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Leseprobe Probst, Jörg / Klenner, Jost Philipp Ideengeschichte der Bildwissenschaft Siebzehn Porträts Herausgegeben von Jörg Probst und Jost Philipp Klenner. Mit zahlreichen Abbildungen © Suhrkamp Verlag suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1937 978-3-518-29537-3 Suhrkamp Verlag

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Leseprobe

Probst, Jörg / Klenner, Jost Philipp

Ideengeschichte der Bildwissenschaft

Siebzehn Porträts

Herausgegeben von Jörg Probst und Jost Philipp Klenner. Mit zahlreichen Abbildungen

© Suhrkamp Verlag

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1937

978-3-518-29537-3

Suhrkamp Verlag

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suhrkamp taschenbuchwissenschaft 1937

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Blumenberg, Justi,Wind, Gundolf,Wçlfflin, Foucault, Kantorowicz, Schmitt,Malraux, Bourdieu, Sedlmayr, Gombrich, Barthes, Deleuze, Focillon, Feyer-abend,Warburg: In siebzehn Portr�ts werden maßgebliche bildwissenschaft-liche Theorien und bislang unbekannte Bildpraktiken bedeutender Forscherund Intellektueller des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Im Zentrum jedes Por-tr�ts stehen das Verh�ltnis von Sehen und Denken, von Bildgebrauch undTheoriebildung sowie die methodischen Reaktionen auf die Reize und Ge-fahren des Visuellen. Bilder, so der gemeinsame Fokus aller Darstellungen,sind nicht prim�r �sthetische Objekte. Sie sind vielmehr in ihren eigenen Ener-gien zu begreifen, die eine Theoriebildung namens Bildwissenschaft anregen.In die Ideengeschichte dieser Wissenschaft im 20. Jahrhundert bietet die Aus-wahl einen spannungsreichen Einblick.

Jçrg Probst ist Kunsthistoriker und Kurator, derzeit Promotion �ber Zeich-nung im 19. Jahrhundert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Do-kumentationszentrum f�r Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg.

Jost Philipp Klenner lebt und arbeitet als Historiker in Berlin, derzeit Pro-motion zur Politischen Bildwissenschaft, Redaktionsmitglied der Zeitschriftf�r Ideengeschichte.

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Ideengeschichteder Bildwissenschaft

Siebzehn Portr�ts

Herausgegebenvon Jçrg Probst

undJost Philipp Klenner

Suhrkamp

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet �ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1937Erste Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyUmschlag nach Entw�rfen

von Willy Fleckhaus und Rolf StaudtISBN 978-3-518-29537-3

1 2 3 4 5 6 – 14 13 12 11 10 09

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Inhalt

7 Vorwort

Sammeln10 Portr�tsammlung und Bilderverbot.

Hans Blumenberg (1920-1996)Felix Heidenreich

33 Die doppelte Epistemologie des Historismus.Carl Justi (1832-1912)Johannes Rçßler

Streuen53 Begriff liches Denken – verkçrpertes Sehen.

Edgar Wind (1900-1971)Pablo Schneider

75 Vorbilder und Nachbilder.Friedrich Gundolf (1880-1931)Michael Thimann

Projizieren97 Im Bilde.

Heinrich Wçlff lin (1864-1945)Gabriele Wimbçck

117 Bilderpolitik.Michel Foucault (1926-1984)Ulrich Johannes Schneider

Argumentieren137 Souver�nes Kleingeld.

Ernst Kantorowicz (1895-1963)Jost Philipp Klenner

161 Der katholische Beobachter.Carl Schmitt (1888-1985)Wolfgang Pircher

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Fotografieren179 Fotos f�r alle.

Andr� Malraux (1901-1976)Claudia Bahmer

197 Diagramm und Fotografie als Praxis des Visuellen.Pierre Bourdieu (1930-2002)Holger Brohm

Analysieren219 Das Numinose.

Hans Sedlmayr (1896-1984)Jçrg Probst

243 Wivenhoe Park.Ernst H. Gombrich (1909-2001)Klaus Lepsky

Beschreiben266 Mçglichkeiten der Konfiguration.

Roland Barthes (1915-1980)Tom Holert

Zeichnen291 Kritzeln als abstrakter Expressionismus.

Gilles Deleuze (1925-1995)Christian Driesen

314 Genetisches Zeichnen.Henri Focillon (1881-1943)Jçrg Probst

Fernsehen338 TV.

Paul Feyerabend (1924-1994)Michael Glasmeier

360 Magie der Technik.Aby M. Warburg (1866-1929)Thomas Hensel

383 Hinweise zu den Autorinnen und Autoren

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Vorwort

»Es ist genug. Ein f�r alle Mal: Das ABC der Modewçrter, die wirnicht mehr hçren wollen.« Mit diesen Worten paraphrasierte in die-sem Jahr die deutsche Tagespresse in einer Jubil�umspublikation denflammenden Sprachstil des Futuristischen Manifestes, dessen Ver-çffentlichung sich 2009 zum hundertsten Mal j�hrt. Von dem Furorgegen die Modewçrter kçnnte auch die Bildwissenschaft betroffensein, deren Paradigma nach gut zehn Jahren ins Wanken zu gera-ten scheint. Indiz daf�r sind die zahlreichen �berblicksdarstellungenund Zusammenfassungen, die in den letzten Jahren verçffentlichtwurden. In einem aktuellen Sammelband zur Geschichte der Kunst-geschichte wurde Bildwissenschaft in Anf�hrungszeichen gesetzt. Alspassende Reaktion dazu h�ufen sich andererseits die Versuche, derBildwissenschaft eine allgemeine begriff liche Grundlage zu geben.Das eine wie das andere kann als Schlussstrich angesehen werden.

