Cowboy von der Kinder-fasnacht. Beliebt sind vielmehr lebensnahe Berufe. Zu den Polizisten und Automecha-nikern gesellt sich die Gruppe der Maler oder Fussballer. Wer hat nicht schon da-von getrumt, mit dem liebsten Hobby sei-ne Brtchen zu verdienen?

    Die ElefantenwrterWie entsteht so ein Freundschaftsbuchein-trag berhaupt? Zuerst wird das Buch ge-ffnet und die erste unbeschriebene Seite herausgesucht. Diese unbeschriebene Sei-te aber ist ghnend leer und allersptestens nach dem Eintragen der Pflichtfelder Kr-pergrsse oder Sternzeichen ist es mit der Kreativitt zu Ende. Schnell laden die vorangehenden Seiten, die allesamt bunt bemalt und beschrieben sind, zum Blttern und zur Inspiration ein. Es mag noch ein-leuchten, dass der grsste Wunsch mehre-rer Kameradinnen die faire Ernhrung der gesamten Menschheit ist. Dass aber zwei Kollegen im selben Freundschaftsbuch un-bedingt Elefantenwrter werden wollen, ist kaum nur auf den Zoobesuch zurckzu-fhren. Ein verwandtes Phnomen: Je wei-ter hinten im Freundschaftsbuch, desto ln-ger die Liste der Hobbys. Zwar steigt mit fortschreitendem Alter oft tatschlich die Anzahl der Aktivitten, aber die eine oder der andere wird sich vielleicht auch am rei-chen Fundus der vorherigen Eintrge be-dient haben.

    Mit der Zeit kommt schliesslich die Routine: Irgendwann ist es eben nicht mehr angesagt, mit Barbiepuppen zu spielen oder Bckschtreet Bois zu hren und das hat dann auch so im Freundschaftsbuch zu ste-hen.

    Und dann, wenn im Laufe des Studiums einige Kumpels aus der Primarschule be-reits mit beiden Beinen fest im Leben

    Ein Blick in die verstaubten, kartonier-ten Freundschaftsbcher lohnt sich. Und das nicht nur der Frisuren der ehemaligen Schulkolleginnen oder der Sportklub-Kum-panen wegen. Nach den ersten Lachern ber die Frisur, die direkt aus einer Doku-mentation ber den Mauerfall zu entstam-men scheint, bieten die alten Freundschafts-bcher viel mehr.

    Der Eintritt ins Studienalter verlangt vielen Gymnasiasten die erste Entschei-dung berhaupt ab. Whrend die Wahl der Schwerpunkte in der Mittelschule eher kosmetischer denn funktioneller Natur war, werden nun also erstmals wirkliche Weichen gestellt. Weichen, die den Weg ins Berufsleben ebnen sollen und die in ei-nem Zwischenjahr erst einmal berdacht sein wollen. Aber was, wenn der Road Trip in Down Under oder die Rekrutenschule in Payerne nicht die gewnschte Klrung bringt? Vielleicht hilft ein Blick ins Freund-schaftsbuch von damals. Wer in der zwei-ten Klasse schon eine Antwort auf die Frage Was ich spter mal werden mchte bereit hatte, kann sich bei der Berufs- oder Stu- dienwahl eigentlich nicht ernsthaft schwer tun, oder? Eingang in die Freundschaftsb-

    DIE STUDIENZEIT IST DIE ZEIT, IN DER GEWISSE TRUME NOCH BESTEHEN, ANDERE VERBLASSEN UND NEUE AUFKEIMEN. UND SIE IST DIE ZEIT, IN DER WIR DIE FREUND-SCHAFTSBCHER VON FRHER NOCH-MALS IN DIE HAND NEHMEN SOLLTEN, BEVOR SIE BEIM NCHSTEN AUS- ODER UMZUG ENDGLTIG VERSCHWINDEN.

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    ERKENNEN WIR UNS WIEDER?

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    stehen, ist sie pltzlich wieder da: Die Frage nach der Orientierung: Weshalb drcke ich noch immer die Schulbank im etwas grsse-ren Klassenzimmer, whrend Kumpel X ge-rade seine Liebste geheiratet hat und wieder einmal in eine neue Wohnung zieht? Nun knnen Felder wie der Berufswunsch nicht mehr einfach beim nchsten Eintrag gen-dert werden. Vier Studierende haben den Blick ins Freundschaftsbuch gewagt und re-flektieren ihre Eintrge.

    Caroline, 19, BiologieNein, ich erkenne mich berhaupt nicht in meinen Eintrgen! Wobei. Doch, eigent-lich schon. Beim grssten Wunsch htte ich auch einfach ich weiss nicht hinschreiben knnen. Aber so bin ich nicht. Ich habe lieber noch einen drauf gegeben. Deshalb mochte ich wohl auch Barbies nicht. So la Ich bin nicht das typische Durchschnitts-Mdchen. Dabei hatte ich die Barbie-Phase spter schon auch noch. Ich hatte lange Zeit immer mehr Kollegen als Kolleginnen, viel-leicht nicht zuletzt weil ich mit einem Bru-der aufgewachsen bin. Dass ich Bckerin werden wollte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich mochte in der Schule immer alle Fcher, was die Entscheidung fr den richtigen Studiengang nicht erleichtert hat. Weil ich eine Herausforderung suchte, etwas Neues ausprobieren wollte, habe ich mich zunchst fr Informatik eingeschrie-ben. Mittlerweile studiere ich Biologie, wo-fr ich mich besser begeistern kann.

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    Mathis, 20, Wirtschaftsinformatik (siehe Eintrag auf Seite 19)Karate wrde ich heute gerne wieder ma-chen, doch leider fehlt dazu die Zeit. Das ha-be ich damals auch nur gemacht, weil mei-ne Mutter fand, ich msse etwas fr die Selbstverteidigung machen. Dafr bin ich jetzt bei der Pfadi als Abteilungsleiter enga-giert. Ich bin wohl kurz nach meinem Ein-trag dort beigetreten. Fr mich ist die Pfadi eine riesige Plattform, wo ich Dinge einfach mal anpacken kann. Es ist wie ein Virus: Wenn ich sehe, wie jemand ein Lager auf die Beine stellt, will ich das auch machen. Und wenn mal etwas schief luft, ist das nicht so schlimm wie in der Arbeitswelt. Die meisten Kollegen aus meinem Freund-schaftsbuch kenne ich nur noch flchtig. Trotzdem ist fr mich klar: Auch wenn ich vielleicht mal in der Stadt arbeite, werde ich ganz sicher nie vom Dorf wegziehen. Ich ha-be mir da bereits zu viel aufgebaut. Meinen damaligen Berufswunsch habe ich sptes-tens im Gymnasium aus den Augen verlo-ren. Ich suchte etwas Konkreteres und bin bei der Wirtschaftsinformatik gelandet. Beim Blick in das Freundschaftsbuch ist vielleicht auch eine gewisse Genugtuung dabei: Klar, ich bin nicht das geworden, was ich da geschrieben habe. Aber ich bin doch auf dem rechten Weg.

    Laura, 21, Journalismus und Organi-sationskommunikationIch habe noch immer Schuhgrsse 35! Aber sonst hat sich schon sehr viel gen-dert, vor allem bei den Hobbys . Damals war das Voltigieren [Akrobatik auf dem Rcken eines Pferdes, Anm. d. Red.] alles fr mich. Spter habe ich mich aber schnell an der Stadt orientiert und bin viel gereist, sicher prgende Elemente. Trotzdem wrde ich meine Kindheit auf den Bauernhfen um keinen Preis hergeben. Whrend eines Klassenlagers in einem abgelegenen Kaff in Graubnden sind die Stadtzrcher bei der Geburt eines Klbleins fast ausgeflippt fr mich war das Ereignis nicht sehr speziell. Sollte ich einmal sesshaft werden, dann wohl kaum in der Stadt. Dafr habe ich das Land zu gerne, auch wenn ich schon lange keine Mistgabel mehr in den Hnden hatte. Die Ruhe und das Grne fehlen mir in der Stadt. Geschrieben habe ich bereits damals gerne und ich hatte viele Brieffreundinnen. Bis heute fasziniert mich bei Bchern nebst dem Inhalt vor allem eine fesselnde Sprache. Schon damals wollte ich eine klei-ne Weltverbesserin sein, war gegen Tier-qulerei und wollte beim WWF arbeiten. Vielleicht mit ein Grund, weshalb ich jetzt in Richtung Journalismus gehe.

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    Cornelia, 20, RechtswissenschaftenOh je, Dalmatiner! Damals war ich begeis-tert von diesen Tieren und das nur wegen des Films. Aber heute kann ich den An-blick der schwarzen Flecken auf dem weis-sen Fell kaum mehr ertragen. Kindergrt-nerin dagegen wollte ich noch lange wer-den. Zwischenzeitlich habe ich mich etwas umorientiert und sogar eine Lehrstelle als Floristin gesucht. Bei den einen Menschen scheint der Weg irgendwie vorbestimmt. Das bewundere ich, da sie sich so weniger Gedanken machen mssen. Ich selber ha-be mich bei der Entscheidung schwer ge-tan. Im Zwischenjahr konzentrierte ich mich auf die Studiengnge Biologie, Eth-nologie und Recht. Den Entscheid habe ich so gefllt: Ich bin in je eine Vorlesung geses-sen, deren Name mich absolut abgeschreckt hat. Am Ende hat mich die Vorlesung ber Aktien- und Brsenrecht am meisten ber-zeugt, weshalb ich bei den Juristen gelan-det bin. Und siehe da, mir gefllt es super! Ich mchte unbedingt die Anwaltsprfung machen. rText Dominic Illi, Bilder Selin Bourquin

    Irgendwann ist es eben nicht mehr angesagt Bckschtreet Bois zu hren.

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    EIN KINDHEITSAUFSATZ In einem Schulaufsatz von 1979 zum Thema In zehn Jahren schrieb Rosmarie B.: Heute ist der 25. Oktober, ich spaziere mit meinen zwei Shnen, Bernard und Jrome dem Rhein entlang. Es ist ein wunderschner Herbsttag, die Bltter an den Bumen sind schon bunt. Seit vier Jahren lebe ich mit meinem Mann Roger in Basel. Ich bin hier sehr glcklich, obschon ich anfangs Heimweh hatte. Mein Mann, die zwei Knaben und ich leben in einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt, es ist sehr ruhig. Im Augenblick ist meine jngere Schwester bei uns in den Ferien, sie hat sich anerboten, diesen Abend unsere Kinder zu hten. Ich bin sehr froh, einmal einen Abend frei zu sein, man kann die Kinder ja nicht gut allein lassen, solange sie noch so klein sind. Roger und ich werden diesen Abend mit zwei befreundeten Ehepaaren verbringen. Jrome

    kommt gerannt und will unbedingt getragen werden, er ist jetzt zwei Jahre alt und sehr lebendig. Sein Bruder Bernard ist vier Jahre alt und tollt gerade mit dem Schferhund Kastor umher. Jetzt werde ich noch in die Stadt einkaufen gehen frs Abendessen und fr Morgen. Es ist ziemlich beschwerlich, mit den zwei Knaben in die Stadt zu gehen. Roger wird ungefhr um 18.15 Uhr heimkommen, danach werden wir essen, und nach dem Essen werden noch die zwei Buben ins Bett gebracht. Ungefhr um 20.00 Uhr werden wir zum Ausgehen fertig sein. Ich freue mich darauf. Vieles, was Rosmarie damals voraussah, ist eingetroffen. Dass nun der Hund nicht Kastor heisst und eine Katze ist ein Detail. Zudem: Rosmarie lebt nicht in Basel. Sie ist ins Zrcher Oberland gezogen und hat meinem Bruder und mir glcklicherweise etwas modernere Vornamen gegeben.

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    fhl, ausser es wre ganz schrecklich gewe-sen (lacht). Das kann ich allerdings nicht be-urteilen.

    Denkst du, du httest auch auf diesem Weg im Bereich Fussball gearbeitet? Fussball und Wirtschaft zusammen bieten auch Mglich-keiten.Es htte sicher verschiedene Optionen ge-geben. Die Mglichkeit, nach dem Grund-studium noch in den Profibereich zu gehen, war sicher da. Ansonsten: Fussballspielen auf Halbprofibasis oder nur hobbymssig in der Erstliga, um mir mein Studium zu fi-nanzieren. Das wre sicher auch ein Weg gewesen. Das htte ich mir auch gut vorstel-len knnen, aber ich hatte dann die Chance in den Profibereich zu gehen und das wollte ich zumindest versuchen. Ich wusste aller-dings nicht, wie das sein wrde und so ha-be ich erst mal einen Einjahresvertrag mit dem FC Luzern vereinbart. So konnte ich bei den Profis reinschauen und herausfin-den, ob ich da berhaupt bestehen und den Durchbruch schaffen kann. Ich wollte mir nichts verbauen.