F�r die Bildwissenschaft scheint die Zeit der R�ckschau angebro-chen zu sein. Wie fast alle Neuerungen der historischen F�cher einKind des sp�ten 19. Jahrhunderts, ist sie in den 1990er Jahren in einereinzigartigen Wendung und verschiedensten Kost�mierungen auchin den nichthistorischen und zuweilen sogar antihistorisch gesinntenF�chern zum Paradigma aufgestiegen. Nachdem sich die heftigenMethodenst�rme um Bildbegriff und Bildwissenschaft, um iconic

turn und visual studies zunehmend gelegt haben, ist im nieder-gehenden Staub bereits unter der Hand der Kampf um die Selbsthis-torisierung ausgebrochen. Unversçhnlicher denn je haben sich diePositionen radikalisiert.

Eine Zeitlang hatte die Frage nach dem Bild das Disziplinen �ber-greifende Nachdenken �ber dessenmediale, politische, anthropologi-sche und historische Wirksamkeit zu integrieren vermocht. An dieStelle eines modernistischen Pathos der Distanz setzten Bildwissen-schaftler verschiedenster Couleur die strenge Schule unvoreingenom-menen Sehens, spielerische Kombinatorik und einen �ußerst dehnba-renMçglichkeitssinn.Die »Rahmenerweiterung« der Bildwissenschaft,die jegliche Formen des Bildes einschließt, machte die Lçsung vomZwang der Disziplinen und Methoden beinahe zur Bedingung ihresErfolges. In diesem Sinne ist der methodische Mangel zuweilen alsungeheure Bereicherung empfunden worden. Allm�hlich aber hat die

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integrative Macht dieser wissenschaftsgeschichtlich einmaligen Mçg-lichkeitssteigerung nachgelassen. Mit dem Einflussverlust des Asso-ziativen und des Spielerischen sind alte Figuren akademischer Schau-k�mpfe wieder auf der Bildf l�che erschienen.

Der Band Ideengeschichte der Bildwissenschaft greift diese Ten-denz spielerisch auf. Die Sammlung legt keine Grundlagen einer all-gemeinen Bildwissenschaft vor und entscheidet keine wissenschafts-geschichtlichen Fragen, versteht sich aber dennoch als Perspektivebildwissenschaftlicher Anliegen. Diese Perspektive wird in einerRetrospektive erschlossen. In 17 Portr�ts werden maßgebliche bild-wissenschaftliche Theorien und bislang unbekannte Bildpraktiken be-deutender Forscher und Intellektueller des 20. Jahrhunderts vor-gestellt. Im Zentrum jedes Portr�ts stehen das innere Verh�ltnisvon Sehen und Denken, von Bildgebrauch und Theoriebildung so-wie die methodischen Reaktionen auf die Reize und Gefahren desVisuellen.

Bilder, so der gemeinsame Fokus aller hier gesammelten Darstel-lungen, sind nicht prim�r �sthetische Objekte, sondern in ihren eige-nen Energien zu begreifen. Von Bildern angeregte Theoriebildung istBildwissenschaft. Dieses Anliegen will die Sammlung in den Rah-men einer ideengeschichtlichen Untersuchung r�cken und damitauch zu stabilisieren versuchen.

Bildforschung ist Arbeit an Begriffen – auch in diesem Sinne istdie Botschaft des vorliegenden Bandes zu verstehen. Die Suche nachBegriffen dessen, was eine Bildwissenschaft sein kçnnte – so dieThese –, geht in der Suche nach Begriffen als Bildwissenschaft auf.Begriffe d�rfen dabei nicht als Medien der Disziplinierung missver-standen werden. Bildforschung hat zu diesem offenen Verst�ndnisderBegriffsbildung immer wieder Entscheidendes beigetragen. Indemdie Portr�ts der vorliegenden Sammlung Leben und Werk bedeuten-der Denker des 20. Jahrhunderts aus ihren besonderen Bildpraktikenheraus darzustellen und zwischen Bildpraxis und Theoriebildung eineDialektik herzustellen versuchen, die ihren Ursprung im Sehen hat,erinnert der Band an diesen »�lan vital« der Arbeit am Begriff. Ausdieser Sicht ist nicht nur von einer Ideengeschichte der Bildfor-schung, sondern auch von Bildforschung als Ideengeschichte zu re-den. Als Meisterwerk oder als zuf�llige Trouvaille, als Zeichnungoder Fernsehsendung hat das Bild immer wieder Theoriebildung aus-zulçsen vermocht – auf der Suche nach Alternativen zu einem allzu

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gesicherten Haushalt der Begriff lichkeiten, aus dem Wunsch nachUniversalit�t oder als Wille zu einem dritten Weg.

Mit der Nahf�hrung von Bildforschung und Theoriebildung ver-bindet sich umgekehrt der Versuch, in der wiederkehrenden Fragenach dem Bild ideengeschichtliche Unterschiede dieser Bilderfragenfestzustellen. Als Begriffsbildung verstanden, ist Bildforschung imKern von einem aufkl�rerischen Anliegen der gleichberechtigtenund sich gegenseitig belebenden Entwicklung von Sinn und Verstand,Sehen und Denken getragen. Im Gegensatz dazu deutet sich in derIdeengeschichte der Bildwissenschaft zugleich auch ein Begriff desIkonischenmit tief liegenden theologischen Wurzeln an. Beide Str�n-ge reichen zur�ck bis in die Bildwissenschaften der 1990er Jahre undkçnnen im vorliegenden Band in ihren Ans�tzen zur�ckverfolgt wer-den.

»Kopf hoch [. . .]«, lautete 1909 das Schlusswort des FuturistischenManifestes. Bekanntlich verband der aggressive Text �ber Geschwin-digkeit und Energie mit dieser Aufforderung zur Selbstbesinnung dieVernichtung der Bibliotheken und Museen. Stattdessen vollzog sichder Neubeginn immer wieder in den Archiven, mit dem Zeichen-stift in der Hand oder im Kino. »[. . .] und Augen auf !«, ließe sichder Aufruf hundert Jahre sp�ter erg�nzen. Der Band Ideengeschichteder Bildwissenschaftmacht aus dem Schlusswort von 1909 eine Gruß-formel.

Der Band kann nicht verçffentlicht werden, ohne allen, die amGelingen dieses Projekts Anteil genommen haben, herzlich zu dan-ken. Den Beitr�gern f�r die Texte, dem Wissenschaftslektorat desSuhrkamp Verlages in Gestalt von Bernd Stiegler und Eva Gilmerf�r die konstruktive Hilfe auf dem Weg vom Manuskript zum Buchund nicht zuletzt Carolin Schubert f�r die sorgf�ltige Redaktion.

Die HerausgeberMarburg und Sydney im Fr�hjahr 2009

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Portr�tsammlung und BilderverbotHans Blumenberg (1920-1996)

Felix Heidenreich

In einemunverçffentlichten Text1 stellte der Philosoph Hans Blumen-berg gleich zu Beginn kategorisch fest: »Metaphern vertragen es nicht,illustriert zu werden«.2 Damit wird explizit gemacht, was bereits dieAbwesenheit von Bildern in seinen großen metaphorologischen Stu-dien belegt, dass er n�mlich die Denkbilder als Leitfossilien der Geis-tesgeschichte entdeckte, zugleich jedoch den Schritt von den Meta-phern zu den Bildern selbst verweigerte. Vor diesem Hintergrund�berrascht es umso mehr, dass der Nachlass in Marbach Blumenbergzugleich als Sammler zahlloser Portr�ts von Denkern, Intellektuellen,Philosophen und Schriftstellern zeigt, die er aus Zeitungen und Zeit-schriften ausschnitt. Der passionierte Zeitungsleser Blumenberg prak-tizierte eine Bildtechnik, die man aus guten Gr�nden esoterisch nen-nen darf. So findet sich eine Fotografie Lenins neben Franz Kafka,Caspar Nink, Elout Bey, Stalin und einem Portr�t aus August San-ders ber�hmtem Bildband Menschen des 20. Jahrhunderts3 (Abb. 1).Neben der losen Sammlung von Ausschnitten hat Blumenberg je-doch eine Auswahl der Bilder auf stabilere Pappdeckel oder zuweilenabgelçste Einb�nde von Sonderdrucken aufgeklebt: so etwa die spa-zierengehenden Albert Einstein und Marie Curie (Abb. 2). Besonderseindr�cklich aus diesen herausgehobenen Bildtafeln ist die auf blauenGrund geklebte Fotografie Ernst Cassirers (Abb. 3). Sie gibt Anlasszur Spekulation dar�ber, wie Hans Blumenberg die Bildersammlunggenutzt habenmag. Wie einige wenige andere seiner Portr�ttafeln hin-terließ er sie in seiner Bibliothek, eingelegt zwischen Schmutz- undTitelblatt der Philosophie der symbolischen Formen. Als aufstellbaresLese- und Meditationsbild gibt es eine Ahnung von der Bildpraxis,

1 F�r zahlreiche Hinweise danke ich Jost Philipp Klenner und Jçrg Probst. F�r diehilfsbereite Betreuung im Deutschen Literaturarchiv Marbach danke ich DoritKrusche, f�r inspirierende Gespr�che am selben Ort Marcel Lepper.

2 Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA), Nachlaß Hans Blumenberg, UNF

3304/05.3 August Sander, Menschen des 20. Jahrhunderts, hrsg. von der Photographischen

Sammlung/SK Stiftung Kultur Kçln, Kçln 2001.

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der auch die anderen Fotografien und Portr�ts der Sammlung dienenkonnten. Metaphern vertragen es nicht, illustriert zu werden, aberPhilosophen, K�nstlern und Intellektuellen l�sst sich zumindest le-send in die fotografierten Augen blicken.

Ob und wie diese Bilder auch die Theoriebildung des Philosophenstimulieren sollten, kann gleichwohl nur gemutmaßt werden. Es istdurchaus denkbar, dass die Bilder Blumenberg gerade wegen der sub-tilen Techniken bildlicher Selbstinszenierung interessierten. SeineTexte zeugen von einer Sensibilit�t f�r die rhetorischen Sub- und Pa-ratexte philosophischer Werke. Die Portr�ts sind zumindest, andersals sein Zettelkasten, nicht als Archiv zu verstehen. Ihnen liegt keinmorphologischer oder sujetorientierter Bildindex wie in den »iko-nologischen« Bildsammlungen des Index of Christian Art, des sym-bolphilosophisch gedeckten Klassifikationssytem Iconclass 4 oder desHamburger Bildindex zur politischen Ikonographie zugrunde. Ebensowenig finden sich themenbezogene Sammlungen wie in den eigen-willigen privaten Bildzettelk�sten von K�nstlern und Kunsthistorikernvon William Heckscher bis Gerhard Richter und Frank Nitsche.5