    Das klingt alles so vernnftig. Gehst du ger-ne auf Nummer sicher?Schon ziemlich. Meine Karriere war auch immer so: Ein Schritt nach dem anderen. Ich habe nie etwas ganz Verrcktes ge-macht. Es kam immer der nchstlogische Schritt. Zuerst habe ich zwei Jahre in Lu-zern gespielt, dann ging ich zu GC, dem da-maligen Spitzenverein in der Schweiz, dann kam ich in die Nationalmannschaft und da-rauf folgte der Wechsel ins Ausland. Das Ganze ging step by step. Das habe ich auch nie bereut (lchelt).

    Wo hast du deine Matur gemacht? Warst du in einem Sportgymnasium?Im Gymi Lerbermatt in der Nhe von Bern.

    SPRACHSCHULE FUSSBALL

    Lieber Wuschu [bername von Christoph Spycher, Anm. d. Red.], nach der Matur stand dir alles offen. War es fr dich eine schwierige Entscheidung, nicht zu studie-ren? Oder hast du gar ein Studium begon-nen?Angefangen habe ich eigentlich nichts, aber ich war an der Uni Bern fr Wirtschaft im-matrikuliert, weil ich nicht wusste, wo mich mein Weg hinfhren wird. Ich hatte einen Vertrag beim FC Luzern, aber dieser stand damals nahe am Konkurs. Es ging um Ta-ge und Stunden, ob sie genug Geld auftrei-ben knnen und die Lizenz erhalten. Ohne diese htte ich nicht in die Nati A wechseln knnen. Wenn das so gewesen wre, htte ich vermutlich fr einen Nati-B-Verein ge-spielt, aber im Ungewissen, ob ich davon le-ben knnte. Deswegen war ich prventiv an der Uni eingeschrieben. Ich habe das Stu-dium dann aber nie begonnen.

    Wre Wirtschaft das Einzige gewesen, das du dir vorstellen konntest? Gab es keine an-deren Optionen?Das Grundstudium in Wirtschaft htte ich sicher durchgezogen. Das hab ich so im Ge-

    ENTSCHEIDUNGEN SIND WERTVOLL, ABER NICHT IMMER LEICHT. SIE FHREN UNS DAHIN, WO WIR HEUTE SIND UND HTTEN WIR SIE NICHT GEFLLT, WREN WIR HEUTE WOANDERS. WAS WRE WENN? STUDIVERSUM HAT SICH MIT DEM DEFENSIV-ALLROUNDER DER YOUNG BOYS UND EHEMALIGEN NATIONALSPIELER, CHRISTOPH SPYCHER, IM STADE DE SUISSE IN BERN GETROFFEN.

  • 25 STUDIVERSUM | 2010.12

    Es ist ein normales Gymnasium. Ich bin in Bern aufgewachsen. Frh zu YB zu gehen, wre eine Alternative gewesen. YB hatte damals finanzielle Probleme und auch kein spezielles Angebot fr den Nachwuchs. So spielte ich in der Erstliga beim SC Bmpliz und danach beim FC Mnsingen. Von der Belastung her war das tiptop: drei bis vier Mal Training abends unter der Woche und am Wochenende ein Spiel. So harmonierte das gut mit dem normalen Gymi. Sportgy-mis wurden erst spter populr. Ich kannte das noch nicht so.

    Gab es auch Zeiten der Selbstzweifel?Sicher war es immer ein Traum, Profifuss-baller zu werden, aber es war nicht das grosse Ziel ber Jahre hinweg. Nicht wie eine Obsession: Das muss ich jetzt unbe-dingt erreichen. Ich habe einfach gerne ge-tschuutet. Und eines Tages kamen die ers-ten Angebote und dann habe ich auch dar-an geglaubt, dass das realistisch ist, dass ich diesen Weg gehen kann. Aber sicher gab es auch Zweifel. Kann ich das schaffen? Ge-fllt es mir? Ich hatte schon Selbstvertrau-en, aber dieses ist nicht zu vergleichen mit dem Selbstverstndnis, mit dem die Jun-gen heute in den Profisport gehen. Ich war manchmal zu selbstkritisch. Es ist aller-dings ein schmaler Grat einerseits ist ein positives Auftreten sehr gut, aber ein we-nig Selbstkritik ist auch notwendig. Ich ha-be mich hinterfragt und versucht zu verbes-sern. In diesem Bereich muss man einen gu-ten Weg finden.

    Am 20. Mai 2010 schrieb die NZZ unter dem Titel Spycher wie Beckham, dass der Na-tionalmannschaft mit deinem Rcktritt ei-ne Integrationsfigur verloren geht. Du und Cabanas htten es den neuen Spielern dank eurem sozialen Denken und eurer Mehr-

    sprachigkeit einfacher gemacht, sich zu in-tegrieren. Wie viele Sprachen sprichst du?Franzsisch, Italienisch, Englisch und ein wenig Portugiesisch, aber darin kann ich mich nicht grossartig unterhalten. Mit mei-nen Kenntnissen knnte ich mich in Bra-silien durchschlagen, aber perfekt beherr-schen tue ich es nicht. Das Meiste habe ich im Gymi gelernt. Italienisch hatte ich im Freifach. Der Sport ist hier sehr dank-bar, vor allem in der Schweiz. In der Schu-le ist es zu theoretisch und wird praktisch kaum angewendet. Als ich zum FC Luzern kam, habe ich mich mit einem Unterwalli-ser sehr gut verstanden, schlussendlich ha-ben wir sogar eine WG gegrndet. Da er nicht so gut Deutsch gesprochen hat, ha-ben wir daheim immer Franzsisch gere-det. Das war fr mich natrlich der Sech-ser im Lotto. Ich habe grosse Fortschritte ge-macht. Ich hatte auch viele Teamkollegen, die Italienisch und Franzsisch sprachen. Viele waren auch Sdamerikaner, die dann Italienisch statt Deutsch gelernt haben, weil

    es ihnen leichter fiel. In der Fussballmann-schaft verliert man die Hemmungen Fehler zu machen. Man redet einfach. Das finde ich sehr positiv, da kann man profitieren und es immer wieder anwenden. Im FC hat man die Wahl: Entweder man versucht es oder spricht gar nicht miteinander.

    Du bist frh in eine WG gezogen.Als ich zu Luzern ging, war ich 21. Erst ha-be ich ein Jahr alleine gelebt und dann mit meinem Mitspieler Sbastien Lipawsky ge-wohnt. Nach Luzern wurde er nach Locar-no ausgeliehen, danach hat er ein Studium begonnen und seine Karriere abgebrochen.

    Was hltst du fr deine grsste Strke?Ich bin sicher sehr zuverlssig. Man kann sich auf mich verlassen. Die Menschen, die mir wichtig sind, sollen wissen, dass ich im-mer fr sie da bin.

    Bei Eintracht Frankfurt warst du auch Cap-tain. Wrdest du dich als Leaderfigur be-zeichnen?Leaderfunktionen hatte ich in jeder Mann-schaft. Das hat sich einfach immer so erge-ben. Bei Luzern war ich nach dem ersten Jahr Vize-Captain. Da war ich 22. Bei GC dasselbe und bei Eintracht dann auch noch Captain. Es hat sich dann herauskristalli-siert, dass ich keine Angst hatte Verantwor-tung zu bernehmen. Die Trainer haben auch gesprt, dass ich kein Individualist bin und dass der Erfolg der Mannschaft fr mich das Wichtigste ist. Ich habe alles auf-merksam beobachtet. Wenn es einem

    SPRACHSCHULE FUSSBALL

    Ich habe nie etwas ganz Ver-rcktes gemacht. Es kam immer der nchstlogische Schritt

    31.10.2010, Young Boys - Grasshoppers 1:0 (0:0) Christoph Spycher setzt sich gegen den Grasshopper Toko durch.

    Seit dieser Saison endlich bei YB: Christoph Spycher.

  • 26 STUDIVERSUM | 2010.12

    Mitspieler mal nicht gut ging, dann war ich fr ihn da.

    Dein Vorbild war Zindine Zidane.Ihm zuzuschauen war das Schnste. Al-les sah so einfach aus. Fussball war bei ihm Kunst. Er hat mich auch als Person faszi-niert. Ich durfte sogar gegen ihn spielen. Seine Aura ist ganz speziell mal abgese-hen davon, wie heissbltig er auf dem Platz sein konnte (lacht), auch am Ende seiner Karriere. ber ihn und seine Familie wur-de nie etwas Skandalses berichtet; er hat die Familie abgeschottet. Auch fr mich ist die Familie das Wichtigste. Wir bleiben dem Rampenlicht fern.

    Du hast auch Kinder. Spielen sie schon Fussball?Sie sind halt noch sehr klein. Dominik wird drei. Mit ihm spiele ich manchmal, wenn er Lust hat und Claudio ist erst zwei Monate alt.

    War es eigentlich auch ein Traum von dir, in Deutschland zu spielen?Wenn man als Kind in der Deutschschweiz aufwchst, interessiert man sich schon im-mer fr die Bundesliga. Sie wird genial ver-

    marktet. Sportschau und ran habe ich oft geschaut. Auch als ich bei GC spielte, war das mein grosser Traum. Vor allem aber eine Herausforderung.

    Wollest du gezielt zurck in die Schweiz? Oder kam das mit dem Angebot von YB?Nein, aber das war ein Traum, den ich mir noch erfllen wollte. Ich bin ja auch in Bern aufgewachsen. Als Kind habe ich das Schicksal von YB mitverfolgt.Privat sehen wir unsere Zukunft als Familie in der Region Bern. Unsere Eltern, Schwie-gereltern und engsten Freunde leben auch hier, deswegen hat es uns zurck in die Hei-mat gezogen.

    Ist es dir schwer gefallen, dich nach der Ver-letzung ganz vom Nationalteam zu verab-schieden?Ja, es war nicht leicht. Ich hatte bereits vor-her die Idee, dass nach der WM 2010 Schluss sein wird aus verschiedenen Grnden: al-tersmssig, um jungen talentierten Spie-lern Platz zu machen und privat wegen dem zweiten Kind, das wir erwarteten. Mit den Europa-League-Spielen von YB und den Spielen der Nati wre ich nicht mehr oft da-heim gewesen. Viele Grnde sprachen da-

    fr, aber ich kam auch noch ins Wanken, weil ich verletzt war und mir einen anderen Abgang gewnscht htte. Aber nur weil ich einen anderen Abgang wollte, konnte ich nicht alle Grnde ber den Haufen wer-fen. Auch wenn es nicht so schn war, man kann es sich nicht immer aussuchen. Die WM wre ein schner Abschluss gewesen.

    Was sind deine Interessen neben dem Fuss-ball?Mich fasziniert Sport allgemein Eisho-ckey, Inlineskating. Ich bin ein grosser Ski-Fan. Jedes Ski-Rennen sehe ich mir an. Mit dem lteren Sohn gehe ich viel Fahrradfah-ren. Aber whrend der Karriere musste vie-les zurckgestuft werden, wie Kinobesuche, Konzerte und so. Ich bin sonst schon noch viel weg und unternehme dann nur Din-ge, bei denen die Kinder dabei sein kn-nen. Primr steht die Familie im Vorder-grund, aber alles andere sind Dinge, auf die ich mich nach der Karriere freue. Zum Bei-spiel einmal spontan mit der Familie eine Stdtereise zu unternehmen oder mit dem Camper durch die USA kurven. Der Vertrag als Spieler luft noch bis 2013 und dann mal schauen, wo der Weg hinfhrt. rText Raf-faela Angstmann, Bilder zvg

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  • 27 STUDIVERSUM | 2010.12

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  • 28 STUDIVERSUM | 2010.12

    Im Rahmen der Bologna-Reform wurde in ganz Europa ein dreistufiger Studienaufbau eingefhrt Bachelor, Master, Doktorat. Nach einem Bachelor kann man also einen Master anhngen. Dabei bieten sich den Studierenden nach dem Bachlor drei Op-tionen: In der gleichen Fachrichtung an der gleichen Uni weiterzustudieren, in der glei-chen Fachrichtung an einer anderen Uni weiterzustudieren oder aber die Fachrich-tung zu wechseln, mit oder ohne gleichzei-tigem Universittswechsel. Dass hier Pro-bleme auftreten knnten, antizipierte die Rektorenkonferenz der Schweizer Univer-sitten CRUS bereits im Mrz 2006. Vor al-lem bei den beiden letzteren Mglichkei-ten knne sich der administrative Aufwand stark erhhen, knnen Kollisionen bei Pr-fungsterminen auftreten und unterschied-liche fachliche Schwerpunkte der Univer-sitten zu Anrechnungsproblemen fhren. Sie behielt Recht.