Mit dem Zettelkasten hatte sich Blumenberg die Mçglichkeit ge-schaffen, in eine Welt nach dem Ordnungsschwund eine neue, f le-xible Ordnung einzuschreiben. Die durchgehende Nummerierungder Karteikarten ermçglichte offenbar eine Orientierung in den Wel-ten des Gelesenen, Exzerpierten, Gedachten.6 »Das Geheimnis derK�sten und Karten, Bl�tter und Zettel von Blumenberg«, hat AnselmHaverkamp k�rzlich formuliert, »liegt in den Verweisarten, die in im-mer neuen Ans�tzen kaum etablierte Anordnungen �ber den Haufen

4 Das Verh�ltnis von Ikonologie und systematischen Klassifikationen ist beschriebenbei Irving Lavin, »Ikonographie als geisteswissenschaftliche Disziplin«, in: AndreasBeyer (Hg.), Die Lesbarkeit der Kunst. Zur Geistesgegenwart der Ikonologie, Berlin1992, S. 11-22; Martin Warnke, Bildindex zur politischen Ikonographie, Hamburg1996; Pablo Schneider, Martin Warnke, Bildarchiv zur christlichen Ikonographie,Hamburg 1996.

5 Charlotte Schoell-Glass, Elizabeth Sears,Verzetteln als Methode. Der humanistischeIkonologe William S. Heckscher, Berlin 2008. Zu Richters »Atlas« vgl. Kai-UweHemken, Gerhard Richter. 18. Oktober 1977, Frankfurt am Main 1998.

6 Zum »Zettelkasten« als Ordnungssystem: Markus Krajewski, »Abendl�ndischesKastensystem. Der Zettelkasten – eine vergessene Kulturtechnik«, in: August Zwei-tausendundacht (Jg. 1), 2008, S. 102-105; Markus Krajewski, ZettelWirtschaft. DieGeburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek, Berlin 2002.

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werfen, revidieren, variieren«.7 Blumenbergs Portr�ts blieben selbstaus diesem anarchischen Kosmos ausgeschlossen. Nur als esoterische»Denkbilder« traten die Gelehrtenportr�ts mit den Texten und Schlag-worten aus dem Zettelkasten in Beziehung. Diesen Ausschluss willich im Folgenden besser zu verstehen versuchen. Wie passen privateBildpraxis und die konsequente philosophische Verweigerung gegen-�ber den Bildsymbolen zusammen?

Einige unverçffentlichte Manuskripte aus dem Konvolut UNFim Nachlass des Philosophen8 deuten an, dass Blumenbergs geringesInteresse an Bildern zun�chst auf einer systematischen Skepsis ge-gen�ber der Illustration beruhte. In einem Text mit dem TitelUnver-meidliches Bilderverbot 9 berichtet Blumenberg, eine Grafik TomiUngerers, die die Nationalallegorien Marianne und Napoleon beimGeschlechtsakt zeige (wobei dessen Ergebnis als »La conception del’Empire« angek�ndigt wird), sei in Saarbr�cken verboten worden.Ein solcher Illustrationsversuch konnte nur scheitern.

�hnlich bilderskeptisch endet der Text Das Bildverbot, der sichmit Kafkas Bitte an den Verleger besch�ftigt, den zum K�fer verwan-delten Gregor Samsa nicht in der Illustration darzustellen.10 Kafkabegr�ndete dies, wie Blumenberg notiert, geradezu apodiktisch: »DasInsekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht ein-mal von der Ferne aus gezeigt werden.« Er w�nschte eine Illustra-tion, in der lediglich die beleuchtete Welt der Familie und der dunkleRaum Gregor Samsas wie zwei Welten nebeneinanderst�nden. In dervon Ottmar Starke erarbeiteten Illustration, die den Vater sich vonder nur einen Spalt zu einem dunklen Raum offen stehenden T�rabwendend und vor Entsetzen das Gesicht hinter den Augen verber-gend zeigte, sah Hans Blumenberg hingegen die �berdeckung einer

7 Anselm Haverkamp, »Metaphorologie im Zettelkasten. Splitter einer Sprengme-tapher von Hans Blumenberg«, in: Denkbilder und Schaust�cke. Das Literaturmu-seum der Moderne (Katalog), Marbach 2006, S. 249-252, hier: S. 251.

8 »Es handelt sich dabei um neun Schuber mit sp�ten Texten, die, chronologischgez�hlt, thematisch ungeordnet, vor allem als Grundlage f�r essayistische Zeitungs-verçffentlichungen der 1980er und 1990er Jahre dienten und zur jeweiligen Aus-arbeitung von Blumenberg themenspezifisch zusammengestellt und redigiert wur-den.« Alexander Schmitz, Marcel Lepper, »Nachwort«, in: Hans Blumenberg, DerMann vom Mond. �ber Ernst J�nger, Frankfurt am Main 2007, S. 153-156, hier:S. 154.

9 DLA, Nachlaß Hans Blumenberg, UNF 3304/05.10 DLA, Nachlaß Hans Blumenberg, UNF 672.

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Konnotation. Kafkas Vorschlag h�tte, heißt es in seinen �berlegun-gen, auf den Seder-Abend angespielt, an dem die T�r zum dunklenVorraum ein Spalt offen gelassen wird, um demMessias, falls er dennk�me, den Eintritt zu erleichtern. Selbst in der abgeschw�chten Formbeschr�nke die Illustration, so Blumenberg weiter, also den Konno-tationsraum des von Kafka entworfenen Szenarios. Dass nicht nurdie Denkbilder der Mythen in Textform fortf�hrbar bleiben, son-dern auch und gerade die Bilder ihre Gegenbilder provozieren, Illus-trationen also neue Konnotationen anlegen kçnnen und selbst zumSchl�sselelement eines Textes werden kçnnen,11 scheint er nicht alsGegenargument in Betracht zu ziehen.12 Stattdessen sammelte er ne-ben Kafkas Insekt unter dem Schlagwort Bilderverbot f�r MonstrenSciencefiction-Rezensionen aus dem ZEIT-Magazin zu Ridley ScottsBlade Runner und Alien, Steven Spielbergs E.T. und Stanley Ku-bricks 2001.

Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Blumenberg das Bilder-verbot ausschließlich affirmativ verstanden hat. In einem weiterennachgelassenen Fragment wies er bereits darauf hin, dass das Abbil-dungsverbot des Gottes vom Sinai von diesem selbst durch den Schçp-fungsakt �bertreten worden war.13 Selbst f�r Gott bleibt die Ver-bildlichung unvermeidlich, und er schçpft mit dem Menschen jenesAbbild, das zu erschaffen er dem Menschen verwehrt.

Neben dem Portr�tsammler und dem Bilderverbotstheoretiker Blu-menberg steht zuletzt auch ein grafisch denkender Philosoph. In eini-gen wenigen Skizzen veranschaulichte er sich etwa die Theorie derEntstehung des Bewusstseins durch die Verzçgerung der Reaktionauf Außenreize. Die black box des »ich denke« wird dabei zu einemVerzçgerungskasten zwischen Rezeptor und Effektor. Freilich schienihm jedoch eine solche Graphik f�r ein Buch wie Die Beschreibungdes Menschen undenkbar. Hatte also auch Blumenberg das klassischeSelbstverst�ndnis der Philosophie nicht g�nzlich zu �berwindenvermocht? Selbstbilder zumindest, auch die Fotografien des Selbst,hat er nach Mçglichkeit aus der �ffentlichkeit zu halten versucht.

11 Vgl. etwa Horst Bredekamp, Thomas Hobbes – Der Leviathan. Das Urbild des mo-dernen Staates und seine Gegenbilder. 1651-2001, Berlin 2006.

12 Auch in der aus dem Nachlass herausgegebenen Theorie der Unbegrifflichkeit istvon Bildern nicht systematisch die Rede. Hans Blumenberg, Theorie der Unbe-grifflichkeit, hrsg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main 2008.

13 DLA, Nachlaß Hans Blumenberg, UNF 2311.

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Kaum ein Philosoph des 20. Jahrhunderts d�rfte so sparsam an sei-nem »Bild« in der �ffentlichkeit gearbeitet haben wie Blumenberg.14

Der Philosoph und die Philosophie:Selbstverst�ndnisse und Selbstbilder

Diese Scheu ist gewiss leichter zu verstehen, wennman bedenkt, dassdie Philosophie als akademische Disziplin zu den Gegnern der Kunst-und Bildgeschichte gehçrte. Die Einsicht, dass der Mensch nicht nurund vor allem nicht prim�r in Begriffen, sondern in Bildern denkt,hat sich sp�t und gegen große Widerst�nde durchgesetzt. Zu denwichtigsten Vertretern dieser selbstkritischen Neubewertung gehçrteHans Blumenberg.

Blumenbergs Beitrag zum Bilddenken kann vor allem aus seinerAbkehrbewegung vom klassischen Selbstbild der Philosophie verstan-den werden. Diese nimmt ihren Anfang mit der sokratischen Fluchtin die logoi, die »zweitbeste Fahrt« der begriff lichen Arbeit. Im Dia-log Phaidon (99a) erkl�rt Sokrates, die bildhafte Sprache der griechi-schen Weisen habe ihn letztlich unbefriedigt gelassen, Denker wieAnaxagoras bçten keine wirklichen Erkl�rungen. Die »zweitbesteFahrt« des Ruderns sei anstrengender, aber zielgerichteter. Wer mitBegriffen arbeitet, d�rfe sich nicht von Bildern treiben lassen wievom Wind, komme aber zu soliden Ergebnissen. Die entsprechendebild- und metaphernfeindliche Tradition der abendl�ndischen Philo-sophie findet einen weiteren Ausdruck in Platons paradoxer, weil poe-tisch vorgetragener Dichterkritik. Da er Bilder als bloße Abbilder ver-steht, ist ihm die Kunst der Philosophie heillos unterlegen; nur die aufdie logoi vertrauenden Philosophen vermçgen hingegen das wahreSein zu erkennen, weil sie sich vom bloßen Erscheinen abwenden.Auf dieser Grundlage zog sich eine Hierarchisierung durch die abend-l�ndische Philosophiegeschichte, die die Bilder zum bloßen Schmuck-werk eines einzig begriff lich klar ausdr�ckbaren Sinnes degradierte.�ber Aristoteles bis zu Hobbes und der am Ideal der Naturwissen-schaften orientierten analytischen Philosophie des 20. Jahrhundertswerden Bilder und Metaphern als minderwertig verdammt.

14 Der »photoscheue Philosoph« gehçrt zu den bekanntesten biographischen Topoivon Blumenbergs Sch�lern aus M�nster. Der Nachlass gibt nur sp�rliche Hin-weise f�r Korrekturen an diesem Bild.