    Bern - Zrich nicht ganz so einfach Etna Engeli studierte in Bern Psychologie, Psychopathologie und Ethik im Bachelor-studiengang. Nach Erhalt des Bachelor-Zeugnisses, fr das Etna eine nicht ange-kndigte Gebhr von 300 Franken bezahl-te, wollte sie ihr Studium im Master an der

    NACH DEM BACHELOR KOMMT DER MASTER. WAS IN DER THEORIE SO EINFACH KLINGT,STELLT SICH IN DER PRAXIS OFT ALS SCHWIERIG HERAUS. DER BERGANG VOM BACHELOR ZUM MASTER HAT SICH BEREITS FR SO MANCHEN STUDIEREN-DEN ALS KNACKNUSS ERWIESEN UND ZEIGT, DASS IN SACHEN BOLOGNA NOCH EINIGES ZU TUN IST.

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  • 29 STUDIVERSUM | 2010.12

    Uni Zrich fortsetzen. Ihr wurde mitge-teilt, dass die Uni Zrich nachprfen ms-se, ob die Leistungen, die sie im Bachelor an der Uni Bern erbracht hatte, inhaltlich gleichwertig seien wie jene eines Zrcher Bachelorabschlusses. Die Psychologiestu-dentin musste dafr detaillierte Beschriebe jedes Kurses, den sie an der Uni Bern belegt hatte, sowie Leistungsnachweise (Semes-terarbeiten oder andere Dokumente) in ei-nem Dossier zusammenstellen und an der Uni Zrich einreichen. Ein enormer zeit-licher und administrativer Aufwand. Sie machten es mir nicht einfach, erinnert sich Etna. Insbesondere die Detailbeschrie-be der besuchten Kurse musste sie in mh-samer Kleinarbeit in Vorlesungsverzeich-nissen und Archiven zusammensuchen.

    Dass die Universitten sicher gehen wollen, dass ihre Masterstudenten ber ge-ngend Vorwissen verfgen, ist verstnd-lich. Die unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkte, die die Universitten set-zen, erschweren dabei eine solche ber-prfung. Diese Individualitt der Unis soll auch erhalten bleiben, betont der StuRa Zrich in einem Positionspapier. Gleich-zeitig wird darauf hingewiesen, dass ein Ziel der Bologna-Reform eine Verbesse-rung der Mobilitt sei und Bachelor-Ab-schlsse auch von anderen Unis als solche anerkannt werden mssen. In diesem Licht erscheint das drei Zentimeter dicke Dos-sier, das Etna bei der Uni Zrich einreichen musste, unerklrlich.

    Eine Woche vor Semesterbeginn wur-de Etna mitgeteilt, dass sie ohne zustzli-che Auflagen ihren Master in Psycholo-gie an der Uni Zrich beginnen kann. Die Unsicherheit, die sie den ganzen Sommer ber geplagt hatte, hat ihre Freude darber jedoch ziemlich getrbt.

    Ein spezieller MasterstudiengangVon einem Masterstudium ohne zustz-liche Auflagen kann Anouk NGuyen im Moment nur trumen. Sie hat an der Uni Basel einen Bachelor in Wirtschaft und Germanistik absolviert und hat mit zwei gleichwertigen Hauptfchern abgeschlos-sen. Als einzige Schweizer Uni bietet die Uni Basel die Mglichkeit, den Bachelor in zwei Hauptfchern abzuschliessen. Seit Be-

    ginn des Herbstsemesters studiert Anouk nun an derselben Uni Sustainable Deve-lopment, einen spezialisierten Masterstu-diengang. Diesen hat sie unter anderem deshalb gewhlt, weil sie mit ihren zwei Hauptfchern, fr die sie je 75 ECTS-Punk-te sammeln musste, keinen regulren Mas-ter antreten kann.

    Der spezialisierte Masterstudiengang Sustainable Development setzt gemss Studienordnung einige Kriterien voraus, die Anouk allesamt erfllte. In einer Auflis-tung wird zudem festgehalten, welche Ba-chelor-Abschlsse einen fr den Master in Sustainable Development qualifizieren. Mit Wirtschaft verfgt Anouk ber einen solchen Abschluss. Wie dieser auszuschau-en hat, ist nicht geregelt und ihr wurde ver-sichert, dass die Tatsache, dass sie nur 75 ECTS-Punkte in Wirtschaft gemacht hat, zu keinerlei Problemen fhren wrde. Um-so berraschter war Anouk, als ihr vier Ta-ge vor Semesterbeginn schriftlich mitge-teilt wurde, dass sie zustzlich 24 ECTS-Punkte in Wirtschaft erwerben msse. Nie sei vorab kommuniziert worden, dass sie in Wirtschaft bestimmte Fcher htte belegen mssen, so Anouk. Nur, dass ein Bachelor in Wirtschaft ntig sei. Die Auflagen, fgt sie hinzu, haben zudem inhaltlich kaum etwas mit meinem Masterstudiengang zu tun.

    Dass sie Auflagen bekommen habe, sei nicht das Hauptproblem, betont Anouk. Was sie aber stre, sei die schlechte Kom-munikation. Wer sich vorab informiert, er-hlt zwar Auskunft, die schlechten Abspra-chen zwischen den verschiedenen Stellen machen diese Ausknfte jedoch wertlos. Die zustzlichen ECTS-Punkte wurden Anouk nicht von der Studiengangsleitung auferlegt, sondern von der Prfungskom-mission der Uni Basel. Dort hat die junge Studentin nun Rekurs eingelegt, ein wei-terer administrativer Aufwand. Sie wartet noch auf den Bescheid.