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Blumenberg hingegen stellte sich – am eindr�cklichsten in einerfr�hen Programmschrift mit dem Titel Paradigmen zu einer Meta-phorologie15 – gegen diese Tradition, indem er zun�chst ihre verdr�ng-te Gegenseite ins rechte Licht r�ckte: Schon immer habe es H�reti-ker in dieser Frage gegeben. Die Versuche, Klarheit und Distinktheitdurch die strenge Beschr�nkung auf Begriffe zu erreichen, wurdendurch Denken in Bildern wie von einem Schatten verfolgt. Weit vordem iconic turn gab es Philosophen, die die Unhintergehbarkeit vonAnschaulichkeit gesehen und Begriffe als kondensierte Metaphernbetrachtet hatten. Bereits bei Platon dr�ckt sich die Denkbewegungeiner Flucht in die logoi nicht zuf�llig im Bild der »zweitbesten Fahrt«aus. Auch flieht das Denken bei Platon gerade an den Schl�ssel-stellen aus den logoi zur�ck in die Erz�hlung des Mythos, so beimHçhlengleichnis. Gegen das Projekt einer klaren philosophischen Be-griffssprache, die ihre bildhaften Elemente bis zur vçlligen Forma-lisierung aufzulçsen versuchte, vertrat Blumenberg die These, dasses Metaphern gebe, die sich als »Grundbest�nde der philosophischenSprache«16 nicht in Begriffe auf lçsen ließen. Sie stellten keine Aus-schm�ckung eines bereits anders erarbeiteten Wissens und grund-s�tzlich anders darstellbaren Sinngehalts dar, sondern h�tten selbstwelterschließende und erkenntnisleitende Funktion.

Blumenbergs Metaphorologie

Das auf dieser Grundlage basierende Interesse an Denkbildern for-mulierte Blumenberg zu einem Zeitpunkt, an dem die akademischePhilosophie mit der Begriffsgeschichte gewissermaßen in eine Beob-achtung zweiter Ordnung �berging: Man will nun nicht mehr mitBegriffen die Welt beschreiben, sondern die anderen Weltbeschrei-bungen durch Begriffsgeschichte nachvollziehen. Blumenberg standim Kreise Erich Rothackers und Joachim Ritters und damit im Zen-trum dieses Aufbruchs. Aber zugleich sah er, dass diese Beobachtungder Beobachtung zu kurz griff, wenn sie sich auf Begriffe beschr�nk-te. Das Historische Wçrterbuch Joachim Ritters wird schließlich ex-plizit unter Auslassung der Metaphern in Angriff genommen, wobei

15 Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt am Main 1999.16 Ebd., S. 10.

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diese Auslassung prim�r praktische Gr�nde hat. Eine zus�tzliche Be-arbeitung der Denkbilder h�tte den Rahmen bei weitem gesprengt.Dennoch wurden innerhalb der einzelnen Beitr�ge immer wiederMetaphern behandelt, die im Umfeld von Begriffen zu finden sind.17

In Rothackers Archiv f�r Begriffsgeschichte sollten in der Folge zwarmetaphorologische Arbeiten erscheinen, aber erst das Projekt desWçr-terbuchs der philosophischen Metaphern wird diese L�cke auch syste-matisch schließen.18

In den Paradigmen zu einer Metaphorologie nahm Blumenbergzun�chst einen erkenntnistheoretischen Zugang zum Problem derMetapher, in dem er zwei Theorien unterschied, die er als konkurrie-rende Modelle vorstellte. Nach der gel�ufigen Theorie waren Meta-phern bloßer Ausdruck von auch begriff lich zu fassenden Propositio-nen, also Bedeutungsgehalten. Propositionen wurden dabei als vomDarstellungsmedium unabh�ngige Grçßen gedacht, so dass der Satz»Hans ist ein unglaublicher starker und mutiger Kerl« und »Hans istein Lçwe« denselben Gehalt ausdr�cken. Dass diese Substitutionstheo-rie unhaltbar ist, zeigt jede noch so triviale hermeneutische Aufarbei-tung der konnotativen Bedeutungsraums der Metapher des Lçwen.Ganz offenbar entgleitet uns im Metapherngebrauch die Steuerung�ber die pr�zise Bedeutung: Wer wann was mit einem Lçwen asso-ziiert, ist derartig vom kulturellen Echoraum abh�ngig, dass wir fest-stellen m�ssen: Der Kontext macht die Metapher.

Nun reduzierte sich Blumenbergs Metapherntheorie jedoch nichtauf eine solche Hermeneutisierung (die man zum Zwecke einer De-konstruktion von Bedeutungspr�senz auch mit einem begriff lichenAusdruck durchf�hren kann). Vielmehr lautet die Pointe seiner ko-gnitivistischen Wende in der Metapherntheorie, dass Metaphern welt-erschließende Funktion haben: Metaphern sind genuine Instrumenteder Erkennens.19 Metaphern, die unser Weltverstehen im Ganzen lei-ten, nennt Blumenberg »absolute Metaphern«. Sie sind nicht mehr

17 Zum Verh�ltnis zwischen Blumenbergs Metaphorologie und der Begriffsgeschich-te vgl. auch Gottfried Gabriel, »›Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie‹? Zu An-selm Haverkamps dekonstruktiver Vereinnahmung Blumenbergs«, in: Zeitschriftf�r Ideengeschichte (II/ 2), 2008, S. 121-125.

18 Wçrterbuch der philosophischen Metaphern, hrsg. von Ralf Konersmann, Darm-stadt 2007.

19 Die N�he zu den Thesen Lakoffs und Johnsons ist offensichtlich. Vgl. GeorgeLakoff, Mark Johnson, Metaphors We Live by, Chicago 1980.

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weiter auf lçsbar und spannen sozusagen den Denkraum auf, in demsich das Denken dann bewegen kann.