    Bei den Bachelor-Zeugnissen muss mit Versptungen gerechnet werdenEs kommt immer wieder vor, dass beim bergang vom Bachelor zum Master Prob-leme auftreten. Lukas Kissling von der Stu-dentischen Krperschaft der Universitt

    Basel (Skuba) ist zwar der Meinung, dass der normale bergang vom Bachelor zum Master eigentlich problemlos sein sollte, rumt aber ein, dass ein Wechsel der Uni oder gar der Fachrichtung schon zu Kom-plikationen fhren knne. Gerade die ver-sptete Ausstellung des Bachelor-Zeugnis-ses hat schon manchen verrgert. Wenn man im Sommer den Bachelor macht und sein Zeugnis nicht innerhalb von ein bis zwei Monaten erhlt, kann man kaum im Herbst mit dem Master beginnen. Studie-rende, die dies betrifft, knnen sich offi- ziell noch nicht an der Uni einschreiben und haben somit oft keinen Zugang zu E-Learning-Angeboten oder E-Mail-Ac-counts. Insbesondere deutsche Studieren-de htten hier Probleme, da ihre Semester-daten nicht mit jenen der Schweizer Unis bereinstimmen. So ist die versptete Aus-stellung des Bachelor-Zeugnisses fast der Regelfall und deutsche Studierende kn-nen sich nicht fr den Master an einer Schweizer Uni einschreiben. Sie mssen dann oft einen Schleichweg gehen, schrei-ben sich als Bachelorstudent ein, warten den Erhalt des Bachelor-Zeugnisses ab und schreiben sich dann fr den Masterstudi-engang ein. Auch das eine Verkomplizie-rung der Administration, mit der sich die Studierenden ohnehin schon herumschla-gen mssen.

    Alla BologneseDie Beispiele zeigen, dass in der Schweiz die Ziele der Bologna-Reform noch lngst nicht erreicht sind. Dies liegt unter ande-rem daran, dass die Bildungslandschaft Schweiz kein einfaches Terrain fr ei-ne Harmonisierung ist. Zwar sind auf na-tionaler Ebene einige Punkte vorgege-ben worden, in der Umsetzung der Re-form haben die Hochschulen jedoch grosse Freiheiten. Die Ausarbeitung von Regelungen wird somit nach unten de-legiert und gleichzeitig von einer Viel-zahl von Akteuren ausgearbeitet. Dies fhrt zu Unstimmigkeiten und Inkompa-tibilitten. Zu viele Kche verderben be-kanntlich den Brei. Die Suppe auslffeln mssen dann die Studierenden. rText Karin Reinhardt, Illustration Melanie Im-feld

    SURFENMehr zur Rubrik Unipolitik findest du unter www.semestra.ch

  • 30 STUDIVERSUM | 2010.12

    versitt Zrich (IEW) wird der Einfluss von Testosteron auf das Entscheidungsverhal-ten von Frauen getestet. Wirkt sich ein Tes-tosteronschub positiv auf die Risikobereit-schaft aus? Um dieser Frage nachzugehen, bekommen die Testpersonen eine Testos-terontablette verabreicht und knnen dann Entscheidungen treffen, die registriert und mit dem Normalzustand verglichen wer-den.

    An allen grossen Schweizer Spitlern finden laufend klinische Studien statt: Im Berner Inselspital konnten sich bereitwilli-ge Versuchskaninchen melden, um im Rah-men einer Ernhrungsstudie herauszufin-den, ob Schweizer Milchprodukte gesund sind, und worin der Unterschied zwischen tierischen und industriellen Transfettsu-ren besteht. In Zrich sucht man Probanden mit Zahnberempfindlichkeit und Leute, die an Diabetes leiden und bereit sind, ein neues Medikament zu testen. Wer sein Stu-dium schliesslich ganz an den Nagel hngen mchte und eine Karriere als Testobjekt an-strebt, findet auf clinlife.ch alle ntigen In-fos und garantiert auch die passende Studie fr das individuelle Krankheitsbild.

    Auch mit dem Magnetresonanztomo-graphen besser bekannt unter dem Spitz-namen die Rhre wird bei Humanexpe-rimenten gern gearbeitet. Dieses Gert er-

    1970er-Jahren. Besonders berhmt gewor-den sind das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment (siehe Kas-ten). Bei beiden Studien handelt es sich um ethisch hinterfragbare, aber innovative Forschung, die das Dilemma zwischen dem Schutz grundlegender Rechte und dem Er-zielen wissenschaftlichen Fortschritts bei-spielhaft auf den Punkt bringt. Und bei-de knnte man heute in dieser Form kaum mehr durchfhren: Sie wrden schon im Ansatz von einer Kommission geblockt oder die Sozialpsychologen trauten sich wohl gar nicht mehr, solche Experimente zu planen und durchzufhen.

    Ein breites Angebot Auch an Schweizer Hochschulen finden tglich Versuche mit Menschen statt. Die Palette der involvierten Wissenschaften ist breit und reicht von den klassischen kli-nischen Disziplinen Medizin und Pharma-zie ber die Psychologie und Wirtschafts-wissenschaften bis hin zur Soziologie und Medienwissenschaften. Ein gezwungener-massen selektiver berblick zeigt, in wel-chen Bereichen mutige Probanden die wis-senschaftliche Erkenntnis derzeit voran-treiben:

    Bei einem Experiment am Institut fr empirische Wirtschaftsforschung der Uni-

    Dem unkundigen Beobachter kommen beim Stichwort Menschenversuche schnell Schreckensvorstellungen von Miss-brauch, Wahnsinn oder tdlichem For-schungseifer in den Sinn, sicherlich genhrt durch Filme wie Frankenstein oder Das Experiment, aber auch durch geschichtli-che Hintergrnde und reale sozialpsycho-logische Experimente in den 1960er- und

    ETHIK IST EIN LEIDIGES THEMA. NUR ALLZU OFT HAN-DELT MAN SICH DAMIT DAS ATTRIBUT DES BESSER-WISSERS UND GUTMEN-SCHEN EIN. MANCHMAL MUSS MAN ABER ETHISCH ARGUMENTIEREN, WENN ES UM DEN SCHUTZ PER-SNLICHER RECHTE GEHT. SO AUCH BEI EXPERIMENTEN MIT STUDIERENDEN?

    EXPERI-METHIK

    REPORTAGE

  • 31 STUDIVERSUM | 2010.12

    laubt die Darstellung der inneren Organe und die Messung der Durchblutung von Hirnarealen ber Magnetstrme, was ei-nen indirekten Schluss auf die Hirnaktivi-tten zulsst. So kann man herausfinden, welcher Hirnbereich bei welcher kogniti-ven Aktivitt gebraucht wird und wie un-ser Verhalten neuronal gesteuert ist. Wer schon einmal in der Rhre lag, weiss, dass es da drin ziemlich eng und mitunter auch sehr laut ist kein besonders prickelndes Erlebnis auf jeden Fall.