Blumenbergs Metapherntheorie gewinnt dabei ihre Brisanz durchdie Beobachtung, dass sich die Metaphern (wie die Begriffe) der voll-st�ndigen Transparenz und Steuerung imGebrauch entziehen. Sie ver-leihen eben gerade nicht einem Denken Ausdruck, das sich auch an-ders ausdr�cken kçnnte, sondern geben den Gedanken selbst Gestalt,»inkarnieren« sozusagen das Denken in einer expression cr�atrice, wieman mit Merleau-Ponty sagen kçnnte. Sie pr�gen den Inhalt, den sievermeintlich nur ausdr�cken, selbst mit und geben damit die Bah-nen vor, in denen sich das Denken weiterentwickeln kann. Einmalgew�hlt und formuliert, bildet die Metapher (die absolute Metapherzumal) eine Grundfigur, die im Folgenden variiert werden kann, de-ren kontigente, aber eben nicht beliebige Variationen aber durch dieUrform beschr�nkt sind.

Die Frage aber, wie diese Metaphern in Kunst- und anderen Bild-werken zu realer Anschauung gebracht werden, hat Blumenberg nichtthematisiert. Ihre materielle Darstellung und deren Eigenlogiken in-teressierten ihn womçglich auch deshalb nicht, weil sein Interessegerade jenen »absoluten Metaphern« galt, die das Undarstellbare (dieWelt im Ganzen) darzustellen versuchen und dabei eine Sprengmeta-phorik benutzen, die sich ihrerseits der Darstellung in der Kunst wi-dersetzt. Nicht selten hat sich Blumenberg freilich an die Literaturgehalten. So stehen seinen Kapiteln in Arbeit am Mythos 20 Zitate vonDichtern und Schriftstellern als metaphorologisch inspirierte Mottivoran. Einige, wie Gottfried Benn und Samuel Beckett, haben schließ-lich auch Eingang in Blumenbergs eigent�mliche Sammlung vonPortr�ts gefunden (Abb. 4).

Evolution der Denkbilder

Die Geschichte der Denkbilder wurde von Blumenberg als eine Evo-lution rekonstruiert, der keine �bergreifende Teleologie innewohnt.Der Rekurs auf die Evolutionstheorie macht Blumenbergs Projektzu einem Vorhaben, das strukturell parallel zu Luhmanns Systemtheo-rie oder anderen Theorien kultureller Evolution wie der Mem-Theo-

20 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1979.

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rie verl�uft. Nach welchen Prinzipien diese Evolution vonstattengeht,hat er in Die Arbeit am Mythos unter dem Titel »Figuren der Bedeut-samkeit« erl�utert. Damit erweiterte er den Horizont von bloßen Me-taphern hin zu narrativen Strukturen: Figuren der Bedeutsamkeitfinden wir in Mythen, Geschichten, aber auch Anekdoten oder Wit-zen. Den Begriff der »Bedeutsamkeit«, der bereits in Martin Heideg-gers Sein und Zeit an zentraler Stelle erschien, entlieh Blumenbergbei Erich Rothacker. Bedeutsamkeit wird gestiftet, ja regelrecht pro-duziert, um die un�bersehbar komplexe Welt als einen bew�ltigbarenSinnzusammenhang zu deuten. Bedeutsamkeit wird in die Welt ge-lesen, muss sich also auf tats�chliches Material berufen, kann diesesjedoch mehr oder weniger beliebig deuten, indem es jene Aspekte ak-zentuiert, die sich zu einer pr�gnanten Form zusammenf�gen. DieseKomplexit�tsreduktion durch Akzentuierung erfolgt durch tradierteFiguren. Blumenberg nennt als klassische Figuren der Bedeutsamkeit:Gleichzeitigkeit (Hegel vollendet die Ph�nomenologie des Geistes imSchlachtenl�rm der Schlacht von Jena), latente Identit�t (�dipus er-kennt sich selbst), Kreisschl�ssigkeit (Odysseus auf Ithaka),Wieder-kehr des Gleichen (Ring des Polykrates). Diese Figuren sind narrativ-metaphorische Archetypen, die jedoch – im Gegensatz etwa zu ErnstCassirers symbolischen Formen – keine kanonisierbare Gesamtheit,sondern ein ohne �bergreifende Teleologie neben- und durcheinan-der existierendes Ensemble darstellen. Ihre kleinste Form ist die Anek-dote. Daher sind Blumenbergs Anekdotentexte als Untersuchungen�ber die Produktion von Bedeutsamkeit zu verstehen: Die Anekdotef�hrt die Produktion von Bedeutsamkeit in Kleinstform vor.

Die �bergreifende Teleologie verweigert ihnen Blumenberg, eineinnere Teleologie schreibt er den jeweiligen Figuren jedoch zu: Siesollen ihre Pr�gnanz im Laufe ihrer Tradierung immer weiter verein-fachen, alle unwesentlichen Ausschm�ckungen absch�tteln und sichso als Mythos selbst »zu Ende bringen«. Durch immer neue Umbe-setzungen wird der narrative Kern in solcher Klarheit freigelegt, dasser nicht mehr bedeutsam sein kann. Damit stellt Blumenberg dieThese eines Ursprungsdenkens vom Kopf auf die F�ße: W�hrendbeispielsweise Heidegger glaubt, gerade in den Anf�ngen der Kultur-geschichte die unverf�lschten, reinen und klaren Formen zu findenund daher Kulturgeschichte stets als Verfallsgeschichte rekonstruiert,schleifen sich die Denkbilder nach Blumenberg auf ihren Kern hinab und reduzieren sich in der Geschichte ihrer Umformulierungen

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auf die basale Struktur. Der Kollaps des Monotheismus in der Hoch-scholastik w�re hierf�r ein Beispiel, vielleicht Blumenbergs ideenpoli-tisch wichtigstes, weil er aus der Selbstdekonstruktion des Christen-tums im Okkasionalismus die Legitimit�t der Neuzeit ableitete.21

Der Mythos des Monotheismus bringt sich selbst zu Ende, indemer die Konzeption des allm�chtigen, einen Gottes so klar formuliert,dass dieser eine, alles umgreifende Gott selbst unendlich komplexwird und daher nicht mehr bei der Komplexit�tsreduktion hilft. DieSprengmetaphorik des Cusanus ist hier das Paradigma.

Eine solche Evolution eines Denkbildes rekonstruiert auch Blu-menbergs Buch Hçhlenausg�nge. Das platonische Hçhlengleichnisstellt das metaphorische Material zur Verf�gung und bietet mit denUnterscheidungen innen/außen, Aufgang/Abstieg, Licht/Dunkel undanderen die Elemente. Blumenbergs mit dem Begriff derUmbesetzungverkn�pfte These lautet nun, dass diese Elemente in der weiteren Ge-schichte der Hçhlenmetaphorik zwar umarrangiert und neugruppiertwerden, dass sich aber dennoch eine zusammenh�ngende Kontinui-t�t der Elemente aufzeigen l�sst, bei der – bis zum Schluss – das ur-spr�nglich vorgegebene Schema nicht wirklich �berwunden werdenkann. Die Romantik kehrt die Hçhlenmetaphorik um: Nun mussdie schreckliche Wahrheit wie im Minotaurus-Mythos in der Hçhlegesucht werden. In diesem Sinne w�re die Psychoanalyse ein roman-tisches Projekt des Abstiegs in die Tiefen der verborgenen Wahrheit.Die Ph�nomenologie hingegen erweist sich als gnostische Varianteeines Hçhlendenkens, in dem das Subjekt in die eigene Immanenzeingesperrt bleibt. Nur die Appr�sentation des Anderen bietet hierden Hçhlenausgang, oder, in Heideggers Variante, der Einbruch desSeins von Außen in die Hçhle. Auf diese muss der seinsvergesseneMensch in der Hçhle der Weltnacht and�chtig warten. Auch Witt-gensteins Sprachdenken versteht Philosophie als Hçhlenausbruch, indiesem Fall aus dem Gef�ngnis der unseren Verstand verhexendenSprache (bei ihm in der Metaphorik der Fliege im Glas, die bedeutensoll, die Philosophie habe ihre Aufgabe darin, der Fliege den Weg ausdem Fliegenglas zu zeigen). Wittgenstein bietet zugleich eine wirk-lich neue Variante, insofern beim Wittgenstein der Philosophischen

21 Zur Diskussion um die Legitimit�t der Neuzeit vgl. auch Hans Blumenbergs Brief-wechsel mit Carl Schmitt. Hans Blumenberg, Carl Schmitt, Briefwechsel 1971-1978,hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Alexander Schmitz und Marcel Lep-per, Frankfurt am Main 2007.

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Untersuchungen der Weg aus der Hçhle nur durch das pragmatischeAbarbeiten der sprachlich verfassten Hçhlenw�nde gelingen kann. Phi-losophie wird dann zur best�ndigen Enthexung des Verstandes, zumWeggraben der Hçhlenw�nde, das aber nie vollst�ndig abgeschlossensein kann.

Dieses Beispiel verdeutlicht Blumenbergs ideengeschichtliche Aus-richtung; die »Metaphorologie« ist zun�chst Erg�nzung der Begriffs-geschichte. Entsprechend behandelt er die absoluten Metaphern als»Leitfossilien« von Epochen. Nur in Kombination mit einer Theorieder Moderne gewinnt die Metaphorologie wirklich neue Erkennt-nisse (diese Abgrenzung zieht Blumenberg deutlich gegen Rothackerund dessen Arbeit �ber die Metapher vom Buch der Welt). Nur wennwir etwa an der Metapher vom Licht als Wahrheit zeigen kçnnen,dass der Mensch in der Moderne vom Erleuchteten zum Beleuch-ter wird und sich die Bedeutung von lumen naturale umkehrt, habenwir nach Blumenberg etwas gewonnen.22 In den Paradigmen bringtBlumenberg dies auf die Frage an die Metapher: »What genuine guid-ance does it give?«23

Unbegriff lichkeit ohne Bildlichkeit

Doch Blumenbergs These l�sst sich nicht darauf reduzieren, dass wirbeim Denken unvermeidlich auf zwei Beinen gehen, jeder begriff-liche Schritt eine anschauliche Seite mit sich zieht und jedes Denk-bild mit den Begriffen verwoben ist, die es ausdr�ckt. Neben diesemInteresse an den Unterschieden bei gleichzeitig identischer Funktionder Komplexit�tsreduktion, wie es beispielsweise in den entsprechen-den Abschnitten in Arbeit am Mythos ausformuliert ist, gibt es einenzweiten, meist nur erw�hnten, aber kaum je ausgef�hrten Fokus. Indem kleinen, als Nachspann zu Schiffbruch mit Zuschauer gedruck-tem, »Ausblick auf eine Theorie der Unbegriff lichkeit« hatte Blu-menberg diese Erweiterung angek�ndigt.24 Mit dem Ausblick wirdin der Tat die urspr�ngliche Fragestellung erweitert, die Metaphoro-logie nicht mehr allein als hilfswissenschaftliche Erg�nzung der Be-

22 Hans Blumenberg, »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophi-schen Begriffsbildung«, in: Studium Generale (10), 1957, S. 432-447.

23 Hans Blumenberg, Paradigmen, S. 25.24 Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, Frankfurt am Main 1997.

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