    Wie weit kann man gehen?Wie ethisch sind die Experimente, die an Schweizer Hochschulen gemacht werden? Ist es legitim, die Probanden fr den wissen-schaftlichen Fortschritt unangenehmen Si-tuationen auszusetzen? Wie weit kann die neurologische und medizinsche Forschung gehen und wer bestimmt, ob ein Experi-ment die Grenzen des Ethischen einhlt? Darber entscheidet die jeweilige kanto-nale Ethikkommission, sofern Arzneimit-tel und Medizinprodukte zur Anwendung kommen. Fr die Kommissionen arbeiten hauptschlich Mediziner und Juristen, aber auch einige Naturwissenschaftler, Theolo-gen und Philosophen. Zudem schufen die Schweizer Stimmbrger mit der Annahme der Volksinitiative zu den Rahmebedin-gungen fr die Forschung am Menschen im Mrz dieses Jahres die Grundlage fr ei-ne einheitliche Regelung: Laut dem neuen Verfassungsartikel 118 sind Versuche am Menschen an klare Bedingungen geknpft. Die Risiken und Belastungen fr die teil-nehmenden Personen drfen nicht in ei-nem Missverhltnis zum Nutzen des For-schungsvorhabens stehen, heisst es bei-spielsweise.

    Entscheiden am PC...International besonders bekannt gewor-den sind die ethisch bedenklosen und des-halb auch nicht von der Kommission ber-prften PC-Studien, die am IEW-Lehrstuhl von Ernst Fehr durchgefhrt werden. Um verschiedene Theorien zum menschlichen Verhalten und selten hinterfragte kono-mische Grundannahmen zu prfen, la-den Fehr und sein Team stndig Studieren-de in ihr Computerlabor ein. Dort werden am PC Entscheidungssituationen durchge-spielt, die das Handeln im Alltag simulieren sollen. So untersucht man zum Beispiel, ob sich die Studierenden eher egoistisch oder altruistisch verhalten, ob sie Normabweich-ler bestrafen oder ob sie in ffentliche G-ter investieren. Wer sich geschickt verhlt, kann innerhalb von 90 Minuten einen ange-messenen Studentenlohn verdienen, denn die gesammelten Punkte werden einem am Schluss bar ausgezahlt. Der exakte Ver-

    dienst ist zwar abhngig von den Entschei-dungen, die am Computer getroffen wer-den, aber wenigstens geht man immer mit einem Mindestbetrag nach Hause.

    ...und im TomographenClaudia Paixo arbeitet an der Anmelde-stelle fr Studienteilnehmer der Uni Zrich und ETH. Sie rekrutiert Probanden fr ver-schiedene Labore. Eines davon ist das SNS Lab (sns.uzh.ch), ein interdisziplinres La-bor zur Untersuchung sozialer und neuraler Systeme. Claudia ist fr die Rekrutierung der Studienteilnehmer zustndig und sorgt dafr, dass alles reibungslos ber die Bhne geht. Am SNS Lab lassen sich verschiedene Untersuchungsmethoden unterscheiden: einerseits die beschriebenen PC-Entschei-dungsspiele, andererseits neurokonomi-sche Untersuchungen, welche beispielswei-se im MRI-Tomographen durchgefhrt wer-den oder auch Untersuchungen, bei denen mittels schwacher elektrischer Gleichstr-me die Nervenzellen im Gehirn auf unge-fhrliche Weise vorbergehend stimuliert werden. Claudia erlutert mir den Rekrutie-rungsprozess fr die beiden letzten Formen: Wer an einem Neuroexperiment teilnimmt, muss bestimmte Kriterien erfllen, die in ei-nem Telefongesprch besprochen werden. Fr den Tomographen sind zum Beispiel Platzangst, Piercings oder sonstiges Metall im Krper absolute No-Gos. Daneben sollte der Gesundheitszustand in Ordnung sein. Die Probanden wissen also, worauf sie sich einlassen, und im schlimmsten Fall knnen

    sie auch whrend den Versuchen noch je-derzeit Stopp sagen, zum Beispiel, wenn ihnen schlecht wird oder sonstige Kompli-kationen auftreten. Misstrauische, vorsich-tige Probanden melden sich selten an und der Selbstselektion entsprechend kommen auch wenige Beschwerden nach den Expe-rimenten.

    Das ethische ArgumentEthische Argumente spielen beim Design und der Planung der Studien eine Rolle und sptestens, wenn die Kommission ins Spiel kommt, ist es unvermeidbar sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sagt Claudia. Je-de Studie erhlt eine Antragsnummer und wird in einem mehrstufigen Verfahren be-gutachtet, bevor es zur Bewilligung durch die Ethikkommission kommt. Am SNS Lab wurden bis jetzt keine Gutachten abgelehnt. Ein Grund fr die vielen erfolgreichen Ge-suche ist die eingehende Beschftigung mit Ethikstandards im Vorfeld, die im interna-tionalen Wissenschaftsbetrieb auch einge-fordert werden. Zudem handelt es sich bei den eingesetzten Methoden um erprobte, weltweit gebrauchte Techniken.

    Was ist der Anreiz fr die Studierenden an einer neurkonomischen Studie teilzu-nehmen? Neben der Vergtung spielt laut Claudia auch die Tatsache mit hinein, dass die Teilnehmer Forschung live miterleben knnen und Teil eines grossen Projekts seien, dass sie sehen, was dahinter steckt. rText Christoph Lutz, Bild Selin Bour-quin

    Zu den bekanntesten sozialpsychologischen Experimen-ten gehrt das Stanford-Prison-Experiment. Der Psychologieprofessor Philip Zombardo von der Stanford University wollte untersuchen, ob Gewaltbereitschaft und bsartiges Verhalten gegenber Mitmenschen eine inhrente Persnlichkeitseigenschaft oder eher ein situationales, berindividuelles Muster ist. Dazu stellte er eine Gefngnissituation nach. Die Teilnehmen-den waren emotional stabile Uni-Studenten, zumeist weisse Mittelschichtsangehrige. Zimbardo teilte die Gruppe zufllig in Gefangene und Gefngiswrter ein. Schnell entwickelten die Wrter eine spezifische Identitt, zu der auch das Qulen der Gefangenen mit sadistischen Ritualen gehrte: Aufwecken mitten in der Nacht, Kollektivstrafen und stundenlange Abzhlspiele waren noch die harmolesesten Exzesse. Das Experiment artete nach wenigen Tagen so aus, dass Zimbardo es abrechen musste. Eine spannende populrwissenschaftliche Rekonstruk-tion aus der Sicht von Zimbardo selbst findet sich in: The Lucifer Effect Understanding How Good People Turn Evil.

    SURFENInteressiert? Dann schau mal auf www.expecon.uzh.ch vorbei.

  • 32 STUDIVERSUM | 2010.12

    HERAUSGEBERIN:

    Campus Lab AGEschenring 26300 Zug

    CHEFREDAKTORIN:

    Raffaela Angstmann

    REDAKTOREN DIESER AUSGABE:

    Raffaela Angstmann, Andr BhlerSelin Bourquin, Mario FuchsDominic Illi, Julia KrttliNora Lipp, Christoph LutzClaudia Piwecki, Karin ReinhardtStephanie Renner, Martina Zimmermann

    LAYOUT:

    Aline Dallo

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    Cline Beyeler, Maike Hamacher

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    Selin Bourquin

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    LEKTORAT:

    Andr Bhler

    DRUCK:

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    KONTAKT:

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    LESERBRIEFE:

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    StudiVersum erscheint sechs Mal jhrlich in einer Auflage von 25 000 Exemplaren an allen Universitten und Fachhochschulen der Deutschschweiz. Alle Rechte vorbehal-ten; Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und Internet und Vervielfltigung auf Datentrgern wie CD-Roms etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung der Herausgeberin.

    IMPRESSUM|2010.12 DENKSPIEL|Ideenreichtum

    Lsung der letzten Ausgabe (System im System):Zuerst werden die ungeraden Zahlen (1 11) notiert. Danach die geraden in sinkender Rei-henfolge hinzugefgt, dies ergibt die erste Runde. In jeder weiteren Runde wird die Zahl um eins erhht, wobei die 13 zur 1 wird. rText P.H.

    1 3 5 7 9 111 12 3 10 5 8 7 6 9 4 11 22 1 4 11 6 9 8 7 10 5 12 33 2 5 12 7 10 9 8 11 6 1 4

    8 8

    7 42 105 140 105 42 7

    6 30 60 60 30 6

    5 20 30 20 5

    4 12 12 4

    3 6 3

    2 2

    1

    senschaften. Als mathematischer Mei-lenstein wird das Harmonische Dreieck betrachtet.

    Leibniz hatte als Anerkennungs-Auf-gabe die Summe der reziproken Dreiecks-zahlen zu ermitteln. Hierbei stiess er auf die abgebildete Pyramide, wobei in den Zellen nur die Nenner der Stammbrche stecken. Dies ldt uns ein, in unserem Rah-men genial zu sein, indem wir versuchen, mit Hilfe von zu erkennenden Gesetzms-sigkeiten die leeren Zellen sinngemss zu fllen.

    Was ist das? Jeder bewundert es, jeder will es sein, aber kaum jemand ist es oder wird es sein. Es ist schlicht und einfach das Ge-nie. Eines der grssten Genies war unbe-stritten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 1716). Zur Freude der Juristen und zur Ver-blffung der Mathematiker, die sich frher oder spter im leibnizschen Ideenreich-tum verlieren, war der vollendete Meis-ter des franzsischen Esprits vorerst ein-mal ein hervorragender Jurist und Diplo-mat, glcklicherweise mit einem mssigen Gedchtnis! So pflegte Leibniz, alles We-sentliche zu notieren. Seine Schriften wie-derum lud die Nachwelt ein zu rtseln, wo die Phantasie beginnt, wo das Genie durch-dringt und wo ein glcklicher Fund den scharfen Verstand ergnzt.

    Leibniz drehte an allem, was ihm in die Finger kam, beispielsweise auch am Rad der Mechanik. Er analysierte aber auch grndlich Abwegiges und Seltsames wie die Zucht der Seidenraupen und war kon-sequenterweise Wegbereiter unter ande-rem fr die Berliner Akademie der Wis-

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  • 33 STUDIVERSUM | 2010.12

    Die hellgrn glimmenden Zeiger des Weckers zeigen bereits halb drei, doch Rebekka findet einfach keinen Schlaf. Ihre Gedanken kreisen um den Vortrag von morgen. Das Sprechen vor vielen Leuten ist nicht das Problem. Auch das Thema (Wie Pawlow auf den Hund kam) hat sie im Griff. Was sie stresst und wach hlt, ist etwas Anderes: Es wird die allererste PowerPoint-Pr-sentation ihres Lebens sein, denn bisher verwendete Rebekka als letzte Mohikanerin immer noch den Hell-raumprojektor und Schwarz-Weiss-Folien, whrend ihre Mitstudenten lngst mit wunderbar animierten Graphiken, Filmsequenzen und von links und rechts heranschwebenden Textbausteinen auftrumpften.

    Dass sich Rebekka solange gegen PowerPoint, Lap-top und Beamer gestrubt hat, kommt nicht von unge-fhr sie hasst Computer, Automaten und die gesam-te Palette moderner Haushaltselektronik aus tiefstem Herzen, weil die Dinger nie das tun, was sie will ein Phnomen, das sich bereits in ihrer Kindheit bemerk-bar machte. Die Bedienung des strrischen Videore-korders ihrer Eltern zum Beispiel, ist fr Rebekka trotz intensiven Bemhungen ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Das Einzige, was sie jemals damit zustan-de brachte, war das unbeabsichtigte berspielen des Hochzeitsvideos ihrer Tante mit einer Folge Marien-hof. Spter dann, als Teenager, erlangte Rebekka zwei-felhaften Ruhm als Verursacherin von unerklrlichen und meist irreparablen Computerabstrzen. So rich-tig traumatisiert wurde Rebekka allerdings erst bei ih-rer Premiere am Touchscreen-Billetautomat der SBB, als in der immer lnger werdenden Schlange hinter ihr die vorerst verhalten geusserten Flche in unverhoh-lene Morddrohungen umschlugen.

    Um bei ihrer PowerPoint-Prsentation-Premie-re ein Fiasko zu vermeiden, hat sich Rebekka gut vor-bereitet: Damian (ihre neueste, ssse Eroberung) hat ihr geduldig alles Notwendige gezeigt: wie man das Programm startet, eine Folie vor- und zurckspringt, wo man das Verbindungskabel zum Beamer einste-cken muss, etc. Trotzdem hat sich Rebekka nach die-sem Einfhrungskurs unsicher gefhlt. Auf die bange

    Frage, was sie machen soll, wenn der Beamer einfach da